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Kitabı oku: «Deutsche Humoristen», sayfa 3

Otto Ernst Schmidt, Böhlau Helene, Max Eyth, Hans Hoffmann
Yazı tipi:

Haare in der Feder

Es ist verzeihlich, Mensch, daß du meinst, wenn dir ein Haar in der Schreibfeder sitzt, es werde sich beim Schreiben von selbst wieder daraus entfernen. Bedenke aber, daß Haar und Feder, sobald sie diese deine Meinung merken, nur um so zärtlicher zusammenhalten. Aus dem verschmierten Buchstaben wird ein verschmiertes Wort, aus dem verschmierten Wort eine verschmierte Zeile; in der nächsten Zeile geht die Schmiererei rüstig weiter und dauert so lange, bis du die Feder auf den Tisch haust, sie zerbrichst und dir die Hand verstauchst. Daß du die ganze Seite nun noch einmal schreiben mußt, kostet bloß Zeit. Die verstauchte Hand kostet Zeit, Verdienst und ärztliches Honorar: das will alles noch nichts sagen. Aber das Wutgift, das sich in dir angesammelt, während du mit steigendem Ingrimm auf die Vernunft eines Haares hofftest, und nun der tage-, der wochenlange, mindestens der viertelstundenlange Ärger über all die Widerwärtigkeit: die fressen Nerven und Hirn, und das läuft in die Papiere. Sobald du, o Mensch, ein Haar in deiner Feder spürst, spreize die Feder und entferne das Haar, und will dir's nicht gelingen, so wirf die Feder weg oder das fasernde Papier, und nimm neues Material, und lächle dabei als ein Wissender, der in aller Ruhe und Behaglichkeit ein glänzendes Geschäft macht.

Infame Halskragenknopflöcher

Es gehört zu den selbstverständlichsten Erscheinungen, daß die Knopflöcher neuer, namentlich etwas enger Halskragen sich gegen die Aufnahme größerer Knöpfe wehren. Nach dem ersten vergeblichen Versuche pflegt der Mensch von heute »Na?!« zu rufen, nach dem zweiten »Nanu?!!«, nach dem dritten: »Na, da soll aber doch gleich –!«, nach dem vierten pflegt er sich bereits erschöpft auf das frischgemachte Bett fallen zu lassen; beim fünften bricht er sich einen Fingernagel ab; nach dem sechsten schleudert er den Kragen in die Ecke und mit dem Kragen ein wertvolles Glas vom Waschtisch hinunter, und wenn seine Frau mit dem heitersten und liebenswürdigsten Gesicht von der Welt hereinkommt und ihn lächelnd etwas fragt, so antwortet er in einem unliebenswürdigen Tone, der ihm und ihr den ganzen Abend und den folgenden Morgen verdirbt. Der arme Unwissende und Verblendete merkt nicht, daß die Schar der tückischen kleinen Knopf- und Kragendämonen sich bei jedem Fluche verdoppelt, und daß ihre Gewalt und ihr Gewieher schon nach dem dritten Versuch ins Ungeheure und Unbezwingliche gewachsen ist.

Der Mensch nehme einen rundlichen, kegelähnlichen Gegenstand, z. B. ein geschlossenes Scherchen, treibe ihn in das Knopfloch, und weite es ein wenig und mit Ruhe; er trete dann vor den Spiegel, und er wird sehen, daß der Knopf gefügig in sein Loch schlüpft, und daß der Mann im Spiegel ihn anschaut mit der heiteren Ruhe eines Gottes, zu dessen Füßen sich die Dämonen der Hölle krümmen. Einsatz bei diesem Spiel: eine Minute Zeit; Gewinn: ein frischgemachtes Bett, ein Fingernagel, ein venetianisches Glas, eine Viertelstunde Zeit, eine liebenswürdige Frau, ein fröhlicher Abend, ein dito Morgen, mehrere Bündel Nerven und ein gehöriges Quantum Herz- und andere Muskelkraft. Was sind dagegen die Chancen in Monte Carlo?!

Vergessene Hosenträger

Bei Menschen, welche sich auch während des Ankleidens mit der Komposition von Sonaten oder Parlamentsreden befassen, ist es gar zu leicht möglich, daß sie, in Frack, Lack, Claque und Handschuhen, und schon im Begriff, in den Wagen zu steigen, an dem erbärmlichen Gefühl einer Art innerer Haltlosigkeit (nicht ihrer Reden, sondern ihres äußeren Menschen) plötzlich inne werden, daß sie die Hosenträger anzulegen vergessen haben. Ein teurer Novize, den wir bald als Konfrater in den Schoß unserer Gemeinschaft aufnehmen zu können hoffen, ist in solchem Falle die Treppen wieder hinaufgestürmt, hat sich dabei mit dem Fuß in seinen Cylinder verwickelt, hat sich unter Entwicklung einer unglaublichen Körpertemperatur fast bis auf die Haut ausgezogen, beim abermaligen Ankleiden seine Weste nicht wiederfinden können und endlich infolge alles dessen die Trauung seines besten Freundes versäumt. Und das alles um eines Unfalles willen, der für die Brüder vom geruhigen Leben in seiner Harmlosigkeit etwas ausschließlich Erheiterndes hat. Diese Brüderschaft pflegt nämlich vor dem Ankleiden sämtliche Garderobenstücke in der natürlichen Ordnung vor sich hinzulegen, so daß das Vergessen eines notwendigen Requisits nahezu unmöglich erscheint. Kommt sie aber dennoch in die Lage unseres teuren Novizen, so legt sie mit humorvoller Kühle Rock und Weste ab, legt die Hosenträger an und zieht Weste und Rock wieder an: eine Sache, die keine 5 Minuten beansprucht. Diese 5 Minuten – das ist nun das Bedeutungsvollste an der ganzen Sache – hat ein Bruder vom geruhigen Leben immer übrig, weil er sich für jede Toilette vor Abfahrt der Droschke oder Eisenbahn mindestens 10 Minuten Zeitüberschuß gestattet. Das ist wohl der einzige Grund, weshalb es noch keine Schwestern vom geruhigen Leben gibt.

Das Laster des Zeitgeizes ist von der Gemeinschaft der Brüder wegen seines besonders nervenverheerenden Charakters von je mit besonders hohen Bußen belegt und bei schwerem Rückfall wohl auf 500 Pfennige für die Armen und den gleichen Betrag für die Punschbedürftigen erkannt worden.

Geburtsscheine im Fliegenschrank, Taschenuhren unterm Sofa und ähnliches

Es ist für den modernen Menschen, der zum Arbeiten bestimmt ist wie nur je ein Wesen irgend einer Periode, ein wahrer Fluch, wenn er die Stiefel, die er braucht, erst im Kohlenkasten suchen muß, und die Butter, deren er zum Frühstück benötigt, erst nach halbstündigem Suchen endlich im Aktenschrank entdeckt, noch dazu unter einem ganz verkehrten Buchstaben. Mehr als je bedarf der Mensch der Ordnung, wenn ihn die verwirrende Fülle seiner Pflichten nicht verrückt machen soll. Ohne Zweifel würde auch die Ordnung längst einen größeren Raum im Leben der Menschheit gewonnen haben, wenn nicht immer unnatürlicherweise verlangt würde, daß man die Ordnung »lieben« solle. Das ist nun einmal nicht zu verlangen. Es ist mit der Ordnung genau wie mit dem Verräter: man schätzt ihre Dienste, aber man hat ein Grauen vor dem, der sie leistet. Selbst von unserm Schiller, der es über sich gebracht hat, die Ordnung in vorzüglichen Versen anzusingen, ist uns bekannt, daß er zu ihr keineswegs ein intimes Verhältnis unterhielt, und obwohl er so weit gegangen ist, zu behaupten, daß die Ordnung »das Gleiche frei und leicht und freudig binde«, hat er doch wohlweislich die Heuchelei nicht so weit getrieben, von »Liebe« zu sprechen. Die Leistungen der Dame sind allerdings ganz außerordentlich, ja großartig und bezaubernd, und so mag es ja vereinzelt vorkommen, daß jemand sie um dieser Leistungen willen »liebt«, wie etwa ein Junggeselle schließlich seine alte und anspruchsvolle, aber kolossal tüchtige Haushälterin heiratet – abnorm bleibt es aber immer. Dabei wird die Gemeinschaft der Brüder vom geruhigen Leben es stets als eine ihrer vornehmsten Aufgaben betrachten, die ungeheuren Verdienste der Ordnung unermüdlich zu preisen. Tritt am Morgen in dein Zimmer, wo sie gewaltet und – wenn sie nicht übertrieben hat – welch ein alles umschwebender Glanz der Schönheit strahlt dir entgegen! Dein Arbeitstisch lockt und reizt dich wie eine köstlich gedeckte Tafel; Papier und Schreibzeug schimmern so sanft und licht wie Porzellan von Sèvres und altes Silber und Venediger Glas, und die Blumen sagen dir fühlbar »Guten Morgen«, weil eine sorgliche Hand sie gepflegt. Und wenn du dich nun zur Arbeit setzest – welch eine Ruhe legt sich tief auf den ganzen Grund deines Gemüts! Das ist wohl die erhabenste Leistung der guten Frau, daß sie, die uns durch die Milchstraße führt wie durch ein Blumengärtchen auch den mörderischen Wirrwarr des modernen Lebens schlichtet und, wo sie ihre kühle Hand auf eine Stirn legt, dem erhitzten Gehirn die Ruhe bringt. Sie ist die barmherzige Schwester für Nervenkranke. Und wie du nun, geruhig in deinem Stuhle sitzend, auf wohlüberschauten Wegen zu deiner Arbeit fernsten Zielen schreitest, nein, springst, nein, fliegst! Man beachte doch wohl, daß gerade die kältesten, profitfreudigsten Geschäftsleute am eifrigsten auf Ordnung halten. Weil man eben in jede Gleichung die Ordnung getrost als eine Pferdekraft einsetzen kann, das sind sieben menschliche Arbeitskräfte. Mit Ordnung kannst du das römische Reich regieren, nebenher sieben schöne und sieben ritterliche Künste treiben und in freien Stunden dem Angelsport huldigen, während du als unordentlicher Mensch einen ganzen Tag vergeblich aufwendest, um eine Schusterrechnung doppelt zu bezahlen, weil du die Quittung nicht findest, und dabei noch mit einem Gefühl durch dein Zimmer rennst, als wenn ein Teufel dein Gehirn und die umgebende Welt mittels eines Quirls zu einem Urbrei verrührte. Darum lautet ein vornehmstes Gebot unserer Brüderschaft: Habe einen Menschen, der dir alle deine Sachen in Ordnung hält, und wenn du keinen findest: tue es eher selbst, als daß du dich der Unordnung ergibst! Die Sachen innerhalb deiner Persönlichkeit mußt du ja doch selbst in Ordnung halten, und bei einigen Menschen ist dies das meiste.

Ausgeschlagene große Lose und Ähnliches

Der moderne Mensch empfängt von Zeit zu Zeit Briefe mit Lotterielosen, die er nach der Ansicht der Absender kaufen sollte. Unsere jüngeren Brüder pflegen ein solches Los, wenn sie es nicht behalten wollen, mit abgewandtem Gesicht wieder zu couvertieren, damit sie, wenn es später mit 300 000 Mark gezogen wird, die Nummer gar nicht wissen. Anfängern im geruhigen Leben ist diese Weise auch gar wohl zu empfehlen. Jene Brüder freilich, die bereits die höheren und höchsten Weihen empfangen haben, bedürfen solcher Vorsicht nicht mehr; ja, sie merken sich wohl gar die Nummer, um deren Schicksal aus der Ferne mit wohlwollender Objektivität zu verfolgen. Denn diese Weisen wissen nicht nur, sondern sie fühlen es auch, daß man nach Nichtgewinnung des großen Loses genau so viel besitzt wie vor Nichtgewinnung des großen Loses und also nicht der geringste Grund zur Klage vorliegt. Die Brüder vom geruhigen Leben preisen nicht die Armut, schon deshalb nicht, weil sie ein gutes Konzert und einen schönen Siran Labarde lieben; aber sie sind davon durchdrungen, ja ich möchte sagen: durchtränkt, daß es bodenlos gleichgültig ist, wieviel Einkommen andere Leute haben, wenn man selbst so viel hat, daß man auskommen kann. Ein Bruder vom geruhigen Leben, dem so viel geworden ist, wird kaum wissen, wieviel Gehalt seine Kollegen beziehen, und wenn ihm ohne Gerechtigkeit einer vorgezogen wird, so wird er sich zwar über die Ungerechtigkeit ärgern wie über alles Unrecht in der Welt; aber er wird nicht an das entgangene Geld denken; tut er es aber dennoch, so wird er am nächsten Samstag voll Freudigkeit seine Strafe zahlen. Ein Bruder, der einen erheblichen Vermögensverlust erleidet, ist für vier Wochen von der Ableistung gewisser Freudentänze und Jubelgesänge entbunden, auch darf er natürlich Versuche zur Wiedererlangung des Verlorenen machen. Trauert er aber um Unwiederbringliches, oder trauert er zu lange, so verfällt er der Strafe; denn ein Bruder vom geruhigen Leben soll wissen, daß er dem verlorenen Reichtum das Zehnfache hinzulegt durch seinen Kummer. Und ein Bruder, der reich gewesen, soll wenigstens das vom Reichtum gehabt haben, daß er erkannt hat: Tägliche Austern schmecken entweder genau so wie tägliches Rindfleisch oder – schlechter, und der Schlaf, »das nährendste Gericht am Tisch des Lebens«, pflegt über einer gewissen Steuerstufe an Qualität einzubüßen. Wer aber den verlorenen Reichtum um der Wohltätigkeit willen liebte, der bedarf keines Trostes. Denn der Schatz zum Wohltun ist solider Reichtum und sitzt an einer Stelle, wo Kursstürze und Zahlungseinstellungen ihre Macht verlieren.

Flöhe bei Audienzen, photographischen Sitzungen u. s. w

Man darf in guter Gesellschaft getrost von Flöhen reden; denn bekanntlich haben sogar Könige Flöhe und zwar große. In der Umgebung der Könige gibt es oftmals Hunde, und Hunde pflegen Flöhe abzugeben. Zuweilen handelt es sich auch nicht um Flöhe, sondern um ein ganz gewöhnliches und zufälliges Hautjucken, wie es mit Vorliebe auftritt, wenn der Photograph Stillsitzen geboten hat, oder wenn man den toten Julius Cäsar spielen muß, oder wenn man vor einer heißgeliebten Dame eine besonders gute Figur machen möchte, oder wenn man vor einer sehr hohen Persönlichkeit steht und nicht gerade angeredet wird, sich aber doch beileibe nicht kratzen darf. Sobald aber die hochgestellte Persönlichkeit ein hochwichtiges Wort an einen richtet, sind Floh und Jucken sofort verschwunden, und aus dieser bemerkenswerten Erscheinung soll der Bruder vom geruhigen Leben lernen. Wie? soll er sich fragen, was ein Staatsminister vermag, das sollte dein Wille nicht vermögen, der, schlecht gerechnet, ein König ist? Ein Floh oder ein Großfürst sollten stärker sein als deine Selbstbeherrschung? Kannst du den Floh verachten, wenn dir der Kaiser eine Statthalterschaft umhängt, so kannst du's auch, wenn du daheim sitzest als dein eigener Herr! Hier gibt es nun Menschen, die dagegen ihr unbezähmbares Temperament und ihre feurige Gemütsart einwenden.

 
»Rache! Pest! Tod! Vernichtung!
Feurig? Was für'n Gemüt? – Mein Hauch u. Blut!
Feurig? Der feurige Herzog?«
 

Glaubt ihr, die Gottesgabe des Feuers sei euch ins Blut gegossen, auf daß ihr gegen Flöhe und Hosenträger kämpft? Wahrlich, wer sein Temperament an einen Halskragen verschwendet, der wird schlaff sein, wenn Handschellen und Halseisen ihm drohen. Auch sei doch der Mensch so weise, zu erkennen, daß jedes Juckteufelchen sofort erlahmt und abläßt, wenn man es verachtet. Audienzen, in denen man etwas bekommt, dauern nicht ewig, und der größte Floh wird einmal satt: das unterscheidet ihn von den menschlichen Blutsaugern. Wer aber einem Kitzeln – sagen wir: im linken Ohrläppchen – nur die geringste Beachtung schenkt, der erkennt sofort die infame Zahllosigkeit und niederträchtige Solidarität der Myriaden von Juckteufelchen, die ihn von allen Seiten wie einen Falstaff zwicken. Wer nicht herrscht an allen Nervenenden seiner Peripherie mit der absoluten Monarchie seines Hirns, der mag in dieser Welt wohl zu Grunde gehen unter eingebildeten Mückenschwärmen.

Komitees in allen Gassen

Zu den verheerendsten Irrtümern der überregen Menschheit von heute gehört die Meinung, daß ein tätiger Mensch überall mitarbeiten müsse, und daß der Ernst des Lebens niemals weniger von uns verlange als das Leben. Eine der edelsten Bemühungen ist es, sich zum Schutze der Tiere zu vereinen, und doch ist keineswegs gesagt, daß du, Cajus, dabei sein müßtest. Steure zu allem Guten so viele Obolen bei, wie du vermagst; aber wenn du zu allem Guten auch von deiner Kraft hergibst, so bist du ein kopfloser Verschwender, der auf den leichtfertigen Bankerott hinsteuert. Unser geliebter Sempronius hat Lehrgeld bezahlt. Wo es ein Mäuslein zu schützen, einen Aussichtsturm zu errichten, ein Blindenasyl zu gründen gab, war er mit seinem lodernden Herzen dabei. Nach zwei Jahren war er ein müder Mann, den es kalt ließ, wenn ein armer Gaul von rohen Fuhrleuten gepeinigt wurde, und der darum Ekel vor sich selbst empfand. Erst in den Armen unserer Brüderschaft ist er gesundet, hier, wo es heißt: du kannst nicht auf alle Berge des Lebens steigen. Und brauchst es nicht. Suche einen möglichst hohen Gipfel zu erreichen; wenn du willst auch einige, und du wirst mit frischem Auge verstehen, was Höhen und Tiefen des Daseins sind. Auch nicht braucht es der Gaurisankar zu sein oder der Mont Blanc – schon auf einem Rigi, einem Monte Pian, einem Brocken geht dir eine ausgebreitete Welt durch die Augen ins Herz. Auf anderen Gipfeln stehen andere und geben deinem Feuer Antwort durch Feuer, dessen Flammen mit deiner Lohe und deinem Herzen gemeinsam emporzucken zum alles vereinenden Himmel.

O daß die Menschheit immer in Extremen ihre Lebensbahn dahinwackelt und meint, weil der Mensch tätig sein soll, er müsse immer tätig sein. Künstereiche Zeit, die du eine Kunst so ganz verlernt hast: die köstliche Kunst, zu rechter Stunde zu faulenzen! Genüsse suchendes und findendes Geschlecht, das du einen Genuß nicht wiederfinden kannst: den Genuß des Lebens! Armer Mensch, dessen ganzes Leben die Not frißt; ärmerer Mensch, der du Zeit zum Faulenzen hast und sie nicht nützest: »ärmer«, weil du krank bist! Wie ein verdorbener Gaumen die lautere Labe des klaren Wassers verschmäht, so kennen Sinn und Herz den heiter fließenden Trank des reinen Wassers nicht mehr. Nach schwerer Krankheit fühlen sie wohl in der Wonne der Genesung das Glück des reinen Seins, des Lebens an sich. Aber ist es nicht ein niedriger Sinn, der den Reichtum erst dankbar erkennt in der Armut und die Gabe erst schätzt, wenn sie ihm wieder entrückt ward? Fühlt ihr am Morgen nicht in den aufgespannten Augen das Glück des Wachens, das mit neuem Übermut den bunten Mantel der Träume verschmäht vor dem weißen Linnen der Frühe? Fühlt ihr nicht an den Lippen den morgenkühlen Becher des neuen Tags? Fühlt ihr nicht seine bewegliche Flut durch alle Glieder rieseln? Und tragen Muskel und Gebein nicht ihre wohlbemessene Last mit wohliger Lust davon, und singt nicht das ruhig schlagende Herz dazu ein bejahendes Lied? Habt ihr nie in der Glut des Mittags am Ufer des Stromes gelegen und ohne Ziel hinaufgeblinzelt in den blauen Brunnen der Unendlichkeit, in dem die Spenderin unserer Tage wohnt? Sind eure Augen nicht halbe Stunden lang mit den Wellen gewandert, und hat euer Herz nicht leichtsinnig dazu gelächelt: Zeit, fließe nur hin? Habt ihr niemals den silbernen Sand des Ufers durch die Finger rieseln lassen und also harmlos mit dem Stundenglas des Todes gespielt? Und habt ihr nie die letzte Stunde des Abends dahingegeben zum Abschiedsfest mit der Sonne und habt ihr nicht gesehen, wie sie selbst den Rest des Tages über die Höhen ausgießt und den roten Wein verschwendet zur Feier der Schönheit?

Zeit ist Geld, und Geld ist Zeit, und mit beiden haushalten zu müssen, ist Menschenlos. Aber der Zeitfilz ist so klein wie der Geldfilz. Selbst der Arme und gerade der Arme, wenn ihm Stunden der Ruhe blühen, gönnt sich die Lust, bewegungslos auf der Welle des Lebens zu treiben und den Tag ohne Zweck zu trinken als Licht und Luft. Und du, erhabene Macht, die jeder mit anderen Namen nennt, mach' uns alle zu Brüdern vom geruhigen Leben, die auch in gesunden Tagen mit Lust das Leben an seiner Quelle trinken, die auch im ungestörten Besitz jenes Verlangen edler Herzen fühlen, ihren Dank ins Unbekannte emporzusenden. Wessen Seele den Gaben des Himmels offen liegt: jeder wärmende Strahl entzündet auf dem Herd seines Herzens ein Opfer des Dankes; sein ganzes Wesen hebt sich zum heiteren Antlitz des Tages empor, wie die Flut des Meeres sich dem schweigenden Gestirn der Nacht entgegenhebt.

Langstielige Maler, Kellner, Versicherungsagenten u. s. w

Im Münchener Löwenbräukeller saß einst ein Mann vor einer hohen Maß Bier. Von Zeit zu Zeit nahm er den Krug, hob den Deckel, schaute hinein, indem er den Krug schüttelte, und stellte ihn, ohne zu trinken, wieder hin. Dies wiederholte sich dreimal. Ein Bruder vom geruhigen Leben fragte ihn nach der Bedeutung solchen Tuns. Der gefragte Münchener sprach: »Wann der Schaum mitwackelt, nacha is's guat g'schenkt; aber er wackelt net.« Und sieh, als sich aller Schaum verdichtet hatte, da fehlte wohl ein Sechstel am richtigen Maß. Schweigend, aber »mit Knotenstock im Blicke«, reichte er den Krug der Kellnerin; schweigend nahm sie ihn entgegen und brachte bald ein voll gerüttelt und geschüttelt Maß zurück.

Die Gemeinschaft der Brüder vom geruhigen Leben rechnet zwar ein Sechstel Liter Löwenbräu gewiß zu den Dingen, die ein großzügiger Mensch verachten darf; aber im Prinzip bewundert sie den Mann mit dem wackelnden Schaum. Denn wenn auch ein gewisses Quantum erlittenen Unrechts zur täglichen Würze des Lebens gehört und die Menschheit zur Beschaffung dieses Gewürzes eine Versicherung auf Gegenseitigkeit geschlossen hat – ein Unrecht mit Widerhaken soll man nicht verschlucken. Solch ein Unrecht will dann monatelang, jahrelang doch nicht hinunter, soviel man auch schluckt, und richtet mehr Schaden an, als die ganze Duldung wert ist. Auch kommt das meiste Unrecht in der Welt auf Rechnung derer, die Unrecht leiden. Die Brüder vom geruhigen Leben erstreben nicht die Ruhe jener Vegetabilien, die von den Ziegen gefressen werden. Sie sind groß genug, das Kleinliche zu verachten, und ein paar tausend Mikroben schaden ihrem gesunden Magen nicht; aber sie entwickeln eine sanft- und stillsinnige Kratzbürstigkeit, wo sie auf Gewohnheit und System im Unrecht treffen. So trifft der moderne Mensch in Hotels und Restaurants, auf Reisen und daheim immer häufiger auf eine Art von Wesen, die dem Gaste, was sie ihm nicht entraffen, auf jegliche Weise verekeln, und es nahezu als gewiß erscheinen lassen, daß Homer und Hesiod bei den Harpyien an eine Art Oberkellner und Hoteliers gedacht haben. Auch Kellnerinnen können sehr langstielig und unangenehm sein, wenn man von ihnen Dinge verlangt, die nicht zweifellos zur Bedienung ihres jeweiligen Studenten oder Sergeanten gehören. Ein anderer, ebenfalls sehr ehrenwerter Stand hat Angehörige, die, mit der Eleganz von Gesandtschaftsattachés gekleidet, unserm Dienstboten ihre hochfeine Visitenkarte überreichen, sämtlichen Hütern unseres Hausfriedens auf das Bestimmteste versichern, daß sie »den Herrn selbst« in einer wichtigen Sache sprechen müßten, endlich mit dem Anstand von Trägern diplomatischer Missionen in unser Arbeitszimmer treten, die persönlichen Grüße hervorragender Männer der Kunst, der Wissenschaft, der Politik überbringen, mit intimer Kenntnis von deren Gewohnheiten plaudern und bald bei einem großen Manne verweilen, der eine rührende Liebe und Fürsorge für seine Familie bekunde und infolgedessen erst kürzlich bei ihm, unserm geschätzten Besucher, sein Leben mit 100 000 Mark versichert habe. Eine andere Menschenart übernimmt die Anstreichung eines Hauses, erscheint pünktlich am festgesetzten Tage und beginnt den Anstrich, um dann dich und dein viertelbemaltes Haus vierzehn Tage oder auch drei Wochen lang miteinander allein zu lassen, nach dieser Zeit abermals ein einmaliges Gastspiel zu geben u. s. w. in infinitum. Ein Bruder vom geruhigen Leben pflegt schon nach dem ersten Ausbleiben des Malers einen andern kommen und von diesem das Haus zu Ende malen zu lassen, so daß es bei der Wiederkehr des ersten Mannes stets einen überraschend heiteren Eindruck macht. Die Brüder vom geruhigen Leben kennzeichnet überhaupt Heiterkeit und Handlung. Sie werfen die kleinen Ärger des Tages von sich, ohne sich zu ärgern. In all den Quisquilien des alltäglichen Lebens befolgen sie den Grundsatz: Es geht ohne Aufregung auch, und besser.

Otto Ernst Schmidt
v.s.
Metin
Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 haziran 2017
Hacim:
144 s. 8 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Metin
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