Kitabı oku: «Soziologie der Migration», sayfa 2

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1. Entwicklung soziologischer Migrationstheorien und Wandel der Migrationsformen seit 1945

Migrationsbewegungen sind in allen Zeiten zu beobachten. Sie sind fester Bestandteil der Kulturgeschichte der Menschheit. Ihre Formen haben sich im Laufe der Zeit kontinuierlich mit den Veränderungen der soziokulturellen und materiellen Lebensbedingungen der Menschen gewandelt. Ihre Vielfalt lässt sich am Beispiel der Wanderbewegung in der Sammler- und Jägerkultur, der Nomaden- und Völkerwanderung, der unfreiwilligen Massenauswanderung der Arbeitskräfte aus Afrika nach Nordamerika (Sklavenhandel im 17. und 18. Jahrhundert) und der freiwilligen Massenauswanderung der Arbeitskräfte aus dem indischen Subkontinent in die Kolonialgebiete und der transatlantischen Massenauswanderung der Europäer im 18. und 19. Jahrhundert nach Nordamerika dokumentieren. Der historische Beleg der freiwilligen Massenauswanderung von Arbeitskräften aus dem indischen Subkontinent ist in der Rekrutierung von 12 bis 37 Mio. „indentured worker“ durch die „Britisch East India Company“ zu sehen. Die rekrutierten Arbeiter mussten sich für eine vertraglich vereinbarte Zeit zur Arbeit verpflichten, um ihre Überfahrtkosten abzuarbeiten. Im Gegensatz zu der langen Geschichte der Migrationsbewegungen beginnen die wissenschaftliche Befassung und Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Migration erst seit den 1920er Jahren in den USA mit den ersten systematischen soziologischen Migrationsforschungen an der Universität Chicago. Das Ziel dieses Kapitels ist es, ausgehend von einer Begriffsklärung der Migration, in komplexe Zusammenhänge multikausaler Determinanten der Migration, in ausgewählte soziologische Migrationstheorien und in die sich zunehmend diversifizierenden Migrationsformen einzuführen.

1.1 Begriff der Migration und Grundbegriffe der Migrationssoziologie

Der Begriff der Migration stammt von dem lateinischen Wort „migrare bzw. migratio“ (wandern, wegziehen, Wanderung). Er ist in den letzten Jahren, beeinflusst durch das weltweit verwendete englische Wort „migration“, sowohl in der deutschen Alltagssprache als auch in der Begriffssprache der Sozialwissenschaften heimisch geworden. In diesem Buch wird er, so weit wie möglich, anstelle des deutschen Begriffes der Wanderung gebraucht, um die Mehrdeutigkeit des Letzteren und die evtl. damit verbundenen Missverständnisse auszuschließen.

In den Sozialwissenschaften werden unter dem Begriff der Migration allgemein solche Bewegungen von Personen und Personengruppen im Raum (spatial movement) verstanden, die einen dauerhaften Wohnortwechsel (permanent change of residence) bedingen. Die internationale statistische Erfassung der Migrationsbewegungen hat bis 1950, angelehnt an die Empfehlung der UN, einen Wohnortwechsel als dauerhaft und damit als Migration erfasst, wenn er länger als ein Jahr dauerte. Ab 1960 wurde ein Wohnortwechsel, der länger als fünf Jahre anhielt, als Migration erfasst (vgl. Charles F. Longino Jr., 1992, 975; William Petersen, 1972, 286). Nach der revidierten Empfehlung der UN zur statistischen Erfassung der internationalen Migranten von 1998 werden nun diejenigen Personen als Migranten erfasst, die zumindest für die Zeitspanne von einem Jahr (for a period of at least a year) den ständigen Wohnsitz (usual residence) von ihrem Herkunftsland in ein anderes Land verlegen (vgl. IOM, 2003, 296).

Dagegen wird in Deutschland das Kriterium der Dauerhaftigkeit des Wohnortwechsels bei der statistischen Erfassung der Migrationsbewegungen als erfüllt angesehen, wenn die Migration mit einem tatsächlichen Wohnsitzwechsel verbunden ist. Dabei ist unerheblich, ob die Migrationsbewegungen freiwillig oder unfreiwillig erfolgen. Mit dem Wohnortwechsel ist der Wechsel des Wohnsitzes von einer Gemeinde A zu einer Gemeinde B gemeint, d.h. der neue Wohnort muss in einer anderen politischen Wohngemeinde liegen, um diese räumliche Bewegung von Menschen als Migration bezeichnen zu können (vgl. W. A. V. Clark, 1986, 20; Wolfgang Mälich, 1989, 875).

Das Kriterium des dauerhaften Wohnortwechsels ist auch für die soziologische Begriffsbestimmung der Migration konstitutiv, unabhängig davon, ob dieser Wechsel von Migranten selbst gewollt ist oder nicht. Räumliche Bewegungen von Personen und Personengruppen, die nicht mit einem dauerhaften Wechsel des Wohnortes verbunden sind, der über die bisher ansässigen politischen Gemeindegrenzen hinausgeht (z.B. Reisende, beruflich bedingte Pendelbewegungen von Arbeitnehmern, Umzüge innerhalb derselben politischen Gemeinde), werden begrifflich nicht dem Phänomen der Migration zugerechnet (vgl. Rudolf Herberle, 1955, 2). Nach dem Begriffsverständnis der Sozialwissenschaften wird damit nicht jede räumliche Bewegung von Personen und Personengruppen als Migration bezeichnet (vgl. Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny, 1970, 54).

Die Migrationsbewegungen der Menschen werden, wie das nächste Kapitel 1.2 zeigen wird, durch eine Vielzahl zusammenhängender Ursachen und Zwänge kultureller, politischer, wirtschaftlicher, religiöser, demographischer, ökologischer, ethnischer und sozialer Art ausgelöst. Sie sind in der Regel das Ergebnis eines Zusammenspiels von mehreren Ursachen, die sowohl auf der gesellschaftlich strukturellen als auch auf der persönlich individuellen Ebene angesiedelt werden können. Migration kann selten monokausal erklärt werden. Die vielschichtigen Ursachen sind oft so miteinander verwoben und vermengt, dass eine eindeutige Trennung der freiwilligen von der unfreiwilligen Migration kaum möglich ist. Darüber hinaus ist Migration immer ein Prozess, der, beginnend von der Vorbereitung über den faktischen Verlauf bis hin zu einem vorläufigen Abschluss, in einem langen zeitlichen Kontinuum stattfindet. Der vollzogene Wohnortwechsel ist zwar ein sichtbares Zeichen, aber keineswegs der Endpunkt der Migration. Es kann gesagt werden, dass der wesentlich zeitintensivere und schwierigere Teil der „inneren psychosozialen Migration“ erst nach der „äußeren physischen Migration“ beginnt.

Bei der theoretischen Erfassung und Differenzierung des Migrationsprozesses von Personen und Personengruppen in der sozialwissenschaftlichen Fachliteratur finden daher die motivationale (Beweggründe und Aspirationen), die räumliche (geographische Distanz und die mit der zunehmenden Entfernung steigende Fremdheit von Kultur, Sprache, Gewohnheiten), die zeitliche (dauerhaft bzw. vorübergehend) und die soziokulturelle (gesamtes neues Lebensumfeld) Dimension der Migration besondere und teilweise fachlich unterschiedlich gewichtete Berücksichtigung (vgl. J. A. Jackson, 1986, 4).

Im Folgenden werden grundlegende Begriffe geklärt, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Begriff der Migration verwendet werden. Weitere Begriffsklärungen werden in den jeweiligen Kapiteln vorgenommen.

a) Binnenmigration (internal migration)

Wenn die Verlegung des ständigen Wohnsitzes von einer politischen Gemeinde in eine andere, die sich innerhalb gleicher nationalstaatlicher Grenzen (within the boundaries of a given country) befindet, erfolgt, wird diese als Binnenmigration bezeichnet (vgl. Charles F. Longino, Jr., 1992, 974; Ludwig Neundörfer, 1961, 497). Bezogen auf eine Gemeinde, in der die Zu- und Wegzüge der Wohnbevölkerung stattfinden, wird in der Fachliteratur englischer und deutscher Sprache zwischen der „in-migration“, d.h. die Migration in die Gemeinde und der „out-migration“, d.h. die Migration aus der Gemeinde unterschieden (vgl. David M. Heer, 1996, 538). So wird beispielsweise die Migration von Menschen aus den ländlichen Gegenden in städtische Regionen als „rural out-migration“ bezeichnet. Oft wird für die Zuwanderung in eine Gemeinde/in ein Land der Begriff „in-flow“, für die Abwanderung aus einer Gemeinde/aus einem Land der Begriff „out-flow“ verwendet.

b) Internationale Migration (international migration)

Findet die Verlegung des Wohnsitzes der Migranten dauerhaft oder vorübergehend zwischen den Nationalstaaten statt, wird diese als internationale bzw. grenzüberschreitende Migration bezeichnet (vgl. David M. Heer, 1992, 984; Alfred Kruse, 1961, 503). Dabei wird die Immigration (Einwanderung) von der Emigration (Auswanderung) unterschieden. Die Unterscheidung zwischen Binnenmigration und internationaler Migration dient eher statistischen, formalrechtlichen (z.B. bei der Anerkennung des Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention) und theoretischen Zielsetzungen und weniger der tatsächlichen Differenzierung des Migrationsgeschehens. Die formale Zuordnung ist relativ, weil sie durch die Verschiebung bzw. Auflösung nationalstaatlicher Grenzen korrigiert werden muss. Das faktische Migrationsgeschehen ist so gesehen von seiner statistischen bzw. formalen Einordnung zu trennen. Der Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion, die Entstehung der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS bzw. CIS: Commonwealth of Independent States) und die dadurch ausgelösten grenzüberschreitenden Migrationsbewegungen zwischen den 15 Nachfolgestaaten sind Beispiele dafür, wie relativ die formale Unterscheidung zwischen nationaler und internationaler Migration sein kann.

c) Migrationsstrom (migration stream)

Mit diesem Begriff bezeichnet man die Richtung der Migrationsbewegungen von einem bestimmten Ausgangsort (Auswanderungsort) zu einem bestimmten Zielort (Einwanderungsort) hin. Diese Richtungsangabe kann auf einen konkreten Ort (specific stream) oder auf ein konkretes typologisches Gebiet (typological stream), wie z.B. die Migration in eine städtische Region, bezogen sein. Der Migrationsstrom kann sowohl in der Binnenmigration als auch in der internationalen Migration durchaus von einem Gegenstrom (counterstream) begleitet sein (vgl. Charles F. Longino, Jr., 1992, 975). In der Zeit der Frühindustrialisierung emigrierten Menschen aus den ländlichen Regionen mit bäuerlicher Wirtschaftsstruktur in die städtischen Ballungsgebiete mit neu entstehender industrieller Wirtschaftsstruktur. Diese sog. Landflucht hält bis in die Gegenwart hinein in vielen Regionen der Welt weiter an, weil die städtischen Regionen insgesamt bessere Chancen und Bedingungen im Bereich der Ausbildung, Beschäftigung, Freizeit, Kultur und Infrastruktur bieten. Es ist jedoch auch zu beobachten, dass die Zahl umweltbewusster Menschen zunimmt, die ihren Wohnsitz aus dem städtischen in den ländlichen Raum verlegen. Im internationalen Bereich ist zu beobachten, dass Arbeitsmigranten aus den wenig entwickelten in die hochentwickelten Länder emigrieren, während umgekehrt immer mehr Manager und hochqualifizierte Fachberater aller Fachrichtungen die temporäre Migration von den hochentwickelten Industrieländern in die Entwicklungsländer antreten, um dort für eine begrenzte Zeit beim wirtschaftlichen Aufbau mitzuhelfen.

d) Migrationsvolumen und Migrationssalden bzw. -bilanzen

Die Summe der Zu- und Abwanderung von Menschen innerhalb eines Gebietes und einer bestimmten Zeit wird als Migrationsvolumen bezeichnet, während die Gewinne und Verluste, die eine Bevölkerung eines bestimmten Gebietes in einer bestimmten Zeit durch die Migration erfährt, als Migrationssalden bzw. Migrationsbilanz bezeichnet werden. Die „Netto-Migration“ (net migration) ist die Differenz zwischen den Zahlen der Zu- und Abwanderungen. Die Gewinne bzw. Verluste der Bevölkerung, die durch die Migrationsbewegung eintreten, werden als „positive bzw. negative Netto-Migration“ bezeichnet (vgl. Rudolf Heberle, 1955, 9; Charles F. Longino, Jr., 1992, 975).

e) Mobilitätsziffer

Unter dem Begriff der Mobilitätsziffer versteht man die Summe der Ein- und Auswanderungen von Menschen eines Gebietes bezogen auf die Bevölkerung per Tausend, d.h. das Verhältnis des Migrationsvolumens eines Gebietes zu seiner Bevölkerung, ausgedrückt per Tausend (vgl. Wolfgang Mälich, 1989, 880). Die Mobilitätsziffer eines Gebietes darf jedoch nicht direkt mit der Durchschnittsmobilität seiner Bewohner gleichgesetzt werden, weil deren Intensität berufsspezifisch unterschiedlich ist. Allgemein besteht die Tendenz, dass die Angehörigen der freien Berufe (z.B. Unternehmer, selbstständige Ärzte, Anwälte) sesshafter sind als abhängige Lohnarbeiter und Angestellte. Die sachgerechte Interpretation der Mobilitätsziffern setzt daher die Berücksichtigung der berufsspezifischen Zusammensetzung der Zu- und Abwanderung voraus (vgl. Rudolf Heberle, 1955, 11-13)

f) Kettenmigration (chain migration)

Unter dem Begriff der Kettenmigration versteht man eine Form der Migration, in der die Pioniermigranten ihren Familienangehörigen oder Bekannten aus dem Primärgruppenkreis im Herkunftsland nachfolgende Migrationen ermöglichen. Die nachkommenden Migranten werden durch persönliche Informationen (z.B. Briefe, Erfolgsberichte, Erzählungen, Informationen zu Bechäftigungs- und Verdienstmöglichkeiten) und materielle Hilfen (z.B. Überweisung der Fahrtkosten aus eigenem Ersparnis, Besorgung von Unterkunft und Arbeit) zur Migration motiviert, während und nach der Migration begleitet (vgl. Charles Tilly und Harold C. Brown, 1967, 142; Harvey M. Choldin, 1973, 175). Indem auf diese Weise einer nachfolgenden Migration die nächste folgt und dadurch eine Mehrzahl von Menschen sukzessiv den bereits im Ausland lebenden nahen und fernen Familienangehörigen, Bekannten, ehemaligen Nachbarn oder Landsleuten folgt, entsteht im übertragenen Sinn eine Kette von Migrationen.

„chain migration can be defined as that movement in which prospective migrants learn of opportunities, are provided with transportation, and have initial accommodation and employment arranged by means of primary social relationships with previous migrants.“ (John S. MacDonald und Leatrice D. MacDonald, 1974, 227).

Die Pioniermigranten stammen überwiegend aus Großfamilien bzw. erweiterten Familien (extended families), weil diese von ihrer Alters-, Geschlechts- und Generationsstruktur sowie von ihrer finanziellen Situation her eher in der Lage sind, die Migrationskosten zu tragen und den migrationsbedingten Ausfall von produktiven Arbeitskräften zu verkraften (vgl. Harvey M. Choldin, 1973, 164). Die Kettenbeziehungen (the chain relationships) können jedoch über die Verwandtschaftsbeziehungen hinaus auch zwischen den Menschen entstehen, die gleicher Herkunft sind und ähnliche wirtschaftliche Interessen verfolgen. So wurden bei Untersuchungen italienischer Einwanderer in den USA drei Formen der Kettenmigration festgestellt. Eine Form der Kettenmigration süditalienischer Migranten war die, die durch sog. „padroni“, eine Art von Vermittlern, organisiert wurde. Die „padroni“ vermittelten amerikanischen Arbeitsgebern italienische Arbeitskräfte und erhielten dafür ihre Provision. Sie boten den Neuankömmlingen verschiedene Dienstleistungen an, um diese in Abhängigkeitsbeziehung zu halten. Das „Padroni-System“, das einst die Funktion des traditionellen Familien- und Verwandtschaftssystems übernommen hatte, verlor seine Bedeutung, als die Arbeitergewerkschaften direkte Verhandlungen mit den Arbeitnehmern führten. Eine weitere Form der Kettenmigration entwickelte sich durch die Männer, die ohne ihre Familien allein eine temporäre Arbeitsmigration angetreten haben (serial migration of breadwinners). Da sie nicht die Absicht hatten, dauerhaft in den USA zu bleiben, und da sie nicht sozial isoliert in der Fremde arbeiten wollten, unterstützten sie die Arbeitsmigration anderer Männer aus der Heimat, so dass eine Kettenmigration von Familienvätern (bzw. Familienernährern/breadwinners) ausgelöst wurde. Eine dritte Form der Kettenmigration bestand aus dem späteren Nachzug der Familien (delayed family migration) dieser Arbeitsmigranten. Als eine Folge der Massenemigration von Arbeitskräften aus Süditalien trat dort eine Inflation ein, die durch Geldüberweisungen der italienischen Arbeitsmigranten aus den USA ausgelöst wurde. Die Arbeitsmigranten stellten bald fest, dass es für sie kostengünstiger war, ihre Familien nachzuholen statt sie regelmäßig in Italien zu besuchen. Der Familiennachzug hatte außerdem einen zusätzlichen finanziellen Vorteil, weil die Frauen durch ihre Erwerbsarbeit das Familieneinkommen verbessern konnten. Die Kettenmigration aus Süditalien hat nicht nur zur Entstehung von „Little Italies“ in den USA, sondern auch zu dem Phänomen der „chain occupations“ geführt, indem die Pioniermigranten die nachfolgenden Migranten in die gleiche Arbeitsmarktnische vermittelten, in der sie selbst beschäftigt waren. Dieser Vorgang wiederholte sich bei den nachfolgenden Neuankömmlingen, so dass die Kettenmigranten sukzessiv der gleichen Arbeitsmarktnische zugewiesen wurden (vgl. John S. MacDonald und Leatrice D. MacDonald, 1974, 230-232).

Die Kettenmigration, die besonders oft bei den aus südeuropäischen Ländern stammenden Einwanderern in Australien und in den USA beobachtet wurde (vgl. Charles Price, 1969, 210), wurde in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts eingehend untersucht. Sie ist eine persönlichere Migrationsform im Gegensatz zu den kommerziell organisierten (z.B. Rekrutierungsagenturen) Migrationen (vgl. John S. MacDonald und Leatrice D. MacDonald, 1974, 227).

Ein Beweggrund der Pioniermigranten, die Kettenmigration zu fördern, ist die Einsamkeit, die sie fernab der Heimat in der fremden Umgebung besonders intensiv spüren und die oft durch die persönlich erlebten Diskriminierungen, Erniedrigungen und Enttäuschungen zusätzlich verstärkt wird. Für sie ist die Aufrechterhaltung ihrer sozialen Bindungen und Beziehungen zur Heimat überaus wichtig. Zudem suchen sie im Aufnahmeland Kontakte zu Menschen gleicher Herkunft und bauen soziale Netzwerke auf, um einen „Heimatersatz“ zu schaffen. In vielen Fällen wird die ursprünglich vorgesehene Verweildauer im Ausland verlängert, weil die persönlich gesetzten wirtschaftlichen Ziele nicht wie geplant zu erreichen sind. Aus einer temporären wird somit oft eine permanente Migration.

Die Entstehung ethnischer Gemeinschaften im Aufnahmeland, die prozesshafte Entscheidung zur permanenten Migration und die Einsamkeit sind wesentliche Gründe für die „Pioniermigranten“, ihre Familienangehörigen und Bekannten aus der Heimat nachzuholen (vgl. Charles Price, 1968, 7). Für die nachfolgenden Familienangehörigen und Bekannten bedeutet die Kettenmigration eine vorbereitete und relativ risikofreie Migration, die die Angst vor der Unsicherheit in der Fremde relativiert und zugleich die Verbesserung der Lebensbedingungen verspricht.

g) „Push-Faktor“ und „Pull-Faktor“

Der Migrationsvorgang ist ein komplexer Prozess, der von seiner Entstehung und von seinem Ablauf her durchgehend multikausal und multifaktorial bestimmt wird. Es wird somit überaus schwierig bzw. kaum möglich, eine exakte Trennungslinie zwischen den freiwilligen und unfreiwilligen Migrationen zu ziehen. Ihre auslösenden Ursachen bestehen im Regelfall aus einer komplizierten Mischung von objektiv zwingenden exogenen Faktoren und subjektiv unterschiedlich begründeten Entscheidungen. Ein klassischer Erklärungsansatz der komplexen und multikausalen Bestimmungsfaktoren der Migration besteht darin, dass man diese in Anlehnung an das sog. Gravitationsmodell in die zwei Gruppen der „Push-“ und „Pull-Faktoren“ einteilt. Das Gravitationsmodell der Migration geht auf „The laws of migration“ von Ernest George Ravenstein im Jahre 1885 zurück (vgl. J. A. Jackson, 1986, 13-16), die er in Analogie zu den Gravitationsgesetzen der Physik entwickelt hat. Er vertritt dabei die These, dass ein inverser Zusammenhang zwischen Migrationshäufigkeit und geographischer Entfernung besteht, d.h. dass die Zahl der Migrationsfälle mit zunehmender Entfernung abnimmt. Diese These wurde dadurch begründet, dass die Migrationskosten (z.B. Umzugskosten, Mobilitätskosten, Eingewöhnungskosten, soziale Kosten bei der generellen Umstellung im Aufnahmeland) mit wachsender Entfernung größer werden. Mit der wachsenden Entfernung nimmt auch die allgemeine Information über die Zielregion ab, so dass eher eine nah als weit entfernt gelegene Region von den Migranten als Zielort gewählt wird (vgl. Wolfgang Mälich, 1989, 880). Aus heutiger Sicht ist diese These zu revidieren, weil die Migrationshäufigkeit heute mehr von den restriktiven politischen und legislativen Bestimmungen der Aufnahmeländer abhängt und weniger von der geographischen Entfernung und Informationsgewinnung.

Nachdem Everett S. Lee die Bedeutung der „Push- und Pull-Faktoren“ der Migration in seiner Migrationstheorie differenziert dargestellt hat (vgl. Everett S. Lee, 1966, 49-56), werden unter den „Push-Faktoren“ (Druckfaktoren) all die Faktoren des Herkunftsortes bzw. -landes der Migranten zusammengefasst, die diese zur Emigration (Auswanderung) zwingen. Dabei kann es sich um politische und religiöse Verfolgung, wirtschaftliche Krisen, zwischenstaatliche Kriege, Bürgerkriege, Umwelt- und Naturkatastrophen handeln, um nur einige Beispiele zu nennen. Unter den „Pull-Faktoren“ (Sogfaktoren) werden dagegen all die Faktoren des Aufnahmeortes bzw. -landes der Migranten zusammengefasst, die diese zur Immigration (Einwanderung) anreizen und motivieren. Anziehungsfaktoren sind z.B. politische Stabilität, demokratische Sozialstruktur, religiöse Glaubensfreiheit, wirtschaftliche Prosperität und bessere Ausbildungs- und Verdienstmöglichkeiten.

Es wird allgemein angenommen, dass die „Push- und Pull-Faktoren“ vor dem Hintergrund der modernen Informations-, Kommunikations- und Transportmöglichkeiten wachsende Bedeutung für die individuelle Migrationsentscheidung erhalten (vgl. Reinhard Lohrmann, 1989, 137; Sidney Weintraub, Chandler Stolp, 1987, 139). In einer Zeit der Nachrichtenübermittlung per Satellit werden Menschen, die im entferntesten Winkel der Welt leben, tagtäglich ohne zeitliche Verzögerung über Ereignisse und Lebensbedingungen in aller Welt informiert. Sie haben durch die verschiedenen modernen Kommunikationsmöglichkeiten unmittelbare und schnelle Kontakte mit emigrierten Verwandten, Bekannten und Landsleuten, die aus erster Hand zuverlässige und nützliche Auskünfte vermitteln. Die schnellen und teilweise preisgünstigen modernen Transportmöglichkeiten ermöglichen heute sogar armen Menschen große räumliche Entfernungen relativ problemlos zu überbrücken (vgl. Antonio Golini, Corrado Bonifazi, 1987, 133).

Die Aussagekraft dieser „Push- und Pull-Faktoren“ ist jedoch im konkreten Einzelfall zu überprüfen, weil die Migranten in ihrer Entscheidung nicht immer an dem logisch rational erwartbaren Vorteil (z.B. objektiv vorhandene bessere Verdienstmöglichkeiten in einem Land als „Pull-Faktor“), sondern oft mehr an den sozialen und emotionalen Bindungen (z.B. Gemeinschaft mit den Verwandten und Bekannten) orientiert sind. Der bewusste Verzicht auf den objektiv erwartbaren Vorteil mag irrational erscheinen. Für die Migranten können jedoch emotionale Sicherheit und soziale Einbindung wichtiger sein als der ökonomische Vorteil, wie die Kettenmigration dokumentiert.

h) Migrationssystem (migration system) und Migrationsnetzwerke (migration networks)

Die Begriffe der Kettenmigration und “Push- und Pull-Faktoren“ betonen implizit die aktive Rolle der einzelnen Individuen im Migrationsprozess. In der Kettenmigration sind die einzelnen Pioniermigranten diejenigen, die einen Migtionsstrom auslösen, während bei den „Push- und Pull-Faktoren“ die Migration als eine Folge der rationalen individuellen Entscheidung unterstellt wird. Die Rolle der Sende- und Empfängerländer bei der Bestimmung der Größe, Richtung, Komposition und Dauer des Migrationsstroms bleibt dagegen unberücksichtigt. Die Migrationsforschung in den 1980er Jahren, die von einem systemisch-strukturellen Ansatz ausging, war bestrebt, die Zusammenhänge zwischen den Sende- und Empfängergesellschaften sowie dem Migrationsstrom aufzuzeigen. Sie ging dabei von der Existenz des Migrationssystems (migration system) aus, das durch die engen historischen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Verbindungen (linkages) zwischen zwei oder mehreren territorial getrennten Gesellschaften gebildet wird. Die Migration wird dabei nicht auf die individuelle Entscheidung zurückgeführt, sondern als das Ergebnis der Interaktionen aller Faktoren angesehen, die die Sende- und Empfängerländer zu einem Migrationssystem miteinander verbinden. Sie wird durch die historisch entstandenen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen der Sende- und Empfängerländer konditioniert. Sie ist somit nicht das Resultat individueller Entscheidung, sondern ein soziales Produkt (migration as a social product), das in seiner Größe, Komposition, Dauer und Fließrichtung kontingent bleibt (vgl. Monica Boyd, 1989, 640-641).

Migrationsnetzwerke (migration networks) sind eine der „linkages“, die die Sende- und Empfängerländer der Migranten zu einem Migrationssytem verbinden (vgl. Monica Boyd, 1989, 641). Sie bestehen aus interpersonellen Bindungen (interpersonal ties), die über Raum und Zeit hinweg die Migranten mit Menschen aus ihrem Herkunftsland auf der Basis der Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen sowie der gemeinsamen Herkunft miteinander verbinden. Durch sie wird die Möglichkeit zur Migration größer, weil sie die erwarteten Gewinne der Migration sicherer erscheinen lassen, indem sie einerseits die Kosten der Umsiedlung reduzieren und andererseits bessere Verdienstmöglichkeiten am Zielort versprechen. Die Migrationskosten umfassen dabei die Reisekosten (Kosten für Transport und Unterkunft), die Informations- und Suchkosten (Kosten bei der Suche nach Arbeit), die Opportunitätskosten (Verdienstausfall während der Reise und Arbeitssuche) und die psychischen Kosten (Kosten bei der Überwindung von Problemen, die mit dem Verlassen der vertrauten Lebensumgebung und mit der Eingewöhnung in der fremden Umgebung verbunden sind). Diese Kosten sind bei der grenzüberschreitenden Migration größer als bei der Binnenmigration. Sie werden jedoch entscheidend reduziert, wenn der potentielle Migrant zu sozialen Netzwerken am Zielort Zugang hat. Jeder Migrant senkt die Kosten der nachfolgenden Migration für die Verwandten bzw. Freunde. Die progressiv zunehmenden Migrationsnetzwerke setzen daher einen sozialen Mechanismus der kumulativen Verursachung (cumulativ causation) der Migration in Gang und lassen von einer bestimmten Schwelle an die Migration zu einem selbsterhaltenden (self-sustaining) Prozess werden. Dies ist auch Erklärung dafür, warum die Migration unabhängig von den wirtschaftlichen Bedingungen, von denen sie ausgelöst wurde, weiter fortdauert (vgl. Douglas Massey, 1988, 396-397). Dagegen haben die Pioniermigranten die vollen Kosten zu tragen, weil sie nicht durch die vorhandenen Migrationsnetzwerke entlastet werden können. Für sie ist daher die Migration wesentlich teuerer. Dies ist auch Grund dafür, warum sie in der Regel aus der relativ vermögenden sozialen Mittelschicht stammen. Für sie ist die Migration oft ein strategisches Mittel gegen den drohenden sozialen und wirtschaftlichen Abstieg (vgl. Patricia R. Pessar, 1982, 351-353).

Das Alltagswort „Wanderung“ bzw. „Wandern“ ist in der deutschen Sprache mehrdeutig. Es wird unter anderem auch im Sinne eines „Spazierengehens“ gebraucht, so dass Günther Albrecht an seiner Stelle die Verwendung des Begriffs der „geographischen Mobilität“ vorschlägt (vgl. Günther Albrecht, 1972, 23). In der Tat stellen die räumlichen Bewegungen eine Form der Mobilität dar. Zudem ist das Vorhandensein der grundsätzlichen Bewegungsfreiheit (Reisefreiheit) die Grundvoraussetzung der Migration. Berücksichtigt man darüber hinaus den Sachverhalt, dass die Migration durchgehend die soziale Stellung der Migranten innerhalb der Aufnahmegesellschaft verändert, könnte der Gedanke naheliegen, den Migrationsvorgang im Zusammenhang mit der sozialen Mobilität im Sinne von Pitirim A. Sorokin zu sehen (vgl. J. A. Jackson, 1986, 74-75). Eine nähere Betrachtung seiner Theorie zeigt jedoch, dass ein theoretischer Zusammenhang zwischen Migration und sozialer Mobilität nur indirekt und interpretativ herzustellen ist.

Unter dem Begriff der sozialen Mobilität versteht Pitirim A. Sorokin die Veränderung (shifting/transition) der sozialen Position des Individuums innerhalb eines sozialen Raumes (social space).

„By social mobility is understood any transition of an individual or social object or value - anything that has been created or modified by human activity - from one social position to another.“ (Pitirim A. Sorokin, 1964, 133).

Er unterscheidet den sozialen von dem geometrischen Raum. Die Nähe der Menschen in einem geometrischen Raum (geometrical space) kann unter Umständen eine unüberbrückbare Distanz im sozialen Raum bedeuten (z.B. Herr und Knecht), während umgekehrt große Distanz in einem geometrischen Raum große Nähe im sozialen Raum (z.B. geographisch getrennt lebende Brüder) bedeuten kann. Der soziale Raum ist dabei ein von Menschen bevölkertes Universum. Die soziale Position des Individuums innerhalb dieses sozialen Raumes wird durch die Gesamtheit seiner Beziehungen zu anderen Menschen bestimmt (vgl. Pitirim A. Sorokin, 1964, 3-6).

Sorokin reduziert die komplizierten und pluralen Beziehungen der Menschen in einem sozialen Raum auf die horizontale und vertikale Dimension. Die Beziehungen zwischen Menschen und Gruppen werden dabei entweder horizontal auf der gleichen Ebene (as situated on the same honrizontal level) oder vertikal hierarchisch übereinander liegend (hierarchically superimposed upon each other) gesehen (vgl. Pitirim A. Sorokin, 1964, 8). Der Begriff der sozialen Mobilität besteht dabei aus der vertikalen und horizontalen Mobilität. Die Menschen können auf der vertikalen Ebene auf- und absteigen, so dass sie dadurch die Möglichkeit haben, ihre sozialen Positionen zu verbessern bzw. zu verschlechtern. Dagegen bringt die horizontale Mobilität nur die territoriale Veränderung auf gleichem horizontalem Niveau mit sich, so dass sie keine Veränderung sozialer Positionen bewirkt (vgl. Pitirim A. Sorokin, 1964, 136).

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