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Kitabı oku: «Die Falkner vom Falkenhof. Zweiter Band.», sayfa 5

von Adlersfeld-Ballestrem Eufemia
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III

 
Ich sprach zum Geier: Reiß aus dem Herzen
Den Namen mir, der drin gegraben steht,
Vergessen lernen will ich und verschmerzen. –
Der Geier sprach: »Es ist zu spät.«
 
E. Geibel nach François Coppée.

Die Redensart: »Man weiß nicht was der nächste Tag bringt,« ist eine oft gedankenlos gehörte, gedankenlos gesprochene – d. h. gedankenlos im Sinne des Gewohnheitsmäßigen, das ja meist gedankenlos ist, weil maschinenhaft. Es denken aber wirklich nur wenige an den tiefen Sinn der Redensart vom nächsten Tage und der Ungewißheit menschlicher Vorausbestimmung, denn mit demselben Recht wie den nächsten Tag, können wir die nächste Stunde nennen, und auch von den sechzig Minuten dieser kurzen Zeitspanne, die vielen so lang werden kann, ist keine einzige, über die wir mit Gewißheit gebieten können. Und das ist einer der größten Beweise göttlicher Weisheit, daran geistiger Hochmut jene Demut lernen könnte, die der Heiland von uns verlangt.

Es ist ja nicht allein, daß der menschliche Geist, dessen Stärke die Tiefen der Erde und die Höhen der Luft durchdringt, dessen Ziel keine Grenzen kennt, daß dieser willensstarke Geist machtlos steht wie ein Kind vor der nächsten Stunde, von der er zwar sagt: ich werde sie so oder so ausfüllen und anwenden. Aber der menschliche Geist in seinem Hochmut – dem schlimmsten, den es giebt – im Vollgefühl seiner Stärke, durch die er Großes geschafft und noch Größeres schaffen will – was ist er im Angesicht jener Macht, die ihm die nächste Stunde nicht einmal anvertraut zur eigenen Verfügung? Was ist er, daß er diese Macht so gerne leugnet und sich über sie stellt? Die Antwort ist tief demütigend. Und so hat's der Schöpfer wohl gewollt in seiner Weisheit, doch wer denkt daran, wenn man sagt: »Ich werde dann das und das thun, morgen jenes vornehmen und in Wochen, in Monaten soll dies geschehen –« Es ist, als wenn ein Kind sagt: »Mutter, ich werde den Mond herunternehmen und putzen – er sieht so trübe aus.« Ja, da lächeln wir wohl oder ärgern uns gar über den kindlichen Unverstand, über das Unsinnige solcher Reden, für die, wenn ein Erwachsener sie anwendet, er sicherlich unter geistige Bewachung kommt, d. h. für verrückt erklärt wird, aber sind wir denn anders als die Kinder mit ihrem »ich werde das und das thun?« Darin eben liegt der Hochmut, der Größenwahn des menschlichen Geistes, der mit Bewußtsein darüber gebietet, worüber er keine Macht hat, nur das er sich diese Machtlosigkeit nicht klar macht, nicht klar machen will in jener Selbsttäuschung, die so süß ist. Und darum sage ich, daß die Redensart: »Man weiß nicht, was der nächste Tag bringt,« nur gedankenlos in Anwendung kommt, denn wäre man sich klar darüber, man würde mit weniger Sicherheit und mehr Demut über denselben verfügen.

Auch der Tag nach dem Schingaschen Feste brachte Veränderungen in den herzoglichen Landaufenthalt, welche man vor vierundzwanzig Stunden noch für unmöglich gehalten. Man hatte schon so schön für kommende Tage »Bestimmungen zu treffen geruht,« man »gedachte« noch etwa zwei Monate in der stillen Zurückgezogenheit von Monrepos zu verleben, dann die Hochzeit der Prinzeß Lolo in kleinem Kreise zu feiern u. s. w. u. s. w. Und während man noch über all' das Beratungen pflog, reiste das kleine, beschriebene Blättchen Papier schon, das alles, alles änderte und umstürzte.

Dieses Briefblatt aber war ein Heiratsantrag für Prinzeß Alexandra.

»Als ich vor fünf Jahren um den unschätzbaren Besitz Ihrer Hand bat,« schrieb der Fürst, von dem er kam, »da sagten Sie mir, Ihre Mission an Ihrer Prinzeß Schwester sei noch nicht erfüllt, und Sie hätten sich gelobt, Ihren Posten nicht eher zu verlassen, bis Eleonore von Nordland versorgt und geborgen sei. Ihr Entschluß schien unabänderlich damals, und ich mußte mich ihm beugen, doch ich ging mit Ihrem Geständnis, daß ich Ihnen nicht gleichgültig sei. Heut' höre ich, daß Prinzeß Eleonore sich vermählt, und unverweilt klopfe ich wieder an Ihre Thür und an Ihr Herz, und wenn Jakob um Rahel auch noch länger freite – fünf Jahre geduldigen Wartens aber sind für unsere kurzbemessene Lebensspanne wohl auch eine Probe, eine Liebesprobe, Alexandra, von der ich hoffe, daß sie nicht umsonst war –« – Und sie war nicht umsonst. Was lange Jahre hindurch verborgen und ungeahnt von andern im Herzen dieses edlen Fürstenkindes geruht, es wachte auf mit diesen Zeilen und sehnte und drängte ans Tageslicht, denn das Glücksbedürfnis lebt in jeder Menschenbrust und stirbt nicht, wenn es auch künstlich zum Schlafen gebracht wird.

Der alte Herzog war entzückt, als seine Tochter ihm von diesem Briefe erzählte, denn er liebte den Schreiber desselben, und der Korb, den er vor fünf Jahren erhalten, hatte ihn mit großem Unwillen erfüllt, ganz abgesehen von den übrigen Körben, welche sie in Abundanz ausgeteilt. Aber der treffliche alte Herr ward noch viel mehr entzückt, als Prinzeß Alexandra ihm auf sein Befragen errötend gestand, daß sie die Hand des treuen Bewerbers annehmen wolle. Auch der Erbprinz war hoch erfreut, doch Prinzeß Lolo sagte lachend:

»Also den alten, langweiligen Stiefel willst du heiraten? Na, dann guten Morgen! Was doch die Leute für verdrehte Geschmäcker haben!«

Unwillig verwies Prinzeß Alexandra ihrer Schwester einmal die schlechte Grammatik ihrer Apostrophe, dann aber besonders scharf den ganz unpassenden Ausdruck »Stiefel« für einen Menschen, der ihr so hoch stände – einen Ausdruck überhaupt, der sich wohl für die Grooms schicke, nicht aber für eine Dame von hoher Geburt.

Die kleine Durchlaucht war aber nicht mundtot zu machen.

»Bitte, ich habe den famosen Ausdruck schon gefürstet gebraucht,« entgegnete sie, »denn die Grooms sagen: Stiebel!«

Prinzeß Alexandra wandte sich ernstlich erzürnt ab mit der Frage, woher ihr die Kenntnis des Stalljargons käme.

»Ich höre ihnen immer vom Balkon aus zu, wenn sie die Pferde putzen und satteln,« gestand Prinzeß Lolo lachend, »und dabei sangen sie gestern ein reizendes Lied:

 
Stiebel, du mußt sterben,
Bist noch so jung, jung, jung!«
 

Prinzeß Alexandra gab es seufzend auf, hier noch Unkraut jäten zu wollen und dachte über das Rätsel der Natur nach, daß trotz sorgfältigster Erziehung und gänzlicher Fernhaltung alles und jedes Gemeinen ein Wesen dennoch die Gassenhauer der Grooms für »reizend« erklären und den ungeschminkten Naturlauten dieser Menschenklasse überhaupt mit Vergnügen und ersichtlich mehr Erfolg als den höchsten Erziehungsprinzipien lauschen kann. Und wenn Prinzeß Alexandra in dieser bittern Stunde der Erkenntnis, daß ihre Opfer umsonst gebracht und verfehlt waren, es thatsächlich bereute, das ersehnte Glück nicht schon vor fünf Jahren erreicht zu haben, so wird ihr dies niemand verargen können, denn das Bewußtsein treuester Pflichterfüllung konnte ihr selbst diese egoistische Regung nicht rauben.

Mit wendender Post traf auf das gegebene Jawort ein dreifacher Brief des Entzückens von dem fürstlichen Bräutigam an den Herzog, den Erbprinzen und die hohe Braut selbst ein; doch neben der Verheißung, daß die Werbung in aller Form und der nötigen Etikette wiederholt werden sollte, wurde auch die Bitte dringend laut, verschiedener Angelegenheiten wegen den Termin der Vermählung zu beschleunigen, und da diese Angelegenheiten dem Herzoge zwingender und wichtiger deuchten als die ersichtliche Ungeduld des endlich Erhörten, das langerwartete Glück auch zu besitzen, so wurde als zeitigster Termin der Hochzeit der Geburtstag der Prinzeß, sechs Wochen de dato fixiert. Doch da hierbei auch der Brautstand der Prinzeß Lolo in Betracht kam, d. h. die Stellung, welche dem Freiherrn von Falkner bei den Vermählungsceremonien einzuräumen war, der zur Konferenz zugezogene Kammerherr als stellvertretender Hofmarschall aber der entschiedenen, von Fräulein von Drusen eingeimpften Ansicht war, daß eine Stellung bei der Vermählung der älteren Prinzeß mit einem regierenden Fürsten dem Freiherrn von Falkner nur als Gatten der jüngeren Prinzeß zu geben sei, indem ein – hm, hm – unebenbürtiger, also auf diplomatischem Wege amtlich nicht notifizierter Bräutigam einer Prinzeß überhaupt gar keine Stellung habe, so wurde die Vermählung dieses Paares um acht Tage früher als die andere fixiert und Falkner dies mitgeteilt. Es bedurfte übrigens gar nicht der drastischen Neckereien des Prinzeßchens, mit denen sie Falkner »sein auf diplomatischem Wege amtlich nicht notifiziertes Bräutigamsdasein« drollig genug vorhielt, um ihn verstehen zu machen, was der Grund dieses beschleunigten Hochzeitstermins war, denn er hatte lange genug an Höfen gelebt, um das zu begreifen, aber im Grunde war er ganz damit zufrieden. Das Band war ja durch ihn nicht mehr löslich, und ob es zwei oder drei Monat später für ihn zur lebenslänglichen Fessel wurde oder in fünf Wochen – was that das?

Doch es wurde noch mehr beschlossen im Rate der Familie, denn da man das Ende des Juli noch für zu früh im Jahre hielt für den programmmäßigen Ausflug nach dem Süden, so ward die Ummöblierung von Monrepos alsbald festgesetzt, damit das junge Paar daselbst seine Flitterwochen verleben konnte. Andere Vorschläge von seiten des Bräutigams wurden, als nicht üblich, gar nicht erbeten, und auch Prinzeß Lolo opponierte nicht, denn es war schon eine ganz andere Sache, Schloßherrin auf Monrepos zu sein, nach dem berühmten Muster Cäsars, welcher auch lieber auf dem Dorfe der erste, als in Rom der zweite war. Zudem spukten in dem blonden Köpfchen eigene Ideen von Visiten in Stadt und Land – und es sollte ganz amüsant werden auf Monrepos. »Die alte Bude soll sich wundern, wie ich sie aufmöbeln und aufkratzen werde,« gelobte sie sich innerlich.

Doch so sehr des Herzogs Vaterherz sich freute über das Glück seiner Töchter, die er so gern echt bürgerlich und gemütlich »seine Mädels« nannte – die fortgesetzten Konferenzen, Korrespondenzen und Depeschenwechsel dieser letzten Tage versetzten sein ruhebedürftiges Gemüt in einen harten Anklagezustand gegen das Schicksal, das ihm nicht 'mal seine paar Sommermonate in Ruhe gönne und seinen Rosen ungestraft gestatte, so wilde Triebe anzusetzen, als ihnen beliebe, denn wer kam in diesem Trubel dazu, auch nur eine Raupe von den Stämmen zu lesen? Und nun sollte es gar vorzeitig zurückgehen in die staubige Residenz, in das große Schloß mit dem englischen Park, in welchem ihm die Etikette verbot, zu arbeiten – kurz, er sollte um zwei volle Monate eher aufhören, ein Mensch zu sein! Das war mehr für das geduldige Temperament des trefflichen alten Herrn, als er es ertragen konnte, und Entschlüsse, welche vorläufig nur als schwarze Gedanken in seinem Busen geruht, wurden in ihm reif – Entschlüsse, welche zwar nicht erschütternd an die Fundamente seines Landes und des Reiches griffen, welche aber für sein Haus immerhin Bedeutung hatten. Und nun war die Reihe, Konferenzen abzuhalten, an ihm – d. h. er legte, als seine Entschlüsse zur Reife gediehen und unwiderstehlich in ihm aufstiegen, Gartenschere und Okuliermesser mit der Entschiedenheit und der Hast beiseite, welche ebensosehr auf eine Unabänderlichkeit seiner Ideen, als auch auf deren rasche Erledigung deuteten, und nachdem er sich noch etlichemal die Hände gerieben und ein halb Dutzend Mal um ein Rosenrondel gegangen war, ließ er seinen Sohn, den Erbprinzen, zu sich bitten und blieb mit demselben nahezu zwei Stunden eingeschlossen. Des Herzogs Kammerdiener hörte seinen hohen Herrn dabei mehrmals mit erhobener Stimme reden – aber was immer auch besprochen wurde, es hatte einen friedlichen und befriedigenden Ausgang, denn als nach besagten zwei Stunden der Herzog mit seinem Erben wieder hinaustrat in den Garten und der Erbprinz nach seinem Hute griff, da reichte der Vater dem Sohne die Hand.

»So, dann Glück auf, mein Junge,« sagte er herzlich. »Es hat so kommen sollen – und contre la force il n'y a point de résistance. Die zwingende Gewalt liegt eben im Menschen selbst – das ist die Natur. Willst du heut' noch nach dem Falkenhofe?« –

»Ja, Vater. Wozu auf morgen verschieben, was man heut' ebensogut erfahren kann?« –

»Ja, ja! Also nochmals: Glück auf, Emil!« –

Der Erbprinz küßte seines Vaters Hand und verließ Monrepos auf dem Wege zum Falkenhofe. Er ging aber nicht schnell, wie ein Mensch, der seiner Sache gewiß ist. Langsam schritt er hin und blieb oftmals grübelnd stehen, aber am Ende kam er doch an sein Ziel und wurde von Ramo unverzüglich bei der Herrin des Falkenhofes gemeldet.

Draußen brütete die Schwüle des Sommernachmittags über den Bäumen – aber die Sonne neigte sich schon nach dem Westen. Die dicken Mauern, wie sie nur die Architektur vergangener Jahrhunderte kannte, ließen nicht viel Hitze von außen hinein in die gewölbten Räume des Falkenhofes, und erquickt atmete der Erbprinz die Kühle ein, die ihm beim Eintritt in das feudale Schloß entgegenwehte. In denkbar kürzester Zeit kam Ramo wieder herab und meldete, daß Dolores den Erbprinzen erwarte. Gerade als letzterer sich anschickte, die Treppe hinaufzusteigen, erschien Doktor Ruß in der Vorhalle und begrüßte überrascht den hohen Besucher und schickte sich an, denselben nach oben zu begleiten.

»Ich war gerade im Begriff, meiner Nichte dieses Buch, das eben eintraf, zu bringen,« sagte er, auf eine Broschüre in seiner Hand deutend.

Doch zu seiner größten Überraschung nahm der Erbprinz ihm das Heft aus der Hand, ohne auch nur einen Blick auf den Titel zu werfen.

»Ich kann Ihnen diese Mühe abnehmen,« meinte er, grüßte freundlich, aber in der Weise, welche nur den Regierenden eigen ist, wenn sie jemand entlassen, und schritt, dem voraneilenden Ramo folgend, die breite, teppichbelegte Treppe zu dem von Dolores bewohnten Flügel hinan.

Doktor Ruß aber richtete sich von seiner tiefen Verbeugung auf und konzentrierte sich rückwärts nach seinen Gemächern.

»Das war kurz – und deutlich,« murmelte er vor sich hin. »Hm! Hm! Also man will allein sein oben. Vielleicht enfin seuls! Und warum will man allein sein? Weil man etwas zu besprechen hat, wozu ein Dritter überflüssig ist. Um das zu erraten, dazu gehört nicht viel Kombinationsgabe. War dieser Besuch erwartet? Kommt er unerwartet? Schade nur, daß –«

Und die Gedanken des Doktor Ruß verloren sich in ein vielsagendes Kopfschütteln.

Oben im Korridor aber sagte der Erbprinz zu Ramo:

»Ich wünsche Ihre Herrin, die Baroneß, allein und ungestört zu sprechen. Bitte, sorgen Sie also dafür, daß niemand gemeldet oder ungemeldet eindringt, so lange ich hier bin. Niemand; – auch Doktor Ruß nicht!«

»Sehr wohl, Hoheit,« erwiderte Ramo respektvoll, aber nicht servil. Er mochte den Erbprinzen gern leiden, den Doktor Ruß aber nicht, trotzdem sich letzterer stets sehr freundlich dem Kammerdiener gegenüber zeigte.

»Willkommen, Hoheit,« sagte Dolores, als der Thronerbe bei ihr eintrat. »Ah – Sie bringen mir ein Buch!«

»Ich nahm es Doktor Ruß ab, der es Ihnen eben bringen wollte,« erklärte der Erbprinz, die dargebotene Hand küssend.

»O, zu gütig –« –

»Nein, es war keine Güte, nicht einmal Gefälligkeit. Ich wollte Sie heut' allein sprechen.«

»Allein, Hoheit?« fragte Dolores erstaunt. »Das klingt ja ganz mysteriös und macht mich sehr neugierig. Sind es Staatsgeheimnisse, welche ich hören soll?« –

»Auch das,« erwiderte er, auf ihren Ton eingehend. »Große Staatsgeheimnisse eines kleinen Staates. Also nur für Ihre Ohren allein bestimmt!« –

»Ei, wie reizend! Ich habe mir immer gewünscht, Mitwisserin von Staatsgeheimnissen zu sein,« meinte sie nicht ohne ein leises Staunen, denn er hatte den letzten Satz merkwürdig ernst gesprochen, ernster, als er sonst zu reden pflegte.

Ramo hatte inzwischen die Jalousien des Salons, wo Dolores ihren Gast empfangen hatte, emporgezogen, denn die Sonne lag nicht mehr darauf, aber er hatte die Fenster trotzdem noch geschlossen.

»O Ramo, die Fenster auf!« rief Dolores, als er eben noch die Salonthür schloß.

»Es ist noch zu heiß draußen, Herrin,« murmelte er in seinem leisen, wohlerzogenen Kammerdienertone und setzte noch leiser spanisch hinzu: »Man versteht unten auf der Terrasse jedes hier gesprochene Wort bei offenen Fenstern.«

Und damit glitt er leise aus dem Salon und schloß sogar die Thür zum Turmzimmer hinter sich.

Dolores fühlte sich entschieden intriguiert. Zwar mochte sie Angelegenheiten von Wichtigkeit auch nicht mehr im Turmzimmer besprechen, seit sie das Geheimnis des Kamins kannte, durch welches die Passage freilich abgeschnitten war, hinter dessen Wand man aber im Nordflügel jedes im Turmzimmer gesprochene Wort vernehmen konnte. Denn selbst der findige Ramo hatte nicht entdecken können, wie der Inhaber der gefundenen Fußspuren in dieses Zimmer hinein gelangt war. Aber Ramo kannte auch die unausgesprochenen Wünsche seiner Herrin – er wußte, daß das Turmzimmer ihr nicht eher wieder lieb werden konnte, ehe es nebenan nicht sicher war, und da er selbst ein leises Unbehagen empfand bei dem Gedanken, daß es dicht neben den Wohnräumen dieser geliebten Herrin einen geheimnisvollen Schlupfwinkel gab für unbekannte Schleicher, daß die Wände dieses Zimmers sozusagen Ohren hatten, so schnitt er diesen lieber ab, was der Erbprinz zu sagen hatte.

Dieser und Dolores nahmen im Salon indes einander gegenüber Platz.

»Also nun zu den Staatsgeheimnissen,« meinte sie, ersichtlich gespannt. »Nach dem zu dieser Unterredung nötigen Apparate bin ich doch wohl berechtigt, etwas ganz Außergewöhnliches zu erwarten und zu hören!«

»Und doch erraten Sie gewiß nicht, daß von Ihnen in dieser Stunde das Bestehen oder Aufhören eines Staates abhängt,« erwiderte der Erbprinz mit jenem Lächeln, das auch Ernst bedeuten kann.

»Von mir?« fragte Dolores erstaunt. Aber dann lachte sie. »O Hoheit, die Hundstage und die Sauregurkenzeit, wo man vergebens nach Enten sucht, um die Zeitungen zu füllen und die Konversation zu beleben – die sind doch noch nicht da, und vor denen brauchen Sie sich doch nicht zu fürchten!«

»Das ist sehr freundlich bemerkt, aber mir lag wirklich jeder Scherz fern,« versicherte der Erbprinz. »Also darf ich mein Staatsgeheimnis erzählen? Und werden Sie mich geduldig anhören, bis ich zu Ende damit bin?«

»Ich werde keine Silbe sagen, bis Hoheit mir erklären, daß Sie fertig sind,« entgegnete sie freundlich und lehnte sich zurück in ihren Sessel. »Also ich höre und verspreche, kein Wort zu verlieren.«

»Nun wohl,« sagte der Erbprinz, »ich verspreche dagegen auch, kurz zu sein und Ihre Geduld nicht zu schwer zu prüfen. Um mit dem neuesten zu beginnen, so muß ich also berichten, daß wegen der in sechs Wochen stattfindenden Vermählung meiner Schwester Alexandra, von der Sie gestern ja gehört haben, die Hochzeit meiner Schwester Lolo schon Anfang August stattfinden muß. Entscheidend waren dabei Etikettenfragen in Rücksicht auf meinen künftigen Schwager Falkner – wir haben das heute Morgen besprochen und bestimmt.«

»Gehört das zur Sache?« warf Dolores etwas kühl ein.

»Doch, denn es leitet die Sache selbst ein,« entgegnete der Erbprinz und fuhr fort: »Aber der durch diese Hochzeiten zu erwartende Trubel und der Umstand, daß, da Monrepos dem jungen Paare als buen retiro für den Honigmond eingerichtet werden soll, wir alle diesen lieben Aufenthalt in den nächsten Tagen verlassen müssen, all' dies hat den Herzog, meinen Vater, etwas nervös gemacht. Er ist ein Mensch mit stillen Neigungen und dem Hange zu einem ruhigen Leben, und nichts ist ihm schrecklicher, als sich in eine Uniform zwängen zu müssen und Pflichten zu erfüllen, die ihn nicht befriedigen, die ihm das leere Gefühl hinterlassen, nichts gethan zu haben und doch in Bewegung gewesen zu sein. Und nun sein Haus leer wird und ihn die Rücksicht für seine Töchter nicht mehr fesselt, nun will der Herzog einen langgehegten Wunsch erfüllen und auf die Regierung verzichten. Er ließ mich also vorhin zu sich rufen und teilte mir seinen Entschluß mit.«

»Ah, das also ist das Staatsgeheimnis!« rief Dolores interessiert. »Aber, Hoheit, warum würdigen Sie mich, es mir gerade anzuvertrauen?«

»Weil, wie ich Ihnen schon sagte, das Bestehen und Aufhören unseres kleinen Staates von Ihnen abhängt,« erwiderte der Erbprinz.

»Sesam, öffne dich!« rief sie lächelnd.

»Ich komme zur Sache. Nachdem der Herzog mir also seinen Entschluß, zu resignieren, kundgegeben hatte, billigte ich denselben vollständig, denn ich teile ganz die Lebensansichten meines Vaters und dessen Neigungen. Ich sagte ihm also, ich begriffe voll und ganz die Motive, die ihn Scepter und Krone niederlegen ließen, aber ich würde diese Resignation auch gerechtfertigt finden, wenn sie aus dem Grunde geschähe, daß damit zugleich unser Land dem Reiche einverleibt würde, welches unsere Souveränität vertragsmäßig anerkennt, dem wir aber damit doch ein Hindernis sind. Ich habe als Vergleich dafür nur den dahinbrausenden Blitzzug, welcher über Zeit und Raum triumphierend den Erdball durchmißt und dazu genötigt wird, jedesmal vor einer kleinen Haltestelle ein unliebsames Halt zu machen, um Ballast aufzunehmen, der ihn nicht beschwert, aber aufhält und belästigt.«

»Das ist eine großherzige politische Auffassung, Hoheit!«

»Sie wäre es, Baroneß, wenn ich nicht ein Mensch wäre und als solcher eigennützige Motive im verborgensten Winkel meines Herzens bärge.«

»Wer soll Ihnen das glauben, Prinz?«

»Hören Sie mich zu Ende, und Sie werden es glauben müssen. Also mein Vater gab mir von seinem Gesichtspunkt aus recht, denn seine partikularistischen Ideen von ehedem sind längst einer wirklich großherzigen, weiten Auffassung von politischer Einigkeit und Größe gewichen, und er hätte auch sicher seine engbegrenzte Souveränität für diesen großen Gedanken geopfert, wenn er nicht geglaubt hätte, das Aufrechthalten derselben mir, seinem einzigen Sohne und Erben, schuldig sein zu müssen. Nach dieser Eröffnung glaubte ich meinen Moment zum Sprechen gekommen, und ich erklärte meinem Vater, daß ich seinem Beispiel freudig folgen und auf einen Thron verzichten wollte, dem gegenüber, ganz abgesehen von meiner politischen Überzeugung, mir ein Leben als mediatisierter Fürst weit größere geistige Vorteile böte. Aber nun komme ich auf des Pudels Kern. Der Herzog fragte mich, als erfahrener Menschenkenner, ob dies allein mein Motiv sei, und da mußte ich freilich gestehen: nein. Denn das wahre Motiv für mich ist – eine Dame, eine Dame, welche ich liebe, und welche mir nicht ebenbürtig ist. Und ich setzte dem Herzog auseinander, wie ich davon geträumt hätte, den Herrscherpflichten zu entsagen – nicht um der Liebe willen, welche ja stets hinter Pflicht zurücktreten muß, sondern rein meiner politischen Überzeugung wegen, und wie ich dann, ein freier Mann, mich einfach nach meiner ererbten Privatbesitzung Graf von Waldburg nennen wollte, um der Dame meines Herzens mit meiner Hand auch meinen Namen bieten zu können. Was nach dieser Erklärung zwischen meinem Vater und mir als Herzog und Erbprinz und endlich als Vater und Sohn besprochen wurde, gehört nicht hierher, ich will nur sagen, daß ich siegte – vielleicht weil der Sieg meiner Schwester Eleonore dem meinen vorausgegangen war. Aber ich habe alles von der Entscheidung jener Dame abhängig gemacht. Nimmt sie meine Hand an, dann werden die Reichslande um ein paar Quadratmeilen größer – refüsiert sie mich, so übernehme ich die Regierung, bis ein geeigneter Moment die Verzichtleistung unauffällig vollzieht.«

»Und das sollte in meiner Hand liegen?« fragte Dolores, als er schwieg.

»Ja,« sagte er fest, »weil Sie die Dame sind, die ich liebe, und weil ich nicht als Erbprinz mit der linken Hand, sondern als Graf von Waldburg vor Sie hintrete, Ihnen Herz, Rechte und Namen biete und Sie frage: wollen Sie mein Weib werden?«

Dolores war aufgestanden – blaß lehnte sie an dem Tisch, der hinter ihr stand und sah zu dem Prinzen herüber, der sich gleichfalls erhoben hatte.

»Hoheit sehen mich aufs höchste überrascht,« sagte sie nach einer Pause ruhig und gefaßt. »Der mich so hoch ehrende, liebe und in letzter Zeit vertraute Verkehr mit Monrepos hat mich nie, auch nicht im entferntesten ahnen lassen, daß –« sie stockte.

»Daß ich Sie liebe,« vollendete der Erbprinz. »Nein, Dolores, ich weiß, daß ich mich nicht verraten habe, denn ich halte es für einen Mann in meiner Stellung für gewissenlos, eine Frau mit seiner Liebe zu verfolgen, der er im besten Falle nichts bieten kann als einen Trauring zur linken Hand, einen fremden Namen und eine stets untergeordnete, peinliche Stellung in seinem Hause. Das waren die Motive, die mich veranlaßten, Ihnen meine Neigung zu verbergen, aber ich wußte, daß wenn Ihr Herz für mich spräche, Sie dies auch in sich verschließen würden. Nun aber hab' ich's erreicht, ich darf sprechen und trete vor Sie hin mit meinem Geständnis. Dolores, darf ich auf Erhörung, darf ich auf Gegenliebe hoffen?«

Nun ward es still in dem hohen, kühlen Raume, so still, daß man das Summen der Fliegen an den Fensterscheiben hören konnte. Dolores stand, die großen, dunklen Augen traumverloren in die Ferne gerichtet und sann, der Erbprinz wartete auf ihre Antwort –

»Hoheit,« sagte Dolores nach einer Weile, »ich würde Sie schwer täuschen, wenn ich Ihnen sagen wollte, daß die wahrhaft herzliche Sympathie, welche ich für Sie empfinde, Liebe ist. Wenn Sie diese verlangen – ich habe sie nicht!«

»O Dolores!« rief er schmerzlich bewegt. »Ich habe es wohl geahnt, daß ein anderer –«

»Nein, nein!« unterbrach sie ihn schnell, »kein anderer. Es steht niemand zwischen Ihnen und Ihrer Werbung. Und vielleicht ist die herzliche Sympathie, von der ich Ihnen sprach, auch der rechte Kitt für eine glückliche Ehe –«

»Vielleicht ist es auch die Liebe selbst, ohne daß Sie es wissen,« fiel er bittenden Blickes ein.

Sie aber schüttelte mit trübem Lächeln den Kopf.

»Nein, Hoheit – wir wollen uns beide darüber nicht täuschen. Es frägt sich nur, ob Ihnen genügt, was ich zu bieten habe –«

»Dolores –«

»Sie sollen nicht sofort ›Ja‹ sagen, Hoheit,« fiel sie ihm ins Wort, »Sie sollen sich prüfen, ob Sie vorlieb nehmen wollen mit einem Herzen, das ja nicht verneint, lieben zu können, und das auch nicht sagt: Ich werde Sie niemals lieben, denn ich glaube und begreife, daß eine Frau Sie lieben kann. Aber mehr noch als Sie bedarf ich der Prüfung. Es hat so viel verlockendes, Ihren Antrag anzunehmen, weil es der Antrag eines redlichen, großdenkenden Mannes ist, weil ich mir einbilde, Ihr Herz könnte eine Heimat werden für mein heimatloses Herz und weil die Einsamkeit mich oft so trostlos ansieht – aber all' das darf mich nicht verleiten, das Lebensglück – Ihr Lebensglück auf eine Karte zu setzen, von der ich nicht weiß, ob sie gewinnt. Und darum muß ich mich prüfen und Sie müssen mir Zeit lassen, ja?«

»Kann ich ›Nein‹ sagen?« fragte er mit einem Seufzer zurück. »Und wie lange soll ich auf Ihre Entscheidung warten? Denn ich habe für mich schon entschieden!«

»Wie lange?« sagte Dolores träumerisch. »Ich kann nicht wissen, wie lange ich brauche, um die Zweifel meines eignen Herzens zu bekämpfen. Denn wenn ich kämpfe, so geschieht es offenen Visiers und ehrlich, auch gegen mich selbst –«

»Das weiß ich, Dolores! Und ich will warten – warten, bis Sie mich rufen. Doch eins muß ich Ihnen sagen: auch ich werde kämpfen, aber nicht mit mir, denn in mir ist alles klar, aber um Sie, und ich will damit nicht eher aufhören, als bis Sie selbst mir sagen, daß es vergebens ist, daß Sie einen anderen lieben. Und vielleicht siege ich auch, denn ich gehe ja nicht hoffnungslos von Ihnen.«

Da lächelte sie schmerzlich.

»Mit einem armseligen ›vielleicht,‹« sagte sie leise.

»Nicht armselig,« erwiderte er warm, »denn haben Sie nicht gehört, was ein Geistreicher gesagt, daß das Wörtchen ›vielleicht‹ die Visitenkarte der Hoffnung ist?«

»Und wenn die Hoffnung nun darauf schriebe: p. p. c. – pour prendre congé?« fragte Dolores.

Einen Augenblick sah der Erbprinz ihr in die angstvoll auf sich gerichteten Augen, dann erwiderte er zuversichtlich:

»Das müßte ich schwarz auf weiß haben, denn die Hoffnung nimmt niemals für immer Abschied von den Menschen.«

Sie aber schüttelte nur mit dem Kopfe – sie wußte es besser.

Und der Erbprinz ging, und wenn er das Wörtchen »vielleicht,« auf das er so viel Hoffnung setzte, zurückdrängte, so blieb ihm freilich nicht mehr viel übrig, um darauf zu bauen. Aber Menschen in seiner Lebenslage bauen dennoch – luftige, hohe Schlösser auf sandigen Boden, bis der Windstoß kommt, der sie vor ihren Augen zusammenbrechen läßt und ihnen nichts davon bleibt, als Schutt, Trümmer und Scherben. –

Dolores war allein zurückgeblieben mit klopfendem Herzen und fliegenden Pulsen, denn kaum war der Erbprinz gegangen, da traten vor ihren redlichen Sinn schon die Fragen: Was hast du gethan? Welches Recht hast du, ein Herz zu versprechen, das du voll und ganz nicht mehr geben kannst? Welches Recht hast du, Hoffnungen zu erwecken, die du nicht erfüllen kannst?

Und doch hätte sie am liebsten gleich »Ja« gesagt, denn ihr schien Hand und Herz des Erbprinzen wie ein wohlgeborgener Hafen, in welchem sie sicher war vor sich selbst, in welchen sie sich allzeit retten konnte, wenn auch die hohe See des Lebens ihr den Gischt in die Augen schleuderte und sie blendete, daß sie ihren Weg nicht mehr klar sah vor sich. Und sie glaubte glücklich werden zu können an der Seite eines solch' edeln Menschen, selbst wenn sie ihn nicht so liebte, wie sie dachte und glaubte, lieben zu sollen, und endlich wußte sie es nicht und ahnte nicht, wie schwer ihr Herz getroffen war und wie unheilbar seine Wunde. Diese Erkenntnis ward ihr noch vorbehalten – sie wäre ihr erspart geblieben, wenn es sie an jenem Abend nicht herausgetrieben hätte, um im Freien in Gottes klarer Luft besser denken, besser prüfen zu können, trotzdem das Zünglein der Wage sich schon tief herabneigte nach der Wagschale des Erbprinzen, denn, wie gesagt, Dolores hatte noch nicht genug gekostet vom Apfel der Erkenntnis, hatte auf die Sprache des eigenen Herzens noch nicht gelauscht oder dieselbe doch gebieterisch zum Schweigen gebracht – kurz, sie war noch nicht sehend geworden.

Während der Erbprinz droben war bei ihr, hatten Doktor Ruß und seine Frau auf der Terrasse vor ihren Zimmern Platz genommen, und kurz darauf kam auch Falkner von Monrepos herüber, um, wie er sogleich sagte, seiner Mutter den heut' von der herzoglichen Familie fixierten Tag seiner Hochzeit zu melden.

von Adlersfeld-Ballestrem Eufemia
Metin
5,0
1 puan
Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
28 mayıs 2017
Hacim:
261 s. 2 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Die Falkner vom Falkenhof. Erster Band.
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Die Falkner vom Falkenhof. Zweiter Band.
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