Kitabı oku: «Beziehungen in der Kindheit»

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Catherine Walter-Laager, Manfred Pfiffner, Karin Fasseing Heim (Hrsg.)

Beziehungen in der Kindheit

Soziales Lernen in frühpädagogischen Einrichtungen verstehen und unterstützen

Erste Bildungsjahre, Band 2

ISBN Print: 978-3-0355-0746-1

ISBN E-Book: 978-3-0355-0747-8

1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 hep verlag ag, Bern

http://www.hep-verlag.com

Vorwort

VORWORT

In den letzten Jahren hat sich ein bedeutsamer sozialer Wandel im Hinblick auf die Lebensbedingungen in der frühen Kindheit durchgesetzt. Das Modell des Aufwachsens von kleinen Kindern im exklusiven Bereich der eigenen Familie, wie es im Rahmen der Geschichte der Kindheit ab und zu idealisiert worden ist, wurde in der gelebten Wirklichkeit um vielfältige familienexterne Betreuungsangebote wie Kindertagesstätten und Spielgruppen erweitert.

Solche institutionellen Entwicklungen, die sich aus der engen Verzahnung von Erwerbs- und Familienleben und dem damit verbundenen Wandel der familiären Formen ergeben, können Stoff für bildungs- und sozialpolitische Polemiken oder gar kulturpessimistische Deutungen zur Gesellschaft als Ganzem abgeben. Ein Beispiel dafür sind die unter dem Titel »The War over the Family« (vgl. Berger & Berger 1987) bekannt gewordenen Auseinandersetzungen in den 1980er-Jahren in den USA. Dabei ging es darum, auf einer vom damaligen Präsidenten Carter einberufenen Konferenz familienstärkende Programme zu entwerfen. Doch die versammelten Expertinnen und Experten konnten sich noch nicht einmal auf einen Familienbegriff einigen, und demzufolge musste auch die Förderung ausbleiben.

Derartige Entwicklungen können aber auch dazu führen, dass sich die Bildungswissenschaften mit den gewandelten Bedingungen des Aufwachsens von Kindern beschäftigen und dabei – wie das die vorliegende Schrift exemplarisch vorführt – grundsätzliche Fragen des Lernens in frühpädagogischen Einrichtungen professionell aufgreifen und thematisieren. Diese Form der Auseinandersetzung mit der Lebenswelt der Kinder ist für alle jene interessant und bedeutsam, die in irgendeiner Form beruflich mit Kindern zu tun haben. Ich denke hier natürlich in erster Linie an das Personal von frühpädagogischen Einrichtungen, in denen kleine Kinder betreut werden. Aber nicht nur. Denn die Grundthese des Buches, wonach Lernen als eine soziale und eben nicht primär als eine individuelle Angelegenheit zu verstehen sei, richtet sich auch an alle, denen es ein Anliegen ist, dass sich Kinder ganz allgemein als gesellschaftliche Wesen erfreulich entwickeln können. Und damit wird auch der Gegenstand dieses Buches in seiner normativen Dimension erkennbar und in seiner theoretischen Anlage verortet.

Es geht darum zu verstehen, wie, soziologisch gesprochen, der Übergang von der primären zur sekundären Sozialisation sinnvoll und für die kleinen Menschen als Gesellschaftsmitglieder nützlich und ertragreich gestaltet werden kann. Dies ist keineswegs eine triviale oder gar selbstläufig geschehende Sache. Denn die primäre Einweisung in die gesellschaftlichen Dinge im Rahmen der Familie geht immer auch mit einer starken, exklusiven emotionalen Bindung einher, die lebenslänglich als Eltern-Kind-Beziehung bestehen bleibt. Als das erste gelernte Modell der sozialen Beziehung zu anderen Menschen wirkt es als ein Wirklichkeitsgenerator mit überwältigender Kraft auf alle Beteiligten ein. Und diese enorme Kraft muss in den frühpädagogischen Einrichtungen dahin gehend weiterbearbeitet und entwickelt werden, dass aus den Eltern als erste signifikante Andere, die Figuren des generalisierten Gegenübers in der Form von Lehrpersonen, Peers usw. entstehen können. Dieser Lernprozess, der zweifellos als eine Art der Erweiterung von Welt verstanden werden kann, geschieht in komplexen Beziehungsgeflechten mit Gleichaltrigen und Erwachsenen gleichermaßen. Und der Prozess bleibt im Grunde für das Subjekt eine lebenslange Aufgabe und Herausforderung, die aber in der frühen Kindheit beginnt und dort demzufolge richtig eingeleitet werden sollte.

Manfred Pfiffner und Catherine Walter-Laager beschäftigen sich deshalb im ersten Text des Buches ganz grundsätzlich mit dem Menschen als einem sozialen Wesen. Sie thematisieren dazu vielschichtige Bindungstypen, die Rolle persönlicher Beziehungen und der Beziehungsgestaltung über verschiedene Lebensaltersabschnitte von Kindern hinweg und begründen, weshalb und wie selbstbestimmte Aktivitäten dabei relevant sind und wie solches Tun von den Lehrpersonen gefördert werden kann. Susanne Grassmann vertieft im anschließenden Beitrag dazu einen zentralen Typus des sozialen Lernens, die Nachahmung. Sie zeigt dabei den Zusammenhang von Handlung, Nachahmung und sozialer Rolle auf und verweist auf die Bedeutung dieses Lerngeflechts für die Genese des kompetent handelnden Kindes. Ein damit eng verbundenes Thema, das für alle Kinder von allergrößter persönlicher Bedeutung ist, bearbeitet Jasmin Luthardt im Beitrag über Freundschaft im Kindesalter und deren sozial-emotionale Wirkung. Es wird gezeigt, wie sich Freundschaftsverhältnisse über die Altersspanne ausdifferenzieren, wie diese im pädagogischen Alltag von den Professionellen wahrgenommen werden und wie die sozial-emotionale Entwicklung der Kinder gefördert werden kann. Komplementär dazu steht im darauf folgenden Beitrag von Catherine Walter-Laager und Carmen Plautz die Thematisierung des mindestens so bedeutsamen Streits unter Kindern. Streit kann ja nie aus sozialen Beziehungen ganz wegbedungen werden und sollte – soweit das natürlich überhaupt möglich ist – auch gelehrt und gelernt werden. Diese Überlegungen münden in die Frage von Karin Fasseing Heim, wieweit Regelstrukturen im Kindergarten für das Zusammenleben nützlich und sinnvoll sind. Sie zeigt, in welchem schulpädagogischen Kontext das Thema situiert ist, wie die Perspektive pädagogischer Antinomien zu einem anderen Verständnis von Regelhaftigkeit beiträgt, und nimmt interessante Bezüge zum sozialen Lernen der Kinder und der UN-Konvention über die Rechte des Kindes auf. Eine relevante Reflexion, wenn wir an die vielfältigen zu lernenden Regelsysteme für die Kinder in solchen Einrichtungen denken. Die daran anschließenden Ausführungen von Nathalie Portmann, in denen die sozialen Aspekte des Lernens theaterpädagogisch dargelegt und entwickelt werden, geben Hinweise auf die Möglichkeiten eines konstruktiven Miteinanders und belegen Funktion, Bedeutung und Wert von sozialen Gruppen. Nach so viel Beziehungs-, Regelungs- und Integrationswissen stellt Ariane Gernhardt das Buch beschließend die folgerichtige und m. E. wichtige Frage nach dem Verhältnis von individueller Freiheit und dem Drang zur Anpassung vor dem Hintergrund einer kulturell vielfältigen Gesellschaft. Eine Frage, auf die es selbstverständlich keine einfache und abschließende Antwort gibt und die deshalb auch exemplarisch am Beispiel einer Kindertagesstätte bearbeitet wird.

Zusammengenommen verhelfen die Beiträge zu einer anregenden Einsicht in professionelles Wissen zu sozialem Lernen in frühpädagogischen Einrichtungen. Die Texte verdienen es sicher, von der einschlägigen Fachöffentlichkeit zur Kenntnis genommen zu werden, und können darüber hinaus auch allen anderen nützlich sein, die sich mit der praktischen Gestaltung von frühkindlichen Lebensverhältnissen beschäftigen und dabei auf gehaltvolles Wissen dazu zurückgreifen wollen.

Prof. Dr. Christoph Maeder, Zürich

LITERATUR

Berger, B. & Berger, P. L. (1987): In Verteidigung der bürgerlichen Familie. Frankfurt am Main: Fischer (amerik. Original: The War over the Family; Capturing the Middle Ground. Anchor Press/Doubleday: New York).

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

Zwischenmenschliche Beziehungen … sind von Geburt an lebenswichtig Manfred Pfiffner & Catherine Walter-Laager

1 Einleitung

2 Der Mensch als soziales Wesen

3 Soziale Beziehung

4 Bindung und Bindungsqualität

4.1 Herausgehobene Stellung der Bindung bei Säuglingen und Kleinkindern

4.2 Beziehungen bei Kindergartenkindern

5 Auswirkungen der sozialen Beziehungen im institutionellen Kontext

6 Beziehung als Grundlage für eine gute Potenzialentfaltung

7 Einbezug der Beziehungsgestaltung in den Unterrichtsalltag

7.1 Förderung der sozialen Beziehung bei selbstbestimmten Aktivitäten und deren Unterstützung durch die Lehrperson (Bausteine A und B)

7.2 Förderung der sozialen Beziehung bei geführten Aktivitäten und deren Unterstützung durch die Lehrperson (Bausteine C und D)

8 Fazit

Warum wir nicht mehr wie die Affen auf den Bäumen sitzen: Die Wichtigkeit des Nachahmungslernens in der frühkindlichen Entwicklung Susanne Grassmann

1 Einleitung

2 Die Funktionen von Nachahmungslernen

3 Die biologische Basis des kindlichen Nachahmungslernens

4 Was und wen ahmen Kinder beson­ders stark nach? Wissenschaftliche Untersuchungen und praktische Tipps zum Nachahmungsverhalten bei Kleinkindern

4.1 Handlungstheorie

4.2 Was ahmen Kinder nach?

4.2.1 Nachahmung von Handlungsmitteln und Handlungszielen

4.2.2 Die Rolle der Sprache für das Nachahmungsverhalten

4.2.3 Tipps für die pädagogische Praxis

4.3 Wen ahmen Kinder nach?

4.3.1 Die Rolle von Kompetenz und Sympathie des Modells

4.3.2 Tipps für die pädagogische Praxis

4.4 Rollentausch: Wenn Kinder nachgeahmt werden

4.4.1 Effekte des Nachgeahmtwerdens

4.4.2 Tipps für die Pädagogische Praxis

5 Schluss

Freundschaften im Kindesalter: Peerbeziehungen im Kindergarten und ihre Bedeutung für den pädagogischen Alltag Jasmin Luthardt

1 Einleitung

2 Persönliche Beziehungen zwischen Kindern

2.1 Freundschaftsmodelle

2.2 Zur sozial-emotionalen Entwicklung

3 Über Freundschaften im pädagogischen Alltag – Interviews mit pädagogischen Fachpersonen

3.1 Über das Erkennen von Freundschafts­beziehungen im pädagogischen Alltag

3.2 Über Bestimmende, Außenseiter und vernetzte Eltern: Wenn Freundschaften die Gruppe stören oder erst gar nicht entstehen – Beispiele aus dem Alltag

3.2.1 Bestimmende und Bestimmte: Ein Kind und zwei Schatten

3.2.2 Die Gruppe in der Gruppe: vernetzte Eltern, ihre Kinder und die anderen

3.2.3 Persönlichkeit und Sprachbarrieren: Außenseiter sein, aber nicht bleiben

4 Aspekte der Förderung sozial-emotionaler Entwicklung

Kinderkonflikte – ein Lernfeld? Catherine Walter-Laager & Carmen Plautz

1 Einleitung

2 Konfliktszenen bei Vier- bis Sechsjährigen im Kindergarten

3 Konfliktsequenzen bei null- bis dreijährigen Kindern in der Kita

4 Theoretische Erläuterungen zum konflikthaften Interaktions- geschehen in elementar- pädagogischen Einrichtungen

4.1 Empirische Hinweise auf das Sozialverhalten von Kindern

4.2 Pädagogische Interaktionen

5 Ergänzende Hinweise aus Expertinnensicht für die pädagogische Praxis

5.1 Hinweise für die Arbeit mit Kindergartenkindern

5.1.1 Aggression ohne sichtbare Auslöser

5.1.2 Besitz- und Nutzungsansprüche

5.1.3 Weiterführende Gedanken aus Expertinnensicht

5.2 Hinweise für die Arbeit mit Krippenkindern unter drei Jahren

5.2.1 Aggression ohne sichtbare Auslöser

5.2.2 Besitz- und Nutzungsansprüche

5.2.3 Einschränkungen bei der Konfliktlösung mit Babys und Kleinstkindern

6 Fazit

Was können Regeln regeln? Die Bedeutung von Regeln für das Zusammenleben im Kindergarten – eine Reflexion Karin Fasseing Heim

1 Einleitung

2 Theoretische und empirische Zugänge

2.1 Primäre Prävention

2.2 Sekundäre Prävention

2.3 Tertiäre Prävention

2.4 Pädagogische Antinomien

3 Das Forschungsprojekt »Fachdiskussionen« als Instrument diskursbasierter Reflexion im Studium

4 Argumentationen und Diskussionsergebnisse

4.1 Wozu braucht es im Kindergarten Regeln?

4.2 Was ist das Problem bei Regeln? Und welche Rolle kommt den Konsequenzen zu?

4.3 Welche Regeln gelten, auch unausgesprochen?

4.4 Kinderrechte und Regeln

4.5 Welche Regeln sind sinnvoll?

4.6 Wie sollen Regeln eingeführt werden?

4.7 Zusammenfassendes Schaubild

5 Schlussfolgerungen

Bühne frei für ein konstruktives Miteinander! Wie Kinder in theaterpädagogischen Settings ihre Sozialkompetenz spielend entwickeln können Nathalie Portmann

1 Einleitung

2 Ausgewählte Theorien des sozialen Lernens

2.1 Soziale Lerntheorie nach Bandura

2.2 Beziehungsdidaktik nach Bönsch

3 Soziales Lernen im Kontext der Arbeit mit Gruppen

3.1 Soziale Kompetenzen

3.2 Arbeiten mit Gruppen

3.2.1 Merkmale einer Gruppe

3.2.2 Der gruppendynamische Prozess und seine Phasen

3.2.3 Aufgaben der Gruppenleitung

3.3 Erwerb sozialer Kompetenzen im gruppendynamischen Prozess

4 Theaterpädagogik

4.1 Erlebnispädagogische Aspekte der Theaterpädagogik

4.1.1 Handlungsorientierung und Ganzheitlichkeit

4.1.2 Lernen in Situationen mit Ernstcharakter

4.1.3 Gruppenorientierung

4.1.4 Erlebnischarakter

4.1.5 Freiwilligkeit

4.1.6 Theaterspiel als Freizeitgestaltung vs. Theaterpädagogik

4.2 Ziele der theaterpädagogischen Arbeit

4.3 Merkmale des theaterpädagogischen Spiels

4.4 Merkmale einer professionellen Spielleitung

4.5 Übungsformen für den Kindergarten

5 Theaterpädagogische Übungen in den Gruppenphasen

6 Fazit

Individuelle Freiheit oder Anpassung an die Gruppe? Zur Bedeutung von Kultur für die frühkindliche Bildung und Entwicklung Ariane Gernhardt

1 Nichts ist normaler als Unterschiede: Kulturelle Entwicklungspfade

2 Kulturelle Muster in der Kita: Eine Längsschnittstudie

2.1 Aufbau der Studie

2.2 Ergebnisse der Untersuchung

2.2.1 Pädagogisches Konzept

2.2.2 Erziehungsziele von Eltern und pädagogischen Fachkräften

2.2.3 Tagesstruktur

2.2.4 Aktivitäten

2.2.5 Sprachstil

3 Kultursensitive Arbeit in der Kita: Praktische Bedeutung und Umsetzungsmöglichkeiten

3.1 Zusammenarbeit mit Eltern

3.2 Gestaltung der Tagesstruktur

3.3 Sprachstil

3.4 Zeichnen als Beispiel einer nonverbalen Aktivität

4 Fazit

Zwischenmenschliche Beziehungen … sind von Geburt an lebenswichtig Manfred Pfiffner & Catherine Walter-Laager


1 EINLEITUNG

Dem deutschen König und römischen Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen (1194–1250) wird ein unmenschlicher Versuch zugeschrieben, die ursprüngliche Sprache der Menschheit herauszufinden. Er ließ dazu einige neugeborene Kinder ihren Müttern wegnehmen und an Ammen übergeben. Sie sollten den Kindern Milch geben, sie baden und waschen, gleichzeitig jedoch jede sprachliche und emotionale Interaktion unterlassen. So sollten die Kinder ohne äußere Beeinflussung zur Sprache finden, diese müsste dann die Ursprache sein. Der Versuch scheiterte kläglich, weil alle Babys starben. »Sie vermochten nicht zu leben ohne das Händepatschen und das fröhliche Gesichterschneiden und die Koseworte ihrer Ammen«, hielt der Kaiser fest (zit. nach Pontes 2013).


Abbildung 1: Interaktion und Beziehungsaufbau. Foto: Valeri Heim

2 DER MENSCH ALS SOZIALES WESEN

Der Mensch wird in der neueren entwicklungspsychologischen Forschung von seiner Geburt an als soziales Wesen betrachtet. Dabei ist sein Verhaltensrepertoire darauf angelegt, mit seinen Betreuungspersonen in Beziehung zu treten, zu interagieren und zu kommunizieren (vgl. Schmidt-Denter 2005; Brisch 2011). Als grundlegende Komponente der menschlichen Natur betrachtet die Verhaltensbiologie die Neigung, starke emotionale Beziehungen zu spezifischen Menschen aufzubauen. Diese Bereitschaft ist schon bei den Neugeborenen vorhanden und bleibt über das Erwachsenenalter bis ins hohe Alter bestehen. Die Fähigkeit, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, wird als ein grundlegendes Merkmal einer effektiv funktionierenden Persönlichkeit und psychischer Gesundheit betrachtet. Das Ausmaß der Nähe oder der Zugänglichkeit, in denen diese Beziehung verläuft, hängt von den jeweiligen Umständen und dem Alter ab (vgl. Bowlby 2002).

3 SOZIALE BEZIEHUNG

Junge Kinder binden sich aufgrund einer biologischen Notwendigkeit an andere Personen. Diese Notwendigkeit nimmt mit der sich entwickelnden Selbstständigkeit ab. Die sozialen Beziehungen werden wechselseitiger und das Sich-gegenseitig-aufeinander-Einlassen ist freiwillig. Max Weber umschreibt soziale Beziehung als »aufeinander gegenseitig eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer« (Weber 1972, S. 13). Demnach besteht eine soziale Beziehung zwischen zwei Menschen oder allenfalls Gruppen, die ihr Fühlen, Denken und Handeln gegenseitig aufeinander beziehen.

Soziale Beziehungen basieren nach Zimbardo und Gerrig (2003) auf folgenden Mechanismen:

Zuneigung: Sie entsteht rein dadurch, dass Menschen mit anderen Menschen zu tun haben.

Physische Attraktivität: Körperlich attraktiven Personen werden weitere positive Eigenschaften wie Freundlichkeit, Fürsorglichkeit und Stärke zugeordnet.

Ähnlichkeit: Auch Ähnlichkeit in den Überzeugungen, Einstellungen und Werthaltungen fördert Freundschaften. Die Übereinstimmungen führen zur gegenseitigen Bestätigung.

Reziprozität: Schließlich wird nur für Personen Zuneigung empfunden, die dem Gegenüber das Gefühl geben, ebenfalls gemocht zu werden.

Um soziale Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten, braucht es soziale Kompetenzen. Dazu müssen Kinder die Fähigkeit besitzen, auf andere zuzugehen. Sie müssen einen produktiven Umgang mit sich selbst haben und die eigenen Bedürfnisse gegebenenfalls zurückstellen können. Zudem sollten sie verlässlich und kooperationsbereit sein, aber auch die eigenen Wünsche freundlich einbringen und durchsetzen können (vgl. Beelmann & Raabe 2007; Perren 2015). Gelernt wird dies innerhalb der eigenen sozialen Umgebung. Kinder benötigen ein soziales Netz, das unterstützende Personen umfasst und möglichst wenig belastende Bezugspersonen. Erlebte Wertschätzung durch die Unterstützungspersonen puffern zudem negative Effekte belastender Beziehungen ab (vgl. Laireiter & Lager 2006).

4 BINDUNG UND BINDUNGSQUALITÄT

Nach Atkinson und Kollegen (2001, S. 91) beschreibt der Begriff der Bindung »die Tendenz eines Säuglings, die Nähe zu bestimmten Personen zu suchen und sich in ihrer Gegenwart sicher zu fühlen«. Die stammesgeschichtliche Funktion von Bindung ist der Schutz der Jungen (vgl. Grossmann & Grossmann 2001) oder noch genauer: die Grundbedürfnisse Ernährung, Pflege, Schutz und Fortbewegung zu sichern. Findet ein Kleinkind bei seinen Bezugspersonen Sicherheit, bildet dies eine optimale Ausgangslage für Explorationen (vgl. Bischof-Köhler 1998).

Die Qualität einer Bindungsbeziehung zeichnet sich durch das Vertrauen in die Erreichbarkeit sowie durch die Zuwendung der Bindungsperson aus, wenn sie zur Linderung von Leid gebraucht wird. Dazu gehört außerdem das begründete Vertrauen in die Wirksamkeit dieser Zuwendung zur eigenen Beruhigung (vgl. Buchheim 2005). Diese Qualität kann ganz verschiedenartig sein. In der Literatur werden vier Kategorien von Bindungsmustern unterschieden (siehe Tabelle 1).


Bindungstypen Merkmale der Kinder
Sichere Bindung •Zeigen offen ihren Kummer über die Trennung •Suchen bei der Wiedervereinigung Nähe •Erhalten den Kontakt •Beruhigen sich schnell und nehmen das unterbrochene Erkunden wieder auf
Unsicher-vermeidende Bindung •Lassen kein Trennungsleid erkennen •Verhalten sich gegenüber der zurückkehrenden Bindungsperson vermeidend (drehen ihr bspw. den Rücken zu) •Wenden sich stattdessen dem Spielzeug zu •Sind – wie Kinder mit sicheren Bindungen – bei einer Trennung ebenfalls beunruhigt
Unsicher-ambivalente Bindung •Suchen zwar Nähe, weisen sie aber gleichzeitig zurück •Brechen den aufgesuchten Körperkontakt ab oder wenden sich ab •Finden so kaum Beruhigung durch den Kontakt mit der Bindungsperson
Desorganisierte Bindung •Zeigen ein deutlich desorientiertes, nicht auf eine Bezugsperson bezogenes Verhalten •Zeigen inkonsistentes und emotional widersprüchliches Bindungsverhalten •Zeigen keine durchgängigen Verhaltensstrategien, die darauf gerichtet sind, die kindliche Gefühlswelt unter Einbezug der Bindungsperson zu stabilisieren

Tabelle 1: Klassifikation der Bindungstypen in der »Fremde-Situation«[1] sowie in anderen Untersuchungskonstellationen (nach: Ainsworth et al. 1978; Hédervári-Heller 2011; Röper, von Hagen & Noam 2001; Stegmaier o. J.)

Für Deutschland beschreiben Gloger-Tippelt, Vetter und Rauh (2000), dass ungefähr 45 Prozent der Kinder als »sicher«, 28 Prozent als »vermeidend«, 7 Prozent als »ambivalent« und 20 Prozent als »desorganisiert« in der Testsituation eingestuft werden können.

Primäre, tragfähige Bindungsbeziehungen zeichnen sich durch emotionale Sicherheit und Vertrautheit aus. Das Bindungsverhalten zielt darauf ab, dass Nähe zu einer (erwachsenen) Person und damit Schutz und Sicherheit für den unreifen und unerfahrenen Nachwuchs gegeben ist. Betreuungs- bzw. Bindungspersonen helfen dem Kind durch ihre Nähe, Angst oder Hilflosigkeit zu bewältigen. Eine hohe Verfügbarkeit ist daher Voraussetzung für eine Sensitivität in der Betreuung. Bindungsmuster beziehen sich auf die Beziehung eines Kindes zu einer bevorzugten Person und sind keine Persönlichkeitsmerkmale. Sie beschreiben, in welchem Ausmaß und in welcher Weise das Gefühl emotionaler Sicherheit besteht (vgl. Ahnert 2008a). Largo zeigt als Kinderarzt und Forscher im Bereich der kindlichen und jugendlichen Entwicklung in seinem Modell die bindungstheoretischen Voraussetzungen für Entwicklungsverläufe in Beziehungen auf. Es wird deutlich, dass sich im Laufe der Kindheit und Jugendzeit ein Wechsel im Fokus auf die Personengruppen vollzieht (vgl. Largo & Czernin 2013).


Abbildung 2: Wandel und Stärke der Bindungen im Verlauf der Entwicklung. Die Flächen bezeichnen die interindividuelle Variabilität der Bindungsbereitschaft (hypothetisches Modell) (nach Largo & Czernin 2013, S. 365)

Im Lauf des Lebens kristallisieren sich immer wieder neue soziale Beziehungen, Positionen, Rollen und Gruppierungsformen heraus. Diese basieren nicht ausschließlich auf biologischen Gesetzmäßigkeiten. Vielmehr sind sie auch in einem gesellschaftlich-kulturellen Zusammenhang begründet. So bestehen gesellschaftliche Anforderungen und kontextuell gebundene Erwartungen, die durch das jeweilige Individuum auf seine eigene Art und Weise im vorgegebenen Rahmen ausgestaltet werden (vgl. Kron 1971).

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Hacim:
259 s. 33 illüstrasyon
ISBN:
9783035507478
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