Kitabı oku: «a tempo - Das Lebensmagazin»

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1 – über a tempo

a tempo - Das Lebensmagazin

a tempo Das Lebensmagazin ist ein Magazin für das Leben mit der Zeit. Es weckt Aufmerksamkeit für die Momente und feinen Unterschiede, die unsere Zeit erlebenswert machen.

a tempo bringt neben Artikels rund um Bücher und Kultur Essays, Reportagen und Interviews über und mit Menschen, die ihre Lebenszeit nicht nur verbringen, sondern gestalten möchten. Die Zusammenarbeit mit guten Fotografen unterstützt hierbei den Stil des Magazins. Daher werden für die Schwerpunktstrecken Reportage und Interview auch stets individuelle Fotostrecken gemacht.

Der Name a tempo hat nicht nur einen musikalischen Bezug («a tempo», ital. für «zum Tempo zurück», ist eine Spielanweisung in der Musik, die besagt, dass ein vorher erfolgter Tempowechsel wieder aufgehoben und zum vorherigen Tempo zurückgekehrt wird), sondern deutet auch darauf hin, dass jeder Mensch sein eigenes Tempo, seine eigene Geschwindigkeit, seinen eigenen Rhythmus besitzt – und immer wieder finden muss.

2 – inhalt

1 – über a tempo

2 – inhalt

3 – editorial Idee und Wirklichkeit von Jean-Claude Lin

4 – im gespräch Die Ideen und das Geistige als Grundlage der Welt Christine und Frido Mann im Gespräch mit Janine Malz

5 – thema Freiheit – Gleichheit – Bürgerlichkeit von Sebastian Hoch

6 – augenblicke Erinnerungen an Morgen von Maria A. Kafitz

7 – herzräume Dieser eine Moment von Brigitte Werner

8 – erlesen Geliebtes Leben. Die Gedichte Erika Beltles gelesen von Jean-Claude Lin

9 – mensch & kosmos Was der Frühling bringen wird von Wolfgang Held

10 – alltagslyrik – überall ist poesie Reisen von Christa Ludwig

11 – kalendarium Februar 2021 von Jean-Claude Lin

12 – was mich antreibt Vom Wagnis zu träumen von Janine Malz

13 – unterwegs Eile mit Weile von Daniel Seex und Jean-Claude Lin

14 – sprechstunde Wie wir gut durch den Winter kommen von Markus Sommer

15 – blicke groß in die geschichte Die Kultur, die aus der Kälte kam von Konstantin Sakkas

16 – von der rolle Bezaubernde Beharrlichkeit: Der Mann ohne Vergangenheit von Elisabeth Weller

17 – sehenswert Hannah Arendt: Der Pelz der Geschichte von Konstantin Sakkas

18 – wundersame zusammenhänge Was wir sehen von Albert Vinzens

19 – literaratur für junge leser «Kleiner schwarzer Hund in der Nacht» von Rose & Rebecka Lagercrantz gelesen von Simone Lambert

20 – mit kindern leben Wie viel Oma braucht der Mensch? von Bärbel Kempf-Luley und Sanne Dufft

21 – weltkultur Waldorf weltweit: Lernen, worauf es ankommt von Nana Göbel

22 – eine seite lebenskunst Papier-Rosetten von Christiane Hübner

23 – sudoku & preisrätsel

24 – tierisch gut lernen Gut beflügelt von Renée Herrnkind und Franziska Viviane Zobel

25 – suchen & finden

26 – ad hoc Glücksperlen von Sonja Lohr

27 – bücher des monats

28 – impressum

3 – editorial

Idee und wirklichkeit

Liebe Leserin, lieber Leser!

«Das Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit ist die wahre Kommunion des Menschen.» – So formulierte der erst mittezwanzigjährige Rudolf Steiner in einer seiner Einleitungen zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften über «Goethes Erkenntnis-Art»: eine grundlegende Erkenntnis, auf die er später in seinem Leben immer wieder hinwies. Wie der am 27. Februar 1861 getaufte Österreicher darauf kam, ist nachzulesen im zweiten Bändchen Idee und Wirklichkeit der zwölf Bände umfassenden Impulse Rudolf Steiners, deren Kassette ich gerne als «unsere kleine Energie-Box» bezeichne und bei deren gemeinsamer Gestaltung Maria A. Kafitz und ich vor zehn Jahren so viel Freude hatten.

Mit der ebenfalls im Februar – am 19. vor hundert Jahren – geborenen Dichterin Erika Beltle habe ich an manchem Nachmittag bei Kaffee und selbst gebackenem feinen Kuchen über diese Aussage des jungen Steiner eingehend diskutiert. Wie Janine Malz bei unseren Gesprächspartnern Christine und Frido Mann in diesem Monat, redeten auch Erika Beltle und ich buchstäblich über Gott und die Welt, denn ihre zweite Leidenschaft nach dem Dichten galt dem Philosophieren. Ein ganzes Jahr lang hat sie beispielsweise mit ihrer guten Freundin in der Schweiz täglich eine halbe Stunde lang Steiners Philosophie der Freiheit am Telefon durchgenommen. Und so diskutierten auch wir heiß und innig über dieses «Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit». Denn: Was heißt das bloß?

Sie mochte den Satz platonisch auffassen: Erst in der sinnlichkeitsfreien Schauung nehme ein Mensch die Idee in ihrer wirklichen Gestalt wahr – und das sei die «wahre Kommunion des Menschen». Ich mochte den Satz aristotelisch deuten: Wenn wir die Idee in unserer sinnlichen Wirklichkeit wahrnehmen können, sei uns die wahre Kommunion zuteil. Einig wurden wir uns nicht. Aber freundschaftlich auf ewig zugeneigt!

Wie berührend ist es nun in der Vorbereitung dieser Ausgabe unseres Magazins auf einige Zeilen der erst sechszehnjährigen Diane Nemerov, der später weltberühmten amerikanischen Fotografin Diane Arbus zu stoßen. In der 2003 – also zweiunddreißig Jahre nach ihrem tragischen Tod – erschienenen großen Monografie Revelations, finden sich die Zeilen, die sie in einer Klassenarbeit im Anschluss an eine Platonlektüre verfasste: «Es gibt und es gab und es wird es geben eine unendliche Anzahl Dinge auf dieser Erde. Individuen, die alle verschieden sind, die alle Verschiedenes werden haben wollen, die alle Verschiedenes erkennen werden, die alle Verschiedenes lieben werden, die alle verschieden aussehen werden. Alles, was je auf der Erde gewesen ist, ist von allen anderen Dingen verschieden. Das ist es, was ich liebe: diese Verschiedenheit, diese Einzigartigkeit aller Dinge und die Bedeutung des Lebens …» Daraus ergeben sich viele wundersame Zusammenhänge.

Es gibt wohl auch verschiedene Wege zur wahren Kommunion des Menschen. Mögen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, Ihren ganz eigenen Weg finden!

Von Herzen grüßt, Ihr




4 – im gespräch

Die Ideen und das Geistige als Grundlage der Welt

CHRISTINE UND FRIDO MANN im Gespräch mit JANINE MALZ

Fotos: Wolfgang Schmidt

Christine (*1944) und Frido Mann (*1940) empfangen mich in ihrer Münchner Wohnung, wo wir mit gebührendem Abstand eine Stunde im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt reden. Das seit vielen Jahrzehnten verheiratete Ehepaar hat einen gemeinsamen Sohn und eine gemeinsame Leidenschaft: die Quantenphysik. Und das, obwohl beide keine Physiker sind. Was sie umtreibt, ist nichts weniger als die Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält. Kein Wunder, möchte man meinen, sind sie doch Nachfahren berühmter Dichter und Denker – sie als Tochter des Physik-Nobelpreisträgers Werner Heisenberg, er als Enkel des Literatur-Nobelpreisträgers Thomas Mann. Soeben haben sie ihr zweites Buch Im Lichte der Quanten. Konsequenzen eines neuen Weltbildes fertiggestellt (es erscheint am 15.2.2021 bei wbg Theiss). Darin schlagen sie gemeinsam mit Fachkollegen einen Bogen von Elementarteilchen über Künstliche Intelligenz (KI) und Psychosomatik bis hin zur Demokratie – wie das? Nun, weil alles mit allem zusammenhängt …

Janine Malz | Liebe Christine Mann, Sie haben Theologie, Pädagogik und Psychologie studiert und sind die Tochter des Physik-Nobelpreisträgers Werner Heisenberg. Lieber Frido Mann, Sie haben Musik, Theologie und Psychologie studiert und sind der Enkel des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Thomas Mann. Ist Ihnen beiden das Ergründen der Welt in Form von Formeln und Texten gewissermaßen in die Wiege gelegt?

Christine Mann | Naja, Formeln nicht, aber natürlich das naturwissenschaftliche Denken und das Interesse für die philosophischen Konsequenzen aus diesen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, das ist mir quasi in die Wiege gelegt. Und darüber wurde eben zu Hause am Mittagstisch geredet. Aber mit Texten habe ich eigentlich gar nichts zu tun, das ist das Ressort meines Mannes.

Frido Mann | Also, Naturwissenschaften waren bei uns kein Thema. Das heißt, mein Großvater mütterlicherseits, der ist Ingenieur gewesen. Natürlich gibt es auch im Werk von Thomas Mann Abhandlungen mit naturwissenschaftlichen Themen, die ich kannte, aber das war nicht viel. Ich habe mich eigentlich erst im Hause Heisenberg, als ich als Student immer häufiger dort war, mit dem Thema mehr beschäftigt, und interessiert hat es mich vor allem im Hinblick auf die Frage nach dem Verhältnis Naturwissenschaft – Geisteswissenschaft. Das war mir von Anfang an sehr wichtig, deshalb bin ich leicht reingekommen und das hat mich dann auch über Jahrzehnte mitgeprägt, bis hin zu dem Punkt, wo wir sagten, wir machen dieses Buch zusammen, das erste Buch, das vor ein paar Jahren erschienen ist.

JM | Der Titel Ihres neuen Buches lautet Im Lichte der Quanten. Konsequenzen eines neuen Weltbildes. Wenn man als Nicht-Naturwissenschaftlerin von Quantenphysik liest, klingt das erst einmal furchtbar kompliziert. Wie würden Sie einem Laien die Quantentheorie erklären? Wo begegnen uns Quanten im Alltag?

CM | Überall. Das heißt, unsere ganze Welt ist ja aus Materie zusammengesetzt, und die besteht aus Elementarteilchen. Das heißt, jede Materie besteht aus Atomen, und die Atome sind eigentlich eine Energiekonstellation in einer bestimmten Struktur. Und das sind die Elementarteilchen.

FM | Die Vorstellung des Laien ist ja oft, dass Quanten so ganz kleine Kügelchen sind, dabei ist das überhaupt nicht so. Das hat man früher geglaubt, aber seitdem es die Quantenphysik gibt, weiß man, das sind Wellenpakete oder Energiepakete, das ist also fast so eine Art Konglomerat aus diesen verschiedenen Aspekten, ob Welle, Teilchen, Energie, Information – das hängt alles miteinander zusammen.

CM | Das Interessante war, wir haben beide ja Psychologie in Münster studiert, das war ein marxistisch-leninistischer Fachbereich, und da haben wir reinen Materialismus gelernt. Also die Entstehung der Welt nach materialistischen Prinzipien, und dann hat mein Vater uns mal auf einen Spaziergang mitgenommen und hat sich das erklären lassen. Und hat gesagt: Ja, also die Entstehung der Welt aus der Materie, das ist genauso wie ich selber auch schon mal aufgeschrieben habe, ABER die Materie ist nicht das, was man sich darunter vorstellt. Und das ist das Entscheidende: Die Materie ist eben nicht, wie die meisten denken, kleine Kügelchen, sondern ein ganz komplexes Gebilde aus noch kleineren Quanten und selbst die sind eine Kondensation von Energie.

FM | War nicht die Formulierung: «Das stimmt ja alles, aber es ist genau umgekehrt − es ist nicht der Geist, der aus der Materie kommt, sondern letzten Endes ist alles geistig und daraus entsteht dann Materie»?

CM | Nein, so hat er es nicht gesagt, sondern: «Letzten Endes hat Platon recht, die Ideen und das Geistige sind die Grundlage der Welt.»

JM | Wie dem Buch zu entnehmen ist, müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, Körper und Geist seien getrennt, so wie Hard- und Software in der IT. Das Bewusstsein sitzt auch nicht etwa im Gehirn des Menschen und ist nicht bloß Produkt neuronaler Prozesse, sondern vielmehr ein den gesamten Organismus überspannendes Netz an bedeutsamen Informationen, eine Art Uniware. Leib und Seele sind quasi vereint. Welche Konsequenzen und Handlungsanweisungen ergeben sich daraus für die Medizin?

FM | Wir haben bei uns im Gesprächskreis einen Psychiater, der im Buch auch einen Aufsatz geschrieben hat. Die Mainstream-Gehirnforschung sagt ja, das Entscheidende ist die Funktion des Gehirns, und jedes Verhalten, jede Wahrnehmung wird nur dadurch gesteuert. Aber er beweist eigentlich, dass es gerade bei den sogenannten psychosomatischen Krankheiten sogar umgekehrt ist, dass geistige Gegebenheiten das Körperliche steuern können. Aber das Geistige ist natürlich auch machtlos, wenn im Zellbereich einfach ganz klare Erkrankungen vorliegen. Das kann zwar auch noch beeinflusst werden, aber es gibt gewisse, rein physische Dinge, die wir nicht kontrollieren können, die wir nicht wahrnehmen und die unser ganzes Leben ja auch ganz intensiv lenken.

CM | Das ist eigentlich auch ganz wichtig: Weder das Geistige ist das Dominierende noch die Materie, sondern das Zusammenspiel. Und das Geistige in unserer Welt gibt es überhaupt nicht ohne irgendeine materielle Grundlage. Also, es gehört immer zusammen.

FM | Deshalb könnte man auch annehmen, dass unser Bewusstsein nach dem Tod vielleicht in irgendeiner Form noch weitergeht. Aber wir können uns das nicht vorstellen. Denn unser Bewusstsein basiert immer auf biologischen Vorgängen.


JM | Krisen zeigen Versäumnisse der Vergangenheit auf und bereiten oft den Weg für große gesellschaftliche Veränderungen der Zukunft. Nun hat mit COVID-19 eine Pandemie unsere offene, globalisierte Gesellschaft erschüttert. Inwiefern, glauben Sie, wird uns diese Krise verändern?

FM | Besonders am Anfang der Krise haben wir Empathie erlebt. Wie plötzlich im Fahrstuhl Hilfsangebote für ältere Leute hingen usw. Das ist eine sehr gute, schnelle Reaktion gewesen. Aber niemand kann sagen, wie lang so etwas hält. Und es hat ja auch wieder nachgelassen. Im Gegenteil, jetzt kriegen die Menschen wieder Angst, es würde ihnen zu viel weggenommen – und da ist mit Empathie nicht mehr viel. Aber da fängt es in der Quantenphysik ja schon an, eine Physik der Beziehungen und der Möglichkeiten heißt, es ist alles offen und man wird nie absehen können von irgendeinem Vorgang, wie der weitergeht. Man kann hoffen, dass das, was wir gelernt haben aus Corona, im Ökologischen, im Sozialen, dass das Früchte trägt und man daraus was lernt, was man vielleicht ohne Corona so nicht gelernt hätte. Aber das wissen wir nicht. Wie lange es noch dauert, ob es Mutationen gibt, wann der Impfstoff kommt, das alles wissen wir nicht.


JM | Ihre Familie, Herr Mann, ist 1933 vor den Nationalsozialisten ins US-amerikanische Exil geflohen, wo Sie geboren wurden und, wie Sie schreiben, unter dem Eindruck der amerikanischen Demokratie aufwuchsen. Was verstehen Sie unter Demokratie?

FM | So wie die amerikanische Demokratie angefangen hat, nämlich als Inbegriff für Freiheit, die Autonomie des Einzelnen, aber gleichzeitig mit Verantwortung für die Gemeinschaft. Heute wird das ja von vielen Amerikanern missverstanden, indem sie sagen: Die Demokratie ist Freiheit. Aber Verantwortung für andere haben wir keine, sondern kämpfen uns mit Ellbogen den Weg frei. Das ist falsch. Es muss eine Balance geben zwischen beidem, das war auch in der Verfassung immer so: Freiheit – Gleichheit. Die deutsche Demokratie ist ein Beispiel dafür geworden, wie eine Demokratie funktioniert. Besonders wichtig ist dabei der Dialog der Menschen. Ich denke, dass Dialog der Kern der Demokratie ist, und Dialog heißt ja nicht einfach nur Verständigung im oberflächlichen Sinn, nach Paragrafen oder so. Sondern es heißt innehalten, in sich selbst hineinspüren und sich klar machen, was für ein Wertesystem habe ich eigentlich, und gleichzeitig offen sein für das Wertesystem des anderen, obwohl es vielleicht meinem widerspricht. Ein Verständnis dafür entwickeln oder es vielleicht auch nur stehen lassen, was der andere denkt, es sich nicht zu eigen machen. Es gibt da eine Formulierung, die ich in meinem neuen Buch verwende: Demokratie, auf den einfachsten Nenner gebracht, ist ein politisches Instrumentarium im Kampf für die Menschenwürde. So würde ich es formulieren, in einem Satz.

JM | Zum Abschluss noch ein paar hypothetische Fragen. Liebe Christine Mann, was würde Ihr Vater wohl zu den technologischen Entwicklungen des 21. Jahrhunderts sagen?

CM | Ich glaube, den Kopf schütteln, wofür die Quantenphysik alles verantwortlich ist.

JM | Lieber Frido Mann, was würde Thomas Mann wohl sagen, wenn er das Deutschland im Jahr 2020 erleben würde?

FM | Das ist eine interessante Frage, weil er sich das 1945 wirklich nicht vorstellen konnte. Also ich glaube, wenn ich als Fünfjähriger damals gesagt hätte: «Ach, dieses Haus (das Thomas-Mann-Haus in Pacific Palisades, L.A., Anm. d. Red.), in dem wir jetzt wohnen, wer weiß, vielleicht sind die Deutschen einmal so vernünftig, dass sogar die Regierung in achtzig Jahren dieses Haus als Friedenshaus kaufen wird gegen einen Bösewicht im amerikanischen Präsidentenamt.» Dann hätte er kopfschüttelnd gelacht und gesagt: «Du bist ein süßer Junge.» Also, so wie ich ihn einschätze, hätte er erstaunlich viel gutgeheißen in der heutigen Zeit, was er sich damals beim besten Willen nicht vorstellen konnte.

JM | Ihr Buch liest sich wie ein einziges Staunen über dieses Wunder Leben. Gibt es irgendein Phänomen, das Sie als Nächstes gerne enträtseln würden?

FM | Na ja, ich habe ein neues Buch geschrieben, beim selben Verlag. Dafür habe ich einen Ausspruch, drei Zauberwörter, herangezogen, die Thomas Mann 1938 verwendet hat. Auf einer seiner Atlantiküberfahrten nach Amerika hat er einen langen Vortrag geschrieben auf Englisch, den er bei einer großen Reise durch rund fünfzehn Städte halten wollte, der hieß The Coming Victory of Democracy. Gegen den europäischen Nazi-Faschismus. Da wollte er die Leute aufmerksam machen: Passt auf, ihr müsst aufwachen, es geht ohne Krieg wahrscheinlich nicht. In einem Interview hat er darauf angesprochen, nur gesagt: «Democracy will win». Das sind seine Zauberwörter gewesen. In München gibt es auch eine schöne gleichnamige Ausstellung. Mein Buch heißt auch so und setzt im Grunde da an, aber versucht auch der Frage auf den Grund zu gehen: Was ist Demokratie? Was gehört dazu? Die Demokratie ist ein sehr junges Gebilde, das in Amerika und England in die Jahre gekommen ist. Beide Länder sind politisch stark gefährdet, weil sie zu wenig geändert haben, was zeigt: Demokratie ist nichts, das ist, sondern das wird. Das ist sozusagen die nächste Fragestellung. Nach: «Was sind die Quanten?» kommt «Was ist die Demokratie?»


5 – thema

Freiheit, Gleichheit, BÜRGERlichkeit!

von Sebastian Hoch


Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir kooperieren und gestalten gemeinsam. Wir schließen uns zu Familien, Verbünden und Staaten zusammen und vergewissern uns unserer selbst in der Gemeinschaft mit anderen. Zugleich aber prägen Eigeninteressen unser Handeln, streben wir nach Individualität und Selbstbestimmtheit, agieren wir ichbewusst in Abgrenzung zum Gegenüber. So alt wie die Menschheit selbst ist daher wohl auch die Frage nach der Organisation des Miteinanders. Seit es uns Menschen gibt, wollen wir wissen, wie wir gemeinsam leben wollen!

Ob in nomadischen Stammesgesellschaften oder neuzeitlichen Territorialstrukturen. Ob in den antiken griechischen Stadtstaaten, den póleis, oder ganzen Kontinenten: Stets galt und gilt es, das Miteinander zu regeln, Recht wie Unrecht zu definieren, Herrschaft zuzuweisen und zu beschränken. Immer dann, wenn wir Menschen sozial interagieren, wenn wir nicht allein, sondern gemeinsam mit anderen leben, ist es für uns zwingend, zwischen Einzelwillen und kollektivem Bedürfnis abzuwägen. Braucht es den Ausgleich als die erste Form von Zivilisation. Sind wir politische Wesen.

Schon Aristoteles beschrieb vor knapp zweieinhalbtausend Jahren den Menschen als ein zoon politikon, als gleichsam soziales wie politisches Wesen. Und es waren auch die antiken Geistesgrößen, die ein bis heute gültiges Fundament an Ordnungen für unsere menschliche Gemeinschaft erdachten, beschrieben und praktisch umsetzten.

Eine der damals ersonnenen Ideen für das gute Zusammenleben von Menschen sticht dabei auf besondere Weise hervor und ist als Grundlage unserer europäischen Gesellschaft so philosophisch faszinierend wie kulturell und ökonomisch erfolgreich. Gleichzeitig aber ist sie die wohl verletzlichste aller ordnenden Staatsformen.

Demokratie als die souveräne Volksherrschaft all jener Menschen, die zusammen als demos ein politisches Gemeinwesen bilden (in linguistisch bewusster Abgrenzung zu einem ethnos, der Volkszugehörigkeit aufgrund von Sprache und Kultur), setzt nämlich als Ideal unbedingt das voraus, was sie anfänglich nur wenigen, heute aber vielen bietet: die größtmögliche Freiheit jedes einzelnen Menschen! Und damit auch die Freiheit, anders zu sein.

Demokratie – soll dieser verlockende Anspruch gelingen – bedarf aber genauso unabdingbar jenes handelnden Individuums, welches die europäischen Aufklärer um Rousseau und Kant als citoyen, den politisch emanzipierten, aktiven Staats­bürger bezeichneten. Als ideeller Träger der grenzenlos gültigen Werte der französischen Revolution von 1789 ist es eben dieser citoyen, der die Demokratie als zivilisierteste Form menschlicher Gemeinschaft erst ermöglicht. Sie aber ist die ent­scheidende Voraussetzung für Freiheit, Gleichheit und Solidarität.

Wir alle sind soziale Wesen, weil wir miteinander handelnde Subjekte sind, gegen­seitig in Beziehung stehen. Wir alle sind politische Wesen, weil wir abwägen, uns Bündnisse suchen. Doch verhalten wir uns meist zweckrational im Streben nach individueller Freiheit. Diese Freiheit aber ist ohne ausgleichende Gleichheit nur begrenzt und für wenige verfügbar. Umgekehrt wiederum ist es die Gleichheit der vielen, die der Freiheit des Einzelnen den Rahmen setzt. Das kooperierende Ringen um das gute Maß, um die vernünftige Form, in der wir zusammen leben wollen, jedoch ist ohne eine aktive Bürgerlichkeit schlechterdings unmöglich. Wie aber wird man zum aktiv handelnden Staatsbürger? Wodurch die Bürgerin zur citoyenne?

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