Kitabı oku: «Auf der anderen Seite der Schwelle», sayfa 14

Yazı tipi:

Kapitel 22

Wochen waren vergangen, Tage dahingegangen … Draußen glühte noch einmal der Spätsommer in den Hundstagen mit blauem Himmel, in dem unmerklich langsam weiße Wolkenhaufen wie Wattebäusche trieben. Eine Welt dort draußen, die durch die vergitterte Fensterklappe gesehen, sonnenbeschienen aus Farben, Licht und Schatten bestand. Sonnenlicht, das die Welt plastisch machte und dazu Vogelsang, der selbst in den Zellen zu hören war, wenn einer nahe genug ans spaltoffene Fenster trat. Auch konnte man dort, wenn die laue Luft leicht an den Gittern entlangstrich, den Sommer riechen, den ganz feinen Staub in der erhitzten Luft.

In der Zelle jedoch stand, sobald einer sich vom Fenster abwandte, wie eh und je der säuerliche Geruch nach altem Schweiß, Urin und Chlor, der vor allem bei warmem Wetter von den speckigen Decken und dem Kübel in der Ecke ausging.

Sebastian drehte sich vom Fenster weg und sah die anderen auf ihren Schemeln vor sich hindösen. Er war in den letzten Wochen bereits dreimal verlegt worden.

Dreimal hieß es: „Sebaldt, Sachen packen!“ Immer wieder musste er seine Habseligkeiten zusammengerafft in die Decke wickeln. Was die Aufforderung „Sachen packen!“, jeweils heißen konnte, wusste niemand. Es hätte auch die Verlegung in eine andere Anstalt bedeuten können wie zum Beispiel ins „Gelbe Elend“, nach Bautzen oder den „Roten Ochsen“, nach Halle …

Doch schon die Verlegung an sich, lediglich in eine andere Zelle, bedeutete immer auch herausgerissen und entfremdet zu werden. Aus welchen Menschen die Belegung einer Zelle sich auch immer zusammensetzen mochte, die Gefangenen dort mussten sich aneinander gewöhnen, sich einleben, stets wieder von vorn in jeder neuen Zelle. Es verhielt sich beileibe auch nicht so, dass sich einem alle Leidensgenossen dort als in Sympathie ans Herz gewachsen erwiesen, genauso umgekehrt. Außerdem galt es auch immer von neuem zu prüfen und vor allem ohne in Verfolgungswahn zu verfallen, ob dort nicht vielleicht ein Spitzel lauerte und ob man ihn nicht auch gerade deshalb so oft verlegte, um ihn zu irritieren, zu verwirren …

Inzwischen war ja auch etwas geschehen, das ihm Misstrauen nahelegte. Am Nachmittag eines trüben Sommertags hatte der krachende Aufschluss der eigenen Zellentüre die vor sich hindösende Belegschaft aus ihrer Ruhe geschreckt.

„Strafgefangener Sebaldt?“, fragte der in der Tür stehende Schließer.

„Ja, hier.“, antwortete Sebastian erstaunt und leicht verstört. Was sollte das jetzt?

Keine Verlegung … doch was sonst?

„Kommen Sie“, sagte der Schließer und trat aus der Tür auf den Gang hinaus.

Als Sebastian sich seine Holzschuhe anziehen wollte winkte der ab. „Lassen Sie die Schuhe.“

Und so folgte Sebastian in Schlappen der Aufforderung. Also aus dem Haus ging’s nicht, aber nach unten stellte er auf der Treppe fest … zum Kommandoleiter? Auch nicht. Vor einer Zellentür im ersten Stock blieb der Schließer stehen, schloss auf und trat zur Seite.

Sebastian betrat die Zelle und dann saß dort an einem Tisch der Einseifer aus der Friseurzelle, der ihn immer so peinlich bemitleidet hatte. Was sollte das Ganze? Der Wachtmeister sperrte hinter ihm zwar die Türe, schloss sie aber nicht ab.

Der Einseifer grinste und bot ihm einen Platz auf einem richtigen Stuhl am Tisch an. Er amüsierte sich über Sebastians Verblüffung. „Da staunste, was?“

Sebastian staunte tatsächlich. Wer war denn dieser Einseifer, dass er so was durfte? Selbst der Spion war von innen verklebt, wie Sebastian mit einem Blick feststellte. Also ein Schließer, das heißt ein Wachtmeister, hatte hier keinen Zutritt und Einblick. Ist ja ein tolles Ding, gings ihm durch den Kopf.

Der Einseifer bot ihm eine Zigarette an. Sebastian nahm sie und der Einseifer gab ihm mit einem Streichholz Feuer.

Und dann ging auch das bedauernde Lamento, das Sebastian schon in der Friseurzelle so unangenehm berührt hatte, wieder los: „Mensch, das ist doch scheußlich. So jung und schon so viele Jahre“, bedauerte der ihn wiederum auf diese peinliche Weise, indem er die Familie von draußen ins Spiel brachte und die jüngeren Geschwister, die er nach zehn Jahren kaum noch wiedererkennen würde und ähnlichen Schmus und Stuss, bis er endlich das Eigentliche zur Sprache brachte, auf das Sebastian bereits neugierig gewartet hatte. Man könne diese lange Zeit natürlich auch abkürzen, ließ er dann schließlich verheißungsvoll verlauten, um nach einer kalkulierten Pause fortzufahren, „wenn einer nur die Ohren offen hält …“

Also doch bloß der übliche primitive Spitzelquatsch, schoß es Sebastian durch den Kopf, aber andererseit auch hoch interessant. Warum gerade er? Er entschloss sich abzuwarten, neugierig auf das was noch kommen würde.

„Wir brauchen hier zuverlässige Leute, die uns helfen können. Wir treffen uns immer unauffällig zu unregelmäßigen Zeiten, sprechen uns ab, manchmal auch mit Koch … Dem hat übrigens nur der Anstaltsleiter was zu sagen“, betonte der Einseifer, „sonst niemand. Die Schließer haben dabei überhaupt nichts zu melden, auch nichts zu fragen. Wenn du mitmachst, kannst du dich übrigens jederzeit zu mir melden oder zu jemand anderem von uns, natürlich unauffällig.

Da hat auch Kommandoleiter Wollny nicht mitzureden. Du siehst ja, ich habe den Spion von innen verklebt. Das machen wir immer so. Die Schließer haben draußen zu bleiben, das wissen die auch. Zur Zeit, ich will das nur mal erwähnen, machen die Zeugen Jehovas uns zu schaffen. Die bekommen immer wieder ihren „Wachturm“, in die Anstalt geschmuggelt. Wir wissen nicht wie der hier reinkommt. Wenn du mitmachst“, fuhr der Einseifer fort, zog noch mal an seinem Zigarettenstummel und drückte ihn dann in einem Aschenbecher aus, „dann müsstest du hin und wieder auch mal verlegt werden, in Zellen, in denen wir dich brauchen würden.“

„Ich werde ja auch so dauernd verlegt“, entgegnete Sebastian und ermutigte mit diesem halben Einverständnis den Einseifer zu weiteren Einlassungen, hörte sich das alles, hin und wieder mit dem Kopf nickend, aufmerksam an. In diesem seinem Kopf formte sich indessen ein Plan mit der sich daraus ergebenden Möglichkeit auf diesem Wege Spitzel im Zellenbau entlarven zu können. Man sollte zu Kochs Spitzelspinnennetz eine Gegenorganisation bilden, mit Verabredungen und Absprachen zwischen den Beteiligten, zum Beispiel bei den Gottesdiensten in Haus 3. Rasches Reagieren war jetzt von Sebastian gefordert. Wie sollte er sich verhalten? Offensichtlich gab es im ganzen Knast eine geführte Spitzelorganisation mit diesem Koch an der Spitze, von dem er schon gehört hatte, einem Oberstleutnant der Staatssicherheit wie es hieß, und zu 12 Jahren verurteilt. Weshalb? Dazu gabs verschiedene Geschichten. Koch war jedenfalls eine Realität. Was er gewesen war und weshalb er in Cottbus saß und hier das Spitzelnetz befehligte spielte bei Sebastians Überlegungen momentan keine Rolle. Es ging ihm im wesentlichen darum Spitzel zu entlarven und damit unschädlich zu machen. Hierzu bot sich ihm, meinte er, mit dem Anwerbeversuch des Einseifers eine Möglichkeit …

Offensichtlich hielt dieser ihn für jung und unbedarft und so entschloss Sebastian sich einen Versuch zu wagen. Er sah schließlich den Einseifer an und erklärte spontan sein Einverständnis: „Ja“, sagte er, „ich würde mitmachen. Und ich denke ich könnte noch andere dafür gewinnen.“

Der Einseifer nickte erfreut. „Darüber könnte man noch reden. Du wirst zunächst aber zu einem Treffen geholt werden“, erklärte er. „Wahrscheinlich ist dann auch Koch dabei“, fügte er noch hinzu.

„Ja prima“, sagte Sebastian gespielt aufgeräumt, „vielleicht kann ich dann auch schon von einem oder einigen anderen Angeworbenen berichten?“

Der Einseifer setzte ein bedenkliches Gesicht auf und wiegte den Kopf. „Das lass’ besser noch“, sagte er. „Das hat später Zeit.“

Wieder in seiner Zelle erzählte er dann, er sei zum ‚Zwerghähnchen‘ nach unten zitiert worden, Dort habe dieser Wollny ihm einen Vortrag gehalten. Er solle seinen Eltern demnächst mitteilen, dass doch schon lange keine Päckchen mehr geschickt werden dürften. Man hätte das jetzt wieder zurückschicken müssen. „Na, ihr kennt den ja, der hört sich eben gerne reden. Aber wieso meine Mutter mir ein Päckchen geschickt haben soll, das verstehe auch ich nicht“, log er der Zellenbesatzung vor.

Klar war, eine solche Geschichte konnte man nicht jedem erzählen. Und dann wollte er auch erstmal so ein Spitzeltreffen abwarten, zu dem er ja geholt werden sollte. Irgendwie seltsam kam ihm das schon vor, dass man gerade ihm eine Spitzeltätigkeit angeboten hatte. Ob dieser Koch davon wusste? fragte Sebastian sich, also ausgerechnet ihn? Nur weil er jung war? Nee, das mit Koch konnte er sich so nicht vorstellen. Dieser Einseifer könnte da wohl von sich aus gehandelt haben. So kreisten Überlegungen in seinem Schädel rechts-und linksherum, hin und her … Eine wirkliche Gefahr konnte er für sich dabei momentan nicht erkennen. Abwarten und sehen was kommt, sagte er sich.

Eine Lösung stellte sich schließlich ganz schnell ein. In der Nebenzelle gab es einen, dem er glaubte zutrauen zu können, dass er einer zu gründenden Organisation gewissermaßen gegen Koch beitreten würde.

Dem erklärte er auf dem Weg zur Freistunde im schützenden Getrampel der vielen Holzschuhe auf dem Bretterboden der Galerie und den Steintreppen in kurzen Worten die ganze Geschichte mit dem Einseifer und der Chance, die sich daraus für die Gründung einer Antispitzelorganisation ergeben könnte. Der Angesprochene stimmte dem sogleich zu. Es handelte sich dabei allerdings um einen ehemaligen Unterleutnant der DDR-Marine. Doch ehemalige DDR-Armisten gab es ja eine ganze Menge im Zellenbau und auch auf Station vier, mit nicht geringen Strafen. Nicht gleich also ein Grund in Misstrauen zu verfallen. Sebastian jedenfalls wartete auf die vom Einseifer angekündigte Einladung, doch nichts rührte sich, niemand meldete sich, kein Schließer kam ihn holen … Was war los? War das vom Einseifer nur ein doofer Scherz gewesen? Bloß solche Scherze gab es nicht, undenkbar in einem DDR-Zuchthaus.

Die Angelegenheit klärte sich für Sebastian beim nächsten Rasiertermin auf. Als er zusammen mit der Belegschaft seiner Zelle den Friseurraum betrat prallte er an der Tür fast zurück. Der Friseur selbst war zwar derselbe geblieben, den Einseifer aber kannte er nicht. Nach kurzer Verblüffung stieg ein Verdacht in ihm auf … der ehemalige Unterleutnant? Der Einseifer abgelöst und ein neuer eingestellt? Hatte der seinen Anwerbeversuch doch nicht mit Koch abgestimmt gehabt und auf eigene Faust gehandelt?

„Was ist denn mit dem vorigen Einseifer, warum gibt’s den nicht mehr?“, fragte Sebastian den Friseur beim Rasieren.

„Ist verlegt worden“, sagte der.

„So schnell?“

„Von einem Tag auf den andern“, bestätigte der Friseur.

Zu 99 Prozent ist der Unterleutnant aus der Nebenzelle ein Spitzel, ging es Sebastian durch den Kopf. Der hat die Geschichte dem Koch gemeldet. Aber immerhin hat sich einer der Schweinehunde nun selbst entlarvt. Wenigstens was.

Die Warnung vor dem muss durch die Zellen gehen. Und der Einseifer scheint zumindest hier außer Gefecht gesetzt, also noch einer … Nun weiß der Koch allerdings was ich vor hatte. Vielleicht von vornherein ein totgeborenes Kind das Ganze? Nicht gut, sagte er sich, jetzt stehe ich in seinem Visier.

Einige Wochen waren vergangen, da wurde Sebastian wieder einmal verlegt und zu seiner Verwunderung fand er sich allein in einer Zelle mit vier leeren Betten wieder. Als dann noch ein junger Bursche, wenig älter als er taxierte Sebastian, mit seinem Bündel die Zelle betreten hatte und sich mit seinem Namen: „Ich heiße Manfred“, vorstellte, erwartete Sebastian noch weiteren Zuwachs, der aber ausblieb.

Sebastian wunderte sich, dass dieser Manfred seinem ganzen Verhalten nach offenbar niemanden mehr zu erwarten schien und das bei den sonst überall vollbelegten Zellen.

„Meinst du nicht, wir kriegen noch welche in die Zelle?“

„Nee“, antwortete Manfred und wandte sich vom Fenster ab, durch das er hinaus in die spätsommerliche Welt geblickt hatte, „nur wir beide.“

„Aber wo gibt’s denn so was?“, fragte Sebastian misstrauisch. „Eine Zelle für nur zwei Mann …“

„Ich hab’s unten vor dem Kommandoleiterzimmer gehört. Da haben die so was gesagt.“

„Wovon haben die was gesagt? Von einer Zweimannzelle?“

„Ja, genau das.“

Kommandoleiterzimmer … überlegte Sebastian, eine Station darunter lag doch die Zelle in die der Einseifer ihn damals holen ließ. „Aber warum nur wir beide“, fragte er, „wenn die anderen Zellen voll sind?“

Manfred, der auf und ab ging, blieb stehen und hob die Schultern. „Was weiß ich“, sagte er. „Ist doch aber nicht schlecht so ’n bisschen mehr Platz zu haben.“

„Darum gehts nicht“, winkte Sebastian ab. „Die haben irgend was vor. „Und weißt du“, fragte er, „warum die dich ausgerechnet hier reingesteckt haben?“

„Keine Ahnung“, antwortete Manfred und schüttelte den Kopf.

Bei der Freistunde wunderten sich die aus den Nebenzellen über diese Zweimannbelegung.

Besonders misstrauisch gab sich „Bombe“, aus der direkten Nebenzelle. Ein westdeutscher Mitdreißiger, der sich freiwillig Glatze verordnet hatte und deshalb auch „Bombe“, genannt wurde.

„Ist hier drinnen praktischer“, begründete er seinen Entschluss zur Glatze „Pass auf“, sagte er beim Antreten auf dem Gang zu Sebastian, „da steckt was dahinter.“

Der vergewisserte sich kurz, dass dieser Manfred nicht direkt in seiner Nähe stand. „Kommt mir ja auch sehr seltsam vor“, sagte er, „ich denke, das ist ein Spitzel.“, dazu wies er mit einer angedeuteten Kopfbewegung auf seinen Zellengenossen.

„Den habe ich hier auch noch nie gesehen“, sagte „Bombe“, „aber das sagt noch nichts. Jedoch Spitzel? Das könnte gut sein“, stimmte er zu. Ihm hatten sie acht Jahre verpasst, weil er bei einem Verwandtenbesuch in der DDR die Verhältnisse in der Zone, wie er dazu sagte, öffentlich lächerlich gemacht hatte.

Jeder, der in dieser Proletendiktatur bliebe, habe er, wie er erzählte, in verschiedenen Kneipen erklärt, könne nicht ganz bei vollem Verstand sein. Besonders erschwerend habe man ihm angelastet, dass er DDR-Bürger aufgefordert habe in den Westen zu gehen, in ein besseres und freieres Land. Damit hatte er aber gleich mehrere strafbewährte politische Tabus der DDR gebrochen. Dabei waren Verächtlichmachung und Boykotthetze noch das Geringste. Schwerer wog der Tatbestand, wie es hieß, nämlich einer beabsichtigten Schädigung der sozialistischen Wirtschaft im Auftrag der westdeutschen Reaktion, wie sie ihm unterstellt hatten, nämlich versuchte Abwerbung von werktätigen Bürgern der DDR ins Gebiet des imperialistischen Klassenfeinds.

Von der Freistunde zurück in der Zelle liefen dort Sebastian und sein einziger neuer Zellengenosse noch eine Zeitlang in Achten hintereinander her, mal links-und mal rechtsherum und sprachen dabei miteinander über alltägliche Belanglosigkeiten wie die des Wetters dort draußen und der Verpflegung hier drinnen.

„Davon kann man leicht krank werden“, sagte Sebastian. „Viele haben schon Wasser in den Beinen. Letztens lag einer mit TBC auf unserer Zelle. Na ja, alles kommt hier eben zusammen“, fügte er nach kurzer Pause hinzu. „Kaum Bewegung, minderwertige Ernährung und Sauerstoffmangel in den engen überbelegten Käfigen hier. Von der seelischen Verfassung mal gar nicht zu reden.“

Manfred, der einzige Zellengenosse, stimmte ihm zu. „Das ist ’ne Gefahr hier, ich weiß, ich habe ja auch sechs Jahre und zweie davon runter. In vier Jahren kann aber noch viel passieren …“, und beide liefen wieder ihre Achten.

„Warum bist du denn hier?“, fragte Sebastian.

„Diebstahl. Hab Werkzeuge aus ’nem VEB-Betrieb mitgehen lassen und verscheuert, also Volkseigentum. Und du?“, kam auch gleich die Gegenfrage.

„Artikel 6, KD 38“, sagte Sebastian.

„Ach ja, Artikel 6“, und Manfred blieb stehen. „Wegen was denn da?“

„Alles, quer durch den Garten, von Staatsverleumdung bis Spionage …“

„Donnerwetter, was hast ’n da gekriegt?“

„Zehn Jahre. Dabei hatte ich noch Glück, weil die Kirche mit von der Partie war.“

„Wie denn das?“

„Ein Freund sitzt auch hier, wir waren zusammen. Ein anderer Freund hat uns verraten. Der ist jetzt draußen, wahrscheinlich auf einer Parteischule.“

„Und der andere?“

„Wer? Welcher andere?“

„Na der, der auch hier sitzt.“

„Ja, der sitzt auch hier oben, ein paar Zellen weiter. Sein Vater ist evangelischer Pfarrer. Den hat die Kirche aber längst nach West-Berlin versetzt.“

„Und der Sohn ist hier?“

„Hab ich doch eben gesagt. Den hatten sie als Kugelkreuzbanditen von der Schule geschmissen. Der war dann nach Potsdam-Herrmannswerder auf so ein Theologisches Oberseminar gegangen.Und schließlich kreuzte die Kirchenleitung aus West-Berlin zu unserem Prozeß vor Gericht auf.“

„Weswegen hatten sie euch denn nun am Wickel?“

„Wie weswegen? Hab ich doch schon gesagt …“ „Ja richtig. Aber haben die euch denn was nachweisen können?“

Sebastian ließ sich auf einen Schemel fallen und schüttelte den Kopf. „Das ist ja ’ne total blöde Frage. Was meinst du denn überhaupt?“

„Na Spionage … Hat denn der Freund, also der euch verraten hat, hat der denn der Stasi alles erzählt?“

„Was heißt alles?“

„Na was ihr wirklich gemacht habt …?“

Ha, jetzt habe ich dich, ging es Sebastian durch den Kopf. Du hast dich verheddert, mein Lieber. Dich hat Koch geschickt. Damit musste ich rechnen, nur stellst du dich etwas zu blöde an.

„Mann, du stellst Fragen“, sagte er. „Warum sollte der denn nicht alles gesagt haben? Der hat uns doch verpfiffen.“ Dann trat er ans Wandregal, nahm seine hölzerne Zahnbürste aus dem Fach und klopfte damit „Bombe“, in der Nebenzelle die Fragen dieses Manfred durch und zwar in einem Tempo, dem „Bombe“, nebenan zwar folgen konnte, dem der Spitzel in Sebastians Zelle jedoch keineswegs gewachsen war.

„Hier amüsieren sich alle“, klopfte „Bombe“, im gleichen Stakkato zurück.

„Mal sehen was der noch für Bolzen abschießt“, klopfte wiederum Sebastian.

„Was klopfst du denn da“, wollte Manfred, sichtlich misstrauisch geworden, wissen.

„Hast du denn nicht mitgehört?“

„Nee, ging ein bisschen zu schnell.“

„War auch nicht so wichtig“, beschwichtigte Sebastian. „Wir hatten uns, ‚Bombe‘, und ich, also der mit der Glatze nebenan“, und er wies mit dem Daumen gegen die Wand, gegen die er zuvor geklopft hatte. „Also in der Freistunde wollte der was über Totila wissen. Ich hab’s ihm durchgeklopft.“

„Totila?“

„Na ja, mein Freund, der mit mir verurteil worden ist.“

„Ach, der mit dem Pfarrer als Vater …“

„Genau der.“ Sebastian klopfte nach nebenan wieder Fragen und Antworten durch.

„Großer Spaß!“, klopfte es zurück.

„Was wollte der von nebenan denn wissen?“, fragte Manfred wieder.

„Ob Totila noch anderen von seiner Arbeit für den Nachrichtendienst erzählt hat.“

„Hatte der denn?“

„Was?“

„Na anderen von seiner Arbeit erzählt?“

„Natürlich nicht!“

Sebastian saß auf einem Hocker während dieser Manfred in der Zelle ständig unruhig hin und her lief. Der ist sichtlich überfordert, stellte Sebastian für sich mit ganz verstecktem Grinsen fest. Dann räusperte er sich vernehmlich, sodass Manfred seinen Lauf abstoppte und ihn ansah.

„Ich weiß ja genau was du wissen willst“, sagte Sebastian. „Du könntest mich auch gleich direkt fragen. Wenn ich dir jetzt sagen würde, ja der Totila hat dem Müller, dem Maier und dem Lehmann das und das erzählt und du das dem Koch berichtest, dann hättest du bei dem ganz schnell verschissen, weil es den Müller, den Maier und Lehmann nämlich gar nicht gegeben hat.“

Manfred sah Sebastian erschreckt und zugleich verdutzt an.

Der schüttelte den Kopf. „Mann“, sagte er, „das sieht doch ein Blinder mit dem Krückstock, dass Koch dich geschickt hat.“

Manfred wandte sich ohne ein Wort ab, ging zum Fenster, drehte sich dann aber wieder um, sah erst zu Boden und dann Sebastian an. „Wie hast ’n das gemerkt?“

„Na auffälliger als du kann man sich kaum benehmen. Du legst dem Koch damit bestimmt keine Ehre ein“, fügte er grinsend hinzu. Dann klopfte er das Ganze stark gekürzt wieder zu „Bombe“, in die Nebenzelle.

„Bravo“, kam es zurück.

„Was hast du denn da wieder geklopft?“, fragte Manfred verunsichert.

„Ja du meine Güte, was habe ich geklopft … Es ist kein Geheimnis, du hast es ja mithören können.“

„So schnell kann ich das nicht.“

„Also wirklich, dein Pech. Als Spitzel müsstest du das können. Ansonsten bleibt nur üben, üben, üben …“

Diesem Manfred, registrierte Sebastian, war es augenscheinlich ein wenig peinlich, sich so auffällig angestellt zu haben. Nicht im geringsten jedoch störte es ihn, dass er als ein Spitzel erkannt worden war. Es trieb ihn dabei nur eine Sorge um: „Du erzählst das aber nicht weiter … Koch meinte nämlich, wenn es mit mir klappt in den Zellen, könnte ich nicht nur eher rauskommen, sondern dann auch draußen bei der Stasi mitarbeiten.“

Sebastian lachte laut. „Vergiß das“, sagte er. „Das sind Rosinen die sie dir in den Kopf setzen. Nix von alledem wird sein.“

„Der hat mir aber gesagt, ich könnte vielleicht sogar im Westen eingesetzt werden.“

„Menschenskind, du hast dich nicht nur doof angestellt, du bist offenbar auch doof, wenn du so ’n Stuß glaubst. Im Westen eingesetzt“, Sebastian schüttelte den Kopf, „was solltest du denn da machen? Was bist du von Beruf?“

„Maschinenschlosser.“

„Ausgelernt?“

„Na ja, fast …“

„Komisch, wir haben es hier dauernd mit Schlossern zu tun. Kann es sein, dass es in VEB- Betrieben besondere Klauhaken gibt, weil sie so leicht an Werkzeuge kommen?“

Manfred grinste und zuckte nun seinerseits mit den Schultern.

„Was wolltest du da im Westen für die Stasi denn rauskriegen, was nicht sowieso schon allgemein bekannt war? Das ist doch nicht wie hier, wo wir in einem geheimnisumwitterten Staat leben. Hier ist doch jede Schraube geheim. Na ja“, winkte Sebastian schließlich ab, „dass sie dir so ’n Blödsinn in den Kopf gesetzt haben, also viel kann der Koch von deiner Intelligenz nicht halten, wenn er dir zutraut solche Hirngespinste zu glauben. Was hat der denn gesagt, was solltest du von mir rauskriegen? Das kannst du ja jetzt ruhig sagen“, bedrängte Sebastian den verunsicherten Spitzel, als er ein kurzes Zögern an ihm bemerkte.

„Na die sind überzeugt“, sagte er schließlich, „dass du draußen noch mehr Leute kennst, die von eurer Sache zumindest gewusst haben und auch, dass vor allem du bei den Verhören längst nicht alles gesagt hast.“

Nun lief Sebastian in der Zelle auf und ab, während der enttarnte Spitzel ruhig auf einem Hocker gegen die kalten Heizungsrippen gelehnt saß.

Schließlich blieb Sebastian stehen, griff sich seine Zahnbürste aus dem Regal und hämmerte damit im Stakkato gegen die Wand: „Hat zugegeben, Koch hat ihn geschickt.“

„Prima entlarvt! Gratuliere“, klopfte „Bombe“, zurück. „Wieder ein Schweinehund weniger.“

„Du hast doch jetzt nichts von mir gesagt …?“, fragte der Spitzel.

„Quatsch, so interessant bist du nicht. Aber wenn du dich weiter so dämlich anstellst, wird das bald jeder wissen“, entgegnete Sebastian entschlossen diesen Spitzel nachhaltig unschädlich zu machen. Jetzt wurde ihm auch völlig klar, was es mit dem plötzlichen Verschwinden des Einseifers auf sich gehabt hatte.

Koch wird sich an den Kopf gefasst haben, als sein Spitzel ihn mit dieser Neuanwerbung beglücken wollte, stellte Sebastian sich vor. Und dazu vor allem die Meldung von anderer Seite, dass der vom Einseifer Angesprochene andere Gefangene anzuwerben versucht hatte, um Spitzel zu enttarnen und mögliche „Feindelemente“ zu warnen, statt ihn auszuhorchen wie es wohl längst vorgesehen war. Natürlich, Koch wird den schnell und endgültig in die Wüste geschickt haben.

„Sag mal“, wandte Sebastian sich wieder an diesen Manfred, der ihn hatte aushorchen sollen, „wir beide hier alleine in der Zelle … also da könntest du dem Koch, wenn du ihm wieder mal berichten sollst, doch sagen, dass es schwierig sei in dieser Konstellation, also mit uns beiden hier auf der Zelle, etwas rauszukriegen. Du schlägst ihm vor, den Totila Kunzmann mit auf die Zelle zu verlegen und könntest dir vorstellen, sagst du dem Koch, dann eher was zu erfahren, wenn etwa Sebaldt und Kunzmann miteinander sprechen. Du könntest dich dann eher dort einschalten oder so ähnlich, jedenfalls in diesem Sinne.“

Spitzel Manfred nickte. „Ich kann das schon machen“, erklärte er. „Eins kann ich dir aber schon gleich sagen. Wenn ich hier raus bin, kommt der nächste …“

„Das habe ich nicht anders erwartet“, antwortete Sebastian.

„Aber du musst auch versprechen“, wandte der Spitzel sich an Sebastian, „niemandem davon zu erzählen.“

„Na ja“, winkte der ab. „Wie ich das so sehe, wirst du dich sehr bald von selbst aus dem Spiel bringen, da muss ich gar nichts erzählen.“ Eigentlich konnte er sichs nicht recht vorstellen, das Koch auf so was eingehen würde. Zu fadenscheinig das Ganze … Allein mit diesem Spitzel in einer Zelle, war das schon viel zu auffällig und dann vielleicht noch Totila dazu. So doof kann doch allenfalls dieser Manfred sein. Spräche nicht eben für Koch, den Oberspitzel im Cottbusser Knast.

Etwa eine Woche später wurde dieser Manfred von einem Schließer geholt und auch bald wieder zurück gebracht. „Es klappt“, sagte er, als die Tür wieder verschlossen war, „also das mit deinem Freund Totila hier auf die Zelle.“

„Ist Koch tatsächlich darauf eingegangen?“

„Ja klar.“

„Dann hast du das diesmal ganz gut gemacht“, lobte Sebastian. „Vielleicht wird doch noch ’n guter Informant aus dir“, fügte er grinsend hinzu.

Schon am nächsten Tag krachten Schloss und Riegel, die Tür flog auf und Totila betrat, Überraschung im Blick, mit seinem Bündel die Zelle. Er wusste von dem ganzen Handel ja nichts, warf das Deckenbündel auf ein Bett, drehte sich einmal um sich selbst, schüttelte den Kopf und ließ sich auf einen Hocker fallen. „Was ist denn hier los?“

Sebastian stand in der Zelle, sah ihn an und lachte. „Es hat also tatsächlich geklappt“, sagte er und nickte Manfred zu. „Das hat alles sein Richtigkeit“, wandte er sich an Totila. „Wir sollen uns beide hier nämlich unterhalten und der Manfred“, dazu wies er mit einer Handbewegung auf den Spitzel, der sich ebenfalls auf einen Hocker gesetzt hatte, „der soll dabei für Koch rauskriegen, was bei den Stasiverhören so alles nicht zur Sprache gekommen war. Die glauben nämlich ich hätte noch vieles nicht ausgesagt und würde draußen noch Leute kennen, die über unsere Untaten Bescheid wüssten. Und diese Namen nicht zuletzt soll der Manfred hier rauskriegen.“

„Ganz offensichtlich trauen die dem Verräter, dem Sasse, auch nicht so richtig über den Weg“, äußerte Totila sich, sogleich mitten im Geschehen.

„So könnte man das interpretieren“, sagte Sebastian. „Aber das ist ja deren Bier.

Du wunderst dich natürlich was hier gespielt wird“, fuhr er fort, als er in Totilas noch immer etwas ratlose Miene blickte. „Das ist auch ein bissel verwirrend.

Aber nun erst mal der Reihe nach: Die Sache ist so“, erklärte er. „Ich wurde vor einigen Tagen völlig alleine in diese Zelle hier verlegt und wunderte mich schon darüber bei der ganzen Überbelegung hier im Bau. Dann kam noch der Manfred dazu. Das war ja schon mal alles andere als normal. Alle Zellen voll bis an den Rand und hier nur zwei Mann. Der Manfred bestätigte mir dann auch noch, dass das seine Richtigkeit habe. Er hätte das zufällig gehört. Es war also klar, hier war was im Busch. Das meinte bei der ersten Freistunde auch „Bombe“ von nebenan. Du weißt, der mit der Glatze. Und der Manfred hier“, dazu wies er mit einer Handbewegung wieder auf den Spitzel, „hat’s dann auch bald zugegeben. Koch habe ihn geschickt. Dass du jetzt hier in der Zelle bist, hat Manfred in die Wege geleitet. Ich hatte ihm das vorgeschlagen, damit er uns besser aushorchen kann.“, dazu grinste Sebastian vielsagend.

„Ist ja mal wieder ’n Ding“, sagte Totila kopfschüttelnd.

„Hast du gemerkt“, fragte Sebastian, „der Einseifer ist weg.“

„Ja, ist jetzt ’n anderer da …“

„Richtig, der erste wollte mich als Spitzel anwerben.“

„Quatsch! Du spinnst.“

„Na ja, war ja auch’n Fehlgriff gewesen.“

„Du meine Güte“, Totila schüttelte den Kopf. „Läßt man dich mal alleine, verwickelst du dich gleich in so undurchsichtige Geschichten.“

„Ging ja nicht von mir aus“, sagte Sebastian lachend.

„Lächerlich ist so was aber nicht“, mahnte Totila.

„Weiß ich natürlich auch“, winkte Sebastian ab. „Was ist denn eigentlich aus dem vorigen Einseifer geworden?“, fragte er diesen Manfred. „Vielleicht weißt du was?“

„Das weiß ich zwar auch nicht genau, aber gehört habe ich, dass sie den nach Haus 4 verlegt haben.“

„Und? Macht der dort weiter für Koch?“

Manfred hob die Schultern. „Vielleicht ’ne Bewährung?“

„Ach, so was gibt’s bei euch auch? Wie ist es denn so? Trefft ihr euch und besprecht da alles mögliche miteinander, also wer bespitzelt werden soll und wer wo eingesetzt wird und so … Das hatte mir der Einseifer damals so angedeutet.“

„Ganz so ists auch nicht“, erwiderte Manfred. „Alle die für Koch in die Zellen gehen, kennen sich natürlich nicht untereinander.“

„Nicht alle oder überhaupt nicht?“

Manfred wiegte ein paar Mal nachdenklich den Kopf. „Nicht alle“, sagte er dann zögernd.

„Und der Nächste, der dann nach dir kommt, ist auch wieder einer von Kochs Truppe?“

Manfred nickte. „Andere gibts nicht. Hab ich ja schon gesagt. Und Koch kriegt seine Aufträge direkt von der Stasi, die sitzen ja vorne in der Vollzugsverwaltung.

Und überhaupt, Cottbus, also der Knast, ist ja direkt der Stasi unterstellt.“

„Unser Freund hier“, sagte Sebastian zu Totila, „will bei der Stasi Karriere machen. Hat Koch ihm jedenfalls versprochen, wenn er sich hier im Knast bewährt.“

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺305,79

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
1021 s. 3 illüstrasyon
ISBN:
9783957448019
Telif hakkı:
Автор
İndirme biçimi:
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок