Kitabı oku: «Der letzte Flug des Chyratos»

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Inhaltsverzeichnis

Impressum 3

Über den Wolken 4

Femina, wo bist du? 9

Die Gewissheit 13

Ich will leben! 18

Auf der Alm 22

Die Versuche 26

Gemeinsame Sprache 30

Und es gibt noch mehr davon 35

Die neuen Kräfte 40

Wer ist Dominique? 45

Meine Ausbildung 50

Die erste Flugstunde 54

Mein Auftrag 59

Die Codierung 64

Die Auswirkungen 68

Das Versteck 73

Die Teufelshölle 77

Kann ich überhaupt schwimmen? 82

Die Möwenpost 87

Niemand zu Hause 92

Operation Graugänse 97

Das Zeichen 102

Der Unterschlupf 107

Ab in den Vulkan 112

Im Freundesloch 116

Wo ist der Plan? 120

Operation Liebeschip 124

Aktion läuft! 129

Wo ist Dominique? 136

In den Fängen des Unbekannten 139

Im Gefängnis des Schattens 144

In den Krallen des Bösen 148

Hallo, ich bin Toni! 152

Auf dem Narrenschiff 157

Zurück im Leben 162

Unter dem Schirm Gottes 167

Komm, Adler, komm 171

Das Multipaket 175

Die Empfangsüberraschung 180

Oben und unten 185

Auf den Spuren der ersten Christen 190

Die Friedenstauben vom Petersplatz 194

Nächste Station: Engelsbucht 199

Der veränderte Mensch 203

Es ist noch nicht vorbei 207

Das Mittel gegen Liebe 212

PuB (Pandemie und Beschränkung) 217

Die einzige Möglichkeit 221

Die fliegende Maria 226

Zwischenstopp Entenhausen 231

Funkstörung angesagt 235

Die letzte Bastion 239

Der letzte Flug des Chyratos 243

Vereint 247

Das neue Leben 251

Aufgewacht 256

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2022 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99130-007-6

ISBN e-book: 978-3-99130-008-3

Lektorat: Mag. Eva Zahnt

Umschlagfoto: Wolkenbild auf Coverrückseite: Bildname: „Adler über Falkenberg“ - Künstler: Walter Liebfahrt; Restliche Bilder: Mr.jarun Sangkhrim, Alexandr Yurtchenko | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Über den Wolken

Majestätisch breite ich meine Flügel aus und gleite hinaus aufs weite Meer. Stürmisch und wild drückt die Luft von unten. Ein guter Auftrieb, will ich meinen, und dies spürt man. Einmal schlage ich die Flügel und steige leicht nach oben. Alles Können, alles Routine, es ist einer der tausenden Starts von meinem Horst hinaus in die Weite. Hier fliege ich, hier herrsche ich. Alles unter mir ist mein Reich und ich herrsche darüber.

Ich habe alles im Griff, die Orientierung habe ich im Kopf, so schließe ich die Augen und lasse alles wie einen Film herunterlaufen. Genau unter mir befindet sich der Almsee, tief eingebettet im Gebirge der zirbischen Alpen. Ein Gipfel ragt besonders und markant hervor. Es ist der „Aquila heliaca“, der Kaiseradler, nach mir benannt. Gemeinsam herrschen wir hier und keiner hat es bisher gewagt, dies zu ändern. Ich steigere meine Flughöhe, damit ich nicht wieder bei der Spitze einhake wie neulich, wo ich nur mit Müh und Not die Stabilität des Fluges wieder herstellen konnte. Doch heute passiert mir das nicht. Leicht blinzelnd spähe ich durch meine Adleraugen, Gott sei Dank, ich bin hoch genug. Ich ziehe meine Kreise ganz alleine, und das wird auch so bleiben, denn ich bin der Letzte meiner Art. Zu lange, viel zu lange warte ich auf meine „Domina Aquila“. Sie war ausgeflogen um Nahrung zu suchen und ist nicht mehr zurückgekommen. Ich stelle mir gerade vor, wie wir früher gemeinsam geflogen sind:

Obwohl ich ein ausgezeichneter Flieger war und bin, hatte ich keine Chance gegen Femina. Geschickt stellt sie die Flügel in den Wind, ihre flauschigen kurzen Flugfedern stellen sich quer und erhöhen somit die Aerodynamik und auch die Geschwindigkeit und ohne Mühe überholt sie mich und lächelt mir mit vollem Genuss zu. Ihr beim Flug zuzusehen ist wirklich ein Genuss, es ist die Perfektion der Schöpfung und der Beherrschung des Luftraums, der gleich unter dem Himmel kommt. Stundenlang könnte ich ihr zusehen, ohne zu merken, dass ich an Höhe verliere und gegen einen Baum pralle. So ist es passiert, wenn man nicht aufpasst, und mit den Gedanken im Himmel verweilt. Ich stürze zu Boden und lande unsanft zwischen den Steinen, doch ich rolle mich ab und stehe ganz starr auf meinen Krallen. Verwirrt schaue ich um mich: was ist passiert? In diesem Moment höre ich ein Rauschen, ein Flügelschlagen und wie ein Blitz kommt sie angeflogen und landet sicher neben mir. „Ist dir was passiert?“, fragt sie erschrocken. Da beginne ich zu lachen und meine nur, dass man den Weibern nie zu lange nachschauen sollte. Dafür handle ich mir einen Pecker an meinem Adlerohr ein. „Frechdachs, du kleiner Frechdachs“, zwitschert sie zu mir und schon erhebt sie sich wieder in die Lüfte „Na warte, ich werde dich gleich einholen“, und erhebe mich ebenfalls vom Boden mit zwei Flügelschlägen. „Das schaffst du nie“, grinst sie zurück. Das werden wir ja sehen, ich habe trainiert und an meinem Luftwiderstand gearbeitet, außerdem ist meine Spannweite größer, und das verschafft mir im Gleitflug große Vorteile. Alles versuche ich um sie einzuholen. Ich gebe mir die größte Mühe, nehme meine ganzen Kräfte zusammen. Der Abstand zu ihr wird weniger, drei, vier Flügelschläge und ich habe sie eingeholt. Wie bei einem Wettrennen zischen wir hintereinander dahin. Schnabel an Schwanzfeder, und Kralle an Kopfschmuck. Jetzt, genau jetzt hole ich Femina ein, und setze zum Überholen an, doch leicht wie der Wind erhöht sie ihre Geschwindigkeit. Doch ich gebe mich nicht geschlagen, schließlich bin ich der König der Lüfte. Ich lege meine Brustfedern an, ziehe meine Füße zurück und lege die Krallen hinter die Federn, außer meiner großen Kaiserkralle, auch Kaisersporn genannt, ist nichts mehr zu sehen. Die Flügel werden als Seitenruder leicht in den Flugwind gestellt, und wirklich, es funktioniert, ich hole auf und bin noch nie so eine hohe Geschwindigkeit geflogen. „Gleich, gleich habe ich dich“, denke ich. Es geht nicht um das Überholen, sondern um das Austesten meiner Grenzen, denn schließlich sind wir aufeinander angewiesen, und es ist egal, ob ich der Kaiser und sie die Kaiserin ist, oder umgekehrt. Und da passiert es, in dieser Sekunde gehe ich an ihr vorbei. In diesem Moment leuchtet vor mir ein Blitz auf, helles, grelles Leuchten versperrt mir die Sicht. Meine Augen sind starr und sehen nichts. Es ist nicht nur grell und tut weh, auch meine Flügel sind erstarrt und rudern nicht mehr. Da ist es wieder, wie so oft zuvor. Dieses Licht und diese Energie durchdringen meinen Körper. Ich verliere an Höhe und gehe zu Boden. Kurz davor besinne ich mich, dass ich ja ein Vogel bin und Flügel besitze. Ich schlage wild um mich, und kann das Schlimmste verhindern. In diesem Moment erwache ich aus meinem Traum, und bin froh, ruhig dahinfliegen zu können. Doch es war kein Traum. So und nicht anders ist es geschehen.

Das waren Zeiten, und eine Träne rinnt mir über die Wange, so wird es nie mehr sein. Viel zu lange ist sie verschwunden, und sie wird nie mehr zurückkehren. Was mir bleibt, sind die Erinnerungen und die Erlebnisse, das gemeinsame Jagen und das majestätische Herrschen hier in unserem Reich. Lange wird es sowieso nicht mehr dauern, dann ist auch dieses Reich Vergangenheit, denn wenn ich nicht bald etwas zu fressen bekomme, sterbe ich an Hunger, und ich bin der Letzte meiner Art. Vorbei ist die Zeit der Üppigkeit, wo ich aus dem Vollem geschöpft habe, ein Reich der Fülle und Nachhaltigkeit, alles vorbei. Vielleicht ist dies mein letzter Flug, wer weiß, und er wird lange dauern, denn hier ist nichts mehr zu holen, alles kahl und abgestorben, alle anderen Tiere sind entweder verendet oder haben das Reich verlassen, auf der Suche nach Nahrung. Oft habe ich mich gefragt, was wohl schuld an diesem Sterben ist. Das Klima kann es nicht sein, denn mir war schon lange nicht mehr kalt. Es ist alles grün und wächst auch gut. Es wachsen sogar Bäume in großer Seehöhe, wo früher keine Bäume standen. Zugegeben, obwohl die Sonne scheint, ist die Sicht meist trüb und diesig, schon lange habe ich keinen klaren Ausblick mehr von meinem Horst gehabt. Die Luft ist so aufgeladen und fühlt sich beim Fliegen spießig und voller Widerstand an. Komisch schauen die großen Schüsseln und Kugeln aus, welche die Menschen überall aufgestellt haben, sogar auf meinem Gipfel steht so eine Anlage. Zum Himmel ausgerichtet, so als steht sie auf Empfang. Zu nahe darf man den Dingern sowieso nicht kommen. Jedes Mal, wenn ich das Energiefeld streife, erhalte ich einen elektrischen Schlag, welcher sich sehr unangenehm anfühlt. Am Boden dieser Stätten herrscht das Grauen, alles ist abgestorben, verdorrte Kadaver liegen angehäuft dort, wahrscheinlich von den abgestürzten Vögeln und Tieren, welche dem Ding zu nahe gekommen sind. Von oben aus sehe ich die dürren Kreise, welche jetzt auch die Landschaft zieren. Menschen sind nicht zu finden. Sie haben sich in die großen Städte zurückgezogen und laufen maskiert mit ihren Empfangsgeräten umher. Ist mir eh lieber so. Ich mag die Menschen nicht, sie nehmen sich alles, was sie brauchen, und haben mich früher in meiner Welt gestört. Doch jetzt sind die Menschen weg, die Tiere weg und auch meine Femina ist weg. So ungestört war ich noch nie, aber auch nie so alleine. Laut ertönt mein Adlerruf: „Grrr … grrr … grrr.“ Sanft lande ich in meinem Horst. Es ist so einsam und verlassen hier. Was soll ich nur tun? Majestätisch blicke ich zum Himmel, der letzte Kaiser ohne Herrschaft. Ich schließe meine Augen und blicke in ein Nichts. Mit einem Mal erscheint ein tiefes Blau, und ich höre ein Rufen aus der Ferne, es klingt fast wie Feminas Ruf, der verzweifelt versucht gehört zu werden. Er hört sich fast an wie: „Gib nicht auf, gib dich nicht auf!“ Weit draußen sehe ich den Schatten eines Vogels, nein, eines Adlers empor steigen, immer wieder ruft er: „Gib nicht auf, vertraue deinem Gefühl, gib nicht auf!“ Laut schreie ich zurück: „Ich habe Angst, ich traue mich nicht, ich werde abstürzen!“ Ganz deutlich höre ich jetzt die Stimme, welche lachend klingt: „Was, der Kaiser hat Angst?“ Und wie antworte ich darauf? „Ich habe Angst vor dem Sterben, denn eine andere Perspektive sehe ich nicht!“ In diesem Moment zischt eine Sturmbö vorbei, und auf dieser reitet eine große Gestalt in Form eines Adlers, welcher laut kreischt und ruft: „Du wirst leben, du wirst alles wieder zum Leben erwecken, verlass deinen Horst und flieg hinein ins Leben!“ So wie sie gekommen war, verschwand die Sturmbö auch wieder, alles ist wieder ruhig. Ich öffne meine Augen, starr blicke ich hinaus auf dieses Land, und weiß, was ich tun werde. Ich breite meine Flügel aus und hebe ab, umkreise noch einmal meinen Horst und kehre ihm den Rücken zu. In Gedanken weiß ich, dass er jetzt ausgedient hat. Geradewegs nach Süden nehme ich den Kurs auf, und rufe dabei laut: „Femina, wo bist du?“

Femina, wo bist du?

Geradeaus ist die Richtung und geradeaus ist das Ziel, doch wohin ich fliege, weiß ich nicht. Stundenlang bin ich nun schon unterwegs, ich habe Landstriche überquert, Berge überflogen, unter mir haben sich Flüsse gekreuzt, und Täler gefunden. Dieses Land ist schön, sehr schön und abwechslungsreich, doch es ist leer. Frequentiert sind nur die Wege der Menschen. Autobahnen schlagen sich ihren Weg, hören vor dem Berg auf und gehen nach dem Berg weiter. Auf diesen herrscht ein Getümmel und ein Getöse, es gleicht einem sich ständig Abdrängen und doch ist alles im Fluss der Blechlawine. Fahren diese Maschinen eigentlich selbstständig, da die Scheiben schwarz und verdunkelt sind? Irgendwer muss diese doch steuern, denn es gibt eine gewisse Ordnung und ein gewisses System. Von hier sehe ich, dass Autobahnen Dörfer und Städte verbinden, doch rundherum ist alles leer, wie ausgestorben ist das Land, der Wald. Nur diese Antennen und Schüsseln sind überall vorhanden. Es kommt mir vor wie ein Leitsystem, nur wer es steuert, sieht man nicht.

Ich bin müde und sollte mal Rast machen. Ich sehe dort unten ein Tal, einen Bach, der schimmert irgendwie türkis und smaragdblau. Vielleicht sollte ich hier mal landen, meine Flügel tun schon weh, denn die Thermik ist ganz schlecht, ich muss alles mit meiner Kraft machen. Mir scheint, als ob auch wer die Luft filtert und ihr jede Turbulenz nimmt. Im Sinkflug gleite ich auf die Stelle zu und lande sicher neben dem Bach. Wenigstens rinnt das Wasser noch. Ich gurgle ein paar Schlucke Wasser hinunter. Doch auch das Wasser schmeckt fad und leer, ohne Inhaltsstoffe und Minerale. Wo ich bin, weiß ich nicht, fremd ist mir diese Gegend und war früher sicher nicht mein Hoheitsgebiet. Obwohl das Bächlein in der Sonne schimmert und auch schön zum Anschauen ist, fehlt irgendetwas, kraftlos rinnt das Wasser dahin, fast so wie ich mich fühle. Egal, hier mache ich Rast und versuche meine Kräfte und meine Energie aufzubauen. Nicht einmal ein Wurm ist hier zu finden, als hätten auch diese sich vergraben, keine Fliege, kein Frosch, geschweige denn größere Wildtiere. Meinen Hunger habe ich schon längst verloren, ausgedörrt ist mein Magen. Wie lange halte ich das noch aus? Wieder kommt die Angst in mir, ist das mein Ende? Verzweifelt versuche ich doch Ruhe zu finden, und döse so vor mich hin, als ich plötzlich eine Stimme höre: „Wer bist du?“ Erschrocken öffne ich meine Augen und erblicke ein zerrupftes Haushuhn. Meine ersten Gedanken sind: „Das wäre ein guter Happen!“, doch als ich das zitternde Huhn genauer betrachte, tut es mir leid. In meinem höfischen Dialekt beginne ich zu sprechen: „Ich bin nur auf der Durchreise, mein Name ist Fred Kaiseradler, und ich wundere mich nur, wo all die Tiere geblieben sind!“ Mit gebrochen zittriger Stimme antwortet das Huhn: „Sie sind alle weg oder tot!“ „Aber warum?“, frage ich nach. „Es sind diese großen Schüsseln und Kugeln, welche alles in Schwingung versetzen, sie machen uns verrückt, alle werden aggressiv und fressen sich gegenseitig auf, ist das vollzogen, sterben die anderen vor lauter Hunger“, antwortet das Huhn. „Und du, was ist mit dir?“, hake ich nach. „Ich konnte fliehen und habe mich hier verkrochen, und warte auf meinen Tod, friss mich einfach, dann ist es vorbei.“ „Vielleicht sollte ich dies wirklich tun, stressgeplagte Hühner schlagen sich aber auf meinen Magen“, scherze ich, „und deshalb verschone ich dich. Sag, hast du einmal einen von meiner Art vorbeifliegen sehen?“ „Ja, es ist schon eine Weile her, da ist so ein komischer Vogel vorbeigeflogen, etwas kleiner, dafür aber eleganter“, spricht das Huhn. „Sprich weiter“, bemerke ich ungeduldig in der Hoffnung, Femina zu finden, „wohin ist dieser komische Vogel geflogen?“ „Dort, wo alle hin fliegen oder laufen, es ist wie ein Magnet, ein magischer Punkt“, sagt das Huhn. „Weiter, weiter, sag endlich wohin.“ „Na, du weißt das nicht?“, fragt das zerrissene Huhn erstaunt, „na dort, vor der Stadt, das große Speicherwerk.“ „Was passiert dort, und warum werden dorthin alle angezogen?“ „Ich weiß es auch nicht“, antwortet das Huhn. „Es ist wie ein magnetisches Energiefeld, es geht durch den ganzen Körper, man ist diesem Einfluss gegenüber machtlos.“ „Und du, warum hat dich das Ganze nicht angezogen?“ „Als dummes Huhn hatte ich Glück, weil ich nicht fliegen kann, doch ich bin der Herde nachgelaufen, und vor lauter in die Luft Schauen habe ich diese Felsklippe hier oben übersehen und stürzte tief herunter, zum Glück habe ich mich dann doch noch besonnen und meine gestutzten Flügel benutzt. Die Landung war alles andere als gelungen, du siehst ja wie ich aussehe, aber immer noch besser als tot, oder doch nicht. Du bist das erste lebende Tier seit langem, das ich hier antreffe, deshalb habe ich dich auch angesprochen, dies hätte ich mich früher bei so einem Adlervogel nicht getraut“, berichtet das Huhn. „Ich muss dort hin, ich muss dort hin“, sinniere ich so vor mich hin. „Kannst du mir den Weg zeigen? Ich muss zu diesem Speicher, das ist meine einzige Hoffnung.“ „Ich kenne den Weg, aber du musst mich mitnehmen.“ „Was, dich mitnehmen? Meine Kräfte sind fast aufgebraucht, ich bin müde und schwach, jedes Kilo weniger ist besser, also zeig mir den Weg.“ „Mach ich nicht, mach ich nicht“, gackert das Huhn. „Am angenehmsten wäre, dich im Magen zu tragen, ich hätte eine Nahrung und bräuchte dich nicht zu halten, und du könntest bequem liegen und wärst alle Sorgen los.“ „Gut, dann friss mich einfach, dann wirst du nie deine Geliebte finden“, entgegnet das Hendl, dreht sich um und marschiert los. „Verstehst wohl keinen Spaß, du verrückter Mistscharrer. Schon gut, ich nehme dich mit, vielleicht kann ich dich dann als Brathuhn verspeisen, auch nicht schlecht.“ „Aua!“, das Huhn rahmt mir seinen Pecker in die Kniescheibe, „damit spaßt man in solchen Zeiten nicht.“ Schwerfällig erhebe ich mich, breite meine Schwingen weit aus, mache ein paar Dehnungsübungen, beginne mit den Flügeln zu schlagen, werde immer schneller, und mit dem nächsten Schlag erhebe ich mich vom Boden, im folgenden Ruck ergreife ich den Hühnervogel im Nacken und ziehe ihn mit hinauf in die Lüfte. Wir steigen und steigen und schweben auf einmal über den Bergen dahin. Trotz Ballast kommt mir jetzt alles leichter vor, ich habe wieder mehr Energie und Kraft. „Juchhuu!“, ruft das Huhn unter mir, „genauso habe ich mir das vorgestellt, das Fliegen, was man von hier alles sehen kann, mein erster Flug und gleich am Airbag, nicht schlecht“, gackert der Nichtflieger. „Schrei nicht herum, zeigt mir lieber die Bahn.“ „Siehst du den Rauch hinter dieser Gebirgsgruppe? Dort muss es sein.“ „Ei, ei, Kapitän“, Richtung Süd-Südwest ändere ich den Kurs, voller Freude, aber vor allem voller Hoffnung. Wieder kommt mir Femina in den Sinn. „Hat sie es wirklich bis hierher geschafft? Doch was ist mit ihr passiert? Warum gibt sie kein Zeichen?“ Solche und ähnliche Gedanken gehen durch meinen Kopf. In meinem Inneren höre ich plötzlich eine Stimme: „Du musst aufpassen, Fred, du musst dein Federkleid schließen … schließe dein Federkleid!“ Und wieder verhallt die Stimme. Ich gebe nicht auf und ich habe keine Angst, außerdem bin ich so stur, keiner zieht mich in seinen Bann. Zielstrebig geht es voran ins Ungewisse, an meinen Krallen hängt ein zerrupftes Huhn, wahrscheinlich auf seinem ersten und auch letzten Flug. „Was kann mir schon passieren? Femina, wo bist? Gibt mir ein Zeichen, ich bin gekommen um dich zu retten!“

Die Gewissheit

Die Thermik wird schwächer. Es ist windstill, kein Geräusch ist zu hören. Irgendwie unheimlich füllt es sich an. Wir gleiten langsam dahin, ab und zu ein paar Flügelschläge, damit wir die Balance halten können, aber sonst fühlt es sich an wie ein Landeanflug ins Nichts. Plötzlich gackert das Huhn: „Wir sind da, siehst du, unter uns ist der große Speicher, er ist der Sender oder der Empfänger. Alles liegt unter Dach, oder besser gesagt unter einer Kuppel!“ Wir müssen näher ran, ich gehe eine Spur tiefer. Jetzt erkenne ich es auch, der Speicher ist eine große Glaskuppel, unter der sich viele Punkte tummeln, doch außerhalb ist alles still und ruhig. Keine Bewegung, kein Zeichen von Leben Sogar die Bäume stehen wie dürre Säulen da, als stammen sie aus einer anderen Zeit, vielleicht der Urzeit. „Bist du schwindelfrei?“, geht meine Frage in Richtung Huhn. Empört kommt die Antwort zurück: „Ja, was glaubst du, wo wir Hühner jeden Tag schlafen? Auf einer Stange natürlich, und diese Stange ist vom Boden abgehoben und oft mehrere Meter hoch, also setze mich auf diesem Ast ab, ich will nicht auf den Boden, wer weiß, was dort so herum liegt.“ „Gut“, mit einem Schwung schleudere ich den frechen Vogel in die Luft und öffne meine Krallenstarre, sodass er leicht und sanft auf dem Ast landen kann, denn ob er wirklich fliegen kann, weiß ich nicht. Ich ziehe noch eine große Runde, gebe die Flügel in Landeposition und setze mit einem kurzen Bremser auch auf dem Ast auf. Durch mein Gewicht beginnt dieser zu schwingen. Bei mir denke ich so: „Hoffentlich bricht er nicht ab, denn dürre Äste haben keine Spannung und Zähigkeit mehr.“ Zum Glück hält dieser dicke Ast mein Gewicht aus, und als das Schwingen aufhört, sitzen wir ganz ruhig darauf.

Schweigend hocken wir eine Weile nebeneinander und beobachten bzw. begutachten die Lage. Keiner traut sich etwas zu sagen, bis schließlich ich die Stille durchbreche und sage: „Es ist unheimlich hier!“ Nickend stimmt mir das Huhn zu. „Hast du sie gesehen?“ „Ja, ich habe es gesehen.“ Mein Schnabel bleibt offen. Mit meinem Adlerblick durchleuchte ich alle. So viele tote Vögel und Tiere habe ich noch nie gesehen. In ihren Augen leuchtet die Starre der Angst. Durcheinander liegen sie da, als wären sie einfach so vom Baum gefallen. „Weißt du, woran sie gestorben sind, und wovor sie so viel Angst hatten?“ „Nein“, wackelt das kleine Federvieh mit dem Kopf, „aber eines weiß ich, es kommt von den menschlichen Wesen dort in der Glaskuppel. Warum sind sie nicht tot, warum sind sie geschützt?“ „Für ein Huhn hast du eine gute Kombinationsgabe“, versuche ich ein wenig Spaß in die Situation zu bringen. „Hast du sie schon entdeckt?“, fragt das Huhn weiter. „Wen entdeckt, meine Femina?“ gebe ich zurück. „Ja, sicher, deine Femina.“ „Nein“, und eine Träne kullert mir über die Gesichtsfedern. „Ich darf nicht zweifeln, ich werde sie finden, sie ist klug und schnell und wird sich in Sicherheit gebracht haben“, denke ich bei mir. „Ich werde weitersuchen“, spreche ich zum Federgockel hinüber, und springe auf den nächsten Baum. „Du bleibst hier und behältst die Lage im Auge, und solltest du etwas bemerken, dann hämmerst du gegen den Stamm, so gut es dein Schnabel zulässt.“ „Ei, ei, Kapitän“, kommt die Antwort abrupt zurück. Mein Blick schweift über den Boden, auch zwischen den Bäumen hindurch, welche den Speicher umgeben. Ich stelle meine Augen auf den Röntgenblick ein, damit ich ja nichts übersehen kann, wie im Zeitraffer rückt mein Blick Schnitt um Schnitt nach. Ja, im Beobachten bin ich gut, das lernt man als Adler um zu überleben, doch hier die Kadaver zu sehen, jagt mir einen Schauer über den Rücken. Ich muss es wegschalten, ich darf nichts herankommen lassen. Einfach nur fokussiert auf das Ziel, und das heißt Femina. Ich weiß genau, wie sie aussieht. Wie jeder Kaiseradler ist sie braungefiedert mit einem weißen Muster darin. Doch sie ist die Schönste unter den Adlern, denn sie hat auf der Brust eine weiß gezeichnete Krone, die ihr majestätischen Charakter verleiht. Ihr Schnabel leuchtet in der Sonne goldgelb, und die Greifer sind zart, aber zäh und nervig durchzogen. Wie ich mir Femina so in Gedanken vorstelle, höre ich plötzlich ein Klopfen. Es muss das Huhn sein. Schnell erhebe ich mich und flattere zurück zum Ausgangsbaum. „Was ist los?“, frage ich aufgeregt. „Es ist wieder da, spürst du es nicht?“ „Was ist da?“, bemerke ich unwissend. „Na, die Energie, die Strahlung oder so. Sie werden uns umbringen, meine Nerven beben ich glaube, ich zerplatze innerlich“, beginnt das Huhn auf und ab zu springen. „Bring uns fort“, schreit es aufgeregt, „bring uns weit fort, ich will nicht mit den anderen dort unten verrotten.“ Jetzt spür ich es auch, es durchdringt den Körper und versetzt die Zellen in Schwingung, die Temperatur steigt, ich koche, ich habe eine innere Aggression. „Was soll ich tun, wo soll ich hin, wie kann ich mich schützen?“ Da ist auf einmal wieder die Stimme, welche mir zuruft: „Schließ dein Federkleid, lass es nicht durchströmen, steck auch den Kopf hinein und plustere dich auf, das ist deine einzige Chance.“ Ich schaue auf den zerrupften Vogel, packe ihn beim Genick, stecke ihn unter den linken Flügel, meinen Kopf stecke ich rechts hinein, und die Krallen ramme ich in das Holz unter mir, schalte dabei auf Schockstellung ohne Entriegelung. Es wird heißer, immer heißer, mein Blut kocht, doch ich lasse die Außenluft unter mein Federkleid und blase mich auf, es hilft, es hilft wirklich, es ist eine leichte Entspannung. „Du musst durchhalten, halte durch!“, ruft mir die Stimme zu. „Denke an den blauen Himmel und an die Sonne, und bade und schwebe darin, immer weiter, immer weiter.“ Ich versuche es, doch trotzdem ist es unerträglich, ich kann bald nicht mehr, meine Kräfte lassen nach. Wild schnaufe ich, mein Puls rotiert, und die Atemzüge sind unkontrolliert. Ich kann nicht mehr und will schon die Krallensperre auflassen, damit wir uns in die Tiefe stürzen können, da ist es auf einmal weg. Aus und vorbei, als wäre es nie da gewesen. Wie ein Schalter, den man umlegt. Langsam öffne ich meine Augen und blicke herum. Es hat sich nichts verändert, alles beim Alten: die dürren Bäume, die toten Kadaver, ich kann auch das Licht im Speicher sehen, und das Getümmel der menschlichen Wesen dort. Etwas zwickt mich an der Rippe. „Du kannst mich raus lassen“, höre ich ein leises Piepsen, „oder soll ich hier ersticken?“ „Du lebst auch noch“, umflügle ich den kleinen Vogel. „Kannst du mich jetzt bitte absetzen?“, schaut mich dieser an. Sofort gebe ich ihn frei. Er schüttelt sich, und sagt nur: „Jetzt haben wir aber Glück gehabt!“

„Was ist das nur, was beherrscht die Welt?“ „Ich weiß es nicht“, antwortet das Huhn, doch „wir müssen fort, noch einen Angriff überleben wir nicht.“ „Du hast Recht“, gebe ich zurück, „doch ich fliege nicht ohne Femina, da sterbe ich lieber, denn ohne sie macht alles keinen Sinn.“ „Dann such sie doch, und dann nichts wie Abflug“, gackert er frech zurück. Ich richte mich auf, strecke die Flügel aus und hebe ab. Langsam schwebe ich über den Glasspeicher, alles im Auge, alles im Blick. Ich bin jetzt ganz nah an der Scheibe und schaue nach unten. Da sitzen sie, die Menschen vor kleineren und größeren Kasten, während die einen wie wild durch die Hallen laufen und Informationen überbringen. Plötzlich zeigt einer mit seiner Zeigekralle auf mich. Sie haben mich entdeckt, jetzt sehen es die anderen auch, fast erstaunt blicken sie zu mir herauf. Dann laufen sie wild durcheinander, es ertönt eine Sirene. Sofort drehe ich um, doch auf einmal sehe ich einen Vogel am Boden liegen, eine weiße Krone leuchtet mir entgegen. „Femina, da bist du ja!“ Wie ein Geier im Sturzflug durchbreche ich das Glas, es bricht und Scherben fliegen nur so umher. Ich steuere auf Femina zu, packe sie und erhebe mich wieder. Mit aller Kraft suche ich wieder das Loch, durchbreche es nochmals und steige empor zum Licht, zum Baum. „Hier bin ich!“, höre ich jemanden rufen. Es ist das verrückte Huhn. Mit meinem Schnabel packe ich ihn im Genick und hebe weiter ab. Mit ganzer Kraft lasse ich meine Flügel arbeiten und fliege einfach drauf los. „Nichts wie weg von hier“, geht es mir durch den Kopf. Ich fliege und fliege und glaube es zu schaffen, mit einem Mal setzt der Flügelschlag aus, ein Krampf in den Muskeln verhindert das Weiterschlagen. Wir verlieren an Höhe, mit letzter Kraft versuche ich, die Flügel ausgebreitet zu halten, damit wir wenigstens gleiten können. Mein Gefühl sagt mir aber, dass wir schneller werden. „Ich werde nicht nachgeben“, spreche ich zu mir selbst – in diesem Moment schlagen wir auf!

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