Kitabı oku: «Besser wird's nicht»

Yazı tipi:

Anja Lerz/Susanne Hübscher (Hrsg.)

BESSER WIRD’S

NICHT!

Ein charmanter Angriff

auf den

weiblichen Optimierungswahn


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

1. Digitale Auflage 2012 Zeilenwert GmbH

ISBN 9783865064165

© 2010 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers

Titelfoto: shutterstock

Satz: Satzstudio Winkens, Wegberg

www.brendow-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Bianka Bleier Zeit der Erlaubnisse

Karin Ackermann-Stoletzky Der undressierte Hund

Jutta Wilbertz Was sind wir wieder gesund

Marlis Büsching Rollern, Woggen, Aquajoggen – was will ich, und wenn ja, warum?

Mimi Messner Willkommen in der Wohlfühlhölle

Annekatrin Warnke Die Wahrheit über König Blaubart

Nicole Vogel Die Urzeitlüge

Annekatrin Warnke Oskar macht sich trübe Gedanken

Saskia Barthelmeß Die wunderbare Welt der Wonneproppen

Jutta Wilbertz Perfekt für den Job

Ines Emptmeyer Ich will so bleiben, wie ich bin

Tamara Hinz Frommer wird’s nicht

Bridget Plass Die vollkommene christliche Frau

Hannelore Schnapp Die Herrin der Ringe

Monika Blankenberg Altern ist nichts für Feiglinge

Julia Pfläging Anmut und Liebreiz

Karoline Cook Dieser Text ist auf keinen Fall und auch nicht das kleinste bisschen autobiografisch

Zeit der Erlaubnisse

Bianka Bleier

Nachdem ich einen Miesepeterartikel darüber gelesen habe, dass Rotwein selbst in homöopathischen Dosen genossen die Krebswahrscheinlichkeit deutlich mehr erhöht als das Herzkreislaufrisiko senkt, vergeht mir irgendwie die Lust am Leben. Ist denn alles lebensgefährlich, was Spaß macht? In der einen Woche lese ich, dass Leitungswasser allemal gesünder sei als Mineralwasser mit Kohlensäure (wer will sich denn freiwillig übersäuern?). In der nächsten Woche vernehme ich die Mahnung, dass man sich schon gut überlegen solle, welchen Leitungen man Vertrauen schenke. Die Samstagsbeilage der Zeitung appelliert, meine regelmäßige Beckenbodengymnastik nicht zu vergessen, falls ich nicht die Senkung sämtlicher innerer Organe riskieren wolle. Überall lauern Aufforderungen, die richtigen Dinge richtig zu machen: Nehme ich auch genügend Calcium zu mir, um Osteoporose vorzubeugen? Bewege ich mich genügend, um doppelten und dreifachen Bandscheibenvorfällen vorzubeugen? Heute schon an Bauchgymnastik gedacht? An Sonnenschutz? Fünf rote oder grüne Mahlzeiten zu mir genommen? Den Verzehr von Schweinefleisch unterlassen? Habe ich bereits eine Zahnzusatzversicherung, oder bin ich insgesamt bedrohlich unterversichert? Und wann habe ich zum letzten Mal Zahnseide benutzt? Überhaupt – wende ich die korrekte Zahnreinigungstechnik an, mit dreißigprozentigem Neigungswinkel der Zahnbürste, um Parodontose vorzubeugen? Und bietet es sich da nicht geradezu an, das dreimal tägliche Zähneputzen mit kleinen, aber effektiven Gymnastikübungen zur Stabilisierung der Beinmuskulatur und Förderung des Gleichgewichtssinns zu verbinden?

Überhaupt: Wie sieht es aus mit meinem Essverhalten? Achte ich darauf, raffinierten Zucker zu vermeiden und stattdessen frisch gemahlenes Vollkornmehl zu verwenden? Koche ich energiesparend und vitaminschonend? Und ist mir stets bewusst, dass ich ab 16 Uhr keine Kohlehydrate mehr zu mir nehmen sollte? Diese Woche schon an Ausdauersport und Krafttraining gedacht? Man soll jetzt Aprikosen und Himbeeren essen, um Krebserkrankungen wirksam vorzubeugen – ferne Länder, die sich so ernähren, sind jedenfalls krebsfrei. Mein Gewissen klagt mich zusätzlich an. Wer für artgerechte Tierhaltung ist, sollte so gut wie nie Fleisch essen, und wenn, vom Biometzger, oder noch besser, direkt vom Erzeuger. Allmählich werde ich noch schizophren. Beim Streifen durch den Supermarkt jedenfalls höre ich schon Stimmen. »Tu dies, lass jenes, pass bloß auf, Lebensgefahr, Vorsicht Falle …«

Und all die Auflagen und Gebote, die in Bezug auf unsere Kinder auf uns einstürmen. Die sich ständig wandelnden Erziehungsrichtlinien, all die geistigen, geistlichen und körperlichen Fördermaßnahmen, die aus ihnen erst rechte Erwachsene werden lassen, aber unseren Kindern unbeschwerte Kindheitszeit rauben und uns unbeschwerte Zeit mit ihnen.

Ich bin in der »Um-zu«-Abteilung des Lebens gelandet – um zu überleben, um gesund und schön zu bleiben, jung auszusehen, keine Fehler zu machen, ist es nötig, zu …

Beliebte »Musts« der Dieszeit lauten:

Du sollst keine Falten haben!

Du sollst graue Haare verstecken!

Du sollst selbstbewusst und schlank sein!

Du sollst Ausstrahlung haben, aufrecht sitzen, positiv denken!

Du sollst dein Leben neu erfinden, am besten gleich dich selbst!

Du sollst den Tag nutzen, deine Stunden einteilen, kaufe die Zeit aus!

Du sollst stark und fröhlich sein! Tapfer und mutig!

Du sollst genügend Vitamine zu dir nehmen!

Genau wie rechtsdrehende Joghurtkulturen. Antioxidantien. Omega-3-Fettsäuren. Und Folsäure, Selen …

Ich bin das geborene Opfer der Ratgeberreligion. Was geschrieben steht in Zeitschriften und Büchern, nehme ich schwarz auf weiß. Nur: Nach der Lektüre vieler gut meinender Ratschläge geht es mir oft schlechter als vorher. Du brauchst dies und du brauchst jenes, du sollst dies und du sollst jenes … gerade ging es mir eigentlich ganz gut und nun – Ängste, Bedürfnisse, Unzufriedenheit, Druck …

Manches in der Ratgeberszene ist ja auch gar nicht verkehrt. Ich habe kompetente Ratgeber schätzen gelernt, etwa zu Themen wie Partnerschaft, Erziehung von Kind und Hund, Ernährung, Lebensmitte, Älterwerden, Reisen, Gemüseanbau, Saunieren, Exceldateien erstellen und meinetwegen auch Farb- und Stilfragen. Wenn ich vor einem neuen Lebensabschnitt stehe, neige ich dazu, mich vorab zu informieren, und bin dankbar, wenn ich an den Erfahrungen Dritter teilhaben darf, die mich ermutigen und befähigen. Aber ich will selbst entscheiden, wann ich mir Rat hole, wofür und wo. Ich will mich nicht mehr ungefragt von Ratschlägen erschlagen lassen.

Gesundheits-, Schönheits- und Jugendwahn sind Lebenslügen, Suchtmittel, Götzen. Warum nur will ich mit aller Macht mein Leben verlängern? Steckt dahinter Kleinglaube? Der Zweifel daran, ob jenes noch unsichtbare, aber ewige Leben wirklich besser ist als dieses sichtbare, aber endliche? Unendlich, und unendlich viel schöner? Nagt die alte Frage der Schlange an der Seele: Sollte Gott wirklich gesagt haben … Dann nehme ich lieber mit dem Spatz in der Hand vorlieb. Und während ich mein Denken und Tun ausrichte auf all die Richtigkeiten, die andere mir vorschreiben, verhalte ich mich wieder wie zu der Zeit, als ich noch nicht an Gott glaubte und Alles-richtig-Machen eine Art Ersatzreligion war.

Schlimmer noch als mein Kleinglaube ist mein privater Größenwahn: Beim Versuch, alles richtig zu machen, verfalle ich der Illusion des Machbarkeitsdenkens. Wer viel investiert, hat mehr Spatzen in der Hand. Aus Angst vor Krankheit und Tod beuge ich mich der Diktatur des Sollens – und mache damit mein Leben zu einer Krankheit. In Wirklichkeit kommt alles aus Gottes Hand, Spatzen und Tauben. So oft versuche ich, mein Leben zu meistern, und vergesse, dass es einen Meister gibt, der versprochen hat, meine Lasten zu tragen und mir Frieden zu schenken. Jesus kam, um uns frei zu machen von Sklaverei und Angst. Dietrich Bonhoeffer schrieb: »Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens, nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend empfangen.«

Eine Welle von fröhlich aussehenden Motivationsbüchern voller Kapitel angeblich leicht nachahmbarer Heilsversprechungen strömt über uns hinweg. Seltsamerweise sind all diese propagierten Gewohnheiten, von denen ich glaube, dass ich sie haben sollte, elendig schwer einzuhalten. Sie erfordern jede Menge eisernen Willen. In der ratgebertechnisch sehr interessanten Phase der Lebensmitte angekommen, bin ich es aber allmählich satt, ständig meine innere Schweinehündin zu bekämpfen. Ich mag nicht mehr überwinden und besiegen. Ich will keinen Kampfplatz mehr aus meinem Leben machen. Wie sollte auch der Kampf gegen ein Tier, das ursprünglich als »Hund für die Saujagd« eingesetzt wurde, Spaß machen. Oder gar Freude … Gar nicht! Es ist ein mühsamer Alltagskleinkrieg ohne Aussicht auf Erfolg. Ich bin jedenfalls nicht sehr weit gekommen in all den Jahren des von den Medien angefeuerten Kampfes. Das Einzige, was ich erlebe ist, dass mein Istzustand dazu neigt, unter all den erkannten Sollzuständen zu bleiben.

Ich will gar nicht mehr ständig kämpfen müssen. Ich will auch sein dürfen. Ich will nicht einen Feldzug nach dem anderen führen, ich will die Waffen strecken, die Durchhalteparolen in den Wind schlagen. Ich hänge die weiße Fahne vor mein Fenster, rauche die Friedenspfeife mit mir selbst – obwohl Rauchen ungesund ist – und beschließe: Ich will mein Leben nicht mehr verlängern, ich will es vertiefen. Und: genießen. Trotz vieler trauriger Momente gibt es so viele Dinge, die einfach nur genossen werden wollen, nicht erkämpft.

Ich rufe ein neues Zeitalter aus: Die Zeit der Erlaubnisse! Ich sollte … ich sollte nicht … ich sollte … ich sollte nicht! Wenn ich als Kind glaubte, meiner Mutter befehlen zu können, was sie tun müsse, war ihre Standardantwort: »Gar nichts muss ich, nur sterben!« Und darin steckt nun wirklich ein Funke Wahrheit.

Eine echte Entscheidung findet in Zusammenarbeit von Herz und Kopf statt und hat Signalwirkung. Wie ein Netz, das man auswirft, fängt sich darin vieles ein, womit man nicht gerechnet hat. Ich beschließe: Wenn ich schon mit einer inneren Schweinehündin »gesegnet« bin, dann will ich sie nutzen und auf mein Machbarkeitsdenken ansetzen. Sobald ich ihm wieder auf die Spur komme, werde ich rufen: »Fass! Beiß!« und dann der Schweinehündin befehlen, es zu vertreiben. Ich will umdenken, dieses alte »Um-zu«-Denken abschütteln wie Staub von den Füßen, will rausschlüpfen aus diesem Denksystem wie eine Raupe aus zu enger Haut. Ich will leben, und zwar selbst!

An meiner Tür hängt ein Plakat. Darauf guckt mich sehr gelassen eine sehr alte Astrid Lindgren mit sehr vielen, sehr sympathischen Falten an und sagt: »Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.« Ha! Ich spüre einen Anfall gesunden Trotzes und schreibe mit dickem Stift weitere Du-darfst-Botschaften von Astrid Lindgren darunter: »Es gibt kein Verbot für alte Weiber, auf Bäume zu klettern!« »Die Welt ist voll von Sachen, und es ist wirklich nötig, dass sie jemand findet.« »Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen.« Jawohl! Ich darf, kann und will!

Ich darf schwach sein und jammern!

Ich darf traurig sein und weinen!

Ich darf glücklich sein und auffällig laut lachen!

Ich darf tiefsinnig und leichtsinnig sein!

Ich darf Fehler machen und zu ihnen stehen.

Ich darf mich entspannen, mich zurückziehen, Nein denken und sagen.

Mein Körper darf sich verändern, altern, sterblich sein.

Ich darf begrenzt statt vollkommen sein.

Ich brauche mein Leben nicht durchzustrukturieren wie einen Betrieb, der perfekt funktionieren muss.

Ich will mich nicht fürchten.

Ich will meine Geborgenheit nicht im Machbarkeitswahn suchen, sondern im Vertrauen auf Gott, der mich liebt und mir Gutes gönnt.

Ich will meine Zeit genießen alle guten Tage meines Lebens lang.

Im Genuss der ungeschützten Sommerfrische eines Altweibersommers will ich, dass mir wunderschöne Lachfalten gedeihen!

Meinen Kindern wollte ich immer ein Bullerbü-Leben ermöglichen. Für sie ist es mir weitgehend gelungen, mich von der Diktatur des Sollens fernzuhalten. Ich erinnere mich an Vorgaben meiner Krabbelgruppenfreundinnen: Johannes soll Trompete lernen, um seine Koordinationsfähigkeiten anzuregen. In Tobias’ Zimmer hängt ein teures Klangspiel, um sein Kleinhirn zu stimulieren. Sandra geht noch vor dem Kindergarten zur musikalischen Früherziehung, zur Kunstmusikschule für Bambini, zum Früh-Sport, um ihr musikalisch/künstlerisch/sportliches Talent zu fördern …

Bei den Kindern habe ich es glücklicherweise geschafft. Mein Schutz war meine Liebe zu ihnen, und schon damals waren die Gedanken von Astrid Lindgren ein guter Leitfaden fürs Leben. Bullerbü war ein starkes Bild, das sich durch all die herrlichen Kinderbücher in mir festgeschrieben hatte. So sollten sie leben dürfen, wenigstens als Kinder, frisch, fromm, fröhlich und frei. Heute sind sie erwachsen und weder musikalische noch künstlerische oder sportliche Überflieger, aber sie haben die Gabe, ihr Leben zu genießen, sich an Kleinem zu freuen, liebevoll mit sich, alten und behinderten Menschen umzugehen, sich sowohl in andere einzufühlen als auch sich gesund abzugrenzen und zu staunen über Gottes Schöpfung.

Als unsere Mittlere einige Monate in Australien verbrachte und sich erkältet hatte, erlebte sie, wie sie von der Familie, wo sie gerade arbeitete und wohnte, verwöhnt wurde: Sie hatten im Freien eine Badewanne aus Holz. Darunter, in angemessenem Abstand, war eine Feuerstelle mit glühenden Kohlen. Nie wird sie die Nacht vergessen, als sie unter dem blankesten Sternenhimmel, den sie je gesehen hatte, mitten im Regenwald auf einem Berg im Garten dieser Farm im Freien in der Holzbadewanne voller Milch, Honig und Regenwasser lag, den Geräuschen im Urwald lauschte, in den Himmel blickte und hinunter ins Tal.

Ich sehe alte Fotos von meiner Oma an, erinnere mich lächelnd an ihren ruhigen Glauben, ihre unkomplizierte Kittelschürzenschönheit, ihre leiderprobte Gelassenheit sowohl dem Leben als auch dem Sterben gegenüber. Für mich wird es Zeit, wieder auf Bäume zu klettern.

Es geht darum, öfter mal die Feste des Lebens zu feiern, statt Leben zu planen und vorherzusehen. Statt alles noch perfekter zu machen, arbeite ich daran, meine Wut wiederzuentdecken, mir das Jammern und Faulenzen zu erlauben, Früchte der Lebensmitte. Vielleicht brauchte es bei mir so viele Jahre, um zu dieser Erlaubnis durchzubrechen. Mein einziger Rat in einem Kapitel eines Antiratgebers kann nur lauten: Wenn eine Abkürzung in Sicht ist, bitte nehmen!

Und dann ist es auch sehr sinnvoll, auf den großen Ratgeber zu hören, den Besitzer von Weisheit und Allmacht. In der Talkrunde der Ratgeber erlebt man hier einen erfrischenden Gegen-Ton, einen befreienden Widerspruch:

Dann sagte Jesus zu allen: »Gebt acht! Hütet euch vor jeder Art von Habgier! Denn der Mensch gewinnt sein Leben nicht aus seinem Besitz, auch wenn der noch so groß ist.« Jesus erzählte ihnen dazu eine Geschichte: »Ein reicher Grundbesitzer hatte eine besonders gute Ernte gehabt. Was soll ich jetzt tun?, überlegte er. Ich weiß gar nicht, wo ich das alles unterbringen soll! Ich hab’s, sagte er, ich reiße meine Scheunen ab und baue größere! Dann kann ich das ganze Getreide und alle meine Vorräte dort unterbringen und kann zu mir selbst sagen: Gut gemacht! Jetzt bist du auf viele Jahre versorgt. Gönne dir Ruhe, iss und trink nach Herzenslust und genieße das Leben! Aber Gott sagte zu ihm: Du Narr, noch in dieser Nacht werde ich dein Leben von dir zurückfordern! Wem gehört dann dein Besitz?« Und Jesus schloss: »So steht es mit allen, die für sich selber Besitz aufhäufen, aber bei Gott nichts besitzen.«

Dann sagte Jesus zu seinen Jüngern, den Männern und Frauen: »Darum sage ich euch: Macht euch keine Sorgen um euer Leben, ob ihr etwas zu essen habt, und um euren Leib, ob ihr etwas anzuziehen habt! Das Leben ist mehr als Essen und Trinken, und der Leib ist mehr als die Kleidung! Seht euch die Raben an! Sie säen nicht und ernten nicht, sie haben weder Scheune noch Vorratskammer. Aber Gott sorgt für sie. Und ihr seid ihm doch viel mehr wert als die Vögel! Wer von euch kann durch Sorgen sein Leben auch nur um einen Tag verlängern? Wenn ihr nicht einmal so eine Kleinigkeit zustande bringt, warum quält ihr euch dann mit Sorgen um all die anderen Dinge? Seht euch die Blumen auf den Feldern an, wie sie wachsen! Sie arbeiten nicht und machen sich keine Kleider, doch ich sage euch: Nicht einmal Salomo bei all seinem Reichtum war so prächtig gekleidet wie irgendeine von ihnen. Wenn Gott sogar die Feldblumen so ausstattet, die heute blühen und morgen verbrannt werden, dann wird er sich erst recht um euch kümmern. Habt doch mehr Vertrauen! Zerbrecht euch also nicht den Kopf darüber, was ihr essen und trinken werdet. Mit all dem plagen sich Menschen, die Gott nicht kennen. Euer Vater weiß, was ihr braucht. Sorgt euch nur darum, dass ihr euch seiner Herrschaft unterstellt, dann wird er euch schon mit dem anderen versorgen. Sei ohne Angst, du kleine Herde! Euer Vater ist entschlossen, euch seine neue Welt zu schenken!« (Lukas 12, 15f.).


Bianka Bleier, gelernte Bibliothekarin und Familienfrau, begann mit 34 Jahren zu schreiben. Sie ist Buchautorin und freie Mitarbeiterin der Zeitschriften family und JOYCE.

Der undressierte Hund

Karin Ackermann-Stoletzky

Es gibt Menschen, die mich immer wieder in Erstaunen versetzen: Sie sind gut organisiert, handeln konsequent und schaffen es irgendwie, ihr Leben im Griff zu haben. Wir gehören nicht dazu, mein Mann und ich, obwohl wir es wirklich immer wieder versuchen. Beispiele dafür gibt es viele. Als wir etwa unseren Hund Kalle bekamen, da bemühten wir uns, alles richtig zu machen: Wir gingen mit ihm in die Welpenspielstunde (o.k., nicht lange, aber immerhin fünf Mal), übten mit ihm »Sitz!« und »Platz!«, und er durfte nicht aufs Bett (weil das für die Hundepsyche nicht gut ist, die Viecher meinen dann sofort, sie wären auch ein Mensch). Ich las sogar einen Ratgeber für Hundebesitzer, in dem ein Tierpsychologe erklärte, worauf zu achten ist, und mein Mann und ich sahen uns jeden »Tiernanny-Ratgeber« im Fernsehen an. Besonders wichtig: Der Hund muss seinen Platz im Rudel genau kennen, und es muss konsequent mit ihm gearbeitet werden. Bei dem Wort »konsequent« hätte ich das Buch eigentlich schon beiseitelegen und das Fernsehgerät ausschalten können, aber mein Hundemutterherz ließ mich hoffen, dass ich es diesmal schaffe, das mit dem Konsequentbleiben …

Das ist eben mein großes Handicap: Ich bin in viel zu vielen Situationen viel zu inkonsequent. In manchen Bereichen klappt es ja wunderbar, zum Beispiel halte ich meine Pommes-Sahnetortendiät schon seit Jahren konsequent durch, bin konsequent unordentlich und schusselig und werde ebenso konsequent immer erst auf den letzten Drücker mit allem fertig. Ich habe mit meinem inneren Schweinehund schon genug zu tun – und eigentlich war ja klar, dass die Idee mit der konsequenten Außenhunderziehung nur klappen würde, wenn der Innenhund vorher bei Fuß geht. Trotzdem, ich war wild entschlossen.

Jetzt, drei Jahre später, ist Kalle ein lebendiger, fröhlicher, kuscheliger, kluger, witziger, katzenfreundlicher Wachspitz, der natürlich jede Nacht mit uns im Bett schläft (ich fand es irgendwann schwer, ihm zu erklären, dass die Katzen im Bett schlafen dürfen und er nicht – und ja, ich weiß, dass es irrational ist, einem Hund etwas erklären zu wollen!). Sobald es an der Tür klingelt, macht er mehr Krach als die beste Alarmanlage, im Auto macht er einen Riesenlärm, wenn er draußen andere Hunde sieht, die ohne ihn zu fragen seine Bürgersteige benutzen, und er mag keine Kinder, die kläfft er auch an. Zur Begrüßung springt er gerne mal an Leuten hoch, was man als Hund nicht darf (gut, als Mensch auch nicht …). Aber immerhin kommt er sofort, wenn er gerufen wird, egal, wie weit er vorausgerannt sein mag, lässt sich jeden Knochen aus dem Maul nehmen, kuschelt mit unseren Katzen, macht »Sitz!« und »Platz!« – und er kann grinsen wie ein Mensch.

Seit wir Kalle haben, verstehe ich alle Eltern, die peinlich berührt zur Seite sehen, wenn ihre Kinder sich in der Öffentlichkeit schlecht benehmen, und dann so tun, als hätten sie nichts bemerkt. Die Konfrontation mit den eigenen Erzieherdefiziten ist nicht leicht, und die vorwurfsvollen Blicke der Mitmenschen sind nicht eben angenehm. Wenn Kalle und ich unterwegs sind, er begeistert andere Hunde anbellt und Passanten vorwurfsvoll ihr Haupt schütteln, reagiere ich nicht klar und konsequent, sondern versuche oft, ihn mit unterdrückter Stimme halb flüsternd zur Ruhe zu rufen, weil es mir peinlich ist, dass mein Hund sich nicht benehmen kann. Was Kalle wahrscheinlich eher als halbe Bestätigung auffasst.

Manchmal lege ich mich mit den Hundekritikern der Umgebung auch an. Vor einiger Zeit hatte ich einen heftigen Disput mit einem Mitarbeiter der Müllabfuhr, der laut schreiend forderte, solche lauten Tölen sollte man totschlagen. Ich schrie zurück, er müsste doch als Erster Verständnis für das Mitteilungsbedürfnis meines Hundes haben, er könnte anscheinend ja auch nicht die Klappe halten. Seine Kollegen lachten und hielten ihn dann fest, als er hinter uns herrennen wollte, und Kalle und ich bogen schnell um die nächste Ecke (wobei Kalle eindeutig wieder mal grinste).

Er ist also von mir nicht ruhigzustellen, und das kann ganz schön nerven. Aber wenn er einmal pro Woche mit Benno unterwegs ist, bin ich ganz die stolze Hundebesitzerin. Benno ist »Dogwalker« und geht täglich mit bis zu acht Hunden gleichzeitig spazieren, vier Stunden Rudelwanderung. Ich weiß nicht genau, wie er das hinbekommt, aber keiner seiner Kunden tanzt aus der Reihe. Auch Kalle trabt zwischen all den großen Hunden ohne Angst und ohne Kläfferei mit fröhlich wedelndem Schwanz durch Solingen und ist ein Vorbild für jeden Spitz: Brav, ruhig, gehorsam … Er kann also, wenn er muss, der Hund!

Eines Tages bereitete ich mich auf ein Seminar für Mitarbeiter in der Behindertenhilfe vor. Es sollte um »Ressourcenorientierung« gehen, also darum, nicht ständig zu versuchen, die Schwachstellen im Leben auszugleichen, sondern Stärken, Möglichkeiten und Hilfsmittel zu entdecken. Als ich so nebenbei wieder mal mit meinen Hundeerziehungsdefiziten haderte, hatte ich plötzlich die Idee, diesen Grundsatz auch auf Kalle und mich anzuwenden: Was kann ich gut, was kann Kalle gut und worauf reagiert er am besten? Wie haben wir ihm zum Beispiel »Sitz!« und »Platz!« beigebracht, warum kommt er, wenn wir rufen? Die Antwort lautet: Kalle liebt Käse, und Kalle liebt uns! Für Käse macht er fast alles, und wie die meisten Hunde ist er echt begeistert, wenn wir uns über ihn freuen. Und wenn ich nicht warte, bis er richtig in Kläfflaune kommt, sondern versuche, ihn vorher käsetechnisch auf mich zu fixieren, vielleicht …

Manchmal haut es hin, eigentlich sogar immer öfter. Ein gut dressierter Hund ist Kalle aber immer noch nicht, und leider liegt das weniger an ihm als an mir. Obwohl: Mit der Methode, auch in der Schweinehunddressur meine Stärken zu nutzen, statt mich auf meine Schwächen zu konzentrieren, gibt es doch den einen oder anderen Erfolg. »Das Gute, das ich tun will, tue ich nicht, das Böse, das ich nicht tun will, tue ich – nun aber ist dies weit überwunden in Jesus Christus, meinem Herrn!« Das ist eigentlich gar keine schlechte Richtschnur für den Umgang mit inneren Schweinehunden.

Erwarten Sie von mir trotzdem keine Ratgeber zum Thema Hundeerziehung oder Konsequenz. Aber zum Thema »Unangenehm auffallen und trotzdem gut drauf« können Sie auf mich zählen.


Karin Ackermann-Stoletzky lebt mit ihrem Mann, dem Journalisten Cyrill Stoletzky, in Solingen. Sie arbeitet als Supervisorin, Trainerin, Referentin und betreibt eine Praxis in Solingen. www.praxis-intakt.de

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