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Kitabı oku: «Deutsche Humoristen», sayfa 7

Otto Ernst Schmidt, Böhlau Helene, Max Eyth, Hans Hoffmann
Yazı tipi:

Helene Böhlau. Die Ratsmädel gehen einem Spuk zu Leibe

Mit freundlicher Erlaubnis der Verfasserin und des Verlegers abgedruckt aus den »Ratsmädel- und Altweimarischen Geschichten« (Stuttgart: Engelhornsche Romanbibliothek, 13. Jahrgang Band 12).

Die Ratsmädel gehen einem Spuk zu Leibe

Ich weiß noch so manches aus der Zeit, in der das kleine, nun längst wieder bescheidene Weimar ganz unvermutet anfing, mitten unter den tausend und abertausend europäischen Städten und Städtchen sich außerordentlich wichtig zu tun. Es mochte auch alles Recht dazu haben; denn es hatten sich in dem stillen Neste seltene Vögel eingenistet, Vögel, derengleichen vordem in Deutschland nicht gesehen worden waren, und die auch keine Jungen ihrer Art bekommen haben, so daß sie wirklich außerordentlich seltene Vögel geblieben sind, bis heutzutage.

Von dieser Zeit habe ich schon mancherlei geschrieben, und es hat den Leuten vielleicht gefallen, weil es so ruhig hinerzählt war, allem Feierlichen, Schweren aus dem Wege ging, alles Leichtlebige beim Zipfel nahm.

Ich will euch nun wieder aus den Gassen erzählen, aus den Bürgerstuben, aus den Gärten vor der Stadt, von jenen alten, gesegneten Gärten, und ich werde mich auch wieder vorsichtig, wie das erste Mal, an den großen Tieren vorbeidrücken und mich mit den Vergessenen, Verwehten abgeben.

Die werde ich aus ihren Gräbern noch einmal in ihre alte weimarische Sonne locken, von der sie so gerne sich wieder bescheinen lassen würden.

Es ist eine alte Frühlingsgeschichte, die ihr hören sollt, eine weiche, hingeschwundene Frühlingsgeschichte, in der es sproßt und keimt, in der ein lustiger, feuchter Wind weht, Nebel ziehen, in der Herzen schlagen, und in der allerlei behauptet wird, worüber man heutzutage vornehm die Achseln zucken müßte, wollte man auf der Höhe der Zeit stehen; damals aber glaubte und sprach man, was einem Vergnügen machte. So glaubte man in jenen Tagen und tuschelte es sich gegenseitig wie eine interessante Hofgeschichte zu, daß die verstorbene Hofdame der Herzogin Amalie, von der Karl August gesagt hatte: »Genie die Fülle, kann aber nichts machen!« ganz unvornehmerweise spuken gehe, und zwar in Tieffurth, im Park und im Schlößchen.

Man erzählte sich geheimnisvoll die unglaublichsten Dinge. Die bürgerliche Gesellschaft faßte die Sache ernsthaft, aber doch humoristisch auf. Sie hatte ihren Spaß daran, daß die kleine, bucklige, häßliche Dame solche Geschichten machte.

Der Adel aber zog ein sehr bedenkliches Gesicht, denn es war absolut nicht comme il faut von der Göchhausen. – Außerdem sprach die Hofgesellschaft mit einem tiefen Bedauern darüber, daß ihr so etwas »arrivieren« mußte – solch eine »Kalamität«! – Man fand, daß sich die Göchhausen noch nachträglich schwer »ridikulisierte« und unmöglich machte.

Verschiedene Personen waren ihr nachts begegnet, wie sie schimpfend und klagend die Parkwege auf und nieder gehuscht war.

Sie hatten sie ganz genau erkannt – daran bestand kein Zweifel!

Einem weimarischen Fleischermeister, der ein Kalb von Krommsdorf erst spät heimgetrieben, war sie im Park auch nachgehuscht, und er erzählte, daß sie ihm scheußlich weinerlich und wichtig gesagt habe: »Ich la–ngweil' mich so!« – Weiter nichts. Aber wie sie es gesagt hätte! Wie aus einer Flasche heraus! Der Fleischer konnte es den Mägden, die die Neuigkeit samt dem Fleisch von dem armen Krommsdorfer Kalb, das die merkwürdige Geistererscheinung mit erlebt hatte, pfundweis nach Hause trugen, gar nicht haarsträubend genug vormachen.

Sie war, wie gesagt, allen möglichen Leuten erschienen, immer klagend, immer schimpfend und immer unzufrieden; – manchmal auch nur murmelnd und brummend; – aber wie murmelnd! – eben ganz wie eine arme Seele murmeln muß: durch die Zähne und wie aus einer Flasche. Es war überhaupt das Merkwürdige und Überzeugende an der Sache, daß sich die Göchhausen genau nach Vorschrift benahm – nach Vorschrift der alten Kobold- und Geistergeschichten.

Die Weimaraner mußten immer etwas zu schwatzen haben und hatten auch gottlob immer etwas; sie waren an die merkwürdigsten Dinge gewöhnt, eine solche Fülle von gesegnetem Klatsch hatte sich seit 1775 auf das graue Rattennest niedergelassen. Seit geraumer Zeit aber schon floß diese Quelle spärlicher, und die verwöhnten Gaumen mußten mit allerhand fürlieb nehmen und taten dies wohl oder übel.

Zu allererst tauchen aber in unsrer Geschichte ein paar lachende, blütenjunge Gesichter auf, ein paar feste, kindlich behende Körper, blonde, dicke Zöpfe, junge, weiche, noch etwas tollpatschige Hände, helle Kleider, die sich lebendig um diese jungen Körper schmiegen, die sich so jugendsicher auf leichten Füßen bewegen, so kernig, so wohlgebaut und unschuldig.

All diese schönen Dinge miteinander gestalten sich hier zu ein paar Mädchen, die in der alten Wünschengasse daheim sind.

Sie haben ihr Lebtag in der Wünschengasse gewohnt und sind mehr, als ihnen lieb ist, dort bekannt, bei Freund und Feind, Nachbar und Nachbarin.

»Die Ratsmädel« heißen sie bei alt und jung, und sind die Töchter des Herrn Rat Kirsten, der, ehrsam und würdig, nie verstanden hat, weshalb gerade ihm das Schicksal diese blonden Hexen aufhalste, die ihm mehr Mühe und Kopfzerbrechen kosteten als seine Buben. Ja, in der Tat, er und Frau Rat wären auch nie und nimmermehr mit dem hübschen Paare fertig geworden, wenn nicht die ganze Wünschengasse ihnen beigestanden hätte, die Rangen zu erziehen; und nicht nur die Wünschengasse fühlte sich dazu berufen, alle Freunde und Feinde haben an dem merkwürdigen Werke mitgeholfen. »Da gehen sie!« hieß es, wenn sie miteinander durch die dämmerige Gasse schlenderten. Und wer dies aussprach, schaute ihnen gewissermaßen gespannt nach.

Von Jugend auf hatten sie es verstanden, die würdige Wünschengasse in Aufregung zu erhalten.

Sehr früh war es angegangen, das Ausschauen nach den Ratsmädchen, das Schimpfen und Lachen, das Nörgeln und Hetzen, das Verhätscheln und Anraunzen. Nie, solange die Wünschengasse steht, sind aber zwei Schwestern von Kindesbeinen an trotz alledem so ungetrübt heiter gewesen wie diese zwei, so treu ihren Freunden ergeben.

Sie gehörten zu den glückseligen Menschen, die ihr Lebtag Freunde haben – zu den Menschen, die nie einsam sind – zu den sonnigen Kraftmenschen, die Wärme und Strahlen für andere übrig haben.

Von Jugend an waren sie stolz auf ihre Freunde, verstanden keinen Spaß, wenn irgend jemand diesen Freunden nahe treten wollte, waren ihnen dankbar – und was die Hauptsache ist, unverbrüchlich treu. Und diese Freunde: der blondlockige, kleine, gescheite Heinrich Goullon, den sie auf den weimarischen Straßen »den Pudding« nannten, seiner französischen Abstammung wegen; in den weimarischen Mäulern aber war »der Pudding« zu einem »Budang« geworden. – Und der schöne Franz Horny, der sich als Maler später einen Namen machte und in jungen Jahren in Amalfi starb; – sein Bild hängt dort in einer Kapelle, wo es von den Landleuten als ein heiliger Johannes oder Sebastian verehrt wird. – Und der dritte im Bunde: Ernst Schiller, Schillers Sohn.

Mit diesen dreien haben die Ratsmädchen sich so köstlich vergnügt, wie dies jetzt im lieben Deutschland nimmermehr geschieht.

Die Leute in unserm Zeitalter haben die schöne, heitere Urwüchsigkeit wie ein altmodisches Kleidungsstück abgelegt.

Die guten Freunde sind oftmals miteinander ausgegangen und haben sich oben im Ettersberg, im alten Gutshofe von Röses Paten Sperber, einquartiert. Sie sind ins Wasser gefallen, haben miteinander getanzt, wenn es ihnen paßte; sie haben getollt und gelacht, sie sind Schlitten gefahren, sie haben Räuber und Prinzeß in den Gassen gespielt, sie haben »Budang« als Mädchen verkleidet und sind mit ihm spazieren gegangen. Und die beiden schönen Mädchen sind recht eigentlich von den etwas älteren Kameraden erzogen und in die Lehre genommen worden, haben ihnen ihre Schularbeiten vorweisen müssen und sind von ihnen belobt und gestraft worden, wie das alles ausführlich schon einmal erzählt worden ist. Herr und Frau Rat wären ohne die Kameraden nie mit der Erziehung ihrer beiden Schelme zu Ende gekommen.


Ein feuchter Frühlingssturm fährt heut durch die Wünschengasse. Zerrissene dunkle Wolken jagen über den Himmel, und in die Dämmerung dröhnt die große Glocke im Schloßturm. Der Sturmwind fährt in das mächtige Geläute; er reißt die großen, vollen Töne wie Wolken auseinander und nimmt diese Riesentöne mit sich fort, zerstreut sie, läßt sie hie und da aufdröhnen und plötzlich verhallen.

Die Glocke läutet die Osternacht ein.

Es ist ein wunderbares Getöse, erschütternd, wie überirdisch; so voll, so rein, so tief, wie die tiefste Menschenwonne und das tiefste Menschenleid.

Die alte Glocke, die sie im dreißigjährigen Kriege, weiß Gott wo, erbeutet haben, ist das lebendige Herz des Städtchens Weimar geworden. Ein jeder versteht dies Herz da oben im grünen Turm. Es dröhnt mächtig aus, was die andern Eintagsherzen fühlen. Es erschüttert sie, es erweckt sie, es reißt sie im Gefühle mit sich fort, wie von jeher ein großes, mächtiges Herz die kleinen mit sich gerissen hat. –

Die Ratsmädel, Röse und Marie, schauen zum Fenster hinaus.

»Hörst du?« sagt Marie.

Sie sind bisher immer, wenn die große Glocke geläutet wurde, zum Schloß hinunter gelaufen und haben hinauf nach der grünen Turmspitze gesehen, die von der Wucht der Glockenschläge langsam, aber deutlich hin und her schwankte; oder sie haben das Ohr an die alte Turmmauer gehalten, und das Dröhnen ist ihnen schauervoll durch den Körper gezittert; oder die Kameraden nahmen sie bis hinauf in den Glockenstuhl, und sie haben da, schwankend und schwindelnd und ganz betäubt von den ungeheuren Schlägen, die den Turm zu zersprengen drohten, sich aneinander geklammert und an den riesigen Balken festgehalten.

Heute schauen sie aber, wie gesagt, nur gedankenvoll zum Fenster hinaus.

Es ist, als läge irgend etwas auf ihnen.

Röse hat auf das »Hörst du?« von Marie nicht einmal geantwortet.

Sie stecken beide feierlich in weißen Kleidern und tragen grüne Schärpen.

Grüne Schärpen sind für sie noch immer der Inbegriff von aller Schönheit und Eleganz.

»Röse! Marie! Schließt das Fenster! Gleich! – Was fällt euch ein! – Der Wind!« So ruft Frau Rat, die Mutter der Ratsmädchen, die eben ins Zimmer tritt.

Eine rührende Zartheit liegt über der schlanken Gestalt. Der Haushalt mit den wilden Mädchen und Buben, die Kriegsjahre, der überernste Gatte, die Geldsorgen, – das alles ist der fein organisierten Frau zu viel geworden.

Um sie her wachsen die Kinder urkräftig in die Höhe; sie aber hat etwas Müdes, Insichgekehrtes, als wenn sie nur bei sich selbst fände, was sie sucht.

Die beiden Mädchen schließen das Fenster, und das Glockengeläut dringt nur noch dumpf ins Zimmer.

Der Wind heult im Schornstein. Frau Rat zündet die Lichter an.

Das große Familienzimmer macht heute ein feierliches Gesicht.

Der runde Eßtisch ist blendendweiß gedeckt; statt des einen Talglichtes brennen zwei Wachskerzen auf einem Leuchter unter einem grünseidenen, ovalen Schirm.

»Oho,« sagte Marie, »den nimmst du?«

»Was denn sonst, Schatz? – Habt ihr euch die Hände gewaschen?«

»Jawohl, mit Schmierseife!« antwortet Röse.

»Röse, mein Kind!« Frau Rat ist heute bewegt und streicht ihr übers Haar. – »Gutes Kind!«

Röse ist von dieser Freundlichkeit so sonderbar berührt, daß sie ihrer Mutter um den Hals fällt und in Tränen ausbricht.

»Ruhig, ruhig!«

Der Vater tritt ein, mustert alles und sagt: »Ist Senf auf dem Tisch?«

Senf war eben das Neueste.

Und es ist Senf auf dem Tisch, es ist überhaupt alles in schönster Ordnung; er findet nichts zu tadeln und geht feierlich im Zimmer auf und ab.

»Charmante Leute!« bemerkt er und wiederholt es noch einmal: »Charmante Leute!«

Niemand stört den Vater. Er liebt das »Anreden« nicht. Man hat zu warten, bis er fragt.

»Du könntest der Thon, dächt' ich, noch eine kleine Aufmerksamkeit erweisen,« wendet er sich zu seiner Frau.

»Ja was denn?« fragt diese. »Wie meinst du denn?«

»Ich dachte so etwa … etwa …«

Er schien sich über das, was er eine »kleine Aufmerksamkeit« nannte, nicht recht klar zu sein.

»Weißt du, Kirsten, ich dächte, wir erwiesen ihr schon eine recht große!« Das sagt sie leise und schaut mit einem Seitenblick auf die Mädchen.

Röse lehnt am Nähtisch, müßig den Fingerhut der Mutter auf der Platte tanzen lassend. Marie sieht ihr gespannt zu.

»Ist das eine Art, den Bräutigam zu erwarten?«

Herr Rat meint das ernst und rügend aus seiner hohen Halsbinde heraus, im Hintergrunde des großen Zimmers, zu seiner Frau.

»Bst!« macht Frau Rat. – »Mein Gott, so jung sollte sie nicht sein. So ein armes Ding!«

»I was!« sagt Herr Rat. – »Papperlapapp! Warst du etwa älter?«

Frau Rat lächelt schmerzlich. Alle Papperlapapps ihres Lebens zogen an ihrer Seele vorüber. – Sie lächelt – alle heißen Tränen, alles Sehnen, alles Verstummen hatte sich bei ihr zu einem müden Lächeln herabgemindert – oder in ein Lächeln zusammengefaßt – wie man will.

Apothekers kamen.

Frau Apotheker in der schönsten Haube. Des Gatten rundes Bäuchlein war mit »selber gestickter« Seide überspannt und glänzte wie ein heiteres Gestirn. Er kniff Röse in die Wange und war vortrefflich gelaunt.

Marie tuschelte Röse etwas zu, indem sie vorsichtig nach den Fenstern des gegenüberliegenden Hauses sah; da zeigte sich eben eine Dame in vollem Putz, in weißer Haube mit blauen Bändern und im weißen Kleide. Sie öffnete das Fenster und hakte die Fensterflügel ein, damit der Wind, der durch die Gasse fegte, es nicht wieder zuwerfen könnte.

»Jetzt kommen sie!« flüsterte Marie. Und es währte nicht lange, da empfing man bei Kirstens wieder Gäste: Frau Geheimderat Thon und deren Sohn Ottokar Thon, Adjutant des Großherzogs Karl August.

Frau Geheimderat Thon begrüßte sich lebhaft mit den Eltern Kirsten, küßte dann zuerst Röse auf die Stirn, dann Marie.

Sie war die Dame, die aus dem Fenster geschaut hatte. Das weiße Kleid umschloß in langen Falten eine volle, stolze Gestalt. Das schöne Busentuch war aus kostbaren gelblichen Spitzen, und eine breite, hohe Haube mit himmelblauen Bändern beschattete ein energisches, wohlkonserviertes Gesicht.

Ottokar Thon reichte Röse die Hand und führte ihre rundliche Kinderhand dann an die Lippen.

Röse war befangen und schweigsam. Auf ihrem frischen Gesichte aber lag eine große, stille Wonne. Sie ließ indessen ihrer Schwester Hand nicht los, bis man sich zu Tische setzte.

Noch war das große Wort nicht gesprochen; aber sie ahnte, sie wußte alles! Ottokar Thon war erregt; er sprach mit ihr, als spräche er zu einem lebendigen Heiligtume – so etwas scheu – und doch … – Rösen überschauerte es.

Wie er schön und stolz in seiner schwarzen, verschnürten Uniform aussah.

Von dem Augenblick an, als sie ihn zuerst gesehen, war ihre Seele ganz erfüllt von seinen guten Eigenschaften, seiner Gescheitheit und seiner Tapferkeit; er war Lützowscher Jäger gewesen, und sie hatte auch gehört, wie er sich in Wien ausgezeichnet.

Die Schopenhauerin erzählte, daß Karl August ihn unbändig gelobt habe, und daß Karl August eine Schrift über die Zukunft Deutschlands von ihm kenne, von wahrer staatsmännischer Bedeutung.

»Solch ein Mensch will mich!«

Das waren Röses Jubelgedanken. –

Röse saß bei Tisch neben dem lieben, herrlichen Menschen und hörte zu, wie alle sprachen.

Es war ihr so feierlich und still zu Mute. Und sie mußte träumerisch an einen Vogel denken, der in seinem Nest auf schwankem, grünem Zweige sitzt, das von einem weichen Winde hin und her geweht wird. Die Sonne glitzert durch die dichten Blätter und schafft so ein wohliges, grünes Licht um ihn her. Kein Auge sieht ihn; er ist sich selbst genug. Sie fühlt eine Seligkeit, die ihr noch fremd und neu ist; deshalb macht sie sich unbewußt ein Bild von dieser großen, stillen Wonne, ein kindisches, süßes Bild.

Und es waren nicht nur die Gefühle festlich und heiter; nein, alles und jedes! Zu allererst die Suppe. Eine echte Festsuppe: Grünkern mit Kerbelrübchen. Das war Frau Rats Meisterwerk. Die Kerbelrübchen, wie Mandeln so fein und klein, zergingen auf der Zunge, und die Suppe duftete wie ein blühendes Ährenfeld. Ganz sommerlich duftete es aus der Terrine und verbreitete sich im Familienzimmer. Warmer Sonnenschein, Lerchensang vom blauen Himmel, der echte, köstliche Kornduft, ein sanfter Wind, der über die Ährenhäupter streicht – Erdgeruch! Das alles kam, als der Deckel von der Suppenschüssel gehoben wurde, den Gästen bewußt oder unbewußt in Erinnerung.

Das war die Eigentümlichkeit dieser Suppe!

Frau Rat hatte den Mädchen gesagt: »Die Suppe muß sein wie eine Musik oder wie ein Gedicht, die Leute sollen fröhlich davon werden.«

Ja, es war eine feierliche Suppe!

Draußen wirtschaftete der Sturm gewaltig. Die Fensterscheiben klirrten, und im Schornstein heulte und jammerte er.

Nach der Suppe gab es einen Karpfen, – einen Spiegelkarpfen mit großen, goldenen Schildern und Flecken, den besten Karpfen, den der Hoffischer gehabt hatte, einen Riesen! Röse und Marie hatten natürlich mitgeholfen, ihn aus dem Behälter herauszufischen, in dessen klarem Ilmwasser die festen Karpfenburschen sich im dichten, goldig flimmernden Gewimmel durcheinander drängten, und den allerherrlichsten hatten sie also erwischt.

Er war so schön, so unaussprechlich schön in seiner Strammheit, seiner Schlüpfrigkeit und in seinem Goldglanze gewesen.

Der Hoffischer hatte ihn selbst geschlachtet, hatte ihm den Kopf auf den festen Tisch geschlagen, dessen Füße im Rasen neben den Fischbehältern eingerammt waren, und der über und über von Fischschuppen flimmerte. Dann hatte er den Fisch in zwei Hälften geteilt und den Ratsmädchen in den Korb gepackt und ihnen die Fischblase extra verehrt. Marie war darauf getreten, um sie zerplatzen zu lassen; es hatte auch wie ein Schuß geknallt. Das war ein althergebrachter Spaß gewesen.

Als der Karpfen auf den Tisch im Familienzimmer kam, blau gesotten mit geriebenem Meerrettich und ganz in Petersilie ruhend, da rief der Apotheker: »Donnerwetter, ist das ein Prachtkerl! Ist das ein einziger gewesen?«

Diese beiden Dinge, die Suppe und der Karpfen, waren aber nur die Vorläufer vom Propheten.

Die Gäste waren nicht zum Karpfenessen geladen, sondern zu einem wirklichen und wahrhaftigen Fasanenschmaus.

Die Fasanen hatte der junge Adjutant Thon von einer Hofjagd mitgebracht, denn er war ein großer Jäger vor dem Herrn, und hatte sie Frau Rat Kirsten in die Küche geliefert, und nun sollten sie feierlich gemeinschaftlich verzehrt werden.

Als die Magd diese seltenen Geschöpfe hereinbrachte, waren alle erstaunt, auch der Herr Rat, daß diese merkwürdigen, nußbraun gebratenen Tiere silberne Füße und silberne Köpfe hatten.

»Ja,« rief der Apotheker, »Herr Adjutant, alle Achtung vor eurer Fasanenjagd! Das nenn' ich mir Silberfasanen! Silberne Köpfe und silberne Füße!«

Röse und Marie kniffen sich gegenseitig in die Finger und waren glückselig über das Erstaunen, und daß ihr Vater auch nichts davon gewußt hatte.

Die Schopenhauerin hatte Frau Rat, als sie von dem Geschenk gehört hatte, diesen herrlichen Ausputz für gebratene Vögel aus ihrem Silberschrank geliehen.

Dazu brachte Herr Rat auch eine Überraschung: zwei Flaschen alten Steinwein in Bocksbeuteln. Diese beiden Flaschen hatte er in dem Franzosenjahr vor den gierigen Langfingern versteckt. Er hatte sie im kleinen, dunklen Höfchen unter dem Regenfaß vergraben und, als die Luft wieder rein war, wieder hervorgeholt, und seitdem lagerten sie in einer Mauernische, hoch oben in Rat Kirstens Keller, ganz von Staub und Spinnweben bedeckt; und in solchem Zustande setzte er sie, als die Vögel mit den silbernen Füßen kamen, zum Entsetzen seiner Frau stolz auf den Tisch.

»Aber Kirsten!« sagte diese gekränkt.

»Papperlapapp!« – Herr Rat war schon dabei, eine zu entkorken. – »Gehört sich's nicht etwa so?«

Und der Apotheker unterrichtete Frau Rat Kirsten, daß ein alter, seltener Wein in so staubigen und schimmeligen Flaschen auf den Tisch kommen müsse; das sei für den Kenner das Feinste.

Die Fasanen hatten einen stattlichen Hofstaat von Salaten, Kompotts und Beilagen aller Art.

»Na, und wie steht's denn mit dem Fuchs, den Sie verspürt haben wollen?« fragte der Apotheker den jungen Thon. »Das wäre heute so eine Nacht für die Bestie, um den Fasanen im Webicht einen Besuch zu machen!«

»Freilich, freilich, das wird er wohl auch vorhaben!« antwortete der Adjutant lebhaft. »Seinen Bau hat der freche Bursche übrigens an der Ilm an dem Abhang zwischen Krommsdorf und Tieffurth – so eigentlich mitten im Tieffurther Park. Verspürt ist er nun, der Lump … aber …!«

»Ja – aber!« lachte der Apotheker und stieß mit dem Adjutanten auf den Fuchs an.

Marie zupfte Röse am Kleid.

Röse saß zwischen Marie und Ottokar Thon.

»Röse,« tuschelte Marie besorgt, – »sie werden doch nicht gar zu lange bleiben?« –

Röse fuhr wie aus einem Traum auf.

»Was?« fragte sie.

»Na, wenn unsre Drei nun kämen?«

»Die kommen doch nicht eher, als bis alle hier fort sind; die werden unten schon lauern, bis der letzte hinaus ist!« flüsterte Röse.

Jetzt erhob sich Herr Rat Kirsten und ließ seinen lieben, verehrten Gast, die Frau Geheimderat Thon, hoch leben und bedauerte, daß sie Weimar so bald wieder verlassen müsse.

Die Dame war nur auf kurze Zeit aus Eisenach gekommen, um ihren Sohn zu besuchen.

Darauf erhob sich Frau Geheimderat, schlug mit dem Kompottlöffelchen an ihr Weinglas und dankte sehr wohlgesetzt und stattlich.

Es war ein wohltuender Anblick, diese kräftige, hochgewachsene Frau in ihrem weißen Kleid so frei und vornehm stehen zu sehen.

Sie sprach davon, wie beruhigt und glücklich sie ihren Sohn diesmal verlasse, wie beruhigend seine Zukunft, soweit menschliches Berechnen nicht trüge, vor ihren Augen läge – und für diese Beruhigung, diese frohe Aussicht danke sie dem gütigen Elternpaare im Namen ihres Gatten.

Sie hob ihr Glas und stieß mit Herrn Rat und Frau Rat an, dann mit Apothekers, und mit Röse ganz besonders.

»Gott segne dich, mein liebes Kind!« sagte sie.

Ihr Sohn trat auf sie zu und küßte ihr die Hand; darauf küßte er Röses Hand wieder tief bewegt.

Frau Rat traten Tränen in die Augen. »Du wilder Schlingel!« flüsterte sie Röse zu.

Aber ausgesprochen wurde das große Wort nicht. Das war auf Vater Kirstens Befehl hin so eingerichtet.

Die jungen Leute sollten noch mit der Heirat warten, und er wollte in seinem Hause Ruhe haben, und vorderhand keinen »Verlobungstrafik«, wie er sich ausdrückte. Das Geküß und Getu sollte möglichst eingeschränkt werden.

Das fehlte ihm jetzt: auf Schritt und Tritt über ein verliebtes Paar zu stolpern!

Er war Herr im Hause, damit basta!

Der Apotheker erstickte fast an einer Rede, und die Apothekerin mußte ihren Mann zweimal am Rockschoß zupfen, als sie bemerkte, daß ihm der schönste gewürzte Verlobungstrinkspruch auf der Lippe saß.

Einmal hatte er sich schon erhoben; da war aber der Wind mit solcher Gewalt gegen die Scheiben gefahren und hatte an den wackeligen, alten Fenstern gerüttelt, daß der Apotheker ordentlich zusammengefahren und wieder zur Besinnung gekommen war. Ihm war Wind greulich zuwider.

Röse vermißte das Aussprechen des großen Wortes durchaus nicht. Es war gut so. Sie wünschte sich's nicht anders. Nichts schreckte sie aus ihrem süßen Traume auf. Sie fühlte sich so unaussprechlich glücklich! Und es war nichts Beängstigendes bei diesem Glück. Zugleich erschien es ihr aber auch noch fremd. Sie mußte sich erst daran gewöhnen.

Ja, wie es ihr Vater eingerichtet hatte, so war es gut!

Sie kannte auch Onkel Apothekers Verlobungs- und Hochzeitssprüchlein und gab ihrem Vater, als sie mit ihm anstieß, extra einen Kuß dafür, daß der in der schön gestickten, seidenen Weste nicht reden durfte.

Der junge Adjutant Thon sah das wundervolle, blonde, kindliche Geschöpf vor sich, wie es so süß träumte. Und sie gehörte ihm, war sein eigen, sie war ihm versprochen!

Er war wie verdurstet, wie verschmachtet. Ein Kuß auf diese junge Wange, auf den kecken, rätselhaft schweigenden Mund schien ihm Erlösung – das seidenweiche Haar zu streicheln Erquickung!

Und daß sie an seiner Seite so bräutlich verschämt schwieg, erschütterte ihn.

Er empfand ihre junge Liebe wie den Duft einer Blume. Ein berauschender Duft! –

Marie flüsterte Rösen ins Ohr: »Du, Röse, sie wird doch heut auch wirklich spuken?«

»Wer?« fragte Röse.

»Ach geh!«

»Wenn das so werden soll, wenn du ewig nur vor dich hin gucken willst! – Na dann –!« Marie sprach sich nicht weiter aus, schien aber entrüstet zu sein.

»Jesses,« flüsterte Röse, »wenn ich nicht gleich aufpaß! Mich freut's grad so wie dich, wenn sie spukt; vielleicht noch mehr!«

Der noch nicht offizielle Bräutigam hörte die beiden zankend miteinander tuscheln.

»Ich denke, die Demoisellen sind immer ein Herz und eine Seele?«

»Sind wir auch!« sagte Röse.

Er lächelte und sprach eifrig mit seiner jungen, zukünftigen Braut; etwas würdig, wie er es mit jedem jungen Mädchen tat, aber jedes Wort bebte und zitterte und war beladen mit allem möglichen, und die Blicke beider hingen aneinander – forschend, ergründend und scheu den Anblick genießend.

Draußen fauchte in langen Zügen unvermindert der Wind und trug jetzt, wie es schien, einen merkwürdig hellen, rhythmischen Pfiff auf seinen Flügeln.

Röse, die eben im lebhaftesten Gespräche mit ihrem Anbeter war, spitzte die Ohren, erhob sich wie im Traume, ging dem Fenster zu, blieb aber zögernd, wie unverrichteter Sache stehen und begab sich wieder auf ihren Platz.

Der junge Thon beobachtete sie.

»Schaf!« flüsterte Marie ihr zu. »Wenn sie's merken, lassen sie uns bei dem Wetter nicht fort!«

Es war etwas übermütig Glückseliges in Röses Gesicht gekommen.

Die Ratsmädel kniffen sich gegenseitig versteckt in die Arme.

Frau Rat hatte aber auch den Pfiff gehört und dachte bei sich: »Das war ja Budangs Pfiff; was lauert denn der?«

Jetzt schellte es unten.

Das sind sie! dachten Röse und Marie gleichzeitig erschreckt und sprangen beide auf, um die Haustür zu öffnen. Was ihnen denn nur einfiele! Waren sie denn des Kuckucks!

Sie trafen aber ganz etwas andres, als sie vermuteten.

Die Schopenhauerin schickte als Dessert nach dem Fasanenschmaus für Röse ein weißsamtenes Ridikül mit Perlenstickerei und mit einem Veilchenbouquet daran gebunden, etwas unsagbar Schönes, Bräutliches. Sie hatte jedenfalls nicht anders gedacht, als daß die Verlobung doch bei einem Gläschen Wein trotz alledem feierlich ausgesprochen worden sei.

Röse und Marie wußten nicht recht, was sie damit beginnen sollten; sie beratschlagten und hielten sich deshalb ziemlich lange auf der Treppe auf. Marie kam auf den schlauen Gedanken, das wundervolle Ding mitsamt den Veilchen in ihr Schnupftuch zu wickeln; so wollten sie es aufheben, bis die Gäste fort wären, denn beide fürchteten, es möchte dem Vater nicht recht sein, wenn sie das Verlobungsgeschenk der Schopenhauerin mit hereinbrächten. Und es geschah so, wie sie sich vorgenommen.

»Was war denn?« fragte Frau Rat ernst, als die Mädchen wieder eintraten.

Röse errötete und flüsterte ihrer Mutter etwas ins Ohr.

Der junge Thon fand, daß die beiden Mädchen seit einiger Zeit von einer merkwürdigen Unruhe befallen waren. Es war ihm, als müsse er mit Röse ein feierliches, großes Wort reden.

Eine bange Unruhe überfiel ihn. Liebte sie ihn auch wirklich? War er ihrer sicher?

Die beiden Mädchen hielten sich, während sie ganz vernünftig und liebenswürdig sprachen, unter dem Tisch an den Händen fest.

»Heut wär' eine schöne Nacht für meinen Fuchs!« dachte der junge Thon mitten in seinem Herzensrausch. Er hat bereits gestern die halbe Nacht platt auf dem Bauche vergeblich vor dem Fuchsbau gelegen und sieht sich schon, wie er an der nur ihm bekannten Stelle abermals auf den Fuchs paßt. Er hört im Geiste die knospenden Bäume über sich rauschen, fühlt wohltätig den kühlenden, weichen Sturm. Und das Lauern, das scharfe Hinhorchen – das Spannen – die Naturlaute, die nachts hie und da geheimnisvoll auftauchen – da wird's ihm wohl werden!



Die Gäste empfehlen sich zur Bürgerstunde. Alle machen Frau Rat Kirsten Komplimente über das splendide Gastmahl, und Frau Geheimderat Thon drückt Röse mütterlich zärtlich an sich und flüstert ihr etwas ins Ohr. Röse errötet tief und küßt ein wenig zaghaft und verlegen die Hand ihrer zukünftigen Frau Schwiegermutter.

Und wieder ist sie durchschauert von etwas Ungeahntem, Unbekanntem, als Ottokar Thon ihr zum Abschied die Hand drückt, so erregt und bewegt, als wäre dieser einfache Händedruck eine heilige Handlung.

Als alle fort waren, fällt sie ihrer Mutter in die Arme und küßt sie und lacht, und dabei glänzen ihr die Tränen in den Augen.

Die Mädchen müssen noch mit aufräumen, alles an Ort und Stelle bringen; sie sind zu diesem Behuf aus ihren weißen Kleidern in die grauen Ginghamalltagskleider geschlüpft und wirtschaften mit wahrem Feuer und so ordentlich und vernünftig, daß Frau Rat ihre Freude hat und bei sich denkt: »Was für ein paar flinke Mädchen sind sie doch, pflichttreu und brav!«

»Jesses, Röse,« flüstert Marie, »mach zu! Wenn du so trödelst, wann denkst du denn, daß wir fortkommen?«

»Erst müssen doch alle im Bett sein,« sagt Röse bang, »was hilft's denn sonst? – Poltere doch nicht so!« Marie ging daraufhin auf den Fußspitzen.

Drüben bei Thons war schon alles dunkel.

»Ach Gott!« brummte Marie, »weshalb dauert's denn bei uns so lang?«

Die Magd schlürfte noch draußen herum; der Vater sah nach diesem und jenem; die Mutter schloß das gespülte und geputzte Silberzeug in den Schrank.

Röse beguckte sich noch einmal nachdenklich die silbernen Füße und Hälse der Fasanen.

Nach und nach zog aber auch in das Kirstensche Haus Dunkelheit und Nachtruhe ein.

Die beiden Mädchen waren hinauf in die Kammer geschickt; die Magd, Vater und Mutter, jedes war schlafen gegangen, und keine Maus rührte sich.

Es schlug elf Uhr. – Da war es, als wenn auf der dunklen Treppe sich vorsichtig etwas bewege. Es knarrte eine Stufe; es huschte und schlich etwas. Zwei Stimmen wisperten vorsichtig. »Ach Gott im Himmel,« sagte Röse tief erregt, dicht am Ohr Maries, »mir ist's außerordentlich angst, – so was haben wir noch nie getan! Glaubst du, daß der Vater bös sein würde?«

Otto Ernst Schmidt
v.s.
Metin
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30 haziran 2017
Hacim:
144 s. 8 illüstrasyon
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