Kitabı oku: «Der Nagel», sayfa 11
London, Freitag, 28. Juli 1944, 15:15 Uhr
Das Telefon klingelte zweimal, dann nahm David ab.
»Ja?« Es vergingen zwei Sekunden, dann beendete er das Gespräch mit einem: »Er kann reinkommen.«
Unmittelbar, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, wurde die schwere Bürotür geöffnet, und ein schlanker Mann betrat den Raum. Er schloss die Tür hinter sich und ging zielstrebig auf David zu.
»Mr Petrie«, sagte der dunkelblonde Besucher zur Begrüßung und gab David die Hand. David nickte ihm zu und deutete mit einer Kopfbewegung nach rechts.
»Das ist mein Assistent Frank.«
Der große Mann, der einen hellbraunen Anzug mit einer dunklen Fliege trug, schüttelte auch Frank die Hand.
»Nehmen Sie Platz, Mr Chapman«, sagte David und wies auf den freien Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand. »Was können wir für Sie tun?«
»Mr Petrie. Zuerst möchte ich mich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich kurzfristig Zeit genommen haben. Aber ich denke, es lohnt sich.« Er unterbrach für einen Moment, um die beiden Männer neugierig zu machen. »Wie Ihnen ja bekannt ist, arbeite ich nicht nur als Agent für den britischen, sondern auch für den deutschen Geheimdienst. Ich habe in Deutschland die besten Kontakte und kann mich dort in den höchsten Kreisen bewegen.«
»Das wissen wir«, entgegnete David, »und wie es aussieht, haben Sie sich bei den Deutschen recht ordentlich benommen und sogar Auszeichnungen erhalten. Sie haben sich also an die Anweisungen von Oberst Tommy Robertson gehalten, bei den Nazis keinerlei wilde Unternehmungen zu starten. So oder so ähnlich waren doch seine Befehle, wenn ich mich richtig entsinne, oder?« David deutete auf die braune Akte auf dem Schreibtisch. »So habe ich es zumindest gelesen.«
»Das stimmt«, grinste Chapman. »Ich hätte aber auch keine Chance gehabt, etwas anderes zu tun, als mich genau an die Spielregeln zu halten. Was glauben Sie, wie schnell auch nur ein falsches Wort sie in die Folterkammern der SS bringt. Und als Agent, der zwischen Deutschland und England verkehrt, wird man dreimal mehr überwacht und beobachtet, als andere. Sie laufen regelrecht in einer Wolke von Misstrauen umher, aber ich habe Gott sei Dank auch einige Fürsprecher auf der anderen Seite.« Chapman nutzte die passende Gelegenheit, um wieder auf sein Anliegen zurückzukommen. »Aufgrund dieser Fürsprecher könnte ich mich auch auf höherer Führungsebene in Berlin bewegen. Natürlich nicht einfach so, aber das ließe sich arrangieren.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Wir wissen, dass Hitler nach wie vor in Deutschland das Heft in der Hand hält. Die Soldaten sind auf ihn vereidigt und ein großer Teil des Volkes steht noch immer hinter ihm und arbeitet für den Endsieg, den er ihnen verspricht. Und wer weiß, ob die Deutschen nach dem gescheiterten Attentat nicht noch mehr an ihren Führer glauben als zuvor? So lange Hitler an der Macht ist, besteht keine Möglichkeit, den Krieg vorzeitig zu einem Ende zu bringen, da er einer Kapitulation nie zustimmen würde. Und etwas anderes als eine bedingungslose Kapitulation kommt ja für uns nicht infrage.« Er unterbrach seine Ausführungen für einen Moment, dann fuhr er, eine Spur lauter, fort: »Es gibt aber mittlerweile eine Anzahl führender Militärs in Deutschland, die, anders als Hitler, die Niederlage kommen sehen und durchaus bereit wären, unter gewissen Bedingungen den Krieg zu beenden. Es gibt aber nur wenige, die ihren Eid auf Hitler wirklich brechen würden, um ihn zu beseitigen. Das Attentat vor acht Tagen hat leider nicht geklappt. Die, die es riskiert haben, wurden mittlerweile verhaftet oder umgebracht. Und die, die noch nicht entlarvt wurden, werden sich jetzt erst einmal zurücknehmen, da selbst die kleinste falsche Bemerkung oder Handlung den Tod bedeuten kann. Die Gestapo und die SS nehmen jeden Offizier und Führungsmitarbeiter unter die Lupe. An ein neues Attentat ist vorerst nicht zu denken. Das bedeutet, der Krieg geht erst einmal weiter.«
»Und?«, fragte Frank mit einem gelangweilten Ton dazwischen. Die Einleitung von Chapman war ihm doch etwas zu lang geraten.
»Ich möchte Ihnen ein Angebot machen«, sagte Chapman etwas langsamer, dafür aber betonter als zuvor, und nachdem sein Blick kurzzeitig zu Frank ging, sah er nun wieder David an.
In dem Büro herrschte eine absolute Stille.
»Ich biete Ihnen an, Hitler zu töten«, sagte er mit einer Stimme, die zum Ausdruck brachte, dass er zu etwas in der Lage war, das jeder andere in Großbritannien nicht durchführen könnte. Und strahlte dabei auch noch eine Arroganz aus, als ob es für ihn das Leichteste auf der Welt wäre, den deutschen Führer umzubringen.
Damit hatte niemand gerechnet. David sah zu Frank und die Überraschung stand beiden ins Gesicht geschrieben.
»Wie wollen Sie das anstellen?«, platzte es aus David heraus. »Gerade noch haben Sie davon gesprochen, dass jeder überwacht und beobachtet wird, und da kommen Sie und tun so, als ob es für Sie eine Kleinigkeit wäre, Hitler zu beseitigen.«
Die Überraschung war Chapman zweifellos gelungen, doch David fing sich recht schnell wieder. Natürlich war der Gedanke verlockend. Doch war er zweifelsfrei davon überzeugt, dass es nach dem gescheiterten Attentat niemandem gelänge, mit einer Waffe oder Sprengstoff erneut in die Nähe Hitlers zu gelangen. Dafür waren die Kontrollen viel zu scharf und der Personenkreis, der näheren Kontakt zum deutschen Führer hatte, war deutlich eingeschränkt worden.
David lehnte sich in seinem Stuhl vor und nahm die Akte vom Tisch. Er blätterte darin herum. Frank beobachtete ihn und wartete auf seinen nächsten Schritt.
»Mr Chapman«, begann David und sein Blick blieb noch einen Moment auf die Unterlagen gerichtet. Dann sah er auf. »Können Sie mir kurz erklären, weswegen Sie in Jersey eingesessen haben?«
Chapman sah ihn ungläubig an. Was sollte diese Frage jetzt? Er bot an, den größten Verbrecher der Welt zu töten und dieser Mr Petrie fragte ihn nach seinem Gefängnisaufenthalt von vor vier Jahren? Doch er fing sich schnell wieder und man sah ihm sein Erstaunen nur kurz an. »Ich war verliebt.«
»Verliebt?«
»Ja. Ich hatte im Frühjahr 1940 ein Mädchen kennengelernt und wir waren fasziniert voneinander. Wir hatten wunderschöne Tage zusammen verbracht und mehrfach wünschte sie sich einem romantischen Abend am Strand, bei Kerzenschein und Musik. Und ich Idiot habe, völlig blind wie ich war, ihr diesen Wunsch unbedingt erfüllen wollen. Und als die Wettervorhersage dann ein paar schöne laue Tage angekündigt hatte, bin ich in ein Haus eingestiegen, dessen Besitzer verreist war. Ich wusste, dass er einen tragbaren Plattenspieler besaß und den habe ich mir ausgeliehen. Natürlich wollte ich ihn wieder zurückbringen. Nun, der Besitzer war auch verreist, aber sein Sohn war für einige Tage auf der Insel und wohnte in dem Haus. Er hat mich beobachtet, ist mir gefolgt und hat die Polizei gerufen. Natürlich hat man mir nicht geglaubt, und so saß ich ein paar Tage im Gefängnis, bis die Deutschen kamen und mich rausgeholt haben. Aber das steht ja alles in meiner Akte. Und wie es weiterging, ist Ihnen bekannt. Die Deutschen haben mich als Agent angeworben und nach England geschickt, wo ich mich umgehend beim MI6 gemeldet habe. Und so bin ich die letzten Jahre als Doppelagent zwischen den beiden Ländern verkehrt. Es ist mir gelungen ...«, und jetzt versuchte Chapman das Thema wieder auf sein Angebot zu lenken, »... mir bei den Deutschen einen guten und zuverlässigen Ruf zu erwerben, der mich bis in höhere Kreise geführt hat. Mit den richtigen Bekannten bei der Abwehr kommt man fast überall rein.« Chapman hielt inne und hoffte, dass damit das Gespräch wieder in der von ihm gewünschten Richtung weiterlaufen würde.
»Wie wollen Sie das anstellen?«, wollte David wissen.
Chapman atmete erleichtert auf. »Ich werde mich mit ihm in die Luft sprengen.«
»Sie wollen sich mit Hitler in die Luft sprengen?« Erneut klang Davids Stimme überrascht, wenngleich nicht mehr in dem Maße wie zuvor. »Wie wollen Sie das denn schaffen?«
»Die Deutschen sind jetzt natürlich sehr vorsichtig. Sie prüfen alle Taschen und Behälter, die man mit in die Nähe des Führers nehmen will. Damit kommt man nicht mehr durch. Zudem müssen die Offiziere, bis auf wenige Ausnahmen, zu den Besprechungen ihre Waffen ablegen. Erschießen ist also auch nicht mehr möglich. Die einzige Möglichkeit ist, den Sprengstoff eng am Körper zu tragen, da man sich nicht traut, die hohen Offiziere auch noch zu filzen. Es ist schon demütigend genug, dass sie ihre Waffe abgeben müssen.«
»Wo wollen Sie denn das Attentat ausführen?«
»Das kann ich nicht genau sagen. Natürlich ist Hitler nicht mehr so viel in der Öffentlichkeit unterwegs, wie er es früher einmal war. Und nach dem Attentat werden sicher weitere Termine abgesagt werden. Ich bin aber überzeugt, dass es noch einzelne Veranstaltungen gibt, an denen er teilnehmen wird. Und da ich die besten Kontakte zur deutschen Abwehr habe, wird es dieser sicherlich gelingen, mich zu einem der Auftritte mitzunehmen.«
»Angenommen, es gelingt«, fuhr David fort, »was hätten Sie davon?«
»Wenn mir das gelingt, dann werde ich als Held in die Geschichte eingehen. Als der Brite, der Hitler getötet hat.« Unüberhörbar klang jetzt Stolz in Chapmans Stimme.
»Und das reicht Ihnen? Das ist Ihre Absicht? Da muss doch noch irgendwo der Haken sein?«, mischte sich nun auch Frank in das Gespräch ein.
»Einhunderttausend Pfund auf ein britisches Konto und einhunderttausend Schweizer Franken auf ein Schweizer Konto. Unabhängig vom Ergebnis. Und wenn das Attentat gelingt, dann die jeweils gleiche Summe noch einmal auf die gleichen Konten.«
»Und wofür ist das Geld, wenn Sie tot sind?«, fragte Frank.
»Ich werde bei einem Notar hinterlegen, wofür es verwendet werden soll. Das steht hier nicht zur Debatte. Ich denke, der Betrag ist bescheiden, wenn man sich vor Augen führt, was durch eine Verkürzung des Krieges an Geldern eingespart wird. Und nicht nur an Geldern. Denken Sie an die vielen Zerstörungen überall in Europa. Vor allem aber die vielen Menschenleben, und die sind mit Geld sowieso nicht aufzuwiegen.« Er unterbrach wieder, um damit die Bedeutung seiner Ausführungen zu unterstreichen. »Denken Sie darüber nach. Die Entscheidung sollte aber bald fallen, sonst werden wir womöglich von den militärischen Ereignissen überrannt. Die Chancen, an Hitler heranzukommen, werden nicht größer, und wenn ich Erfolg haben soll, muss ich schon bald wieder rüber, mich vorbereiten und vor allem aber meine Beziehungen spielen lassen.«
Nun wartete David ganz bewusst einige Sekunden, bevor er etwas erwiderte. Er rutschte auf seinem Stuhl in eine lässige Haltung, mit der er auszudrücken versuchte, dass er nicht sonderlich beeindruckt war, wenngleich innerlich ziemlich aufgewühlt. Dann fragte er Chapman so ganz nebenbei.
»Und was, wenn wir auf Ihr Angebot nicht eingehen?«
Chapman atmete kurz, aber deutlich hörbar ein.
»Ich glaube, Sie sollten sich ganz genau überlegen, ob Sie es nicht annehmen wollen. Ich sehe keine andere Möglichkeit, den Krieg vorzeitig zu beenden. Und das Geld sollte doch wohl kein Problem darstellen.« Seine Stimme zitterte jetzt und der Ton wurde lauter.
David versuchte weiter, lässig und wenig beeindruckt zu wirken. Er wollte Chapman aus der Reserve locken. Er wollte einfach wissen, was ihn zu so einem Schritt bewogen hatte. Das Geld kann es nicht sein, davon hat er nichts. Und zudem verfügte seine Familie über ausreichend Vermögen, soweit war ihm bekannt. Und sein Leben zu opfern, um als Held in die Geschichte einzugehen, das nahm er ihm nicht ab.
»Mr Chapman«, fuhr David fort. »Ich kann Ihre Absichten nicht nachvollziehen. Und ich verstehe die Gründe nicht. Überzeugen Sie mich davon. Erklären Sie mir, warum Sie das machen wollen.«
»Ich habe persönliche Gründe«, erwiderte Chapman in ruhigem Ton. Von seiner kurzen Erregung zuvor war nichts mehr zu spüren. »Ich denke, die muss ich nicht unbedingt ausführen, da sie auf die Ausführung keinen Einfluss haben.«
»Das sehe ich anders«, stellte David fest, aber Chapman machte keine Anstalten, seine Gründe darzulegen. David überlegte, ob er darauf bestehen sollte, entschied sich aber dagegen. »Sie wissen, dass ich das nicht alleine entscheiden kann. Ich werde mit dem Premierminister sprechen müssen.«
»Das weiß ich und ich bitte darum, dies bald zu tun. Denken Sie an die vielen Toten und Verletzten, die der Krieg schon gekostet hat.« Damit stand er auf und streckte David die Hand entgegen. »Ich höre wieder von ihnen?«
David nickte und gab ihm die Hand. Mr Chapman verabschiedete sich auch von Frank, dann ging er zur Tür. Ohne sich noch einmal umzudrehen verließ er den Raum.
»Was hältst du davon?«, fragte Frank, als die Tür ins Schloss gefallen und die Geräusche von draußen wieder auf das gewohnte, leichte Hintergrundgeräusch gefallen waren.
»Ich weiß nicht.« David ging langsam um seinen Schreibtisch herum. »Nach all dem, was wir von ihm wissen und was in den Akten steht, hat er bei der Abwehr und der Gestapo die besten Kontakte. Er dürfte also durchaus eine Chance haben, Hitler zu töten.«
»Und was meinst du, wird Churchill dazu sagen?«
Berlin, Prinz-Albrecht-Straße, Samstag, 29. Juli 1944, 12:20 Uhr
Hans kannte das Hotel Prinz Albrecht, den Sitz der Reichsführung-SS, mittlerweile recht gut. In dieser Gegend hatten sich, aufgrund der räumlichen Nähe zum Regierungsviertel, das Staatspolizeiamt, das Reichssicherheitshauptamt sowie weitere Institutionen niedergelassen. Ebenfalls war dort die Geheime Staatspolizei mit ihrem »Hausgefängnis« angesiedelt.
Hans Tätigkeit als einer der verantwortlichen Leiter der Raketenentwicklung und seit 1943 auch für die Entwicklung der Interkontinentalrakete zuständig, hatte ihn im Laufe der letzten Jahre wiederholt in das Machtzentrum der SS geführt. Mehrfach war er schon in Himmlers Arbeitszimmer gewesen. Viele der regelmäßigen Besprechungen fanden aber in einem eigenen Raum statt, der die Möglichkeit bot, Pläne und Skizzen auszubreiten, Fotografien auf einem großen Tisch auszulegen und Filme zu zeigen. Aufnahmen, die im Detail auf verschiedene Schwerpunkte der Arbeit selbst und die mit der Entwicklung der neuen Raketen verbundenen Probleme hinwiesen. Die Besprechungen fanden oftmals unter der Leitung von Dr. Hans Kammler statt, der sich besonders seit Ende 1943 vermehrt in die Raketenentwicklung einmischte. Gelegentlich waren Vertreter des Heereswaffenamtes zugegen, in selteneren Fällen auch Himmler persönlich. Kammler bestand darauf, immer sehr genau und ausführlich über den Entwicklungsstand informiert zu sein. Speziell für ihn mussten wiederholt umfangreiche Reports erstellt und Filme über die verschiedenen Versuchsreihen gedreht werden, die er im Rahmen der Besprechungen zu sehen wünschte. Einen solchen Termin vorzubereiten war immer mit großem Aufwand verbunden und behinderte die Weiterentwicklung immens. Generalleutnant Dornberger und Wernher von Braun taten daher alles, was in ihrer Macht stand, um diese Termine so weit wie möglich hinauszuzögern.
Diese Besprechung hatte Hans zum Glück schon hinter sich, als er sich nach zwölf auf den Weg zu seinem Treffen mit Himmler gemacht machte. Der Termin am Vormittag war diesmal überraschend kurz ausgefallen. Dr. Kammlers Bemerkungen und Zwischenfragen offenbarten deutlich, dass er nicht bei der Sache war und so reduzierten sie ihren Vortrag auf ein Minimum, um schnell zu einem Ende zu kommen. Völlig ungewohnt, ohne die üblichen Phrasen und die ständigen Hinweise auf die Dringlichkeit ihrer Arbeit, hatte Kammler den Termin vor einer halben Stunde beendet und den Raum ohne weitere Erklärung verlassen. Niemand hatte ihm das übel genommen, man war froh gewesen, wieder eine dieser lästigen Pflichtübungen hinter sich gebracht zu haben. Generalleutnant Dornberger hatte daraufhin versucht, ihren Flug zurück nach Peenemünde vorzuverlegen, doch die Maschine stünde nicht vor vierzehn Uhr zur Verfügung, hieß es.
So hatte Hans sich um einen kurzfristigen und nicht geplanten Termin bei Himmler bemüht und war doch sehr überrascht gewesen, dass dies so einfach klappte und der Reichsführer ihn empfangen würde. Himmler war sich der zentralen Rolle von Hans im Rahmen der Forschungen und Entwicklungen in Peenemünde bewusst. Das war auch der Grund, warum er ihn empfing.
Hans ging auf dem sauberen Holzboden vor Himmlers Zimmer auf und ab und seine Schritte hallten leise durch den langen Flur. Sein Blick fiel auf seine Armbanduhr. Zwanzig Minuten nach zwölf. Er hatte einen Termin für Viertel nach zwölf bekommen. Fünf Minuten waren schon verstrichen. Fünf Minuten, die viel sein konnten in einem Gespräch, dem Himmler von vorneherein nur ein paar Minuten gestattet hatte. Hoffentlich fällt der Termin nicht aus.
Plötzlich wurde der Türgriff von innen nach unten gedrückt und Hans blieb unvermittelt stehen. Seine Muskeln waren gespannt wie bei einem Tier, das, durch Geräusche erschreckt, mit dem Auftauchen eines Feindes rechnete und zur Flucht bereit war. Seine Augen waren auf die Klinke gerichtet, die sich aber nicht weiterbewegte. Jemand musste von innen an der Tür stehen, sie aber noch geschlossen halten. Die Sekunden verstrichen. Nun komm schon raus. Dann wurde die Tür unvermittelt geöffnet und ein Soldat in schwarzer Uniform trat auf den Flur. Hans achtete nicht auf die Abzeichen, den Rang oder welche Haarfarbe der Soldat hatte. Er sah nur noch die Tür vor sich.
»Bitte schön«, sagte der SS-Mann völlig unerwartet mit einem natürlichen Lächeln im Gesicht und hielt ihm die Tür auf.
»Danke«, erwiderte Hans gedanklich abwesend, dann betrat er das Büro Himmlers. Die Tür schloss sich hinter ihm.
»Guten Tag, Herr Friedel«, sagte Himmler, der am gegenüberliegenden Fenster stand und sich nun dem Besucher zuwandte, mit einer ungewöhnlich freundlichen Stimme. »Treten Sie näher.«
Hans ging mit klopfendem Herzen auf den Reichsführer zu, der ihm mit ausgestreckter Hand ein paar Schritte entgegenkam.
»Nehmen Sie Platz«, sagte Himmler nach einem kräftigen Händedruck. Er zeigte auf einen freien Stuhl. Dann ging er um den Tisch und setzte sich ebenfalls. Wieder spürte Hans die Beklemmung in der Brust und er ärgerte sich erneut, dass sich das noch immer nicht gelegt hatte.
»Ich freue mich, Sie zu sehen«, eröffnete Himmler das Gespräch. »Einen unserer wichtigsten Wissenschaftler im Reich.«
Hans lächelte und nickte kurz. Der Druck in seiner Brust schwoll an und ein Klo? hatte sich in seinem Hals eingenistet.
»Wissen Sie eigentlich«, fuhr Himmler fort, »dass Kammler sehr viel von Ihnen hält? Er hört manchmal gar nicht mehr auf, wenn er von Ihnen und Ihrer Arbeit spricht.«
»Das freut mich«, stammelte Hans und versuchte gleich, die Lorbeeren zu verteilen. »Aber ich bin auch nur einer von vielen. Ohne meine Kollegen wären wir noch nicht da, wo wir heute sind.«
»Ich weiß Ihre Bescheidenheit zu schätzen«, antwortete Himmler. »Aber ein genialer Kopf sind Sie trotzdem. Womit kann ich Ihnen helfen?«
Himmler hatte die Mundwinkel leicht nach oben gezogen und zu beiden Seiten des Gesichts zeigten sich Lachfalten, die ihn durchaus sympathisch wirken ließen. Über seiner Oberlippe deutete sich ein kleines Bärtchen an, dessen Länge die eines Dreitagebarts nicht überschritt. Um sein Kinn herum zeigte sich ein dunklerer Schatten. Mit seiner kleinen Nickelbrille wirkte er eher wie ein Lehrer als ein Mann, der über das Leben von Millionen Menschen entschied. Einzig die über den Ohren recht hoch abrasierten Haare störten das an sich relativ freundliche Aussehen eines Mannes, der mit einem strahlend weißen Hemd und exakt gebundener Krawatte vor ihm saß.
Hans schluckte zweimal, dann begann er, mit rauer Stimme direkt auf das Anliegen seines Besuchs zu kommen. Die Zeit war kostbar, ihm verblieben nur noch wenige Minuten.
»Als ich Ende Mai in Frankreich war, wurde ich verhaftet unter dem Verdacht, Informationen und Dokumente an die Engländer weitergegeben zu haben. Man hat mich stundenlang verhört, eingesperrt und erst nach Intervention von Generalleutnant Dornberger und Wernher von Braun wieder freigelassen.« Hans holte tief Luft. Er war nervös. Wenigstens musste der Kloß jetzt runtergerutscht sein, er spürte ihn kaum noch. »Gestern musste meine Frau in Dresden in die Gestapozentrale kommen, wo man ihr ein gefälschtes Dokument vorlegte, in dem man ihre Mutter als Jüdin auszuweisen versuchte. Was das für Konsequenzen für meine Familie gehabt hätte, brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen. Vor meiner Einstellung in der Heeresversuchsanstalt wurden die Stammbäume beider Familien umfangreich durchleuchtet und unser bisheriges Leben auf den Kopf gestellt. Meine gesamte Arbeit für die Raketenentwicklung kennt nur ein Ziel, die gesetzten Anforderungen und Termine, wenn irgend möglich, umzusetzen und einzuhalten.« Hans kam langsam in Fahrt, sodass er nicht bemerkte, wie er schneller sprach und seine Stimme lauter wurde. »Ich verstehe das alles nicht. Ich habe meine Arbeit gemacht, nie etwas gegen die Partei gesagt oder getan. Ich habe überhaupt keinen Grund, mit Fremden über meine Aufgaben zu sprechen, geschweige denn Informationen an den Feind weiterzuleiten. Warum kommt man plötzlich mit solchen Anschuldigungen daher, die absolut haltlos sind? Da hat es jemand auf uns abgesehen und möchte uns schaden. Ich kann meine Arbeit nicht vernünftig fortführen, wenn ich meinen Kopf dafür nicht frei habe. Ich bitte Sie, Herr Reichsführer, sich der Sache anzunehmen und feststellen zu lassen, wer diese Verdächtigungen verbreitet und meine Familie und mich in Verruf bringt.«
»Jetzt beruhigen Sie sich erst einmal, Herr Friedel.« Himmler hatte noch immer ein leichtes Lächeln im Gesicht, wenn auch sichtbar weniger als zu Beginn des Gesprächs. »Von dem Vorfall in Frankreich habe ich gehört, kenne aber die genauen Details nicht. Die Informationen über den Besuch ihrer Frau in der Bismarckstraße gestern höre ich jetzt zum ersten Mal. Dazu kann ich Ihnen leider nichts sagen«, erwiderte Himmler und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ich bin mir sicher, dass sich das alles klären wird.«
Ich glaube dir kein Wort, dachte Hans. Du weißt genau, wovon ich rede.
»Wie Sie wissen, befinden wir uns zurzeit in der entscheidenden Phase des Krieges. Da ist es absolut notwendig, dass wir allen Spuren, welcher Art auch immer, nachgehen müssen, um zu verhindern, dass der Gegner Informationen über unsere Technik, Strategien und Absichten erfährt. Auch wenn meine Leute gewissenhaft ihrer Arbeit nachgehen, so ist es in dieser schweren Zeit durchaus möglich, dass es mal zu Verwechslungen, wie bei ihrer Frau in Dresden, oder zu Missverständnissen kommen kann. Die lassen sich dann aber oftmals schnell klären, wie es bei Ihnen ja auch der Fall war.«
Woher weißt du von der Verwechslung in Dresden, wenn du von Elisabeths Termin angeblich gerade erst erfahren hast? Hans war überzeugt, dass der Reichsführer mehr wusste, als er zugab.
»Herr Friedel«, fuhr Himmler nach einer kurzen Pause beschwichtigend fort. »Ich bin mir sicher, dass es sich hierbei nur um Missverständnisse handelt. Sie sind einer unserer fähigsten Wissenschaftler. Sie haben es geschafft, in wenigen Jahren eine Rakete zu entwickeln, die mehrere Hundert Kilometer weit fliegen und dabei bis in den Weltraum vorstoßen kann. Sie entwickeln gerade eine Interkontinentalrakete und ich bin davon überzeugt, dass Sie auch diese Aufgabe mit Erfolg erfüllen werden. Ich kann mir bei Ihnen beim besten Willen nicht vorstellen, dass diese Anschuldigungen zutreffen.«
Und warum unterbindest du sie dann nicht? dachte Hans, sagte aber nichts, sondern schaute dem Reichsführer nur ins Gesicht.
»Natürlich könnte ich dem Ganzen einen Riegel vorschieben«, fuhr dieser fort, »und anordnen, dass man die Vorwürfe gegen Sie und Ihre Familie fallen lässt.« Hans wartete auf das aber, das in der Tonlage von Himmlers Stimme mitschwang. »Dass Informationen herausgegeben wurden, steht zweifelsfrei fest. Nur wissen wir nicht von wem.« Himmler machte bewusst eine kleine Pause. Im Raum war es totenstill. In diesen zwei Sekunden drang kein Laut von der Straße oder den anderen Räumen herein. »Wenn Sie uns helfen, würde ich dafür sorgen, dass alle Anschuldigungen gegen Sie und Ihre Familie fallen gelassen werden und Sie in Zukunft auch nicht mehr behelligt werden.« Bei diesen Worten lehnte er sich wieder nach vorne, legte die Unterarme auf dem Tisch und seine linke Hand auf den Handrücken der rechten.
»Und wie soll ich Ihnen helfen?«, fragte Hans ungläubig, auch wenn ihn im Unterbewusstsein ein Gedanke beschlich, worauf der Reichsführer hinauswollte.
»Sie brauchen uns lediglich Bescheid zu geben, wenn Sie etwas Verdächtiges beobachten. Wenn einer ihrer Kollegen etwas sagt oder tut, was nicht ganz im Sinne des Nationalsozialismus oder im Einklang mit unseren Zielen und ihrer Arbeit steht.« Bei diesen Worten grinste Himmler wieder stärker um den Mund herum und blickte kurz auf seine fast quadratische Uhr an einem braunen Lederband, die er am linken Handgelenk trug.
Ich soll meine Kollegen bespitzeln, dachte Hans fassungslos und war überzeugt, dass Himmler das Entsetzen in seinem Gesicht ablesen konnte. Niemals. Niemals werde ich das tun, durchfuhr es ihn, aber er sagte nach wie vor nichts. Du Schwein.
Himmler schaute erneut auf seine Uhr. Und diesmal demonstrativ länger als gerade zuvor.
Er will mich unter Druck setzen und zu einer Entscheidung drängen. Oder hat einen Termin zum Mittagessen. Wahrscheinlich beides. Ein Gedanke durchfuhr ihn plötzlich und völlig unerwartet und ohne über mögliche Konsequenzen nachzudenken, begann er: »Herr Reichsführer. Als ich in Frankreich eingesperrt war, war ich in einer Zelle untergebracht, in der ebenfalls eine Französin mit ihren beiden Kindern gefangen gehalten wurde. Ihr Mann war als Kollaborateur erschossen worden.« Er machte bewusst eine kurze Pause, spürte einen weiteren Kloß im Hals und sein Herz im ganzen Körper pochen. Seine linke Hand begann zu zittern. Unauffällig legte er die rechte drüber. »Wenn ich Ihnen Informationen über meine Mitarbeiter geben soll, dann geht das nur, wenn diese Frau mit ihren Kindern freigelassen wird und wie ich mit meiner Familie auch, in Zukunft völlig frei und unbehelligt leben kann.«
Hans drückte mit der rechten Hand seine linken Finger weiter zusammen und hielt die Hand krampfhaft fest. Er schwitzte am Rücken und spürte Schweißperlen auf der Stirn. Was machte er hier gerade? Er hatte dem Reichsführer-SS Bedingungen gestellt. Oder treffender gesagt, der Reichsführer hat ihn erpresst und er versuchte, etwas mehr dabei herauszuholen. Was konnte er gegen diesen Mann tun, der ihm mit einem Fingerzeig das Leben nehmen konnte, ohne dass es andere interessierte. Außer seiner Familie und seinen Freunden natürlich. Er hatte keine Wahl. Er musste auf die Erpressung von Himmler eingehen, um seine Familie und sich zu retten. Und konnte dabei noch das Versprechen einlösen, das er der Französin gegeben hatte.
Himmler überlegte noch einen Moment. Dann fiel sein Blick erneut auf seine Uhr und offenbar war die Zeit um, die er für das Gespräch vorgesehen hatte. Er stand auf und sah Hans noch eine Sekunde in die Augen. Dann streckte er ihm die Hand entgegen.
»Abgemacht. Ich höre wieder von Ihnen.«
Hans erhob sich ebenfalls und gab dem Reichsführer zögernd die Hand.
Kein Wort werde ich dir sagen. Kein einziges, dachte er, während er Himmler zunickte. Dann drehte er sich um und verließ wortlos den Raum.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.