Kitabı oku: «ERINNERN und BEWAHREN - Leseheft der Autorengruppe „WortArt“»
ERINNERN und BEWAHREN
ERINNERN und BEWAHREN
Leseheft
der Autorengruppe „WortArt“
Sonderausgabe 2017
Ein gefördertes Projekt im Ergebnis des Schreibaufrufes vom Januar 2017
„Diese Maßnahme wurde mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes.“

Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2017
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
Lübbe, Eva
Erinnerung
Was hat Dich plötzlich geweckt?
Immer mehr Details tauchen auf.
Wo war das so lang versteckt?
War es so oder so? Und wann?
Wie komme ich darauf?
Erinnerung, Du bist ein flüchtiges Gut.
Dieser schöne Tag, wann war er bloß?
Er gibt immer wieder Mut.
Unordentlich ist alles aufbewahrt.
Und wichtig muss es gewesen sein.
Erinnerung, lass mich nicht los.
Friedrich, Marga
Geboren 1948 in Leipzig, Deutschland
Asta – ein Hundeleben
Ich heiße Marga Friedrich und bin in Leipzig geboren. Bis heute habe ich in verschiedenen Leipziger Stadtbezirken meine Kindheit, meine Schulzeit, die Lehr- und Arbeitsjahre verbracht. Hier hatte ich viele unterschiedliche Erlebnisse. Eines davon prägte mich ganz besonders.
Als ich 1984 in ein sehr „tiefes Loch gefallen“ war und eigentlich nicht mehr weiter wusste, schenkten mir Freunde zum Geburtstag eine Langhaardackeldame.
Diese Hündin – „Asta“ – brachte mir nach und nach meinen Lebensmut zurück. Ich bekam wieder Freude am Leben.
Über einige Begebenheiten mit meiner Hündin möchte ich berichten:
Asta war also mein Geburtstagsgeschenk von einer Freundin aus Radeberg. Ich holte sie mir persönlich dort ab, da war sie ca. ein halbes Jahr alt. Leider weiß ich ihr genaues Geburtsdatum nicht. Meine Freundin erzählte mir, dass sie die vierte im Wurf war und deshalb nie „Papiere“ erhalten kann. Mir war dies egal. Asta war mir eine gute Kameradin gewesen, sie war mir stets treu ergeben.
Im Frühjahr 1985 wurde sie sehr krank, danach durfte sie nicht mehr geimpft werden. In unserer Gruppe von Hundefreunden befand sich zum Glück eine Tierfreundin, die für Asta ein Heilmittel hatte, so dass diese schnell wieder gesund wurde. Später erfuhr ich, dass sie die Staupe hatte.
Damals arbeitete ich noch als Zustellerin und ging voll arbeiten. Dies war jedoch kein Problem. Asta lernte sehr schnell und war bald stubenrein. Frühmorgens vor der Arbeit ging ich mit ihr spazieren, und dann hielt sie bis Mittag durch. In der ersten Zeit mussten nur einige Dinge „daran glauben“, wie Hausschuhe oder ähnliches.
Nach der Arbeit mache ich erst einen kurzen Rundgang mit Asta, anschließend hielt ich selbst ein kleines Mittagsschläfchen. Danach nahm ich mir immer den Nachmittag für Asta frei.
Sehr oft verbrachte ich meine Zeit im Clara-Zetkin-Park, wo ich einige Hundefreunde kennen lernte. Unter den Hunden befanden sich ein Langhaardackel-Rüde, eine Collie-Dame und ein Mischlingshund. Wir Besitzer waren befreundet.
Eigentlich wollte ich Asta einmal „zulassen“, aber sie weigerte sich strikt, einen Rüden an sich heranzulassen. Wenn Asta „heiß“ war und sich die Rüden ihr näherten, gab es manchmal Ohrfeigen.
Wenn sie „heiß“ war, ging ich nicht unbedingt im Clara-Zetkin-Park spazieren, weil ich vermeiden wollte, dass die Rüden hinter ihr her waren. Trotzdem passierte es manchmal, wenn ich zu Hause ankam (damals wohnte ich in der Gottschedstraße 1), dass mehrere Rüden hinter ihr her waren. Da musste ich dann immer warten, bis die Besitzer ihren Hund einholen und anleinen konnten.
Viel später habe ich erst erfahren, warum Asta keinen Rüden an sich heranließ.
Es war Folgendes geschehen:
Asta und ein Schäferhund spielten miteinander, sogar ziemlich intim. Eine Spaziergängerin sprach uns an: „So etwas gehört sich nicht. Hier spielen schließlich auch Kinder ...!“ Die Besitzerin des Schäferhundes fing lauthals an zu lachen ...
Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, meinte sie, dass überhaupt nichts passieren könnte, da ihr Hund eine Hündin sei. – So merkte ich, dass Asta lesbisch war.
Also: Es gibt dies auch unter Hunden – wie ich später von einem Tierarzt erfuhr.
So lange ich in der Gottschedstraße wohnte, war ich sehr häufig im „Clara-Park“.
Asta hatte einen ganz schönen Dickkopf, wenn sie nicht wollte. Zum Beispiel konnte ich sie ohne Leine laufen lassen, auch über die Straße. Wenn sie aber nicht mehr wollte, blieb sie plötzlich mitten auf der Kreuzung sitzen, und die Autofahrer mussten um sie herum fahren. Dies war sehr ärgerlich ... Deshalb bestrafte ich sie dann immer damit, dass sie während der nächsten Wochen nur an der Leine bleiben musste. Das gefiel ihr natürlich nicht. Also war sie zunächst schön brav, bis ich sie endlich wieder frei laufen ließ – bis abermals ihr Dickkopf die Oberhand gewann.
Als ich in die Zweinaundorfer Straße zog, durfte sie nur noch in Parks oder im Wäldchen frei laufen.
Mit Asta konnte ich kleine Reisen unternehmen, besuchte Potsdam, Dresden und Weimar. Nach Dresden und Weimar begleitete uns mein Sohn. Auch mit meinem geschiedenen Mann – mit Auto – erlebten wir einige interessante Ausflüge. Asta und ich haben die Wochenendreisen und einen kleinen Urlaub dabei immer sehr genossen.
Als mein Sohn und seine Familie wieder mit mir Kontakt suchten, kaufte ich mir 1992 einen Garten, um mit ihnen mehr zusammen zu sein. Hier tobte sich Asta richtig aus; aber vor allem gab es jetzt keine Wühlmäuse mehr. Sie verzogen sich zum Nachbarn. Asta hatte im Garten auch eine Freundin, mit der sie gern spielte.
Gelegentlich musste ich Asta bei Fremden oder meinen Kindern abgeben, weil ich sie ja nicht in ein Krankenhaus oder zur Kur mitnehmen durfte. Das nahm sie mir immer übel und beachtete mich nicht, aber nach kurzer Zeit war alles wieder gut.
Als ich in meine heutige Wohnung gezogen bin, konnte sich Asta nur schwer einleben. Ausgedehnte Spaziergänge waren nicht mehr möglich. Sie war inzwischen dreizehn Jahre alt und baute ab. Sie magerte ab, obwohl sie normal fraß. An ihrem Gesäuge bildeten sich kleine, stetig wachsende Beulen, es war Krebs. Dann ging es sehr schnell. Sie wurde immer schmaler und sah nicht mehr viel. Ich wollte Asta nicht unnötig leiden lassen. Der Tierarzt meinte, dass sie eine Operation nicht überstehen würde. So ließ ich sie am sechsten August 1997 einschläfern.
Das konnte ich alles nicht so einfach verarbeiten.
Asta schlief eben nicht gleich ein nach der Spritze. Stattdessen kämpfte sie, zog sich die Spritze wieder heraus, und schrie wie ein Baby. Dies ging mir so durch Mark und Bein ... Auch heute noch, wenn ich das hier aufschreibe, sehe ich dieses Bild vor mir, ... Deshalb ging es mir lange nicht gut.
Aber ich ließ mich nicht unterkriegen, suchte mir neue Hobbys wie „Doppelkopf“ in der „Anger-Crotte“ oder den Chor der Volkssolidarität in der Grunerstraße. Ich war dabei. Aber vor allem tat mir die Arbeit im Garten gut.
Bis dann in mir wieder der Wunsch aufkam: Mit Hund war das Leben doch eigentlich schön und abwechslungsreich.
Deshalb schaffte ich mir ein Jahr später wieder einen Dackel an.
Doch das ist eine neue Geschichte.
Haase, Isolde
Geboren 1922 in Leipzig, Deutschland
Erinnerungen an meine Kindheit
Es war am 21.12.1922. Vaters Schwester Lotte war aus Braunschweig gekommen, um Mutter zu unterstützen. Damals gab es nur Hausgeburten. Die Hebamme, Frau Bornschein, war schon da und um 11 Uhr war es soweit. „Ein Mädchen“ – und was für ein zerbrechliches, zartes!
„Das wird es nicht weit schaffen“, meinte die Hebamme zu Tante Lotte … Aber es schaffte die nächsten Tage, Wochen, Monate und viele, viele Jahre.
Wie weit reicht die Erinnerung zurück?
Mit 1 ½ ein Foto im Hühnerhof hinterm Haus mit Bruder Hans. Mit etwa 2 Jahren ein Foto mit der Jugend des Hauses Portitzer Straße 2: Irma Schmidt, Erika und Traudel Lange, Heinz Wolff. Vorn saß Dina, des Hauswirts schwarze Hündin, und neben ihr die kleine Isolde, wie immer mit einem weißen Schürzchen bekleidet. Bruder Hans hatte die Masern und musste das Bett hüten. Ich durfte mit Hans spielen. „Die kriegt die Masern sowieso“, meinte der gute, alte Dr. Liebmann, der so oft mit Absicht vergaß, eine Rechnung zu schreiben. Aber Vaters „Soldchen“ war zäh und bekam sie nicht!
Dina war unser treuer Freund. Er kratzte früh an unserer Wohnungstür (die Spuren sieht man heute noch). Mutti ließ ihn ein. Er kam sofort an mein eisernes Gitterbettchen, stellte die Vorderpfoten auf den Rand und wartete. Wenn es ihm zu lange dauerte, kam ein vorsichtiges „Wuff“, dann aber raus aus den Federn!

Dina war ein guter Wächter. Kam ein Hausierer, Bettler oder auch ein Straßensänger in den Hof, ging er auf ihn los. Er biss jedoch nicht zu, doch das Hosenbein wurde zerfetzt. Hauswirt Lange hat so manche alte Hose den armen Leuten gegeben.
Wir Kinder spielten gerne im Hof mit den Bananenkisten von Langes Lebensmittelladen, bauten daraus Schiffe und Häuser. Dina war immer dabei. Alles musste wieder ordentlich aufgeräumt werden. Frau Lange achtete sehr darauf.
Onkel Walter, Mutters Bruder, wohnte, seit er aus dem ersten Weltkrieg heimgekehrt war, bei uns im großen Zimmer (16 qm). Er fand in Leipzig Arbeit als Werkzeugmacher bei Lampenschneider (Hugo-Schneider-AG) in der Hugo-Schneider-Straße. Der Zuschuss zur Wirtschaftskasse war willkommen und Onkel bei uns Kindern ganz besonders.
Meine Erinnerung an den dunkelblauen Korbpuppenwagen – ich war etwa 2 Jahre. Hans musste mich suchen. Onkel versteckte mich im Puppenwagen, er packte Kissen darauf. Hans suchte und suchte in jedem Winkel; da musste ich so lachen, dass der Wagen wackelte und schließlich umfiel samt Kind und Kissen. Bei den damals üblichen, großen Rädern war das kein Wunder.
Unsere lieben Nachbarn waren Vater und Mutter Schumann, unsere Ersatzgroßeltern. Mutter Schumann rief zum Baden in die große Wanne. Der große, kupferne Badeofen wurde immer sonnabends angeheizt, um die Zinkbadewanne mit schönem warmem Wasser zu füllen.
Soldi kam als Erste dran – großes Theater, denn sie wollte nicht ins Wasser. Aber dann war es so schön – also wieder Theater, weil sie nicht mehr herauswollte.
Bei allen Feierlichkeiten durften wir Kinder dabei sein und saßen mit in der Runde. Wir bekamen ein winziges Likörglas, darin halb Wasser, halb Erdbeerwein – und stießen mit an. Den schönen, roten Erdbeerwein machte Vater selber. Die großen Glasballons interessierten mich sehr. Mein fachmännisches Urteil lautete „Vater, der Wein kullert immer noch!“ Das waren die Bläschen in dem gebogenen Glasaufsatz durch den großen Korken.
Mutter Schumann hatte in der Wohnung eine Weißnäherei, die für mich sehr interessant war.
Es gab Knopflochmaschinen, eine Hohlsaummaschine und weitere, die für mich wunderbar waren, ganz besonders ein Gerät, das die Knöpfe mit Stoff überzog. Schneiderinnen gaben Stoffreste ab; und so wurden Knöpfe in verschiedensten Größen hergestellt. Das Unterteil war ein Metallteil mit Löchern zum Annähen des Knopfes. Darauf wurde das Oberteil mit dem Stoff gepresst. Den Hebel durfte ich sogar manchmal bewegen, zuschlagen.
Recht gut kann ich mich noch an die Hochzeit von Onkel Walter und Tante Lisbeth erinnern.
Wir Geschwister streuten Blumen; Hans war 7 und ich 3 Jahre alt. Hans trug einen weißen Matrosenanzug, ich ein weißes Spitzenkleidchen, das Mutti aus Gardinenrestchen genäht hatte. Die Hochzeit fand in der Lutherkirche statt. Ein schönes Bild vom Fotografen ist noch erhalten.
Nun hieß Tante Lisbeth auf einmal Jacob und nicht mehr Schmidt, wie Vater und Mutter Schmidt, die beiden gütigen Altchen. Alle wohnten in der Alexanderstraße 3 im Hinterhaus, wo Vater seine Schuhmacherwerkstatt in der Küche auf einem Podest am Fenster hatte. Es nahm die halbe Küche ein. Da stand die Ledernähmaschine; er saß auf einem Schemel, hämmerte und nähte. Es roch so gut nach Leder! Unsere Schuhe reparierte er auch und besohlte sie mit dem guten „grünen Leder“, das haltbar war.
Dann bekamen Onkel und Tante vom Bauverein in Paunsdorf in der Brückwaldstraße eine Wohnung: Stube, Kammer und Küche mit Elektroherd. Tante musste extra einen Kochkursus bei den Stadtwerken besuchen, um zu lernen, wie er zu benutzen war. Im Keller gab es für jede Etage ein Gemeinschaftsbad; das war schon Komfort. Für die Wohnung hatten beide fleißig jeden Monat Geld eingezahlt. Damit waren sie Mitglied des Bauvereins.
Zum Dorf Sellerhausen gibt es viel zu erzählen. Der Bauer „Luft“ hatte nicht den besten Ruf.
Es war dort nicht so gepflegt und ordentlich wie bei Zschorns. Beim Stellmacher „Stück“ im Grundstück gab es keinen Bauern mehr, dafür eine Auto-Fahrschule mit Autoreparatur. Unser Vater bekam dort eine schöne, große Werkstatt. Die Bauern hatten ihre Felder auf der Fläche hinter der Rietzschke, dem Flüsschen, das bis zum Stünzer Park floss. Es wurde dort meist Kohl angebaut und auch Milchwirtschaft betrieben.
Sonntags unternahmen wir mit Onkel und Tante Ausflüge. An manchen Sonntagen spazierten wir zu Schilles Gelände. Dahinter waren Bahnanlagen. Züge fuhren dort nicht mehr; so konnte man herrlich spielen, weil es auch große Sandhaufen gab. Ich spielte im Sand und baute Burgen. Müllers Sohn Günther übte sich indessen im Steine werfen – je weiter, desto besser. Auf einmal traf mich ein großer Stein am Kopf. Ich fasste mit der Hand an die Stelle; es blutete stark. Tante Berta nahm mich schnell auf den Arm und ab ging es zur Pumpe. Dort wurde der Sand aus meiner Kopfwunde gespült und ein Verband angelegt. Ich wurde mit Schokolade getröstet.
Bei der Schulanmeldung wurde ich vom Direktor, Herrn Dr. Drescher, befragt: „Was ist das?“ Er wies auf eine Schere. Ich wusste es natürlich und zwei weitere Dinge auch. Damit war ich schon schulfähig. Unser guter Papa Lüttich weihte uns in die Anfänge ein. Es gab noch die Schiefertafel, und ich schrieb das „I“ so kräftig, dass es richtig ausgekratzt war. Auch gab es noch den Kasten mit Zahlen und Buchstaben, um damit ein Wort zusammen zu stellen. Papa Lüttich führte uns mit Güte und Verständnis durch die ersten 4 Schuljahre. Schläge gab es keine; aber bei anderen Lehrern waren sie durchaus noch üblich.

Dann kam im Januar 1933 die Sprachklassenprüfung und am nächsten Tag war ich krank. Der gute Doktor Liebmann behandelte mich. Ich hatte Scharlach. Ich schälte mich wenig, aber die Augen litten. Hans wurde zu Onkel und Tante ausquartiert. Er war ja schon Realschüler in der Lessingschule, einem Realgymnasium in der Möbiusstraße. Ich erhielt Besuch von Renate Süptitz. Deren Mutter meinte: „Wenn sie es kriegen sollte, dann soll es so sein.“ Aber Annelies blieb gesund.
Ich fing an, aus Langeweile Puppenkleider zu nähen für meine Stoffpuppe (ähnlich einer Käthe-Kruse-Puppe, auch genauso groß), Onkel und Tante hatten sie mir geschenkt. Ich bekam einen passenden Schnitt und durfte sogar an Mutters Nähmaschine. So entstand aus der roten Pelerine meines verwachsenen Wintermantels ein Eislaufkleid (nach dem Vobach-Schnitt), mit einem Glockenrock und weißem Pelzbesatz. Ilse Garsuchs Vater war Kürschner; sie spendierte uns Klassenfreundinnen die Restschnipsel Pelz, die hin und wieder abfielen.
1925 machte sich Vater selbstständig als Tapezierer, Polsterer und Dekorateur-Meister. So nannte sich damals das Berufsbild. Seine erste Werkstatt war unser Keller im Haus. Der Hauswirt Lange stellte uns dann für unsere Kohlen ein kleines, fensterloses Verließ unter der Treppe zur Verfügung. Als nächste Werkstatt wurde im Hof eine Bretterbude gebaut; das war schon etwas komfortabler. Ein großes Holzschild mit dem Firmenzeichen wurde außen am Fenster der Stube angebracht.
Vater malte auch sehr gut. Er besuchte Kurse in der Akademie (Perspektivisches Zeichnen, Aktzeichnen usw.) bei den Professoren Pfeiffer und Mauersberger. Oft fuhr er am Wochenende mit Rad und Staffelei in die Umgebung und malte nach der Natur. Er schuf Linolschnitte und auch Federzeichnungen sowie Ölbilder; das waren meist Aufträge und sie wurden verkauft. Familie Stein erwarb ein Ölbild von Rothenburg ob der Tauber. Ich sah das Bild in Steins Stube hängen und wollte es gern zurückkaufen. Onkel Otto und Tante Lene erfüllten meinen Wunsch; sie schenkten mir das Bild später zur Hochzeit.
Einmal hatte ich einen bösen Furunkel an der Nase. Als der gute Dr. Liebmann ihn schneiden musste, sagte ich keinen Ton. Als er aber den Eiter ausdrücken wollte, rannte ich um seinen Behandlungstisch. „Halten Sie doch das Kind endlich mal fest!“, sagte er zu Mutter. Und dann klappte es, nur meine Nase war fast völlig mit Pflaster verklebt. Ich ging natürlich trotzdem zur Schule, hätte ja sonst etwas verpasst!
Dann kam ich in die Sprachklasse, die sich „Höhere Abteilung“ nannte. Nach dem 11. und 12. Schuljahr wurde die Mittlere Reife erworben. Nach zwei erfolgreichen Jahren mit Herrn Bemmann musste er unsere Klasse an Fräulein Weber abgeben. Sie kam neu an die Schule; viel später erst erfuhren wir, dass sie strafversetzt wurde.
Gleich in der ersten Stunde hatte ich es mit ihr verdorben. Ich musste auf eine Frage antworten und tat dies kurz und bündig, so wie wir es von Herrn Bemmann gewohnt waren. Dann kam: „Bitte etwas ausführlicher“. Ich erweiterte die Antwort und prompt hieß es: „Bitte noch ausführlicher, das reicht mir noch nicht“. Da platzte ich heraus „Ich kann doch nicht bei Adam und Eva anfangen!“ Die Retourkutsche kam dann bei einer Englischarbeit. Ich schrieb souverän und Irmgard, meine Nachbarin, schaute auf meine Arbeit. Fräulein Weber nahm uns sofort die Hefte weg; beide erhielten wir eine 5 mit dem Vermerk: „Isolde Christl erhielt diese Note, weil sie bei der Nachbarin abguckte“. Unsere Väter mussten unterschreiben.
Die „Webern“ hatte in ihrem Schrank unter ihrem Hut eine Trylisinflasche, ein Haarpflegemittel. Wir trieben Unsinn: Schranktür öffnen, die Flasche herum gezeigt. Da kam die Webern zur Tür herein; der Schrank war auf. Ich ging von meinem vorderen Platz hinter, um ihn zu schließen. Darauf erhielt ich wieder eine Strafarbeit. Ich sollte darunter schreiben, weshalb ich sie erhielt, von meinem Vater unterzeichnet. Ich schrieb: Isolde Christl erhielt diese Strafarbeit, weil sie, als Fräulein Weber hereinkam, die Schranktür zumachte; darunter Vaters Anmerkung: „Ist das so schlimm? – Paul Christl“.
Eine gute Tat schaffte Fräulein Weber jedoch: Wir erhielten alle ein Aufsatzthema: „Unsere Heimatstadt Leipzig“. Jede von uns schrieb über einen anderen Bereich, die meisten in Anlehnung an den Beruf ihres Vaters. Diese Aufsätze wurden in einer Mappe gesammelt und sind ein geschichtlich wertvolles Zeitdokument. – Fräulein Weber wurde wieder strafversetzt und nahm unsere Aufsätze mit. Wir erhielten im 8. Schuljahr erneut unseren Herrn Bemmann als Klassenlehrer. Im Englisch-Unterricht begannen wir da, wo wir im Jahr zuvor aufgehört hatten. Doch wir schafften das doppelte Pensum spielend.
Nach Jahren besuchte ich Fräulein Weber und bat sie, mir die Aufsätze für ein Klassentreffen zu leihen. Ich gab sie ihr später nie zurück. Sie existieren noch heute.
Einmal war ein Pflichtbesuch im Kino angesagt. Alle Klassen waren schon fort; nur wir warteten auf einen Lehrer, der uns ins Kino begleiten sollte. Ich regte an, dass wir uns vor dem Zimmer ordentlich aufstellten, wie es damals üblich war. Da kam unser Rektor Busch, ein Nazi, der sich auch sehr gern in Uniform zeigte. Er fragte, wer das Antreten angeordnet hatte. Ich meldete mich sofort. Ein anderer Lehrer führte die Klasse ins Kino. Ich aber musste mit in sein Zimmer und nach einer kleinen Vorlage das Sächsische Wappen mit dem Rautenkranz sowie das Leipziger Wappen mit dem Löwen in einer ganz bestimmten Größe zeichnen. Das war eine Aufgabe für mich, die ich gern erledigte. Die beiden Wappen waren mir auch sehr gut gelungen. Die großen Jungen wurden im Werkunterricht angewiesen, die Zeichnungen auf Holz zu übertragen und auszusägen. Nachdem sie die richtige Lackfarbe aufgetragen hatten, wurden die Wappen im Flur aufgehängt. Ich stellte fest, dass sie noch viele Jahre vorhanden waren; ja, ich war sogar ein wenig stolz darauf.
Die beiden letzten Schuljahre mit unserem hochverehrten Herrn Geißenhöner sind noch in sehr guter Erinnerung. Wir wären nie auf den Gedanken gekommen, ihm einen Streich zu spielen. Er war ein wunderbarer Pädagoge und führte uns auch in die klassische Musik ein. Wer sich interessierte, erhielt von ihm eine Konzertkarte; auch ich kam öfter in diesen Genuss. Er machte aus unseren 28 Mädchen einen sehr guten Chor.
Wir traten einmal gemeinsam mit dem Schönefelder Männergesangverein, dessen Leiter er war, im Tanzlokal „Sächsischer Hof“ in Schönefeld auf. Das Konzert war sehr gut besucht. Die Männer trugen deutsche Wald- und Jagdlieder vor und wir sangen „Lieder aus aller Herren Länder.“ Wir hatten große Schilder angefertigt, eines mit den Ländernamen und das andere mit dem Titel des jeweiligen Liedes. Wir waren sehr stolz auf den großen Applaus. Zum Abschluss war noch Tanz; wir 16-jährigen Mädels durften bleiben (unsere Eltern waren auch anwesend). Unser Turnlehrer Herr Hering brachte uns das Tanzen bei. Margot Walter war sogar schon in der Tanzstunde gewesen. Unsere Freunde aus dem Turnverein, die wir vorsichtshalber eingeladen hatten (wir wollten ja keineswegs „sitzenbleiben“), brauchten wir gar nicht, denn wir hatten immer Tänzer.
Wenn Weihnachten war, gab es stets viel Geheimnisvolles um uns herum. Wir mussten in die Küche gehen. In der Stube wurde alles aufgebaut und der Weihnachtsbaum wurde geschmückt. Wir warteten gespannt auf das Klingeln der kleinen Glocke, die Vater aus dem Krieg vom Minensuchboot mitgebracht hatte. Endlich war es soweit, die Glocke erklang und wir durften in die Stube. Die Kerzen am Weihnachtsbaum erstrahlten. Vater spielte Weihnachtslieder auf seiner Geige, die den Krieg auf dem Boot miterlebt hatte, und die ganze Familie sang dazu.
Wir bekamen unsere Plätze mit den Geschenken angewiesen. Aufgebaut war bei Hans der kleine Kaufladen und bei mir die Puppenküche mit Küche, Schlafzimmer und Bad. Im Bad konnte die Wanne mit Wasser gefüllt werden. Außen war ein Behälter angebracht und an der Wanne gab es einen Wasserhahn. Die Möbel in der Küche stammten noch aus Mutters Kindheit. Der Schrank war so groß, dass er den Rand der Küche überragte. Dafür passte aber auch viel Geschirr hinein, auch davon war vieles noch von Mutter. Natürlich gab es in der Küche auch eine Wasserleitung mit „richtigem Wasser“.
Als wir einige Jahre älter waren, erhielt ich zu meiner Puppenküche einen Spirituskocher, der nur im Beisein von Vater benutzt werden durfte. Da wurde gekocht und gebraten: Aus Rosenkohl fabrizierte ich Krautwickel, die Hans sogar verspeiste. Dafür wurde meinem Püppchen genehmigt, im Zug von Hans` Eisenbahn mitzufahren. Die Eisenbahn wurde auf den Tapeziertafeln aufgebaut. Die Lok hatte einen Schlüssel, mit dem sie aufgezogen werden konnte. Die Schienen hatten eine große Spurweite und entsprechend groß waren die Lok und die Wagen. Das Schienennetz war lang, hatte eine Kreuzung und Weichen, die per Hand bedient werden mussten. Man konnte damals Modellierbogen kaufen, aus denen die schönsten Häuser, Bahnhöfe, Schulen usw. gebastelt wurden. Beteiligt waren Vater und wir Kinder. Wir schnitten sorgfältig aus, falzten und klebten mit Begeisterung.
Unser ganzes schönes, oben genanntes Spielzeug wurde in Vaters Werkstatt in die Karl-Härting-Straße ausgelagert, als unsere Bodenkammern geräumt werden mussten. Es waren dort Lattenverschläge aus Holz, die im Krieg aus Brandschutzgründen verboten wurden. Und all das verbrannte dann leider während des 2. großen Luftangriffes auf Leipzig ...
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