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Kitabı oku: «Die Falkner vom Falkenhof. Erster Band.», sayfa 7

von Adlersfeld-Ballestrem Eufemia
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Und ihr Lied wieder aufnehmend, wendete sie sich von der Wand ab, überzeugte sich, daß die Thüren innen verschlossen waren, und wollte die Bürste wieder ergreifen, als ihr Auge auf das kleine Madonnenbild fiel, auf das ihr Traum sie gewiesen. Wieder nahm sie den Leuchter auf und schritt darauf zu. In einem goldenen, spitzen, gotischen Rahmen mit kleinen Ecktürmchen und aufzumachender, durchbrochen gearbeiteter Thür war hier ein liebliches Madonnenbild über dem Betstuhl aufgehängt, und Dolores erkannte es sofort als eine uralte Kopie der »Madonna mit dem Stern« des Fra Angelico, genannt »il Beato« im San Marco-Kloster zu Florenz – sogar der Rahmen war getreu nachgemacht mit seinem zierlichen Schnitzwerk. Die kaum einen Fuß hohe Gestalt der Gottesmutter steht auf goldenem Grunde, umflossen von zartrotem Gewande, umwallt von dem dunkelblauen, goldgesäumten Mantel, der auch ihr Haupt nonnenartig einhüllt. Das Haupt nach dem süßesten Jesuskinde, das je gemalt wurde, hinneigend, steht sie mit sinnendem Ausdruck in den überirdischen Augen, mit einem wunderbaren Zug von Schmerz, Trauer und halbem Lächeln um den lieblichen Mund, umflossen von der holdesten Anmut, dem keuschesten Liebreiz, und über ihrem Haupte flammt ein strahlender Stern – der Morgenstern für den Tag der Glorie, da Jesus der Retter kam, die Welt zu erlösen und die Macht des Todes zu brechen. Und wie malte Fra Angelico dieses göttliche Kind auf den Armen der Jungfrau! Es lehnt sein Köpfchen mit dem sinnenden Ausdruck an ihr Antlitz und berührt mit dem Zeigefinger der Linken ihr Kinn, als flüsterte er ihr zu vom Kreuz und von Golgatha und der Erlösung –

Ja, nur Angelico da Fiesole, il Beato, war dazu berufen, wahrhaft göttliche Madonnen zu malen, und man weiß, daß er sie knieend, ein Gebet auf den Lippen malte – all' seine Epigonen malten nur schöne Mütter mit ihrem Kinde, selbst Rafael, der alle Hoheit und Majestät in seiner Sixtina verkörperte, aber nicht das Göttliche, das nur über den Madonnen des Florentiners schwebt. Tizian in seiner »Assunta« hat einen Strahl dieser Göttlichkeit in der zur Glorie des Himmels mit ausgebreiteten Armen emporschwebenden Gestalt der Mutter Gottes verkörpert, doch soviel man auch sucht, man wird diesen Strahl bei späteren Meistern nicht mehr finden, außer vielleicht geteilt in dem wunderbar ergreifenden Muttergottesbilde Lefèvres, und voll in der schlichten, rührenden Madonna Defreggers.

Dolores kannte die liebliche Madonna mit dem Stern wohl, sie besaß ja selbst eine moderne Kopie derselben, die ihre Mutter ihr als Riccordo di Firenze geschenkt – vor Jahren. Sie betrachtete lange das schöne Bild und schloß dann wieder die geschnitzten Thürflügel des Rahmens. In ihrem Traume, da hatte die »böse Freifrau« darauf gedeutet und das obere, rechte Türmchen berührt, sie erinnerte sich dessen genau. Getrieben von einem wunderbaren Gefühl, das sie selbst nicht hätte bezeichnen können, trat sie auf das Kniepult des Betstuhles und berührte das Türmchen, indem sie es vorsichtig zu bewegen versuchte – es gab nicht nach. »Ob es sich drehen läßt?« dachte sie. Nein, es rührte sich nicht nach rechts und –

Sie trat mit einem Male erblassend von dem Kniepult herab, denn bei einer leichten Linksdrehung des Türmchens hatte es nachgegeben und langsam drehte sich der Rahmen mit samt dem Bilde – eine kleine in Angeln gehende Thür, die eine tiefe, sich nach innen erweiternde Nische maskierte.

Das war ja nichts Seltsames, denn dergleichen giebt's in alten Häusern, besonders in alten Herrenhäusern, die der Landstraße nahe liegen, genug, denn man mußte seine Pretiosen gut verbergen vor etwaigen Überfällen, besonders in der Zeit der schweren Not des Dreißigjährigen Krieges, wo wildes hungriges Gesindel genug herumzog und manches einsame, nicht befestigte Landhaus brandschatzte. Aber wie sie diese geheime Nische fand, das machte Dolores für den Augenblick betroffen, doch schon im nächsten Moment überwand sie es.

»Zufall,« sagte sie sich und trat dem Versteck wieder nahe. »Was mag darin sein?« – Sie leuchtete in den finsteren, kleinen Raum – er war mit Backsteinen ausgesetzt, sein Boden mit Holz bekleidet. Es lag nichts darin als ein Buch, in roten Samt gebunden, und auf dem Buche lag eine runde Kapsel in der Größe einer großen Taschenuhr. Etwas zaghaft nahm Dolores beides heraus und trug es auf den Tisch vor dem Ruhelager, indem sie sich darauf niederließ. Erst nahm sie die Kapsel auf – es war ein schön gearbeitetes Stück von mit Kupfer legiertem Golde, bedeckt auf der Vorderseite mit einem kunstvollen Netze von erhaben gearbeiteten Arabesken, die als Früchte bunte Edelsteine und kleine Bündelchen oval geformter Perlen trugen. Es mochte italienische Arbeit sein, reinste Renaissance war es jedenfalls. Auf Dolores' Bemühen öffnete sich die Kapsel leicht – sie enthielt zwei sich gegenüberliegende Miniaturporträts, die sich wiederum an kleinen Angeln in ihren goldenen, kaum nadelbreiten Rahmen herumdrehen ließen und rückwärts auf Pergament geheftete Haarlöckchen nebst Namen zeigten.

Das erste Porträt stellte niemand anderen dar, als die »böse Freifrau« – es war eine Kopie des Bildes in der Galerie bis unterhalb des Kragens, nur daß hier das schöne Antlitz noch lieblicher aussah, da ein leichtes Lächeln den wunderschönen Mund umschwebte. Auf dem die Rückseite des Bildes deckenden Pergamentblättchen war mit blauer Seide ein goldrotes Haarlöckchen angeheftet und ringsherum war in zierlicher Rundschrift mit Tusche gemalt: Maria Dolorosa, Freyfrau von Falkner, gebohrene Freyin von Falkner, anno domini 1618.

Das gegenüber, an der Rückwand der Kapsel angebrachte Bild zeigte einen schönen, wettergebräunten Männerkopf, um den eine Fülle schwarzen Haares nach der damaligen Mode sich bis auf den weißen, spitzenbesetzten Linnenkragen herablockte. Kühn blitzten die dunklen Augen, über dem stolzen Munde kräuselte sich ein feines Bärtchen – es war ein schönes Bild, und Dolores dachte, wie ähnlich ihm der Freiherr Alfred sei, nur daß dieser einen Vollbart trug und ihm die kleidsame Tracht jener Tage mangelte. Auf der Rückseite war dem Bilde mit roter Seite ein schwarzes Löckchen angeheftet und darum stand die Inschrift: Lupold Freyherr von Falkner, Kayserlicher Reuter-Hauptmann, anno domini 1618.

Dolores sah lange auf diese zwei Bildchen nieder, die so lebensvoll und liebevoll gemalt waren, und manche Frage stieg dabei in ihr auf. Waren die beiden hier ein Ehepaar? Und für wen war diese Kapsel hergestellt worden? Wer war der Maler dieser kostbaren Miniaturen? Alles dies waren ungelöste Fragen, denn die sie hätten lösen können, waren längst gestorben, oder – verdorben.

Seufzend schloß Dolores die Kapsel, da gewahrte sie auf der glatten Rückseite derselben eine Gravierung – zwei brennende, mit einem Bande verknüpfte Herzen und darunter die Worte:

 
Das Band, das der Hertzen zwo Verbindet
Lös't keiner, ob auch das Leben Schwindet.
 

Jahrhunderte waren darüber hingegangen, »der Hertzen zwo« hatten Ruhe gefunden – war es vielleicht die »alte Geschichte« gewesen mit den beiden?

Dolores legte die Kapsel zur Seite und nahm das Buch, löste dessen goldene Klammer und schlug es auf – es war ein Missale mit vielen bunten, jetzt verblichenen Bändern als Buchzeichen, mit mühsam gemalten Initialen und Kopfleisten. Es war ein vielbenutztes Gebetbuch, das sah man einzelnen der vergriffenen Blätter an; hatte sie daraus gebetet, die schöne, böse Freifrau? Doch da stand etwas geschrieben auf dem leeren, weißen Blatt, das dem Titel vorgeheftet war. Es waren energische, steile und kleine Schriftzüge einer nicht ungelenken Hand, und Dolores las, nachdem sie sich daran gewöhnt, fließend folgendes:

 
Wenn sich die Bas' dem Vetter soll vermählen,
Wird sich der Falk' ein dauernd Nestlein wählen.
Die letzte Falkin muß in Schmerzen büßen,
Die Grabesruh' der Ahne zu versüßen.
Wenn neu sie auflebt in der Huldgestalt,
Die einst im Brautgewande ward gemalt,
Kann diese Falkin siegen ob dem Bösen.
Wird meine arme Seele sie erlösen,
Wird sie des Falken Herz zu sich bekehren,
Werd' ich der Engel Alleluja hören.
Dann ist ein tausendjährig Blühn beschieden
Dem Stamm der Falkner auf der Erd' hienieden.
Kann sich das Edelfalkenpaar nicht finden,
So wird ihr Stamm erlöschen und verschwinden.
 

Geschrieben am St. Johannisabend bei klarem Bewußtsein. Also hat Gott es mir gewiesen, auf daß ich nicht verzweifle, und mich hellsehend gemacht für eine Stund'.

Im Falkenhof, am 23. Juni a. d. 1620.
Maria Dolorosa, zwiefach verwittibte
Freyfrau von Falkner.
***

Dolores ließ das Buch sinken und sah bleich und starr auf die vergilbten Schriftzüge herab, und es schlich ihr kalt übers Herz, als sie ihres Traumes gedachte, wie sie die Ahne gesehen, und wie diese auf das Madonnenbild gedeutet, das Türmchen des Rahmens berührt und sie so hingewiesen auf das, was seit zwei und einem halben Jahrhundert und mehr vielleicht verborgen gelegen vor jedem menschlichen Blick.

Wie war das Rätsel zu lösen? Wie, wenn sie es allen Gelehrten der Erde zu raten gab? Sie selbst sann dieser Lösung nach, bis der Kopf sie schmerzte – der Traum blieb und das Buch vor ihr mit seiner Weissagung blieb auch. Ihr blieb nur, der Geschichte der Ahne nachzuforschen, um darin vielleicht einen Lichtschimmer zu entdecken, der freilich das Wunderbare des Traumes nicht mindern konnte, mochte er auch Aufklärung bringen über das schöne Frauenbild, das man »die Böse« nannte. Doch sie wollte andere befragen, ohne sich selbst zu verraten, sie mußte eindringen in dieses Mysterium, dem der Mensch im Schlafe verfällt – und war es denn überhaupt im Traum gewesen?

Ihre Zweifel verdichteten sich wie die Nebel an einem Herbstmorgen, sie dachte nach, bis die Uhr über dem Südportal Mitternacht schlug und sie mahnte, zur Ruhe zu gehen. Sie trug Buch und Kapsel zurück in die Nische und schloß diese durch das Bild, dann legte sie sich zum Schlummer nieder in dasselbe Bett, in dem die Ahne geruht, wie Mamsell Köhler gesagt, sie legte sich, eine schlaflose Nacht fürchtend. Bald aber überschlich sie das Gefühl des nahenden Schlummers, und wie es kam, mußte sie die Worte aus dem Missale vor sich hinsagen wie ein selbstgesungenes Schlummerlied:

 
Die letzte Falkin wird in Schmerzen büßen,
Die Grabesruh' der Ahne zu versüßen,
Wenn neu sie auflebt in der Huldgestalt,
Die einst im Brautgewande ward gemalt –
 

»Bin ich die letzte Falkin?« murmelte sie schlaftrunken. »Bin ich –«

Das Wort erstarb auf ihren Lippen – sie war eingeschlafen.

»Ich habe nur einen Moment geschlummert,« sagte sie, verwirrt sich aufrichtend – und zu ihrem Staunen sah sie, daß das helle Sonnenlicht durch die Ritze der Fensterläden auf den Boden fiel.

Daß sie nicht alles geträumt, davon überzeugte sie sich durch das Öffnen der Nische – da lagen Buch und Kapsel, wie sie dieselben gestern Abend hineingelegt. Aber der tiefe, traumlose Schlaf hatte sie nicht gestärkt. Ihr Kopf schmerzte, und sie fühlte ihre Nerven gereizt, sie, die fast allen Strapazen mit ihrem stahlgeschmeidigen Körper Trotz geboten, die mehrere Abende hintereinander Wagnersche Opernpartien mit voller Kraft gesungen hatte, ohne ihre Nerven zu erschüttern.

»Ich war glücklicher, als ich noch nicht die Herrin des Falkenhofes war,« dachte sie schmerzlich. »Da gab es keine Enttäuschung für mich und die Kunst hob mich über die kleinen Miseren des Daseins hinweg, der Neid konnte mir nichts anhaben, denn ich ebnete ihm nicht den Weg zu mir. Hätt' ich wenigstens meinen Flügel hier!« –

Als Engels nach dem Frühstück erschien zu den Geschäften des Tages, sah er forschend auf das bleiche Antlitz seiner jungen Herrin.

»Was ist Ihnen, Fräulein Dolores?« sagte er besorgt.

»Ich weiß es selbst nicht,« entgegnete sie kurz und ergriff den Wirtschaftsbericht. Dann sah sie plötzlich auf zu ihm.

»Glauben Sie an Träume, lieber Engels?«

»I Gott behüte,« erwiderte er. »Träume kommen aus dem Magen. Wenn ich zu spät Abendbrot gegessen habe, dann träumt mir immer das verrückteste Zeug. Selbst das Tier träumt, denn was wär es sonst, wenn Knieper im Schlafe leise bellt und winselt und Ida miaut?«

Jetzt mußte Dolores doch lächeln; die Erklärung für ihren Traum war allerdings drastisch genug.

»Ja, ja, so wird es sein,« sagte sie resigniert, hier einen Schlüssel zu finden.

Während sie zerstreut den Berichten Engels zuhörte, klopfte es bescheiden an der Thür, und Mamsell Köhler erschien auf der Schwelle.

»Herr Doktor Ruß ist oben und frägt, ob gnädige Baronesse einen Spaziergang mit ihm machen wollen – es sei so schön draußen.«

»Ja, gern,« rief Dolores, froh, eine Gesellschaft zu finden – das Alleinsein war ihr so schwer heut'. »Ich lasse den Herrn Doktor bitten, im Salon oder in der Galerie auf mich zu warten.«

Mamsell Köhler ging.

»Was will der nur von Ihnen?« gab Engels seinen Gedanken laut Audienz.

»Gute Nachbarschaft halten, denke ich,« antwortete Dolores, die Papiere zusammenschiebend.

»Hm, natürlich, der ist immer da zu finden, wo die Fleischtöpfe Ägyptens brodeln,« murrte der Verwalter.

»Ich glaube, das ist rein menschlich,« lächelte Dolores. »Was haben Sie nur gegen diesen Mann, dessen Kenntnisse so eminent sind?«

»Den Kuckuck sind sie,« platzte Engels heraus. »Nichts habe ich gegen ihn, nichts Erwiesenes, und gethan hat er mir auch nichts, aber dasselbe kann ich von der Raupe sagen, die sich auf dem Blatte windet, und die ich auch nicht mag, weil sie mir Widerwillen einflößt; der da drinnen gehört auch zur Gattung der Kriechtiere, denn sein Rücken versteht es prächtig, sich zu drehen. Und wenn der Blödsinn von der Seelenwanderung zwischen Tier und Mensch, von der manche ein Brimborium schwatzen, wahr ist, dann war der früher eine Schlange, das steht fest.«

»Sind Sie auch nicht ungerecht, lieber Engels?« wandte Dolores ein.

»Möglich,« sagte er achselzuckend, »kann mir einmal nicht helfen. Aber sei es, wie es immer sei, Fräulein Dolores, jedenfalls bitte ich Sie, den guten, wohlgemeinten Rat eines Freundes nicht zu verachten: Vertrauen Sie dem Ruß nichts, keines Ihrer Geheimnisse an!«

»Ich bin keine Plaudertasche, lieber Engels,« erwiderte sie freundlich, »ich gehöre nicht zu den Personen, die ihren lieben Nächsten sofort zu ihrem Vertrauten machen und ihm das Blaue vom Himmel herunter schwatzen.«

»Aber er ist scharf, glauben Sie mir, und holt aus Ihnen heraus, was er wissen will!«

»Ich werde auf der Hut sein!« –

Engels ging, und Dolores fand den Doktor in der Galerie ihrer wartend – er stand vor dem Bilde der Ahnfrau.

»Wie wunderbar doch die Natur spielt, daß sie nach Jahrhunderten die nämlichen Züge dem Antlitz eines Gliedes desselben Stammes verleiht,« rief er ihr entgegen. »Das ist ja eine frappierende Ähnlichkeit zwischen Ihnen und dem Bilde da!«

»Ja,« sagte Dolores, »und Sie können sich denken, daß ich mich infolgedessen sehr für das Original interessiere. Wissen Sie Näheres über ihr Leben?« –

»Nein, nur, daß sie ›die böse Freifrau‹ heißt und die stets gut dotierte Stelle eines Schloßgespenstes inne hat,« erwiderte Ruß scherzend. »Aber wenn Sie's interessiert, so will ich gern den betreffenden Band der Familienchronik hervorsuchen und danach forschen –«

»Ach ja, und ich will Ihnen gern dabei helfen,« rief Dolores.

»Abgemacht! Aber vorher wollen wir einen Spaziergang machen. Sie sollen sehen, wie herrlich der Wald an einem Maienmorgen ist!«

Dolores stimmte fröhlich ein, holte sich Hut, Handschuhe und Schirm, und dann schritten sie davon, dem Walde zu.

***

Draußen war's wonnig! Wald, Feld und Wiese trugen noch ihren frischen, jungen Frühlingsschmuck, den erst der Juni vergessen macht mit seinem neuen Schmucke von Blumen. Die Föhren hatten noch frischgrüne Triebe, die Laubbäume helle, zarte Blätter, und die Tannen, die am Waldbach wuchsen, sproßten noch so licht empor, daß das Moos zu ihren Füßen sich fast schwarz dagegen abhob. Aus dem weichen, erdbeer- und heidelbeerbesäeten Boden quoll jener frische, kräftige Erdgeruch, der gemischt mit den Düften von Waldmeister, Thymian, Lavendel und wilden Hyacinthen den tiefatmenden, staubgesättigten Lungen der Städter so wohl thut. Leis' murmelnd zog der silberhelle Waldbach in raschem Laufe dahin, als könne er nicht schnell genug den Ort seiner Bestimmung, den großen Strom, erreichen, in welchem er, selbst nur ein winziger Tropfen, ungekannt und unerkannt seiner Ewigkeit, dem Meere, zueilt. So thut er, dem selbstgebahnten oder geebneten Bette folgend von der Quelle aus, wie der Mensch von der Wiege an, dem Grabe zueilt mit jeder Stunde seines Lebens.

»Wie schön ist's hier,« sagte Dolores, den frischen Waldesduft mit tiefen Zügen einatmend, »und wie lange ist's her, daß ich keinen deutschen Wald betreten!«

Sie nahm den Hut ab und ließ die kühle Luft um ihre Stirne wehen und mit den goldigen Löckchen darüber spielen.

»Beim wunderbaren Gott, das Weib ist schön,« citierte Doktor Ruß in Gedanken mit halbem Seitenblick auf seine Begleiterin, »ob sie wohl zu einer Eboli veranlagt ist?«

In Rückerinnerungen verloren, schritt Dolores dahin, und in der That war der parkartige Wald vom Falkenhof dazu geeignet, Entzücken zu erregen. Man hatte die Natur nirgends eingedämmt, der Bach floß in seinem natürlichen Bette dahin, und auf dem Boden wuchsen Waldmeister, Erdbeeren und Heidelbeeren, aber es waren breite, gutgepflegte Kiesgänge kreuz und quer gezogen, und wo der Wald eine Blöße hatte, da zogen sich smaragdgrüne, tadellose Rasenflächen hin, plätscherten kühle Brünnlein oder sprangen Federfontänen in scheinbar ungekünstelten Steinbassins, emporgesprudelt von alten steinernen, moosüberzogenen Tritonen oder Delphinen. Wo sich das Laub zu dichten Gebüschen zusammenzog, da standen wohl halbverborgene Statuen von Sandstein, Götterbilder des alten Hellas und Rom, und mitten im Waldesdunkel träumten die Ruinen des alten Falkenhofes von der Vergänglichkeit, deren Opfer sie geworden. Es war nicht mehr viel da von den Mauern des alten Hauses, aber die kleine Kirche stand noch in ihren Umfassungsmauern, um die sich wilde Rosen rankten und durch die leeren Fensterkreuze und schön gemeißelten Steinrosetten der Spitzenbogen hereindrängten in das Innere, in dem nur noch einige Säulenknäufe und Kapitäle aus dem Moos und Gras hervorragten, das üppig aus dem Steinboden hervorsproßte, denn schon lange vor dem Dreißigjährigen Kriege lag der alte Falkenhof, der ja längst zu klein gewesen für seine Bewohner, als Ruine da, und es war nicht der unpoetischste Teil des Parkes, in welchem sie sich befand. Hier machte auch der Bach einen Bogen und fiel als kleiner Wasserfall steil hinab in ein dunkles Becken, das Hexenloch genannt, weil man in alten Zeiten die der Hexerei Angeklagten die Wasserprobe darin machen ließ, um sie, wenn sie dieselbe bestanden, schließlich doch zu verbrennen, denn der Aberglaube, dieser furchtbare Moloch, mußte seine Opfer haben – damals vernichtete er sie physisch, heute moralisch, und eins ist so schlimm und grausam wie das andere.

»Man bedarf Ariadnes Faden, um sich aus diesem Labyrinth heraus zu finden,« scherzte Dolores, als sie, um die Ruine herumbiegend, durch einen verdeckten, übermauerten Gang plötzlich an den Rand des Hexenloches, zu Füßen des Wasserfalles gelangten.

»Das macht die Übung,« erwiderte Ruß. »Aber ich meine, Sie müßten den Park doch von früher her noch kennen?« –

»Ich entsinne mich einiger Einzelheiten,« nickte sie, »besonders aber der Ruine und des häßlichen schwarzen Tümpels hier. Der verstorbene Onkel konnte es nicht laut genug der Welt verkünden, daß ich ein Satanskind sei, und Fräulein Köhler meinte, man müßte mich zur Probe da hinein werfen, denn nur der Böse könne mich daraus erretten.«

Doktor Ruß lachte leise vor sich hin.

»Und für diese freundliche Gesinnung erhöhten Sie der alten Klatschbase ihr Gehalt und schenkten ihr ein Geschmeide?« fragte er.

»Ach, das ist ja lange her,« entgegnete Dolores ebenfalls lachend.

»Ja, ja, und es hat sich seitdem vieles verändert,« nickte Ruß. »Als Sie den Falkenhof verließen, gingen Sie da direkt nach Brasilien zurück?«

»Nein, wir lebten in Italien, bis mein Vater wieder in die Gesandtschaft zu Rio de Janeiro eingereiht wurde. Es hatte ihm viel Mühe gekostet, und als wir wenig Wochen dort waren, starb er.« –

»Ach ja, und dann erbten Sie jene großen Güter,« ergänzte der Doktor seine Begleiterin. Er war endlich auf dem Punkte angelangt, nach dem er gezielt.

»Ja, zu spät für meinen Vater,« bestätigte Dolores.

»So ist es also wahr, was Frau Fama ausposaunt, daß es Diamanten sind, die Sie auf Ihren Feldern ernten?« meinte Ruß in scherzendem Tone.

»Und Reis, Zuckerrohr und Tabak,« nickte sie harmlos.

»Also doch Diamanten,« beharrte der Doktor auf diesem einen Punkt. »Diamantfelder – das klingt für uns, die wir dem Boden nur schwarze Diamanten, d. h. Kohlen abringen können, wie ein Märchen.«

»Als ob sie bei uns wie Kartoffeln wüchsen,« lachte Dolores amüsiert. »Man muß oft Tage lang graben, ehe man etwas findet!« –

»Ei freilich, soviel wissen wir hier auch,« erwiderte Ruß behaglich lachend, denn er wußte nun, daß es Diamantfelder seien, welche Dolores besaß. »Es frägt sich bei derartigen Besitzungen nur, ob der Ertrag die Arbeit lohnt.« –

»O ja, denn wir finden auch Smaragden,« entgegnete sie sorglos, indem sie sich bückte, eine Blume zu pflücken, die sie dem Strauß in ihrer Hand einreihte.

Dann wandelten sie weiter auf dem schattigen, kühlen Waldespfade, der sich dann erweiterte und durch eine scharfe Biegung urplötzlich einem kleinen Schlößchen gegenüber endete, das wie ein Traum aus vergangener Zeit in einem Labyrinth von Rosen und hohen, grünenden Bäumen lag.

»Monrepos,« rief Dolores überrascht, »ich dachte nicht, daß es dem Falkenhof so nahe liegt. Freilich, man vergißt im Lauf der Jahre vieles!«

Monrepos war wohl ein ehemaliges Jagdschloß, denn daran mahnten die steinernen Pikeure rechts und links am Aufgange zu dem hohen Parterre, über das sich nur noch eine Etage aufbaute, welche von seltsam geformten, barock verschnörkelten Mansarden gekrönt wurde. Über der Eingangsthür ward ein fürstliches Wappen von pausbäckigen Engelchen gehalten, von denen man nur künstlich die üppig wuchernden Kletterrosen fern hielt, die bis zu den Mansarden emporragten und jetzt unzählige Knospen aufwiesen, die schon halb erschlossen waren. Vor dem Schlößchen verbreiteten mächtige Linden einen wahrhaft köstlichen Schatten, in welchem barocke Gartenmöbel zum Sitzen einluden, und auf dem Rasenplatz davor blies in steinernem Bassin ein von Nymphen umgebener Meergott aus einer Muschel einen starken Wasserstrahl in die Höhe, der seine glitzernden Wasserperlen auf die herrlichen Rosenstämme sprühte, welche den Platz in dichten Reihen umstanden.

Dolores erinnerte sich wohl des Rokokoschlößchens, das sie von fern oft betrachtet hatte, als sie, ein Kind noch, dem Falkenhof als Bewohnerin angehörte, aber sie wußte nichts von seinem Besitzer.

»Monrepos ist Privateigentum des Herzogs von Nordland,« erklärte Doktor Ruß. »Er hat es von einer Verwandten geerbt, welche in unser Königshaus geheiratet hatte, und es gehört nun zu seinen Lieblingsplätzen. Hier bringt der Herzog mit seinem Sohne, dem Erbprinzen, und seinen beiden Töchtern Jahr für Jahr ein paar Sommermonate zu, ganz wie ein einfacher Privatmann, und nur wenig Auserlesene, die er als Freunde betrachtet, erweitern den zwanglosen Familienkreis, in dem jedes seinen Neigungen lebt. Zu denen des Herzogs gehört die Rosenkultur, und er arbeitet wie ein einfacher Gärtner unter seinen Lieblingen, die aber auch seine Mühe lohnen und von seltener Schönheit sind. Man erwartet die herzogliche Familie in wenig Tagen hier – ich hörte, zu den wenigen Eingeladenen auf Monrepos gehöre dieses Jahr Richard Keppler, der berühmte Maler.«

Hier erinnerte sich Dolores der Einladung, die Falkner dem Künstler damals im Atelier überbracht – sie hatte nicht geglaubt, daß er ihr so nahe sein würde, sie hätte es auch um seinetwillen nicht gewünscht. Und Falkner, war er auch zu dem exklusiven Kreise in Monrepos berufen? Sie hätte sich eher im Hexenloch gesehen, als die Frage dem Manne an ihrer Seite vorgelegt, der mit scharfem Blicke ihre Züge studierte, als wollte er aus ihnen ihre Seele herauslesen. Doch was kümmerte es sie am Ende – die Bewohner von Monrepos und dem Falkenhof standen ja einander so fern wie der Nord- und Südpol, besonders jetzt, da sie die Herrin des letzteren war.

»Gehen wir weiter,« sagte sie, sich vom Schlosse abwendend, und Doktor Ruß folgte ihr mit leisem Kopfschütteln.

»Kennen Sie Keppler persönlich?« fragte er lauernd.

»Ich kenne und achte ihn als Mensch, wie ich ihn als Künstler bewundere,« entgegnete Dolores warm und unbefangen, ein Umstand, der ihren Begleiter zu verwundern schien, um so mehr, als sie nun begann, ganz unbefangen über des Malers Werke zu plaudern, die seinen Ruhm auf der ganzen Erdkugel begründet.

»Ich bin namentlich für seine Porträts begeistert,« bemerkte Ruß. »Sie haben neben frappanter Ähnlichkeit so viel geistigen Gehalt, wie das Original selbst, und ich weiß, daß er am liebsten solche malt, bei denen er diesen Gehalt findet. Nebenbei aber idealisiert er so fein, wie eben nur ein Künstler, wie er, vermag.«

»Es kann jedermann stolz darauf sein, von ihm gemalt zu werden,« pflichtete Dolores bei, »und ich bin es auch in der That.«

»Ah, Keppler hat Ihr Porträt gemalt?«

»Ja, als Satanella,« erwiderte Dolores. »Es war eine Caprice von ihm, die Kombination von Rot und Gold so darzustellen, daß sie künstlerisch wirkte, und ich meine, er hat das Problem gelöst. Kennen Sie die Oper, Doktor Ruß? Wenn nicht, so müßte ich Ihnen das Kostüm beschreiben, um Ihnen die Aufgabe für den Künstler klar zu machen.«

»Ja, ich war in der Residenz, um diese Sensation machende Oper zu hören,« sagte der Doktor langsam. »Aber ich hätte Sie im Leben nicht wieder erkannt.«

»Nicht?« fragte Dolores amüsiert. »Das war gut. Ich wollte vor den Lampen nur die Künstlerin sein, nichts weiter.«

»Es war ein sinnverwirrender Anblick,« fuhr Ruß fort, »ich begreife den Eifer Kepplers, den prachtvollen Farbenreichtum, der Sie umhüllte, auf die Leinwand zu bannen. Der Künstler soll, wie man mir sagte, fast jeder der vielen Aufführungen der Satanella beigewohnt haben. Das ist eine Huldigung, die auffallen mußte,« fügte er mit scharfem Blick hinzu, »und die am Ende auch zu denken giebt.«

Dolores warf das schöne Haupt zurück, und ihre Lippen kräuselten sich verächtlich. »Die Welt ist ja stets geneigt, etwas zu denken,« sagte sie leicht. »Keppler kam, um die Aufgabe, die er sich gestellt, zu studieren. Daß übrigens solche ›Huldigungen‹, wie Sie es nennen, nicht immer der Person, sondern auch der Sache gelten können, mögen Sie aus dem Umstand erkennen, daß Alfred Falkner auch in fast keiner Aufführung der Satanella fehlte!«

Doktor Ruß sah überrascht auf – davon hatte er nichts gewußt.

»Wer weiß,« sagte er leise und beziehungsvoll.

Dolores biß sich auf die Lippen im Unmut, daß sie sich hatte hinreißen lassen, mehr zu sagen, als sie gewollt – hatte sie sich doch vorgenommen, Falkners oftmalige Anwesenheit in der Oper gar nicht zu bemerken.

»Man kann ja Sache und Person leicht trennen. Davon hat mein Cousin den Beweis geliefert,« sagte sie, ohne des Doktors dazwischen geworfenes Wort zu beachten. »Das Werk kann interessieren, die Person des Darstellers aber antipathisch sein, und nur das Wort oder der Ton, über den sie verfügt, eine Saite, einen Nerv in uns berühren. Dieses interessante Problem menschlichen Nervenlebens hatte ich sehr oft vor mir, denn Herr von Falkner wandte der Bühne stets den Rücken zu, wenn ich sang. Es war also die Antipathie gegen meine Person, während meine Stimme, ohne daß er mich sah, auf seine Nerven wohlthätiger wirkte. Ich habe schon früher von solchen Fällen gehört.«

Ob sie wohl ihren Begleiter täuschte durch ihre von jedem bitteren oder beleidigten Gefühl freie Besprechung eines, wie es schien, für sie interessanten und doch gleichgültigen Themas? Wer weiß.

Das Gespräch kam dann auf andere Dinge, indem sie fortwandelten und Dolores ihren Waldblumenstrauß vollendete. Ruß war ein tüchtiger Botaniker und wußte Dolores den Namen jedes Pflänzchens zu nennen, das sie pflückte, und als sie eine kleine, wilde weißblühende Nelkenart brach und dem Bouquet einfügte, sagte er erklärend: »Dies Blümchen wird hier in dieser Gegend vom Volke ›Traumblume‹ genannt. Wer sie bei Vollmondschein allein und im tiefsten Stillschweigen bricht und sie unter sein Kopfkissen legt, der träumt, was er zu wissen wünscht und sonst nicht erfahren kann.«

»Welch' wunderbarer Aberglauben lebt doch noch unter dem Volke,« bemerkte Dolores sinnend; ihr wundersamer Traum kam ihr plötzlich zu Sinne.

»Ja, und er wird auch noch lange leben, denn er hat seine unsterblichen Traditionen, die übrigens oft viel Poesie bergen,« meinte Ruß.

»Glauben Sie an Träume?« fragte Dolores.

»Ich möchte darauf weder mit ja, noch mit nein antworten,« entgegnete der Doktor nach einer Pause, »denn ich habe darüber noch nicht genügend nachgedacht. Es kann nicht geleugnet werden, daß, während der Körper schläft, die Seele wacht und weiter lebt. Was ihr begegnet, während wir schlafen, nennen wir dann Traum. Andererseits aber macht der vom Körper während des Schlafes unbeherrschte Geist tolle Ausschreitungen – da sind die unsinnigen Träume, die wir einander oft lachend erzählen. So erklärt es wenigstens der Erbprinz von Nordland, der sich viel damit beschäftigt und auch ein Werk über Seelen- und Traumleben schreibt. Natürlich wird er ebensowenig in dieses große Mysterium der Natur eindringen können, als viele vor ihm.«

»Ich fürcht' es auch,« sagte Dolores seufzend.

»Der Prinz ist nicht unbedeutend,« meinte Ruß, »nur das Thema, das er sich vorgenommen hat auszuarbeiten, verleitet manche zu dem Glauben, er sei es. Er steht mit bedeutenden Männern der Wissenschaft, Naturforschern und Ärzten, in Verbindung und korrespondiert mit ihnen. Aber schließlich giebt es ja doch Dinge, die für menschliche Weisheit zu hoch sind und zu verhüllt, als daß der jede Schranke durchbrechende Blick der Kultur des neunzehnten Jahrhunderts hineindringen könnte.«

Hier wurde Doktor Ruß sehr drastisch unterbrochen. Er und seine Begleiterin waren bis zum Ausgange des Waldes gekommen, an welchem eine Schmiede lehnte, die eine offene Werkstatt hatte, in der wiederum ein mächtiges Feuer lohte. Vorn stand ein riesengroßer Mann, mager und knochig wie der selige Don Quixote, und hielt eine Rosinante am Zügel, die offenbar eben beschlagen worden und ihres Besitzers würdig war – ein hochbeiniger, starker Percheron mit struppigem Fell und struppiger Mähne, mit primitivem Sattel und schlechtgeputztem Zaumzeug.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
28 mayıs 2017
Hacim:
270 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain