Kitabı oku: «50 Jahre Frauenstimmrecht», sayfa 3
Als Sie im Nationalrat waren, gab es ja auch noch andere Frauen. Wie war Ihr Verhältnis? Hatten Sie ein gutes Netzwerk miteinander?
Netzwerk klingt zu formell. Aber im Rahmen des Möglichen haben wir uns unterstützt. Weil eben Frauen oft in der Politik andere Prioritäten setzen. Und weil wir eine Minderheit waren, die zusammenhalten musste.
Sie sind als erste Bundesrätin in einen männlichen Bundesrat gewählt worden. Sie waren die erste Frau im Gemeinderat. Wie waren denn allgemein die Reaktionen der Herren in diesen Gremien auf Sie? Haben Sie sich persönlich gut verstanden?
Ach, oberflächlich war es «Küsschen, Küsschen». Aber eigentlich haben sie mich als Störfaktor empfunden. Die Kollegen im Bundesrat waren masslos eifersüchtig auf mich, weil ich mehr Medienpräsenz hatte. Das hatte nichts mit meiner Qualität zu tun. Ich war einfach ein Novum. Für die Journalisten war es interessanter zu beschreiben, wenn Frau Kopp mit einem neuen Kleid ankam oder ihre Haare geschnitten hatte, als wenn die ihre Glatzköpfe poliert hatten. (lacht)
In einem Interview haben Sie einmal erzählt, dass Sie immer froh waren, wenn bei Bundesratssitzungen die Pausen vorbei waren, weil Sie dann wieder inhaltlich arbeiten konnten.
Die Männer haben in den Pausen über nichts anders als über Fussball geredet, davon habe ich nichts verstanden. Hätten sie wenigstens über Eiskunstlauf gesprochen! (lacht) Man kann sich ja für Sport begeistern, aber ich fand es primitiv, dass man bei einer Bundesratssitzung nicht noch über andere Themen reden konnte als über Fussball. Da bin ich manchmal in den Pausen sogar in mein Arbeitszimmer gegangen und habe in der Zeit weitergearbeitet. Viele Jahre nach meiner Zeit als Bundesrätin habe ich einen Dokumentarfilm über diese Zeit gesehen. Darin haben meine Kollegen nach meiner Wahl gesagt: «Wir werden Frau Kopp rückhaltlos unterstützen». Rückhaltlos! Also ohne Rückhalt. Unmissverständlicher wäre gewesen: Vorbehaltlos.
Das kann man so verstehen. Die Sprache verrät viel.
Dazu fällt mir noch etwas ein: Bei der ersten Bundesratssitzung nach meiner Wahl kam die schwierige Frage auf, wie man mich jetzt anreden solle. Damals nannte man die Ehefrauen der Bundesräte «Frau Bundesrat». Da war für mich klar, dass ich nicht so genannt werden wollte. Ich habe nichts gegen diese Frauen, die haben eine wichtige Aufgabe, aber ich hatte eine andere Funktion und ein Amt. Ich sagte also: «Ich will mit Frau Bundesrätin angesprochen werden.» Als ich das meinem Mann erzählt habe, sagte er: «Du weisst, dass ich für Gleichberechtigung bin. Darum nenne ich mich von jetzt an Herr Bundesrätin.» Leider hat sich das in der Öffentlichkeit nicht durchgesetzt. (lacht)
Und wie war die Zusammenarbeit bei den Themen, die Ihnen immer wichtig waren: Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen?
Auch hier gab es dicke Bretter. Ein Beispiel, bei dem ich mit meinen Forderungen gescheitert bin, ist die Revision der AHV Mitte der 1980er. Ich hatte die Vorlage gründlich durchgeschaut, aber das wichtigste Frauenanliegen war wieder nicht drin, nämlich, dass Betreuungszeiten gutgeschrieben wurden. Ich habe gekämpft wie eine Löwin, aber im Bundesrat wurde es mit allen gegen meine Stimme abgelehnt. Das war das erste Mal, dass ich aufgestanden und mit Tränen in den Augen gegangen bin. Ich konnte es nicht verstehen: Das war so eine Geringschätzung der Leistungen, die Frauen erbringen.
Aber Sie hatten auch grosse Erfolge.
Mein allergrösster Kampf war für das neue Eherecht, das 1988 in Kraft trat. Das war die wichtigste Vorlage, die ich durchgebracht habe. Damals war ich jeden Tag unterwegs: Vom Genfersee bis zum Bodensee, vom Tessin bis in den Jura, um für dieses neue Eherecht zu werben. Wissen Sie, wenn man irgendeine Vorlage hat zum Beispiel zum Landwirtschaftsrecht und die wird abgelehnt, dann bringt man sie halt später wieder, vielleicht ein bisschen geändert. Das können Sie bei der Gleichberechtigung nicht! Frauen können nicht ein bisschen gleichberechtigt sein. Es geht nur ganz oder gar nicht.
Was unterschied das neue vom alten Eherecht?
Bis dahin war der Mann das alleinige Oberhaupt der Familie und Vormund der Ehefrau in finanziellen Angelegenheiten. Er konnte den Wohnort der Familie festlegen, er konnte entscheiden, ob seine Frau berufstätig sein durfte oder nicht. Das Gesetz schrieb auch die Rollenverteilung der Ehegatten vor. Das alles wollten wir im Sinn der in der Verfassung seit 1981 verankerten Gleichberechtigung von Männern und Frauen ändern.
Insbesondere die SVP war gegen das neue Eherecht. Im Internet kann man sich dazu heute noch erschreckende Interviews mit Christoph Blocher anschauen.
Damals hatte die SVP ein Plakat an jeder Säule: Ein Ehepaar im Bett und in der Mitte der Richter. Das brauchte gar keinen Text. Es war klar, was gemeint ist. Am Wahltag gab es dann aber eine klare Mehrheit für das neue Eherecht. Bei der Pressekonferenz habe ich meiner Freude und Genugtuung darüber Ausdruck verliehen. Dann fiel mir ein, dass ein Bundesrat am Ende auch immer noch etwas Nettes zu den Gegnern sagen muss. Aber was sollte ich denen denn Nettes sagen? Da habe ich gesagt, dass die, die dagegen waren, schon merken werden, dass es in der Praxis gar nicht so viel ändern wird. Wenn der Herr Blocher im Ehebett neben sich schauen würde, würde immer noch seine Silvia neben ihm liegen und nicht der Richter. (lacht)
Schlagfertig!
Ja. Das war ein Blitzeinfall, live übertragen in alle Haushalte.
Wie aber sind Sie mit der Bürde umgegangen, keine Fehler machen zu dürfen, da alle Augen – die der Kollegen, aber auch die der Öffentlichkeit – auf Sie gerichtet waren?
Mit einem eisernen Willen. Auch auf Äusserlichkeiten musste ich stark achten, viel stärker als die Männer. Ich musste darauf achten, dass ich anständig angezogen war. Ich bin auch ab und zu zum Friseur. Da stand dann gern mal auf der Titelseite einer Zeitschrift: «Frau Kopp mit neuer Frisur!» Da habe ich über die Prioritätensetzung der Medien schon oft den Kopf geschüttelt. Und natürlich war es furchtbar anstrengend, immer unter Beobachtung zu stehen.
Sie durften keine Schwäche zeigen?
Niemals. Ich erzähle Ihnen ein Beispiel dazu: Seit meiner Kindheit leide ich an Migräne. Das sind Schmerzen, dagegen ist eine Geburt gar nichts. Für mich kam gar nicht in Frage, deswegen mal eine Sitzung abzusagen. Es hätte sofort geheissen: «Wir haben doch immer gesagt, die Frauen können das nicht, die sind ja immer krank!» Wenn einer meiner Kollegen eine Grippe hatte, dann ist er halt auch bei einer Bundesratssitzung einfach zu Hause geblieben. Ich habe mich sogar einmal mit einer schweren Migräne in den Ständerat gequält. Das war einer meiner schlimmsten Tage überhaupt. Im Rückblick muss man vielleicht sagen, dass ich mich auch fälschlicherweise so unter Druck gesetzt habe. Denn natürlich darf auch eine Frau einmal krank sein. Aber alles, was ich getan habe, wurde stärker beäugt und härter bewertet. Das ging bis zur Geschichte um meinen Rücktritt. Heute weiss man, dass die Vorwürfe damals falsch waren. Die Öffentlichkeit hat sich aber darauf gestürzt, wie es bei einem Mann nie passiert wäre.
Haben Sie das Gefühl, dass die Bürde, die auf Spitzenpolitikerinnen liegt, inzwischen geringer geworden ist?
Politikerinnen heute sind schon weniger exponiert. Es ist nicht mehr so etwas Aussergewöhnliches. Das war bei mir schon noch etwas anders. Ich war alleine, die Erste und Einzige – und zwar überall. Und entsprechend exponiert.
Woher haben Sie die Kraft genommen?
Ich hatte viel Erfolg. Das Eherecht wäre ohne mich kaum durchgekommen, das haben mir viele gesagt. Und das war ein ganz wichtiges Gesetz. Es war für mich auch sehr schön zu sehen, wie viel Freude die Leute hatten, wenn ich an Anlässen teilgenommen habe. Das war wärmer als eine Bettflasche, dieses Gefühl. Es gab auch Solidarität mit mir, aber weniger auf dem politischen Gebiet. Dort waren wir auch unterschiedliche Parteien. Aber ausserhalb schon.
Hat sich der Bundesrat durch Sie verändert?
Heute könnte es sich kein Bundesrat mehr leisten, keine Frau dabei zu haben. Das ist inzwischen selbstverständlich, es ist «a must» geworden. Sollte ein Vakuum entstehen und nur ein Mann aufgestellt werden, käme eine andere Partei und würde sofort eine Frau aufstellen. Und die würde auch gewählt. Das habe ich zusammen mit meinen Nachfolgerinnen erreicht – und das ist sehr wichtig.
Sie sind für viele Politikerinnen ein Vorbild, hatten oder haben Sie selber auch Vorbilder?
Nein, in der Schweiz gab es ja keine Frauen in der Politik. Die englische Politikerin Barbara Castle46 aber sagte mal einen guten Spruch, an den ich in meinem Leben oft denken musste: «Wenn eine Frau erfolgreich sein will, muss sie aussehen wie ein Mädchen, sich benehmen wie eine Dame, denken wie Mann und schuften wie ein Pferd.»
Wie stehen Sie zum Thema Emotionalität in der Politik? Gibt es hier Unterschiede zwischen Männern und Frauen?
Ich habe viele Männer gesehen, die in politischen Debatten sehr emotional reagiert haben. Vielleicht ist auch hier einfach die Wahrnehmung von Emotion bei Frauen stärker, weil sie in der Minderheit sind. Gäbe es mehr Frauen, würde sich auch das verbessern.
Welchen Vorurteilen sind Sie begegnet?
Als ich mich für die Einführung obligatorischer Katalysatoren eingesetzt habe, hiess es oft: «Was versteht denn die gute Frau überhaupt von Automotoren?» Ich bin damit sehr bewusst umgegangen, war zum Beispiel vier Tage im Autotechnikum in Biel und habe mich umfassend briefen lassen. Und ich habe mich mit einem Ingenieur kurzgeschlossen, der schadstoffarme Motoren entwickelt hat. Ausgerüstet mit dieser Kenntnis konnte ich zurückschlagen und habe mich bei Veranstaltungen der Automobilimporteure, in denen sie gegen mich Stimmung machen wollten, demonstrativ in die erste Reihe gesetzt. Am Ende habe ich es sogar geschafft, dass bei einer europäischen Konferenz auch die anderen Staaten einem Obligatorium zugestimmt haben.
Die Schweiz war also Vorreiterin bei der sauberen Luft – und auf dem drittletzten Platz in Europa beim Frauenwahlrecht.47 Wo sehen Sie in Sachen Gleichberechtigung noch Handlungsbedarf?
Wir haben die Gleichberechtigung, aber wir haben noch keine Lohngleichheit. Sie kennen doch bestimmt das «Fair Trade»-Label, für Produkte ohne Kinderarbeit. Mein Vorschlag ist ein «Equal Pay-Label». Hätte ich eine Firma, würde ich gleiche Löhne zahlen – und damit aktiv werben. Und als Kundin würde ich darauf achten.
Die Idee ist innovativ.
Ich habe das schon 2014 vorgeschlagen. Aber bisher blieb die Idee komplett echolos. Equal pay und flexible Arbeitszeiten machen Unternehmen ja auch attraktiv.
Wie schaffen wir es denn, zukünftig mehr Frauen für aktive Politik zu motivieren?
Das Problem ist immer, dass Frauen, wenn sie eine Familie und einen Beruf haben, kaum mehr Zeit haben. Wenn sie sich zwischen Beruf und Politik entscheiden müssen, nehmen die meisten den Beruf. Sie verdienen dort mehr, und es ist auch nicht so risikobehaftet wie die Politik. Wenn man sieht, wie gewisse Politikerinnen auch angegriffen werden, habe ich für die Zurückhaltung sogar ein gewisses Verständnis. Aber bei Diskussionen mit Frauen sage ich immer: «Genau deshalb müsst ihr mitmachen! Damit sich etwas ändert.»
Was raten Sie jungen Frauen?
Man kann in der Politik viel bewirken, und es ist einen Versuch wert. Wenn es ihnen dann nicht gefällt oder sie enttäuscht sind, können sie ja wieder aufhören. Aber probieren sollte man es einmal. Und es ist eine ungeheuer schöne Genugtuung, wenn man sagen kann: Das wäre nicht gekommen oder viel später, wenn ich nicht dabei gewesen wäre. In meinem Fall zum Beispiel das neue Eherecht oder die Katalysatoren. Das macht Freude und macht auch ein wenig stolz. Da denke ich schon: Der Einsatz hat sich gelohnt!
Anmerkungen
44 Kopp wurde 1974 mit 80 Prozent der Stimmen zur ersten Gemeindepräsidentin der Deutschschweiz gewählt. Sie hatte dieses Amt bis 1984 inne.
45 Kopp war von 1972 bis 1979 das erste weibliche Mitglied im Erziehungsrat des Kantons Zürich.
46 Barbara Castle (1910–2002) war eine britische Politikerin der Labour Party. Sie war die erste Frau im Amt des «First Secretary of State».
47 Nur Portugal (1974) und Liechtenstein (1984) brauchten noch länger, bis sie das Frauenstimmrecht einführten. In Portugal hatten Frauen mit hoher Bildung zwar bereits seit 1931 ein gewisses Wahlrecht, ohne Einschränkungen waren die volljährigen Bürgerinnen Portugals jedoch erst ab 1974 wahlberechtigt.
«Schon als Kind fand ich Wahlsonntage aufregend, ein besonderer Nervenkitzel.»
Foto: Privatarchiv
Fina Girard, geboren 2001, ist in Basel aufgewachsen und hat dort das Gymnasium Leonhard besucht. Sie engagiert sich seit ihrem 14. Lebensjahr bei Amnesty Youth und ist beim Klimastreik Basel aktiv. Nach der Matura hat sie sich für ein einjähriges Praktikum bei Amnesty International in Bern entschieden.
Warum es Sinn macht, schon mit 16 zu wählen
Fina Girard, Klima- und Jugendstimmrechtsaktivistin
Das Basler Rathaus ist rot, zinnoberrot. Klar, nennt man es also «Roothus», dachte ich, wenn mich meine Eltern als Kind jeweils zum Abstimmungslokal mitnahmen. Die lange Schlange kurz vor zwölf am Sonntagvormittag, verbunden mit dem besonderen Nervenkitzel, ob wir es noch rechtzeitig zur Wahlurne schaffen, und mit der leisen Vorfreude auf das Schöggeli, das mir eine freundliche Wahlhelferin zustecken würde: Wahlsonntage waren aufregend und sind mir darum bis heute sehr in Erinnerung geblieben.
Ich hatte das grosse Glück, dass mich meine Eltern mit meinem Interesse für das politische Geschehen ernst genommen haben. Auf dem Schulweg studierte ich als Primarschülerin die bunten Wahlplakate und entzifferte mühselig die grossen Lettern. Sie schienen wichtig zu sein, tauchten sie doch plötzlich an allen Ecken und Enden der Stadt auf, um bereits bald darauf wieder zu verschwinden und erst in ein paar Monaten wieder aufzutauchen. Zu Hause angekommen, löcherte ich meine Eltern am Küchentisch mit Fragen. Nie bekam ich dabei ein: «Das verstehst du noch nicht», nie ein: «Das ist eine Sache der Erwachsenen» zu hören. Zugegeben: Ich gähnte zwar manchmal verstohlen, wenn mein Vater geduldig versuchte, mir eine Finanzreform zu erklären. Aber mir wurde erklärt, wonach ich fragte, und ich wusste, dass auch ich eines Tages mein Stimmcouvert in die Urne legen darf, im roten Basler Rathaus. Mein Interesse für Politik und Gesellschaft hat mich seither nie losgelassen.
Ich gehöre zur Generation Klimastreik. Als ich an einer grossen Klimademo am 2. Februar 2019 Flyer mit den Demoparolen verteilte, hatte ich Tränen in den Augen. Von allen Richtungen strömten Junge, Alte, Familien und Freundesgruppen auf den Barfüsserplatz, unter ihren Armen und auf ihre Gepäckträger hatten sie bunte Plakate geklemmt. Es fühlte sich befreiend an, mit den eigenen Sorgen und Hoffnungen nicht mehr allein zu sein. Die Klimastreiks haben niemanden kaltgelassen, besonders nicht diejenigen unter 18.
Jede und jeder, ob begeistert oder kritisch, bildete sich eine Meinung dazu, und in Schulhöfen und am heimischen Küchentisch wurde über den Klimawandel und den Sinn und Zweck der Streiks diskutiert. Gleichzeitig twitterten namhafte Politikerinnen und Politiker darüber, ob die Klimastreikenden sich nicht lieber in einer Partei engagieren sollten, anstatt die Schule zu schwänzen. Klimastreikenden, die bereits Mitglied einer Partei waren, wurde wiederum vorgeworfen, eine angeblich naive, hysterische Jugend zu instrumentalisieren. An den Sitzungen des Klimastreiks lachten wir manchmal etwas verzweifelt über diese paradoxen Vorwürfe.
Mir und vielen anderen Jugendlichen ging es ähnlich: Wir waren perplex und fühlten uns machtlos. Irgendetwas schienen wir ja richtig gemacht zu haben: Die Klimabewegung erhielt in der Bevölkerung überraschend viel Zuspruch und dominierte die Medien über Wochen. Dennoch schienen unsere Forderungen in ihrer Dringlichkeit nicht zu denen vorzudringen, an die sie gerichtet waren: Parlamente, deren Mitglieder ein Durchschnittsalter von über 50 Jahren haben, fällen kaum Entscheide, die über den Zeitrahmen bis zur nächsten Wahl hinaus Wirkung tragen. Junge Themen fristen ein Nischendasein und stehen auf der politischen Agenda weit unten.
Es war und ist also eine logische Schlussfolgerung aus der Politisierungswelle der Klimastreiks: Die Jugend kann und muss bei politischen Entscheiden mitbestimmen. Ist es denn nicht die Aufgabe einer Demokratie, die gesamte Bevölkerung zu Wort kommen zu lassen und sie in ihren Parlamenten zu vertreten?
Die Vorstellung, dass meine Grossmutter 44 Jahre alt werden musste, bis sie zum ersten Mal an einer nationalen Abstimmung teilhaben konnte, macht mich daher immer wieder sprachlos. Meine Grossmutter war kein Heimchen am Herd, das sich nicht um Politik scherte. Neben ihrem langjährigen Engagement als Pfarrfrau für das gesellschaftliche Leben einer Landgemeinde, natürlich unentgeltlich, zog sie fünf Kinder gross. Hunderttausenden starken Frauen wie ihr trauten die Herren dieses Landes jedoch nicht zu, sich eine eigene Meinung bilden zu können und diese auch zu vertreten. Ich weiss, dass ich es der unermüdlichen Arbeit von Generationen oft vergessener, aber unglaublich mutiger Frauen zu verdanken habe, dass ich heute als junge Frau so selbstverständlich am politischen Geschehen teilnehmen kann. Unsere Demokratie dürfen wir keineswegs für selbstverständlich nehmen. Sie ist das Ergebnis jahrhundertelanger Arbeit. Unsere Demokratie ist kostbar und muss bewahrt werden. Das Interesse an der Politik und damit die Freude am politischen Mitgestalten müssen darum stets an die nächste Generation weitergegeben werden. Wählen und Abstimmen sollte eine Plattform für Austausch und Mitgestaltung sein, die auch uns Jugendlichen offensteht. Politiker*innen fahren jedoch fort, uns kleinzureden, während uns gleichzeitig bereits mit 16 Jahren zugetraut wird, wegweisende Entscheidungen in Ausbildung und Berufswahl zu treffen. Das Teilnehmen an politischen Entscheiden, die unser Leben langfristig beeinflussen können, wird uns dagegen untersagt.
Mit der Senkung des Stimmrechtsalters auf 16 Jahre könnten Jugendliche auf ihrem Weg zu aktiven Stimmbürger*innen begleitet werden. Denn unser jetziges Bildungssystem lässt uns Jugendliche in politischen Fragen alleine. Wer keine weiterführende Schule besucht, hat je nach Kanton das politische System der Schweiz im Unterricht kaum kennengelernt. Eine Studie erfasste 2017, dass die Hälfte aller Schweizer Jugendlichen das Gefühl hat, wenig bis gar nichts über die Schweizer Politik zu wissen.48 Das ist nicht der Fehler von uns Jugendlichen. Wer möchte, dass wir uns nach dem Erreichen der Volljährigkeit aktiv am politischen Geschehen beteiligen, muss uns von Beginn an ernst nehmen und Möglichkeiten zur Partizipation schaffen. Nur wer schon früh vermittelt bekommt, dass die eigene Meinung etwas zählt und wahrgenommen wird, hat langfristig Lust daran, sich zu engagieren.
Letzten Herbst bin ich volljährig geworden. Mein 18. Geburtstag fiel exakt auf den Tag der Nationalratswahlen am 20. Oktober 2019. Ich freute mich unglaublich auf meinen ersten Urnengang, telefonierte schon Monate zuvor mit dem zuständigen Amt, um nachzuhaken, ob ich denn auch wirklich bereits an meinem Geburtstag stimmberechtigt wäre. Erstaunlich, aber wahr: Auf dem Amt wusste man das zuerst nicht. Vermutlich war ich die Einzige, die jemals die Frage gestellt hat, ob man schon am Tag der Volljährigkeit abstimmen gehen darf.
Das geringe politische Interesse der Jugendlichen vor der «Generation Klimastreik» ist vielleicht das Ergebnis davon, dass sie in ihrer Jugend nie ernst genommen wurden. Die Millennials waren keine Wegbereiter für uns. Sie haben Vorurteile gegenüber Jugendlichen, wie «politisches Desinteresse» und «geringe Wahlbeteiligung» gefestigt. Dabei weiss ich, dass viele junge Menschen in der Schweiz heute, genau wie ich bis vor Kurzem, ungeduldig auf den Tag warten, an dem sie zum ersten Mal abstimmen dürfen. Ich wünsche mir, dass sie nicht auf ihren 18. Geburtstag warten müssen.
Mein Wahlcouvert lag schliesslich doch im Briefkasten. Am Sonntagmorgen radelte ich, wie früher mit meinen Eltern, zum Wahllokal in der Innenstadt. Stolz liess ich meinen Wahlzettel in die Urne gleiten, im zinnoberroten Basler Rathaus. Wie lange hatte ich diesen Moment herbeigesehnt.
Anmerkungen
48 www.dsj.ch/blog/politische-partizi pation-von-jugendlichen/wie-ticken-jugendliche-politisch-in-der-schweiz (abgerufen im April 2020) (abgerufen im April 2020)
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