Kitabı oku: «Geld, Krieg und Macht», sayfa 2

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2 Fragestellung: Fremde Kriege, fremdes Geld und eidgenössische Politik?

Die Geschichte der Pensionenunruhen ist, wie im vorangehenden Einführungskapitel dargelegt wurde, eng mit der Geschichte der fremden Dienste verwoben. Es ist jedoch ein markantes Merkmal der schweizerischen Historiografie, dass sie bis in die 1970er-Jahre ein ambivalentes Verhältnis zur Sold- und Pensionenproblematik hegte. Im Gegensatz zu einigen Geschichtsschreibern des 17. und 18. Jahrhunderts (wie etwa Johannes von Müller), welche dem Solddienst viel Positives abgewinnen konnten, 38 waren die Vorbehalte und Berührungsängste der universitären Forschung gegenüber der Militärgeschichte und den fremden Diensten nach dem Zweiten Weltkrieg gross.39 Im 19. und 20. Jahrhundert dominierten moralische Debatten den wissenschaftlichen Diskurs.

Bis zum Ersten Weltkrieg galt der Reislauf vor allem protestantischen Historikern als eine pathologische Erscheinung. Diese negative Bewertung innerhalb des Fachs knüpfte unmittelbar an die humanistische Literatur der Reformationszeit an.40 Pointiert äusserte der Zürcher Wilhelm Oechsli das Unbehagen der Historiker um 1900 gegenüber dem Solddienst in seiner 1890 erschienenen Arbeit zum Pensionenbrief (auch bekannt als Badener Verkommnis) von 1503:

«Jedes Volk hat ein Recht, stolz zu sein auf die Epoche seiner höchsten Kraftentwicklung, wo sich der Ruhm der Unbesieglichkeit an seine Fersen heftet, wo Jedermann vor ihm zittert und es vor Niemandem zu zittern braucht. Was für den Griechen das Zeitalter des Perikles, für den Italiener die römische Weltherrschaft und für den Franzosen das napoleonische Kaiserreich, das sind für den Schweizer die Jahrzehnte zwischen den Burgunderkriegen und der Reformation. Mit Neid und Bewunderung blickten die Völker Europas auf die Felsenburg im Herzen des Erdteils, an der alle Stürme abprallten, deren Insassen allein frei und sicher in die umtobende Brandung des wirren Weltgetriebes hinausblicken durften. In allen Koalitionen der grossen Mächte musste auf das kriegsgewaltige Alpenvolk Bedacht genommen werden. Papst und Kaiser, Könige und Republiken buhlten um die Freundschaft der ‹grossmächtigen Herren Eidgenossen des alten grossen Bundes oberdeutscher Lande› […]. Auf sie wies auf dem Reichstag zu Lindau 1496 der Vorsitzende, der patriotische Kurfürst Bertold von Mainz, der Urheber der Reichsreform, als Vorbild hin: ‹woher es komme, dass die Eidgenossenschaft in so allgemeinem Ansehen stehe, dass sie von Italienern und Franzosen, von dem Papst, ja von Jedermann gefürchtet werde? Das rühre allein davon her, weil sie zusammenhalte und einmütig sei; einem solchen Beispiel sollte man in Deutschland folgen›. Aber so sehr wir die relative Güte der schweizerischen Staatsordnungen von damals anzuerkennen haben, so sehr uns das Herz im Leibe lacht über die Fülle von Kraft und Gesundheit, welche die Eidgenossen in ihren Heldenkämpfen bewiesen, so dankbar wir den Vätern unseres Staates sein müssen für das Erbe kriegerischen Ruhms, für das unversehrt erhaltene und glücklich erweiterte Vaterland, das sie uns hinterlassen haben, dies Gefühl des Stolzes und des Dankes ist kein reines, ungemischtes. Beim Durchlesen unserer Annalen fühlt man sich bisweilen versucht, zu fragen, ob man die Schweizer des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts mehr als ein Volk von Helden bewundern oder als ein Bande geldgieriger Soldknechte verscheuen soll. Dieselben Männer, die bei Grandson und Murten, bei Frastenz und an der Calven mit ihren Leibern einen unübersteiglichen Wall um das Vaterland gebildet haben, im nächsten Augenblick sehen wir sie in fremden Landen, von denen ihnen kein Leid widerfahren ist, alle Gräuel des Krieges verüben, morden, schänden, brennen und rauben, bloss weil man sie dazu gemietet hat und weil ihr eigener Sinn an dem blutigen Handwerk mehr und mehr Gefallen findet.»41

Diese Darstellung der Geschichte der fremden Dienste als moralische Dekadenzgeschichte stiess zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf den Widerspruch vaterländisch-militaristischer Kreise. 1913 erschien das reich mit Bildern ausgestattete Buch von Paul de Vallière mit dem programmatischen Haupttitel Treue und Ehre. Der gewichtige Band erlebte 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, eine Zweitauflage.42 Mit dem Vorwort von Gonzague de Reynold in der zweiten Auflage lässt sich die Kernaussage des Buchs zusammenfassen: «Was der Fremdendienst uns bringt, ist ein einziger Heldengesang.»43 Das Werk ist Beispiel für den Versuch, die Bedeutung der fremden Dienste für die nationale Identität herauszustreichen.44 Die Thematik war durch solche Vereinnahmungen der heroisch-militaristischen und vaterländisch-patriotischen Geschichtsschreibung kompromittiert, weshalb die ideologiekritische Sozialgeschichte lange Zeit einen Bogen um dieses als politisch inkorrekt stigmatisierte Thema machte. Erst in den 1970er-Jahren wurde die moralische Auseinandersetzung von neuen Fragestellungen und neuen methodischen Ansätzen abgelöst. Mit den Arbeiten von Walter Schaufelberger oder Hans Conrad Peyer und seinen Schülern wandelte sich das bezahlte Kriegertum zum Gegenstand wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Betrachtungen.45 Inzwischen ist sich die Forschung weitgehend einig über die Wichtigkeit des bezahlten Kriegsdiensts für die Schweizer Geschichte. «Der Schweizer Solddienst im Überblick über die Jahrhunderte», so Hans Conrad Peyer 1992 anlässlich einer Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für militärhistorische Studienreisen, «ist ein sehr weites Feld, einmal weil er nur ein allerdings wichtiger Teilaspekt einer gesamteuropäischen Erscheinung ist, dann weil er nicht nur eine militärhistorische, sondern auch wirtschaftliche, soziale und staatlich-politische Seiten hat.»46 Die Rekonstruktion der Solddienste als Beruf und als Normalbefindlichkeit der frühen Neuzeit beförderte schliesslich die Einsicht, dass der Solddienst «eine gewöhnliche Erscheinung des alltäglichen Lebens» darstellte.47

Ähnlich wie mit der Geschichte des Solddiensts verhält es sich mit der schweizerischen Historiografie zu den Pensionen. Mit dem Pensionenwesen, resümiert Groebner in einem kurzen Forschungsüberblick, haben sich die Historiker lange Zeit schwer getan. Operierte die Fachliteratur des beginnenden 20. Jahrhunderts bei der Pensionenfrage noch mit Metaphern wie «politische Entartung» oder «Volkskrankheit», fiel das Urteil erst in der Zwischenkriegszeit nüchterner aus. Das Pensionenwesen wurde zunehmend als Geschäft versachlicht und verkümmerte in der Nachkriegszeit zu einem peripheren Gegenstand der Geschichtswissenschaft. Der moralisierende Diskurs brach jedoch auch dann nicht vollständig ab. Noch 1974 spricht Emil Usteri in seiner Arbeit zur Schlacht von Marignano von einer «düsteren korrumpierten Zeit».48 Die Pensionen sind inzwischen jedoch zu einem wichtigen Thema der Finanzgeschichte, der Sozialgeschichte, der neueren Kulturgeschichte und der neueren Diplomatiegeschichte geworden.49

Trotz dieser Neubeurteilung durch die neuere Forschung ist die Diskrepanz zwischen der Bedeutung des Sold- und Pensionenwesens für die ältere Schweizer Geschichte und der geringen Anzahl neuerer Publikationen augenfällig. Obschon sich verschiedene Sammelbände dem Thema angenommen haben, stellt eine aktuelle Überblicksdarstellung ein Desiderat der Forschung dar.50 Der profunde kurze Überblick Peyers über die fremden Dienste bleibt deshalb auch knapp zwanzig Jahre nach dessen Erscheinen unentbehrlich. Die dünne Forschungslage ist angesichts aktueller politischer Debatten schmerzlich. Beharrlich wird die Schweizer Geschichte im Umfeld der Schlacht von Marignano in den Diskussionen über das Verhältnis Schweiz-EU von Integrationsgegnern als Argument für eine aussenpolitische Abstinenz der Schweiz herangezogen. Die mehrteils ablehnende Haltung gegenüber den fremden Diensten ist eng verquickt mit dem von der Historiografie des 20. Jahrhunderts (Geistige Landesverteidigung) besonders plastisch inszenierten Bild des heldenhaften Hirtenkriegers des Mittelalters, der am Morgarten oder in Sempach einzig zum Schutz der Freiheit in den Schlachten gegen Habsburg seine adligen Gegner erzittern liess. Diese Vorstellung ist tief im eidgenössischen Selbstbild verankert und wird regelmässig an Gedenkfeiern medienwirksam zelebriert und aktualisiert.51 Die Niederlage von Marignano im Jahr 1515 hingegen – und mit ihr implizit auch die grenzübergreifende Verflechtung der eidgenössischen Machtelite – stellt im politischen Diskurs ein beliebtes historisches Lehrstück dar, um zu zeigen, dass Einmischungen in «fremde Händel» schlecht für die Schweiz sind.52 Die Niederlage von Marignano bedeutete jedoch keineswegs die Abkehr der Eidgenossen von der internationalen Politik – zumal sich Bern 1536 dazu anschickte, die Waadt zu erobern. Die Verflechtung der Orte mit fremden Mächten mittels Soldallianzen nahm ihren Anfang im 15. Jahrhundert und wurde nach der Niederlage in Marignano fortgesetzt und verstetigt. Mit Frankreich – dem militärischen Gegner in Marignano – schlossen die Orte 1516 den Ewigen Frieden und 1521 eine Soldallianz ab, die letztmals 1777 erneuert wurde. Weitere Soldallianzen der Orte, etwa mit Savoyen (1560, 1577), dem Papst (1565) oder Spanien (1587), kamen im Verlauf der frühen Neuzeit hinzu. Doch stehen die Instrumentalisierung Marignanos durch die Politik und die Persistenz schiefer Geschichtsbilder nicht im Interesse dieser Studie.53 Vielmehr lenken die seit 1474 mit verschiedenen Mächten abgeschlossenen Soldallianzen den Blick auf ein fundamentales Problem der älteren Schweizer Geschichte.

Gerade in einer Zeit, in der die Staaten ihr Monopol auf die militärische Gewaltanwendung in zahlreichen asymmetrischen Kriegen und wegen der zunehmenden Bedeutung von privaten Sicherheits- und Militärunternehmungen aufzugeben scheinen, gewinnt die Frage nach den historischen Wurzeln der herrschaftlich-staatlichen Kontrolle der militärischen Gewalt eine besondere Aktualität.54

Von herausragender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang eine veränderte Wahrnehmung des Verhältnisses von Militär, Gesellschaft und Politik.55 Vergegenwärtigt man die Hypothese von Otto Hintze aus dem Jahr 1906, dass alle Staatsverfassung ursprünglich Kriegs- beziehungsweise Heeresverfassung war, und die Tatsache, dass sich in der Organisationsform des Militärs auch die politische Verfasstheit eines Gemeinwesens spiegelt, so ist die Frage nach der Verfasstheit des Krieges auch aus einer historisch-wissenschaftlichen Perspektive eminent.56 Es war Peyer, der mit Nachdruck darauf hingewiesen hatte, dass sich auch in der alten Eidgenossenschaft Heeresform und Staatsform gegenseitig bedingten. Als sichtbare Merkmale dieser Reziprozität nennt Peyer den Verzicht einer kriegerischen Aussenpolitik, die territoriale und organisatorische Straffung der einzelnen Orte und die wachsende Trennung von Regierenden und Regierten sowohl im heimischen Militärwesen als auch im Solddienst bei fremden Mächten.57 Bis zur Reformationszeit kennzeichnete sich das eidgenössische Kriegswesen dadurch aus, folgt man Peyer weiter, dass der Krieg im Spätmittelalter sowohl staatlich-obrigkeitliche als auch «private» Impulse aufwies, wobei beide Aspekte häufig miteinander verwoben waren.58 Es bestand ein Spannungsfeld zwischen Fehde, unstaatlichem, privatem, brauchtümlich geregeltem und staatlich-obrigkeitlichem, durch gesetztes Recht zunehmend geordnetem Krieg. Indessen war die Durchsetzung des staatlichen Krieges laut Peyer nicht denkbar ohne den unstaatlichen Krieg. «Am einen konnte sich, am anderen musste sich jeder kampftüchtige Mann beteiligen. Beides verschaffte auch den breiten Bevölkerungsschichten und vor allem den bäuerlichen Untertanen ein ungewöhnliches Gewicht in den werdenden Staatsgebilden der Orte und zwang die Obrigkeiten zu entsprechender Rücksichtnahme. Die Stärkung der Obrigkeit seit dem 16. Jahrhundert aber sollte nur dank Veränderungen im Kriegswesen möglich werden.»59 Entscheidend in diesem Zusammenhang waren laut Peyer unter anderem die Anstrengungen der Obrigkeit um 1500, den mittlerweile zum Massenphänomen avancierten Solddienst zu kontrollieren. Die Orte zeigten sich bemüht, «ihre in fremde Dienste ziehenden Truppen nicht völlig aus der Hand zu geben, ja geradezu staatliche Hoheitsrechte über sie auszuüben.»60 Die Organisation der fremden Dienste berührt somit die zentrale Frage nach dem staatlichen Gewaltmonopol. Es lag im genuinen Interesse der Obrigkeit, das Tun «privater» Gewaltanbieter zu kontrollieren und in Übereinstimmung mit den obrigkeitlichen Interessen zu bringen, weil der unkontrollierte Söldnerexport ein erhebliches Risiko für die innere Stabilität sowie für die innere und äussere Sicherheit der Orte darstellte.61 Um dieses Geschäft zu kontrollieren, erliess die Obrigkeit Verbote in der Absicht, den freien Reislauf zu unterbinden, den unkontrollierten Wegzug von Arbeitskräften zu verhindern und ihre eigenen Einkünfte als Solddienstvermittler (Pensionen, Sold) zu sichern. Die Versuche der Obrigkeit, den Reislauf zu kanalisieren und unter ihre Kontrolle zu bringen, erwiesen sich jedoch grösstenteils als illusorisch, profitierten doch einflussreiche Familien aus den städtischen Räten selbst in hohem Mass von der starken Nachfrage der Grossmächte nach Söldnern. Bezahlte Kriegsdienste und Aussenbeziehungen wurden um 1500 zunehmend zum Handlungsfeld von multipel vernetzten Militärunternehmern und Geschäftsmännern, die gleichzeitig in den Räten sassen. Sie nutzten die Pensionen, Soldgelder und anderen Ressourcen, die sie als Gegenleistungen für ihre politischen und militärischen Dienste von fremden Mächten erhielten, für den Auf- und Ausbau ihrer Macht. Die obrigkeitliche Sold- und Pensionenpolitik (Verbote) wurde von diesen Kreisen systematisch ignoriert. Sie hatten keinerlei Interesse an einer Einschränkung des Sold- und Pensionenwesens. Freilich stiessen die grenzübergreifenden Ressourcentransfers und Patronagepraktiken bei Teilen der Machtelite und bei Teilen der Untertanen auf Ablehnung. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Zielsetzung dieser Studie ist es nun, die «Verstaatlichung» des Krieges daraufhin zu untersuchen, welche Akteure die Regulierung des Pensionenwesens vorantrieben, welche Interessen sie dabei verfolgten und mit welchen Problemen sie sich konfrontiert sahen. Es stellt sich daran anknüpfend die Frage, welchen geopolitischen Konstellationen und ökonomischen Bedingungen sie begegneten.62

Am Beispiel der Pensionenunruhen lässt sich das Aushandeln zwischen Obrigkeit und Untertanen über Nutzen und Kosten dieses Verdichtungs- und Dynamisierungsprozesses veranschaulichen. Die klientelistischen Praktiken der Politiker wurden zwischen 1513 und 1516 massiv kritisiert, gerichtlich aufgearbeitet und schriftlich dokumentiert. Das überlieferte Material zeigt auf, wie die grenzübergreifenden Beziehungen von den Klienten und ihren fernen Patrons genutzt wurden. Gleichzeitig wird deutlich, wie wichtig die Ressourcentransfers zwischen Patron und Klient für die inneren Machtbildungsprozesse in den Orten waren. Die Aufständischen wehrten sich, so Valentin Groebner, nicht nur gegen die Verteilungsungerechtigkeit des Sold- und Pensionengeschäfts, welche den obrigkeitlichen Pensionären in den Räten die sicheren Profite (Pensionen), den einfachen Reisläufern jedoch für unsicheren Sold hohe Risiken zuschiebt, sondern sie «verbinden diese Argumente mit der Verteidigung von Gemeinde- und Selbstbestimmungsrechten der Landschaft gegen herrschaftliche Durchdringung.»63 Die inhaltliche Verknüpfung von Verteilungsmodi im Sold- und Pensionengeschäft einerseits und Herrschaftsintensivierung andererseits lässt vermuten, dass der seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert vorangetriebene Söldnerhandel fundamentale Effekte auf «Staat» und Gesellschaft zeitigte.64 Der Untersuchung liegt die These zugrunde, dass das grenzübergreifende Beziehungshandeln der Machteliten die Verdichtung der politischen Macht in den eidgenössischen Städteorten beschleunigte.

Fragestellung und These sollen in drei Kapiteln untersucht werden. In einem ersten Schritt werden die Aufstände ereignisgeschichtlich aufgearbeitet und die Einigungsverträge vergleichend analysiert (Kapitel II). Danach werden Akteure und Praktiken auf den eidgenössischen Gewalt- und Patronagemärkten knapp skizziert und die städtischen Pensionennetzwerke in Bern, Luzern, Solothurn und Zürich mikrohistorisch dokumentiert (Kapitel III). In einem Schlusskapitel werden die empirischen Befunde interpretiert und synthetisiert (Kapitel IV). Vorab gilt es jedoch, den Forschungsstand zu den Pensionenunruhen sowie die Quellen und Methoden der Untersuchung zu diskutieren.

3 Forschungsstand zu den Pensionenunruhen

Die Herrschaft der Orte über ihre Untertanen war um 1500 noch keineswegs konsolidiert. Im Verlauf des Spätmittelalters eigneten sich die eidgenössischen Städte zwar durch Eroberung, Kauf oder Pfandschaft mithin sehr grosse Territorien an, doch musste diese Expansionspolitik mittels Rückgriff auf die Ressourcen des Umlandes abgesichert und finanziert werden. Es kam zwischen den Burgunderkriegen und den Mailänderkriegen deshalb zu zahlreichen Stadt-Land-Konflikten, die häufig unter dem Eindruck einer intensivierten Territorialpolitik und einer gesteigerten Nutzung und Durchsetzung landesherrlicher Rechte standen. Die Folgen der obrigkeitlichen Mächtepolitik lasteten schwer auf den Schultern der Untertanen. Steuern und verstärkte militärische Inanspruchnahme verschlechterten das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Untertanen.65 Die enge Verknüpfung der Ereignisse zwischen 1513 und 1516 mit dem politischen und militärischen Engagement in Oberitalien, die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit von Nutzen und Kosten aus dem Sold- und Pensionengeschäft und die divergierenden Interessenlagen bei Untertanen und Obrigkeiten erschweren es indessen, die Ereignisse unter einen «klassischen» Stadt-Land-Konflikt zu subsumieren. Diese Konfliktkonstellation verleiht den Pensionenunruhen eine gewisse Exklusivität, welche einen Vergleich erschwert und bislang offenbar wenig attraktiv auf die Forschung wirkte. In der seit den 1980er-Jahren fruchtbar betriebenen Unruheforschung fanden die Pensionenunruhen jedenfalls nur am Rand Eingang in die Diskussion.66 Auch in der allgemeinen Schweizer Geschichte sind die Unruhen im Umfeld der Mailänderkriege – im Gegensatz zur bisweilen glorifizierten Grossmachtpolitik zwischen 1474 und 1515 – kein prominenter Gegenstand. Eine Monografie zu den Pensionenunruhen gibt es nicht. In jeweils sehr unterschiedlichem Umfang fanden die Ereignisse zwischen 1513 und 1516 jedoch Eingang in Handbücher und Überblicksdarstellungen zur Schweizer Geschichte (1), in die Landesbeziehungsweise Kantonsgeschichte (2), in die Militär- und Kriegsgeschichte (3) und in die neuere Sozial- und Kulturgeschichte (4).

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Die älteren Überblicksdarstellungen zur Schweizer Geschichte schenkten den Pensionenunruhen im Vergleich zum ähnlich gelagerten, aber räumlich nur auf Zürich begrenzten Waldmannhandel von 1489 wenig Beachtung.67 Die Bewertung der Historiografie des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts lässt sich mit Johannes Dierauer dahingehend zusammenfassen, dass es sich bei den Aufständen «im Grunde» um «eine berechtigte Reaktion gegen ungesunde politische und soziale Verhältnisse» handelte, «die aber doch, wie es bei Massenerhebungen zu geschehen pflegt, in leidenschaftliche und grobe Ausschreitungen überschlug.»68 In Analogie zur älteren Literatur blieb die den Unruhen zugemessene Aufmerksamkeit auch in den Gesamtdarstellungen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bescheiden. Das 1972 erschienene Handbuch der Schweizer Geschichte widmet den Pensionenunruhen im Unterkapitel Ausbildung der Territorialhoheit lediglich sechzehn Zeilen. Schaufelberger verweist in seinem Beitrag zwar auf den Zusammenhang der Aufstände mit den Mailänderkriegen, lässt jedoch im Gegensatz zur älteren Forschung die Sold- und Pensionenproblematik vollständig ausser Acht. Dagegen unterstreicht der kurze Überblick das angeblich konservative Wesen der Bewegung.69 Weder im Rekurs der Aufständischen auf das alte Herkommen noch in dem von den Berner Untertanen eingeforderten Recht auf eine institutionelle Mitsprache in Bündnisangelegenheiten vermag Schaufelberger einen prospektiven Charakter zu erkennen. In der 1982 erschienenen und methodisch der Sozial-, Wirtschafts- und Mentalitätsgeschichte verpflichteten Geschichte der Schweiz – und der Schweizer kommen die Pensionenunruhen gar nicht vor.70 Auch andere Gesamtdarstellungen zur Schweizer Geschichte erwähnen die Aufstände im Zusammenhang mit den italienischen Feldzügen oder dem Sold- und Pensionenwesen nur kurz71 – oder überhaupt nicht.72 Im hervorragenden und wichtigsten Nachschlagewerk zur Schweizer Geschichte, dem Historischen Lexikon der Schweiz, finden sich ebenfalls nur sehr kurze auf die Ereignisgeschichte fokussierte Einträge zum Könizer Aufstand und zum Zwiebelnkrieg, nicht aber zu den Aufständen in Solothurn und Zürich.73 In anderen Einträgen interpretiert das Lexikon den Protest in den vier Städteorten als Ausdruck eines verschärften Kampfes um Ressourcen zwischen Stadt und Land und betont den aussenpolitischen Bezug der Proteste.74 Doch erst das jüngst erschienene neue Handbuch Die Geschichte der Schweiz (2014) hat die Kernproblematik der Pensionenunruhen erfasst: Mit den Aufständen «war die Frage, wer von den Kriegszügen und Soldwerbungen profitierte und wer die Kosten – vor allem an Menschenleben – zu tragen hatte, zum Politikum geworden.»75

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Ausführlicher als die Überblicksdarstellungen zur allgemeinen Schweizer Geschichte hat sich die Landes- beziehungsweise Kantonshistoriografie mit den Pensionenunruhen beschäftigt. Für Bern markiert die 1529 erschienene Berner-Chronik von Valerius Anshelm den Beginn einer intensiven Auseinandersetzung mit den Pensionenunruhen und dem Könizer Aufstand.76 Der grosse Einfluss der Chronistik aus dem 16. Jahrhundert auf die spätere Geschichtsschreibung in Bern (aber auch in Luzern, Solothurn und Zürich) ist auch der Grund für die möglicherweise merkwürdig anmutende Tatsache, dass die Chroniken in diesem Kapitel und nicht im Kapitel über die Quellen diskutiert werden. Anshelms Parteinahme für die Anliegen der Pensionengegner sind augenfällig, erkennt er doch in den «fro(e)mden pensionen, pu(e)nden und kriegen» nichts weniger als «gu(o)ten pollicien to(e)tliche hoptviend».77 Trotz seinem offenkundigen Missfallen an den von der Obrigkeit abgetrotzten Rechten, die er als einem «gu(o)tem gmeinem regiment unlidlich und verderblich»78 einstuft, bleibt sein Urteil in Bezug auf die aufständischen Gemeinden milde. Die «arbeitsamen gmeinden» werden in seiner Analyse zu eigentlichen «veldga(e)nsen», «zu(o) denen man zu(o)m jar zweimal gu(o)t ufsehen tu(o)t, namlich S.Johanstag, so man si sol uf d’hut berupfen, und um S.Martinstag, so man s’ gar sol praten; darzwischen uf d’weid an d’fu(e)chs und d’wo(e)lf wagen.»79 Seine Kritik zielt deshalb vor allem auf die in Faktionen zersplitterte Obrigkeit, 80 wenn er den Leser beispielsweise daran erinnert, «vor ougen zehaben und nimmer zu(o) vergessen, was uss nid und git in gmeinem regiment erwachse; keine herren, keine pensionen, mu(e)et, gaben noch so(e)ld mo(e)gend iro disen schaden, den si geborn hond, abtragen, aber wol meren, eigennu(e)tzig, gwaltgitig obren, und verachtlich, unghorsam undertanen machen, wie dan vor und iezt nach diser ufru(o)r me dan vor ie beschehen. Got, wie durch’s evangelium angefangen, besser’s!»81 Nur mit roher Gewalt und ohne Besinnung auf das Evangelium, so lässt sich das Urteil des sendungsbewussten Chronisten zu den Pensionenunruhen zusammenfassen, war dem Eigennutz und der Gier der Obrigkeit nach Pensionen nicht beizukommen.

Anshelms Darstellung ist in der bernischen Historiografie die wichtigste Referenz für die Deutung der Könizer Aufstände und beeinflusste folglich auch das gewichtige vierbändige Werk über die Geschichte Berns von Richard Feller aus dem Jahr 1946. Auch hier reinigte das «Ungewitter des Jahres 1513» die Sitten – in Anspielung auf die bevorstehende Reformation – noch nicht.82 «Zuerst Hitze, dann gnädiges Einlenken schwächt der Obrigkeit Gebot», beurteilt Feller Anshelm folgend den Ausgang der Aufstände.83 Einziger Ertrag der Bewegung, bilanziert Feller deshalb, war das «gesetzlich festgelegte Mitspracherecht der Landschaft in der Aussenpolitik».

Mit der Verortung des Könizer Aufstands im Kontext der städtischen Landesherrschaft beschäftigten sich ein halbes Jahrhundert später auch die beiden Untersuchungen von Peter Bierbrauer84 und André Holenstein.85 Für Bierbrauer stellt der Aufstand von 1513 im Kern einen Versuch der Bauern dar, den bernischen Staat nach ihren Vorstellungen zu prägen. Er ist der Ansicht, dass die von den rebellierenden Untertanen angestrebte politische Ordnung einer Konzeption von unten entsprach. Den Gemeinden und Landschaften ging es, so diese ständegeschichtliche Perspektive, ausschliesslich darum, einen zentralistischen Territorialstaat zu verhindern und ihre kommunalen Freiheiten zu wahren. Im Rahmen der ständischen Gesellschaft, einer societas cum imperio, blieben für einen gesamtstaatlichen Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Obrigkeit kaum mehr als das Kriegswesen und die Aussenpolitk, wobei selbst dieser Handlungsbereich 1513 dem bäuerlichen Mitspracherecht unterworfen worden war.86 Holenstein dagegen betont den nur wenig revolutionären Charakter der Bewegung, da mit der Durchsetzung einzelner Klagen und der ausdrücklichen Garantie der kommunalen Freiheiten für die beteiligten Gemeinden das Wesentlichste erreicht war. Auf die Forderung nach einer Beteiligung am städtischen Regiment, so Holenstein, wurde während der gesamten Dauer der Erhebung verzichtet.87 Auch die institutionelle Mitsprache der Landschaft in der Aussenpolitik beurteilt Holenstein im Unterschied zu Bierbrauer und Feller deutlich zurückhaltender, indem er mit Blick auf die bernischen Ämteranfragen88 zu Recht darauf hinweist, dass die Fixierung dieses Konsensrechts nicht mehr als die rechtliche Absicherung «einer eingeübten Praxis» bedeutete.89

In besonderer Weise interessierte sich auch die bernische Wirtschaftsgeschichte für den Könizer Aufstand. In seiner 1971 erschienenen Dissertation zum Thema Lebensmittelteuerungen, ihre Bekämpfung und ihre politischen Rückwirkungen in Bern stellt der Wirtschaftshistoriker Hugo Wermelinger die unterschiedlichen Marktinteressen zwischen städtischen Konsumenten und ländlichen Produzenten ins Zentrum seiner Betrachtung. Die erzwungene Deregulierung der bislang einseitig ausgerichteten, konsumentenfreundlichen Wirtschaftspolitik (Fürkaufverbot) wird bei Wermelinger zum wichtigsten Anliegen der Aufständischen (Forderung nach dem freien Kauf).90 Die monokausale Deutung der Könizer Aufstände als Reaktion der Produzenten auf die Wirtschaftspolitik der Obrigkeit unterschätzt die Bedeutung des Sold- und Pensionenwesens für den Protest. «Parteienhader und Bestechlichkeit» waren zweifellos mehr als nur der unmittelbare Anlass der Ereignisse.91

In Luzern setzt die Geschichtsschreibung zum Zwiebelnkrieg mit Renward Cysat ebenfalls im 16. Jahrhundert ein. Cysats Darstellung entstand sechzig Jahre nach den Unruhen 1573 und beeinflusste auch die luzernische Historiografie nachhaltig. Als Quellen dienten ihm Augenzeugenberichte, wobei er sich besonders auf den zur Zeit der Befragung achtzigjährigen Rudolf Lipp stützt.92 Aus seinem Unverständnis gegenüber den Anliegen der Aufständischen macht Cysat als Pensionär Savoyens, Spaniens und Frankreichs93 keinen grossen Hehl. Für ihn steht fest, dass «die puren mitt jrem trutzigen wäsen vnd vngestüme von einem ersamen rhat vil sachen vnd brieffen vßbracht, so jn künftigem vnserm fryen stand vnd gmeinem nutz hette mögen nachtheilig sin vnd zu verkleinerung dienen».94

Die luzernische Historiografie des 19. Jahrhunderts attestierte den Untertanen ein mittelalterliches Rechtsverständnis. Laut Anton Philipp von Segesser griffen die Aufständischen in Analogie zu Bern «nicht das Subject der Landeshoheit an, verlangten nicht eine democratische Organisation, wodurch sie als Eine Gemeinde mit den Räthen und den Burgern von Lucern die Herrschaft getheilt hätten, sondern sie stellten sich gegentheils als die Gesammtheit der Unterthanen der Obrigkeit gegenüber als ein gesondertes Subject von Rechten; sie verlangten aber als solches die Theilnahme an der Entscheidung über Krieg und Frieden, einem wesentlichen Attribute der Hoheit, eine Theilung der Staatsgewalt ganz im Geiste der mittelalterlichen Anschauungen.»95 Diesem eingeforderten Mitspracherecht in aussenpolitischen Fragen spricht von Segesser indessen jegliche «Ideen von democratischer Gleichberechtigung» ab und sieht das Motiv für die verlangte politische Teilhabe einzig in den «aus solchen Verbindungen hervorgehenden weitern Lasten der Unterthanen».96 Eine andere Perspektive nimmt die 1903 erschienene Arbeit von Theodor von Liebenau zur Geschichte der Stadt Willisau ein. Von Liebenau interpretiert die Unruhen in Willisau, wo die Aufstände auf der Luzerner Landschaft ihren Anfang nahmen, als Folge eines doppelten Interessengegensatzes. Nicht nur seien die Willisauer Stadtbürger «Freunde des Reislaufens» gewesen, die es «gar nicht ungern» gesehen hätten, «wenn der Rat von Luzern mit fremden Fürsten Bündnisse abschloss», sondern gleichzeitig hätten sie «dem neuen Staatsrechte» gehuldigt, das «auf Rechtseinheit, Zentralisation der Verwaltung, Erklärung der Jagd und Fischerei etc. als Regal und Einführung des heimlichen, schriftlichen Gerichtsverfahrens hinzielte».97 Die Willisauer Landgemeinde dagegen, so von Liebenau, «war allen Bündnissen mit fremden Fürsten abgeneigt» und hielt «an dem von den Vätern ererbten Rechte fest.»98 Obwohl von Liebenau 1881 auf die vorhandenen Interessengegensätze innerhalb der Luzerner Stadtbürgerschaft im Verlauf des Zwiebelnkriegs hingewiesen hatte, 99 kommen solche sich partiell überlagernden Interessenlagen von Teilen der Obrigkeit und Teilen der Untertanen in der Untersuchung zu Willisau nicht zur Sprache. Die Vorstellung von der Obrigkeit beziehungsweise von den Aufständischen als jeweils homogene und koordiniert handelnden Interessengruppen fand auch in der Geschichte des Kantons Luzern im 16. und 17. Jahrhundert von Sebastian Grüter aus dem Jahr 1945100 ihren Niederschlag. Diese wich jedoch 1994 mit der unveröffentlichen Lizentiatsarbeit von Peter Spettig über den Zwiebelnkrieg einer differenzierteren Betrachtung. Mit Blick auf die Träger der Unruhen stellt Spettig fest, dass es zwischen den beiden Konfliktparteien laufend zu Umgruppierungen gekommen sein dürfte und es folglich falsch sei, von nur zwei Konfliktparteien auszugehen.101

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