Kitabı oku: «Sprachbilder und Sprechblasen», sayfa 2
Als der Frieden einzog, verschwanden die meisten Kriegsgeburten aus dem Sprachgebrauch. Wer redete noch vom Heldentod für Führer und Vaterland, von Stukapiloten, Gefrierfleischorden, wie die Betroffenen die Auszeichnung für die Teilnahme am Winterfeldzug gegen die Sowjetunion zu nennen pflegten, Kesselschlachten und verbrannter russischer Erde. Auch der Luftschutzkeller und der NS-Blockwart verloren ihren Rang. Der Christbaum war wieder ein reines Weihnachtsattribut und nicht mehr die Gruppe von Leuchtkugeln, mit der die Bombergeschwader ihr Zielgebiet absteckten. Einige Jahre darauf konnte man Lebensmittelkarten, Kleiderkartenpunkte, Bezugsscheine oder Tabakwarenzuteilung aus den Wörterbüchern streichen.
Nach Victor Klemperers berühmter Analyse der Nazisprache »LTI« (Lingua Tertii Imperii – Die Sprache des Dritten Reiches) »glitt ... der Nazismus in Fleisch und Blut der Menge« durch »die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr in millionenfachen Wiederholungen aufzwang und die mechanisch und unbewusst übernommen wurden«. Der Nazijargon lebte folgerichtig noch so lange fort wie die Naziideologie in den Köpfen. Als die Menge aus dem Wahn erwachte, befreite sie sich auch sprachlich. Allmählich entledigte sie sich solcher Denkkategorien und Parolen wie Untermenschentum, Rassenschande, Vaterlandsverräter, Judenschule, Etappenschwein. Überflüssig wurden auch die Bezeichnungen Sturmbannführer, Pimpf, Führerbefehl, Braunhemd, Ariernachweis.
Die Nachkriegsperiode gebar neue Probleme und Wörter. Organisieren, das im Krieg einen ganz neuen Sinn erhalten hatte, wurde das meistbenutzte Tätigkeitswort für das Heranschaffen von allem Möglichen – Kartoffeln, Schubkarren, Kohlen, Künstlern, Alkohol –, meist auf krummen Touren oder mit Vitamin B (Beziehungen). Manch einer »organisierte« sich auch einen Persilschein. So nannte man schriftliche Bestätigungen dafür, dass man eine ganz weiße Weste hat, sich in Nazireich und Krieg nie etwas zu Schulden kommen ließ und deshalb nicht entnazifiziert werden muss. Aktive waren nicht die Aufbauhelfer, sondern Zigaretten aus der Schachtel, im Gegensatz zu den aus Kippen, Eigenbau oder Rauchertee selbstgedrehten. Sowjetsoldaten rauchten meist grob geschnittenen Machorka und stritten, ob sich als Papier dafür besser die »Prawda« oder die »Iswestija« eignet.
Zur Gegenwartssprache verweise ich auf Dutzende Beispiele für das Kommen und Gehen von Vokabeln in den 20 Lektionen »German for Sie«. Ich werde sie mir hier ersparen. Aber der aufmerksame Leser wird merken, dass zu einigen Themen schon wieder neue Wortsterne am Sprachhimmel erstrahlt sind, die dort fehlen, weil sie noch nicht geboren waren. Genannt seien nur Tsunami, Vuvuzela, Geodienste, Apps, googeln, twittern und guttenbergen.
Nie wieder Repermentieren
Die einzige Sportart, die ich mein Leben lang geliebt und betrieben habe, ist die Wortakrobatik. Wortspielereien sind mindestens so alt wie die Narren an den Höfen und die Streiche des Till Eulenspiegel. Wortwitze können sehr geistreich, sehr albern und sehr gequält sein, für die Macher mindestens ebenso unterhaltsam wie Kreuzworträtsel. Was haben wir in feuchtfröhlichen Stunden nach Redaktionsschluss nicht alles ersponnen oder wenigstens kolportiert: Misswahlen in der DDR. Miss Wirtschaft war Frau Mittag, Miss Bildung war Frau Honecker, aber es gab auch eine Miss Ernte, eine Miss Geburt, eine Miss Stimmung, eine Miss Billigung, eine Miss Etat, eine Miss Verhältnis und so fort. Dann kamen die Erfinderwitze in Mode: Garibaldi wurde zum Erfinder des Schnellkochtopfes, Puccini Erfinder des Staatsstreiches, Brecht-Schwiegersohn Schall sollte das Echo, Eisenhower den Schlaghammer entdeckt haben. Die zu DDR-Zeiten viel diskutierte Zittauer Aktivistin Frida Hockauf hielt jemand für die Schöpferin des Plumpsklos. Ihren Lehrsatz »So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben« wandelten wir ab in »So wie wir heute arbeiten, möchten wir morgen gewiss nicht leben«. Sehr beliebt war auch das Ausdenken von Sprüchen über Politiker, bei denen sich jeder denken konnte, was er wollte: Stoph bleibt Stoph, Erich währt am längsten, Sindermann macht’s möglich, Kulturpolitik macht Hager, Grotewohl ist mir am Abend.
Ein besonderer Spaß war die Bereicherung der Sprache durch frei erfundene Wörter wie Flatterbusen oder auch Schni (für die Abschalttempoquote bei gewissen TV-Sendungen wie Schnitzlers »Schwarzem Kanal«). Das Wort Ökologik entstand durch einen Schreibfehler und hat als Zufrühgeburt nicht überlebt, heutzutage wäre es vielleicht Kandidat für das »Wort des Jahres«. Die nicht existierende Muzope machten wir zu einem DDR-Produkt und brachten sie in mehreren Zeitungen unter. Dazu verweise ich auf Kapitel 2 meines Buches »Ich habe alles doppelt gesehen« (Seite 31 ff.). Bei der Erfindung eines so geheimnisvollen Vorgangs wie der reinen Phantasiegeburt »Repermentieren« gab es einen gewissen politischen Zusammenhang. Könnte das nicht nach einer neuen »Abweichung« klingen und wachsamen Gemütern Angst machen? »Beinah hätten se uns nun beim Repermentieren erwischt«, »Der Parteitag hat doch eindeutig Stellung gegen das Repermentieren bezogen«, »Der braucht sich nicht zu wundern, dass er in die Wüste geschickt wird, wenn er dauernd repermentiert«. Wir waren innerlich stolz, schüttelten aber scheinbar bedenklich den Kopf, wenn einer zugab, davon nie gelesen zu haben und gar nicht zu wissen, was das ist.
Manche machten ihre Wortspielchen in Form von »anonymen« Redensarten, die nur aus häufig benutzten Phrasen bestanden, aber Prädikat und Thema ganz wegließen: »Kaum dass se nun, wer’mer doch nich schon wieder«, »Wenn die das nun noch, hamm se uns alle am Arsch«, »Hat der doch glatt, und dann schämt er sich nicht mal«. Das waren manchmal hinterlistige Anspielungen, die Insider verstanden und zu ergänzen vermochten. Meist war es überhaupt nicht zweckbestimmt, kein versteckter Protest, sondern Sprach- und Hirnakrobatik. Oder war es nicht einmal das, sondern einfach nur Geblödel?
Heim ins Bermudadreieck
Will man am Schluss eines Kapitels, das mit dem Widerstreit zwischen Dialekt und Hochdeutsch begann, noch einen Blick auf die Zukunft der Sprache werfen, so ist die Frage erlaubt, ob Deutsch überhaupt eine Überlebenschance hat. Man warte mit dem kollektiven Aufschrei »Selbstverständlich!« ruhig einen Moment. Mehr und mehr Kinder in Europa – Deutschland ist da noch weit zurück – lernen bereits im Kindergarten als Zweitsprache spielend Englisch, schon um später die Cover auf den DVDs lesen zu können. Es wird keine hundert Jahre dauern, bis man in Italien Italienisch und Englisch, in Griechenland Griechisch und Englisch, in Polen Polnisch und Englisch, in der Schweiz Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch fließend spricht. In Deutschland wird Deutsch mit Englisch nicht allein bleiben können. Über 15 Millionen Menschen auf dem Territorium unseres Landes haben schon heute ihre sprachlichen Wurzeln anderswo, allein an die 2,5 Millionen im Türkischen. Kann das Sprachelernen da immer nur die anderen angehen?
»Der deutschen Sprache wird also einiges zugemutet«, fasst der Germanist Karl-Heinz Göttert in »Deutsch – Biografie einer Sprache« die Problematik zusammen. »Von außen kommt das Englische, von innen steht es mit zahlreichen Sprachen aus Europa und der Welt im Wettbewerb.« Aber welche Wettbewerber haben die besten Chancen? Die Muttersprachen von Özil, Podolski und Robben besitzen zumindest keine Vorteile gegenüber der von Müller und Ballack auf dem Weg in ein vielsprachiges Europa und ein mehrsprachiges Deutschland. Göttert ist der Überzeugung, dass Deutsch gut gerüstet in den Sprachenwettbewerb geht, wenn es sich ihm stellt und sich noch mehr für das Neue, für das »Fremde« öffnet.
Vielleicht bringt die Mehrsprachigkeit der globalisierten Welt auch dem Sächsischen, dem Bayrischen, dem Schwäbischen und dem Plattdeutschen Vorteile. Die Rückkehr zu den heimischen Dialekten, wo man die »Nestwärme der Regionalität« findet, wird zunehmen. Also »Heim ins Bermudadreieck«, wenigstens nach Feierabend, und lassen wir uns nicht verdrießen, wenn sich Lene Voigt über unsere »scheißliche Ausschbrahche« und unseren »ähländn Dialäggd« beschwert. Morgen früh bei Arbeitsbeginn heißt es ja doch wieder »Yes, we can« – auch Hochdeutsch.
Kapitel 2
Ist der Übersetzer der Chef vom Untersetzer?
Gedanken über das Wunder der Sprachbilder und über Stilvarianten der Unzucht im Heidekraut
»Jede Sprache, die sich frei betätigen darf, dient allen menschlichen Bedürfnissen, sie dient der Vernunft wie dem Gefühl, sie ist Mitteilung und Gespräch, Selbstgespräch und Gebet, Bitte, Befehl und Beschwörung.«
Victor Klemperer
1945 stand ich als blutjunger Volontär der »Nachrichten für Grimma« hinter unserem ebenerdigen Verlagsschaufenster und wunderte mich über einige Knaben, die obszöne Gesten in unsere Richtung machten und sie mit ebensolchen Rufen begleiteten. Als des Rätsels Lösung erwies sich eine kleine Notiz auf der Lokalseite: »In der Handschuhfabrik M. & P. Händel brach gestern ein Feuer aus, das aber noch vor Eintreffen der Feuerwehr von den männlichen Gliedern der Belegschaft gelöscht werden konnte.« Alles an diesem Text stimmte, nur das Bild nicht. So kam ich eines Tages auf die Idee, komische Bildstörungen zu sammeln und blieb dabei bis heute.
Im Bild sein ist immer, in der Sprache aber besonders wichtig. Die bildliche Wendung ist ihr emotionalster und schönster Teil, vielleicht die ursprünglichste Form der Menschen, sich künstlerisch zu artikulieren. Allerdings kann man sich auch mit kaum etwas so leicht lächerlich machen wie mit dem Verstümmeln und Verdrehen bildhafter Redewendungen, seien sie noch so abgenutzt und verblasst. In der ARD-Dauerserie »In aller Freundschaft« dient ein Pfleger Brunner zeitweise als Witzfigur, weil er alle Sprichwörter verballhornt. (Der tüchtige Buchdrucker Johann Ballhorn, der im 16. Jahrhundert in Lübeck wirkte, ist übrigens ganz ungerechtfertigt zum sprichwörtlichen Urvater aller Verschlimmbesserungen gemacht worden.) Brunner sagt, wenn den Autoren nichts Besseres einfällt, »Schmiede das Glück, so lange es heiß ist« oder »Morgenstunde ist aller Laster Anfang« oder »Steter Tropfen höhlt den Fluss«. Ein beliebter ausgedachter Bildwitz ist: Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht. Ein Klassiker meiner Sammlung übertrifft ihn: Der Zahn der Zeit, der so manche Träne getrocknet hat, wird auch über diese Wunde Gras wachsen lassen.
Trainer unter Zugzwang und eine Nase im Ring
Meist entstehen solche Zerrbilder aber unabsichtlich durch Versprecher oder Denkfehler. Als die reizende TV-Moderatorin Caren Miosga von einer »kläffenden Wunde« sprach, dachte sie vielleicht eher an »klaffende Hunde«. Unter Zugzwang litt als damals Stuttgarter Fußballtrainer Markus Babbel mit der Forderung: »Wir müssen uns selbst bei den Haaren aus dem Schopfe ziehen.« Sein Amtskollege bei der Potsdamer Frauenmannschaft, Bernd Schröder, dämpfte Befürchtungen mit der Versicherung: »Unsere Spielerinnen sind so konstruiert, dass sie nicht in den Himmel wachsen.« Bruno Labbadia aus der nämlichen Zunft schränkte aber mit Recht ein, das dürfe man nicht hochsterilisieren. Franz Müntefering wiederum verwahrte sich im Fernsehen energisch dagegen, die »SPD mit der Nase durch den Ring zu ziehen«. Er hat wohl allzu viele Boxübertragungen gesehen. Das echte Sprachbild geht auf einen anderen Ring zurück, den Ring durch die Nase, mit dem einst Schausteller Tanzbären auf den Jahrmärkten vorführten.
Münteferings Version klingt ähnlich sonderbar wie die Sache mit dem Kamel, das laut Matthäus 19.24 eher durch ein Nadelöhr kommen kann als ein Reicher in den Himmel. Müsste sich ein halbwegs aufgeweckter Leser nicht fragen, wie der begnadete Redner Jesus darauf gekommen sein sollte, ausgerechnet das völlig ungeeignete Wüstentier für so eine Gegenüberstellung zu wählen? Doch Luther bemerkte vielleicht nur bei der Bibelübersetzung nicht, dass da vermutlich ein Schreibfehler unterlaufen war. Die alten irischen Mönche, auf deren Bibelabschrift sich Luther stützte, erkannten wohl als ausgesprochene Landratten die Bedeutung des griechischen Wortes kamilos nicht und lasen es als kamelos, Kamel. Kamilos heißt »Seil«, »Schiffstau«. So ein dicker Strick passt zwar nicht durch ein Nadelöhr, dafür umso besser zu dem biblischen Vergleich. Eine andere, weniger originelle und wahrscheinliche Erklärung bezieht sich auf ein für Kamele zu kleines Tor in der Jerusalemer Stadtmauer.
Auch eine Berliner Tageszeitung ist einmal an einem Sprachbild gescheitert, an »einer Katze, die sich selbst in den Sack beißt« (statt, wie sich’s gehört, in den Schwanz). Vielleicht war die Autorin Feministin und wollte nicht, dass Sprichwortkätzinnen weiter verwehrt bleibt, was Kater seit jeher können, wenn sie nur schmerzresistent sind.
Chinesisch als böhmisches Dorf
Die Schreiber dürfen sich trösten. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Selbst Große verirren sich im dichten Sprachwald dann und wann. Goethe, der im »Faust« den goldenen Baum des Lebens grün sein ließ, schrieb in seinem »Werther«: »Das waren dem Gehirne spanische Dörfer.« In seinem Gehirne hatten sich zwei Redensarten verheddert, wie der Sachse sagt. Da können einem böhmische Dörfer schon mal spanisch erscheinen. Die »Berliner Zeitung« wurde von dem geflügelten Wort zu kühnen geografischen Phantasien angeregt: »Darüber hinaus ist Chinesisch für Mitteleuropäer eher ein böhmisches Dorf.« In Spanien sagt man übrigens: Das kommt mir sehr chinesisch vor.
Gefährlich sind Alltagssprachbilder, deren ursprünglicher Sinn kaum noch wahrgenommen wird. Wer denkt beim Wink mit dem Zaunpfahl noch an einen Zaun – und doch ist es nüchtern betrachtet albern, wenn man das schnurrende Betteln der Katze um einen Leckerbissen als Wink mit dem Zaunpfahl bezeichnet. Komisch wirkte auch, als ein Rundfunkreporter auf einem Schriftstellerkongress bemerkte, dass ein Redner mit einer bestimmten These »die schlafenden Hunde geweckt« habe. Welche Autoren danach zu bellen begannen, erfährt man nicht. Noch schöner war im selben Text: Ihm lag ein flammender Protest bleiern auf der Zunge. In einem Reisefeature aus dem Thüringer Wald meinte der offenbar sehr tierliebende Journalist mitleidig: »Zugpferde im verschneiten Wald sind im Grunde arme Schweine.« Wie wahr! Aber im Schlachthof träumen die armen Schweine davon, wie schön es wäre, lieber Zugpferde im verschneiten Wald zu sein.
Bei mancher Redensart kann man erraten, wie sie entstanden sein dürfte. Hört man »Das ist für die Katz«, so fällt einem ein, wie nutzlos es ist, Katzen zu füttern und nicht Kühe oder Schafe: Katzen legen keine Eier, geben keine Milch, liefern keine Wolle, eignen sich für keinen guten Braten. Bewiesen ist diese Herkunft nicht, dafür erscheint sie logisch. Wer hat sich aber schon einmal den Kopf darüber zerbrochen, was unsere Sprache alles mit der Leber anstellt. Ich denke nicht an »Die Leber wächst mit ihren Aufgaben«, womit Eckart von Hirschhausen die Sprachbilderkette bereichert hat. Da ist der Ursprung klar. Aber warum reden wir – ausgerechnet – frei von der Leber weg? Warum hat jemand etwas auf der Leber? Warum ist ihm eine Laus über die Leber gelaufen? Warum war selbst die beleidigte Leberwurst einst nur eine gekränkte Leber? Warum hängen wir das in drei Teufels Namen nicht der Niere, dem Magen, vielleicht noch der Seele an? Die Leber ist doch eigentlich im Volksmund für Alkoholverarbeitung zuständig – siehe Hirschhausen oder Redensarten wie: Er hat eine trockene Leber, eine Schluckleber usw.
Die Antwort fand ich im vorzüglichen Lexikon »Sprichwörtliche Redensarten« von Lutz Röhricht. In der mittelalterlichen Medizin galt die Leber als der Sitz der Lebenssäfte und des Temperaments, also auch leidenschaftlicher Empfindungen wie des Zorns. Frei von der Leber weg reden ist also eigentlich ein Anachronismus, diese Funktion haben heute nach unserem Empfinden ganz andere Organe. Erst wenn wir unserem Herzen Luft machen und wenn uns die Galle überläuft, sind wir sprachmedizinisch auf der Höhe der Zeit oder, wie man auf Deutsch sagt, up to date.
Zumindest höherer Blödsinn
Ein weiteres markantes Ausdruckselement der Sprache ist der Klang der Wörter. Als Kinder hatten wir in Leipzig eine Geheimsprache: »Dielefi ilefist dulefumm.« Beherrschte man die stereotype Machart, verstand man das Gemeinte auch ohne Dechiffrierung, denn: »Wilefir silefint gelefescheilefeit.« Vor etlichen Jahren las ich, wie ein Gedicht des britischen Kinderbuchautors Lewis Carroll (»Alice im Wunderland«) neu übersetzt worden ist:
Verdaustig wars, und glasse Wieben
Rotterten gorkicht im Gemank;
Gar elump war der Pluckerwank,
Und die gabben Schweisel frieben.
Gereimter Quatsch? Vorsicht. Die wichtigsten Wörter sind zwar ersponnen, aber der Text löst trotzdem Empfindungen aus, er klingt, als ob sich jemand in einer miesen Situation – im Sumpf? – elend fühlt. Wie kommt das? Da sind Laute, da sind Ähnlichkeiten mit Sinnvollem. Zumindest höherer Blödsinn also. Vokale und Buchstabengruppen können hart oder weich, lockend oder drohend, angenehm oder unappetitlich klingen, jeder weiß, dass ein »Aaah« das Gegenteil von einem »Äääh« ist, dass »Oooh« Freude und »Öööh« Protest ausdrückt. Ganz unabhängig von der Bedeutung hört sich Mutschekuh lieb und Ochsenschleim eklig an. Gute Werbeleute wissen und nutzen das.
Der zu Unrecht fast vergessene Dichter und Epigrammschöpfer Friedrich von Logau (1604 –1655) rühmte die Breite der Klangpalette unserer Muttersprache:
Kann die deutsche Sprache schnauben,
schnarren, poltern, donnern, krachen,
kann sie doch auch spielen, scherzen,
lieben, kosen, tändeln, lachen.
Was ist das Gegenteil von a priori?
Aber aufgepasst! Der Klang und andere Ähnlichkeiten können auch irreführen. Dolmetscher sind damit so oft auf die Nase gefallen, dass sie von »falschen Freunden« sprechen. Wie nahe sind sich Amor und Amok. Wie hässlich klingt Gemeinnutz, wie schön dagegen Grünspan und Blausäure. Das Gegenteil von Antithese ist nicht Prothese, der Übersetzer nicht der Chef des Untersetzers. Cappuccino kann man nicht den Kapp-Putsch ankreiden, und der Weg vom Exhibitionisten zum Ausstellungsleiter ist weit. Als mein Sohn mit fünf Jahren zum ersten Male von Aftershave hörte, grinste er hintergründig. Auf die Frage, ob er denn wisse, was das ist, antwortete er prompt: »Na klar, was Scharfes für’n Hintern.« Meine Tochter reagierte im gleichen Alter auf das Wort Kotflügel mit einem spontanen »Iiih!«. A priori bedeutet von vornherein, aber apropos mitnichten von hinten hinein. Genug der Beispiele.
Wer schon mal einen Anzeigentext aufsetzen musste, weiß: Umgangssprachliche Wörter sind dafür meist unbrauchbar. Warum? Es gibt Stilebenen mit vielen Abstufungen: die stilistische Null-Färbung, den gehobenen Stil, die Vulgärsprache. Nehmen wir eine Todesanzeige. Da steht vom so plötzlich Dahingeschiedenen, vom teuren Toten, den der Herr zu sich genommen hat, der von schwerem, tapfer ertragenem Leiden erlöst wurde, der ewig in unserem Gedächtnis leben wird. Das sind die feierlichen Varianten. Der ist krepiert, verreckt, abgenippelt, den hat der Teufel geholt, dem tut kein Zahn mehr weh, der hat ins Gras gebissen, seinen Löffel abgegeben. So hört es sich vulgär an. Neutral wäre gestorben, verschieden, einer langen Krankheit erlegen, den letzten Atemzug getan.
Nicht nur Humoristen leben von der Vermischung der Stilebenen. In der Laienspielgruppe übten wir: Der Riese sprach mit dröhnender Stimme: »Mama, ich muss mal pullern.« Oder nehmen wir bei Kurt Tucholsky die Unterhaltung des Dieners mit der Hausherrin: »Meinen Frau Gräfin nicht auch, dass dies ein rechtes Scheißwetter sein dürfte?« Ein einziges Wort aus dem Gassenjargon verwandelt die höfisch formulierte Frage in einen Witz. Auf einer ähnlichen Basis beruht die Wirkung von Joschka Fischers berühmten Zwischenruf im Bundestag (1984): »Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.«
Wenn Regierungspolitiker von etwas reden, das ihnen gründlich in die Hose gegangen ist, verwenden sie gern die euphemistische Floskel »Es war suboptimal«, die Opposition spricht dagegen von »kläglichem Scheitern«, das Volk denkt an die Hose und wertet klar und deutlich: »Absolut beschissen«. Einschränkend sei bemerkt, dass die Grenzen nicht selten fließend sind. Manchmal ist vom vulgären Anmachgruß »Eh du« zum schwärmerisch gehobenen »Mein Mäuseschwänzchen« inhaltlich und zeitlich nur ein winziger Abstand.
Drei Birken, drei Tage, drei Stile
Wie unterschiedliche Stilebenen die Schilderung des gleichen Vorgangs bis fast zur Unkenntlichkeit zu verändern vermögen, kann man am Beispiel eines Vorkommnisses demonstrieren, das auf das Ende des 19. Jahrhunderts datiert wird. Nehmen wir zunächst die Notiz einer zeitgenössischen Lokalzeitung in relativ emotionsloser, neutraler Form, die gestelzt, aber stilistisch ungefärbt klingt. Dann folgt eine mit Vulgärelementen durchsetzte umgangssprachliche Darstellung. Version drei dürfte zumindest für ältere Leser zum Déjà-vu-Erlebnis werden. So ist das Ereignis in der lyrischen, gehobenen, freilich nicht unumstrittenen Sprache des Natur- und Heimatdichters Hermann Löns in die Literatur eingegangen und wird als Lied noch heute von Fischer- und anderen Chören geschätzt.
Sittenskandal in der Heide – Exklusivbericht des »Lüneburger Stadtanzeigers«
Von unserem Gesellschaftsreporter Graf Otto von Knochenmarck
Im niedersächsischen Amtsbezirk Celle sah sich Mitte Mai der für die öffentliche Ordnung in den nicht landwirtschaftlich genutzten Bereichen der Lüneburger Heide verantwortliche Polizeibeamte gezwungen, ein Pärchen wegen sittenwidrigen Verhaltens und Erregung öffentlichen Ärgernisses festzunehmen. Es hatte bei einer Gruppe von sieben Birken gelagert (in seiner Aussage räumte der inhaftierte Mann nur drei ein, was aber für die Bewertung des Vorfalls nicht von Belang sein dürfte) und unter freiem Himmel wiederholt diverse obszöne Sexualhandlungen vollzogen. Nach drei Tagen geduldiger Beobachtung hielt es der Vertreter der Staatsmacht für unumgänglich einzuschreiten, zumal in dieser Gegend nicht selten Kindergruppen mit ihren Gouvernanten zu wandern pflegen, die möglicherweise unfreiwillig Zeugen der schamlosen Exzesse geworden wären.
Der Ordnungshüter nahm das Paar in vorläufigen Polizeigewahrsam und wies es bis zur Klärung der Identität in das Gefängnis der Stadt Celle ein. Das minderjährige, aber auffallend entwickelte und körperlich frühreife Mädchen wurde sogleich wieder entlassen und in die Obhut seiner besorgten Eltern, Besitzer der in Celle und Umgebung sehr renommierten Nachtbar »Zur scharfen Erika«, gegeben. Sie hatten des Verschwindens ihrer Tochter wegen umgehend Anzeige erstattet. Dagegen wurde der höchst ungepflegt aussehende und gekleidete Mann, der als fahrender Geselle keinen festen Wohnsitz oder Arbeitsplatz anzugeben vermochte, im Schnellverfahren zu einer mehrtägigen Haftstrafe verurteilt.
Der Heidepolizist beobachtete ihn im Spätherbst noch einmal bei der besagten Gruppe von drei bzw. sieben Birken, wo er offenkundig vergeblich ein Wiedersehen mit dem Mädchen erhoffte. Die Enttäuschung über dessen Ausbleiben, verstärkt noch durch die herbstlich triste Witterung und den öden Anblick des leeren Gezweigs lösten bei ihm eine verzweifelte Stimmung und wohl sogar Suizidgedanken aus, wofür der Ausruf »Mein Schatz, ich seh’ dich niemals mehr« sprechen könnte, den der Beamte gehört haben will.
Die wirkliche Wahrheit über die Birkenorgie
Erzählt von Fietes bestem Freund Schnuckenede
Mein alter Kumpel Wacholderfiete, der versaute Bock, hatte nach etlichen Pleiten eine sexversessene Kneipiersgöre aufgegabelt. Beim Kippenstechen an einer Penne hatte er gemerkt, dass ihm ein kesser frühreifer Fratz geile Blicke zuwirft. Da war ihm scheißegal, dass er in der Pause auf dem Schulhof von lauter Bälgern umringt war. Er schmiss sich an die Puppe ran und säuselte: »Um Sechse bei den drei Birken.« Sie wusste auf Anhieb, was das heißt und wo das ist und nickte heftig, ohne rot zu werden.
Die Kleene kam pünktlich und war bloß in einen dünnen Fetzen gehüllt. Fiete hatte sich aber schon oft die Pfoten verbrannt. Er machte aus Daffke erstmal Taschenkontrolle bei ihr. Dabei griff er aber bloß zwei schäbige Zehner, einen Flachmann mit irgendwelchem Fusel, eine Tüte Blaubeeren, ein süß riechendes Parfüm, fünf Gummiüberzieher und, weiß der Deubel wofür, einen feuchten Waschlappen und eine Rotzfahne – alles unverdächtig. Es konnte losgehen. Sie rissen sich hastig die Klamotten vom Wanst und wälzten sich bei Sonnenschein und Vögelgesang vor Wollust im Heidekraut. Großmäulig prahlt Fiete seitdem von seinen drei B-Tagen: nur Beeren, Bechern und Bumsen.
Im Suff, wenn er um anzugeben wie ein Schentelmän quatscht, redete er spitzmäulig von »Schlafen bei Mutter Grün«. Als wir daraufhin laut losbrüllten, kotzen täte er aber im Scheißhaus von Mutter Blau, mimte er auf einmal den großen Manitu: Ihr könnt mich alle am Arsch lecken, ihr seid zu doof, das grüne Wunder zu begreifen. Klugscheißen kann Fiete nämlich, wenn er Lust hat, ganz gut. Grün ist Hoffnung, Grün ist Zukunft, einmal wird Grün die Welt regieren, um sie zu retten, blökte er uns wutschnaubend an. Wir haben uns ausgeschüttet über sein Geschwätz. Mensch, dachten wir, ist der im Tran!
Aber zur Sache: Die drei Birken, der Gerichtshof machte Riesenzoff, weil es vor dem letzten kalten Winter sieben gewesen sein sollen, und die Wacholdersträucher schützten die Beiden, wie Fiete glaubte, ganz gut vor Feindeinsicht. So hätten sie ihre neckischen Sauereien auch länger als 72 Stunden abgezogen, wäre nicht plötzlich ein Bulle mit Pickelhelm aufgekreuzt, dem die Eltern wohl mit Knete Beene gemacht hatten. Er haute Fiete eins aufs Maul, wie er sagte in vorbeugender Notwehr, und packte ihn und das Madamchen brutal am Genick. Abhauen war also nicht. Ehe sie sichs versahen, hatte er ihnen Handschellen angelegt und sie in den Celler Knast abgeschleppt. Das Gör wurde von den Alten schon erwartet und mit viel Gesums und »Armes Kind«-Gejammer weggeschleift.
Fiete aber merkte, dass er wieder einmal mit bloßen Fingern in brauner Stinkbrühe steckte. Mag das Mädchen weiter geil wie Schifferscheiße gewesen sein, nun hatte sie zu Hause verschärften Stubenarrest und er in der Zelle auch. Ein Schnellrichter verknackte ihn wegen Landstreicherei und versuchter Unzucht mit Kindern. Strafverschärfend war, dass er keine Bude und keine Penunzen, dafür aber die große Schnauze hatte und randalierte. Sogar gegen den Befehl, Zelle und Exkrementeneimer selber sauber zu halten, protestierte er großfressig. Das wäre »mittelalterliche Zwangsarbeit« giftete er ganz kommunistisch und: »Scheiße ist Volkseigentum und muss auch vom Volk weggeräumt werden.«
Nach langem Dummtun machte die Exjungfer ihren Erzeugern ein Friedensangebot, das die annahmen. Sie hatten Schiss um ihren schwer bezahlten Bonzenplatz in der ersten Kirchenbank und um die Absatzchancen auf dem Heiratsmarkt. Wenn sie sich für Fietes Freilassung engagierten, könnte sie schwören, dass sie auf ihn künftig pfeift, dass alles fast platonisch war und sie jeder gut betuchte Freier noch unbefleckter als die Jungfrau Maria kriegen würde.
Erst im Herbst ging Fiete wieder mal zu den Birken. Die feixten über das Zifferblatt des alten Sacks: in Falten gelegt wie ein Plisseerock und angesäuert wie ein Rollmops. Na ja, er war frei, aber diese fiese Junghure hatte es doch tatsächlich fertiggebracht, einen Kerl wie ihn sitzen zu lassen. Dazu das Mistwetter hier, das Gezweig kahl wie Kinderarsch und kein neues Heideliebchen weit und breit. So hängte er seine langen Löffel in den Wind, um mitzukriegen, was die Birken rauschten, verstand aber nur: Der Schatz ist verduftet, den siehste nie mehr.
Es stehn drei Birken auf der Heide
Von Hermann Löns (1866 –1914)
1. Es stehn drei Birken auf der Heide,
valleri und vallera,
an denen hab ich meine Freude,
juppheidi heida;
die Lerche sang, die Sonne schien,
da schliefen wir bei Mutter Grün.
2. Drei Birken sind es und nicht sieben,
valleri und vallera,
ein schönes Mädchen tat ich lieben,
juppheidi heida;
drei Tage lang auf grüner Heid,
da war sie aus, die schöne Zeit.
3. Es kam der Spitzhut angegangen,
valleri und vallera,
er hat uns beide eingefangen,
juppheidi heida;
zu Celle steht ein festes Haus,
mit unsrer Liebe ist es aus.
4. O schönes Mädchen, meine Freude,
valleri und vallera,
es stehn drei Birken auf der Heide,
juppheidi heida;
doch ihr Gezweig ist kahl und leer,
o Schatz, ich seh dich niemals mehr.
Der »fremde Etrangeer« aus Treuenbrietzen
In unserer schweren Zeit wird allenthalben zur Sparsamkeit ermahnt, warum nicht auch beim Wortgebrauch? Doppelt moppeln ist eine Sprachuntugend, die vor allem im Berlinischen durch die Mischung des Adelsfranzösisch mit dem heimischen Dialekt eine lange Tradition hat. Wer erkennt noch an »mutterseelenallein«, dass der erste Wortteil den zweiten überflüssig macht. »Mutterseel« ist nämlich dem Klang von »moi tout seul« nachgebildet, was nichts anderes als »Ich ganz allein« heißt.
Ein noch hübscherer Pleonasmus, wie man die weißen Schimmel wissenschaftlich nennt, findet sich in einem Originaltext des beliebten Berliner Küchenlieds: »Sabinchen war ein Frauenzimmer gar hold und tugendhaft.« Dort hieß es nämlich über den Schurken, der »silberne Blechlöffel« klaute: »Da kam aus Treuenbrietzen ein fremder Etrangeer«, also ein fremder Fremder. Der Grund für derlei Doppelungen ist leicht zu erraten: Man wollte so sprechen wie die feinen Herrschaften, hatte aber Angst, es nicht richtig zu können und nicht verstanden zu werden. Also fügte man vorsichtshalber die Erklärung hinzu. Dem gleichen Topf sind »infame Gemeinheit«, »konträres Gegenteil« und »gegenwärtig nicht momentan« entnommen. Wie konstatiert der Berliner Lokaldichter und Erfinder des Eckenstehers Nante, Adolf Glaßbrenner: »Tugend ist nur Mut zur Courage.«