Kitabı oku: «Weil du siehst, wie schön ich bin», sayfa 2
Kapitel 2
Während sein Kopf in der Waschschüssel lag und Gingers Hände sich durch sein Haar arbeiteten, seine Kopfhaut massierten und seinen Puls in die Höhe trieben, bereute Tom, an diesem verschneiten Tag für einen schnellen Haarschnitt vor die Tür gegangen zu sein.
Wäre ihm klar gewesen, dass Maggie den Salon an Ginger verkauft hatte, hätte er die glatten Straßen und das Verkehrschaos auf sich genommen und den neuen Friseurladen am anderen Ende der Stadt getestet.
Ja, er hatte natürlich gewusst, dass er ihr früher oder später begegnen müsste – vorzugsweise Letzteres –, aber doch nicht an seinem ersten Tag zurück in Rosebud. Nicht mit dem Kopf in ihrem Waschbecken liegend, mit ihren Händen in seinem Haar.
Er hatte gehen wollen, nachdem Ginger gesagt hatte, sie hätten geschlossen, aber dann hatte ihn Ruby-Jane hereingeschoben, und da saß er nun.
„Ginger“, hob er an. Er räusperte sich. „Seit wann bist du …“
„Bitte aufrichten.“ Sie drückte sachte gegen seine Schulter. Als er sich aufgerichtet hatte, schlang sie ein Handtuch um seinen Kopf und trocknete sein Haar, was seine aufkommenden Gefühle nur weiter schürte. „Setz dich.“ Sie wies auf den Arbeitsplatz, auf den Ruby-Jane ihn platziert hatte.
Er stahl einen Blick auf sie im Spiegel, während sie das Handtuch entfernte und ihm einen Umhang umlegte. „Seit wann bist du denn wieder in Rosebud? Ich habe gehört, dass du vor sechs Monaten noch mit Tracie Blue auf Tournee warst!?“
Sie bückte sich vor ihm nach Schere und Kamm. „Ja, war ich.“
Brrr. Er vermutete, dass es draußen gerade wärmer war als drinnen im Salon.
Ginger stellte die Stuhlhöhe ein und begann ihn zu kämmen. Er bemerkte ihren unaufdringlichen Geruch. Sie roch romantisch, wenn man Romantik als Duftnote bezeichnen konnte, wie ein milder, herrlicher Sommerabend in Alabama. Der Duft sammelte sich in dem Hohlraum zwischen seinem Herzen und seinen Rippen.
„Die Seiten trimmen? Und oben ein bisschen kürzer?“, fragte sie.
„Ja, genau, die Seiten ein bisschen. Ich mag das nicht, wenn die Haare so über den Nacken und auf meine Ohren kriechen …“ Als sie beiseiteging, drangen die Farbdünste wieder zu ihm vor, übertünchten ihren Duft und holten ihn in die Wirklichkeit zurück. Er war wegen eines Haarschnitts gekommen, nicht zu einem Rendezvous mit einer Beinahe-Romanze aus seiner Vergangenheit.
Außerdem schien es sie nicht weiter zu kümmern, dass er ganz zufällig in ihren Laden geschneit war. Vielleicht erinnerte sie sich gar nicht an die Zuneigung zwischen ihnen, wie er mit ihr geflirtet und nach einem Zeichen, einem kleinen Hinweis auf Interesse gesucht hatte.
Er hatte sie gerade ins Kino eingeladen, als Dad ankündigte, sie würden umziehen. Würden mitten in der Nacht die Stadt verlassen. Tom hatte keine Chance gehabt, sich von irgendjemandem zu verabschieden, und schon gar nicht von Ginger Winters.
„Bitte den Kopf vorbeugen.“
Er neigte sein Kinn auf die Brust, atmete einmal tief für sich ein und einmal tief für sie aus.
Sollte er einfach mit einem „Es tut mir leid“ anfangen? Oder sollte er die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen?
Sie musste seit der Highschool Freunde gehabt haben. Immerhin war sie mit Tracie Blue auf Tour gewesen, hatte die Welt gesehen und allerhand Menschen getroffen. Vielleicht hatte sie ja jetzt einen Freund. Oder einen Verlobten. Er beobachtete im Spiegel ihre linke Hand. Kein Ring.
„Also, du hast noch gar nicht gesagt, seit wann du den Salon hast?“ Smalltalk. Vielleicht konnte er sie dazu bringen, sich zu öffnen.
„Seit sechs Monaten.“ Sie tauschte die Schere gegen den Rasierer ein.
„Bist du froh darüber, wieder in Rosebud zu sein?“ Er entspannte sich, probierte zu lächeln und ihren Blick zu erhaschen.
„Ja.“ Sie neigte seinen Kopf zur Seite und führte den summenden Apparat um sein Ohr herum.
„Gut … gut … ich auch.“
Sie schaltete die Schermaschine aus, griff wieder zur Schere und wirbelte sie in ihren Fingern herum; ein Trick, den er gerne öfter gesehen hätte.
Entweder hatte sie einen schlechten Tag oder sie verabscheute ihn wirklich sehr. Ja, er hatte sie versetzt … vor zwölf Jahren. Das verstand sie doch sicher, angesichts der Umstände.
„Schnee sieht man ja echt selten in Rosebud.“
„Ziemlich …“
„Ich bin auch wieder zurück. In Rosebud.“ Er verlagerte sein Gewicht. „Nicht nur für die Hochzeit.”
Sie wurde langsamer, sah auf und schaute ihn im Spiegel an. „G…gut.“ Sie drehte ihn gerade zum Spiegel hin und prüfte, ob die Seiten gleichmäßig waren.
„Das mit Bridgett und Eric ist schön, oder?“ Ganz Alabama wusste, dass der Sohn des Gouverneurs heiratete, ein ehemaliger Tailback und gefeierter Star der Crimson Tide.
„Ja.“ Das Gespräch stockte vollends, als sie über seinem Kopf den Föhn brausen ließ. Anschließend gab sie einen Tropfen Gel in ihre Handfläche und fuhr damit durch sein Haar, was ihm eine Gänsehaut bescherte.
Sie nahm ihm den Friseurumhang ab und pinselte die letzten abgeschnittenen Härchen von seinen Ohren und aus seinem Nacken. „Gefällt es dir?“ Ihre Worte richteten sich an ihn, nicht aber ihr Blick, den sie abwandte, während sie den Umhang über einen anderen Stuhl legte.
„Ja, danke.“ Er beugte sich zum Spiegel vor. „Die Gerüchte stimmen. Du bist gut.“
„Danke.“ Sie wartete am Empfangstresen auf ihn, und er wünschte sich, sie würde lächeln oder lachen oder ihm vors Schienbein treten. Dann wäre das Eis gebrochen. „Das macht dann zwanzig Dollar.“
„Zwanzig?“ Er öffnete seinen Geldbeutel. „Nur?“
„Wir sind in Rosebud.“
Er grinste, holte einen Zehner und einen Zwanziger aus dem Portemonnaie und schaute sie an. „Es tut mir leid, Ginger.“ Das Geständnis kam ohne großes Nachdenken, ohne Hintergedanken. Er war frei, konnte dorthin gehen, wo der Moment ihn hinführte.
Sie erstarrte, griff nach dem Geld und schaute mit leuchtenden haselbraunen Augen zu ihm auf. „Es tut dir leid?“
Die Ladentür wurde aufgerissen und Ruby-Jane platzte herein, samt einer kalten Brise, einem großen Pizzakarton und drei Getränkedosen in der Hand. Das Aroma heißer Tomatensoße und gebackenen Teigs mischte sich mit den Farbdämpfen.
„Kinder, ich bin zu Hause. Im Hinterzimmer gibt’s Mittagessen. Tom, Junge, schicker Schnitt. Ist Ginger nicht einfach die Beste?“
„Sie ist eine Großmeisterin.“ Er lächelte Ginger an. In Gedanken bat er sie darum, seine Entschuldigung anzunehmen.
„Ich habe Anthony erzählt, du seist in der Stadt, und da sagte er, du würdest hier eine Gemeinde gründen. Stimmt das?“ Ruby-Jane verschwand im Hinterzimmer, nur um einen Augenblick später mit einem weich aussehenden, überbackenen Stück Brot in der Hand wieder aufzutauchen. „Jetzt kommt schon. Noch ist alles schön heiß. Bedien dich, Tom!“
„Danke, aber ich kann nicht bleiben.“ Tom machte eine Handbewegung zur Tür hin und trat einen Schritt zurück. Außerdem: Wenn Gingers steife Haltung irgendetwas zu bedeuten hatte, dann dass er nicht erwünscht war. „Ich habe ein Treffen. Und ja, ich bin wieder zurück in der Stadt und gründe eine Gemeinde. Der erste Gottesdienst ist am Sonntag in einer Woche in der alten First United Church in der Mercy Road, im Nordwesten der Stadt. Ihr wisst ja, wo das ist.“ Er ging zur Tür. „Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, mir die Haare zu schneiden, Ginger. Das weiß ich sehr zu schätzen. Sehen wir uns am Wochenende?“
Sie nickte. Einmal. „Denke schon.“
Als sich die Tür hinter ihm schloss, ging Tom durch den eisigen Wind den Gehweg hinunter. Was war nur an Ginger, dass sie so eine Sehnsucht in ihm weckte? Das schmerzhafte Verlangen, ihr Freund zu sein, mit ihr zu lachen, mit ihr zu besprechen, was ihm auf dem Herzen lag, sich anzuhören, was ihr auf dem Herzen lag, ihre Narben zu berühren und ihr zu sagen, dass alles gut werden würde?
Ihr zu sagen, dass sie wunderschön war.
Aber wie könnte er je eine Liebesbeziehung mit ihr beginnen? Was würden seine Eltern sagen?
Schüttel das ab. Er war nicht nach Rosebud zurückgekommen, um Gingers Herz zu gewinnen. Er war gekommen, um einen Dienst anzufangen, um Gottes Ruf zu folgen, und vielleicht, um den Ruf und das Erbe seiner Familie wiederherzustellen. Nicht um die Leute an das Versagen seines Vaters zu erinnern. Daran, dass er seine Familie und all ihre Habseligkeiten gepackt und mitten in der Nacht unter vermeintlich skandalösen Umständen abgereist war. Dass er seine Kirche, seine Berufung − und für eine kurze Zeit auch seinen Glauben – hinter sich gelassen hatte.
Tom musste mehr als anständig sein, er musste über jeden Zweifel erhaben sein, damit sein Gemeindegründungsprojekt aufblühen konnte.
Aber, möge der Himmel ihm helfen, Ginger Winters war so schön wie eh und je, wenn auch nicht mehr so offen und verwundbar wie damals, als er sie zuletzt gesehen hatte. Und so verrückt das klang, irgendwo tief in ihm, unter all den Schichten des Anstands, unter aller Angst, sehnte sich Tom danach, der Mann in ihrem Leben zu sein.
Genau wie er sich danach gesehnt hatte, als er sie zum ersten Mal überhaupt erblickt hatte.
Kapitel 3
Sie fühlte sich schlecht, weil sie ihn behandelt hatte, als sei er ein Stück Klopapier, das an ihrer Schuhsohle klebte. Aber Tom Wells? Wäre der Mann im Mond hereinspaziert und hätte sie um einen Haarschnitt gebeten, wäre sie darauf wohl besser vorbereitet gewesen als auf ihn.
Nachdem Tom gegangen war, saß Ginger am Esstisch im Hinterzimmer, sortierte ihre Gefühle und aß Pizza, während Ruby-Jane redete. „Herrje, da werde ich mich wohl nochmal bekehren und in Toms Kirche gehen müssen. Ich meine, um Himmels Willen, er ist einfach umwerfend, und dann auch noch ein Mann Gottes …“
„Ruby-Jane, bitte lass dich nicht ins Bockshorn jagen. Erinnerst du dich nicht mehr, wie sich die komplette Familie aus der Stadt geschlichen hat? An den Skandal?“ Ginger biss ein kleines Stück Pizza ab. Ihre Haltung gegenüber Tom hatte ihren Appetit ein wenig gedämpft. „Wie der Vater, so der Sohn.“
„Um was ging es da eigentlich?“, fragte Ruby-Jane.
„Wer weiß das schon? Wen interessiert es?“ Ginger nicht. Jedenfalls wollte sie gerne glauben, dass es sie nicht interessierte. Welche Frau im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte schleppte schon den Schmerz darüber, dass ein Junge sie versetzt hatte, über ein Jahrzehnt lang mit sich herum?
„Na, mich. Mein zukünftiger Ehemann könnte der neue Starprediger von Rosebud sein.“ Ruby-Jane legte sich noch ein Pizzastück auf den Teller. „Nun komm, erzähl mir doch nicht, dass du immer noch sauer bist, weil er die Stadt verlassen hat, ohne dir vorher Bescheid zu sagen.“
„Er ist ja nicht nur gegangen. Er ist verschwunden.“
„Ginger, die sind doch nicht verschwunden. Wir haben doch gehört, dass sie nach Atlanta gezogen sind.“
„Aber nicht von ihm selbst. Ich habe gedacht, wir seien Freunde, weißt du? Aber kein Pieps von ihm, die ganze Zeit nicht, bis er vor zwanzig Minuten hier hereinspaziert ist.“ Traurig darüber, dass ihr sogar der Appetit auf Anthonys Pizza vergangen war, schob Ginger sich vom Tisch weg. „Können wir jetzt weiterstreichen?“
„Also bist du immer noch sauer.“ Ruby-Jane wischte sich die Mundwinkel mit einer zusammengeknüllten Serviette ab. „Das ist zwölf Jahre her.“
„Ich bin nicht sauer.“ Doch das war sie, und das störte sie, gründlich. „Komm schon, lass uns wieder an die Arbeit gehen. Ich will wenigstens eine Wand schaffen, bevor ich am Freitag abfahre.“
„Du weißt, dass er Erics Trauzeuge ist. Er wird das gaaanze Wochenende bei diesem Maynard-James-Spektakel sein.“
„Ich habe es gehört. Ich habe hier gestanden, als er das erzählt hat. Worauf willst du hinaus?“
„Ich glaube, dass du in ihn verknallt bist. Immer noch. Und dass du sauer auf ihn bist. Immer noch.“
„Und ich glaube, dass dir die Farbdämpfe ins Hirn gestiegen sind. Ich bin nicht in ihn verknallt. Ich bin nicht sauer auf ihn.“ Ginger eilte in den Ladenraum, entfernte die Schürze und griff nach dem leicht beklecksten Kittel.
Dennoch sagten ihr ihr Puls und das ängstliche Flattern in ihrer Brust etwas anderes. In Wirklichkeit war sie verletzt. Schlimmer noch, es war durchaus möglich, dass sie immer noch in ihn verknallt war. Ihn zu sehen, hatte eine Tür eingetreten, von der sie gedacht hatte, sie hätte sie gründlich verrammelt und verriegelt.
„Weißt du was?“, sagte Ruby-Jane, die hinter ihr mit einem Stück Pizza und ihrem Kittel in der Hand hereinkam. „Es geht nicht bei allem um deine Vergangenheit, darum, dass du in der Wohnwagensiedlung aufgewachsen bist oder um deine Narben.“
Ginger nahm ihre Farbrolle zur Hand. „Das habe ich auch nie behauptet.“
„Wenn ich sehe, wie kalt und steif du mit Tom umgehst, wie schroff du mit ihm bist, dann weiß ich, dass du Gefühle für ihn hast. Immer noch. Aber du nimmst dich selbst nur als das Mädchen mit den Brandnarben aus der Wohnwagensiedlung wahr, das für niemanden gut genug ist.“
„Ich bin das Mädchen aus der Wohnwagensiedlung.“ Ginger schob ihren Ärmel hoch. „Und ich bin immer noch sehr vernarbt. Sieh mal, er ist einfach ein Mann, der wegen eines Haarschnitts hergekommen ist. Ende der Geschichte.“
„Ein Mann, der wegen eines Haarschnitts hergekommen ist?“ Ruby-Jane lachte mit dem Mund voller Pizza und funkelnden braunen Augen. „Ginger, du hättest mal dein Gesicht sehen sollen, als ich gesagt habe, er könnte mein zukünftiger Ehemann sein. Du bist erst blass geworden, dann rosa und dann grün.“
„Du bist echt eine Märchenerzählerin.“ Ginger hob ihre Rolle zur Decke und streckte sich, so hoch sie nur konnte, um so viel Wand zu streichen, wie es ohne eine Leiter nur möglich war. Sie würde die Trittleiter aus dem Schuppen holen müssen, um ganz oben zu streichen. „Hast du mit Michele und Casey geklärt, ob sie die Termine am Wochenende im Griff haben?“
„Mit denen habe ich gestern gesprochen, Boss. Und du weißt doch, dass ich hier sein und aushelfen werde.“ Ruby-Jane nahm ihre Farbrolle ebenfalls zur Hand. „Fall nicht wieder in die Highschool-Rolle zurück, okay? Ich mag die selbstbewusste Salonchefin, die weiß, dass sie eine fabelhafte Stylistin ist.“ RJ zupfte an Gingers Schal. „Obwohl du dich immer noch hinter dieser Art Zeugs versteckst.“
Ginger wich RJs Berührung aus und legte den Schal wieder an seinen Platz, wo er ihre raue, runzlige Haut bedeckte. „Manche Dinge ändern sich eben nie.“
Aber andere Dinge konnten sich ändern. Wie das Interieur dieses Salons. Wie ihr Ruf als coole Salonbesitzerin in der wiederbelebten Innenstadt von Rosebud, der Heimat des Gouverneurs von Alabama. Wie die Tatsache, dass sie Männer wie Tom Wells junior, ob nun Prediger oder nicht, nicht an sich herankommen ließ. Männer wie er heirateten spindeldürre Blondinen mit von Gott geküssten Gesichtern, Lächeln, die funkelten wie Diamanten, und makelloser, glatter Haut.
„Weißt du, Ginger, seitdem ich dich kenne, versteckst du dich hinter langen Ärmeln und Schals. Ich verstehe das schon.“ Ruby-Jane fuhr mit der Farbrolle auf und ab. „Du fühlst dich mit deinen Brandwunden nicht wohl. Pass nur auf, dass du dich nicht zu gut versteckst und einen Mann wie Tom Wells aus deinem Leben heraushältst. Man kann nie wissen, vielleicht könnte ja gerade er die Flamme deiner Leidenschaft entfachen.“
Oh, Ruby-Jane. Verstand sie es denn nicht? Die Sehnsucht nach dieser Art Flamme, der Flamme von Liebe und Leidenschaft, war das gefährlichste Feuer von allen.
Am Mittwochnachmittag fegte Tom mit einem breiten Strohbesen, den er im Lagerraum gefunden hatte, die groben breiten Dielen des alten Kirchenbodens. Wie die meisten Einrichtungsgegenstände der Kirche stammte der Besen vermutlich aus den 50er-Jahren. Eine neue Gemeinde zu gründen mit gerade einmal genug Geld, um sein mageres Salär zu bezahlen, bedeutete, dass er sowohl Hausmeister als auch Sekretär, Hirte, Prediger und Seelsorger war.
Staub wirbelte vom Boden auf und tanzte im Sonnenlicht, das durch die Querbalken über den Buntglasfenstern fiel.
Er summte ein Lied von der Lobpreisprobe vom Vorabend. Seine Brust vibrierte unter der Melodie, und die Textzeilen belebten seinen Geist.
… you fascinate us with your love.
Er hatte schon befürchtet, er würde auch den Lobpreis zu seinen Aufgaben zählen müssen – und das bei seinen eher grundlegenden Gitarrenkünsten –, bis eine talentierte junge Frau, Alisha Powell, sich für die Aufgabe gemeldet hatte.
Am Abend zuvor hatte Tom in der letzten Reihe gesessen, ihrer Bandprobe zugeschaut und beinahe vor Dankbarkeit geweint. Er hatte in Gottes Gegenwart gesessen und zum zehnten Mal, seitdem er in Rosebud angekommen war, gespürt, dass er aufgrund einer Eingebung des Allmächtigen zurückgekehrt war.
„Nun, wie ich sehe, hast du das wichtigste Werkzeug gefunden.“
Tom warf einen Blick nach hinten. Pop. Lächelnd stützte er sich auf den Besen, während sein Großvater den Mittelgang hinunterschlenderte.
„Wolltest du nachschauen, ob ich ordentlich mit dem Besen umgehen kann?“ Tom streckte Pop die Hand entgegen.
Der alte Mann winkte ab und zog Tom in eine Umarmung. „Ich schätze, im Aufkehren bist du ganz gut. Und es freut mich, dass du ebenso gut predigen kannst.“ Pop ließ sich auf der vordersten Bank nieder, betrachtete den Altar und die Kanzel, hob seinen Blick zur Decke und schaute dann Tom an. „Hier habe ich mit neunzehn meine erste Predigt gehalten.“ Er zeigte auf die Kanzel. „Ich glaube, das alte Ding war damals schon hier.“
Tom setzte sich neben ihn. Den Besen lehnte er an sein Bein. „Worüber hast du gepredigt?“
„Darüber, dass Gott uns würdig macht für das Leben, zu dem er uns berufen hat. Dass er uns zur Vollendung führt.“
„Zweiter Thessalonicher.“
„Gut.“ Pop schlug sich auf die Oberschenkel und erhob sich. „Hauptaufgabe eines Predigers: Kenne das Wort. Lebe es, bete es, singe es. Also Tom, hat Edward Frizz dir ein Sonderangebot für die alte Hütte hier gemacht?“ Er trat vor und stellte sich hinter die Kanzel.
„Er hat mir einen riesigen Gefallen getan. Er hat herausgefunden, dass das Gebäude hier günstig zu kaufen ist. Und das kurz bevor wir einen teuren Mietvertrag für …“ Kurz davor, schmerzhafte Erinnerungen zu wecken, hielt Tom inne.
„Für das Gebäude der alten Gemeinde deines Vaters unterzeichnen wolltet?“, ergänzte Pop für ihn.
Tom stampfte mit den Borsten des Besens auf, als er sich erhob. „Das Gebäude war in einem guten Zustand. Sehr viel moderner als das hier, aber eben teuer. Und ich weiß auch nicht, ich wollte auch nicht …“
„In seinem Schatten stehen?“ Pop beugte sich über die braune, ausgetrocknete Holzkanzel. „Die Leute daran erinnern, was passiert ist?“
„Ich will einfach nur meinen eigenen Weg gehen. Du und ich, wir wissen doch beide, dass in Rosebud eine Menge Leute wohnen, die früher in Dads Gemeinde gegangen sind. Die wissen, dass er unter dubiosen Umständen weggegangen ist. Ich habe erst neulich herausgefunden, was passiert ist und warum wir mitten in der Nacht die Stadt verlassen haben. Ich kann dir garantieren, dass es eine Menge Menschen gibt, die sich ihre ganz eigenen Theorien darüber gemacht haben. Ich bin hergekommen, weil der Herr mich geführt hat. Nicht um die Vergangenheit und die Verdächtigungen der Leute heraufzubeschwören.“ Tom zeigte mit dem Besenstiel auf die alte Orgel hinter dem Taufbecken. „Ich will einen Neuanfang. Selbst wenn wir das an diesem alten Ort hier machen müssen. Mit dieser großen, alten Orgel.“
Pop kam die Stufen herunter. „Dein Daddy hat richtig gehandelt, als er gegangen ist, wie er gegangen ist. Er hat alle Verbindungen abgeschnitten und nur seine Familie und das Nötigste mitgenommen.“
„Mir kam das damals nicht so vor.“
Pop schnitt eine Grimasse. „Nein, aber du bist ja trotzdem ganz ordentlich geraten.“
„Nach einem wilden Umweg übers College und viel zu vielen durchsoffenen Nächten.“
„Was dazu geführt hat, dass du irgendwann ‚Okay Gott, ich gehöre dir‘ gesagt hast, nachdem du Woche für Woche mit dem Kopf in der Kloschüssel gelandet bist.“
Lachend schüttelte Tom den Kopf. Er war dankbar dafür, in Gesellschaft seines Großvaters zu sein, weil er in der Weisheit und der Seelenruhe des alten Mannes Trost fand. „In der Rückschau kann ich Gottes Hand in meinem Leben sehen, sogar im überstürzten Aufbruch der Familie aus Rosebud, aber damals?“ Tom strich leicht mit dem Besen über den trockenen Holzboden. „Ich war überzeugt davon, dass Dad und Gott mein Leben ruiniert hätten. Also, glaubst du denn, dass nächsten Sonntag jemand unter Fünfzig hierherkommen wird? Als ich heute Morgen vom Pfarrhaus herübergekommen bin, ist mir bewusst geworden, wie alt diese Kirche wirkt. Weiße Holzschindeln, Kirchturm, kleiner Eingangsbereich, langes, rechteckiges Kirchenschiff, Buntglasfenster.“
„Sei du nur deiner Berufung und dem Herrn treu. Lass Ihn das Los werfen und die Entscheidungen treffen.“
Tom lehnte sich gegen die Seite einer Bankreihe. Das Licht hatte sich verändert, und ein Kaleidoskop der Farben bewegte sich auf dem weißen Putz. „Meinst du, ich packe das?“
„Spielt es denn eine Rolle, was ich denke?“ Pop setzte sich wieder und lehnte sich, die Hände auf den Knien, zurück. Sein Karohemd lag glatt auf seiner schmalen Brust. „Es spielt doch nur eine Rolle, was Er denkt und dass du auf Seine Liebe für dich und auf Seine Führung vertraust.“
„Tja, darum geht es letztlich wohl immer, wenn man Jesus nachfolgen will.“
„Das Beste, was ich dir mitgeben kann, ist Ihn von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft zu lieben. Tu das, und dann wirst du gar keine Zeit haben für irgendwelche anderen Techtelmechtel.“
Apropos Techtelmechtel … „Ich bin heute Morgen Ginger Winters über den Weg gelaufen.“
Pop runzelte die Stirn. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich erinnere, wer …“
„Sie ist die Tochter der Frau …“
„Ah“, sagte Pop, „verstehe.“
„Sie hat jetzt einen Schönheitssalon in der Main Street. Wo Maggies Salon früher war. Ich bin hingegangen, um mir für Erics Hochzeit dieses Wochenende die Haare schneiden zu lassen, und habe statt der guten alten Maggie Ginger vorgefunden.“
„Ich habe schon gehört, dass sie in den Ruhestand gegangen ist. Aber es dauert immer etwas länger, bis die neuesten Nachrichten zur Farm vorgedrungen sind.“ Pop musterte Tom augenzwinkernd. „Was hat es also mit diesem Ginger-Mädchen auf sich? Außer dass sie die Tochter von …“
„Richtig … also, wir waren damals Freunde und gerade dabei, uns besser kennenzulernen, als alles den Bach runtergegangen ist. Ich wusste nicht einmal, dass ihre Mutter und Dad einander kannten.“
Er war nie dazu gekommen, Ginger zu fragen, was sie für ihn empfand. Die Schule hatte gerade erst begonnen. Sie hatten sich ein paar Mal zum Lernen getroffen, mehr war nicht passiert. Aber wenn er mit ihr zusammen war, fühlte sein Herz neue und wundervolle Dinge. Dann wollte er ein besserer Mensch sein.
Sie dagegen war schwer zu lesen. Behielt ihre Gefühle für sich.
„Hast du ihr das Herz gebrochen?“
„Das weiß ich nicht. Wir waren zum Kino verabredet, als Dad mich zwang, meine Sachen zu packen.“ Tom schüttelte den Kopf und starrte an Pop vorbei zur Chortür. „Ich habe sie nie angerufen. Ich habe mich zu sehr geschämt. Ich wusste auch nicht, was ich ihr sagen sollte. ‚Wir schleichen uns aus der Stadt. Mein Dad ist ein Trottel.‘ Also habe ich es einfach gelassen. Ich habe ihr nie geschrieben, habe sie nie angerufen.“
„Zwölf Jahre sind eine lange Zeit, Tom. Ich glaube kaum, dass sie heute noch Groll hegt, weil ein Highschool-Bubi sie nicht zu Pizza und Kino abgeholt hat. Sie dürfte die ganze Geschichte kennen, wo ihre Mama doch involviert war.“ Pop rieb sich das Kinn. „Obwohl Tom senior es geschafft hat, das alles gut unter Verschluss zu halten.“
„Ich weiß nicht, was sie weiß, außer dass ich sie versetzt habe.“ An dem Donnerstagnachmittag, als er sie nach der Schule um die Verabredung gebeten hatte, hätte er sie beinahe geküsst, als sie so neben seinem Auto standen. Aber Eric und Edward waren aus dem Nichts aufgetaucht, aufwieglerisch, voller Übermut, und hatten die ganze Stimmung kaputtgemacht.
Und sie dann heute zu sehen? Es fühlte sich an, als ob ein loser Teil seines Herzens wieder an seinen Platz gekommen wäre. Ginger ging es gut. Sie war erfolgreich. Und immer noch wunderschön. „Na, egal“, sagte Tom, schaute zu Boden und fegte weiter. „Sie hat dann später ziemlich Karriere gemacht. Sie war Stylistin für Tracie Blue. Das ist eine bekannte Country-sängerin …“
„Ich kenne Tracie Blue“, sagte Pop lächelnd. „Das ist ziemlich beeindruckend.“
Tom lachte. „Und woher kennt ein alter Evangelist wie du Tracie Blue?“
„Facebook.“
„Facebook?“
Pop nickte. „Deine Tante Marlee hat mich angemeldet.“
„Nicht mal ich bin bei Facebook.“ Tom lachte und klopfte mit dem Besen auf den Boden.
„Dann sag Marlee, dass sie dir ein Profil anlegen soll.“
Pop wurde wieder ernst. „Tom, ich habe in der Sache nur einen Rat für dich. Brüte nicht über dieser Ginger-Geschichte. Bring die Sache in Ordnung, wenn du das Gefühl hast, da ist noch was offen, aber brüte nicht darüber. Schreibe ihr nicht auf der Grundlage dessen, was du denkst und fühlst, Gedanken und Gefühle zu. Deshalb ist die Welt ja so durcheinander.“
Pop, solch eine Quelle der Weisheit und der Wahrheit. „Sie wird bei der Hochzeit sein. Ich schätze, ich werde wohl einen Moment finden, in dem ich mich mit ihr unterhalten kann.“
„Mach sie aber bloß nicht zu einer Art Projekt.“ Pop beugte sich vor und tippte Tom auf den Arm. „Lass Gott sich um ihre ewige Seele kümmern. Verweise sie auf Ihn, nicht auf dich selbst.“
„Ja, ja. Verstehe. Dad hat mir die gleiche Predigt gehalten.“
„Das sollte er auch. Weil es genau das ist, was ihn aus der Bahn geworfen hat. Menschen als persönliche Projekte zu sehen. Sich verantwortlich zu fühlen. Andere sich sehen zu lassen anstatt Jesus. Er hat schon immer mit seinem Stolz gekämpft. Das habe ich ihm schon oft aufgezeigt. Aber Gott versöhnt. Gott heilt.“ Pop sprach weiter: „Aber du, mein lieber Junge, musst dich daran erinnern, warum du nach Rosebud zurückgekehrt bist. Und das lag nicht nur daran, dass Edward Frizz dich angerufen und dich gebeten hat, eine neue Gemeinde zu gründen.“
„Und nicht nur, weil ich Dads Name und Ruf wiederherstellen will.“
„Nein.“ Pops Lachen dröhnte laut. „Den Teil lässt du besser ganz weg. Wenn du erst einmal anfängst, dir um den Ruf von irgendwem Sorgen zu machen, wirst du untergehen, noch bevor du angefangen hast.“ Er zeigte zur Decke. „Schau auf Ihn, nicht auf dich selbst, deine Familie, den Namen Wells oder die Vergangenheit. Weißt du, was König Sauls Ruin war? Ihm war wichtiger, was die Leute dachten, als was Gott dachte.“
Tom lauschte, dachte nach, versuchte das, was wegen Ginger Winters an seinen Gedanken nagte, mit dem, was Pop sagte, in Einklang zu bringen.
„Weißt du was?“, sagte Pop und stand auf. „Wenn du diesem Mädchen wirklich helfen willst, dann gewinne sie für Jesus.“
„Heißt das nicht, dass ich sie zu einem Projekt mache?“
Pop grunzte. „Nein, das heißt, ihr zu zeigen, dass sie geliebt ist. Alles andere ist Wollust oder Stolz. Dein eigenes Herz und deinen Ruf zu riskieren, um sie zur Wahrheit zu führen, ist Liebe. Wie wäre es, wenn wir beim Mittagessen weiter darüber sprechen? Ich bin am Verhungern.“
Tom lehnte den Besen gegen eine Bank und ging in sein Büro, um seine Jacke zu holen. Sie für Jesus gewinnen? Musste sie denn gewonnen werden? Wie baue ich eine Beziehung zu ihr auf? Was soll ich bloß sagen? Er betete murmelnd, während er in den Kirchenraum zurückkehrte und mit Pop zum Auto ging.
Eine einfache, aber herrliche Antwort auf seine Frage stieg in ihm auf und verweilte in seinem Herzen.
Sage ihr, dass sie schön ist.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.