Kitabı oku: «Die Politik und ihr Wahnsinn», sayfa 2
Vergeblich versuchte sie, seinen Puls zu fühlen. „Karl!“, schrie sie ihn noch einmal an und wich kopfschüttelnd ein paar Schritte zurück. „Du Drecksack hast dich einfach davongemacht, ohne meinen Vertrag zu unterschreiben! Oh Mann!“
Dann erst begriff sie so richtig, was passiert war: Sie hatte doch tatsächlich einem Toten zum Orgasmus verhelfen wollen. „Igitt!“, schrie sie auf, schüttelte sich und versuchte vergeblich, den schalen Geschmack in ihrem Mund auszuspucken. Sie hatte schon sehr viel erlebt, aber das war mit Sicherheit an makabrer Skurrilität nicht zu übertreffen.
Es dauerte einige Minuten, bis sie sich wieder im Griff hatte. „So ein blöder Sack“, fluchte sie und überlegte, was sie nun machen sollte. Sollte sie den Krankenwagen rufen? Aber eigentlich war das sinnlos, da es niemanden mehr zu retten gab, außer eventuell sie selbst. Besser wäre es wohl, sofort die Polizei zu benachrichtigen, wobei auch dieser Gedanke Nachteile barg. Dann würde seine Frau alles erfahren. Ein Skandal.
Unschlüssig lief sie auf und ab, blieb dazwischen aber immer wieder kurz stehen, um den frischen Leichnam zu betrachten. Irgendwie hoffte sie ganz unbewusst, dass Karl wieder die Augen öffnen würde und alles nur ein schlechter Scherz gewesen war. Aber er blieb starr und stumm.
Resigniert hielt sie inne und griff nach dem Telefonhörer. Sie hatte keine andere Wahl. Einfach abhauen konnte sie nicht, sie musste es melden. Und wegen seiner Frau, besser gesagt seiner frischgebackenen Witwe, musste sie sich keine Sorgen machen, wenn sie es geschickt anstellte. Sie würde versuchen, Karl die Hose wieder hochzuziehen, und dann der Polizei gegenüber aussagen, dass er mitten in der Besprechung ohnmächtig geworden und auf dem Stuhl zusammengesackt sei. Ja, das war eine gute Lösung.
Der Tag fing ja wirklich gut an.
VI
Die Hotelbar war dunkel und schummrig. Genau das Richtige für Frank. Einen weiteren Absturz wollte er zwar nicht erleben, aber gegen einen Drink konnte doch niemand etwas einwenden.
„Guten Abend, mein Herr, was darf ich Ihnen Gutes tun?“, fragte der Barkeeper, als Frank seinen Platz am Tresen eingenommen hatte.
„Hm, eine hübsche, willige Frau, eine Flasche Rotwein und nette Musik“, antwortete er trocken, erntete dafür aber nur ein verständnisvolles Nicken. Barkeeper mussten oft das blöde Gelaber der Gäste über sich ergehen lassen und waren dadurch einiges gewohnt.
Die kleinen gelben Lampen im Hintergrund erhellten alles gerade gut genug, um die Flaschen in den verspiegelten Regalen erkennen zu können. Da Frank wohl auf eine vom Barkeeper vermittelte Dame verzichten musste, entschied er sich für einen Bourbon auf Eis, das Getränk für einsame Männer.
„Bitte sehr, der Herr. Vielleicht haben Sie ja noch Glück heute Abend.“
Frank schüttelte den Kopf. „Das war heute nicht mein Tag und wird es auch nicht mehr werden.“ Er nahm das Glas und starrte gedankenverloren in die bräunliche Flüssigkeit, in der Eiswürfel schwammen. Bald werdet auch ihr erledigt sein, dachte er und zwinkerte ihnen zu.
Er war müde. Es war jedoch nicht die Art von Müdigkeit, die man empfand, wenn man schlafen gehen wollte. Nein, sicherlich nicht. Er wollte einfach nicht mehr. Das Leben hatte er genossen, zumindest soweit er das konnte. Ausgelassen hatte er nicht viel. Jetzt aber machte ihm kaum noch etwas Spaß.
Er sah zu, wie sich die Eiswürfel hilflos auflösten. Sie wurden immer kleiner, bis sie irgendwann ganz verschwunden waren. Ja, sie hatten das schon hinter sich gebracht, was ihm selbst noch bevorstand. Ein guter Abgang. Versunken in seinen Gedanken bemerkte er nicht, wie sich ein junger Mann zu ihm setzte und ihn einige Minuten neugierig beobachtete.
„Ihnen geht es wohl auch nicht so richtig gut, stimmt‘s?“, fragte ihn der Fremde plötzlich.
Nur langsam hob Frank den Kopf. Seine Gedanken waren noch mit einem würdigen Selbstmord beschäftigt, da wollte er sich nicht mit banalen Gesprächen abgeben. Ignorieren hilft meistens, dachte er sich zuerst, aber dann entschied er sich doch für eine unmissverständliche Offenheit. „Kennen wir uns? Nein, ich denke nicht. Also lassen Sie mich einfach in Ruhe!“, herrschte er ihn an, dann widmete er sich wieder seinem Glas Bourbon.
„Oh, der Herr ist verschnupft. Hat Sie auch eine Liebschaft verlassen?“ Der Fremde ließ nicht locker und zog seinen Hocker näher zu Frank heran.
Frank musterte sein Gegenüber mit zusammengekniffenen Augen. Er maß mindestens einen Meter achtzig, sah durchtrainiert aus und war um einige Jahre jünger als er selbst. Wenn er jetzt aufstehen und dem Typen einfach eine in die Fresse hauen würde, käme das wahrscheinlich nicht so gut. Traf er, würde wohl eine Anzeige auf ihn warten. Und traf er den Fremden nicht, dann würde er selbst sich wohl im Krankenhaus wiederfinden.
Aber es gab noch eine dritte Möglichkeit. „Darf ich Sie zu einem Glas Was-auch-immer einladen?“, fragte er den Mann, der ihn überrascht anblickte.
„Oh, ähm, danke. Gerne.“
Wer Frank kannte, wusste, dass dies eine Falle der besonderen Art war. Er hatte ein kaltes, abgeklärtes Wesen, gehärtet, geschmiedet und vom Alkohol trügerisch geschmeidig gemacht.
„Nehmen Sie auch an den Vorträgen hier teil?“, heuchelte er Interesse und gab dem Barkeeper ein Zeichen, dem Fremden dasselbe einzuschenken wie ihm.
„Eigentlich ja, aber ich hatte einen schweren Tag. Mein Name ist übrigens Ronaldo Roy, RR-Immobilien.“
„Frank Hauser“, stellte sich Frank lächelnd vor und reichte Ronaldo die Hand. Noch befand er sich in der Phase des gegenseitigen Annäherns. Danach kam die Entwaffnungstechnik an die Reihe und dann schließlich die Kaputthauphase – eine psychologische Strategie, mit der er jeden erledigen konnte. Zumindest für einige Stunden.
„Sie sagten etwas von verlassen. Hatten Sie Probleme mit Ihrer Dame?“
Ronaldos Gesicht wurde blass. Frank dagegen strahlte innerlich, er hatte also den richtigen Knopf gefunden. Auf diesem konnte er vorerst ein wenig herumhämmern. Schwächen finden, um Idioten wie diesen hier fertigzumachen. Das war jetzt die Aufgabe.
„Ich bin schwul, und es handelt sich um meinen Liebhaber“, antwortete Ronaldo offen und griff nach dem Getränk, das ihm der Barkeeper inzwischen hingestellt hatte. Er schwenkte das Glas nur wenige Sekunden, bevor er es in einem Zug in sich hineinschüttete. Scharf sog er die Luft ein und verzog die Mundwinkel – offenbar war er harte Getränke nicht gewohnt.
Frank bedeutete dem Barkeeper, das Glas wieder zu füllen. „Also hat er Sie verlassen?“, fragte er lauernd.
„Ja. Ich verstehe es nicht.“
Er konnte sich eine ironische Bemerkung nicht verkneifen. „Na ja, das sagen sie alle. Die Verlassenen zumindest. Die meisten Gründe sind Geldprobleme, Kinder und schlechter Sex. Was war es bei Ihnen? Die Kinder werden es ja wohl nicht gewesen sein.“
Trotz seiner künstlich wirkenden Bräune überzog sich Ronaldos Gesicht mit einem bleichen Tuch. Anscheinend stimmte, was Frank bereits gehört hatte: Schwule waren weiche Sensibelchen.
Frank winkte ab. „Ist okay, Sie müssen mir nicht antworten. Auch wenn es im Bett nicht klappt, brauchen Sie jetzt keine Selbstzweifel zu haben.“
Noch ein Treffer. Ronaldo starrte ihn mit weit aufgerissenem Mund an. Franks Ratespiel führte ihn langsam, aber unaufhaltsam zum Punkt des Schmerzes.
Gerade wollte Frank zum letzten Schwinger ausholen, als ihm plötzlich aus dem Augenwinkel eine attraktive Dame auffiel, die die Bar betrat und direkt auf die Theke zusteuerte. Schon hatte sich sein Interesse, dem Schwulen eine Lektion zu erteilen, verflüchtigt, um nun bei der jungen Dame lüstern zu entflammen.
Doch er hatte die Rechnung ohne Ronaldo gemacht, der den Schwenk genau beobachtet hatte. „Ah, ich verstehe. Erst mich fertigmachen wollen und dann fickrig werden, was?“
Am liebsten hätte Frank mit einem klaren Ja geantwortet, doch das wäre eine schlechte Taktik gewesen, zumal sich die Frau nun auf der anderen Seite neben Ronaldo niederließ.
Die Farbe kehrte zurück in Ronaldos Gesicht, in dem sich plötzlich eine allzu offene Rachsüchtigkeit spiegelte, als er sich an die Dame wandte. „Verzeihen Sie, aber ich habe Ihnen etwas Wichtiges zu gestehen.“
Frank hätte ihn gerne am Kragen gepackt und aus der Bar geworfen, aber dafür war es nun zu spät.
„So?“, fragte sie mit einem vernichtenden Blick. „Wenn Sie mich hier anbaggern wollen, dann verpissen Sie sich besser. Dafür habe ich im Moment überhaupt keinen Sinn. Wenn Sie mir aber eine Villa zum Verkauf anbieten möchten, dann können wir gerne weiterreden.“
Nun war Frank doch froh, dass Ronaldo zwischen ihnen saß. Als eine Art Puffer sozusagen.
„Ähm, nein, ich nicht. Ich stehe auf Männer. Aber mein Nachbar hier hat mir verraten, dass er Sie gerne in sein Schlafzimmer entführen würde.“ Ronaldo zeigte auf Frank.
„Ah, ja?“ Sie zog die Augenbrauen nach oben, und ihr ansonsten attraktives Gesicht erinnerte plötzlich an einen Seeadler, der dabei war, die Krallen auszufahren.
Frank fühlte sich wie ein Kaninchen, dessen Fell bald zum Trocknen an einem Kamin hängen würde. „Ich? Niemals!“, versuchte er sich schnell zu wehren.
Doch nun richteten beide ihren Blick anklagend und verurteilend auf ihn. Sie hatten sich in dieser Sekunde verbündet, und er war der Gejagte. Wie schnell sich doch eine sicher geglaubte Position ändern konnte. Es entstand eine kurze, wenn auch belastende Stille zwischen ihnen, als glücklicherweise ein weiterer Verirrter fragte, ob der Platz neben Frank noch frei sei. Dankbar nickte Frank ihm zu.
„Oh, hallo. Wir kennen uns ja bereits.“ Ronaldo hob sein Glas, das der Barkeeper inzwischen wieder gefüllt hatte, und prostete dem Neuankömmling zu.
„Ist das Ihr Lover?“, fragte Frank spöttisch.
Susanne zwinkerte Ronaldo vielsagend zu. „Ui, ich hätte nicht gedacht, dass ein so gut aussehender Mann wie Sie auf ältere Männer steht.“
Aber die Reaktion des Neuen in der Runde sprach Bände. Rasch schüttelte er den Kopf und streckte abwehrend beide Hände von sich. „Nein! In Gottes Namen nein!“
Gerade wollte er wieder kehrtmachen, als Frank ihn an der Schulter packte. „Na ja, mit Gott hat das nicht viel zu tun. Aber egal. Bleiben Sie doch und setzen sich zu uns. So wie ich das sehe, hatten wir drei hier alle einen verkorksten Tag. Ich hoffe, Sie auch.“
Frank stand auf und bot Hans seinen Stuhl an. Stehen würde ihm guttun. Er spürte bereits, wie der Alkohol seine Sinne zu benebeln begann, und einen Absturz wollte er nicht wieder erleben. „Einen Drink für den Herrn hier!“, rief er dem Barkeeper zu, der sich schmunzelnd zu Hans wandte und ihn fragend ansah.
Hans überlegte noch, was er tun sollte, während er sich die Schulter sauber rieb, entschied sich dann aber doch zu bleiben. „Nun, ich bin sehr müde, aber gegen ein Getränk spricht nichts. Haben Sie Tee?“, fragte er mit einem leisen Flehen in der Stimme, erntete aber nur erstaunte Blicke. Alkohol hatte eine verheerende Wirkung auf ihn, was sich in mehr als nur chaotischer Unkontrolliertheit bemerkbar machte.
„Tee?“ Frank konnte ein kurzes Lachen nicht unterdrücken. „Sie brauchen etwas Härteres. Etwas, um mit Ihren neuen Freunden anzustoßen, mein Herr. Eine Runde Bourbon für uns vier!“
Als Frank sein Glas mit dem frisch eingeschenkten Abendgetränk zu einem kurzen Trinkspruch erhob, ahnte er bereits, dass er diesen Abend bereuen würde. Und vielleicht gerade deswegen wollte er diesen Augenblick genießen, als wäre es sein letzter. „Meine Freunde“, begann er, indem er nacheinander jedem zublinzelte. „Dies ist ein besonderer Moment, der Anfang von etwas Neuem, bei dem man das Ende noch nicht erahnen kann. Auf diesen Moment. Skol.“ Dann goss er sich das braune Gesöff abermals mit einem Ruck in die Kehle.
Aufmerksam beobachtete er seine neu gewonnenen Saufkumpane. Schließlich musste man ja wissen, mit wem man es zu tun hatte. Ronaldo verzog das Gesicht bei seinem zweiten Drink schon merklich weniger. Und Susanne schien Wasser im Glas zu haben, da ihr Gesichtsausdruck völlig entspannt blieb.
Hans hingegen reagierte heftig auf das geleerte Glas. Erst stockte ihm der Atem, bis sein Gesicht rot anlief, dann prustete er einen kleinen Rest, den er nicht hatte schlucken können, quer über die Bar. Die darauffolgende Hustattacke dauerte minutenlang. Am Ende stützte er sich auf Frank, der ihm verständnisvoll den Rücken tätschelte.
„Alles in Ordnung, Kumpel. Der Tee hat es in sich, nicht wahr?“ Frank genoss dieses Flair der alkoholisierten Hingabe an ein Gift, das einem die Sinne vernebelte und die seelischen Schmerzen nahm. „Ich bin Frank, und ich hasse das Leben“, begann er, sich und die anderen vorzustellen. „Die junge, hübsche Dame ist Susanne. Sie hasst das Leben zwar nicht, hat aber eine Scheißlaune. Und das hier ist Ronaldo, den sein alter Lover verlassen hat und den jetzt sexuelle Selbstzweifel quälen.“
Hans musterte sie nacheinander und fragte sich insgeheim, wie er diesem Trio Infernale nur entkommen könnte. Natürlich hätte er sich einfach nur umdrehen und verschwinden können, aber es war eine beinahe schicksalhafte Kette, die ihn daran hinderte. „Mein Name ist …“ Er stockte kurz und brachte seine noch sauberen Hände in den Hosentaschen in Sicherheit. „Hans. Hans Burchard. Hans Burchard Immobilien.“
„Hallo Hans“, grüßte Susanne ihn freundlich. „Was Frank wissen will, ist, ob du auch einen schlechten Tag hattest.“
„Na ja, es geht so.“ Sein Erlebnis neben Ronaldo während des Symposiums war sicherlich nicht das Aufbauendste gewesen, aber er vermied es, ihn anzusehen. „Schmutz“, antwortete er schließlich, als er wieder die Bilder seiner Immobilienbesichtigung von heute Morgen vor Augen hatte. „Aber ansonsten war es okay.“ Mehr wollte er dazu nicht sagen.
„Immerhin etwas. Also willkommen im Club der verlorenen Seelen.“ Frank winkte dem Barkeeper wieder zu, die Gläser zu füllen. „Ich habe einfach nur die Nase voll, immer wieder als Fußabtreter benutzt zu werden. Immobilienmakler genießen in Deutschland nicht gerade ein hohes Ansehen.“
Dies musste er nicht weiter erläutern. Ronaldo, Susanne und Hans nickten, da sie wussten, dass er recht hatte. Die meisten Menschen glaubten, Makler würden ihr Geld mit Nichtstun verdienen. Doch das stimmte nicht. Niemand ahnte, wie viel Arbeit hinter einer Immobilienvermarktung stecken konnte. Der Kunde sah nur, wie er nach einer Besichtigung zum Notar geführt wurde und dafür viel Geld an den Makler zu zahlen hatte. Dass er jedoch vielleicht schon der Zehnte oder Zwanzigste war, dem das Objekt gezeigt worden war, wusste er nicht. Die Arbeit des Maklers war vielfältig: Objektaufnahme, endlose Gespräche über die beste Vermarktungsstrategie, Beschaffung aller Unterlagen, Exposéerstellung, Veröffentlichung, Ansprache aller Partner wie Banken, Steuerberater und andere. Dann erst kamen die Besichtigungen. Immer wieder musste man alles von vorne erklären und gegen mit Vorurteilen behaftetes Halbwissen kämpfen. Und wenn dann endlich ein Kunde gefunden war, kamen die Preisverhandlungen und der Notarentwurf. Das alles sah der Kunde nicht und fühlte sich am Ende einfach nur betrogen. Die Lobby der Immobilienmakler war schwach.
„Frank, das geht uns allen so. Was wir verdienen, das nenne ich Schmerzensgeld“, brachte es Ronaldo auf den Punkt. „Ich habe mich schon daran gewöhnt. Jeder kann unbeschadet auf uns herumtrampeln, was besonders Politiker gerne tun, um sich vor ihren Wählern zu profilieren.“
„Es ist nicht nur das.“ Hans schüttelte den Kopf. Er hatte sich wieder im Griff, nachdem er einige Male tief durchgeatmet hatte und das Gift ein wenig nachzulassen begann. „Makler mag keiner, weil die Regierung uns nicht mag und das auch ständig kundtut. Dabei geht es den Politikern um mehr. Natürlich können sie sich in ein gutes Licht stellen, wenn sie uns schaden. Das liegt daran, dass niemand versteht, was da eigentlich wirklich passiert. Immobiliengeschäfte stellen mit die gewaltigste Finanzbewegung eines Staates dar. Wer hier alles kontrolliert, hat den Geldfluss in der Hand. Der Staat baut seinen Überwachungsapparat kontinuierlich aus. Deshalb kommt eine Schikane nach der anderen. Alle sollen gläsern werden, durchschaubar und unmündig. Das Geld wird früher oder später abgeschafft. Dann kann man jeden auf Schritt und Tritt überwachen. Darum geht es. Deswegen versucht man, uns in eine schwache Position zu bringen. Wer schwach ist, kann sich nicht wehren.“
Die Stimmung zwischen ihnen drohte zu kippen. Missmutig schauten sie sich an, da sie verstanden, was geschah. Vielleicht war es einfacher, in einer Matrix zu leben, in der alles nur Illusion war. Das Bild eines Glücks, das nicht existierte.
„Wisst ihr was?“ Frank erhob sein Glas und starrte es einige Sekunden lang an, bevor er fortfuhr. Es lag etwas Lauerndes in seinem Blick, das alle sofort wahrnahmen. „Lasst uns einen Plan schmieden. Ich habe da so eine Idee.“
Die Summe aller Lügen
kann durch eine einzige Wahrheit vernichtet werden.
Doch wenn sie nicht ausgesprochen wird,
verlieren wir uns in den Fängen der Unwahrheiten.
RUSSISCH ROULETTE
I
„Und? Wie waren die Gespräche?“, fragte der Vizekanzler und lehnte sich müde zurück.
Sie saßen in einem kleinen, abhörsicheren Raum im Reichstag. An die Abhörsicherheit glaubten sie inzwischen alle nicht mehr, aber was konnten sie schon dagegen tun? Die auferlegte Direktive lautete: stillhalten, aushalten, Mund halten. Sie hatten fürwahr andere Probleme als so eine kleine Bagatelle. Er hatte schon immer gewusst, so wie jeder andere, dass sie abgehört wurden. Dennoch hatte er irgendwie geglaubt, dass die Amerikaner zumindest die Politiker davon ausnahmen. Sozusagen als Freundschaftsdienst für ihre devote Haltung.
Nachdem nun alles herausgekommen war, verzichtete er lieber auf die Küsschen für seine Frau am Telefon. Es war ihm einfach peinlich bei dem Gedanken, der amerikanische Präsident könnte hören, wie er sie schmatzend durch die Leitung schickte. Auch vermied er Worte wie Schatzilein oder Schnuckelhase. Es hatte zu Hause einiger Erklärungen bedurft, bis seine bessere Hälfte endlich einsah, dass er nur ein armes, wehrloses Opfer eines öffentlich angeprangerten Abhörskandals war. Auch sie vermied seit dieser dummen Sache, ihn Schwabbelbacke zu nennen, was er jedoch nicht als Nachteil erachtete. Dieser Kosename hatte ihm ohnehin nie gefallen.
„Na ja, nicht so gut“, antwortete der Finanzminister und blickte sein Gegenüber erstaunt an. „Heute ist doch Mittwoch. Ich hatte Sie hier nicht erwartet.“
„Ähm, stimmt. Aber ich muss meine Tochter heute nicht abholen. Sie hat eine Erkältung. Wenn sie krank ist, will sie nichts mit mir zu tun haben. Dann muss Mama sie abholen. Sie ist so süß.“
„Wer ist süß? Ihre Frau?“
„Gott bewahre, nein. Nein, wirklich nicht. Ich meine, na ja, es bleibt doch unter uns, oder?“ Die Stimme des Vizekanzlers wurde verschwörerisch leise.
„Unter uns? Die Amerikaner hören doch mit. Die sind aber sehr diskret. Meistens zumindest.“
„Oh, stimmt. Nein, dann sage ich jetzt besser nichts.“ Der Vizekanzler versteifte sich augenblicklich. „Meine Frau ist auch süß“, antwortete er schließlich so laut, dass es wirklich jeder hören konnte.
Der Finanzminister konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen. Ein guter Freund hatte ihm einmal gestanden, dass er nichts mit Politikern zu tun haben wolle. Sie seien ein sehr seltsames Volk, hatte er gemeint. Ja, er hatte recht. Sie waren in der Tat seltsam. Wenn er sie in wenigen Worten charakterisieren müsste, würde er die folgenden wählen: bauernschlau, zu jeder legitimen Schandtat bereit, mit einer Elefantenhaut, die nichts und niemanden durchließ, selbstverliebt und leider oft dümmlich. Und wenn es der eigenen Karriere diente, griffen sie bisweilen auch zu weniger legalen Mitteln. Das galt natürlich nicht für jeden seiner Kollegen, insbesondere nicht für ihn selbst.
Die Stimme des Vizekanzlers drängte sich in seine Gedanken. „Ähm, wie war nun das Gespräch? Versteht sie, worum es geht?“
„Das ist wieder so eine Frage. Ob sie versteht, worum es geht? Verstehen Sie es denn? Sie wissen doch, dass wir unterschiedliche Positionen vertreten.“
„Ja, aber in dieser Angelegenheit nicht. Da sind wir ein Team sozusagen. Ich bin nur froh, dass jetzt niemand mehr über dieses blöde Griechenland spricht. Das haben wir fürs Erste überstanden.“ Der Vizekanzler atmete zufrieden durch.
Was sie mit den Griechen gemacht hatten, war ein Desaster. Alle wussten, dass diese es nicht schaffen würden, mit der Zinslast fertigzuwerden und gleichzeitig ihr Land wirtschaftlich wieder konkurrenzfähig zu machen. Leider hatten die wenigsten Politiker Interesse an der deutschen Geschichte, sonst hätten sie gewusst, dass nach dem Ersten Weltkrieg die ungeheure, nicht zu bewältigende Reparationslast einer der Hauptgründe für das Abdriften Deutschlands ins rechte Lager gewesen war. Chancenlos hatte das Land versucht, diese Last zu bewältigen, doch auch der Wiederaufbau kostete Geld, und für beides war es zu wenig. Der Untergang war vorprogrammiert gewesen. Und jetzt? Jetzt stand Griechenland pleite vor ihnen, eingelassen in die Europäische Union durch die aktive Hilfe von Goldman Sachs. Und wer hatte im Hintergrund dafür gesorgt, dass ein neuer 86-Milliarden-Euro-Transfer erfolgte, der zufälligerweise nur den Banken zugutekam? Jeder wusste, dass nur ein Wechselwährungssystem ein wirtschaftlich geschwächtes Land wiederaufrichten konnte. Es kam, wie es kommen musste – oder zumindest, wie es die Weltbank wollte. Anstatt den Griechen nun endlich die Chance zu geben, sich aus eigener Kraft wieder in Ordnung zu bringen, indem man sie mit einem Schuldenschnitt aus Europa austreten ließ, schlug man ihnen wieder ins Gesicht. Geopolitische Erfordernisse, hieß es plötzlich als Begründung. Aber was half es schon, sich über etwas Gedanken zu machen, das schon verloren war?
Der Finanzminister kam nun wieder zur eigentlichen Frage seines Gegenübers. „Sie meint, dass wir es schaffen.“
„Was meinen Sie? Hat sie recht? Eigentlich bin ich für eine Obergrenze, aber da machen meine Genossen nicht mit. Also bin ich gegen eine Obergrenze. Macht das Leben einfacher.“
„Sind Sie dagegen, nur weil es Ihre Genossen verlangen?“
„Warum gleich so scharf? Wir haben hier eine Verantwortung zu tragen. Alle zusammen. Und dazu gehören auch meine Genossen, deren Meinung ich bei meiner Wiederwahl zu spüren bekommen werde.“
„Aha. Wissen Sie, wie es zum Untergang des Römischen Reiches kam?“
Der Vizekanzler blickte ihn mit großen Augen an. „Was hat das Römische Reich damit zu tun?“
Doch der Finanzminister ließ nicht locker. „Nun? Wissen Sie es?“
„Ähm, nein“, gab der Vizekanzler nach längerem Zögern zu.
„Es gab mehrere Gründe. Einer von ihnen war eine ungehemmte Völkerwanderung, die zur Auflösung der völkischen Strukturen führte. Eine Integration fand damals nicht statt, weil es wegen der riesigen Zahl von Menschen auch gar nicht möglich war.“
Stille breitete sich im Raum aus. Eine unangenehme Stille des intensiven Nachdenkens. Eines fürchterlich intensiven Grübelns, was bei Harry Potter sicherlich die magisch aufgeladene Luft um sie herum zum Knistern gebracht hätte.
„Was ist mit Ihnen? Sind Sie denn für eine Obergrenze?“, fragte der Vizekanzler.
Der Finanzminister lächelte vielsagend und beugte sich nach vorne. „Ich glaube an meine Kanzlerin, die davon überzeugt ist, alles im Griff zu haben. Amen.“
II
Sonnenstrahlen bohrten sich durch die geschlossenen Augenlider in Franks malträtiertes Gehirn. Diese Helligkeit ertrug er nicht. Langsam drehte er sich zur Seite, um dem gleißenden Licht zu entfliehen. Was gestern Abend noch passiert war, wusste er nicht mehr. Warum auch? Der pochende Schmerz in seinem Kopf zeugte von einem wiederholten Absturz. Abgestürzt in eine Pfütze voller Alkohol.
Mit einem lauten Stöhnen legte er die Hand auf die Augen, um diese vor dem gleißenden Licht zu schützen. Er hätte am liebsten einfach weitergeschlafen, doch irgendetwas ließ seine Gedanken jetzt nicht mehr los. Der schale Geschmack in seinem Mund ließ erahnen, dass nicht nur sein Kopf, sondern auch sein Magen rebellierte. Mit diesem Mundgeruch könnte er jetzt bestimmt eine ganze Armee alkoholisieren.
So eine verdammte Scheiße. Er hatte sich fest vorgenommen gehabt, nicht mehr so viel zu trinken. Doch sein Wille hatte die Halbwertzeit einer fetten Torte, die von einem noch fetteren Jungen bewacht werden sollte. Ein Stechen in der Lebergegend verriet, dass ihm nicht mehr sehr viel Zeit blieb, um aus einer Sucht auszusteigen, die langsam sein Leben ertränkte.
„Scheiß drauf“, brummte er und drehte sich auf den Bauch. Er wollte nur noch seine lästigen Gedanken loswerden und Ruhe finden, als er plötzlich ein verdächtiges Geräusch neben sich hörte. Das Gesicht ins Kissen gedrückt, blieb er starr liegen, während seine aufgedunsenen Gehirnwindungen versuchten, eine plausible Antwort zu finden. Was war letzten Abend nur geschehen? Doch all das lag in einer so unerreichbaren Ferne, dass er das Denken irgendwann wieder aufgab.
Mühsam zog er das Kissen unter seinem Gesicht hervor, um es sich umständlich über den Kopf zu stülpen. Endlich war es wieder dunkel. Dunkel genug, um zu schlafen und zu vergessen. Am besten einfach nur noch …
Doch dann schossen auf einmal die Bilder des gestrigen Abends in seinen Kopf. Unwillkommen und unaufhaltsam. Die Bar, dieser seltsame Sauberkeitsfanatiker, dann der Schwule und die Dame, die anfangs so abweisend und böse zu ihm gewesen war. Dieser Frust, der sich in einer grenzenlosen Sauferei entlud. Wie viel sie getrunken hatten, wagte er nicht einmal zu denken. Kam das Geräusch neben ihm vielleicht von dieser Frau mit der aufregenden Figur? Doch es war eher ein Wunschgedanke, den er schnell wieder von sich schob. Er erinnerte sich zwar nicht mehr genau, wie der Abend verlaufen war, aber er glaubte auch nicht, Sex gehabt zu haben. Unsicher öffnete er dann doch die Augen und drehte langsam den Kopf zur Seite, hob das Kissen nur wenige Zentimeter an und lugte unter ihm hervor.
Oh nein! Frank hatte mit vielem gerechnet, damit jedoch nicht. Es war nicht die Dame von gestern Abend, die neben ihm lag, sondern ein Mann. Der Schwule.
„Verflucht!“, zischte er leise. Wie hieß der Typ noch mal? Doch was spielte das jetzt für eine Rolle? Er lag mit einem schwulen Mann im Bett. Was sollte er dazu noch mehr sagen?
Scheiß Alkohol! Oh bitte, lieber Gott, lass es nicht geschehen sein, flehte er stumm. Nie wieder würde er einen Tropfen Alkohol anrühren, wenn ihm Gott nur diesen einen Gefallen erwies.
Leise schob er sich an den Rand des Betts und ließ die Beine darüber gleiten. Flucht war sein einziger Gedanke, nachdem er sich aufgerappelt hatte und sich vergeblich nach seiner Hose umschaute. Er trug nur noch einen Slip, mehr nicht. Tränen schossen ihm in die Augen, als er hilflos an sich hinabsah.
Erst nachdem er das Schlafzimmer verlassen und sich im Badezimmer verschanzt hatte, traute er sich, tief durchzuatmen. Was war hier nur geschehen? Als er mit hängenden Schultern in den Spiegel blickte, durchfuhr ihn ein Schmerz, wie er ihn zuvor nicht gekannt hatte. Sein Gesicht war vom Alkohol aufgedunsen und von tiefen Furchen durchzogen, seine Augen rot unterlaufen. Es war die Fratze eines Dämons.
In diesem Moment wusste er, dass er kurz vor dem Zusammenbruch stand.
III
Dimitri Antonov saß in einem bequemen Ledersessel im Foyer eines Moskauer Hotels und schaute sich interessiert um. Nicht, dass es etwas Besonderes zu sehen gab, aber es war so eine Eigenart, die er sich in den letzten zwanzig Jahren angeeignet hatte und die ihn auch so manches Mal vor unliebsamen Überraschungen bewahrte.
Wo immer Antonov erschien, blieb er nicht unentdeckt, was sicherlich auch an seiner imposanten Erscheinung lag, aber nicht ausschließlich. Vielleicht fiel er durch seine offene Freundlichkeit auf, vielleicht aber auch durch seine hellblauen, stechenden Augen. Wer jedoch menschliche Güte hinter seinem Lächeln vermutete, war eindeutig im Irrtum. Regungen dieser Art kannte Antonov nicht. Er war der Mann für das Grobe. Wer sich ihm in den Weg stellte, verwirkte für gewöhnlich seine Aussicht auf ein langes und gesundes Leben. Das Einzige, das ihn von seinen Kollegen beim KGB unterschied, war, dass er seine Opfer, denen er den Weg ins Jenseits bereitete, stets höflich und respektvoll behandelte.
Diesmal jedoch hatte er eine besondere Aufgabe erhalten, deren tieferen Sinn er noch nicht verstand, sicherlich auch nicht verstehen musste. Aber er war darauf vorbereitet, dass es nicht einfach werden würde. Ein Geschäft dieser Art rief nicht nur den KGB auf den Plan. Er würde es auch mit der CIA, dem BND und vielleicht auch mit anderen Staatssicherheitsdiensten zu tun haben. Zumindest dann, wenn der russische Präsident tatsächlich bereit war, dieses verwegene Abenteuer einzugehen.
Ein untersetzter, drahtiger Mann mittleren Alters betrat die Lobby und kam zielsicher auf ihn zu. Allein schon der harte, staksige Schritt verriet, dass es sich um ein Mitglied seiner Organisation handelte. Der Mittelsmann, mit dem er hier verabredet war.
„Dimitri Antonov?“, fragte dieser dann auch ohne Umschweife, während er sich unaufgefordert zu ihm setzte.
Antonov nickte freundlich und richtete sich langsam auf. „Nun?“
„Ja, er will“, kam die knappe Antwort. Mehr war auch nicht nötig.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.