Kitabı oku: «Memory House», sayfa 5

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KAPITEL 5
Beck

„Holiday!“, rief Lieutenant Ingram mit müder und angespannter Miene von seiner Bürotür aus, die Hände in die Hüften gestemmt.

Als Beck ihren Schreibtisch verließ, machte sie sich auf den Einlauf ihres Lebens gefasst. Danach würde sie dann ihre Bombe zünden und sich vor den Splittern in Deckung bringen.

Sie hatte hin und her überlegt, ob sie es ihm sagen sollte, denn schließlich brauchte er mit der ganzen Sache ja gar nichts zu tun haben, aber ihr Zustand würde Auswirkungen auf ihre Zukunft in der Abteilung haben, ihr vielleicht – wenn sie Glück hatte – ein bisschen Sympathie einbringen, nachdem sie einen bereits festgenommenen und in Handschellen gelegten Täter geschlagen hatte.

„Mach die Tür zu“, sagte er und nutzte seinen Schreibtisch als Barriere zwischen ihnen. „Kannst du mir mal sagen, was eigentlich mit dir los ist? Du hast einen Tatverdächtigen geschlagen und dann auch noch einfach deinen Dienst verlassen? Der Captain hat mich deshalb schon in die Mangel genommen, von wegen Pflichtvergessenheit und so weiter.“

„Es war eine harte Nacht“, sagte sie, ohne ihn anzusehen. Der nachlassende Adrenalinschub bewirkte, dass sie immer wieder leicht zitterte.

„Harte Nacht? Beck, ich habe gesehen, wie du sterbende Menschen im Arm gehalten hast und voller Blut warst, und eine Stunde später schon wieder Drogendealer in dunklen Hinterhöfen verfolgt hast. Vor zwei Jahren hast du dir das Handgelenk gebrochen, als du mit der Frau gerungen hast, die mit einem Baseballschläger auf ihren Mann losgegangen war. Du hast dich im Krankenhaus behandeln lassen und bist danach sofort wieder zur Arbeit gekommen.“ Er beugte sich vor, um ihr ins Gesicht zu sehen. „Du musst mir schon einen besseren Grund liefern als eine ,harte Nacht‘.“ Hunter Ingram war nicht nur ihr Chef, sondern auch ihr Freund und ganz kurz war er sogar mehr als das gewesen, denn sie waren eines Nachts … nun ja – in einem Abstellraum in Rosie’s Bar gelandet.

„Es ging mir nicht gut und Boudreaux hatte diesen Hund …“

„Deshalb hast du ihn geschlagen?“

Sie blickte jetzt auf und stützte die Hände auf ihrem Gürtel ab. „Ja, ich habe ihn geschlagen. Er hatte es verdient und es tut mir nicht leid. Er hat dem Hund Crack in einem Beutel eingeflößt. Wie oft haben wir ihn schon festgenommen, nur um ihn vierundzwanzig Stunden später wieder freizulassen? Das wertet unsere Arbeit völlig ab, Hunter.“

„Aber du kannst doch keinen Tatverdächtigen in Handschellen vermöbeln, Beck.“ Hunter kam jetzt hinter dem Schreibtisch hervor und fuhr fort: „Besonders dir, die immer lehrbuchmäßig unterwegs ist, sollte das doch klar sein.“

„Hast du nicht zugehört, was er mit dem Hund gemacht hat? Der arme kleine Kerl hatte solche Schmerzen, dass ich ihn kaum berühren konnte. Er war halb tot und roch nach Exkrementen und Erbrochenem.“ Sie wandte sich mit verschränkten Armen von ihm ab und schaute zur Tür. „Das war zu viel – einfach zu viel. Und als Boudreaux dann noch gesagt hat, dass er sich den Hund eigentlich zum Abendessen grillen wollte, bin ich ausgerastet.“

„Ich hoffe, das war es wert“, sagte er zu Beck, die ihn jetzt wieder ansah. „Du bist nämlich suspendiert und zwar vier Wochen ohne Gehaltszahlung.“

„Vier Wochen?“ Sie wirbelte herum, um ihn anzusehen. „Was zum …“, und dann kamen ein paar ausgesuchte obszöne Worte über ihre Lippen. „Ohne Bezahlung? Tuttle ist wegen Alkoholkonsums in der Öffentlichkeit festgenommen worden und hat nur zwei Wochen bekommen – mit Bezahlung.“

„Das waren noch andere Zeiten, Beck. Das hier kommt von ganz oben, vom Polizeipräsidenten der New Yorker Polizei. Null Toleranz bei allem, was auch nur ansatzweise nach Polizeigewalt riecht.“

„Hör mal, Hunter, ich wusste ja, dass da irgendwas kommen würde, denn ich kenne schließlich die Vorschriften, aber Parker Boudreaux ist im Revier einschlägig als Drogendealer bekannt. Er hat schon so vielen Leute geschadet. Viel schlimmer als ich ihm mit dem einen …“

„… oder zweien“, ergänzte der Lieutenant, der eindeutig Bescheid wusste über die Details.

„Oder die zwei, die ich ihm verpasst habe.“

„Und dann hast du dich einfach aus dem Job entfernt.“

„Um ein Lebewesen zu retten, einen süßen, unschuldigen Hund. Ich kann nicht nachvollziehen, wieso ich dafür vier Wochen ohne Gehalt bekommen soll. Ich möchte jetzt meinen Gewerkschaftsvertreter dabeihaben.“

„Der hat deine Suspendierung schon unterschrieben“, erklärte Hunter nur trocken. „Hogan hat die Ereignisse bestätigt, nachdem die Eltern des Jungen sich einen Anwalt genommen und Anzeige wegen Polizeigewalt erstattet haben. Wir haben die Aufnahmen von seiner und auch von deiner Body-Cam.“

„Das ist doch völlig verrückt, Hunter, und das weißt du auch. Boudreaux ist ein Mistkerl. Wer weiß, welches unschuldige ausgesetzte Tier er als Nächstes in sein Versteck lockt? Wenn das hier irgendein PR-Gag ist, warum erzählen wir dann nicht mal ganz New York von dieser reichen Göre von der Upper West Side, die ihr Leben vertut und Hunde quält, häh? Wie viele Familien gehen kaputt durch das Zeugs, das er verkauft und wie viele Leben enden deshalb viel zu früh? Jeder in dieser Stadt wäre auf meiner Seite.“

Hunter griff nach einer Ausgabe der New York Post und sagte: „Wenn du an dein Handy gehen würdest, dann wüsstest du, dass die Boudreaux’ sich schon an die Presse gewandt haben.“

Auf der Titelseite der Zeitung prangten ein Foto von Beck und die Schlagzeile:

POLIZEIGEWALT: ANGRIFF GEGEN SOHN EINES PROMINENTEN GESCHÄFTSMANNES AUS MANHATTAN

„Das soll wohl ein Witz sein“, sagte sie wütend und schleuderte die Zeitung zurück zu Hunter. „Ich dachte, seine Eltern wären gute Menschen.“

„Und ich dachte, du wärst eine gute Polizistin. Boudreaux zu schlagen, egal, was er getan hat …“

„Ein wehrloses Tier, Hunter.“ Ohne dass sie es wollte, kamen ihr jetzt die Tränen. „Ich dachte, wir sollen schützen und bewahren. Du hättest den kleinen Hund sehen sollen. Er war völlig verfilzt und hatte schreckliche Schmerzen.“ Beck hob die eine Hand und fuhr fort: „Seine … Tränen sind genau hier hin getropft.“

„Hunde weinen nicht so wie Menschen“, widersprach ihr Hunter.

Da ging sie auf ihn los und sagte: „Wenn ich dir doch sage, dass er geweint hat …“

Mit erhobenen Händen trat er ein Stückchen zurück. „Okay, okay, ist ja schon gut, ich hab ja gar nicht gewusst, dass du wegen eines Hundes so emotional werden kannst. Oder wegen überhaupt etwas …“

Beck wandte sich ab. Das waren die Babyhormone – sie mussten es sein. „Vier Wochen ohne Bezahlung also?“

„Ja. Wir haben die Anklagepunkte gegen Boudreaux mit Auflagen fallen lassen. Er muss sich einem Drogenentzug und anschließend einer Therapie unterziehen. Dadurch ist dann zumindest sein Kontakt zu Vinny erst mal für eine Weile unterbunden. Aber um zu verhindern, dass die Familie Anzeige gegen dich erstattet, mussten wir dich suspendieren.“

„Drogenentzug und Therapie? Das ist doch für ihn das reinste Vergnügen. Urlaub in einem Luxushotel, wo er dann in der Therapie die Schuld für alles auf seine Eltern schieben kann. In sechs Wochen entlassen sie ihn dann mit Sternchen und schicken ihn wieder raus auf die Straße.“ Beck fluchte und trat so heftig gegen Hunters Birkenfeige, dass der Topf der Pflanze gegen die Wand prallte. „Wer hat eigentlich in dieser Stadt das Sagen? Reiche Geschäftsleute? Seit Jahren versuchen wir jetzt schon, Vinny festzusetzen, und Boudreaux war unsere große Chance. Wir hatten ihn. Wieso hat der Staatsanwalt ihn nicht vor die Alternative gestellt, entweder gegen Vinny auszusagen oder selbst ein Strafverfahren zu bekommen? Das wäre mal eine Strategie gewesen.“

„Weil Boudreaux den Polizeigewalt-Trumpf im Ärmel hatte“, beantwortete Hunter ihre Frage und füllte Wasser in einen kleinen Pappbecher aus dem Wasserkühler in der Ecke und bot ihn Beck an. „Dieser Zwischenfall kommt in deine Akte, Beck. Das heißt, dass du ein Jahr auf Bewährung bist, wenn du wiederkommst.“

„Das ist so ein Blödsinn“, erklärte sie und trank das Wasser in einem Zug aus.

„Und jedes weitere Dienstvergehen würde zu deiner Entlassung aus dem Polizeidienst führen“, fuhr Hunter fort.

Sie zerknüllte den Pappbecher und pfefferte ihn in den Mülleimer. „Dann bin ich also der Prügelknabe.“

„Sie statuieren ein Exempel an dir. Inoffiziell bin ich wahrscheinlich mit allem einverstanden, was du getan hast, aber du hast dir leider den falschen Zeitpunkt dafür ausgesucht. Der Polizeichef der New Yorker Polizei möchte gern unseren Ruf in der Stadt und eigentlich auf der ganzen Welt verbessern.“

Daraufhin nahm Beck ihre Dienstwaffe aus dem Holster, holte die Dienstmarke aus der Tasche und warf beides auf Hunters Schreibtisch. Darauf zu warten, dass er ihr beides abnahm, wäre eine zu tiefe Demütigung für sie gewesen.

„Geh nach Hause und ruh dich aus, Beck. Du siehst nicht gut aus. Mir tut das alles wirklich sehr leid“, sagte er und sowohl seine Miene als auch sein Tonfall drückten echtes Mitgefühl aus.

Doch Beck ging nicht, sondern ließ sich auf einen der Stühle gegenüber von seinem Schreibtisch fallen, den Kopf auf die Hände gestützt und sagte nur matt: „Ist ja nicht deine Schuld.“

Hunter war fünfzehn Jahre älter als sie, selbstsicher, sah gut aus und war deshalb ein Aushängeschild für das New York Police Department. Er lief Marathons, arbeitete ehrenamtlich in einem örtlichen Boys Club mit, und auf dem Sideboard in seinem Büro standen Bilder von seiner lächelnden schönen Frau Gaynor, an deren Miene zu erkennen war, wie sehr sie ihren Mann schätzte und liebte.

Beck schämte sich jetzt unendlich und hatte heftige Schuldgefühle für das, was geschehen war, und sie hätte ohne Weiteres eine einjährige Suspendierung ohne Gehalt auf sich genommen, wenn sie es dadurch hätte ungeschehen machen können – und die mittlerweile kaum noch zu übersehenden Folgen.

„Was willst du denn mit dem Monat anfangen, in dem du nicht arbeitest?“

Beck verschränkte die Arme vorm Körper und fühlte sich unsicher ohne ihre Polizeiausrüstung, Dienstmarke und Dienstwaffe. Wer war sie überhaupt, wenn sie nicht Polizistin war?

„Ich habe gerade erfahren, dass ich ein Haus geerbt habe – und zwar ausgerechnet in Florida.“

„Ein Haus?“, fragte Hunter. „Von wem denn?“

„Von einer alten Dame, mit der meine Familie früher gut bekannt war.“

„Damals in der Zeit, die du vergessen hast?“

„Ja, so ähnlich.“ Sie stand auf und kämpfte gegen eine Welle von Verzweiflung und Übelkeit an.

Hunter war einer der wenigen im neunten Revier, die über ihren Gedächtnisverlust Bescheid wussten. Sie hatte es nicht mehr länger verbergen können, als er versucht hatte, mit ihr Erinnerungen an ihren Vater auszutauschen.

„Bevor ich auch nur sagen konnte: ,Halt, Polizei!‘, hatte er diesen riesigen betrunkenen Kerl schon auf dem Boden fixiert.“

„Wo denn in Florida? Du weiß ja, dass Vinny Kontakte in den Norden von Florida hat, oder? Du könntest doch da runterfahren und verdächtige Aktivitäten beobachten“, sagte er leise lachend, worauf Becky nur einen knurrenden Laut ausstieß und entgegnete: „Ich bin suspendiert, schon vergessen?“

„Ich finde, du solltest dir das Haus anschauen, diesen düsteren Ort hier mal für ein paar Wochen vergessen und dem Winter entfliehen.“

„Vielleicht. Aber in meiner Vorstellung ist das Haus eine heruntergekommene Bruchbude, in der neunzehn streunende Katzen hausen. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob das Testament überhaupt gültig ist.“

„Rede mit den Kollegen da unten und lass sie ein bisschen recherchieren.“

„Noch mal, ich bin suspendiert.“ Ihr Sarkasmus linderte ihren Schmerz ein wenig.

Was sollte sie denn bloß vier Wochen lang dort mit sich allein anfangen? Wenn sie nichts zu tun hatte, womit sie den Tag herumbringen konnte, würde sie sich den Tatsachen stellen müssen. Sie war im sechsten – im sechsten Monat – schwanger.

Beck schaute unauffällig zu Hunter hinüber und begann: „Also es gibt da etwas, das ich dir noch sagen muss, Hunter. Jedenfalls glaube ich, dass ich es dir sagen sollte.“

In dem Moment klopfte es so heftig, dass die ganze Tür vibrierte und Sergeant Anstruther kam hereingepoltert. „Ach, Holiday“, sagte er und legte den Kopf auf die Seite, als versuchte er, so etwas wie Mitgefühl vorzutäuschen. „Ich hab gehört, du hast Boudreaux eine verpasst.“

„Verzieh dich gefälligst“, sagte sie, sprang auf, schlug ihm die Tür vor der Nase zu und klemmte ihm dabei fast die Finger ein.

„Was ist denn bloß los mit dir, Beck?“, fragte Hunter irritiert, riss die Tür wieder auf und wies Anstruther an, in ein paar Minuten noch einmal wiederzukommen.

„Ich bin schwanger“, sagte sie und ließ sich auf dem Stuhl zurückfallen.

„Du bist …“ Er wurde kreidebleich und verlor fast das Gleichgewicht. „Wie bitte?“

„Ich bin schwanger.“ Dieses Mal kam ihr Geständnis sehr leise.

„W… wie … kannst du denn … W… wer ist der Va…?“

Sie warf ihm einen schiefen Blick zu und er stolperte rückwärts in seinen Aktenschrank. Er war der Vater.

Schon seit einem Jahr flirteten sie völlig harmlos miteinander. Im Sommer waren sie dann nach einem fehlgeschlagenen Undercover-Einsatz noch in Rosie’s Bar gegangen, hatten getrunken, ihre Wunden geleckt, getanzt und geflirtet und dann noch mehr getrunken, und … na ja.

Sie löschte das Bild von ihnen beiden, eng umschlungen in einem Abstellraum, rasch wieder aus ihrem Kopf.

„Das ist fünf Monate her“, sagte er mit gerunzelter Stirn, während sein Blick gleichzeitig zu ihrer Körpermitte wanderte. „Bist du sicher?“

Beck verschränkte ihre Finger miteinander und nickte. „Ganz sicher.“

„Beck, meine Frau …“ Er zog sie vom Stuhl hoch. „Wieso hast du nichts dagegen …?“

„Ich?“, entgegnete sie heftig. „Also wenn ich mich richtig erinnere, war ich in der Abstellkammer nicht allein.“

„Aber du hast gesagt, es könnte nichts passieren.“

„Hab ich das? Ich kann mich nicht erinnern, dass einer von uns sich die Zeit genommen hätte, die Verhütungsfrage zu erörtern. Wir waren beide betrunken, Hunter.“

Er fuhr sich mit der einen Hand durchs Gesicht. „W… was sollen wir denn jetzt machen? Meine Frau, sie ist … ich kann nicht …“, sagte er und ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen. „Sie weiß von dem Abend im Rosie’s. Ich konnte es ihr einfach nicht mehr verschweigen, weil unsere Ehe auf Vertrauen beruht und …“

„Du hast es ihr gesagt? Oh, mein Gott! Es war doch nur ein Mal. Eine dummes, unbedachtes Mal.“

„Ich habe es ihr gesagt, weil sie mich eines Abends mit ihren großen, braunen Augen angesehen und mich gefragt hat, was ich zu unserem Hochzeitstag gern unternehmen möchte, und alles, was ich gehört habe, war Betrüger, Betrüger, Betrüger.“

„Dann hast du ihr also das Herz gebrochen, um dein Gewissen zu erleichtern?“

„Nachdem sie mich aus dem Bett geboxt hat …“

„Die Frau gefällt mir.“

„… haben wir die ganze Nacht geredet. Wir haben die Probleme in unserer Ehe zu lange einfach ignoriert und wussten, dass wir Hilfe brauchten. Ob du’s glaubst oder nicht, aber sie hat mir verziehen.“

Daraufhin sah Beck ihn lange an und sagte schließlich: „Aber wird sich das nicht ändern, wenn sie von dem Baby erfährt?“

„Ich weiß es nicht. Ich habe ihr versichert, dass du nicht …“ Es folgte ein weiterer tiefer Seufzer. „Es wird sie zerstören. Du hast ja keine Ahnung.“

„Dann sag’s ihr nicht. Ich krieg das auch allein hin.“

„Ach ja? Wirklich? Du bist gerade für vier Wochen suspendiert, Beck. Du stehst am Rande des Abgrunds. Du wohnst noch bei deinen Eltern. Bist du sicher …“

Sie sprang so heftig und abrupt auf, dass der Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, umkippte. „Ausgerechnet du willst mich über mein Leben belehren?“, fragte sie. „Darauf kann ich echt verzichten.“ Dann salutierte sie ironisch vor ihm und ging zur Tür.

„Warte“, sagte er da und stellte sich ihr in den Weg. „Wie …wie willst du denn das allein schaffen?“

„Ich weiß es nicht. Das ist wahrscheinlich eine der Fragen, über die ich während meiner Suspendierung nachdenken kann.“

„Dieses Baby ist nicht nur dein Problem, sondern auch meins, Beck. Wenn dir das nicht klar wäre, hättest du es mir doch gar nicht gesagt.“

„Ich weiß nicht, warum ich es dir gesagt habe.“

„Weil ich Vater werde“, antwortete er, fluchte, zog sein Jackett aus und lockerte seine Krawatte. „Also, wie ist der Plan?“

„Na ja, da das Zurückdrehen der Zeit keine Option ist …“

„Ich habe so etwas davor noch nie gemacht. Ich meine, sie zu betrügen“, erklärte er, legte die Hand auf seine Brust und atmete in kurzen, hastigen Stößen. „Der Captain wird mich …“

„Es braucht doch niemand zu erfahren, Hunter. Ich habe vor zu sagen, dass es von einem Ex-Freund ist.“

„Du brauchst mich nicht zu decken, Beck.“

„Das tue ich nicht für dich, sondern für mich, Hunter. Meinst du, ich will den Ruf bekommen, dass ich mit Vorgesetzten schlafe? Ich habe so etwas auch noch nie gemacht.“

„Und was ist mit dem Baby? Hat es nicht ein Recht darauf zu erfahren, wer sein Vater ist?“

„In einer perfekten Welt schon. Aber die hier ist ja offensichtlich alles andere als perfekt. Ich kümmere mich schon um die Sache, Hunter.“ Erneut versuchte sie, die Tür zu erreichen, aber er rührte sich nicht von der Stelle.

„Lass mich wissen, was du brauchst, Beck. Ich versuche, für dich da zu sein. Warst du schon beim Arzt?“

„Ich habe am 3. einen Termin.“

„Hältst du mich auf dem Laufenden?“

Ihre Blicke begegneten sich und sie sah seine Schuldgefühle, sah, wie leid es ihm tat, dass er seiner Frau – und dem Baby – so viel Leid zufügte.

„Ich glaube, du überlässt die ganze Angelegenheit am besten mir. Ich komme schon zurecht. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob ich will, dass das Kind bei mir aufwächst. Ich überlege, ob ich es vielleicht zur Adoption freigebe.“

„Adoption? Bist du sicher?“

„Nein, sicher bin ich nicht, aber es gibt in der ganzen Sache gar nichts, was sich sicher oder richtig anfühlt.“

Da trat Hunter zur Seite und Beck ging ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei durch den Mannschaftsraum davon. Vorbei an den Schreibtischen, die überliefen von Aktenbergen und leeren Kaffeebechern, vorbei an Detectives und Sergeants und den Leuten, die Innendienst hatten.

Im Umkleideraum zog sie sich um, verließ das Revier und trat hinaus auf die dunklen, belebten Straßen der Stadt. Sie ging die Treppe zur U-Bahn hinunter und fühlte sich eins mit den schwarzen Schatten und den fast leeren Wagen, die unter der Stadt entlangrasten, die niemals schläft.


KAPITEL 6
Everleigh

Mai 1953

Sie wachte spät auf und reckte und streckte sich im Vormittagssonnenlicht, das durch das Schlafzimmerfenster hineinschien.

Rhetts Seite des Bettes war schon leer und das Laken kühl unter ihrer Hand. Er war immer schon vor Sonnenaufgang auf den Beinen. Das Leben eines Ranchers war arbeitsreich.

Sie schob ihre Lockenpracht zurück, die ihr ins Gesicht fiel, und schaute zum anderen Ende des kleine Raumes auf den Blumenstrauß, den er ihr gestern geschenkt hatte, bevor sie in die Kirche gefahren waren.

„Zu deinem ersten Muttertag.“

Mama Applegate hatte über Rhetts Verschwendung nur ein leises Schnauben übriggehabt und die Bemerkung: „Man sieht es ja noch nicht einmal.“

Aber Rhett hatte sein Handeln energisch verteidigt. „Wenn es einen nicht zur Mutter macht, schwanger zu sein, dann weiß ich nicht, was es sonst tut.“

Danach war seine Mutter etwas weicher geworden, denn schließlich erwartete Everleigh ihr erstes Enkelkind. Das verlieh ihr etwas mehr Bedeutung in der starken texanischen Familie.

Sie stand auf und ließ ihren Blick über die schier endlose Ranch der Applegates schweifen. Irgendwo da draußen war er. Ihr Mann.

Seit sie ihm gesagt hatte, dass sie schwanger sei, arbeitete Rhett tagsüber auf der Ranch und abends an den Plänen für das Haus.

In der nächsten Woche wollte der Bauunternehmer mit den Erdarbeiten beginnen. Everleigh legte ihre Finger auf ihren lächelnden Mund.

Es wurde wirklich also etwas daraus. Sie bekamen ihr eigenes Haus. Wenn sie noch glücklicher wäre, würde sie wahrscheinlich platzen. War es richtig, dass eine einzige Frau so viel Liebe und Freude empfand?

Als es leise an der Tür klopfte, griff sie nach ihrem Morgenmantel, aber Mama Applegate stand schon im Zimmer, ohne auf ihr „Herein“ zu warten und zupfte an ihren weißen Spitzenhandschuhen.

„Wie geht es dir, Liebes?“

„Danke, gut. Immer noch keine Morgenübelkeit.“ Everleigh zog den Gürtel ihres Bademantels enger und sah sich nach ihren Hausschuhen um. Montags hatte sie bei Kestner’s frei und Rhett bestand darauf, dass sie sich ausruhte. Aber als Frau eines Ranchers und als Schwiegertochter von Heidi Applegate war das Herumliegen purer Luxus, denn es gab immer etwas zu tun.

„Dann kannst du wirklich von Glück reden. Bei mir war die morgendliche Übelkeit wirklich die Hölle. Na ja, auf dem Küchentresen stehen Salzstangen – für alle Fälle.“

Ihre Schwiegermutter sah sie dabei mit einem Maß an Mitgefühl an, das sie bisher noch nicht bei ihr erlebt hatte. Es war eine Art Zärtlichkeit, die ausdrückte, dass ihr klar war, was es bedeutete, neues Leben auf diese Welt zu bringen.

„Ich muss ein paar Besorgungen in der Stadt machen. Wenn du so weit bist, dann füttere doch bitte die Hühner und jäte im Garten Unkraut.“

„Gut, das mach ich.“

„Ich werde nicht rechtzeitig zum Lunch wieder da sein, also bediene dich. Spike und Rhett sind vor ungefähr einer Stunde auch in die Stadt gefahren, um sich dort mit einem neuen Züchter zu treffen, der anscheinend einen Tag früher in der Stadt ist als geplant. Rhett lässt dir ausrichten, dass du bitte den Katalog durchschauen sollst, den er dir gegeben hat. Er möchte heute Abend gern die restlichen Baumaterialien aussuchen.“ Mrs. Applegate wollte gerade die Tür wieder schließen, hielt dann aber noch einmal inne und sagte: „Und pass auf dich auf, ja? Halte auch einen Mittagschlaf, wenn du ihn brauchst.“

„Das mache ich. Gegen Mittag werde ich tatsächlich immer etwas müde.“

Die Augen der Älteren glänzten, als sie nickte und ein ganz klein wenig errötete. „Ich erinnere mich … ach ja, und kannst du bitte die Kartoffeln und Karotten fürs Abendessen schälen? Und die Äpfel für den Pie? Den Teig habe ich schon heute Morgen zubereitet und ihn in den Kühlschrank gelegt.“ Einen Moment lang blieb Mama Applegate noch in der Tür stehen und sagte dann noch: „Lass uns doch beim Abendessen heute das erste Applegate Enkelkind feiern.“ Sie ließ ihren Blick noch einmal durch das vollgestopfte Jugendzimmer ihres Sohnes schweifen und bemerkte: „Du bist bestimmt froh, wenn du hier rauskommst, das weiß ich. So … aber ich mach mich jetzt mal lieber auf den Weg … Ach ja, Spike hat heute Morgen einen von den Welpen abgegeben. Jetzt sind nur noch vier übrig. Ich habe ihm gesagt, dass dieser Wurf der niedlichste ist, den Lola je gehabt hat, und dass ich überlege, auch selbst einen zu behalten.“ Dann legte sie den Zeigefinger auf die Lippen. „Aber pst, lass das erst mal unser Geheimnis bleiben, ja?“

Daraufhin verschloss Everleigh mit einem imaginären Schlüssel ihren Mund, ihre Schwiegermutter lächelte, und die beiden hatten noch einen liebevollen gemeinsamen Moment, bevor die Ältere sich ein zweites Mal verabschiedete und die Zimmertür schloss.

Als sie weg war, nahm Everleigh ein Bad, zog sich an und wischte dann mit einem von Rhetts schmutzigen T-Shirts erst auf den Nachttischen und dann auf dem alten Schreibtisch am Fenster Staub, wo er sich jeden Abend mit den Bauplänen für das Haus beschäftigte.

„Ich liebe dieses Haus immer mehr“, sagte er, als er ins Bett kam und sich neben sie kuschelte, um ihren Bauch zu streicheln, bevor er dann das Licht ausschaltete. „Was meinst du, mein Sohn? Möchtest du in dem Haus in der Memory Lane aufwachsen?“

„Halt! Was ist denn, wenn es ein Mädchen ist? Sie wird glauben, dass du sie nicht magst.“

Dann küsste Rhett sie und sagte: „Sie wird mir wertvoll wie mein Augapfel sein.“

Everleigh zuckte zusammen, als sich in ihrem Bauch etwas regte. Spürte sie gerade zum ersten Mal das Kind? Der Arzt hatte gesagt, es sei noch zu früh, um Kindsbewegungen zu spüren, aber vielleicht ließ ihr Kind sie ja wissen, dass er oder sie unbedingt in dem herrlichen neuen Haus leben wollte, wo sie Erinnerungen schaffen würden – von Essen im Familienkreis, Brettspielen vor dem Zubettgehen, von Geburtstagen und Feiertagen, warmem Kaminfeuer im Winter und selbst gemachtem Eis im Sommer.

So, jetzt aber genug der Tagträumerei. Es wartete Arbeit auf sie, die erledigt werden musste. Sie band sich noch rasch ein Tuch um den Kopf und ging dann nach unten.

Als Erstes nahm sie die Küche in Angriff. Sie machte die Pfanne sauber, in der Mama Applegate zum Frühstück immer Eier und Speck für die Männer briet. Außer Rhett und seinem Vater arbeiteten noch Onkel Floyd, Cousin Mike und drei Angestellte auf der Ranch, und Mama Applegate und Tante Millie wechselten sich beim Zubereiten vom Frühstück und Lunch ab.

Als Nächstes schälte sie Kartoffeln, Karotten und Äpfel und naschte dabei ein paar Apfelspalten als verspätetes Frühstück. Dann nahm sie den Teig aus der Kühlkiste und ging anschließend gleich nach draußen, um die Gartenarbeit zu erledigen.

Als sie den Hühnerstall sauber gemacht, Unkraut gejätet und mit den Welpen gespielt hatte, hielt sie ein kleines Nickerchen auf der Bank unter den Pappeln, und dann war es auch schon nach zwölf Uhr und sie hatte Hunger.

Im Haus nahm sie eine Scheibe Brot aus dem Brotkasten, und als sie kurz darauf aus dem Fenster schaute, sah sie, wie sich am sonnigen Himmel jetzt Wolkenberge auftürmten. Wie sie es liebte, wenn am Nachmittag ein Regenschauer niederging!

Nach dem Lunch wollte sie noch einmal mit den Welpen spielen, und falls es dann regnete, würde sie erst den Pie zubereiten und danach die Materialien aussuchen, die Rhett brauchte.

Everleighs Magen knurrte, als sie erst die Brotscheiben mit Schinken und Käse belegte und sich dann noch ein Glas kalte Milch einschenkte. Sie nahm ihren Lunch mit nach draußen und hielt ihr Gesicht in die kühlende Brise, die schon nach Regen roch.

Beim ersten Bissen von ihrem Sandwich ging ihr das Herz auf. Sie musste regelmäßiger essen und nicht erst, wenn sie vor Hunger beinah umfiel, denn schließlich wuchs ein Kind in ihr heran. In der Zwischenzeit hatten sich Lolas Bordercollie-Welpen um ihre Füße herum versammelt, wo sie fiepten und jaulten und versuchten, an ihren Beinen hochzuklettern, um einen Bissen abzubekommen.

Sie hatte sich schon entschieden, den kleinsten und mickrigsten Welpen aus dem Wurf zu behalten und ihn mit in die Memory Lane zu nehmen. Sie hatte ihm den Namen Rocco gegeben.

Der Wind zauste in den Zweigen der Bäume und drehte die Blätter mit der Unterseite nach oben, ein sicheres Zeichen, dass es regnen würde. Außerdem türmten sich die bedrohlichen Wolkenberge immer höher auf.

Der Wind wehte Everleigh die Serviette vom Schoß und Rocco schloss sich seinen Geschwistern bei der Jagd nach dem Stück Stoff an.

Als sie den letzten Bissen ihres Schinken-Käse-Sandwichs verzehrt und mit einem Schluck Milch hinuntergespült hatte, nahm sie dem größten der Welpen, der offenbar Tauziehen spielen wollte, die Serviette wieder ab.

„Komm, gib schon her, mein kleiner Schatz“, sagte Everleigh und musste lachen, als er sich auf seinen winzigen Hintern ins Gras setzte und knurrte, so laut er konnte.

Das Geräusch des Windes hatte sich inzwischen verändert und sie wollte möglichst schnell wieder ins Haus. Sie hob die Welpen – erst Rocco und dann auch alle anderen – in ihre Schürze – und als sie gerade bei der Hintertür ankam, die in die Küche führte, fing es an, in dicken Tropfen zu regnen.

Everleigh stellte ihr benutztes Geschirr in die Spüle und setzte die Welpen auf dem Linoleumfußboden ab, bevor sie dann durchs ganze Haus ging und alle Fenster schloss.

Mama Applegate erlaubte eigentlich nicht, dass die Hunde mit ins Haus kamen. „Sie haben ein sehr schönes Zuhause in der Scheune“, sagte sie immer – aber Everleigh hatte keine Zeit mehr, noch einmal zurück zur Scheune zu gehen und sie zu ihrem Lager aus Heu zu bringen.

Sie errichtete deshalb aus Küchenstühlen eine Absperrung, sodass die Welpen unter dem Tisch eine Art Pferch hatten, und gab jedem zwei Happen von dem Hähnchen, das es letzten Abend zum Essen gegeben hatte.

„So, und jetzt benehmt euch, während ich den Pie mache.“

Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben, und als sie den Teig ausrollte, schaute Everleigh immer wieder hinaus.

Aus dem Ächzen und Stöhnen des Windes war inzwischen ein Heulen geworden.

Und sie hatte gerade den Pie in den Ofen geschoben, als das Haus so heftig von einer Windbö getroffen wurde, dass die Fensterscheiben klirrten.

Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und schaltete das Radio in der Küche ein, um Nachrichten zu hören, doch es kam nur statisches Knistern heraus.

Wieder heulte und pfiff der Wind und es klang fast wütend und unheimlich.

Das ganze Haus bebte so heftig, dass der Kronleuchter ins Schwingen geriet und ein Glas aus dem offenen Regal über der Spüle fiel. Everleigh war gerade dabei, die größeren Scherben in den Mülleimer zu werfen, als die Südseite des Hauses von einer Windbö getroffen wurde und in der oberen Etage ein lautes Geräusch zu hören war, so als ob etwas splitterte.

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