Kitabı oku: «Das Rauschen unter der Choreographie»

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Das Rauschen unter der Choreographie

Überlegungen zu »Stil«

Katja Schneider

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen


© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de • info@narr.de

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ePub-ISBN 978-3-8233-0153-0

Inhalt

  Einleitung Zu den Beiträgen:

  Stil: Ein indifferentes Merkmal und die Arbeit an Erkenntnis Stil als indifferentes Merkmal: Vagheit und Chance des Stilbegriffs Stilmerkmale der Tanzwissenschaft Zeitgenössische Perspektiven: Choreographische Handschriften TanzStile als ver- und entkörperte Norm: Historische Positionen Stil als Arbeit an Erkenntnis

  Stil, Technik und Risiko – eine kulturhistorische und kulturökonomische Skizze Was ist Stil? Generischer und persönlicher Stil nach Duchamp Stil, Technik und Spekulation Stil haben – eine Frage des Besitzes Schauspiel 1915 – Stilkrise und Kulturpolitik Kurzes Fazit

  Stilfragen?

  Bewegungs- als Regierungskunst: Zum »tänzerischen Stil« Hanns Niedecken-Gebhards Führen Formen Fortleben

 Re: George Balanchine – Stil und DivertissementExpositionen›The Balanchine Style‹ – Ein Oral-History-ProjektKommentar I: Zur professionellen Biographie BalanchinesDie ZeitzeugenberichteInteraktionen von Sagen und ZeigenPraxisprotokolle PLUS: ›Stilistische‹ DiagnosenKontextalisierungenStil und DivertissementKommentar II: Affektives Wahrnehmen und »Kinesic Style«

  »my dance! my style!« Self-Fashioning, Selbstreflexion und Stil im zeitgenössischen Tanz

  »what if a body moved like this through the world?« Zu Stil und zeitgenössischem Tanz Stil(l) gestanden Stil in der Tanzwissenschaft Stil als kulturelles Rendering / als intertextueller Verweis Das Stilistische als Artikulation kultureller Bedingungen

  Street Dance Stil & Style Street. Dance. Tun, oder das Wie: ABC der Stile im Street Dance, zum Beispiel The A-Z of Dance Zeigen oder das Wodurch – Marken, Markierungen Verhandeln oder das Worüber – zum Beispiel Hiplet™

  Autorinnen und Autoren

Einleitung

Unter der choreographischen Sprache höre man den wahren Text rauschen, den Subtext, den die französische, 2012 verstorbene Kritikerin und Tanzwissenschaftlerin Laurence Louppe als »Stil« bezeichnete.1 Doch geht sie in dem mit »Stile« überschriebenen Kapitel in ihrer Poetik des zeitgenössischen Tanzes weniger auf Roland Barthes’ »Rauschen der Sprache« ein als vielmehr auf die Effort-Theorie Rudolf von Labans, die sie als Modus des Bezugnehmens auf die Welt erläutert. Stil, für Louppe, manifestiere sich als etwas Unfassbares, »Vages und Ungreifbares«2, als etwas, »was der Zuschauer am unmittelbarsten wahrnimmt, was am schnellsten auf seine Sensibilität einwirkt. […] Er begnügt sich damit, die Wege zu bestimmen, durch die wir den ›Kern‹ der Bewegung erfassen werden.«3 Stil, so Louppe weiter, trägt »als Gesamtheit der Beziehungs-Dispositionen des Körpers die gesamte Botschaft des Tanzes in sich, in einem Infra-Text, dessen Lektüre berücksichtigt werden muss.«4

Louppes dringliche Formulierung motivierte dazu, über einen Begriff nachzudenken, der weder in der Theater- noch in der Tanzwissenschaft aktuell eine bedeutende Rolle spielt. Ganz im Gegenteil zu seiner Verwendung im Bereich der Lebensformen und Alltagsgestaltung, die seit Mitte der 1980er Jahre zu beobachten ist.5 Dieser Trend inflationärer Benutzung scheint ungebrochen.6 Hingegen beziehungsweise zumindest scheint »die ›große Erzählung‹ der stilgeschichtlichen Historiographie« am Ende zu sein, wie Wolfgang Brückle konstatiert.7 Entsprechend sind Publikationen, die sich generell mit Stil beschäftigen, in den letzten Jahren nicht sehr zahlreich.8 Tanzspezifisch widmet sich neben Louppe noch Geraldine Morris explizit dem Stil, und zwar dem des britischen Choreographen Frederick Ashton9.

In der Theaterwissenschaft ist der Stil-Begriff ein eher heikler. Nikolaus Müller-Schöll fasst in seinem Eintrag »Stil« die Problematik zusammen: »Der Bestimmung von St. wirkt praktisch entgegen, dass an jeder Inszenierung viele, einander häufig wechselseitig in Frage stellenden Akteure beteiligt sind. Daneben stößt jeder solche Versuch auf den Zufall und die sog. ›äußeren‹ Umstände im Theater.«10 Als Ausweg erscheint hier der Versuch, mit Roland Barthes’ »drittem Sinn« zu argumentieren, so Müller-Schöll, und dem Wandel des Theaters vom Schauspieler zum Performer Rechnung zu tragen:

Im Rahmen der neuen Aufgabe eines Tuns im Beisein von Gästen oder Teilnehmern (statt eines Vorstellens oder Spielens vor Publikum) werden traditionelle Formen der Stilbildung in der Gestaltung einer Rolle, eines Charakter etc. durch solche ersetzt, die an die je singuläre Besonderheit des einzelnen Performers gebunden sind, etwa an seinen spezifischen Tonfall, seine Stimmlage, seine Physiognomie, seine persönlichen Phantasmen und Einschränkungen.11

An die »Singularität des Darstellers«12 ist eine solche Stil-Skizzierung ange­lagert. Welche weiteren Optionen vorstellbar sind, Stil für zeitgenössisches Theater und zeitgenössischen Tanz produktiv zu machen – darum geht es in diesem Band. Wir zielen nicht in erster Linie auf eine neue Bestimmung von Stil (schon gar nicht eine abschließende), sondern wollen Stil als Suchfigur entfalten. Für unterschiedliche Gegenstände und für unterschiedliche historische Phänomene mit dem Zugriff von heute.

Zu den Beiträgen:

»Wer sich heute (noch) mit dem Stilbegriff beschäftigt«, zitiert Sabine Huschka in ihrem Beitrag »Stil: Ein indifferentes Merkmal und die Arbeit an Erkenntnis« den Literaturwissenschaftler K. Ludwig Pfeiffer, »gerät schnell in einen eigentümlichen Schwebezustand«. Mit ihm bestimmt Huschka Stil als schwer fassbaren Begriff und ästhetischen Denkraum und zeichnet mit Laurence Louppe Rudolf von Labans Effort-Theorie nach, in der die zentrale Frage nach der Sichtbarkeit von Stil verhandelt wird. Hier macht Huschka – am Beginn des Bandes – deutlich, dass Laban Stil als Wissen um Bewegungsqualitäten konzipiert. Weiter zeigt sie, dass Stile an Umbruchstellen wahrnehmbar werden und führt das an Auguste Vestris aus, einem markanten Tänzer des späten 18. Jahrhunderts, der von tradierten Vorstellungen, wie zu tanzen sei, abwich und die normativen Grenzen der Rollenfächer verschwimmen ließ. Da dieser Rahmen für heutige Choreograph*innen kaum mehr eine Rolle spielt, so Huschka, hat der Stilbegriff an Bedeutung verloren, zugunsten hybrider Bewegungs- und Tanztechniken und der kritischen Reflexion biopolitischer und theatraler Vorgaben für den tanzenden Körper.

Nicht nur im Tanz ist der Bedeutungsverlust des generischen Stils zu diagnostizieren. Auch in bildender Kunst, Schauspiel und Architektur wandelt sich der Stilbegriff. Stil geriet in eine Krise, die mit dem Schwund der Legitimation von künstlerischer Tradition und tradiertem Handwerk zusammen gesehen werden muss. An die Stelle des generischen Stils tritt ein Personalstil. Dem grundlegenden Zusammenhang von Individualisierung und Technik geht Wolf-Dieter Ernst im Rückgriff auf den Soziologen Ulrich Beck in seinem Beitrag »Stil, Technik und Risiko – eine kulturhistorische und kulturökonomische Skizze« nach. In den Fokus rücken Theaterprojekte wie Disabled Theatre von Jérôme Bel und die Dombauarchitektur sowie Fragen nach den gesellschaftlichen Zusammenhängen, welche die Entwicklung technischer und stilistischer Merkmale bestimmen, ermöglichen oder verhindern sowie nach den Regeln, die Stil zu- und umschreiben oder auch verweigern.

Am Stadttheater Osnabrück kamen in den vergangenen Jahren Rekonstruktionen von Mary Wigmans Le Sacre du Printemps und von ihren zwei Totentänzen heraus. Maßgeblich daran beteiligt war die Tanzwissenschaftlerin und Dramaturgin Patricia Stöckemann, die im Gespräch mit Thomas Betz Stil im Ausdruckstanz diskutiert. Der lässt sich trotz Individualitätspostulat dieses »Neuen Tanzes« schwer fassen. Technisch und was die Qualitäten anlangt, hat Rudolf von Laban mit seiner Raumharmonielehre (Choreutik) und seiner Ausdruckslehre (Eukinetik) ein umfassendes System von Bewegung(smöglichkeiten) formuliert, auf dessen Basis dann zahlreiche Tanzschaffende der Epoche arbeiteten, speziell Labans Schüler*innen und Mitarbeiter*innen, zu deren prominentesten Mary Wigman und Kurt Jooss zählen.

Evelyn Annuß untersucht in ihrem Beitrag »Bewegungs- als Regierungskunst: Zum ›tänzerischen Stil‹ Hanns Niedecken-Gebhards« eine bewegungschorische Avantgarde-Ästhetik in ihrem grundlegenden Wandel von der Führungspraktik (im Thingspiel) zur Selbstlenkungspraktik (im ornamentalen Stadionspiel). Die propagandistische Form tänzerischen Regierens reperspektiviert Annuß als Stilfrage der Tanzproganda biopolitisch, »um die gesellschaftlichen Tiefendimensionen einer Bewegungskunst der Massen der Zwischenkriegszeit zu erkunden und die grundlegenden Kräfteverschiebungen zu skizzieren«. Die, so Annuß’ These, auf zeitgenössische Regierungstechniken im Foucault’schen Sinn verweisen, auf deren Dispositive, Wandel und Fortleben.

In einem Oral-History-Projekt fokussieren Claudia Jeschke und der Tänzer Rainer Krenstetter in »Re: George Balanchine – Stil und Divertissement« drei Männer-Variationen in Werken des 1983 verstorbenen Choreographen. Die für die Lecture Performance, die für diese Publikation modifiziert verschriftlicht wurde, untersuchten Ausschnitte aus Divertimento No. 15 von 1956, Serenade (1935) und Stars and Stripes (1958) werden hinsichtlich des von Zeitzeug*innen konstatierten »Balanchine Style« im Hinblick auf Balanchines Umgang mit der Musik, mit dem Schrittmaterial des Ballettrepertoires und mit dem Raum befragt. Identifiziert wird ein »Kinesic Style«. »Der Balanchine-Stil«, so das Fazit, »spiegelt demnach weniger eine Person oder Technik oder Ästhetik, als dass er vielmehr ein Register von Potentialitäten offeriert – Möglichkeiten von kreativer Bewegung, von künstlerischer Repräsentation und von Interpretation.«

Christina Thurner nimmt in ihrem Beitrag »›my dance! my style!‹ Selbstfashioning, Selbstreflexion und Stil im zeitgenössischen Tanz« in den Blick, wie Stil zwischen einem ›Ich‹ und ›Welt‹ vermittelt, indem auf kulturelle Identitäten referiert wird und diese inszeniert werden. Die Exklamation »my dance! my style!« bringt demnach eine relationale, referentielle und dynamische Konstellation auf den Punkt, die von der zeitgenössischen Tanzkunst wiederum aufgegriffen wird, um so Fragen nach dem ›Ich‹, dem ›Eigenen‹ und der ›Welt‹, den ›Identitäten‹, der ›Wahrnehmung‹, dem ›Tanz‹ usw. ästhetisch zu reflektieren. Am Beispiel des Solos Private: Wear a mask when you talk to me von Alexandra Bachzetsis wird verdeutlicht, wie Stil heute als fließende, historisch-, gesellschaftlich- und kulturell-referentielle multiple Situierung aufzufassen ist.

Katja Schneider stellt die Frage, wie Stil konturiert werden kann, um ihn für den zeitgenössischen Tanz produktiv zu machen. Im Fokus ihres Beitrags »›what if a body moved like this through the world?‹ Zu Stil und zeitgenössischem Tanz« steht die Überlegung, dass der Rezeption von Stil eine Einübung in kulturelle Normierungen, in kulturelles Wissen, in Konventionen und kognitive wie sensuelle Wahrnehmungsweisen vorausgeht. An Beispielen von Raimund Hoghe, Jérôme Bel, Trajal Harrell und Richard Siegal zeigt sie, wie Stilphänomene Kontextwissen generieren, funktional verknüpfen, manifestieren und für die Rezeption triggern. Ziel ist es zu skizzieren, dass Stil oder besser das Stilistische sich nicht auf einen formalen Stil reduzieren lässt, sondern den Blick lenkt auf die Artikulation und Wahrnehmung kultureller Bedingungen und Implikationen.

Im letzten Kapitel wird Stil gedacht erstens als eine Art und Weise des Tuns, manifestiert in Praktiken und Techniken, zweitens als eine Art und Weise des Zeigens, des Sichtbarmachens, vermittelt durch Bilder, Merkmale, Markierungen sowie drittens eine Art und Weise des Verhandelns über die Arten und Weisen von Tun und Zeigen, eine diskursive Ebene, die ideologisch, ästhetisch, politisch etc. motiviert sein kann: »Street Dance Stil & Style« ist der Beitrag von Nic Leonhardt gewidmet. Wie, wodurch, worüber? Verstanden als Modi von Stil wird dies diskutiert am Beispiel des Videos A-Z of Dance, an HipHop-Mode und -Marken sowie an Hiplet™. Im Falle der Trias von Street Dance, Stil und Style, so der Befund, sind gerade deren unabdingbarer Bezug aufeinander sowie die Mesalliance von scheinbaren Paradoxa Garant für ihre Beständigkeit.

Mein Dank gilt allen Beiträger*innen des vorliegenden Bandes, Prof. Dr. Christopher B. Balme für die Aufnahme in die Reihe Forum Modernes Theater sowie Thomas Betz für redaktionelle Mitarbeit. Dank auch an den Bayerischen Landesverband für zeitgenössischen Tanz (BLZT) für die Unterstützung dieser Publikation.

Der vorliegenden Publikation ging das Symposium Das Rauschen unter der Choreographie. Überlegungen zu »Stil« voraus, das vom 12. bis 14. Mai 2017 im Theater HochX in München stattfand, in Kooperation von Access to Dance und DANCE 2017, Festival für zeitgenössischen Tanz der Landeshauptstadt München.

Katja Schneider München, im August 2018

Stil: Ein indifferentes Merkmal und die Arbeit an Erkenntnis

Sabine Huschka

Der Stil ist nichts anderes als die Anordnung und die Bewegung, die man in seine Gedanken legt. (Buffon)1

In seinem Spätwerk The Mastery of Movement legt Rudolf Laban nachhaltig ein bewegungstheoretisches Denken über die Tragweite von Stil vor. Es besagt:

Daß Bewegung unter ästhetischen und praktischen Gesichtspunkten gesehen werden kann und man von diesem oder jenem Tennisspieler, Eisläufer, sonstigem Sportler oder Filmstar sagt, er habe ›Stil‹, beruht häufig auf winzigen Details einer Bewegungsgewohnheit. Der winzige Unterschied zwischen einer schöpfenden oder streuenden Fußstellung etwa vermag Einfluß darauf zu haben, ob in den Augen der Zuschauer ein Superathlet oder Filmstar ›Stil‹ hat oder nicht. […] Ein darstellender Künstler indes will und muß mehr wiedergeben können als typische Stile, das typisch Schöne.2

Veranschlagt wird ein Modus der Überschreitung und eine qualitative ›Winzigkeit‹, die dem tänzerischen Stil bewegungsästhetisch zu eigen ist und ihn auffällig macht. Diesem Stil wohnt etwas Indifferentes bei, denn ihm ist nur schwer – etwa über klare ästhetische Merkmale – beizukommen. Und doch steht er dem Tänzer und mit ihm der Kunst als Aufgabe vor.

Zeitgenössische Ästhetikdiskurse wie der von Karl Heinz Bohrer betonen vergleichbar ebenso einen Modus der Überschreitung, über den Stil als transzendierende Leistung von Leben und Alltag erkennbar wird:

Stil ist […] als eine Überhöhung des Alltäglich-Selbstverständlichen angesehen worden. Ob man nun vom antiken Terminus ›stilus‹ spricht oder mit Buffons berühmtem Satz davon, daß der Stil der Mensch selbst sei, immer geht es um die Fähigkeit zur Objektivierung von bloß tautologisch Gefühltem: Stilvermögen ist dann eine intellektuell-reflexive Fähigkeit, die qua eines spezifischen Ausdrucks bezüglich einer Sache ihren Adressaten besonders anspricht. Die Sache also ist die nicht zu übersehende Ursache eines jeweiligen Stils, so wie es Goethe 1789 […] formuliert hat: […] Stil beruhe ›auf den tiefsten Grundfesten der Erkenntnis‹.3

Die Perspektiven, in welchen Grundfesten Stil sich verankert zeigt und welche Dispositionen sein dem Allgemeinen dienender Ausdruck bildet, prägen seit dem 18. Jahrhundert das ästhetische Denken über Stil. Ausgehend von Buffon und seiner am 25. August 1753 gehaltenen Rede Discours sur le style zur Aufnahme in die Académie Française setzt ein Stildiskurs ein, der – eingebettet in ein Denken über einen guten Schreibstil und die Aufgabe eines Autors – das Subjekt als erkenntnistragende Instanz ins Zentrum rückt.

Allein die gut geschriebenen Werke werden die Nachwelt erreichen; die Vielfalt der Kenntnisse, die Einzigartigkeit der dargestellten Ereignisse, ja selbst der Innovationscharakter von Entdeckungen – all das sind keine Garantien für die Unsterblichkeit; […] der Stil aber ist der Mensch selbst; den Stil kann man ihm nicht nehmen, er kann sich nicht abheben und nicht verändern: wenn er hoch, edel und erhaben ist, dann wird der Autor zu allen Zeiten bewundert werden; denn es gibt nur eine dauerhafte, ja ewige Wahrheit.4

Stil zeigt sich als ein erkenntnisgeleitetes Ausdrucksvermögen, das mit einem Bewegungsakt der Überschreitung einer rein subjektiven Äußerung hin zum Allgemeinen übereinkommt. Denn, so Buffon weiter: »Es ist die Macht des Genies, sich alle allgemeinen und besonderen Sinnstrukturen (idées) unter ihrem wahren Blickpunkt vorzustellen; nur aufgrund eines besonders feinen Unterscheidungsvermögens wird man sterile Gedanken von fruchtbaren Ideen unterscheiden können.«5 Es bleibt ein »feines Unterscheidungsvermögen«, mit dem ein Künstler, der hier als Genie vorstellig wird, zur Ausbildung von Stil umzugehen versteht – eine Winzigkeit, die jenen qualitativen Unterschied ausmacht, den Laban noch 200 Jahre später begrifflich als Kennzeichen eines tänzerischen Stils anführt.

Karl Heinz Bohrer unterdessen fokussiert in seinen von Friedrich Nietzsche ausgehenden Abhandlungen Stil als das menschliche Vermögen zu einem besonderen Ausdrucksverhalten, dem, wie Bohrer über Nietzsches Entwurf zum ›Großen Stil‹6 ausführt, etwas Ungeheures beiwohnt. Denn beim Stil sei stets die Rede vom »Erhabenen, dessen ästhetische Struktur bekanntlich gefaßt ist als eine vom Ungeheuren oder Schrecken gebrochene Schönheit«.7 Auf diesen mitgeführten Aspekt von Stil wird zurückzukommen sein.

Stil als indifferentes Merkmal: Vagheit und Chance des Stilbegriffs

Gleichwohl Stil begriffsgeschichtlich im Lateinischen stilus als ›Schreibart‹ verankert ist, der verwandt mit stimulus, stimulare, stinguere, instinguere zugleich auf »etwas Pflanzliches, einen Stengel oder einen Stiel«1 verweist, findet dieses etymologische Wissen keinen erkenntnistragenden Widerhall in kunstästhetischen Reflexionen. So ist in den letzten Jahren eine literatur-, kultur- und vor allem sozialwissenschaftliche Renaissance der (historischen und philosophischen) Bedeutungen und Funktionen von Stil zu verzeichnen,2 deren Untersuchungen gewissermaßen als methodischen Einsatzpunkt ihrer Analysen zumeist auf die Vagheit und Widersprüchlichkeit des Begriffs rekurrieren: »Wer sich heute (noch) mit dem Stilbegriff beschäftigt, gerät schnell in einen eigentümlichen Schwebezustand«, betont hierzu K. Ludwig Pfeiffer und reflektiert: »Dem Stilbegriff eignet eine – vielleicht – untilgbare Vagheit; aber diese Vagheit besitzt systematischen Charakter.«3 Pfeiffers kursorische, sprach- und literaturtheoretisch ausgerichtete Untersuchung zur Funktionsgeschichte des Stilbegriffs fahndet genau jener systematischen Charakterisierung des Stils als vagem Begriff nach und kehrt die impliziten Machtdiskurse hervor, die sich in den Verwendungen und Verwerfungen des Stilbegriffs abzeichnen. Pfeiffer folgt hierzu der These, »daß der Sprachstilbegriff stets als Suchbegriff für die Kontrollmöglichkeiten oder doch zumindest als Erfassungsraster für die Implikationen von Sprachhandlungen fungiert«4 und dass »für alle Virulenzbereiche des Stilbegriffs gilt, […]: der Stilbegriff zielt nicht vornehmlich auf die Erfassung eingrenzbarer Sachverhalte ab. Er überdeckt vielmehr analytische Schwächen anderer Kategorien. Das macht ihn irritierend, aber auch interessant.«5 Diese kritische und nicht minder engagierte Perspektive auf die Funktionen des Stils als ästhetischer Denkraum eröffnet einen erkenntnisreichen Zugang zu den vergleichsweise wenigen tanzwissenschaftlichen Beiträgen zur Begriffsfigur des Stils. Auch sie konstatieren als Einsatzpunkt ihrer Untersuchungen interessanterweise dessen »untilgbare Vagheit«.6 Mit Verve und philosophischem Elan eröffnet Stil hiernach einen ästhetischen Denkraum über besondere Phänomene von bewegungsästhetischer Prägnanz.

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9783823301530
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