Kitabı oku: «Werdet WELTMUTFÜHRER», sayfa 3

Yazı tipi:

Die Disruption der Branche ist im vollen Gange

An dieser Stelle ist mir wichtig zu betonen: Es geht mir hier nicht darum, das Handwerk pauschal zu kritisieren. Vielmehr möchte ich deutlich machen, dass Endkundinnen aus verschiedenen Gründen unzufrieden sind. Und weil Kaufentscheidungen meist immer noch aufgrund persönlicher Empfehlungen aus dem Bekannten- und Freundeskreis getroffen werden, haben Hersteller keinen direkten Kontakt zu Endkundinnen – können so wenig bis gar keinen Einfluss nehmen. Unternehmen mit Angeboten und Services, denen es gelingt, genau diese Schmerzpunkte zu beheben und aufzulösen, wird es auch gelingen, schnell Erfolge zu feiern, wie meine folgenden Beispiele verdeutlichen.

In Gesprächen mit deutschen Herstellern stellen wir bei etventure oft fest: Sie wissen zwar, dass die Endkundinnen viele Schmerzpunkte haben, und dass sie die schwierige Beziehung zum Handwerk und in Teilen auch zum Handel beklagen. Doch es gelingt ihnen nicht, einen direkten Draht zur Endkundin herzustellen, weil sie gleichzeitig fürchten, die traditionellen Kanäle zum Handwerk zu verspielen. Das alte Multi-Channel-Problem. Dabei steht viel auf dem Spiel, denn die Disruption der Branche ist bereits in vollem Gange. Wie wird es Herstellern gelingen, zukünftig innovative Produkte auf den Markt zu bringen? Wie kommen sie mit Endkundinnen überhaupt in Kontakt bzw. sichern sich perspektivisch selbst die Beziehung zu ihnen? Und lässt sich „Made in Germany“ noch aufrechterhalten? Einige Start-ups und Grown-ups haben die Schmerzpunkte der Endkundinnen bereits erkannt und sind dabei, den Markt in einen disruptiven Wandel zu führen. Doch wo lauern die Gefahrenpotenziale? An welchen Stellen wird die alte Realität bereits aufgebrochen? Und welche Learnings sollten deutsche Hersteller daraus für sich ziehen?

Thermondo: digitaler Heizungsplaner und -bauer

„Vor“ Thermondo (und in den überwiegenden Fachbetrieben auch noch heute) lief das B2C-Heizungsbusiness folgendermaßen ab: Eine klassische Heizungsinstallateurin kümmerte sich mit etwa sieben Mitarbeiterinnen um alles – Verkauf, Installation und Wartung von Heizungen. Wenn sich eine Hausbesitzerin nun eine neue Heizung anschaffen wollte und keinen direkten Kontakt zu einer Sanitär-, Heizungs- oder Klimatechnik-Expertin hatte, suchte sie im Internet nach ein bis zwei lokalen Fachfirmen, idealerweise mit guten Google-Bewertungen. Sie lud sie ein und bekam nach einiger Zeit (hoffentlich) zwei Angebote. Eventuell wurde vor dem finalen Zuschlag noch verhandelt. Nach der Bestellung erfolgte die Lieferung und Montage der neuen Heizung. Fertig. Und aufgrund der niedrigen Markenbindung hatte der Heizungshersteller in diesem Prozess eine eher untergeordnete Rolle.

Bevor Philipp Pausder, Florian Tetzlaff und Kristofer Fichtner mit Thermondo den Markt der Heizungsbauer ordentlich aufrüttelten, war die Branche mit ihren mehr als 1.000 Installateurinnen in Deutschland, die sehr regional ausgerichtet sind, insgesamt ein extrem dezentraler, fragmentierter und intransparenter Markt. Daher schalteten die Gründer im Jahr 2012 Google-Werbung auf einer Website, die Heizungsinstallateurinnen mit Endkundinnen vernetzte. Dafür wurden der Interessentin lediglich ein paar wenige Fragen zu ihrer Wunschheizung gestellt, damit Thermondo zeitnah eine erste Angebotsindikation schicken konnte. Nach dem Kundentelefonat erfolgte, zunächst noch in Zusammenarbeit mit freien Installateurinnen, eine Ortsbesichtigung und schließlich das finale Angebot. Was erst einmal ähnlich dem eines traditionellen Prozesses ist.

Paradebeispiel für die erfolgreiche Kundenzentrierung

Schnell jedoch waren die drei Gründer mit Branchenproblemen konfrontiert: Installateurinnen leisteten zum Teil unzuverlässige Arbeit, brauchten zu lange für ihre Angebote oder sagten Aufträge spontan ab. Die Lösung: eigene Installateurinnen einstellen. Mittlerweile verfügt Thermondo über 300 Mitarbeitende, etwa die Hälfte von ihnen sind Handwerkerinnen. Sie installieren ausschließlich für Thermondo und arbeiten bundesweit nach den von Thermondo gesetzten Qualitätsstandards. Doch das Unternehmen garantiert nicht nur Qualität und Verlässlichkeit bezüglich der Installation, sondern durch die Zusammenarbeit mit Vertragspartnerinnen wie Bosch, Viessmann und Vaillant auch hochwertige Produkte. Zur größten Heizungsinstallateurin für Ein- und Zweifamilienhäuser in Deutschland konnte Thermondo sich unter anderem durch seinen Algorithmus – den er liebevoll den Heizungsbauer „Manfred“ getauft hat – entwickeln. Der nämlich greift nicht nur auf die unternehmenseigene Produktdatenbank für Gas- und Ölheizungen sowie Solarthermie zurück, sondern erstellt auch in Echtzeit Angebote.

Dieser Mix aus Datenanalyse, Telefonberatung und Montage hat enormen Erfolg: Nach eigenen Angaben hat Thermondo bis heute bereits mehr als 15.000 Hauseigentümerinnen zu einem effizienten Heizsystem und damit CO2-reduzierendem Heizen verholfen. Über 300 Heizungen installiert das Unternehmen aktuell monatlich. Dabei liegt die Stärke des Unternehmens ganz klar im Rundum-Service, denn Kundinnen erhalten bei ihrem Heizungswechsel ein zuverlässiges Komplettpaket. Neben der Installation der neuen Anlage und der Entsorgung der Altheizung überzeugt der Service bezüglich Beratung und Unterstützung bei der Beauftragung. Außerdem bietet Thermondo seinen Kundinnen ein Mietmodell an, in dem eine Art Vollkaskoversicherung für die Heizung inklusive jährlicher Wartung, Reparaturservice und im schlimmsten Fall auch der Komplettaustausch der Anlage inbegriffen sind. Damit erschließt sich das Unternehmen weitere Kundengruppen. Denn es gewährt so seinen Kundinnen eine in der Branche noch nie da gewesene Transparenz über Angebot, Leistung und Preis. Ein Paradebeispiel für die erfolgreiche Kundenzentrierung.

Von der Partnerin zur Konkurrentin

Dabei macht sich Thermondo optimierte und digitalisierte Prozesse zunutze, denn das Unternehmen operiert ohne eigenes Lager. Heizungsinstallateurinnen scannen alle Materialien mit der eigenen „Heizungshelden-App“ ein. Was nicht verbaut wird, geht just in time zusammen mit dem neuen Wärmeerzeuger zum nächsten Bauvorhaben. Auf diese Weise spart Thermondo massiv Geld, Zeit und Ressourcen – und kann diese Kostenvorteile an seine Kundinnen weitergeben.

Und obwohl Thermondo jahrelang ausschließlich Heizungen deutscher Qualitätshersteller wie Buderus, Vaillant oder Viessmann verbaute, entschied sich das Unternehmen, eine eigene Thermondoheizung anzubieten – und ist seit Mitte 2019 so von der Partnerin zur Konkurrentin geworden. Dafür entwickelte Philipp Pausder gemeinsam mit dem Anbieter Tado, der sich auf die smarte Heizungssteuerung per App spezialisiert hat, eine eigene Hausmarke. Ein Geschäftsmodell, das durchaus Mut erfordert, denn Thermondo möchte einerseits die gute Beziehung zu den Partnerinnen nicht gefährden, andererseits dem wachsenden Qualitätsanspruch der Kundinnen gerecht werden. Ferner verkündete das Unternehmen Anfang 2019, den Kundinnen zukünftig auch Gas vermitteln zu wollen. Somit hat Thermondo nicht nur den klassischen Markt der Installateurinnen angegriffen, sondern auch den Markt der Hersteller und Zulieferer. Dort, wo Herstellern der direkte Kanal zu ihren Kundinnen fehlt und Handwerkerinnen diesen meist nur analog haben, hat Thermondo die Lücke geschlossen – und so eine enorme Unabhängigkeit von Herstellern und Markt erreicht.

Vom klassischen Dienstleister zum Rundumversorger

Eine Marke, die alles rund um das Haus abdeckt, existiert in Deutschland bisher nicht. Thermondo aber hat bereits jetzt enormes Potenzial, diese Marke zu werden. Denn das Unternehmen beschäftigt sich schon länger mit verschiedenen Geschäftsmodellen; und wird sich zukünftig vermutlich noch stärker in den verschiedenen Bereichen des Hausbaus und Umbaus etablieren. So könnte Thermondo beispielsweise durch die Datenanalyse seiner Heizungssysteme analysieren, wann Endkundinnen zu Hause sind und so eine Sicherheitslösung entwickeln, die alle Schmerzpunkte der Kundinnen bedient. Damit würde sich Thermondo vom klassischen Dienstleister zum Rundumversorger entwickeln. Denn der direkte und digitale Kanal zur Endkundin ist bereits erfolgreich vorhanden und kann auf Basis des Kundenwissens sowie der zur Verfügung stehenden Daten auch für weitere Geschäftsideen genutzt werden.

Was macht Thermondo richtig?

 Thermondo arbeitet datengetrieben: Durch die digitale Kundenschnittstelle kann das Unternehmen der Endkundin nicht nur eine extrem schnelle und einfache Umsetzung garantieren. Es weiß durch die Datenanalyse auch genau, was gebraucht wird, und erstellt so ein passgenaues Angebot.

 Zufriedenheitsgarantie: Thermondo ist nicht von anderen Dienstleistern abhängig, sondern beschäftigt eigene Handwerkerinnen. So garantiert das Unternehmen, dass alle Schmerzpunkte, die früher durch externe Handwerkerinnen entstanden sind, durch das Komplettpaket gelöst wurden.

 Kundenzentriert: Dieses Rundumsorglos-Paket übernimmt neben der Planung und Installation auch die Wartung. So wird an jedem Touchpoint transparente, zuverlässige und hochwertige Arbeit geleistet – und so deren Schmerzpunkte gelöst!

 Der wichtigste Punkt: Thermondo ist es gelungen, sukzessive das eigene Geschäftsmodell auszuweiten und sich damit die Kundentouchpoints zu sichern sowie zusätzliche Einnahmequellen zu generieren.

Und weil Thermondo Abnehmer und Anbieter zugleich ist, ist dem Unternehmen die Unabhängigkeit zum Großhandel gelungen. Gleichzeitig stellt Thermondo für deutsche Hersteller ein Risiko dar, denn sobald sich die Hausmarke durchsetzt, ist das Unternehmen nicht mehr auf deutsche Hersteller angewiesen – gleichzeitig haben die meisten Hersteller noch immer keinen direkten Draht zu ihren Kundinnen.

Viessmann hat übrigens als eines der wenigen etablierten Industrieunternehmen der Branche die digitale Transformation schon sehr früh und mutig vorangetrieben. Ich kann mich noch gut an den Anruf von Max Viessmann im Sommer 2016 erinnern. Er berichtete mir, dass er nun das Thema Digitalisierung bei Viessmann selbst vorantreiben wolle und erkundigte sich bei mir nach den Learnings und meinen Setup-Ideen rund um die Themen Innovation-Unit und digitale Geschäftsmodelle – stark abgeleitet von unserer erfolgreichen Arbeit beim B2B-Stahlplayer Klöckner. In den Folgejahren trieb er dann nicht nur die digitale Transformation beim Heizungsriesen voran, mit WATTx schaffte er auch eine Innovationseinheit in Berlin, die sehr schnell digitale Geschäftsmodelle für die Bauindustrie testet, validiert und als Start-ups skaliert. Auch beim wichtigen Thema Ökosystem und Co-Creation gab Viessmann Vollgas und schuf mit dem Maschinenraum in Berlin ein offenes Ökosystem für den Mittelstand.

Houzz: radikal die Kundenschnittstelle besetzt

Es gibt zahlreiche weitere Beispiele, die zeigen, wie neue Player mit einem Mindset für neue Methoden, Kundenzentrierung, digitale Kundenschnittstellen, daten- oder plattformgetriebene Geschäftsmodelle aktuell daran arbeiten, eine eigene Machtstruktur aufzubauen. So hat sich das amerikanische Start-up Houzz mittlerweile zu einer gigantischen Plattform mit Online-Community rund um Architektur, Interior Design sowie Garten- und Landschaftsarchitektur entwickelt. Die Onlineplattform, 2012 von dem Gründerpaar Adi Tatarko und Alon Cohen gegründet, verbindet Nutzerzentrierung mit einer End-to-End-Lösung. Und hat sich so erfolgreich an die Kundenschnittstelle gesetzt, um angehende Hausbauer und Besitzerinnen bei ihren Bau- und Renovierungsvorhaben zu inspirieren – sowie sie mit der gesamten Bau- und Zulieferindustrie zu vernetzen. Denn durch unterschiedliche Einstiegsmöglichkeiten fängt Houzz die Endkundinnen digital ab, besetzt radikal die Kundenschnittstelle und begleitet sie auf einer digitalen Reise rund um die Themen Hausbau, Umbau und Sanierung.

Das Besondere des Geschäftsmodells: Die Nutzerinnen der Wohn- und Einrichtungsplattform können sich durch 20 Millionen Bilder im Pinterest-Stil inspirieren lassen. Sie können sich für ihre eigenen Projekte „Ideenbücher“ anlegen, sich über dieses Vorhaben in der hochaktiven Houzz-Community austauschen sowie Empfehlungen einholen. Und anhand ihres Nutzungsverhaltens erhalten die Nutzerinnen individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Produktempfehlungen. In den USA und UK hat das Portal bereits eigene Marktplätze für die Produkte integriert und gräbt so der traditionellen Wertschöpfungskette ganze 15 Prozent Marge als Marktplatz-Commission ab. Und damit Nutzerinnen ihre Einrichtungsideen einfach visualisieren können, wirbt Houzz seit der Corona-Krise mit einer App: mit „Sketch“ können neue Produkte virtuell Probe gestellt werden. Denn dieser digitale Einrichtungsplaner bündelt verschiedene Tools und Informationen über Einrichtung und Renovierung der eigenen vier Wände.

Aroundhome: Schmerzpunkte der Kundinnen verstanden

Aber auch in Deutschland gibt es bereits Plattformen, die sich zur Lead-Maschinerie entwickelt haben und Kundenschnittstellen sichern. Das Unternehmen Käuferportal, 2008 von Robin Behlau und Martin Kohle gegründet, startete zunächst mit der Vermittlung von lokalen Fachfirmen, die Produkte wie Küchen, Treppenlifte und Fenster verkauften und einbauten.

Als Anfang 2019 der Altgesellschafter ProSiebenSat.1, der über seine E-Commerce-Tochter Nucom Group bereits am Unternehmen beteiligt war, seine Anteile auf 94 Prozent aufstockte, folgte ein Relaunch: aus Käuferportal wurde Aroundhome, aktuell mit einem Umsatz von 65 Millionen Euro.

Nutzerinnen beantworten auf Aroundhome verschiedene Fragen zu ihrem Vorhaben. Wer beispielsweise auf der Suche nach einer neuen Küche ist, wird gefragt, welche Form und welchen Stil sie haben und in welchem Zeitraum die Erstellung erfolgen soll. Anschließend erhalten die Kundinnen einen Anruf mit Empfehlungen für Dienstleisterinnen in ihrer Region. Als Gegenleistung zahlen die Küchenstudios an Aroundhome für die Empfehlung 65 Euro. Ein heiß umkämpfter Markt, denn er bietet gewaltiges Potenzial, was die Portale immer schneller wachsen lässt. Die Gruppe ANGI Homeservices zum Beispiel, zu der Home Advisor (das US-Pendant zu Aroundhome) und auch myHammer gehören, hat nach eigenen Angaben 2018 einen Umsatz von einer Milliarde Euro erzielt.

Vor drei Jahren habe ich Aroundhome, damals noch Käuferportal, genutzt, um eine Reparatur vornehmen zu lassen: Ich Romantiker habe unter unserem sehr großen Dachfenster einige Kerzen angemacht. Da es draußen jedoch sehr kalt war, sprang die Glasscheibe des Fensters. Und weil ich weder einen Glas- und Fensterbauer kannte, noch Zeit für eine große Recherche hatte, fand ich über Google Käuferportal. Nachdem ich mich dort registriert und vier Fragen beantwortet hatte, wurden mir fünf Betriebe in München vorgeschlagen. Die drei mit den besten Bewertungen kontaktierte ich und lud sie zur Schadensbesichtigung ein. Leider stellte sich schnell heraus, dass es das Fenstersystem so nicht mehr gab und ich ein neues brauchen würde. Das erste Angebot lag mit Einbau und Entsorgung des Altsystems bei 4.200 Euro, das zweite immer noch bei 3.500 Euro und das dritte bei lediglich 450 (!) Euro. Der dritte Anbieter schlug nämlich vor, lediglich die Scheibe auszuwechseln – gut für Geldbeutel und Umwelt!

Amazon: Schreckensgespenst der Baubranche

Amazon vertreibt über seine E-Commerce-Plattform neben Büchern, Elektrogeräten und Bekleidung auch Lebensmittel, Drogerieartikel, Spielzeug, Sport- und Freizeitartikel – sowie Baumarktartikel. Das Unternehmen kann also bereits jetzt die gesamte Erstausstattung eines Hauses liefern – inzwischen auch bestehend aus ihrer Eigenmarke. Denn aufgrund ihrer enormen Reichweite und des Wissens über die Metriken der Kundinnen, erkennt Amazon schnell Potenziale und entwickelt mit rasender Geschwindigkeit eigene Produkte, die sie günstiger und vor allem zuverlässig(er) anbieten. Daher verwundert auch nicht, dass Amazon bereits eine Kooperation mit Lennar, einem der größten Hausbaugesellschaften der USA, hat. Lennar baut Häuser, die komplett mit Alexa und allen Smart-Home-Anwendungen ausgestattet werden. Kurz nach der Präsentation ihrer Smart-Home-Geräte, investierte Amazon über den Alexa Fund in Plant Prefab, einen Hersteller von Fertighäusern. Wie schnell Amazon in die Baubranche einsteigen wird, lässt sich aktuell schwer abschätzen. Allerdings ist das Vertrauen, das die Kundinnen bereits in die Marke Amazon setzen, ein enormer Vorteil. Vor allem aber hat Amazon die Kundenschnittstelle zu einer unvorstellbar hohen Zahl von Endkundinnen besetzt: Aktuelle Zahlen sind schwer zu finden, aber bereits 2015 waren es weltweit über 300 Millionen aktive Kundenaccounts – was seitdem weiter sprunghaft angestiegen sein dürfte. Allein die Prime-Mitglieder belaufen sich mittlerweile auf unglaubliche 150 Millionen. Und das sind Kundinnen, die durch ihre jährlichen Mitgliedsbeiträge bereits bestens im Amazon-Netz „festhängen“. Damit wird deutlich, welchen Quanten-Vorsprung das Unternehmen bereits besitzt.

Erfolg durch Plattformökonomie

Durch neue Kanäle und Plattformen wird das Renovieren und Bauen für Endkundinnen zukünftig einfacher und transparenter. Ob deutsche Hersteller bestehenden Plattformen noch Konkurrenz machen können, wird die Zukunft zeigen. Zunächst geht es für Hersteller darum, die aktuelle Situation zu begreifen und zu erkennen: Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen sie eine aktivere Rolle einnehmen. Dazu gehört, eine erfolgreiche Beziehung zur Endkundin aufzubauen, zukünftige Innovationen voranzutreiben sowie einen erfolgreichen Vertrieb aufzubauen.

Hersteller stehen vor verschiedenen Herausforderungen, die ihnen den direkten Kontakt zur Endkundin aktuell nahezu unmöglich machen:

 Störer 1 – der stationäre Handel: Für Hersteller ist der Point of Sale im Handel eine Blackbox. Sie erhalten keinerlei Informationen darüber, wie ihre Produkte angenommen werden, welche Bedenken Kundinnen haben und wie sie ihre Kaufentscheidung treffen. Gleichzeitig setzt der stationäre Handel auf Miet-Modelle von Werkzeugen und Maschinen sowie auf die gezielte Vermittlung von Handwerkerinnen, um sich breiter aufstellen und auf das Onlinegeschäft reagieren zu können.

 Störer 2 – die Handwerkerin: Handwerkerinnen verfolgen eine intransparente Preispolitik und verbauen Produkte, ohne dass Hersteller einen Eindruck vom Endergebnis erhalten. Letztendlich wissen Hersteller nicht, ob und wie der Endkundin das Resultat gefällt. Gleichzeitig verwenden Handwerkerinnen in der Regel Produkte, die ihnen vertraut sind, was das Innovieren für Hersteller zusätzlich erschwert.

 Störer 3 – der Großhandel: Der Großhandel ist für Hersteller einer der wichtigsten Stakeholder und damit aktuell noch unumgänglich. Gleichzeitig ist es enorm wichtig, sich vom Großhandel unabhängig aufzustellen. Denn der Großhandel setzt vollständig auf die Marge und gewährt keine Rabatte. Im Zweifel setzt er statt auf Qualität auf Hersteller, die günstiger und für ihn margenstärker sind.

 Störer 4 – die Plattform: Eine Onlineplattform, auf der Hersteller lediglich Teilnehmerinnen sind, gibt ihnen zwar Reichweite und Sichtbarkeit. Leider müssen sie dann jedoch oft nach fremden Regeln (beispielsweise denen von Amazon) spielen. Auch haben sie so keinerlei Möglichkeiten, direkt Einfluss auf Kundinnen nehmen zu können. Noch schlimmer aber ist, gar nicht teilzunehmen und damit die Wertschöpfung anderen zu überlassen.

Transaktionsbarrieren und Störer aus dem Weg räumen

Hersteller müssen ermitteln, an welcher Stelle Endkundinnen unsicher sind und sich daher für andere Lösungen (günstigere oder besser geeignete) entscheiden. Erst dann können sie aktiv Einfluss nehmen und die Kaufentscheidung durch Angebotsanpassungen, Rabatte o. ä. beeinflussen. Aktuell wird diese Beziehungsgestaltung und die finale Begleitung bis zur Unterschrift von der Handwerkerin, dem Handel oder einer Plattform übernommen. Dabei sind Plattformen die vielversprechendsten Wege, da sie in der entscheidenden Phase der Kaufentscheidung durch Inspiration, gezielte Beratung und transparente Preisgestaltung Einfluss nehmen können.

Ich rate Herstellern, alle Transaktionsbarrieren und Störern aus dem Weg zu räumen sowie auf kooperative Plattform-Modelle zu setzen. Sie sollten versuchen, die Kundinnen bereits in der inspirierenden Phase einzufangen, sie aktiv in den Mittelpunkt zu stellen sowie im gesamten Bauprozess zu begleiten. Gelingt es, sich mit verschiedenen Herstellern und unterschiedlichen Playern zu vereinen, kann eine große Plattform entstehen, die rund um das Thema Hausbau und Umbau adäquat jeden Kundenwunsch bedient. Um sich breiter aufzustellen, sollten Hersteller gleichzeitig prüfen, an welcher Stelle ein neues Geschäftsmodell sinnvoll ist; und wie Multi-Channel-Lösungen dazu beitragen können, dass sie sich die Kundentouchpoints sichern.

Meine drei wichtigsten Learnings:

1 Die Kundin in den Fokus stellen: Um die Endkundin durch digitale Services zu gewinnen sowie Partnerinnen einzubinden, müssen Hersteller sich auf die radikale Nutzerzentrierung konzentrieren. Und für den digitalen Austausch auch mit Großhandel und Handwerkerinnen, sollten Kommunikations- und Vertriebskanäle zu Partnerinnen, Kundinnen und zu deren Kundinnen digitalisiert werden. Diese sind nämlich die Grundvoraussetzung, um auf einer Datenbasis Services und Angebote zu entwickeln, die die Kundin tatsächlich nutzt.Gleichzeitig möchte ich an die Hersteller appellieren: Traut euch an neue Geschäftsmodelle ran! Denn innovative Lösungen können auch außerhalb des Kerngeschäfts verschiedene Schmerzpunkte der Endkundinnen lösen sowie zu einer nachhaltigen Kundeninteraktion und Monetarisierung führen.

2 Die aktuelle Vertriebsstruktur stark überarbeiten: Statt fremden Digitalplayern die Datenhoheit zu überlassen, sollten Hersteller sich die Kundentouchpoints sichern. So werden Kundinnen auf ihrer digitalen Customer Journey rund ums Thema Hausbau und Umbau optimal begleitet. Das Beispiel Thermondo zeigt, wie das erfolgreich gelingt: Kundinnen durch den transparenten und schnellen Service bei ihrem Schmerzpunkt abholen sowie die Zufriedenheit sichern. Und gleichzeitig ein hochqualifiziertes Netzwerk für Produkte und Partnerinnen aufbauen, damit am Ende das Komplettpaket stimmt. Durch die gesammelten Daten rund um das Eigenheim ist es nur eine Frage der Zeit, bis Thermondo auf dieser Basis weitere für die Kundin sinnvolle Services entwickelt und so seine Marktposition sukzessive ausbaut.Wenn Herstellern eine digitale Customer Journey gelingt, können sie endlich verstehen, was sich ihre Kundinnen wünschen und benötigen, sowie zeitgleich gezielt darauf reagieren. Und zwar schnell und innovativ, ohne durch das Handwerk ausgebremst zu werden. Verkaufsausstellungen könnten künftig virtuell stattfinden. Kundinnen könnten sich in einer Community miteinander austauschen und vernetzen. Und ein fester Kreis von Fachpartnerinnen sichert die Qualität und den Service, um so „Made in Germany“ zu garantieren.Gleichzeitig empfehle ich den Herstellern, die Schmerzpunkte ihrer Endkundinnen auch außerhalb der eigenen Produktpalette kennenzulernen und mit digitalen Produkten zu lösen. Durch den Digitalkanal lässt sich eine stabile Kundenbeziehung aufbauen, die einerseits die Verbindung zum Großhandel nicht gefährdet, andererseits die Beziehung zum Handwerkernetzwerk nicht angreift. Eine smarte Multi-Channel-Lösung, die nicht nur den eigenen E-Commerce-Shop für Industrieprodukte beinhaltet.

3 In Vernetzungen und Ökosystemen denken: Durch den Aufbau eines gezielten und gut sortierten Netzwerks an Servicepartnerinnen, können Hersteller verschiedener Bereiche Endkundinnen über ein digitales Komplettpaket gewinnen: Eine Plattformlösung für das gesamte Projekt Hausbau, die Kundinnen für alle ihre Bauvorhaben inspiriert, vielfältige Möglichkeiten aufzeigt sowie Sicherheit über Preis, Timing und Qualität gibt. Denn aus Angeboten wie von Houzz ziehen Kundinnen den höchsten Nutzen. Eine Plattform eines Einzelunternehmens macht hier wenig Sinn oder erfordert einen sehr langen Atem, um diese sinnvoll für die Kundin auszugestalten. Besser ist es, das Risiko auf viele Schultern zu verteilen und so die Chance zu erhalten, sich erfolgreich in der Digitalwelt zu positionieren.

Die moderne Kundin plant ihr Bauvorhaben in Zukunft anders. Das „Das hat schon immer so funktioniert“-Denken wird durch branchenfremde Player widerlegt. Und es wird immer deutlicher erkennbar, dass die digitale Kundenreise die Zielgruppe überzeugt. Denn genau das macht den Erfolg der digitalen Plattformen aus: Sie rücken die Kundinnen mit ihren Bedürfnissen wieder in den Fokus und besetzen verschiedenste Schnittstellen. Daher sollten deutsche Unternehmenslenkerinnen jetzt die Tore für Partnerschaften öffnen und gemeinsam mit Branchenpartnern ein digitales Netzwerk aufbauen, das ihre Zukunftsfähigkeit sichert!


Klöckner versus Stahlbranche

Nicht immer kommen die Angreifer aus der Welt der Start-ups, Ventures, Digital- oder Tech-Players, sondern manchmal auch aus der eigenen Industrie. Gisbert Rühl, CEO von Klöckner & Co SE, war das bereits 2014 klar: Öffnet sich die Stahlindustrie nicht der digitalen Welt, und transformiert Klöckner nicht selbst massiv digital, wird das Unternehmen von externen Disruptoren bedroht, angegriffen und möglicherweise vernichtet.

Das Duisburger Traditionsunternehmen Klöckner, mit einem Jahresumsatz von 6,3 Milliarden Euro (2019), ist einer der weltweit größten, produzentenunabhängigen Stahl- und Metalldistributoren. Mittlerweile schreibt das Unternehmen, im Jahr 1906 gegründet, digitale Erfolgsgeschichte. Als diese noch in den Kinderschuhen steckte, sind wir uns begegnet. Drei Jahre begleitete etventure das Unternehmen und legte so den Grundstein für den zukünftigen digitalen Weg. Weil Gisbert Rühl wie kein anderer CEO die Digitalisierung propagiert und im eigenen Unternehmen vorantreibt, wird er in der einschlägigen Szene auch der „digitale B2B-Papst“ genannt. Und zu Recht, denn um Klöckner erfolgreich zu digitalisieren, hat er als CEO einen langen Weg auf sich genommen und sich ambitionierte Ziele gesetzt: Bis zum Jahr 2022 will Klöckner 60 Prozent aller Umsätze über Online-Transaktionen generieren. Er greift mit dem Ziel, das Amazon des Stahlhandels zu werden, auch die eigene Branche an. Mit seinem Start-up XOM ist er auf dem besten Weg dorthin – und wird so zum weltweiten Disruptor für die gesamte Stahl- und Metallindustrie.

Eroberung eines komplett analogen Marktes

Als einer der führenden Werkstoffhändler Europas und der USA bietet Klöckner & Co SE (häufig mit KlöCo abgekürzt) seinen Kundinnen ein breites Sortiment. Um seine weltweit rund 100.000 Kundinnen innerhalb von 24 Stunden versorgen zu können, kauft Klöckner Stahl bei großen Stahlproduzentinnen ein und lagert ihn an 170 Standorten in zwölf Ländern. Hilfreich ist dabei die mittlerweile ausschließlich digitale Logistik. Ferner fertigt das Unternehmen Vorprodukte und Baugruppen aus Stahl und Metall. Zur Zielgruppe des Konzerns zählen daher neben Autoherstellern und Baufirmen auch Handwerkerinnen, die nur kleinste Mengen Stahl kaufen.

Rühl, seit 2009 an Bord, hat bisher einige Talfahrten mit Klöckner durchlebt. Zu Beginn seiner Amtszeit befand sich die Stahlindustrie aufgrund der Finanzkrise wirtschaftlich in einer dramatischen Lage: Die Nachfrage brach drastisch ein, der Billigstahl aus China sowie der permanente Margendruck drängte das Unternehmen massiv zum Handeln. Rühl reduzierte die Zahl der Mitarbeitenden von 11.700 auf 8.500. Er durchlebte mit dem Unternehmen mehrere Restrukturierungswellen, bis es ihm schließlich gelang, den Konzern wieder auf die Erfolgsspur zu bringen. Dennoch war ihm klar, dass Klöckner sich einem umfassenden Digitalisierungsprogramm unterziehen musste. Zu schaffen machten dem Unternehmen nämlich die Liefer- und Leistungsketten, die in der Stahl- und Metallindustrie hochgradig ineffizient und noch 2014 analog waren: Transaktionen wurden ausschließlich per Telefon oder Fax abgewickelt; ein durchgängig digitales Order- und Produktionsmanagement existierte nicht.

Ein CEO, der wirklich verstehen will

Mit einem Augenzwinkern sage ich immer, wenn ich eines verpasst habe, dann war es die Gründung eines Reisebüros, das ausschließlich Reisen für CEOs ins Silicon Valley anbietet. Denn viele, die die Digitalisierung anpacken und umsetzen wollten, sind im vergangenen Jahrzehnt mindestens einmal ins Silicon Valley gereist. Ich sehe solche Reisen allerdings eher kritisch. Mit einem Blick hinter die Kulissen von Firmen wie Google, Facebook, Airbnb usw. wird das eigene Geschäftsmodell nicht weiterentwickelt. Denn um das eigene Unternehmen auf den digitalen Pfad zu führen, braucht es Mut, Umsetzungsstärke und Know-how.

Gisbert Rühls Reise ins Silicon Valley unterscheidet sich dabei von denen vieler Unternehmerinnen. Als einer der ersten deutschen Manager machte er sich auf ins Silicon Valley, um sich einen Einblick in die digitalen Arbeitsweisen zu verschaffen. Dabei wollte der Wirtschaftsingenieur wirklich verstehen, wie Digitalisierung funktioniert. Dafür löcherte er Start-ups mit Fragen, versuchte in kürzester Zeit möglichst viel Wissen aufzusaugen sowie das Prinzip der „Plattformökonomie“ wirklich zu verstehen.

Eine Falle, in die viele Unternehmen und Konzerne bei der Digitalisierung häufig tappen, ist der „Think Big“-Gedanke: Geschäftsmodelle ganz groß und langwierig aufzuziehen. Gisbert Rühl hat im Silicon Valley schnell verstanden, wie Start-ups agieren: klein anfangen und vor allem von der Kundin und deren Bedürfnissen her denken. Denn ihm war wichtig zu verstehen, wie sein Geschäftsmodell durch die Digitalisierung angegriffen werden kann, wenn er nichts unternimmt. Daher stand für ihn nach seiner Reise fest: „Wenn sich die Stahlindustrie nicht selbst der digitalen Welt öffnet, dann wird es ein anderer von außen tun.“ Und drängt sich ein Plattform-Player von außen zwischen Klöckner und Kundinnen, verliert der Konzern seine Kundenschnittstellen. Die Lösung: Selbst zum „Disruptor“ der eigenen Branche werden.

₺437,04

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
347 s. 63 illüstrasyon
ISBN:
9783753116945
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок