Kitabı oku: «Geld her oder es kracht! Was jede(r) über Geld jetzt wissen muss!», sayfa 3

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10. Warum wurde Europa zum Epizentrum?

Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen Letalität14 und hoher Virenlast sowie Anhäufung von Risikogruppen. Das bedeutet: Alte Menschen in geschlossenen Räumen sind das wesentlichste Element des Epidemiegeschehens.

Womöglich wird letztlich der größte Teil des norditalienischen Horrors dem staatlich gesteuerten Sammeln von Infizierten in Spitälern und Altersheimen zuzuschreiben sein, wenn jemals eine Aufklärung des Geschehens gelingt. Ähnliches ist in New York geschehen.

Die Italiener hatten allerdings auch Pech: früher einsetzende Ansteckungsdynamik bei noch geringerem Wissensstand und noch geringerer Aufmerksamkeit. Höhere Anzahl von Mehrgenerationenhaushalten; vielleicht hat auch die körpernähere Kultur eine Rolle gespielt – eigentlich Dinge, die für die Italiener sprechen. Am stärksten wirkte wohl ohnehin spontane »soziale Distanz«, nachdem die Sorge in der Gesellschaft gewachsen war. Auch diese freiwillige Vorsicht setzte in Italien erst später ein, wirkte aber in den anderen europäischen Staaten – darunter auch Schweden, wo sich die Ausbreitung nach bereits geweckter Sorge vollzog.

Italien wurde als Tourismusdestination52 – so wie Deutschland als Industriedestination – früh von Infizierten besucht; für die Schuldzuweisungen an die Modeindustrie, in der relativ viele Chinesen – oft illegal – arbeiten, gab es keine weiteren Belege. Italien hatte auch relativ früh die direkte Einreise aus China unterbunden, was angesichts moderner Mobilität relativ wirkungslos ist. Völlige Grenzschließungen hätte man damals ausnahmslos für Irrsinn gehalten.

Mittlerweile müssen wir auch Ansteckungs- und Todes-Epizentren unterscheiden. Hohe Todeszahlen verweisen auf große Ansteckungsdynamik unter überdurchschnittlich alten und kranken Menschen. Hohe Ansteckungszahlen entstehen durch »Superspreader«: längere Nähe in geschlossenen Räumen mit viel Atemaustausch durch lautes Sprechen, Singen und intensivem Mundkontakt.

Das Epizentrum Ischgl in Tirol war eines der Ansteckung, die Todeszahlen vor Ort sind überraschend niedrig – statistisch unter der Relevanzschwelle. Verbindungen zu Todes-Epizentren anderswo sind bislang nicht belegt, zumal nach Ischgl der ­Fokus schon auf der Pandemie lag und die Vorsicht entsprechend größer war.

Warum lag das Epizentrum der Pandemie nach China58 nicht in Asien? Die dynamischsten Orte mit dem höchsten Verkehr aus China – Singapur, Hongkong und Taiwan – waren nach vergangenen Epidemien vorbereitet. Es gab keinen Mangel an Schutzausrüstung, mehr Vorsicht in der Gesellschaft und frühes Nachverfolgen möglicher Ansteckungsketten auf höchstem technischen Niveau.

Letzteres ist in Europa aus Gründen des Datenschutzes13 nicht möglich. Die Ansteckungsdynamik durch das Verhalten freier Menschen war aber kaum der Kern des Problems. Die Übersterblichkeit hätte wohl durch früheren Schutz der Risikogruppen vermindert werden können. Und auch das hätte vor allem die Unterlassung einer Gefährdung durch mangelhafte Prozesse im Gesundheitssystem bedeutet, durch welche die dichte Ansammlung von Alten und Kranken in geschlossenen Räumen in Europa eher die Regel als die Ausnahme ist.

Kapitel, die auf dieses verweisen: Kap. 8

11. Sollten exponentielle Entwicklungen verhindert werden?

Seit der Pandemie8 ist die Furcht vor exponentieller Entwicklung noch größer geworden. Schon davor hatten Kritiker unseres Wirtschaftssystems vor unbeschränktem Wachstum50 gewarnt.

Tatsächlich findet in der Regel eine Verwechslung statt: Die meisten Prozesse, die als Exponentialfunktionen erscheinen, sind tatsächlich S-Kurven (Sigmoidfunktionen).

Unser Gehirn tut sich extrem schwer dabei, Selbstbeschleunigung und Selbstverlangsamung zu verstehen, da beides nichtlineare Prozesse sind. Die S-Kurve verbindet beides: Die Selbstbeschleunigung wird erst bemerkt, wenn sie so steil wird, dass sie in die Vertikale geht; dann schlägt Sorglosigkeit in Panik um. Der Punkt des steilsten Aufstiegs in der S-Kurve ist aber schon der Wendepunkt.

Natürliche Prozesse sind komplexe Kombinationen: Das rasante Wachstum eines Faktors entfernt diesen von den anderen Faktoren, die er als Nährboden, Elemente und Verbindungen benötigt. Die Selbstverlangsamung bleibt unbemerkt, bis die Dynamik zum Erliegen kommt.

Dynamik28 lässt sich selten verhindern, nur verlagern, wenn sie in der Selbstbeschleunigungsphase ist. Der Fokus der Interventionen12 auf den steilsten Punkt ist ungünstig. Wir wenden dann die meisten Mittel auf, wenn es eigentlich zu spät ist – und könnten dann noch der verheerenden Täuschung einer Wirksamkeit erliegen, wenn die Selbstverlangsamung tatsächlich später eintritt. Während der Flut ist es sinnlos, Dämme zu bauen.

Gewiss erkennt der Leser hier schon eine Minderheitenmeinung38 zur Pandemie8, aber die Analogie geht weiter und gilt auch anderen Interventionen12, etwa jenen zur Bewältigung der Wirtschaftskrise17.

Kapitel, die auf dieses verweisen: Kap. 2, 6, 18, 21, 28, 39, 50, 55

12. Wären wir ohne politische Interventionen nicht in die Katastrophe gerutscht?

Auf der einen Seite sollten Interventionen wie verordneter Hausarrest in weiten Teilen Europas Menschenleben retten, auf der anderen Seite sollten Interventionen wie Überbrückungsliquidität die Wirtschaft retten. Zumal die Pandemie8 noch nicht mit Gewissheit bewertet werden kann, sei hinsichtlich des ersten Ziels nur leiser Zweifel angemeldet: Die Härte der Interventionen wird wohl eher mit höherer Sterblichkeit korrelieren. Bei einer Ansteckungsdynamik vor allem in Innenräumen ist das behördliche Leeren der Straßen wohl kontraproduktiv gewesen, und die Leerung der Krankenhäuser für den erwarteten Ansturm von Pandemieopfern hatte klarerweise dramatische Nebenfolgen durch drastisch reduzierte Gesundheitsversorgung.

Die gewonnene Zeit wurde von der Politik vorwiegend zur Inszenierung genutzt. Das politische System scheint keine Spur lernfähiger geworden zu sein. Doch Wutbürger, die den schwarzen Peter nun allein den Regierungen zuschreiben, sollte man nicht für ihre Minderheitenmeinung38 loben, sondern als Teil jener unproduktiven Spinner tadeln, deren Freiheit zu spinnen zwar sakrosankt sein muss, aber individuell nicht heroisiert werden darf. Immerhin haben die meisten Privatleute die Zeit der größten Ungewissheit als Corona-Ferien konsumiert oder als Vorwand genutzt, im Job weniger zu leisten. Eine Gesellschaft, die von sorgloser Ignoranz in kopflose Panik verfallen ist, sollte nach einem völlig unverdienten Popularitätshoch für die machthabenden Politiker nun nicht im Nachhinein allzu besserwisserisch über ihre Politiker wüten, auch wenn sich die allermeisten Maßnahmen als sinnlos bis schädlich erweisen werden. Mehr Wut ist angebracht über das Sinken der eigenen Innovationskraft oder hohe Abhängigkeit von Transfers.

Die plötzlichen Einkommensausfälle setzen viele naturgemäß unter Existenzdruck, vor allem mangels eigener Liquidität31 und hoher Schuldenlast. Wenn der Schaden schon angerichtet ist, dann soll ihn die Politik zumindest reparieren – so die landläufige Einstellung.

Doch Politik kann nur das zuteilen, was aktueller oder künftiger Produktivität entspringt. Schadenswiedergutmachung durch Politik kann daher nur auf der Grundlage von einer der folgenden Prämissen funktionieren: Erstens, Politiker sind in der Lage- und Zukunftseinschätzung besser als private Entscheider. Zweitens, durch Schuldtitel können künftige Steuereinnahmen heute schon erlöst werden und der frühere Einsatz erspart später höhere Kosten oder bedeutet größeren Wohlstand. Die zwei Alternativen bedeuten also: Gegenwärtige Umverteilung25 von schlechterem Mitteleinsatz durch private Entscheider zu besserem Mitteleinsatz durch politische Entscheider oder zeitliche Umverteilung von später schlechterem privaten oder politischen Mitteleinsatz zu heute besserem politischen Mitteleinsatz.

Dass die erste Prämisse hält, erscheint aktuell nicht sonderlich wahrscheinlich. Die schockartigen9 Extremmaßnahmen sind klarer Hinweis auf falsche Lageeinschätzung durch die Politik. Gewiss, auch die Gesellschaft war nicht viel weitsichtiger, doch kann Umverteilung natürlich nie von den Kurzsichtigeren zu den Weitsichtigeren innerhalb der Gesellschaft gehen. Die Logik gebietet, dass sie nur von heute noch Wertschöpfenden zu heute nicht mehr Wertschöpfenden gehen kann.

Daher bleibt als einzige Alternative – da scheint sich auch die Politik sicher – nur die zweite Prämisse: Abwendung der Notlage durch neue Schulden22. Seit de facto zinslose Staatsanleihen34 aber das zunehmend wichtigste Zentralbank-Asset sind, bedeutet das Geldschöpfung20.

Gewiss ist die aktuelle Katastrophe nicht einfach auszusitzen. Es ist wesentlich leichter, Produktionsprozesse anzuhalten als sie wieder zum Laufen zu bringen. Grundsätzlich erlauben Kurseinbrüche und Unternehmenskonkurse das Übergehen der Produktionsstruktur in die Hände jener, welche die Zukunft besser antizipiert haben: Heute heißt das, in die Hände derjenigen, die liquider und robuster aufgestellt sind, flexibler mit neuen Situationen umgehen können und Potenziale vor anderen erkennen. Fluglinien können sich in Luft auflösen, Flugzeuge – abgesehen von merkwürdigen Ausnahmen – nicht.

Aktuell wird ein viel zu großer Teil der Produktionsstruktur von Akteuren kontrolliert, die sie falsch einsetzen, etwa den sogenannten Zombieunternehmen. Falsch bedeutet in mangelnder Übereinstimmung mit den aktuellen und künftigen Bedürfnissen und Plänen der Menschen.

Doch Krisen17 sind stets Hinweise auf negative Überraschungen – das heißt, die meisten lagen in ihrer Einschätzung falsch, was zu Schockstarre führen kann. Je weniger agil und lernfähig eine Gesellschaft, desto gravierender die Krisenohnmacht. In dieser Situation könnten Kapitalstrukturen zu schnell zerstört werden, weil der Zugang von neuen und besseren Unternehmern und Investoren stockt.

Die größte Gefahr liegt darin, dass sich ein weit unterschätzter, weil unsichtbarer Teil des Kapitals in Luft auflöst: Wissen. Entwickelte Produktionsstrukturen sind weit eher geistiger als materieller Natur. Stillstehende Produktion könnte die nötige Weitergabe, Mehrung und Erhaltung von Wissen bedrohen. Wirtschaftlich relevantes Wissen benötigt praktische Anwendung, um frisch zu bleiben, es kann schnell obsolet werden.

Leider wird dieser geistige Aspekt von den meisten übersehen. Er bedeutet nämlich nicht, dass es nun vor allem um den Erhalt von Arbeitsplätzen26 ginge.

Nahezu alle geld-, fiskal- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen werden, wenn sie sich daran orientieren, Schaden »gutzumachen«, Lernunfähigkeit belohnen, Strukturanpassungen vereiteln und nachhaltige Grundlagen der Produktivität weiter untergraben – führen also in eine Interventionsspirale54. Die einzig sinnvollen politischen Maßnahmen federn vorübergehend größte Not ab und verhindern Katastrophen des Kapitalkonsums. Alle weiteren Maßnahmen sind gesellschaftlicher Natur – können aber natürlich von Politikern, die ja Teil der Gesellschaft sind, angeregt, begleitet, gestützt werden.

Kapitel, die auf dieses verweisen: Kap. 1, 7, 8, 9, 11, 15, 17, 20, 21, 29, 40, 53, 54, 55, 56, 58, 62

13. Bedeutet strengerer Datenschutz mehr Freiheit?

Das Recht auf Privatsphäre ist Teil der Freiheit48, indem wir Mitbürger in ihrer Autonomie respektieren. Privatsphäre im eigentlichen Sinne scheint immer weniger zu gelten: Das schwindende Vertrauen40 führt zu Generalverdacht. An Abhören, Konteneinsicht, »Doxing« (Identifizierung von Menschen gegen ihren Willen), Kapitalverkehrskontrollen55 gewöhnen wir uns langsam. Merkwürdig ist nur, dass der Datenschutz so präsent zu sein scheint: Die EU5 verordnete eine strenge Datenschutzverordnung zur nationalen Umsetzung, amerikanische Unternehmen sind immer wieder in der Kritik – und ein gewisser Stolz scheint in Europa vorhanden zu sein, es mit Daten strenger zu nehmen.

Doch das ist vor allem Ablenkung. Gesetzlich liegt nun der Fokus auf Daten, die Menschen freiwillig teilen und deren Verarbeitung kaum schlimmere Folgen für sie hat als Werbekontakte. Gewiss ist das Geschäftsmodell der »(un)sozialen Medien41« bedauernswert, es ist aber Folge und nicht Ursache der kurzfristigen Gratiskultur.

Die Datenschutzgrundverordnung lud im Wesentlichen Unternehmen Kosten und Mühen auf, ohne irgendeine der wahren Gefahren für die Privatsphäre einzudämmen. Die Datenverarbeitung, um die Zielgenauigkeit von Werbung zu erhöhen, ist keine reale Gefahr. Eine reale Gefahr ist die schwindende finanzielle Privatsphäre der Bürger60, denn sie könnte zu einer Existenzbedrohung werden, und der leichtfertige Umgang von Medien41 mit der realen Identität von Menschen, die zunehmend digitalen Mobs ausgesetzt werden, die immer öfter gewalttätig ins Analoge übergreifen. Manche Regierungen erzwingen sogar Klarnamen im Digitalen – ein gemeingefährliches Missverständnis digitaler Dynamik. Nicht vom Trollen, der »Hassrede« im Netz von marginalisierten Figuren, geht die größte Gefahr aus, sondern vom Hass, der digital organisiert gegen Einzelmenschen gerichtet werden kann.

Datenschutz ist also kaum Ausdruck von Freiheit, sondern Ausdruck einer Schizophrenie: Einerseits die Anspruchsmentalität, von der Kostenlosigkeit der werbefinanzierten Geschäftsmodelle zu profitieren, und der digitale Exhibitionismus von Narzissten, andererseits die Missgunst, irgendjemandem nützlich zu sein – und sei es auch nur durch im Einzelnen wertlose Daten, die erst im Aggregat und in Verbindung mit dem Konsumismus breiter Schichten wertvoll werden. Datenschutz ist vor allem aber ein Ablenkungsmanöver der Politik.

Diese merkwürdige Einstellung zu den Daten führt dazu, dass Europa zwar Datenerhebungsweltmeister ist, mit seiner alten Schriftkultur, die zunehmend in Behörden und Institutionen frei von realer Nützlichkeit gedeiht. Mit diesen Daten irgendetwas Sinnvolles anzustellen, da aber wird Europa zum Schlusslicht.

Der Bluff rund um die Daten gelingt dank technischen Unwissens: dass Datenzugriff nur total oder gar nicht möglich wäre und dass die gesamte Privatsphäre dahin wäre, wenn Daten verarbeitet würden. Tatsächlich erlaubt die Kryptographie Datenkontrolle und Datentrennung bei völliger Digitalisierung19.

Behörden arbeiten allen Ernstes noch mit Papierformularen, denn Mehrarbeit ohne Nutzen ist für sie kein Kriterium: Eigene Mehrarbeit ist stets Legitimierung von mehr Mitteln und mehr Bedeutung, Mehrarbeit der »Untertanen« bleibt ohne Konsequenz. Ständig werden uns Daten abgenötigt, eben ohne Nutzen und Sinn, und daher als reine Schikane. Aber als Daten bei der Pandemieeindämmung nützlich hätten sein können, zählten nur die Vorbehalte, als ob die Auswertung anonymisierter Bewegungsdaten ein schlimmerer Eingriff wäre als der verordnete Hausarrest gesunder Bürger.

Die Pandemie wäre die Gelegenheit zur Optimierung von Prozessen in Verwaltung und im Gesundheitssystem, für Innovation43 im Bereich digitaler Identität zur Vereinfachung des Lebens statt zur Überwachung. Die heutige Technik ermöglicht passgenaue Datenübermittlung nach gegebener Erlaubnis. Die ständige Aufnahme von Namen und Anschrift, die bei allen Interaktionen die volle Identität preisgibt, ist nur Ausdruck technischer Rückständigkeit. Denn letztlich geht es in den meisten Anwendungen gar nicht um die Übermittlung von Identitätsdaten, sondern um sicheres Erlaubnismanagement und den Schutz vor Datentäuschung.

Das innovative Verbinden von anonymisierten Suchanfragetrends, Bewegungsmustern und Gesundheitsdaten würde die mittelalterlichen Methoden von Lockdown und nationalen Grenzsperren wohl auch bei wesentlich schwereren Pandemien ersparen. Noch sind die Erfahrungen schwer vergleichbar, aber die weniger starke Unterbrechung des Alltagslebens in Taiwan und Singapur wird zum Teil auf die viel höhere Kompetenz im Einsatz digitaler Werkzeuge zurückzuführen sein, nicht bloß auf »Überwachung» – als ob in Europa wesentlich mehr relevante Privatsphäre gegeben wäre.

Kapitel, die auf dieses verweisen: Kap. 10

14. Also doch nur ein weiterer Corona-Leugner?

Ich habe selbst bereits im Februar in Artikeln davor gewarnt, das Coronavirus zu unterschätzen, als in Europa noch Sorglosigkeit herrschte. Der Eindruck hoher Letalität in Norditalien führte dann zu Panik. Panik ist die Angst, die zu spät kommt. Wenn man schon in Panik geraten möchte, dann so früh wie möglich.

Zur guten Abschätzung von Letalitätszahlen braucht man ein möglichst kontrolliertes Umfeld; das unverstandene Seuchengeschehen in Italien eignete sich dafür nicht. Die Grundlage meiner Einschätzungen im Februar war daher das unfreiwillige Großexperiment auf dem Kreuzfahrtschiff vor Japan. Daraus ließ sich relativ bald eine Letalität errechnen, die nicht über der von schwereren Grippewellen liegt.

Seitdem in Europa mehrheitlich verachtete Politiker den Grippevergleich bemühten, ist er zu einem Tabu geworden. Das ist genauso dumm, wie den Grippevergleich zum Abwiegeln zu nutzen: Grippe ist kein Schnupfen, sondern ein Komplex von Infekten ausgelöst durch laufend mutierende Viren, der in Gesellschaften mit langer Lebenserwartung wachsende Todeswellen bedeutet, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.

Vor einer Pandemie mit Grippeähnlichkeit besorgt zu sein, ist richtig. RNA-Viren sind veränderlich, und eine neue Rekombination, die hohe Letalität (bei der Vogelgrippe z. B. 60 Prozent) mit hoher Infektiosität (R0 bei Masern z. B. 15) verbindet, ist nie auszuschließen – etwa durch lange Inkubationszeit, asymptotische Übertragung oder Spätfolgen. Im Nachhinein kann sich diese Sorge als nicht zielführend erweisen, weil jegliches Handeln irrelevant war – etwa weil die überwiegende Zahl an Mutationen keine Verschlimmerung der Lage bedeutet und die meisten Viren völlig harmlos, viele sogar gutartig sind.

Der mediale Fokus auf Infektionszahlen ist weitgehend irrelevant, denn diese folgen den Tests und sind nicht nach relevanten Unterschieden aufgeschlüsselt, nämlich Alter und Komorbidität. Inzwischen hat sich das gesamte Konzept einer Reproduktionszahl als Trugschluss16 erwiesen: Ein epidemiologisches Kürzel, eine Heuristik wurde durch akademisch-mediales Überstrapazieren zur Richtschnur und kehrte damit geringen praktischen Nutzen zu großem praktischen Schaden um. Da es keinen Durchschnittsmenschen mit einem modellhaft vorhersehbaren Verhalten gibt, gibt es auch nicht die Reproduktionszahl an sich, sondern eine Ansteckungsdynamik, die sich von Individuum zu Individuum und Kontext zu Kontext unterscheidet. Hier liegt der Schlüssel, die zahlreichen Paradoxa aufzuklären, die bei diesem komplexen Problem wieder die Spaltung39 und die Blasen18 nähren.

Kapitel, die auf dieses verweisen: Kap. 8, 9, 39

15. Was können wir schon wissen?

Wir wissen bei aktuellen Fragen angesichts der unglaublichen Aufmerksamkeit, des wütenden Politisierens und des heute unvermeidlichen Lagerdenkens stets frustrierend wenig. Abschließende Beurteilungen müssen manchmal eine Generation warten, oft länger, gelegentlich gelingt die Aufklärung niemals. Es ist daher auch sinnlos, beim Handeln auf Gewissheit zu warten. Wir können Handlungen, und dazu zählen auch Urteile, oft nicht an ihren Konsequenzen messen, denn deren Gewissheit kommt zu spät oder gar nicht. Immer wieder können wir aber Rückschau halten, um Fehler zu erkennen.

Fehler sind nicht bloß Unterschiede zwischen Ergebnis und Intention. Ergebnis und Intention können übereinstimmen, und dennoch kann die Handlung ein Fehler gewesen sein: wenn Ergebnis und Intention nur korrelieren und nicht kausal verbunden sind. Diese Fehler sind oft die gefährlichsten, weil sie so leicht zu übersehen sind und wir dann nichts aus ihnen lernen. Politiker haben Maßnahmen gesetzt12, und die Ansteckungskurven haben sich verflacht. Politischer Erfolg oder Bestärkung der Lernunfähigkeit?

Ergebnis und Intention können auch übereinstimmen, weil sich eine unwahrscheinliche Prämisse als richtig erwiesen hat. Die besten und wichtigsten Handlungen sind oft dieser Art: Erfolgreiche unternehmerische Entscheidungen, Abweichen von Dissidenten – die für eine Gesellschaft und Wirtschaft so wichtigen Minderheitenmeinungen38. Ein Erfolgsrezept ist das aber keines. Die meisten Unternehmer scheitern. Die meisten »Contrarians« sind Spinner. Unwahrscheinliche Ansätze sind meistens falsch, sonst wären sie nicht unwahrscheinlich.

Erkenntnissuche verstärkt angesichts der Ungewissheit und Komplexität der Welt meist die Zweifel. Steigendes Wissen mindert die Ungewissheit kaum, oft entscheiden wir mit mehr Wissen nicht besser, sondern schlechter. Das ist kein Argument gegen die Vernunft, aber eines das erklärt, warum Denker und Macher selten aus demselben Holz geschnitzt sind. Macher benötigen Gewissheit. Gegen die Ungewissheit helfen Intuitionen. Können diese nicht greifen, weil der Kurs zu stark vom Bekannten und Anerkannten abweicht, dann helfen Interessen und Ideologien. Auch auf der Basis von falschen Prämissen gefundene Gewissheit kann zu zielführendem Handeln motivieren. Ist dieses Handeln dann ein Fehler? Ich halte solches Handeln für falsch, obwohl es im Resultat richtig ist. Ebenso kann man sich auf der Basis von richtigen Prämissen zu einem Handeln entscheiden, das letztlich nicht zielführend ist. Ich halte solches Handeln für richtig, obwohl es im Resultat falsch ist.

Der schlimmste Umgang mit Ungewissheit ist derjenige, der von der Sorglosigkeit in die Panik kippt. Ungewissheit unterscheidet sich von Ignoranz. Ignoranz ist Desinteresse an der Welt, ob aus Fatalismus oder Bequemlichkeit. Ungewissheit erfahren wir erst in der Konfrontation mit der Realität. Das plötzliche Kippen von Ignoranz in Ungewissheit verunsichert, weil auf die Ungewissheit eben oft nicht gleich Gewissheit folgt, sondern meist weitere und wachsende Ungewissheit. Dann drängt es zu den falschen Gewissheiten, der Ungeduld, der Verachtung für Denker und dem Klammern an Interessen und Ideologien.

Ignoranz ist manchmal sogar vernünftig und meistens besser als die Panik. Diese »rationale« Ignoranz erkennt die Opportunitätskosten des Versuchs, zu Gewissheit zu gelangen oder Ungewissheit zu schultern. Sie hält sich an einfache Regeln, an das selbst Überschaubare und direkt Beeinflussbare. Zum Glück drängt das Gemüt manche Menschen zu mehr und Größerem. Oft gehört dazu Selbstüberschätzung und Geltungsdrang. Zu unserem Unglück ist der politische Weg dazu bequemer als der unternehmerische.

Kapitel, die auf dieses verweisen: Kap. 8, 16, 17, 18, 43, 60

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