Kitabı oku: «Diese Worte in ihrem Herzen»
Diese Worte in ihrem Herzen
Berner Weihnachtsgeschichten
Herausgegeben von Brigitte Affolter und Conradin Conzetti
Mit Illustrationen von Martin Stüdeli
TVZ
Theologischer Verlag Zürich
Publiziert mit freundlicher Unterstützung der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und der Christkatholischen Landeskirche des Kantons Bern.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar.
Umschlaggestaltung: Mario Moths, unter Verwendung einer Illustration von Martin Stüdeli
Illustrationen: Martin Stüdeli © 2dbild, Bern
ISBN 978-3-290-17769-0 (Buch)
ISBN 978-3-290-17799-7 (E-Book)
© 2014 Theologischer Verlag Zürich
Alle Rechte vorbehalten
Inhalt
Umschlag
Titel
Inhalt
Vorwort
Préface
Nadja Heimlicher Fotis will heute feiern
Hermann Schwarzen Weihnachtliche Begegnung
Vera Spöcker Der Weihnachtsengel
Hansueli Balmer Tanzender Advent / Solotänzer / Weihnacht
Ursula Trachsel Es ist ein Ros’ entsprungen
Hermann Kocher Franz macht sich auf den Weg
Martina Schwarz «One moment in time»
Daniel Hubacher 24 Skizzen für den Advent
Melanie Pollmeier Wie bei Tante Gertrude Weihnachten wurde
Beat Allemand Weihnachten zu Hause
Stéphane Rouèche Patience, patience!
Lisa Zellmeyer-Hügli Redaktionsschluss
Daniel Lüscher Josefs Traum
Marco Pedroli Le retour des rois mages
Cédric Rothacher Josef
Brigitte Affolter Und Maria hüpfte
Michael Graf Moira wird es dort besser haben
Luzia Sutter Rehmann Es muss doch bessere Lieder geben
Hansueli Balmer Weihnacht I / Weihnacht II
Alexandra Flury-Schölch Tatsächlich schöne Weihnachten
Nassouh Toutoungi Un chapelet de souvenirs
Steffen Rottler Und siehe, ich bin bei euch
Philippe Koenig Die drei Weisen aus dem Abendland
Marc van Wijnkoop Lüthi Aufbruch
Nachwort
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Fussnoten
Vorwort
Weihnachtsgeschichten, immer wieder neue? Klar, im Unterricht, am Altersnachmittag, im Gottesdienst und unterm Weihnachtsbaum lesen oder erzählen wir jedes Jahr Geschichten. Zeitgemäss, berührend und theologisch fundiert sollen sie sein, zum Nachdenken oder Schmunzeln einladen und nicht süsslich, veraltet oder allzu gesucht erscheinen.
Wir haben 24 Erzählungen gesammelt: geschrieben von alten und jungen, deutsch- und französischsprachigen, reformierten, christ- und römisch-katholischen Pfarrerinnen und Pfarrern und von kirchennahen Menschen aus dem Gebiet der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn.
Wir legen sie vor unter dem Titel: «Diese Worte in ihrem Herzen». Gemäss dem Lukasevangelium hörte Maria von den Hirten und Engeln Wundersames über ihr Neugeborenes: In diesem Kind sei Gott Mensch geworden. Diese Worte behielt sie in ihrem Herzen, «bewegte» und «erwägte» sie, oder sie hatte «drann ume gsinnet».
Um das Zusammenfügen von Mensch und Gott in diesem Kind kreisen seit Jahrhunderten die Weihnachtsgeschichten; dieses suchen sie zu erzählen und zu erklären, zu loben und zu vertiefen, zu fantasieren und zu vergegenwärtigen; daraus ziehen sie Folgerungen. So auch unsere Geschichten.
Überrascht und erfreut sind wir über die Vielfalt der 24 Geschichten und Gedichte. Ein Zeichen dafür, wie ungebrochen kreativ die Legende der Weihnachtsgeschichte wirkt. Viele der Beiträge in diesem Band erzählen von Wärme in kalten Zeiten. Andere spielen mit den Legenden der Geburt und der Weisen aus dem Morgenland. Sodann legen wir einige experimentelle Texte vor. Diese wagen sich versuchsweise von den bisherigen, klassischen Formen der Weihnachtsgeschichten weiter weg und überraschen, fordern heraus und erfreuen mit ungewohnten Inhalten und Schreibweisen. Schliesslich beinhaltet das Bändchen auch persönliche Betrachtungen zu Weihnachten; sie sind durch grosse Anführungszeichen markiert. Diese sind keine Geschichten im klassischen Sinn mit Haupt- und Nebenfiguren und einem fortlaufenden Geschehen.
Die Illustrationen von Martin Stüdeli laden dazu ein, den Blick zu öffnen und die Geschichten auf andere Weise zu ergänzen.
Wir danken allen, die zu diesen «Worten in ihrem Herzen» beigetragen haben, den Autorinnen und Autoren, dem Illustrator sowie dem Theologischen Verlag Zürich mit seinen Lektorinnen Bigna Hauser und Corinne Auf der Maur.
Brigitte Affolter und Conradin Conzetti
Préface
« Un matin, son grand-papa arrive vers lui la main fermée : « Regarde, j’ai un trésor ! »
Bastien est impatient de découvrir ce qui se cache dans la main de son grand-papa. Ce dernier l’ouvre et il découvre une toute petite graine. »
Nous avons assemblé 24 contes de Noël écrits en allemand et en français, par des personnes de tous âges, qui assument un ministère dans une des Eglises reconnues dans le canton de Berne (Eglise catholique-chrétienne, Eglise catholique romaine et Eglises réformées Berne-Jura-Soleure), ou proches d’elles.
Nous les publions sous le titre : « Ces mots dans son cœur ». Selon l’évangile de Saint Luc un ange du Seigneur parut aux bergers qui portèrent la merveilleuse nouvelle de la naissance du nouveau-né à l’étable : il vous est né aujourd’hui dans la ville de David, un Sauveur, qui est le Christ Seigneur.
Ce sont ces mots, que Marie garde dans son cœur, en vivant et en réfléchissant leur signification.
Persuadés que nous avons de nouveau besoin de contes de Noël, nous sommes ravis de vous présenter un riche choix. Plusieurs de ces histoires parlent de chaleur en périodes froides. D’autres ont pour thème les légendes de la naissance et des rois mages. Puis, nous vous présentons quelques textes expérimentaux. Ceux-ci s’éloignent à titre d’essai de la forme classique des histoires de Noël; ils nous surprennent, nous défient et nous font plaisir grâce à des contenus et des styles inhabituels. Finalement, le livre contient également des considérations personnelles concernant Noël ; vous les trouverez entre grands guillemets. Il ne s’agit pas d’histoires au sens classique du mot avec des personnages principaux et secondaires et une histoire suivie.
Nous remercions beaucoup les auteurs, les lectrices Bigna Hauser et Corinne Auf der Maur, l’Edition TVZ, et finalement Martin Stüdeli, qui a magnifiquement illustré les contes.
Brigitte Affolter et Conradin Conzetti
Nadja Heimlicher
Fotis will heute feiern
Andreas nannte sein Zimmer «das Loch». Als ich im Tiefparterre jenes Wohnblocks in Athen auf dem fleckigen Sofa sass, verstand ich, warum. Von der Decke hing eine nackte Glühbirne. Es gab weder Stühle noch ein Bett, und ich vermutete, dass Andreas auf dem Sofa zu schlafen pflegte. Die einzige Zierde in dem schmucklosen Zimmer war eine kleine Ikone von der heiligen Gottesmutter, die geduldig leidend auf uns herabblickte. In der einen Ecke stand der Fernseher, der unbeachtet lief, in der anderen Ecke befand sich ein kleiner Holzofen. Ein Aluminiumrohr diente als Rauchabzug, es führte durch ein Loch im Fenster hinauf auf die Strasse. Trotz dieser Vorrichtung roch es penetrant nach Rauch. Vor uns auf dem niedrigen Tischchen drohte der Aschenbecher überzuquellen. Andreas schenkte aus der PET-Flasche Wein nach, Fotis zündete sich eine neue Zigarette an, wir tranken schweigend. Draussen hatte feiner Regen eingesetzt.
Andreas hatte es nicht leicht gehabt in den letzten Monaten. Die Finanzkrise hat das Kleidergeschäft, in dem er arbeitete, hart getroffen. Seit dem Sommer musste er mit der Hälfte des ursprünglichen Lohnes leben. Auch das Weihnachtsgeld war dieses Jahr weggefallen. «Es sieht übel aus», hatte er mir gesagt.
Fotis war Schauspieler. Er behauptete stets, er sei früher auf den bekanntesten Bühnen in ganz Griechenland aufgetreten, und ich wusste nie, ob ich ihm glauben sollte. Offenbar hatte er einige Jahre am Omoniaplatz eine Schauspielschule betrieben, die er dann aus wirtschaftlichen Gründen hatte aufgeben müssen. Seit er auch seine Wohnung nicht mehr bezahlen konnte, lebte er mehr oder minder auf der Strasse. Jetzt im Winter sass er oft bei Andreas am Ofen.
Ich hatte eigentlich bereits heute nach Hause fliegen wollen, um Weihnachten mit meiner Familie zu verbringen. Doch nun streikte das Bodenpersonal und ich würde erst einen Tag später reisen. Die Aussicht, Heiligabend allein in meiner Athener Wohnung zu verbringen, hatte mir nicht behagt, weshalb ich beschlossen hatte, bei Andreas und Fotis vorbeizuschauen. Jetzt ärgerte ich mich, dass ich gekommen war. Heiligabend im Loch. Mit einem frustrierten Kleiderverkäufer und einem verwahrlosten Schauspieler. Frohe Weihnachten!
Eine Weile herrschte drückende Stille. Dann sagte Fotis: «Ich will heute feiern.» Andreas stand auf, nahm ein Scheit von der Beige und legte es in den Ofen. Eine Weile starrte er in die Glut, dann knallte er das Törchen zu, drehte sich wieder zu uns und rief höhnisch: «Ah, der Herr möchte feiern? Dass ich nicht lache! Foti, du alter Penner, du darfst uns gerne einladen! Gehen wir doch ganz schick nach Kolonaki, da kannst du feiern, bis dir die Ohren wackeln, du Trottel!» – «Nein, im Ernst», erwiderte Fotis. «Es ist Heiligabend, ich will feiern, und ich weiss auch wo.»
Mir war alles recht, um aus dem Loch zu kommen. Andreas liess sich überreden. Fotis führte uns über stille Plätze und durch menschenleere Strassen. Athen wirkte wie ausgestorben. Vor der Tür eines älteren Hauses blieb Fotis stehen. «Hier sind wir.» – «Du Idiot, wir haben ja gar nichts mitgebracht», zischte Andreas, doch der alte Schauspieler hatte die Klingel schon gedrückt. Von drinnen erklangen Schritte, die Tür wurde geöffnet und Licht fiel auf das nasse Trottoir. Im Eingang stand eine junge Frau in einem weissen Tüllkleid. Sie war übergewichtig, schielte stark und strahlte über das ganze Gesicht. «Foti, wie schön», rief sie und fiel ihm um den Hals. «Oh, und noch mehr Gäste! Kommt, kommt alle herein!» Die Frau hiess Maria und hüpfte mit ihren Plüschpantoffeln erstaunlich leichtfüssig die Wendeltreppe hinauf ins Obergeschoss.
«Du bist wohl nicht bei Sinnen, was soll das?», flüsterte Andreas. «Das ist eine betreute Wohngemeinschaft für Frauen mit psychischen Problemen.» – «Und was sollen wir hier?» – «Feiern», flüsterte Fotis zurück und zwinkerte uns zu. Wir stiegen die Treppe hinauf und gelangten in einen offenen Raum. Die Frauen sassen auf der Polstergruppe und assen. Als sie uns erblickten, begannen sie zu kichern. Eine ältere Frau strich beharrlich die geklöppelte Tischdecke glatt. Neben ihr wiegte sich ein Mädchen hin und her und summte leise eine Melodie. Die Lichter am synthetischen Tannenbaum wechselten gemächlich von blau zu rot.
«Bedient euch», forderte Maria uns auf, und deutete auf den Tisch. «Es ist von allem genug da.» Fotis liess sich nicht zweimal bitten und lud sich Oliven, Hackfleischbällchen, Tsatsiki und Brot auf einen Kartonteller. Ich konnte hören, wie eine grauhaarige Dame, vermutlich die Betreuerin, zu ihm sagte: «Gut, dass du gekommen bist, Foti. Die Mädchen haben dich vermisst.» Andreas und ich setzten uns auf die freien Stühle, die Teller auf den Knien. Die Häppchen waren köstlich.
Auf einmal verstummen die Gespräche und ich merke, dass die Frauen Fotis erwartungsvoll beobachten. Dieser greift hinter den Tannenbaum, zieht einen Instrumentenkoffer hervor und nimmt eine reich verzierte Bouzouki daraus. Andächtig fährt er mit der Hand über den langen perlmuttverzierten Hals und liebkost das dunkle Holz des bauchigen Körpers. Den Blick auf den Boden gerichtet schlägt er den ersten Akkord an. Ein Lächeln huscht über sein verlebtes Gesicht und dann geht es los. Fotis’ Hände fliegen über die Saiten und bringen das Instrument zum Weinen und zum Jubilieren. Ohne Vorwarnung reisst er uns mit in höchste Höhen und tiefste Tiefen.
Maria steht in der Mitte des Raumes, breitet die Arme aus, wirft den Kopf in den Nacken und tut erste Schritte, erst suchend, dann sicherer. Jetzt springt Andreas auf und schliesst sich ihr an. Alles Schwere scheint von ihm abgefallen, seine Augen blitzen. Die Frauen erheben sich, eine nach der anderen, legen einander die Arme über die Schultern und tanzen mit. Fotis spielt einen wirbelnden Rhythmus nach dem anderen. Diese Musik trifft das Innerste der Seele und lässt Schmerz und Freude ineinander verschmelzen. Maria löst sich aus dem Kreis, ergreift meine Hand und zieht mich auf die Tanzfläche.
Hermann Schwarzen
Weihnachtliche Begegnung
Er war eben am Flughafen angekommen, nach einem ruhigen Flug mit nur leichten Turbulenzen. Er hatte einige Tage in der Nähe von London gearbeitet. Der Grund war eine Panne in der Verpackungsanlage, die seine Firma dorthin geliefert hatte. Es lag an der Software, wie er von Anfang an vermutet hatte. Doch dann waren noch zwei drei kleinere Probleme dazu gekommen und er brauchte Ersatzteile. So hatte es gedauert, volle zwei Tage länger als geplant. Jetzt am Weihnachtsabend war er froh, vor dem Einnachten wieder zurückzusein. Seit Jahren war er bei seiner Arbeit als Techniker in der Welt unterwegs und noch immer faszinierte ihn der Blick aus dem Flugzeug. Es gab magische Momente, wie heute, als er im Flugzeug auf der Schattenseite gesessen hatte und die tief stehende Sonne vom Westen her nur noch den kleinen Winglet-Flügel am Ende der Tragfläche zum Leuchten gebracht hatte. Und dieses glänzende Stück Metall zog über den tiefblauen Himmel wie ein Komet.
Den Gedanken an einen Stern hatte er als einen leisen Trost empfunden, denn er wusste, dass in der Ankunftshalle des Flughafens niemand auf ihn wartete und er diesen Weihnachtsabend auch heute allein verbringen würde. Seit vier Jahren war er geschieden. Die Kinder lebten bei ihrer Mutter und ihrem neuen Partner. Sie hatte es sich nach der Scheidung zur Angewohnheit gemacht, über die Weihnachtstage wegzufahren. Manchmal kam ihm der Gedanke, sie wolle ihn damit bestrafen. Seine Tochter und sein Sohn, beide bald erwachsen, würden ihn in den Tagen nach Weihnachten besuchen. Er hatte Geschenke für sie gekauft und würde dann mit ihnen auswärts essen gehen. Ob er ein guter Vater war? Er hatte sich einige Mühe gegeben, aber die langen arbeitsbedingten Abwesenheiten waren für alle eine Belastung gewesen. Und so hatten auch er und seine Frau sich mehr und mehr auseinandergelebt. Am Schluss passte nicht mehr viel zusammen. Doch die ersten Monate nach der Scheidung waren trotzdem hart gewesen.
Er fuhr mit der Bahn vom Flughafen ins Stadtzentrum und liess sich dann mit dem Taxi zu seiner Wohnung fahren. Es war eine eher bescheidene Wohngegend, aber er hatte ganz oben im sechsten Stock eines Wohnblocks eine Dreizimmerwohnung mit Dachterrasse gemietet. Der Blick Richtung See und in die südlichen Berge hatte es ihm angetan.
Er spürte auch diesmal eine leichte Beklemmung, als er in die leere Wohnung trat. Er stellte die Heizung höher, schlug die schweren Vorhänge zurück, draussen war es schon dunkel. Er stand einen Augenblick unschlüssig da; sollte er nicht gleich wieder gehen und irgendwo etwas essen? Dann aber sah er den kleinen Adventskranz auf dem Clubtisch im Wohnzimmer, den seine Tochter ihm geschenkt hatte. Bisher hatte erst eine Kerze gebrannt und mit einem Anflug von schlechtem Gewissen zündete er alle vier Kerzen auf einmal an, holte sich dann ein Glas und goss sich einen Whisky ein, einen aus dem südwestlichen Schottland mit diesem rauchigen Geschmack, den er so liebte.
Bald einmal kamen Gedanken, Erinnerungen an frühere Weihnachten, als die Kinder noch klein waren, an Weihnachtslieder und Spielzeuggeschenke. Und plötzlich fiel ihm das kleine Dreirad ein, das er vorher bei der Türe zum Lift gesehen hatte. Es gehörte den zwei Kindern, den einzigen im Haus, die im zweiten Stock wohnten, zusammen mit ihrer Mutter, die offenbar alleinerziehend war. Er hatte gehört, der Vater der Kinder habe sich irgendwo ins Ausland abgesetzt. Die Frau war ihm gelegentlich begegnet und die Kinder sah er, wenn sie beim Hauseingang spielten. Er kam selbst aus sehr ärmlichen Verhältnissen und hatte ein untrügliches Gespür für diese Armut von Kindern in sauberen, aber etwas ausgewaschenen Kleidern, für die kaum sichtbaren Kratzer, die den gebrauchten Spielzeugen ihren Glanz nahmen. Diese Kargheit, die sich nie ganz kaschieren liess, berührte ihn, ja löste ganz tief in ihm etwas aus.
Dann sah er auf dem Tisch eine noch unbeschriebene Weihnachtskarte und fasste einen Entschluss: Ja, er wollte schreiben, aber dabei unbedingt anonym bleiben. «Sie werden nie erraten, wer ich bin. Machen Sie sich und Ihren Kindern eine Freude: Gönnen Sie sich einmal etwas Besonderes. Schöne Weihnachten.» Er las das Geschriebene nochmals sorgfältig durch, öffnete dann die Brieftasche. Es hatte darin wie immer reichlich Geld, eine alte Gewohnheit aus der Zeit, als Kreditkarten noch kaum in Gebrauch waren; man wusste ja nie. Dann schob er die Karte und ein paar grössere Noten in den Briefumschlag.
Er entschloss sich, den Umschlag vor die Türe zu legen, nicht in den Briefkasten, denn der würde über die Festtage kaum mehr geleert werden, und den Leuten im Haus konnte man vertrauen. So stand er vor der fremden Türe und war erstaunt, dass diese nur angelehnt war. War die Frau für kurze Zeit weggegangen? Er musste sich beeilen und legte den Umschlag behutsam auf die Fussmatte. Als er sich wieder aufrichtete und gehen wollte, sah er die Frau auf sich zukommen. Natürlich, sein schlechtes linkes Ohr, er hatte sie nicht kommen hören. Sie trug ein hübsches Kleid und sah jünger aus als mit dem grauen Mantel, in dem sie normalerweise das Haus verliess. Es war ihm unendlich peinlich, er bückte sich und hob den Umschlag auf: «Hier, das ist für Sie und Ihre Kinder. Schöne Weihnachten». Die Frau sah müde aus, aber sie lächelte. Und für einen Augenblick berührte ihre Hand seinen Arm: «Vielen Dank, und auch Ihnen schöne Weihnachten. Wissen Sie, ich muss gehen, die Kinder warten.» «Ja, natürlich, ich verstehe», sagte er und wandte sich zum Gehen. Einen Atemzug lang hielt er inne, ihr Parfum war noch im Raum wie eine Erinnerung, die schon am Verblassen war. Als sie die Türe sanft ins Schloss zog, war ihm, als hörte er hinter sich einen leisen Flügelschlag. Vor dem Fenster im Treppenhaus blieb er stehen und blickte hinüber zum Weihnachtsbaum, den man auf der Strassenkreuzung aufgestellt hatte. Hoch in seinen Ästen hing ein Stern.
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