Kitabı oku: «Bild und Text»
Stefan Fischer / Thomas Wagner
Forum Exegese und Hochschuldidaktik – Verstehen von Anfang an
Jg.2 – 2017 | Heft 1
in Zusammenarbeit mit Melanie Köhlmoos
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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© 2017 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-7720-0010-2
Inhalt
Editorial
Materiale, textliche und metaphorische Zugänge zur Bildwelt der BibelTeil 1: Methodische AnnäherungAspektive – die Ausdrucksform Ägyptens und des Alten OrientsBilder in Texten verstehen heißt, sie im Kopf zu sehenTeil 2: Bild-Text-Relationen der biblischen WeltBilder in Israel/JudaBilder durch Texte verstehenWenn Bilder verboten sind – Die Ausformung von Sprachbildern unter dem Gebot der BilderlosigkeitLiteratur
Vom Text ins Bild und vom Bild in den Text Einführung Textwahrnehmung: 2Sam 11,1–12,1 als chronologische Folge von Sendungsgeschichten 2Sam 11,1–27 in verssegmentierter Präsentation und mit Gliederung in Anfang/ Mitte/ Schluss; Text nach Lutherbibel 2017 Bildwahrnehmungen: 2Sam 11,1–12,1 in Bildern von Franciabigio, Rubens und Rembrandt Korrelative Text- und Bildwahrnehmung im Interesse synchroner exegetischer Textarbeit Vom Text ins Bild und vom Bild in den Text: Der hochschuldidaktische Gewinn korrelativer Text- und Bildwahrnehmung für die exegetische Arbeit Literatur
Wie beeinflussen traditionelle (mentale) Bilder die Lektüre biblischer Texte? 1. Mentale Bilder im Streit mit dem Wortlaut des Textes 2. Sprachbilder des Paulus: Bildwelten im 1. Korintherbrief 3. Innere Bilder steuern unser Wirklichkeitsverständnis 4. Ausblick für die Exegese: eine Hermeneutik der Differenz Literatur
Lehr-/Lern-BeispieleZugang zu Bildern findenSeminarvorbereitung: Über das Verhältnis von Bildinhalt und BildformSeminardurchführung: Vom Bilddiktat zur BildauslegungLiteraturKreatives Visualisieren als didaktisch-hermeneutischer Weg
Rezensionen Zum Buch Zur Didaktik Zur Methodik Das Buch als Lehr- und Lernbuch
Annett Giercke-Ungermann/Sandra Huebenthal (Hg.), Orks in der Gelehrtenwerkstatt? Bibelwissenschaftliche Lehrformate und Lernumgebungen neu modelliert.
Interview mit … Michaela Bauks
Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa)
Jahrgang 2 – 2017, Heft 1
Editorial
Stefan Fischer und Thomas Wagner
Die dritte Ausgabe dieser Zeitschrift behandelt das Thema Bild und Text. Bilder nehmen in der Gestaltung von Lehrveranstaltungen weiten Raum ein. Moderne Techniken ermöglichen einen schnellen Zugriff auf Bilder und deren Darstellung. Dies bietet Chancen für den Unterricht. Dabei lauern aber auch Gefahren: Visualisierungen können zu einer Überladung mit Bildern, auch mit Textbildern, führen, ohne dass es zu einer Reflektion über die einzelnen Bilder kommt. Die vorliegenden Beiträge stellen sich der Bilddidaktik auf einer grundsätzlichen Ebene, wie es dem Anliegen der Zeitschrift Verstehen von Anfang an entspricht. Sie gehen auf die Tagung Bild und Exegese: Die Interdependenz der biblischen Bild- und Sprachwelt als Aufgabe für die Exegese zurück, die vom 26.–29. September 2016 an der TU Dresden stattfand. Die Vorträge, Workshops und intensiven Diskussionen zeigten insbesondere Bezüge zwischen materialer Kultur und sprachlichen Motiven auf und fragten, wie das Bilderverbot sich auf die Sprachbilder von Gott auswirkt. Des Weiteren kam die Entstehung von mentalen Bildern bei der Lektüre biblischer Texte unter dem Einfluss der im Rezeptionsprozess entstandenen Zeugnisse in den Blick.
Der erste Hauptbeitrag, der von seiner Länge her ein Doppelbeitrag ist, stellt das Ergebnis einer Kooperation da. Florian Lippke, Fribourg, sowie wir Herausgeber legen den Versuch vor, materiale, textliche und metaphorische Zugänge zur Bildwelt der Bibel methodisch miteinander zu verschränken. In ihm wird die Bandbreite exegetischer Arbeit mit Bild und Text sichtbar. Die daraus folgenden hochschuldidaktischen Konsequenzen werden in den weiteren beiden Hauptbeiträgen sowie in den Lehr-/Lern-Beispielen gezogen.
Christina Hoegen-Rohls, Münster, wählt die Erzählung von David und Batseba aus 2Sam 11,1–27, und zeigt eine korrelative Bild-Textwahrnehmung auf. Die Segmentierung des Textes, die nach dem Satzzeichenprinzip, dem rhythmisch-intonatorischen Prinzip und dem Prinzip des finiten Verbs erfolgt, stellt bereits eine Visualisierung des Textes dar, welche das Leseverhalten beeinflusst. Sie verbindet diese Erzählung von David und Batseba mit deren Rezeption in Bildern von Franciabigio, Rubens und Rembrandt und weist nach, wie Visualisierungen unterschiedliche Pointierungen der Rezeption des Textes fördern. In diesen Wahrnehmungsprozess zieht sie Studierende, so dass diese den Text neu und facettenreich entdecken können.
Peter Wick, Bochum, überlegt aus exegetischer Sicht, wie traditionelle Vorstellungen die Lektüre biblischer Texte beeinflussen. Er stellt an verschiedenen Beispielen dar, wie das Verständnis eines Textes durch mentale Bilder geprägt ist, die anderweitig erworben wurden. So wird etwa bei Martin Luther eine bildgesteuerte Exegese sogar zum hermeneutischen Prinzip, denn seine hermeneutische Formel ‚Was Christum treibet‘ führt zu einem bestimmten Bild von Christus als Erlöser, welches wiederum die Lektüre des Textes beeinflusst. Ausführlich setzt er sich mit Sprachbildern des Paulus auseinander und zeigt auf, wie diese sich überlagern. Mit Beispielen aus der Gegenwart verdeutlicht er, wie mentale Bilder unser Wirklichkeitsverständnis prägen und unsere Text- und Weltwahrnehmung beeinflussen. Er setzt dieses wiederum mit biblischen Texten in Verbindung und zeigt auf, wie diese etwa ein ganz bestimmtes Verhältnis von Einheit und Vielheit konstruieren.
Zwei Lehr-/Lern-Beispiele führen die hochschuldidaktischen Umsetzungsmöglichkeiten weiter aus: Norbert Brieden, Wuppertal, wählt das Thema des kreativen Visualisierens als didaktisch-hermeneutischen Weg und zeigt dieses am Beispiel der Erzählung vom Goldenen Kalb (Ex 32) aus. Er stellt fünf Funktionen vor, welche eine Visualisierung besitzen kann.
Alexander Schneider, Wuppertal, führt aus rezeptionsdidaktischer Perspektive einen exemplarischen Vermittlungsansatz zur Bildrezeption aus und wählt dazu John Everett Millais’ Ophelia (1851–52). Dabei legt er die Ikonik als methodische bzw. interpretatorische Klammer zugrunde.
Die beiden Rezensionen nehmen zu unterschiedlichen Themen bibelwissenschaftlicher Hochschuldidaktik Stellung. Zum einen wird der Sammelband Iconographic Exegesis of the Hebrew Bible / Old Testament. An Introduction to Its Method and Practice, den Izaak J. de Hulster u.a. herausgeben, kritisch gewürdigt. Die zweite Rezension beschäftigt sich mit Annett Giercke-Ungermann/Sandra Huebenthal (Hg.): Orks in der Gelehrtenwerkstatt? Bibelwissenschaftliche Lehrformate und Lernumgebungen neu modelliert.
Ein Interview mit Michael Bauks, einer der Begründerinnen des Internetportals wibilex.de, schliesst dieses Heft ab. Mit ihm blicken wir auf das folgende Heft voraus, das sich mit dem Thema Digital Humanities befassen wird.
Die nächste Tagung wird vom 04.–07. September 2017 in Frankfurt zum Thema Spracherwerb stattfinden.
Wien | Wuppertal Stefan Fischer und Thomas Wagner
Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa)
Jahrgang 2 – 2017, Heft 1
Materiale, textliche und metaphorische Zugänge zur Bildwelt der Bibel
Stefan Fischer, Florian Lippke und Thomas Wagner
Abstract | The importance of the visual world for the development and understanding of mental images is reflected in various stages within this article. Starting with a closer look to the characteristics of Egyptian and Ancient Near Eastern art the authors reflect on methodological aspects of how to interpret the images in their original environment. The meaning of aspective rendering for visual art, the relevance of a form-critical investigation of images, and the transformation of visual images in mental images are described firstly methodologically, and secondly in their reference to specific objects and in their relation to biblical texts.
Jeder, der sich mit der Interpretation biblischer Schriften beschäftigt, kommt um einige Grundlagen nicht herum: Die Kenntnis der ‚Parameter‘ der biblischen Welt ist von besonderer Wichtigkeit.1 Sowohl für die professionelle exegetische Arbeit, als auch für den privaten Bibelleser gilt: Wer die Bibel besser verstehen will, muss zuerst die Welt der Bibel kennen und verstehen. Dies gilt in historischer, kultureller, sozialer und realienkundlicher Hinsicht.2 Erst die Kenntnis der antiken Tier- und Pflanzenwelt (z.B. spezifisches Wissen über Löwe, Bär, Schlange, Mandelbaum und Getreidesorten) ermöglicht ein Verständnis vieler prophetischer Bildworte (insbesondere bei Amos, Ezechiel oder Jeremia).3 Im gleichen Sinn hilft auch eine solide landeskundliche Orientierung, viele Erzählungen im Pentateuch oder in den Evangelien besser zu ver„ort“en. Wer einmal den Weg von Jerusalem nach Jericho abwandern durfte, weiß: Die Gluthitze im Wadi Quelt4 (zwischen Jerusalem und Jericho), der Weg durch die trockene Wüstenlandschaft und die Verlassenheit von aller Zivilisation sind prägend für diese Gegend. Und so wird ein Wanderer, der die judäische Wüste gut kennt, den folgenden Gleichnisbeginn mit anderen Augen lesen als der europäische Großstadtbewohner: „Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab. Unterwegs überfielen ihn Räuber. Sie nahmen ihm alles weg, schlugen ihn zusammen und ließen ihn halb tot liegen“ (Lk 10,30). Ein Verständnis der Verlassenheit und der Todesnähe steht dem Leser deutlich vor Augen, der mit den lokalen Gegebenheiten vertraut ist.
Theologisch gewendet – und bei manchen Auslegern mit einer gewissen Prise Frömmigkeit angereichert – kann das Land, der (imaginäre aber auch der mit der Wirklichkeit in Bezug stehende) Raum, als ‚fünftes‘ Evangelium, als Schlüssel für die biblischen Texte verstanden werden.5
Heilige Schriften kreieren immer eine Welt, die durch den Text präsent ist. In diesem Sinne etablierte sich der Begriff der Textwelt6 gut. Jedoch kann an diesem Punkt beim Verstehensversuch nicht pausiert werden. Der Text weist immer auch eine Referenz auf. Diese Referenz gilt der antiken Welt, in der er produziert wurde. Archäologische, epigraphische, kulturgeschichtliche, ethnographische aber in besonderem Maße auch ikonographische Befunde spielen für diese Textreferenz eine große Rolle.7 Wesentlich ist für ein solches antikes Verständnis der Text- und Realwelten das Modell der verbundenen Kultursphären.
Die antiken Hochkulturen (Ägypten, Mesopotamien, Anatolien) sowie die kenntnisreichen Vermittler zwischen ihnen (Phönizier, Philister, Aramäer, ostjordanische Gruppen, Israel und Juda in Palästina/Israel) haben an diesem kulturellen Kontaktnetz einen großen Anteil.8 Wenn Assyrer/Babylonier mit Ägyptern in Kontakt traten, so zogen sie stets durch den Bereich der sogenannten ‚Levante‘.9 Wirtschaftliche Interessen bildeten meist die Grundlage. Mit ihnen wurden aber auch die jeweiligen sozialen, religiösen und kulturellen Aspekte im Land präsent. Auf diese Weise kann man von Palästina/Israel als einem Reservoir der antiken Konzepte sprechen: Unterschiedliche Weltvorstellungen, Menschenbilder und theologische Grundlagen liegen zur Rezeption bereit. In dieser Hinsicht steht die Kultur Altisraels auf hohen zivilisatorischen Schultern. Texte und Bilder geben von dieser Tatsache Auskunft und liefern ein beredtes Zeugnis für Transformationsprozesse und aktualisierende Tendenzen. Antike theologische Positionen sind somit in einem ganz entscheidenden Maße abhängig von den natürlichen, materiell-zivilisatorischen und kulturellen Rahmenbedingungen – und können bei Vernachlässigung dieser Aspekte nicht umfänglicher verstanden werden. Die genannten Mechanismen bewirken, dass die Hebräische Bibel ihrem Charakter nach ein orientalisch-ägyptisches Buch ist, das durch viele Übersetzungsprozesse hindurch immer noch die alten Vorstellungen bewahrte.
Schriftgeschichtlich lässt sich dieser Prozess von den komplexen Schriften der Hochkulturen (in Keilschrift und Hieroglyphen) hin zum genial vereinfachten System der Konsonantenschriften nachzeichnen.10 Bildlich zeigen die Rezeptionen von pharaonisch-ägyptischer und assyrisch-babylonischer Kultur das Zusammenkommen und die Überlappungen der imperialen Mächte in der biblischen Welt an.11 Und auch inhaltlich lässt sich dieses Modell bestätigen: Wenn im Buch Deuteronomium Phrasen verwendet werden, die im Wortlaut an die assyrischen Vasallenverträge anknüpfen, dann birgt dies eine Einsicht über die theologisch-ideologischen Einflüsse auf die biblische Welt in sich.12 Solche Verträge wurden in den Stadtzentren ausgestellt und die Schriftkundigen wurden damit konfrontiert. Eine Umformulierung des assyrischen Inhalts auf das Verhältnis zwischen Israel und seinem Gott stellt eine solche religiöse theologische Transformationsleistung dar. Den beschriebenen Facetten kommt man allerdings nur bei konsequenter Berücksichtigung aller zur Verfügung stehenden historischen Quellen auf die Spur.13 Neben Texten gehören darum auch Bilder, archäologische Erkenntnisse und kulturwissenschaftliche Einsichten zum Interpretationsprozess hinzu.
Teil 1: Methodische Annäherung
Aspektive – die Ausdrucksform Ägyptens und des Alten Orients
Präzision und Konstellation
Wenn das Verhältnis zwischen Texten und Bildern erforscht wird, so ist eine grundlegende Aussage immer häufiger als Ausgangspunkt in der Diskussion präsent: „Die Stärke des Textes ist die (historische) Präzision – die Stärke des Bildes ist die Konstellation.“1 Dies ist an einem einfachen Beispiel nachvollziehbar: Ein Text kann in beliebigem Maße historisch präzisieren. Datumsangaben und umfangreiche Details zur genauen Bestimmung sind ohne größeren Aufwand schriftlich integrierbar. Diese Präzision kann sehr weitreichend umgesetzt werden: In einem Roman wäre es möglich, jedem einzelnen Kopfhaar eine Bezeichnung zuzuordnen, zum Beispiel durch Namensgebung. Gleiches ist bei einem Bild nur sehr viel schwieriger durchführbar. Ein Bild besitzt immer auch Detailgrenzen, die nicht beliebig über- oder unterschritten werden können. Demgegenüber hat das Wort einen entscheidenden Mangel, wenn es um die Abbildungen von Verhältnissen zueinander geht. Eine Abbildung kann sehr gut verdeutlichen, wie zwei dargestellte Elemente zueinander im Verhältnis stehen. Dieses Verhältnis wird als Konstellation bezeichnet. Ein weiteres Beispiel kann dies verdeutlichen: Die extremste Form eines komplexen Konstellationsbildes ist ein Stadtplan.2 Hier werden auf jedem Zentimeter zahlreiche Verhältnisse unterschiedlicher Objekte zueinander festgehalten. Das Verhältnis einzelner Häuserblöcke, die Winkel, in denen Straßen aufeinandertreffen, Distanzen zwischen geographischen Punkten und Raumordnungen ganzer Quartiere – all dies begegnet in extrem verdichtetem Maß. Wenn man die Straßenkarte einer Großstadt komplett verbalisieren (verschriftlichen) wollte, müssten mehrere Buchbände mit Detailbeschreibungen gefüllt werden. Die Komplexität der Verhältnisse wird durch einen einzigen großen Stadtplan viel effizienter und nachvollziehbarer umgesetzt. In dieser Hinsicht wird die Stärke des Bildes, die in der Konstellation liegt, voll genutzt. Ein Text ist wiederum bei historischen Situationsbeschreibungen, die im Detail festgehalten werden sollen, im Vorteil.3
Umsetzung der Konstellation
Wenn also die Stärke des Bildes in der Konstellation liegt, dann ist es notwendig, genau auf die Umsetzung solcher Konstellationen zu achten. Es stellen sich folgende Fragen:
Auf welche Art werden Konstellationen künstlerisch ausgeführt?
Welche Besonderheiten sind zu benennen?
An welchen Stellen besteht die Gefahr, einer anachronistischen Fehlinterpretation zu unterliegen?
Um diese Fragen zu ergründen, muss genauer nach der Darstellungsweise antiker Bildnisse gefragt werden. Als Ausgangspunkt kann die ägyptische Reliefdarstellung dienen.1 In deutlicher Weise treten bei diesen bildlich-kulturellen Äußerungen Darstellungskonzepte hervor, die auch in vielen weiteren Zentren des Alten Orients über Jahrhunderte hinweg in Geltung waren.2 Genauer ist damit auf die Darstellungsweise Bezug genommen, die man gewöhnlicher Weise als ‚typisch ägyptisch‘ bezeichnet.
„Ägyptische“ Darstellungsweise (Abb. 1)
Reliefs, die in Ägypten, aber auch in den großen Museen der Welt1 bestaunt werden können, weisen mehrheitlich eine besondere Körper- und Objektdarstellung auf: Sie wirken auf den ersten Blick seltsam verdreht. Dies gründet in einem Abbildungskonzept, welches nicht mit den ‚perspektivischen‘ Grundsätzen der modernen Bildkultur in Einklang zu bringen ist.2 Folglich wird nicht ein einziger Standpunkt eingenommen, von dem aus ein Objekt betrachtet wird. Vielmehr stellt das Bild eine Addition unterschiedlicher Blickrichtungen dar. Einige Interpretatoren sehen hierin eine Addition der Ansichten, andere legen Wert darauf, dass das Objekt mit seinen Eigenheiten im Zentrum steht. Ein Merkmal dieser Darstellungen kann offensichtlich nicht bestritten werden: Als Fotografie im heutigen Sinne, von einem Standpunkt aus, wären diese Simultanansichten bezüglich des betrachteten Objekts nicht gesamtheitlich wahrnehmbar.3 Die Stärke der ägyptischen Bilder liegt also in einer besonderen Art der Komposition. Einzelne Ansichten werden in Zusammenschau aufeinander bezogen. Entsprechend kann im Bildnis einer Person auch ein mehrfacher Ansichtswechsel erfolgen.
Während die Beine von der Seite, in Schrittstellung, dargestellt sind, erscheint der Oberkörper in Frontalstellung, so dass beide Schultern und auch Details der Brust sichtbar sind. Die Arme setzen wiederum nicht in Frontalansicht am Oberkörper an, in ihrem Verlauf (von der Schulter zur Hand) werden sie eher in Seitenansicht angefügt. Während der Kopf insgesamt von der Seite, also im Profil, realisiert ist, bleibt das Auge aber komplett sichtbar. Bei einer vollkommenen Seitendarstellung würde das Auge nur als Winkel, partiell, erscheinen. Im klassisch-ägyptischen Fall aber tritt neben die Profildarstellung des Gesichts die Frontaldarstellung des Auges. Diese ständigen Wechsel zeigen an, dass es um mehr als nur um eine einfache Ansicht geht. Mehrere Ansichten, in denen die Person bildlich in Szene gesetzt wird, treten zusammen bzw. simultan auf. Damit ist zugleich das Interesse an einer holistischen Gesamtwahrnehmung zum Ausdruck gebracht.
Die ägyptischen Künstler und ihre Auftraggeber hatten offensichtlich kein Problem, unterschiedliche Perspektiven in ein Bild einfließen zu lassen. Das Bildwerk wurde in einem Guss hergestellt und beinhaltet doch zahlreiche Facetten, die für ein rein perspektivisch geschultes Auge nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen sind.
Abb. 1:
Umzeichnung ÄFig 1998.4 (Kalksteinrelief 31,5 x 19 x 5,4 cm), Datierung: Ramses II. (1279–1213a) © Stiftung BIBEL+ORIENT Fribourg
Abb. 2:
Wandmalerei S. 14354 /15 RCGE 19072 01/00000986 (131,4 x 211 cm), VII-XI. Dynastie (2118–1980a), © Fondazione Museo delle Antichità Egizie di Torino