Kitabı oku: «Persönlichkeit», sayfa 2
Wenn wir sagen, daß die Kunst es nur mit persönlichen Wahrheiten zu tun hat, so wollen wir damit nicht die philosophischen Ideen ausschließen, die scheinbar abstrakt sind. Sie sind ganz heimisch in unsrer indischen Dichtung, da sie mit allen Fasern unsres persönlichen Wesens verbunden sind. Ich möchte hier ein Beispiel zur Erklärung geben. Das Folgende ist die Übersetzung eines indischen Liedes, das eine Dichterin des Mittelalters gedichtet hat und das das Leben besingt.
Ich grüße das Leben, das wie das keimende Saatkorn
Mit dem einen Arm hinauf in das Licht, mit dem andern hinab in das Dunkel greift;
Das Leben, das eins ist in seiner äußern Form und in seinem innern Saft;
Das Leben, das immer wieder emportaucht und immer wieder entschwindet.
Ich grüße das Leben, das kommt, und das Leben, das scheidet;
Ich grüße das Leben, das sich offenbart, und das in Verborgenheit schlummert;
Ich grüße das Leben, das wie der Berg in reglosem Schweigen gebannt ist,
Und das Leben, das wie ein Feuermeer auftobt;
Das Leben, das zart ist wie ein Lotus, und das Leben, das hart ist wie Donnerkeil.
Ich grüße das Leben des Geistes, um das Licht und Dunkel sich streiten.
Ich grüße das Leben, das seine Heimstatt gefunden, und das Leben, das draußen in der Fremde irrt;
Das Leben, das freudejauchzend dahintanzt, und das Leben, das leidmüde seine Straße schleicht;
Das ewig schaukelnde Leben, das die Welt zur Ruhe wiegt,
Das tiefe, stille Leben, das hervorbricht in brausenden Wogen.
Diese Idee vom Leben ist keine bloße logische Abstraktion; sie ist der Dichterin ebensosehr lebendige Wirklichkeit wie die Luft dem Vogel, der sie bei jedem Flügelschlag fühlt. Die Frau hat das Geheimnis des Lebens in ihrem Kinde tiefer gespürt, als der Mann es je gekonnt. Diese Frauennatur in der Dichterin hat gefühlt, wie überall in der Welt das Leben sich regt. Sie hat seine Unendlichkeit erkannt — nicht auf dem Wege verstandesmäßiger Überlegung, sondern durch die Erleuchtung ihres Gefühls. Daher wird dieselbe Idee, die für den, dessen Lebensgefühl auf eine enge Sphäre beschränkt ist, bloße Abstraktion bleibt, für einen Menschen mit weitem Lebensgefühl leuchtend klare Wirklichkeit. Wir hören oft, daß die Europäer den indischen Geist als metaphysisch bezeichnen, weil er immer bereit ist, sich ins Unendliche aufzuschwingen. Aber man muß dabei bedenken, daß das Unendliche für Indien mehr ist als ein Gegenstand philosophischer Spekulation; es ist uns ebensosehr Wirklichkeit wie das Sonnenlicht. Wir können ohne es nicht leben, wir müssen es sehen und fühlen und unserm Leben einverleiben. Daher begegnen wir ihm immer wieder in der Literatur und in der Symbolik unsres Gottesdienstes. Der Dichter der Upanischad sagt: „Auch nicht das leiseste Sichregen von Leben wäre möglich, wenn nicht der Raum von unendlicher Freude erfüllt wäre [3] .“ Diese Allgegenwart des Unendlichen war ebenso wirklich für ihn wie die Erde unter seinen Füßen, ja sie war es noch mehr. Ein Lied eines indischen Dichters aus dem 15. Jahrhundert [4] gibt diesem Gefühl Ausdruck:
Dort wechseln Leben und Tod in rhythmischem Spiel,
Dort sprudelt Entzücken und strahlt der Raum von Licht,
Dort ertönt die Luft von Musik, dem Liebeschor dreier Welten,
Dort brennen Millionen Lampen von Sonnen und Monden,
Dort schlägt die Trommel und schwingt sich die Liebe im Spiel,
Dort erklingen Lieder der Minne, und Licht strömt in Schauern herab.
Unsre indische Dichtung ist zum größten Teil religiös, weil Gott für uns kein ferner Gott ist. Er ist uns ebenso nahe in unserm Heim wie in unsern Tempeln. Wir fühlen seine Nähe in allen menschlichen Beziehungen der Liebe und Freundschaft, und bei unsern Festen ist er der Ehrengast. In der Blütenpracht des Frühlings, in den Gewitterschauern des Sommers, in der Früchtefülle des Herbstes sehen wir den Saum seines Mantels und hören seine Tritte. Wo immer wir wahrhaft verehren, verehren wir Ihn; wo immer wir wahrhaft lieben, lieben wir Ihn. Im Weibe, das gut ist, fühlen wir Ihn; im Mann, der wahr ist, erkennen wir Ihn; in unsern Kindern wird er immer wieder geboren, Er, das Ewige Kind. Daher sind religiöse Lieder unsre Liebeslieder, und unsre häuslichen Erlebnisse wie die Geburt eines Sohnes oder die Einkehr der Tochter aus dem Hause des Gatten ins Haus der Eltern und ihr erneutes Scheiden haben in der Dichtung symbolische Bedeutung erhalten.
So erstreckt sich das Gebiet der Dichtkunst bis in die Sphäre, die in geheimnisvolles Dunkel gehüllt ist, und gibt ihr Licht und Sprache. Es gewinnt immer mehr Raum, wie der menschliche Geist auf dem Gebiete der Wahrheit. Es greift nicht nur in die Geschichte, in die Naturwissenschaft und Philosophie über, sondern auch in unser soziales Leben, in dem Maße, wie sich unser Bewußtsein weitet und unsre Umgebung liebend und verstehend umfaßt. In der klassischen Literatur der alten Zeit gab es nur Heilige, Könige und Helden. Sie warf ihr Licht nicht auf die Menschen, die im Dunkel liebten und litten. Aber wie das Licht des menschlichen Geistes seinen Schein über einen immer größeren Raum wirft und in verborgene Winkel dringt, so geht auch die Kunst über ihre Schranken hinaus und dehnt ihre Grenzen in unerforschte Gebiete aus. So verkündet die Kunst des Menschen Siegeszug über die Welt, indem sie Symbole von Schönheit aufrichtet an Orten, wo sonst keine Stimme ertönt und keine Farbe leuchtet. Sie webt ihm sein Banner, unter dem er vorwärtsschreitet im Kampf gegen Leere und Trägheit und weit und breit in Gottes Schöpfung die Rechte des Lebens geltend macht. Selbst der Geist der Wüste hat seine Verwandtschaft mit ihm anerkannt, und die einsamen Pyramiden stehen da als Denkmäler des erhabenen Schweigens, in dem sich die Natur und der menschliche Geist begegneten. Das Dunkel der Höhlen hat der Menschenseele seine Stille gegeben und ist dafür heimlich mit dem Kranz der Kunst gekrönt. Glocken läuten in Tempeln, in Dörfern und volkreichen Städten und verkünden, daß das Unendliche dem Menschen keine bloße Leere ist. Dies Sichausbreiten der menschlichen Persönlichkeit hat keine Grenze, und selbst die Märkte und Fabriken unsrer Zeit, selbst die Gefängnisse, in die man Verbrecher einsperrt, und die Schulen, in die man Kinder einsperrt, werden durch die Berührung der Kunst gemildert und verlieren etwas von ihrer unerbittlichen Lebensfeindlichkeit. Denn des Menschen Persönlichkeit ist immer bestrebt, allem, wozu sie nähere Beziehung hat, den Stempel ihres Geistes aufzudrücken. Und die Kunst ist der grüne Pflanzenwuchs, der zeigt, wie weit der Mensch sich die Wüste zu eigen gemacht hat.
Wir haben schon gesagt, daß überall, wo die Beziehung unsres Herzens zur Welt über das Notwendige hinausgeht, Kunst geboren wird. Mit andern Worten: wo unsre Persönlichkeit ihren Reichtum fühlt, entfaltet sie sich in Schönheit. Was wir für unsre Bedürfnisse brauchen, wird ganz verbraucht und hinterläßt keine Spur. Was über sie hinausgeht, nimmt Gestalt an. Bloße Nützlichkeit gleicht der Hitze, sie ist dunkel. Wenn sie über sich hinausgeht, wird sie weiß und leuchtend, dann hat sie ihren Ausdruck gefunden.
Nehmen wir zum Beispiel unsre Freude am Essen. Sie ist bald erschöpft, sie gibt uns keine Ahnung von dem Unendlichen. Daher hat sie, obwohl sie allgemeiner und weiter verbreitet ist als irgendeine andre Leidenschaft, im Reich der Kunst keinen Zutritt. Da geht es ihr wie dem Einwanderer an der amerikanischen Küste, wenn er mit leerem Beutel kommt.
In unserm Leben haben wir eine endliche Seite, wo wir uns mit jedem Schritt ganz ausgeben, und wir haben eine andre Seite, wo unser Streben, unsre Freude und unsre Opfer unendlich sind. Diese unendliche Seite des Menschen offenbart sich in Symbolen, die etwas von dem Wesen der Unsterblichkeit haben. In ihnen sucht sie Vollendung zum Ausdruck zu bringen. Daher verschmäht sie alles, was nichtig und schwach und widersinnig ist. Sie erbaut sich zum Wohnsitz ein Paradies und wählt dazu nur solche Baustoffe, die die Vergänglichkeit des Irdischen abgestreift haben.
Denn die Menschen sind Kinder des Lichts. Sobald sie sich ganz erkennen, fühlen sie ihre Unsterblichkeit. Und in dem Maße, wie sie sie fühlen, dehnen sie das Reich der Unsterblichkeit auf jedes Gebiet des menschlichen Lebens aus.
Und das ist nun der Beruf der Kunst: die wahre Welt des Menschen, die lebendige Welt der Wahrheit und Schönheit, aufzubauen.
Der Mensch ist ganz er selbst, wo er seine Unendlichkeit fühlt, wo er göttlich ist, und das Göttliche ist das Schöpferische in ihm. Daher ist er schöpferisch, sobald er zu seinem wahren Wesen gelangt. Er kann wahrhaft in seiner eigenen Schöpfung leben, indem er aus Gottes Welt seine eigene Welt macht. Das ist in Wahrheit sein eigener Himmel, der Himmel zur Vollendung gestalteter Ideen, mit denen er sich umgibt; wo seine Kinder geboren werden, wo sie lernen, wie sie leben und sterben, lieben und kämpfen müssen, wo sie lernen, daß das Wirkliche nicht nur das äußerlich Sichtbare ist und daß es andre Reichtümer gibt als die Schätze der Erde. Wenn der Mensch nur die Stimme hören könnte, die aus dem Herzen seiner eigenen Schöpfung aufsteigt, würde er dieselbe Botschaft vernehmen, die in alter Zeit der indische Weise verkündete:
„Hört auf mich, ihr Kinder des Unsterblichen, ihr Bewohner der himmlischen Welten, ich habe den Höchsten erkannt, der als Licht von jenseits der Finsternis kommt [5] .“
Ja, es ist der Höchste, der sich dem Menschen offenbart hat und durch den dieses ganze Weltall für ihn mit persönlichem Leben erfüllt ist. Daher sind Indiens Pilgerstätten dort, wo unser Herz in der Vereinigung von Strom und Meer oder im ewigen Schnee der Bergesspitzen oder in der Einsamkeit des Seegestades etwas von dem Wesen des Unendlichen spürt. Dort hat der Mensch in seinen Bildnissen und Tempeln dies Wort hinterlassen: „Hört auf mich, ich habe den Höchsten erkannt.“ Erforschen können wir ihn nicht, nicht in den Dingen dieser Welt, noch in ihren Gesetzen; doch wo der Himmel blau ist und das Gras grün, wo die Blume ihre Schönheit und die Frucht ihren Wohlgeschmack spendet, wo nicht nur der Wille zur Erhaltung der Gattung, sondern Freude am Leben und Liebe zu allen Wesen, Mitgefühl und Selbstverleugnung herrscht, dort offenbart sich uns der Unendliche. Dort prasseln nicht nur Tatsachen auf uns nieder, sondern wir fühlen, wie das Band persönlicher Verwandtschaft unsre Herzen ewig mit dieser Welt verbindet. Und dies ist Wirklichkeit, ist Wahrheit, die wir uns zu eigen gemacht haben, Wahrheit, die ewig eins mit dem Höchsten ist. Diese Welt, deren Seele sehnsüchtig nach Ausdruck sucht in dem endlosen Rhythmus ihrer Linien und Farben, Musik und Bewegung, in leisem Flüstern und heimlichen Winken und all den Versuchen, das Unaussprechliche ahnen zu lassen, — diese Welt findet ihre Harmonie in dem unaufhörlichen Verlangen des menschlichen Herzens, in seinen eigenen Schöpfungen den Höchsten zu offenbaren.
Dieses Verlangen macht uns verschwenderisch mit allem, was wir haben. Solange wir Reichtümer ansammeln, legen wir uns Rechenschaft ab von jedem Pfennig; wir rechnen genau und handeln sorgfältig. Aber sobald wir unserm Reichtum Ausdruck geben wollen, kennen wir keine Schranken mehr. Ja, niemand unter uns hat Reichtümer genug, um das, was wir unter Reichtum verstehen, voll zum Ausdruck zu bringen. Wenn wir versuchen, unser Leben gegen den Angriff des Feindes zu schützen, sind wir vorsichtig in unsern Bewegungen. Aber wenn wir uns getrieben fühlen, unsrer persönlichen Tapferkeit Ausdruck zu geben, so nehmen wir freiwillig Gefahren auf uns, wenn es uns auch das Leben kostet. Im Alltagsleben sind wir vorsichtig mit unsern Ausgaben, aber bei festlichen Gelegenheiten, wenn wir unsre Freude ausdrücken, sind wir so verschwenderisch, daß wir selbst über unsre Mittel hinaus gehen. Denn wenn wir uns unsrer eigenen Persönlichkeit intensiv bewußt sind, haben wir kein Auge mehr für die Tyrannei der Tatsachen. Wir sind maßvoll und zurückhaltend dem Menschen gegenüber, mit dem uns nur Klugheitsinteresse verbindet. Aber wir fühlen, daß alles, was wir haben und geben können, für die noch nicht genug ist, die wir lieben. Der Dichter sagt zu der Geliebten: „Mir ist, als sei ich vom Anfang meines Daseins an in den Anblick deiner Schönheit versunken gewesen, als hätte ich dich seit Jahrtausenden in meinen Armen gehalten, und doch ist meine Sehnsucht noch nicht gestillt.“ „Die Steine möchten in Zärtlichkeit schmelzen, wenn der Saum deines Mantels sie streift.“ Er fühlt, daß „seine Augen wie Vögel ausfliegen möchten, um die Geliebte zu sehen.“ Vom Standpunkt der Vernunft aus sind dies Übertreibungen, aber vom Standpunkt des Herzens aus, das von den Schranken der Tatsachen befreit ist, sind sie wahr.
Ist es nicht ebenso in Gottes Schöpfung? Dort sind Kraft und Stoff auch bloße Tatsachen; sie können gemessen und gewogen werden, und es wird genau Buch über sie geführt. Allein die Schönheit ist keine bloße Tatsache; sie läßt sich nicht verrechnen, sie läßt sich nicht auf ihren Wert abschätzen und verzeichnen. Sie ist Ausdruck. Tatsachen sind die Becher, die den Wein halten, er verdeckt und überrinnt sie. Die Schönheit ist unendlich in ihren Kundgebungen und überschwänglich in ihrer Sprache. Und nur die Seele, nicht die Wissenschaft, kann diese Sprache verstehen. Sie singt wie jener Dichter: „Mir ist, als sei ich vom Anfang meines Daseins an in den Anblick deiner Schönheit versunken gewesen, als hätte ich dich seit Jahrtausenden in meinen Armen gehalten, und doch ist meine Sehnsucht noch nicht gestillt.“
So sehen wir, daß unsre Welt des Ausdrucks der Welt der Tatsachen nicht genau entspricht, da die Persönlichkeit nach allen Richtungen über die Tatsachen hinausgeht. Sie ist sich ihrer Unendlichkeit bewußt und schafft aus ihrem Überfluß heraus, und da in der Kunst die Dinge nach ihrem Ewigkeitswert gemessen werden, verlieren die, die im gewöhnlichen Leben wichtig sind, ihre Wirklichkeit, sobald sie auf das Piedestal der Kunst erhoben werden. Der Zeitungsbericht von irgendeinem häuslichen Ereignis im Leben eines Geschäftsmagnaten ruft vielleicht in der Gesellschaft große Aufregung hervor, doch im Reich der Kunst verliert er alle seine Bedeutung. Wenn er dort durch irgendeinen grausamen Zufall neben Keats' „Ode auf eine griechische Urne“ geriete, müßte er in Scham sein Gesicht verbergen.
Und doch könnte dasselbe Ereignis, wenn es in seiner Tiefe erfaßt und seiner konventionellen Oberflächlichkeit entkleidet würde, noch eher einen Platz in der Kunst finden als die Unterhandlungen über eine große chinesische Geldanleihe oder die Niederlage der britischen Diplomatie in der Türkei. Ein bloßes Familienereignis, die Eifersuchtstat eines Gatten, wie Shakespeare sie in einer seiner Tragödien schildert, hat im Reich der Kunst größeren Wert als die Kastenordnung in Manus Gesetzbuch [6] oder das Gesetz, das den Bewohner des einen Weltteils hindert, auf einem andern menschlich behandelt zu werden. Denn wenn Tatsachen nichts als die Glieder einer Kette von Tatsachen sind, weist die Kunst sie zurück.
Wenn jedoch solche Gesetze und Verordnungen, wie ich sie eben erwähnte, uns in ihrer Anwendung auf einen bestimmten Menschen gezeigt werden, wenn wir die ganze Ungerechtigkeit und Grausamkeit und das ganze Elend, das sie im Gefolge haben, sehen, dann werden sie ein Gegenstand für die Kunst. Die Anordnung einer großen Schlacht mag eine wichtige Tatsache sein, aber für den Zweck der Kunst ist sie unbrauchbar. Aber was diese Schlacht einem einzelnen Soldaten bringt, der von seinen Lieben losgerissen, auf Lebenszeit verkrüppelt wird, das hat für die Kunst, die es mit der lebendigen Wirklichkeit zu tun hat, den höchsten Wert.
Des Menschen soziale Welt gleicht einem Nebelsternsystem; sie besteht zum größten Teile aus abstrakten Begriffen wie: Gesellschaft, Staat, Nation, Handel, Politik und Krieg. Im dichten Nebel dieser Begriffe ist der Mensch verborgen und die Wahrheit verwischt. Die ganz unbestimmte Idee des Krieges allein schon verdeckt unserm Blick eine Menge von Elend und trübt unsern Wirklichkeitssinn. Die Nation ist schuld an Verbrechen, die uns entsetzen würden, wenn man einen Augenblick den Nebel um sie verscheuchen könnte. Die Idee Gesellschaft hat zahllose Formen von Sklaverei geschaffen, die wir nur dulden, weil sie unser Gefühl für die menschliche Persönlichkeit abgestumpft hat. Und im Namen der Religion konnten Taten verübt werden, für die die Hölle selbst nicht Strafen genug haben kann, weil sie fast den ganzen fühlenden Leib der Menschheit mit einer gefühllos machenden Kruste von Glaubensbekenntnissen und Dogmen überzogen hat. Überall in der Menschenwelt leidet die Gottheit darunter, daß die lebendige Wirklichkeit des Menschen unter der Last von Abstraktionen erstickt wird. In unsern Schulen verbirgt der Begriff Klasse die Individualität der Kinder, sie werden nur Schüler. Wir empfinden es gar nicht mehr, wenn wir sehen, wie das Leben der Kinder in der Klasse erdrückt wird, wie Blumen, die man in einem Buch preßt. In der Regierung hat die Bureaukratie es nur mit Klassenbegriffen und nicht mit Menschen zu tun, und so verübt sie unbedenklich Grausamkeiten im großen. Sobald wir einen wissenschaftlichen Grundsatz wie den der „natürlichen Auslese“ als Wahrheit anerkennen, verwandelt er sofort die ganze Welt der menschlichen Persönlichkeit in eine trostlose Wüste von Abstraktionen, wo alle Dinge furchtbar einfach werden, weil sie ihres Lebensgeheimnisses beraubt sind.
Auf diesen weiten Nebelstrecken erschafft die Kunst ihre Sterne. Durch sie erkennen wir uns als Kinder des Unsterblichen und als Erben der himmlischen Welten.
Was ist es, das dem Menschen trotz der unleugbaren Tatsache des Todes doch die Gewißheit der Unsterblichkeit gibt? Es ist weder seine physische noch seine geistige Organisation. Es ist jene innere Einheit, jenes letzte Geheimnis in ihm, das aus dem Zentrum seiner Welt nach allen Seiten ausstrahlt, das in seinem Körper und in seinem Geiste ist und doch über beide hinausgeht, das sich durch alle Dinge, die ihm gehören, offenbart und doch etwas anderes ist als sie; das seine Gegenwart füllt und die Ufer seiner Vergangenheit und Zukunft überflutet. Es ist die Persönlichkeit des Menschen, die sich ihrer unerschöpflichen Fülle bewußt ist, die den scheinbaren Widerspruch in sich trägt, daß sie mehr ist als sie selbst, mehr als von ihr sichtbar und erkennbar ist. Und dies Unendlichkeitsbewußtsein im Menschen strebt immer nach unvergänglichem Ausdruck und sucht sich die ganze Welt zu eigen zu machen. Die Werke der Kunst sind Grüße, die die menschliche Seele dem Höchsten als Antwort sendet, wenn er sich uns durch die dunkle Welt von Tatsachen hindurch in einer Welt unendlicher Schönheit offenbart.
DIE WELT DER PERSÖNLICHKEIT
„DIE Nacht ist ein dunkles Kind, das eben vom Tag geboren ist. Millionen von Sternen stehen dicht gedrängt um seine Wiege und beobachten es, regungslos, damit es nicht aufwacht.“
So will ich fortfahren, aber die Naturwissenschaft unterbricht mich lachend. Sie nimmt Anstoß an meiner Behauptung, daß die Sterne stillstehen.
Doch wenn ich mich irre, so bin nicht ich schuld daran, sondern die Sterne selbst. Es ist ganz offenbar, daß sie stillstehen. Es ist eine Tatsache, die sich nicht wegdisputieren läßt.
Allein die Wissenschaft hat nun einmal die Gewohnheit, zu disputieren. Sie sagt: „Wenn du meinst, daß die Sterne stillstehen, so beweist dies nur, daß du zu weit von ihnen entfernt bist.“
Ich antworte prompt: „Wenn ihr sagt, daß die Sterne umherrasen, so beweist das nur, daß ihr ihnen zu nahe seid.“
Die Naturwissenschaft ist erstaunt über meine Verwegenheit.
Aber ich bleibe hartnäckig bei meiner Behauptung und sage, daß, wenn die Naturwissenschaft sich die Freiheit nimmt, den Standpunkt der Nähe zu wählen und den der Ferne zu mißachten, sie mich nicht tadeln darf, wenn ich den entgegengesetzten Standpunkt einnehme und die Glaubwürdigkeit der Nähe bezweifle.
Die Naturwissenschaft ist unerschütterlich überzeugt, daß der Anblick aus der Nähe der zuverlässigste ist.
Aber ich zweifle, ob sie in ihren Ansichten konsequent ist. Denn als ich sicher war, daß die Erde unter meinen Füßen flach sei, da belehrte sie mich eines Bessern, indem sie mir sagte, daß der Anblick aus der Nähe nicht das richtige Bild gäbe und daß man Abstand nehmen müsse, um zur vollkommenen Wahrheit zu gelangen.
Ich will ihr gern zustimmen. Denn sehen wir nicht an uns selbst, daß wir, wenn wir unserm Ich zu nahe bleiben, es mit den Augen der Selbstsucht sehen und eine flache und isolierte Ansicht von uns gewinnen, aber wenn wir über uns hinausgehen und uns in andern sehen, so erhalten wir ein rundes und zusammenhängendes Bild, das uns unser wahres Wesen zeigt?
Aber wenn die Naturwissenschaft überhaupt glaubt, daß der Abstand von den Dingen uns ein richtigeres Bild von ihnen gibt, so muß sie auch ihren Aberglauben von der Ruhelosigkeit der Sterne aufgeben. Wir Kinder der Erde gehen in die Schule der Nacht, um einen Blick auf die Welt als Ganzes zu werfen. Unser großer Meister weiß, daß wir den vollen Anblick des Weltalls ebensowenig ertragen könnten wie den Anblick der Mittagssonne. Wir müssen sie durch ein geschwärztes Glas sehen. Die gütige Natur hält das dunkle Glas der Nacht vor unsre Augen und läßt uns das Weltall aus der Ferne sehen. Und was ist es, was wir sehen? Wir sehen, daß die Welt der Sterne stillsteht. Denn wir sehen diese Sterne in ihrer Beziehung zueinander, und sie erscheinen uns wie Ketten von Diamanten um den Hals einer schweigenden Gottheit. Aber die Astronomie reißt wie ein neugieriges Kind einen einzelnen Stern von der Kette los und stellt dann fest, daß er umherrollt.
Wem soll man nun glauben? Die Glaubwürdigkeit der Sternenwelt kommt nicht in Frage. Man braucht nur seine Augen aufzuheben und ihnen ins Antlitz sehen, so muß man ihnen glauben. Sie bringen keine scharfsinnigen Beweisgründe vor, und das erscheint mir immer als bester Beweis der Zuverlässigkeit. Sie geraten nicht außer sich, wenn man ihnen nicht glaubt. Aber wenn ein einzelner von diesen Sternen von der Tribüne des Weltalls heruntersteigt und der Mathematik verstohlen sein Geheimnis ins Ohr flüstert, so sehen wir, daß die Sache sich ganz anders verhält.
Daher wollen wir kühn behaupten, daß beide Aussagen gleich wahr sind. Laßt uns annehmen, daß die Sterne auf der Ebene des Abstands stillstehen und auf der Ebene der Nähe sich bewegen. Auf die eine Weise angesehen, sind die Sterne in Wahrheit regungslos und auf die andere in Bewegung. Nähe und Ferne sind die Hüter zweier verschiedener Reihen von Tatsachen, aber beide sind einer Wahrheit untertan. Wenn wir daher uns auf Seite der einen stellen und die andere schmähen, so verletzen wir die Wahrheit, die beide umfaßt.
Von dieser Wahrheit sagt die Ischa-Upanischad [7] : „Sie bewegt sich. Sie bewegt sich nicht. Sie ist fern. Sie ist nahe.“
Der Sinn ist der: Wenn wir die Wahrheit in ihren einzelnen Teilen, die uns nahe sind, verfolgen, so sehen wir sie sich bewegen. Wenn wir die Wahrheit von einem gewissen Abstand aus als Ganzes überblicken, so steht sie still. Es ist, wie wenn wir ein Buch lesen: alles in ihm ist in Bewegung, so lange wir den Inhalt von Kapitel zu Kapitel verfolgen, doch wenn wir damit fertig sind, wenn wir das ganze Buch kennen, steht es still und umfaßt zugleich alle Kapitel in ihren gegenseitigen Beziehungen.
Es gibt im Geheimnis des Daseins einen Punkt, wo Gegensätze sich vereinen, wo Bewegung nicht nur Bewegung und Ruhe nicht nur Ruhe ist, wo Idee und Form, Inneres und Äußeres eins werden, wo das Unendliche endlich wird, ohne seine Unendlichkeit zu verlieren. Wenn diese Einheit aufgehoben ist, verlieren die Dinge ihr wahres Wesen.
Wenn ich ein Rosenblatt durch ein Mikroskop betrachte, sehe ich es ausgedehnter als es mir gewöhnlich erscheint. Je mehr ich seine Ausdehnung vergrößere, um so unbestimmter wird es, bis es im unendlichen Raum weder ein Rosenblatt noch sonst etwas ist. Es wird erst ein Rosenblatt, wo das Unendliche in einem bestimmten Raum Endlichkeit wird. Wenn wir die Grenzen dieses Raumes weiter oder enger ziehen, so beginnt das Rosenblatt seine Wirklichkeit zu verlieren.
Wie mit dem Raum, so ist es auch mit der Zeit. Wenn ich durch irgendeinen Zufall die Schnelligkeit der Zeit in bezug auf das Rosenblatt steigern könnte, indem ich, sagen wir, einen Monat in eine Minute verdichtete, während ich selbst dabei auf meiner normalen Zeitebene bliebe, so würde es mit solcher rasenden Geschwindigkeit vom Punkt des ersten Erscheinens bis zum Punkt des Verschwindens eilen, daß ich nicht imstande wäre, es wahrzunehmen. Wir können sicher sein, daß es Dinge in dieser Welt gibt, die andre Geschöpfe wahrnehmen, aber die für uns nicht da sind, da ihre Zeit der unsern nicht entspricht. Unsre Geruchsnerven halten nicht Schritt mit denen des Hundes, daher existieren viele Erscheinungen für uns gar nicht, die ein Hund als Geruch wahrnimmt.
Wir hören zum Beispiel von mathematischen Wunderkindern, die in unglaublich kurzer Zeit schwierige Aufgaben ausrechnen. Ihr Geist arbeitet in bezug auf mathematische Berechnungen auf einer andern Zeitebene nicht nur als unserer, sondern auch als ihrer eigenen in den übrigen Lebensgebieten. Es ist, als ob der mathematische Teil ihres Geistes auf einem Kometen lebte, während die andern Teile Bewohner dieser Erde sind. Daher ist der Vorgang, durch den sie zu ihrem Resultat kommen, nicht nur uns unsichtbar, sondern auch sie selbst sehen ihn nicht.
Es ist eine ganz bekannte Tatsache, daß unsre Träume oft in einem Zeitmaß dahinfließen, das ganz verschieden von dem unsres wachen Bewußtseins ist. Fünfzig Minuten der Sonnenuhr unsres Traumlandes sind vielleicht fünf Minuten unsrer Stubenuhr. Wenn wir von dem Terrain unsres wachen Bewußtseins aus diese Träume beobachten könnten, so würden sie wie ein Schnellzug an uns vorbeirasen. Oder wenn wir vom Fenster unsrer schnell dahinfliehenden Träume aus die langsamere Welt unsres wachen Bewußtseins beobachten könnten, so würde sie mit großer Geschwindigkeit hinter uns zurückzuweichen scheinen. Ja, wenn die Gedanken, die sich in andern Hirnen bewegen, offen vor uns lägen, so würden wir sie anders wahrnehmen als jene selbst, da unser geistiges Zeitmaß ein anderes ist. Wenn wir den Maßstab unsrer Zeitwahrnehmung nach Belieben vergrößern oder verkleinern könnten, so würden wir den Wasserfall stillstehen und den Fichtenwald wie einen grünen Niagara schnell dahinrauschen sehen.
So ist es fast ein Gemeinplatz, wenn wir sagen, die Welt ist das, als was wir sie wahrnehmen. Wir bilden uns ein, unser Geist sei ein Spiegel, der mehr oder weniger genau das zurückwirft, was sich draußen ereignet. Im Gegenteil, unser Geist selbst ist der eigentliche Schöpfer. Während ich die Welt beobachte, erschaffe ich sie mir unaufhörlich selbst in Zeit und Raum.
Die Ursache der Mannigfaltigkeit der Schöpfung ist, daß der Geist die verschiedenen Erscheinungen in verschiedener zeitlicher und räumlicher Einstellung wahrnimmt. Wenn er die Sterne in einem Raum sieht, den man bildlich als dicht bezeichnen könnte, so sind sie nahe beieinander und bewegungslos. Wenn er die Planeten sieht, so sieht er sie in weit geringerer Raumdichtigkeit, und da erscheinen sie weit voneinander entfernt und in Bewegung. Wenn wir die Moleküle eines Eisenstückes in einem ganz andern Raum sehen könnten, so würden wir sehen, wie sie sich bewegen. Aber da wir die Dinge in ihren bestimmten Raum- und Zeitmaßen sehen, ist Eisen für uns Eisen, Wasser ist Wasser und Wolken sind Wolken.
Es ist eine ganz bekannte psychologische Tatsache, daß durch Änderung unsrer geistigen Einstellung Gegenstände ihr Wesen zu verändern scheinen; was uns angenehm war, wird uns zuwider, und umgekehrt. In einem gewissen Zustande der Verzücktheit haben die Menschen in der Kasteiung ihres Fleisches Genuß gesucht. Die außerordentlichen Leiden der Märtyrer scheinen uns übermenschlich, weil wir die geistige Haltung, unter deren Einfluß man sie ertragen, ja ersehnen kann, noch nicht an uns erfahren haben. In Indien hat man oft gesehen, daß Fakire über glühendes Eisen gingen, wenn solche Fälle auch wissenschaftlich noch nicht untersucht sind. Man kann verschiedener Meinung sein über die Wirksamkeit der Glaubensheilung, die den Einfluß des Geistes auf die Materie zeigt, aber seit den frühesten Zeiten haben Menschen an sie geglaubt und danach gehandelt. Unsre sittliche Erziehung gründet sich auf die Tatsache, daß durch unsre veränderte geistige Einstellung unsre Perspektive, ja in gewisser Hinsicht die ganze Welt eine andre wird, worin alles einen andern Wert bekommt. Daher wird das, was für einen Menschen wertvoll ist, solange er sittlich unentwickelt ist, schlimmer als wertlos für ihn, wenn er zu einer höhern Sittlichkeit gelangt.
Walt Whitman zeigt in seinen Gedichten eine große Geschicklichkeit, seinen geistigen Standpunkt zu wechseln und damit seiner Welt eine neue und von der der andern Menschen verschiedene Gestalt zu geben, indem er die Verhältnisse der Dinge umordnet und ihnen dadurch eine ganz neue Bedeutung gibt. Solche Beweglichkeit des Geistes wirft alle Konventionen über den Haufen. Daher sagt er in einem seiner Gedichte:
Ich höre, man macht mir den Vorwurf, ich wolle die Institutionen zerstören.
Doch was sind mir Institutionen?
Was habe ich mit ihnen zu schaffen, und was sollte mir ihre Zerstörung?
Nur eine Institution gibt es, die ich gründen will,
In dir, Mannahatta, und in jeder Stadt dieser Staaten, im Binnenlande und an der Küste,
In Feldern und Wäldern und auf der See, über jedem Kiel, der ihre Wasser durchschneidet;
Ich will sie gründen ohne Haus, ohne Hüter und ohne Satzungen:
Die Institution treuer Bruderliebe.
Solide Institutionen von massivem Bau lösen sich in der Welt dieses Dichters in Dunst auf. Sie ist wie eine Welt von Röntgenstrahlen, für die manche festen Dinge als solche nicht bestehen. Dagegen hat die Bruderliebe, die in der gewöhnlichen Welt etwas Fließendes ist, wie die Wolken, die über den Himmel hinziehen ohne eine Spur zurückzulassen, in der Welt des Dichters mehr Festigkeit und Dauer als alle Institutionen. Hier sieht er die Dinge in einer Zeit, wo die Berge wie Schatten dahinschwinden und wo die Regenwolken mit ihrer scheinbaren Vergänglichkeit ewig sind. Hier erkennt er, daß die Bruderliebe wie die Wolken, die keines festen Fundamentes bedürfen, Halt und Dauer hat, ohne Haus, ohne Hüter und ohne Satzungen.
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