Kitabı oku: «Noch ein Mord, Mylord», sayfa 3

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Der Bootshafen des kleinen Örtchens Datchet lag an der Themse, nur knapp zwei Meilen von Windsor entfernt.

Es waren etwa vierzig Boote, die unterhalb des kleinen Parkplatzes an zwei metallenen Stegen vor Anker lagen. Es handelte sich um ein paar morsche Kähne, einige Ausflugsschiffchen, aber auch ein paar größere Boote, die durchaus komfortabel und teuer aussahen.

»Hier überspannte bis vor hundert Jahren die Geteilte Brücke den Fluss«, dozierte Merridew, während er sich aus dem Wagen quälte. »Auf der gegenüberliegenden Seite hatte Berkshire mit Holz gebaut, und hier baute Buckinghamshire mit Eisen. In der Mitte des Flusses wurden die beiden Hälften irgendwie miteinander vermurkst. Muss kurios ausgesehen haben.«

Jenseits des Flusses markierte ein einzelnes Gebäude die Position des früheren Brückenkopfs. Dahinter erstreckten sich Felder und Äcker, und in der Ferne sahen wir Windsor Castle mit seinem riesigen Rundturm schläfrig in der Mittagssonne liegen.

Ich schloss mein Auto ab und wollte gerade fragen, auf was wir denn jetzt warteten, als Merridew einen Laut des Erstaunens ausstieß. »Potztausend, wenn das nicht mein alter Freund …!« Er eilte zu einem der Autos auf dem Parkplatz und klopfte übermütig auf das Wagendach. Die Scheibe wurde heruntergekurbelt, und das mürrische Gesicht eines Mannes um die sechzig kam zum Vorschein. »Merridew? Verdammt, was tun Sie denn hier?«

»Wir machen eine kleine Landpartie. Ich wollte gerade meinen Freund zu einer kleinen Bootstour überreden.«

Das war mir neu, und darüber hinaus war es eine freche Lüge, denn Merridew verabscheute Bootsfahrten.

»Kein Wort glaube ich Ihnen, Merridew«, knurrte der Mann und kletterte aus dem schwarzen Vanguard. Er zog sich den zerknitterten Schlips zurecht. »Wenn Sie auftauchen, gibt es immer Probleme.«

»Wirklich nur eine unschuldige, kleine Landpartie. Darf ich vorstellen, Nigel, das ist mein alter Freund Superintendent Roger Smith!«

»Nee, nee, ich bin raus«, sagte der Mann mit verkniffenem Gesicht. »Schon anderthalb Jahre. Ein Segen, sag ich Ihnen. Ist alles nicht mehr das, was es mal war.«

»Oho, kein Polizeidienst mehr? Und was tun Sie hier? Im Auto sitzen und aus alter Gewohnheit die Enten observieren?«

»Kleines Päuschen. Hab ja jetzt viel Zeit.« Smith ließ den Blick über die Autodächer schweifen und den Kopf langsam hin und her gehen. Weder Merridew noch mir entging, dass es hier an diesem Platz sehr wohl etwas oder jemanden zu beobachten gab.

»Sie recken ja so den Hals. Machen Sie die Schwäne nach?«, fragte Merridew mit einem Kichern.

Smith trat näher an uns heran und senkte die Stimme. »Hören Sie, Merridew, ich freue mich ja auch, Sie zu sehen. Hätte gar nichts gegen ein gelegentliches Pint im Pub, aber ich muss jetzt leider …« In diesem Moment fuhr er zusammen und riss Augen und Mund in stummem Entsetzen weit auf. Dann entfuhr ihm ein lauter Fluch: »Verdammt und zugenäht, so ein elender Mist!«

Wir alle sahen ein Auto, das aus der Reihe der parkenden Fahrzeuge zurückgesetzt hatte und jetzt mit aufheulendem Motor an uns vorüberraste. Es war ein türkisfarbener Ford Anglia. Wir alle starrten auf die Personen, die wir im Wageninneren erkennen konnten. Hinter dem Steuer saß unverkennbar der Mann, den ich noch am Vormittag auf dem Hinterhof des Wachsfigurenkabinetts gesehen hatte. Das dunkel karierte Jackett, der Hut, der Schnurrbart, die runde Brille … es gab kaum einen Zweifel.

Viel größer war jedoch die Überraschung, auf dem Beifahrersitz eine Frau zu sehen, die man hier am allerwenigsten erwartet hätte.

»Ist sie das?«, rief Merridew. »Ist sie das wirklich, Smith?«

»Ja, verdammt, es ist sie!«, rief der Ex-Polizist aufgebracht. »Aber sie sollte es nicht sein, verflucht noch mal!«

Sie war deutlich zu erkennen, da ihr Antlitz nur ein paar Handbreit an uns vorübersauste. Die Haare der jungen Frau waren platinblond, das Gesicht zierlich, mit einer feinen, spitzen Nase, leicht geröteten Wangen und einem lächelnden, halb geöffneten Mund mit kräftig geschminkten Lippen. Die blauen Augen mit den dunkel getuschten Wimpern waren geradeaus gerichtet, und die geschwungenen dunklen Brauen zeugten weder von großer Furcht noch von Wut oder großer Heiterkeit. Sie sah aus, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, dass sie mit diesem Mann mitfuhr.

»Was macht Marilyn Monroe hier?«, rief ich aufgeregt.

»Wenn ich das wüsste, verflucht!«, schrie Smith. Der Mann, der so gewirkt hatte, als könnte ihn nichts aus der Ruhe bringen, ruderte aufgeregt mit den Armen. »Los, rein in mein Auto, sonst verlieren wir sie!«

Und ehe wir’s uns versahen, waren wir schon zu ihm in den schwarzen Vanguard gestiegen. Noch nie hatte ich meinen Freund Merridew so behände auf einen Beifahrersitz klettern sehen. Ich warf mich auf den Rücksitz, und noch ehe ich die Tür richtig geschlossen hatte, raste Smith auch schon los.

Der Ford war an der Ausfahrt der Parkfläche mit quietschenden Reifen rechts abgebogen und war schon nicht mehr in Sicht.

Zwei andere Autos waren nun zwischen ihm und unserem Fahrzeug.

»Die Nummer«, raunzte Smith und griff mit grimmigem Blick um das Lenkrad. »Habt ihr euch die Nummer merken können?«

»Ich muss ehrlich sagen, dass ich nur Augen für das Wageninnere hatte«, sagte ich zerknirscht.

»Ich fürchte, ich muss auch passen«, gab Merridew gequält zu. »MF irgendwas.«

»MF?« Smith schnaubte verärgert. »Nord West London … Hilft uns auch nicht viel weiter. Wir verlieren sie!«

»Warum ist sie hier?«, fragte Merridew. »Was haben Sie mit ihr zu tun?«

»Sie dreht nen Film in Iver. Mit Sir Laurence Olivier. Fragen Sie mich nicht was, interessiert mich auch nicht. Irgend so’n Kostüm-Kokolores. Die haben mich beauftragt, nach ihr zu gucken, und ich kann euch verflucht noch mal sagen, dass es leichter ist, nen Eimer voll Aale zu beaufsichtigen!«

»Reporter und Fans?«

»Das auch. Aber vor allen Dingen sie selbst! Überdreht und unberechenbar. Mal will sie hier hin und dann plötzlich da hin. Seit ihr Mann vor ein paar Tagen nach Paris abgedampft ist, läuft sie völlig aus dem Ruder.«

Ich erinnerte mich daran, gelesen zu haben, dass ihr frisch Angetrauter, der amerikanische Dramatiker Arthur Miller, der seit ihrer Ankunft im Juli an ihrer Seite war, zu einer Geschäftsreise aufgebrochen war.

»Da sind sie!«, rief Merridew, als der Ford nach der nächsten Kurve wieder in Sicht kam. Doch schon wenige Momente später war er bereits wieder verschwunden.

»Wir verlieren sie!«, wiederholte Smith, schlug wütend auf das Lenkrad und trat das Gaspedal durch. »So ne Schande!«, fluchte er. »So ne verfluchte Schande!«

»Was wollte sie denn da am Hafen?«, fragte ich.

»Keine Ahnung. Heute Mittag sagte sie, es ginge ihr nicht gut, hat sich dann von Evans, dem Chauffeur Richtung Parkside House fahren lassen, und dann musste er plötzlich anhalten und sie bei den Booten rauslassen.«

»Und er ist weitergefahren?«

»Das kam mir ja gleich komisch vor. Er fuhr weg, und sie ging runter zu den Booten. Da hab ich dann mein Auto abgestellt, und gerade, als ich sie suchen will, tauchen Sie plötzlich auf. Es ist zum Mäusemelken. Ich hab sie nur einen Moment aus den Augen gelassen, und schon is sie weg!«

»Parkside House in Englefield Green? Sie wohnt bei Lord Garrett Ponsonby Moore?«, fragte Merridew.

»Er und seine Frau sind ausgezogen und haben alles der Monroe und ihrer Ami-Mischpoke überlassen. Ich hab da auch’n Zimmerchen.«

Wir ließen die letzten Häuser von Datchet hinter uns und hatten nun eine lange Gerade vor uns, die direkt auf die Brücke über die Themse zu führte. Von dem Ford war weit und breit nichts zu sehen.

»Wir haben sie verloren!«, kam jetzt nur noch ein schwaches Keuchen von Smith. Er kaute auf der Unterlippe. Und dann glomm offenbar doch noch einmal ein Funke Hoffnung in ihm auf: »Vielleicht ist ja alles halb so wild, und sie macht nur eine ihrer Extratouren. Womöglich lässt sie sich ja von diesem Kerl nach Parkside bringen. Das ist meine einzige Chance. Sonst bin ich den Job los, und das Gespött der alten Jungs ist mir sicher.«

»Wie weit ist es denn noch?«, fragte ich.

»Knappe vier Meilen.«

»Na, dann geben Sie mal Gas«, beschwor ihn Merridew.

Wir erreichten das hölzerne Tor von Parkside House in rekordverdächtiger Bestzeit. Smith sprang aus dem Wagen und öffnete einen Flügel, sodass wir hineinfahren konnten. Auch hier gab es keine Spur des anderen Wagens. Dafür stand eine große Limousine auf dem Vorplatz, ein auf Hochglanz polierter Austin Princess mit cremefarbener Karosserie, schwarzer Motorhaube und schwarzem Dach.

Wie der geölte Blitz lief Smith zum Haus hinüber und klingelte Sturm.

»Es war der Mann vom Parkplatz bei Madame Tussauds.«

Merridew sah mich überrascht an. »Der Mann, mit dem die Assistentin sprach?«

»Ja, der Mann hinterm Steuer, das war er. Ich bin mir absolut sicher.«

»Donnerwetter, das fügt ja schon mal ein paar Sachen zusammen. Aber es ist ein bisschen wie die Geteilte Brücke. So richtig passt das alles noch nicht.«

Als Smith mit mürrisch nach unten gezogenen Mundwinkeln von der rosenumrankten Eingangstür des weißen Hauptgebäudes zurückkam, wussten wir gleich, dass er in ernsten Schwierigkeiten steckte.

»Weder sie, noch der Kerl, noch ein türkisfarbener Ford Anglia, verdammt!«, knurrte Smith, als er wieder zu uns ins Auto stieg. »Evans, der Fahrer weiß von nichts. Halten Sie mal rechts an, hat sie gesagt, und ihm dann befohlen, weiterzufahren. Das gibt’s doch nicht! Warum trifft die sich da mit fremden Männern?«

»Viel schlimmer noch: Warum verschwindet sie so einfach von der Bildfläche?«, sagte ich.

»Entführt?«, fragte Smith mit gerunzelter Stirn.

Merridew nickte nachdenklich. »Könnte man meinen.«

»Na Mahlzeit! Die berühmteste Schauspielerin der Welt, entführt! Mitten im Film! Die Katastrophe der Katastrophen! Dagegen ist die Suezkrise ein Senioren-Tanztee. Ich kann einpacken, Jungs.«

Ich konnte in diesem Moment Merridews Gesicht im Spiegel sehen. Da war dieses verräterische Flackern in seinen Augen, das ich nur zu gut kannte. Er hatte Feuer gefangen.

»Wo bleibt denn Ihr Kampfgeist, alter Knabe? Noch ist offenbar keine Lösegeldforderung eingegangen. Ja, noch weiß niemand, dass das blonde Püppchen aus Übersee überhaupt weg ist.«

»Außer uns«, warf ich ein.

Smith stöhnte. »Aber was sollen wir denn jetzt tun? Wir haben weder das Kennzeichen, noch wissen wir, wer der Knilch ist, der das Auto gefahren hat!«

»Stimmt nicht ganz, mein Guter, stimmt nicht ganz.«

Smith starrte Merridew ungläubig an. Der zwinkerte heiter zurück. »Bei einem Pint werden wir Ihnen erzählen, was wir wissen. Und dann wollen wir doch mal sehen, ob es uns nicht gelingen kann, die Entführung zu beenden, bevor sie überhaupt so richtig angefangen hat.«


Wir saßen im Schatten eines Sonnenschirms auf den hölzernen Bänken vor dem Fox and Hounds in Englefield Green, und Smith ließ sich unser Erlebnis vom Vormittag erzählen. Während ich so exakt wie möglich wiedergab, was wir bei dem ominösen Telefonat belauscht hatten, hatte Merridew in Windeseile einen üppigen Ploughman’s Lunch mit zwei Pint Bitter hinuntergespült. Smith hatte mir mit zusammengekniffenen Augen sehr aufmerksam zugehört. Er war ein gewiefter, alter Kriminaler, der sich seine Emotionen nur selten anmerken ließ. Die Wut über den verpatzten Überwachungsauftrag hatte ihn vorhin zwar übermannt, aber mittlerweile hatte er sich offenbar wieder gefangen.

»Ich schulde Ihnen noch einen Gefallen, Smith«, sagte Merridew mit generösem Tonfall und pikte mit einem silbernen Zahnstocher zwischen seinen Zähnen herum. »Sie erinnern sich doch an den Fall Oldwicker?«

»Klar, wie könnte ich den vergessen?«

Zu mir gewandt erklärte Merridew: »Wissen Sie, Nigel, es war vor zwölf Jahren. Der Mörder von Mike Oldwicker, diesem berühmten Tiefseetaucher aus dem Örtchen Wheel in Wiltshire, hätte mich um ein Haar mit einer Harpune durchbohrt, als ich ihm und seinem perfiden Verbrechen auf die Schliche kam. Aber Superintendent Smith hat ihn im letzten Moment mit einer Sauerstoffflasche ausgeknockt.«

Auf den Lippen des Expolizisten zeigte sich der Anflug eines Lächelns, als er in sein fast leeres Bierglas blickte. »Ach was, Merridew, wir sind quitt. Sie waren immerhin derjenige, der das Rätsel um das mysteriöse Ableben Oldwickers gelöst hat!«

Merridew strahlte. »Oh ja, und was für ein überaus vergnüglicher Mord das war! Dieser tollkühne Mike Oldwicker ertrank nicht etwa zweihundert Meter tief im salzigen Indischen Ozean, sondern mitten in seinem Wohnzimmer in Wiltshire im ziemlich kalkhaltigen Leitungswasser! In sitzender Haltung auf einem geblümten Sofa!«

»Ertrunken?«, fragte ich ungläubig. »Im Wohnzimmer?«

Merridew gluckste vor Vergnügen. »Oh ja, beim Anprobieren seines neuen Taucheranzugs! Der Mörder hatte unbemerkt den Wasserschlauch an die Öffnung für die Sauerstoffzufuhr angeschlossen, und dann – Wasser Marsch!«

Ich blickte auf meine Armbanduhr. »Meine Herren, so sehr ich Ihre nostalgischen Anwandlungen auch nachvollziehen kann, wäre es nicht an der Zeit, etwas zu unternehmen?«

Smith hatte wieder sein ernstes Gesicht aufgesetzt und nickte. »Allerdings. Es wird langsam Zeit. Ich hab’s euch erzählt: Marilyn Monroe schluckt Pillen und verschläft regelmäßig den Drehbeginn. Alle am Set sind schon völlig mit den Nerven runter, weil sie manchmal einfach ein, zwei Tage gar nicht erscheint. Wenn es uns gelingt, sie zu finden, bevor überhaupt einer gemerkt hat, dass sie weg ist, ist vielleicht noch was zu retten.«

»Wenn es keine Lösegeldforderung gibt, ist das doch eigentlich auch nicht gut«, warf ich ein.

Die beiden sahen mich fragend an.

»Na, immerhin sprach die junge Frau am Telefon von Mord.«

»Mord, richtig! Oh Mann«, stöhnte Smith. »So ein verfluchter Dreck.«

»Wir fahren noch einmal zu Madame Tussauds und fühlen der jungen Dame im Kittel ein wenig auf den Zahn.«, entschied Merridew. »Und Sie, Roger, kümmern sich darum, dass wir noch heute Nachmittag Zutritt zum Studio bekommen.«

»Um Gottes Willen, die werden wissen wollen, was ihr da zu suchen habt!«, protestierte Smith.

Merridew winkte mit großer Geste ab. »Kein Mensch wird uns von echten Bewunderern der Kinematographie unterscheiden können. Wir kommen wegen des dort entstehenden Meisterwerks Der Prinz und die Tänzerin, und wegen nichts anderem!«

»Junge, Junge, wenn das mal gut geht«, knurrte Smith.

3


Wir fanden Mr Anselm im untersten Stock der Ausstellungsräume des Wachsfigurenkabinetts. Er war ausgesprochen verwundert, uns schon so rasch wiederzusehen. Seine Brille hatte er immer noch auf den Kopf geschoben, und ich fragte mich, ob er sie überhaupt benutzte, oder ob sie nicht vielmehr eine Art modisches Accessoire war.

Er erklärte uns ungefragt sein Vorhandensein im Ausstellungsraum: »Die Besucher werfen immer mit irgendwelchen Sachen nach Hitler.«

»Bisschen spät«, grunzte Merridew.

»Sehen Sie, hier. Die Nase ist schon wieder ramponiert.«

In der Tat hatte irgendein Wurfgeschoss deutliche Spuren im Gesicht des Diktators hinterlassen. Anselm war mit provisorischem Flickwerk beschäftigt, während die Besucher des Museums vorbeigingen und sich schaudernd der morbiden Atmosphäre des Horrorkabinetts hingaben.

»Und hier unten wird wohl auch mein Freund, Lord Merridew zu stehen kommen?«, fragte ich keck.

Merridew warf mir einen böse funkelnden Blick zu. »Keine blöden Witzchen, Nigel. Ich gehöre ja wohl eher zu den gekrönten Häuptern weiter oben!«

Aber Anselm gefiel der Spaß. »Ihr Freund hat irgendwie recht. Gleich neben Crippen und Christie, das wäre doch was. Ihre Klientel, oder nicht?«

»Pah! Denen hätte ich zu ihrer Zeit jedenfalls schneller das Handwerk gelegt!«

Ich beschloss, das Gespräch in die richtige Bahn zu lenken: »Wir haben eine Bitte, die Ihnen vielleicht ein wenig ungewöhnlich vorkommen mag. Wissen Sie wohl, wo sich Miss Markham zurzeit aufhalten könnte? Wir würden gerne mit ihr sprechen.«

»Miss Markham? Cathy?«

»Ganz recht«, sagte Merridew in betont unverfänglichem Tonfall. »Wir müssten ihr ein, zwei klitzekleine Fragen stellen.«

»Seltsam, dass Sie sich nach ihr erkundigen. Sie ist heute nicht aus der Mittagspause zurückgekommen.« Anselm machte ein ernstes Gesicht. »Eigentlich wäre das hier ihre Aufgabe.«

»Ist sie krank geworden?«

»So scheint es«, sagte Anselm. »Ich hoffe, es ist nichts Ernstes, denn wir haben im Moment einen kleinen personellen Engpass.«

»Eine plötzliche Übelkeit.« Die Stimme kam von der anderen Assistentin, die überraschend aus dem Dunkel trat. »Es kam wie angeflogen. Cathy wurde von einem Moment auf den nächsten sehr blass und bat darum, nach Hause gehen zu dürfen.«

Anselm wedelte mit der Hand in ihre Richtung. »Miranda Fowley haben Sie ja heute Morgen schon kennengelernt.«

Erst jetzt betrachtete ich sie genauer. Ihre Züge waren ausgesprochen hart, fast unweiblich, die Augenbrauen dunkel und streng zusammengeschoben.

Merridew konnte die Aufregung in seiner Stimme nicht verbergen, als er fragte: »Hat Miss Markham jemanden, der … Miss ist doch korrekt, oder?«

Während Anselm nur unwissend mit den Schultern zuckte, nickte die junge Frau zustimmend. »Sie ist nicht verheiratet.«

»Ist sie sonst wie liiert?«, führte ich die Frage meines Freundes fort.

»Nein, schon eine ganze Weile nicht mehr. Überhaupt gibt es da kaum Männerbekanntschaften. Vor zwei Jahren war da mal einer aus Camden Town, aber das endete in einer Katastrophe.«

»Inwiefern?« Merridew stellte seine Fragen weniger schroff und fordernd als üblich, mit nahezu sanftem Tonfall. Bei Frauen zeitigte das häufig die erhoffte Wirkung. »Was war denn so katastrophal?«

»Der Kerl hatte sich nicht unter Kontrolle. Cathy musste oft das Haar offen tragen, und mal saß der Scheitel links, mal rechts, damit die Locke über das jeweilige Auge … Sie verstehen schon …« Ihre Handbewegung machte deutlich, was vorgefallen war.

»Heute Morgen, da war ein Mann auf dem Hof«, sagte ich.

»Crippen!«, lachte Miranda Fowley auf. »Bei Gott, nein!«

»Crippen?«

Ihr Finger deutete in eine Ecke des Raumes irgendwo hinter mir. Als ich mich umwandte, sah ich das wächserne Abbild des Mörders Dr. Hawley Crippen, und ich konnte eine Ähnlichkeit mit dem Mann, den ich gesehen hatte, nicht verhehlen. Das Abbild eines verklemmten Einzelgängers. Das Gegenteil eines Mannes, der Frauen mit seinem Charme anzuziehen vermochte.

»Wir nennen den Kerl Crippen, weil Cathy uns seinen richtigen Namen nicht nennen mag. Er hat sie schon ein paar Mal hier aufgesucht, und das scheint ihr irgendwie unangenehm zu sein. Sie sagt, er sei ein entfernter Verwandter.« Miranda Fowley begann, Anselms Werkzeuge aufzulesen und in einer ledernen Tasche zu verstauen.

Anselm legte nachdenklich den Finger an die Unterlippe. »Ich habe sie einmal in Hampstead Heath gesehen. Sie saßen zu zweit auf einer Bank und blickten auf London herunter. Sah irgendwie nicht nach einem trauten Tête-à-Tête aus.«

Ich versuchte, mir noch einmal die Szene vom Vormittag ins Gedächtnis zurückzurufen. Der Mann hatte sie beim Kinn gefasst. Oder war es die Wange gewesen?

»Aber warum interessiert Sie das eigentlich alles?« Anselm lächelte unsicher. »Hat der Kerl was verbrochen?«

»Man weiß es nicht«, murmelte Merridew nachdenklich und rieb sich mit dem Zeigefinger die Spitze seiner krummen Nase. »Man weiß es nicht. Wo wohnt Miss Markham? Ich fürchte, wir haben Grund, ihr schleunigst einen Besuch abzustatten.«

Die beiden sahen uns alarmiert an.

»Denken Sie etwa, sie ist in Gefahr?«, fragte Anselm.

Statt einer Antwort deutete Merridew nun auf die Ledertasche. »Haben Sie Papier da drin?« Die einfühlsame Befragung war abrupt beendet, und er schlug wieder seinen üblichen Kommandoton an: »Zwischen ihrem ganzen Wachsklimbim werden Sie doch sicher einen Block und einen Bleistift da drin haben.«

»Sicher«, stammelte Anselm. »Stift … Block …, aber, äh …«

Seine Assistentin hatte schon mit flinken Fingern beides hervorgeholt.

»Heute Morgen haben Sie ja ein paar halbwegs akzeptable Skizzen von mir fabriziert. Und nun zeichnen Sie uns doch mal ganz flott ein brauchbares Portrait dieses Kerls mit dem Hut, wenn ich bitten darf.«


An Cathy Markhams Adresse, die Miranda Fowley in der Registratur erfragt hatte, fanden wir ganz in der Nähe der King’s Cross Station, am Ende der Frederica Street ein zweigeschossiges, freistehendes Backsteinhäuschen mit zwei großen Dacherkern. Ein Schild wies es als Pension aus. Auf unser Klingeln hin öffnete eine kleine, alte Dame mit silbernem Dutt und rosigen Bäckchen. Sie stellte sich uns als die Pensionswirtin Mrs Wilberforce vor.

»Miss Markham? Aber gewiss, die wohnt bei mir. Ich fürchte, ich kann Ihnen jedoch keinen Besuch bei ihr erlauben. Herren haben dort oben keinen Zutritt.«

Merridew blickte auf die kleine Gestalt hinab. »Aber was denken Sie denn von uns, Madam?«

»Ganz egal, wie respektabel Sie auch erscheinen mögen, meine Herren, ich mache da keine Ausnahme!« Sie führte uns in ihr Wohnzimmer, das eng und plüschig war, mit üppig grünen Pflanzen, schweren, gerafften Vorhängen, Borte und Litze überall und dicken Orientteppichen – und mit drei Papageien, die auf Stangen und in Käfigen vor sich hin plapperten und flatterten.

Mrs Wilberforce wies auf das mit rotem Samt bespannte Sofa. »Überhaupt möchte ich eigentlich nur noch ungern Herren in dieses Haus lassen. Ich habe in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gesammelt. Miss Markham ist da mit mir einer Meinung. Ein anständiges Kind. Setzen Sie sich hin.«

»Hinsetzen!«, befahl ein Papagei.

Trotz ihrer schildkrötenhaften Statur wirkte Mrs Wilberforce ungeheuer resolut, und wir fügten uns notgedrungen und nahmen Platz.

»Ist Miss Markham denn wohl zuhause?«, fragte Merridew.

»Sie sollte auf der Arbeit sein. Sie hat eine Anstellung auf der Marylebone Street als …«

»Wissen wir«, grunzte Merridew. »Dort ist sie aber nicht. Wir wollen wissen, ob sie in ihrem Zimmer ist.«

»Nun, sie könnte vorhin gekommen sein, als ich hinterm Haus nach den Kürbissen gesehen habe, und …«

»Würde Sie wohl bitte nachsehen, ob sie da ist?«

»Wenn Sie die Güte hätten, mir zuerst einmal zu sagen, welche Legitimation Sie überhaupt …«

»Himmelherrgott«, platzte es aus Merridew heraus. »Gehen Sie jetzt rauf, und schauen Sie nach, ob sie in ihrem Zimmer ist!«

Die alte Frau stemmte die Hände in die Seiten und schob trotzig das Kinn vor. »Sie mögen einen feinen Zwirn tragen und eine goldene Uhrkette haben, Ihre Fliege mag aus reiner Seide sein, und Ihre Schuhe sind vermutlich aus der Savile Row, aber all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ihre ungehobelten Manieren auf eine höchst fragwürdige Kinderstube schließen lassen, mein Herr.«

Ein Papagei flatterte mit den Flügeln und rief: »Kinderstube!«

Dann wandte sie sich um und trippelte auf die Zimmertür zu. »Sie rühren sich nicht vom Fleck, Gentlemen!«

»Nicht vom Fleck!«, schnarrte ein Papagei. Und bevor die Pensionswirtin hinausging, wandte sie sich noch einmal zu uns um. »Sind Sie musikalisch?«

Wir schüttelten beide simultan den Kopf.

»Sie spielen kein Instrument?«

Erneutes Kopfschütteln.

»Gut«, sagte sie. »Das spricht für Sie.«

»Eins ist schon mal sicher«, sagte ich, als sie verschwunden war, »hier hat der Mann mit Hut bestimmt keinen Zutritt. Kein Wunder, dass er Cathy Markham auf der Arbeit belästigt.«

»Warum flüstern Sie?«

»Wir werden belauscht«, sagte ich leise und zeigte auf unsere gefiederten Bewacher.

»Papperlapapp«, knurrte Merridew ungeduldig. »Ich hoffe, die alte Schachtel legt einen Zahn zu, sonst mache ich ihr eine Federboa aus ihren drei Krummschnäbeln.«

»Nicht so ruppig, Merridew. Glauben Sie wirklich, Cathy Markham ist in Gefahr?«

»Vielleicht wollte sie ja diese Entführung verhindern. Wenn man nur wüsste, mit wem sie telefoniert hat.« Er knetete seine Hände, die er auf dem Knauf seines Gehstocks gefaltet hatte. »Mrs Wilberforce!«, rief er schließlich laut, sodass die alte Frau es gewiss bis in den ersten Stock gehört haben musste. Die Papageien flatterten alle drei aufgeregt mit den Flügeln.

Und fast im selben Augenblick erschien die kleine Gestalt der Pensionswirtin wieder im Türrahmen. »Bedaure, aber sie ist nicht da, Gentlemen.«

»Haben Sie geklopft?«

»Ja, das tat ich!«

»Haben Sie ins Zimmer hineingesehen?«

»Auch das habe ich gemacht!«

Merridew sprang vom Sofa auf. »Jetzt reicht’s aber! Wir müssen sofort einen Blick in das Zimmer der jungen Dame werfen!«

Jetzt war es mit der Geduld der Alten endgültig vorbei. »Das werden Sie keinesfalls tun, Gentlemen! Miss Markhams Zimmer betreten Sie nur über meine Leiche!«

»Da müssen wir ja nicht mehr lange warten«, entfuhr es meinem Freund.

Einen kurzen Moment blickten die beiden Kontrahenten einander starr in die Augen.

Ehe wir’s uns versahen, hielt Mrs Wilberforce plötzlich einen Regenschirm in der Hand und erhob zitternd die Stimme. »Zeter und Mordio werde ich schreien, hören Sie! Man kennt mich auf der hiesigen Polizeistation, und im Nu wird jemand kommen und Sie verhaften! Verlassen Sie auf der Stelle mein Haus. Hören Sie, auf der Stelle!«

»Auf der Stelle!«, krähte einer der Papageien hinter uns her, während wir das Wohnzimmer verließen.

Merridew drehte sich noch einmal um und versuchte es ein letztes Mal: »Können Sie uns wenigstens sagen, wo Miss Markham sein könnte, wenn sie nicht auf der Arbeit oder in ihrem Zimmer ist?«

»Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben!« Sie hatte die Schirmspitze immer noch auf uns gerichtet. »Sie hat keine Verwandten. Vielleicht ist sie bei einer ihrer Freundinnen. Bei Miss Peabody oder Miss Menzies oder Miss Fitzwilliam womöglich.«

»Oder bei diesem Mann?« Geistesgegenwärtig hatte ich die Zeichnung hervorgeholt, die uns Mr Anselm kurz zuvor angefertigt hatte.

Sie warf nur einen flüchtigen Blick darauf. »Ich sagte bereits, dass Miss Markham keine Männerbekanntschaften pflegt!«

»Kennen Sie den Mann?«

»Nein! Macht er Musik?«

»Das wissen wir nicht. War er schon mal vor dem Haus?«

»Nein! Gehen Sie jetzt!«

»Gehen Sie jetzt!«, echote es von nebenan.

Wir gaben uns schließlich geschlagen und stolperten auf die Straße hinaus.

»So ein zähes, altes Reptil«, zischte Merridew wütend. Es geschah nur sehr selten, dass es ihm nicht gelang, verstockte Zeugen zum Reden zu bringen, aber an dieser hartleibigen Alten hatte er sich zweifellos die Zähne ausgebissen.

»Da vorne ist ein Telefon, Nigel. Kommen Sie, wir rufen Smith an. Vielleicht hat der inzwischen etwas herausgekriegt, das uns weiterbringt.« Und dann stapfte er mit so gewaltigen Schritten auf die rote Telefonzelle zu, als wollte er sie umstoßen.

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