Kitabı oku: «Die weise Schlange», sayfa 4

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„Alles hervorragend erledigt“, gluckste Uathach, die nun unvermittelt vor Viviane stand.

„Ich bin höchst zufrieden mit dir, meine Kleine, und dafür geleite ich dich nun höchst feierlich zur Feststätte zurück.“ Kurzerhand zog sie Viviane vom Pferd, legte ihr strahlend den rechten Arm um die Schultern und rüttelte alles, was daran hing, kräftig durch.

„War also doch nicht umsonst, wie ich dich unter meine Fittiche genommen habe. All die Jahre voller Mühsal und Tobsuchtsanfälle …“

Uathach wischte sich ganze Sturzbäche imaginären Schweißes von der Stirn und stöhnte vor Anstrengung. Unvermittelt griff sie Viviane unter die Arme und hob sie mit einer Leichtigkeit an, als wäre sie aus Stroh.

„Ja, das hat sich wirklich gelohnt“, lachte diese und tänzelte mit den Füßen durch die Luft „Das fühlt sich prima an! Mach weiter!“

„Die Grashalme, die kitzeln?“

„Das Gras, der Südwind, das Kampfspektakel, die blaue Farbe … einfach alles!“

„Ach, und meine Kraft? Pass auf, du kleiner Grashüpfer!“

Uathach packte fester zu und zog Viviane noch höher, sodass sie weit über den Grashalmen schwebte und jauchzte: „Beim Geweih von Cernunnos, du bist das stärkste Weib! Ich bin so glücklich, dass du meine Freundin bist! Keiner fühlt sich heute so leicht und frei wie ich!“

„Das möchte ich meinen. Immerhin wirst du von einer zukünftigen Königin der Nebelinsel auf Händen getragen. Wer könnte das noch von sich behaupten?“

Fragend schauten sie sich an und prusteten gleichzeitig los.

Es gab tatsächlich niemand anderen, den Uathach jemals umhergetragen hätte. Sie trug nur ihren Stolz, ihre Waffen und manchmal eben Viviane. Das war ihr beider größtes Vergnügen, seitdem sie ihre Freundschaft entdeckt hatten, und Viviane vermutete, dass sie gerade deswegen umhergeschleppt wurde. Zum einen war Uathach fast zwei Köpfe größer, zum anderen war es wohl eine Art Wiedergutmachung für all die üblen Tage, die sie vorher miteinander durchlebt hatten.

„Ich könnte dich noch ewig so weiterschleppen! Doch halt, Seitenwechsel und Endspurt, jetzt wird gefeiert!“ Uathach sprang um Viviane herum und hob sie auf ihren linken Arm. „Ach, da kommt ja noch ein Helfer angestolpert! Da schaff ich’s vielleicht doch noch zum Met, bevor ich das Fass auslecken muss! Gib mal Rückenwind, kleiner Grashüpfer!“

„Ganz wie zukünftige Nebelkönigin wünschen!“

Lachend flatterte Viviane mit den Armen und Uathach trabte mit einer Leichtigkeit vorwärts, die selbst den entgegenkommenden Merdin zum Staunen brachte. Er verlangte aber dennoch, sie solle ihm die Hälfte abgeben und schob seine Hand unter Vivianes freigewordene Achsel. Nun konnte diese noch leichter und viel, viel höher durch die Luft sausen. Allerdings hing sie ein bisschen schief, weil Merdin ein winziges Stück größer war als Uathach und auch mehr Kraft hatte – beides wollte er gut sichtbar zur Schau stellen.

Die Spur der Drachen

Beim ersten Vogelgezwitscher verspürte Viviane den starken Drang, sich ausgiebig zu rekeln, und wäre beinahe vom Ast gefallen. Gerade noch konnte sie sich festklammern und einen erschrockenen Blick nach unten werfen. Prompt wechselten sich bei ihr Blinzeln, Stirnrunzeln, Augenaufreißen und -zukneifen in rascher Folge ab. Nur den Klammergriff behielt sie bei und mit ihm die Erkenntnis.

Sie war wach, kein Zweifel. Doch wieso war sie auf einer knorrigen Buche, erste Etage, aufgewacht?

Von der guten Aussicht – wenn es irgendwann hell würde – mal abgesehen, war ihr Schlafplatz eher ungewöhnlich, ja, geradezu exzentrisch, und noch dazu weit weg von den anderen. Zum Glück war die Astgabel, auf der sie lag, breit und voller Moos, und zwei flauschige Wolldecken sorgten für Behaglichkeit. Dennoch, gemütliche Wärme hin und weite Sicht her – wieso lag sie nicht unten auf der Erde wie jeder normale Mensch?

Das Korma war schuld. Offensichtlich hätte sie nicht so viel von dem Gebräu in sich hineinschütten dürfen. Aber nachdem das Kampfspektakel vorbei war, hatte ihr Merdin auch nicht mehr das Horn weggenommen, sondern sogar höchstpersönlich nachgefüllt.

Nebenbei hatte er Viviane mit saftigem Braten und anderen Leckereien versorgt und sie mit ihren neuen Drachenbrüdern und -schwestern bekannt gemacht. Durch seinen Vater kannte er alle und Viviane fühlte sich sehr geehrt, weil sich der höchste Druide eine ganze Weile nur mit ihr unterhielt.

Zum Beispiel fand er es interessant, dass auch Vivianes Clan Cernunnos als Gott der Anderswelt verehrte. Noch mehr faszinierte ihn, dass sie beide die gleiche Augen- und Haarfarbe hatten – so grün wie Moos und so rotbraun wie das Holz des fernen Mahagoni –, während sein Sohn die blauen Augen und kupferroten Haare seiner Mutter hatte. Manch einer hätte darin ein Zeichen gesehen, lachte er; schon waren sie im Gespräch über Vivianes Blasrohrschießen und umringt von vielen Bewunderern.

Bis in die Nacht hinein hatten sie gefeiert, geredet und getanzt – nicht nur zu den mitreißenden Trommelklängen, sondern auch zu anderen Instrumenten und Gesang, denn einige der Drachenkrieger waren Barden und beherrschten die Kunst der Unterhaltung auf das Vortrefflichste.

Natürlich gab es auch andere, die recht passabel singen oder Instrumente spielen konnten, und nach dem siebten oder achten Horn voll Korma fiel Viviane ein, dass auch sie dazugehörte. Sie hatte extra ein paar lustige Tanzlieder eingeübt.

Weil sie nackt zu ihrer Initiation kommen musste, hatte sie Uathach nicht nur mit dem Bereitstellen der Pferde beauftragt, sondern auch damit, ihre kleine Zinnpfeife mitzubringen.

„Beim Geweih von Cernunnos“, stöhnte Viviane beim Gedanken an diese Erinnerung und hielt sich die Augen zu. „War das peinlich.“ Mit langsamen Bewegungen schob sie sich auf dem Ast rückwärts und kroch unter die Decken. Jetzt dämmerte es langsam, auch bei ihr im Kopf.

Nach der höchst speziellen Ankunft der Pferde hätte sie es eigentlich wissen sollen, aber nein, betrunken wie sie war, hatte sie quer über die Lichtung nach ihrer Tin Whistle gebrüllt. Uathach hörte sofort, schlenderte gemächlich zu ihr herüber und verkündete lauthals, gleich gäbe es was zu bestaunen – und der Drache auf ihrer Brust schien zu grinsen, als sie sich das letzte Stück Hirschbraten in den Mund schob.

Das kam Viviane nun doch etwas verdächtig vor. Sie stützte ihr Kinn auf Merdins Arm, damit sie besser über ihren ausgestreckten Finger sehen konnte, und rief: „Has mein Dn Whsle midbrachd, wie ichs dir g’sagd hab, hicks?!“

„Ja, hab ich bei mir, keine Bange“, rief Uathach sehr gut verständlich zurück, obwohl sie zweimal so viel getrunken hatte wie Viviane und sich nebenbei den Fleischsaft aus den Mundwinkeln leckte.

Zwar konnte Viviane höchstens halb so gut sprechen, dafür aber mindestens doppelt so viel sehen, und eine kleine Zinnpfeife – weder in zweifacher noch in dreifacher Ausfertigung – sah sie nirgendwo an Uathach.

„Wo hasse dnn versdegd“, hatte sie deshalb gelallt und ihre nackte Freundin von Kopf bis Fuß beäugt. Diese griff sich feixend zwischen die Beine und Viviane konnte nur noch „bloß nicht!“ kreischen.

Uathach hatte losgejohlt und alle anderen auf der Lichtung gleich mit – hundert wiehernde Pferde waren nichts dagegen.

„Dieses Wahnsinnsweib macht mich fertig“, jammerte Viviane nun, unter ihren Decken und mit ordentlicher Aussprache. Selbstverständlich hatte Uathach die Tin Whistle nicht zwischen den Beinen versteckt, sondern in ihrer riesigen, blonden, steif aufgetürmten Haarmähne; in ihrer Trunkenheit war sie der Freundin gründlich auf den Leim gegangen. Während Uathach spöttisch grinste, hatte sie zu ihr aufgeblickt wie der Ochs vorm Scheunentor; sämtliche Krieger hatten sich gebogen vor Lachen.

Viviane zog ihre Decken fester um sich und seufzte. Einmal im Leben hatte sie so richtig Eindruck schinden wollen und alle, wirklich alle, hatten sich auf ihre Kosten amüsiert; es war schon arg beschämend. Am besten versteckte sie sich hier unter den Decken und wartete, bis keiner mehr da war. Unvermittelt huschte ein Grinsen über ihr Gesicht. Sie hatte einen Beitrag zur Unterhaltung leisten wollen? Nun, aus Sicht der Krieger war ihr das wohl bestens geglückt; alle hatten einen Heidenspaß gehabt. Viviane kicherte in sich hinein. Ja sie prustete los, als sie die Szene noch einmal vor Augen sah und sich unter die Krieger mischte. Von hier aus war beste Sicht auf den Ochs vorm Scheunentor und sie hatte wirklich gut lachen.

„Vivian“, flüsterte da jemand unter ihr. „Geht es dir besser?“

„Besser? Gings mir schon mal schlechter?“

Viviane gluckste und lugte – samt Decken über dem Kopf – zwischen ihrer Astgabel hindurch in Richtung Stimme. Der Sonnenaufgang nahte zwar noch nicht, aber mittlerweile war es vor ihrer wolligen Höhle hell genug, um Umrisse zu erkennen.

„Akanthus! Beim Geweih …“ Hastig versuchte sie, sich in eine ehrerbietige Position zu bringen und rutschte auf der Astgabel herum – es war aussichtslos. Sie ächzte und schnaufte zwischen ihren Decken, Waffen, Händen, Füßen und Knien so ärgerlich vor sich hin, dass ihr Lehrmeister lachen musste.

„Ja, ich bin das. Ganz allein und privat, wohlgemerkt. Daher keine Umstände, keine Zustände oder was du sonst bekommst, wenn ich eine Antwort haben will.“ Er gluckste vergnügt. „Ich wollte mich nur erkundigen, ob meine Hypnose gewirkt hat.“

„Deine … Hypnose? Gewirkt?“

Viviane beugte sich so abrupt vor, dass sie fast wieder vom Ast gefallen wäre, doch mittlerweile hatte sie Übung im Festhalten und die Sicht wurde auch langsam besser. Akanthus stand vollkommen entspannt drei Schritte von ihr weg unter der Buche und betrachtete durch die kahlen Äste hindurch einen blass-blauen Lichtstreif am Himmel.

„Es war bloß eine ganz leichte Hypnose“, erklärte er dermaßen langsam, als hätte er eine Kriegerin vor sich, die den Wettstreit im ‚Korma-Trinken‘ gewonnen hatte. „Du hast ziemlich neben dir gestanden. Ein erholsamer Schlaf schien mir richtig. Beim ersten Vogelgezwitscher solltest du wieder aufwachen.“

„Gezwitscher?“ Viviane spitzte die Ohren. „Ah, jetzt fällt mir das auch auf. Unsere gefiederten Freunde machen ein Heidenspektakel, damit unsereins den Tagesanbruch nicht verpasst. Apropos nichts verpassen …“ Sie leckte sich die Lippen und befühlte ihren Hals. „Ich glaube, ich habe das ganze Korma wieder hergegeben.“

„Das scheint mir auch besser. War eben dein erstes Besäufnis mit Korma. Das hat bis jetzt jeden umgeworfen.“ Akanthus zuckte die Schultern. „Glaube mir, ich kenne mich da aus. Beim nächsten Mal hörst du rechtzeitig auf.“

„Auf ein nächstes Mal kann ich gut verzichten.“ Viviane stöhnte leise vor sich hin und legte ihren Kopf vorsichtig auf dem Ast ab. Offenbar hatte sie von ihrem kleinen Lachanfall Kopfschmerzen bekommen. „Ich kann also davon ausgehen, dass ich ohne Hypnose schlimmer dran wäre“, seufzte sie mit geschlossenen Augen.

„Ganz recht.“ Akanthus betrachtete immer noch den breiter werdenden Schimmer durch die Äste und schmunzelte. „Aber die Buche hast du dir selbst als Schlafplatz gewählt.

Damit hatte ich nichts zu tun. Ehe ich mich versah, warst du oben und hast geschlafen. Wir konnten dich nur noch zudecken.“

„Danke dir und wem auch immer für die Fürsorge“, murmelte Viviane und wedelte schlaff mit der Hand. „Ich versuch mal den Abstieg.“

Nachdem sie sich mühsam von der Buche gehangelt und die Wolldecken hinter sich hergezogen hatte, ließ sie ihren Blick über die Lichtung schweifen. All ihre Drachenbrüder und -schwestern lagen ordentlich unter Decken im tiefen Schlummer, nur Akanthus stand da und machte einen vollkommen ausgeruhten Eindruck.

„Ich geh mal kurz in den Wald. Ich finde den Weg, so düster ist es ja nicht mehr.“ Viviane schaute ein wenig verlegen drein und legte umständlich die Decken zusammen. Dann fügte sie rasch hinzu: „Versteh mich nicht falsch, Akanthus. Das Licht ist zwar noch fahl, aber ich kenne deine Sehkraft, und ich bin mir des ramponierten Anblicks wohl bewusst, den ich dir biete. Darf man eigentlich nur zur Initiation in den See oder …?“

„Jederzeit“, lachte Akanthus und zeigte auf seine feuchten Haare, die Viviane jetzt erst auffielen. „Jeder darf im See schwimmen, nicht nur Drachen. Achte jedoch auf den Sog in der Mitte, besonders jetzt, da du nicht ganz bei Kräften bist.“

„Keine Bange, ich werde mich am Ufer halten. Da komme ich gar nicht erst in Verlegenheit, zu ertrinken. Und ich nehme Dina mit, die kann mich zur Not retten. Ich habe meine Lektion gelernt.“

„Ich werde hier auf dich warten. Nimm die auch gleich mit.“

Akanthus überreichte ihr ein paar Tücher – ein winziges aus Wolle, mit dem ihr Uathach gestern die Zähne poliert hatte, und zwei große Leintücher, die ihr ebenfalls bekannt vorkamen. Unwillkürlich musste Viviane schmunzeln, wenn es auch wehtat. Vorsichtig setzte sie sich in Bewegung.

Zurück kam sie mit Tüchern um Kopf und Schultern gewickelt und leichtem Schritt. Die freudige Begrüßung durch Dina, der Wald, das kalte Wasser – das alles hatte ihr gutgetan. Akanthus hielt ihr gleich eine Schale mit Gerstenbrei hin und schaute so lange streng drein, bis sie alles in sich hineingelöffelt hatte, ob sie wollte oder nicht. Danach zeigte er wieder sein väterliches Lächeln und forderte Viviane auf, ein Stück des Wegs mit ihm zu gehen. Müßig schlenderten sie über die Lichtung, vorbei an den Drachenkriegern, die dicht gedrängt um die Erdöfen schliefen. Viviane sah ihre Körper nun deutlich unter den Decken und überlegte, wie einfach es wäre, sie hier und jetzt zu überfallen, doch Akanthus schwärmte frohgemut von der gestrigen Feier und davon, wie gut ihr Kampfspektakel ausgesehen hatte. Kein Drachenkrieger wachte auf, niemand machte sich Sorgen. Über die Absicherung solcher Feste hatte sich Viviane noch keine Gedanken gemacht und Akanthus ließ ihr ohnehin keine Zeit zum Grübeln.

„Ich möchte mit dir über deine Zukunft sprechen“, begann er ein neues Gesprächsthema und führte sie zu einem Apfelbaum, der so schief stand, dass man sich mühelos darauf setzen konnte. Mit einladender Geste deutete er auf eine bequeme Stelle und nahm selbst auf einer Astgabel gegenüber Platz.

Viviane schaute ihm aufmerksam in die blauen Augen und wartete geduldig auf das, was er zu sagen hatte. Aus Erfahrung wusste sie, dass er nicht duldete, wenn man vorschnelle Fragen stellte oder gar dazwischenredete.

„Ich muss dich heimschicken“, sagte er ruhig und dennoch in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. „Nichts von dem, was ich dir nun mitteile, darf nach außen dringen. In die Gründe für meine Entscheidung werden nur Druiden eingeweiht, selbstverständlich auch die in deiner Heimat. Das lass allerdings meine Sorge sein, du weißt, ich habe Mittel und Wege. Bei dieser Gelegenheit werde ich dich auch gleich bei deinem König ankündigen. Falls jemand fragt, warum du deinen Leuten nicht selbst geschrieben hast, sag einfach, du wolltest sie überraschen. Das wird dir jeder glauben und es ist nicht mal gelogen, wenn du vergisst, zu erwähnen, dass du selber überrascht warst.“

Akanthus warf einen prüfenden Blick auf Viviane, die sich redlich mühte, ihre Verblüffung zu verbergen, und fuhr fort: „Dein Hab und Gut habe ich bereits zur dritten Station deiner Reise vorausgeschickt. Dort erwarten dich auch noch ein paar Extravaganzen, denn ich will eine vornehme Römerin aus dir machen, um dich in römisches Gebiet zu schicken. Alles Weitere ist geplant und in die Wege geleitet.“

Viviane klappte der Mund auf. Schnell machte sie ein verhaltenes Gähnen daraus und hütete sich, irgendetwas zu sagen.

„Ich weiß, du hast dich darauf eingerichtet, hierzubleiben, doch der schwere Kampf, für den wir uns alle rüsten, ist bis auf Weiteres verschoben worden. Meines Wissens wird er noch etwa zwei Jahre auf sich warten lassen. Die große Entfernung zu deiner Heimat wird also für eine Rückkehr kein Problem darstellen.“

Viviane nickte vorsichtig, sie war nun doch etwas verwundert. Der seit Jahren, ach was, seit Jahrzehnten geplante Vernichtungsfeldzug der Römer gegen die britannischen Druiden würde also nicht stattfinden, jedenfalls jetzt noch nicht. Akanthus musste es wissen, er hatte zahllose Berichterstatter, von denen die Römer nichts ahnten.

„So ist es“, bestätigte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Sämtliche meine Späher berichten das Gleiche: Der Kampf, den die Römer gegen uns Druiden im Sinn haben, muss warten. Im Moment sind sie nicht dazu in der Lage, gegen uns ins Feld zu ziehen, oder besser gesagt: Sie sind im Moment noch zu schwach, um es mit uns Druiden aufzunehmen.“

Trotz ihrer Vorsicht konnte Viviane nicht anders, sie musste kichern.

Auf Akanthus’ Gesicht machte sich ein verschwörerisches Grinsen breit, bevor er weitersprach: „Natürlich werden wir die gewonnene Zeit nutzen, um noch mehr Druiden vor den Römern in Sicherheit zu bringen. Und auch dazu, den Kampfgeist der römischen Truppen weiter in die Knie zu zwingen. Es hat eben seine Vorteile, in den Bergen zu leben, umgeben von Stämmen, die den Römern Einhalt gebieten. Die Wölfe mögen sich den Osten Britanniens einverleibt haben, aber am Westen werden sie sich die Zähne ausbeißen. Dafür werde ich mit meinesgleichen sorgen.“ Feierlich legte sich Akanthus die Hand aufs Herz, um seine Rede zu bekräftigen. „Der Westen ist und bleibt unser, so wahr ich ein Silurer bin und Anführer der Drachenkrieger. Und ich bin froh, meine Tochter, sehr froh, dich an meiner Seite zu wissen, wann immer ich dich brauche.“ Sein Blick glitt über Viviane, die ihn gebannt beobachtete, und er zeigte wieder das von ihr so geliebte väterliche Lächeln. Unvermittelt wurde daraus ein verschmitztes, ja, ein verschlagenes Grinsen. Er rieb sich die Hände und gluckste erfreut: „Im Kampf gegen die Römer sind nicht nur Berge und Verbündete von Vorteil. Es ist auch recht nützlich, dass ihre eigenen Söldner kaum gebildet sind.“

Akanthus zog seine buschigen Augenbrauen hoch und schaute erwartungsvoll drein. Nun war für Viviane der richtige Moment gekommen, ihre Gedanken zu äußern.

„Die machthabenden, gebildeten Römer verstehen nicht, warum ihnen genau diese Unwissenheit zum Verhängnis werden könnte. Mit wahrer Meisterschaft betreiben sie Volksverdummung, um ihre niederen Stände im Zaum zu halten. Und wirklich erschaffen sie dadurch viele Krieger, die marschieren und gehorchen und töten für Sold, weil ihnen sonst nichts anderes übrig bleibt.“

Viviane zog verächtlich die Mundwinkel herab, was Akanthus zu eifrigem Nicken animierte, und sie fuhr fort: „Doch jeder Söldner, egal woher, fürchtet sich vor dem, was es mit sich bringt, einen Druiden zu töten. Er weiß: Wir Druiden sind den Göttern nahe. Wir Druiden bewahren das, was die Götter uns geschenkt haben. Wir streben nach Wahrheit und höchster Moral. Wir forschen, handeln und herrschen weise. Und die Götter sehen mit Wohlwollen, wie wir Brücken bauen aus Wissen, Weisheit und Gedenken, wie wir Götter und Menschen verbinden in jedem Clan, jedem Stamm, überall auf der Welt. Was also tun die Söldner, wenn sie gegen den Willen der Götter handeln sollen, wenn sie Druiden töten sollen, nur weil die Römer Angst vor unserer Macht haben?“

Viviane rutschte vom Apfelbaum und hob Achtung heischend den Finger. Dann tat sie, als würde sie mit Schild und Schwert in einem Schildwall stehen und Akanthus prustete los, als ihre Beine zu schlottern anfingen.

„Rufen sie: ‚Führt eure Schlacht doch selbst?‘ Nein, sie brauchen ja ihren Sold. Also fühlen sie lieber die kalte Angst ihre Beine hinaufkriechen, nehmen die Rache der Götter für eine Handvoll Münzen in Kauf und hoffen, irgendwie drum herumzukommen. Doch welcher Gott wird ihnen vergeben, wenn sie seinen Mittler getötet haben, oder zwei, oder gar noch mehr? Die überirdischen Götter, die irdischen Götter, die unterirdischen Götter – sie werden richten, wann es ihnen passt, wo es ihnen passt und wie. Schlimme, sehr schlimme Tode harren den Frevlern. Kein Gott wird sich ihrer erbarmen, kein einziger. Und wenn die Söldner schließlich in der Anderswelt landen – beim Geweih von Cernunnos –, dann warten die von ihnen getöteten Druiden und wer weiß wie viele Feinde noch auf sie.“

Viviane kauerte sich hinter ihren imaginären Schild und klapperte laut mit den Zähnen.

„So ist es“, gluckste Akanthus und seine buschigen Augenbrauen wackelten vergnügt. Für Viviane war dies das Zeichen, mit dem Zittern aufzuhören und weiterzureden. Rasch setzte sie sich wieder ihrem Lehrer gegenüber.

„Je mehr ihre Söldner hier in Britannien Angst vor unseren Fähigkeiten bekommen, desto besser. Je mehr Druiden sich an strategisch günstigen Stellen verteilen, desto besser. Nun frage ich mich …“ Sie richtete sich betont gerade auf und schaute Akanthus fest in die Augen. „… wieso kann ich nicht hierbleiben und mithelfen, damit unser Ruf noch angsteinflößender wird? Ist die Heimkehr in mein Land wichtiger?“ Sie legte den Kopf schief. „Ist meine Heimat in Gefahr?“

Akanthus’ Blick verdüsterte sich und Viviane lief ein Schauder über den Rücken. Plötzlich hatte sie Angst, die fröhlichen Briefe ihrer Familie falsch verstanden zu haben.

„Nein, nein“, rief Akanthus und hob beschwichtigend die Hände. „Deiner Sippe geht es gut. Deinem Clan geht es gut. In deinem ganzen Land ist alles in Ordnung.“ Er seufzte. „Noch.“

Viviane kniff die Lippen zusammen, damit ihr keine Frage entschlüpfte, und schaute weiterhin abwartend zu ihrem Meister.

„Diesmal brauchte ich nicht einmal Späher, um das zu erfahren“, brummte Akanthus und bedeutete ihr, mit ihm zu kommen. Er führte sie zum Rand der Lichtung, wo eine Decke im Gras lag, und bat sie mit einladender Geste, Platz zu nehmen.

„So schlimm?“, rutschte es Viviane heraus und sie biss sich schnell auf die Lippe – zum einen, weil sie unaufgefordert gesprochen hatte, zum anderen, weil ihr der Kopf plötzlich wieder schmerzte.

Doch Akanthus war nicht ungehalten aufgrund ihrer Zwischenfrage. Er kramte sogar einen kleinen Weidenzweig aus seiner Gürteltasche und hielt ihn ihr mit besorgtem Blick hin.

„Salix? Nein, danke dir“, seufzte Viviane und hob abwehrend die Hand. „Mein Schädel tut weh, als hätte mir Uathach einen ganzen Weidenbaum übergezogen, aber ich will keine Medizin. Ich finde, ich habe die Schmerzen verdient. Wenn das nächste Besäufnis ansteht, werde ich mich besser erinnern.“ Mit verkniffener Miene setzte sie sich vorsichtig auf die Fersen und wartete, dass Akanthus seine Rede fortführte.

„Nun, es ist wirklich so schlimm, wie du guckst, Vivian“, murmelte er und verstaute das kleine Stück Weide wieder in seiner Gürteltasche. „Wie du inzwischen weißt, haben wir auch einen Chatten in unserem Bund.“

Akanthus deutete auf eine Decke ein Stück abseits, die sich nun bewegte. Der darunterliegende Drachenkrieger stand allerdings nicht auf. Er hob nur eine Hand, um zu zeigen, dass er da war.

„Sobald dein Drachenbruder erfuhr, dass du eine Hermundurin bist, hat er mir berichtet.“

Akanthus holte tief Luft und ließ diese langsam wieder ausströmen. „Er hat mir berichtet, die Chatten würden einen Krieg gegen die Hermunduren planen. Er wird noch dieses Jahr stattfinden. Du musst nach Hause, Vivian. Nicht zu eilig, aber besser vor Beltane. Und bitte vergiss nicht: Zu niemandem ein Wort darüber. Nur unter Druiden, sonst könnte eine Panik im Land ausbrechen. Und das wäre fatal. Es stünde arg schlecht um deine Heimat, wenn deine Leute flüchteten, bevor die Chatten kommen.“

„Oh ja, das wäre ein gefundenes Fressen für die Chatten. Aber eins verstehe ich nicht“, murmelte Viviane. „Wieso wollen sie sich meine Heimat einverleiben? Ich meine, die Chatten haben zwar schon immer über die Stränge geschlagen; mal ein Viehdiebstahl hier, mal ein gestohlenes Schaffell da … ich schätze, das ist nun mal so, wenn man nach Westen hin an ein berühmt-berüchtigtes Kriegervolk grenzt. All ihre unzivilisierten Sitten, wenn sie zum Krieger aufsteigen … Doch bis jetzt hat sich das stets in Grenzen gehalten. Wieso wollen sie auf einmal Krieg gegen unser ganzes Volk führen? Gut, wir sind friedlich und haben keinerlei Interesse daran, das zu ändern; wir schöpfen schließlich unseren Wohlstand aus diesem Frieden. Aber die wissen doch, wie groß wir sind und wer alles zu unserem Hauptstamm gehört. Alle Unterstämme der Sueben stehen hinter uns. Die Chatten können es sich schlichtweg nicht leisten, mit uns allen im Clinch zu liegen. Und wenn du einen Feind nicht besiegen kannst …“

„… dann mache ihn zum Freund. Korrekt.“

Akanthus tätschelte Viviane die Schulter. Er hatte die Augenbrauen hochgezogen, wartete also noch auf eine geistreiche Erkenntnis ihrerseits.

Viviane strengte ihren schmerzenden Kopf an, doch sie fand einfach keine sinnvolle Schlussfolgerung, die den Ansprüchen ihres Lehrers genügte.

„Was würde am Ende Sinn ergeben?“, überlegte sie dennoch laut und hoffte, nun möge ihr des Rätsels Lösung einfallen. Akanthus sah sie genauso wissbegierig an, wie sie sonst immer ihn.

„Nun gut, meine Überlegung ist folgende: Ohne Verbündete, mächtige Verbündete wohlgemerkt, haben die Chatten keine Chance und da kommen nur die Römer in Betracht. Aber: Die Römer sind nicht nur mit den Chatten befreundet, sie sind auch mit uns Hermunduren befreundet. Wieso sollten sie diesen Frieden riskieren? Die haben ihre Lektion gelernt, die trauen sich nicht noch mal über unsere Reichsgrenze, egal an welcher Stelle. Daraus folgt: Wenn die Chatten uns allein besiegen wollen, müssen sie schneller von Westen anrücken, als unsere Verbündeten von Osten über den Thuringer Wald kommen. Es sei denn …“

Vivianes Augen wurden schmal, bevor sie knurrte: „Es sei denn, die Römer haben sich heimlich mit den Chatten verbündet und legen unsere Verbündeten im Osten lahm. Das wäre zu schaffen. Die Römer müssten nicht mal fremden Boden betreten, ihre Reichsgrenze schließt ja – wie praktisch – an Suebenland. Ein paar Gerüchte, mysteriöse Truppenbewegungen … schon wären die Sueben samt Unterstämmen in Alarmbereitschaft, denn auch sie haben ihre Lektion gelernt. Wenn die eigene Heimat in Gefahr ist, kommt uns kein Verbündeter zu Hilfe. Und Chatten gegen Hermunduren, das ist wie Wölfe gegen Schafe. Aber warum? Warum?“

Viviane schüttelte den Kopf und warf die Hände darüber, was in ihrem Zustand beides eine schlechte Idee war. Hastig sprang sie auf, würgte und rannte in den Wald.

Als sie nach geraumer Zeit zurückkam, saß Akanthus immer noch so da, wie sie ihn verlassen hatte.

„Musste mir noch mal die Zähne polieren und viel gurgeln und Füße waschen“, murmelte sie, während sie sich besonders ehrerbietig auf die Fersen setzte.

„Hast du dabei die Nuss geknackt?“

„Nüsse knacken? Am See, zu Ostara? Ach so.“

Viviane schmunzelte. Bilder und Sprache zu kombinieren war typisch für Druiden.

Damit konnte man das Wissen gut im Kopf behalten. Ganze Geschichten entstanden nur deshalb, um sich viel Wissen leicht zu merken. Die Mythen vom Lachs der Weisheit oder von klugen Raben kamen nicht von ungefähr. Aber dass Raben wirklich Nüsse auf Wege legten, um sie von Pferdehufen oder Wagenrädern knacken zu lassen, nutzte ihr im Moment nichts – auch wenn Raben die Symboltiere der Druiden waren.

„Nein, ich kann diese Nuss nicht knacken. Ist zu hart für mich und kein Wagen in Sicht.“

Zu ihrer Erleichterung lächelte Akanthus nachsichtig und sagte: „Merkwürdig. Du hast extra einen Umweg gemacht und mich hier warten lassen.“

„Nun ja, ich wollte dir doch nicht mit stinkendem Atem und Füßen gegenübersitzen. Da bin ich also schnell zum See gerannt und dann erst hierher zurück. Ein Umweg über drei Ecken schien mir besser, als meinem Meister …“

„Schon gut, schon gut“, gluckste Akanthus und tätschelte Vivianes Schulter. „Umwege dauern eben länger, aber wenn sie sich lohnen … Und was passiert, wenn zwei sich streiten?“

„Na, ist doch klar wie ein Gebirgsbach, da freut sich der dritte.“ Viviane nickte überzeugt, sie hatte das selbst oft ausgenutzt. Kaum schwelgte sie in Kindheitserinnerungen, bekam sie große Augen.

„Du meinst …“ Sie holte tief Luft und beugte sich zu Akanthus, damit sie besser hinter vorgehaltener Hand flüstern konnte: „Du meinst, die Römer tun nur so, als ob sie mit den Chatten gemeinsame Sache machen? Sie brauchen bloß abwarten, bis ihre Rechnung aufgeht? Erst werden wir Hermunduren von den Chatten überrannt. Dann ziehen die Römer ihre Truppen im Osten ab. Unsere Verbündeten strömen über den Thuringer Wald und können die Chatten zurückschlagen. Hinterher sind wir alle geschwächt und schon nehmen uns die Römer allesamt in die Zange.“

Viviane merkte, dass sie lauter geworden war. Rasch senkte sie ihre Stimme zu einem Wispern: „Hermunduren, Semnonen … den kompletten Sueben-Stamm schieben sie sich mit der rechten Hand in den gierigen Schlund und die Chatten gleichzeitig mit der linken.“

„Und das letzte große Stück Freiheit auf dem Festland wäre verschluckt.“ Akanthus nickte besorgt. „Das entspricht der Denkweise der Römer und ist deshalb möglich. Wenn all meine Späher Bericht erstattet haben, werden wir es genauer wissen. Aber bis dahin können wir nicht warten.“

„Ich kehre nach Hause zurück“, knurrte Viviane. „Wenn ich die Chatten überlebe, komme ich wieder hierher und dann brate ich mir einen römischen Adler nach dem anderen zum Frühstück.“

„Ich lade mich schon mal für mehrere Tage zum Essen ein“, gluckste Akanthus und beugte sich nah zu ihr hinüber.

„Dem ersten Adler kannst du bereits jetzt ein paar Federn ausrupfen“, raunte er verschwörerisch. „Ich habe vor deiner Heimkehr noch eine Mission für dich, bei der du zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kannst. Nach der großen Verabschiedung reitet ihr los.“

„Gleich heute mein erster Auftrag? Welche Ehre!“

Vivianes Augen leuchteten auf und diesmal zog sie die Augenbrauen hoch. Akanthus zeigte wieder sein väterlich-stolzes Lächeln und erklärte: „Es handelt sich um eine äußerst riskante Rettungsmission, extrem kurzfristig geplant, aber ich habe vollstes Vertrauen in eure Fähigkeiten. Ihr werdet inkognito reisen, verkleidet als Römer. Zur Sicherheit werdet ihr euch auch die Haare färben. Da ihr alle mehr oder weniger rothaarig seid, deckt ein dunkles Braun am besten. Es fällt auch nicht so ins Auge. Niemand soll euch erkennen, denn ihr müsst nach Osten, weit hinein in römisches Gebiet. Londinium ist euer Ziel. Dort sollt ihr Sklavinnen befreien. Danach werdet ihr in eure Mutterclans zurückkehren, bis unser Ruf euch wiederbringt.“

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Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
1232 s. 5 illüstrasyon
ISBN:
9783959665964
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