Kitabı oku: «Frankfurter Wegsehenswürdigkeiten», sayfa 3
Ein Goetheturm,
endlich vernichtet
Von F. W. Bernstein
Wer erinnert sich noch an das Goethegebäude in Bokkenheim? Wem graust es noch im nachhinein vor dieser enormen architektonischen Scheußlichkeit?
Es war ein Schandfleck der besonderen Art. Nein – es war nicht das höchste der siebenhundertdreiundzwanzig Goethehäuser in Frankfurt, von Reimwerkern in Heimarbeit errichtet zur Erinnerung an das Beisammensein von Faust und Gretel Adorno im Kettenhofweg. Als bauliches Potenzsymbol hatte es aber keine Chance neben den luziden Geldtürmen der Banken.
Nun hat man das Ding an einem Sonntag Anfang Februar 2014 gesprengt. Die Schönheit der Explosion ist, wie alles Schöne, nicht von Dauer. Der Schuttberg aus eitel Kulturgestein und Balkenbrand soll bleiben. Ein schöner Haufen Schutt – alles ist gut.
Vorbildliche Leistung
Von Arno Dahmer
Von außen erinnert sie an ein großes Rechenheft: Betonelemente teilen die Fassade in quadratische Flächen – braun verklinkerte Vierecke, innerhalb derer sich die Kästchenstruktur leicht abgewandelt und in kleinerem Maßstab wiederholt. „Universitätsbibliothek“ steht über dem Eingang. Wer weiß, was dort einmal stand, kann noch immer „Stadt- und …“ entziffern. Zwar wurden die Buchstaben abgenommen, doch blieb eine Art Schatten zurück, eine dunklere Tönung der Klinker. Darin scheint sich ein administratives Grundprinzip auszudrücken: Es wird nur das Nötigste getan. So gab es einmal eine ältere Generation von Schließfächern, die dem Benutzer immer genau das eine Zwei-Euro-Stück abverlangten, das er gerade ausgegeben hatte. Später wurden sie abgebaut und hinterließen einen schmutzigen Abdruck, um den sich nun keiner mehr schert. Und in den Lesesälen findet man seit Jahren Verlängerungsschnüre mit mehrfacher Einsteckmöglichkeit – an die sich immer gleich mehrere Laptops mit ihren Kabeln zu klammern scheinen wie Ertrinkende an ein Stück Treibholz. Neue Wandsteckdosen zu installieren widerspräche dem palliativen Prinzip. Selbst der Katalog ist eine Behelfskonstruktion. Obwohl natürlich längst computerisiert, besteht er zu einem beträchtlichen Teil aus eingescannten Karteikarten. Und eine zerbrochene Scheibe auf der Stirnseite des Gebäudes hat man kurzerhand durch ein Stück Holz ersetzt. Bis auf weiteres. Den Rest dann später, vielleicht, irgendwann, vielleicht gar nicht.
Es ist, als warte die Bibliothek nur noch auf ihre Auflösung, Ausweidung, Sprengung.
Studenten gehen hier ein und aus. Aber ausdauernd, wirklich ausdauernd, würde ein Student die Bibliothek nicht besuchen – das wäre gegen die Natur –, vielleicht nur während einer Prüfungsphase für ein paar Wochen oder Monate, gut organisiert, mit Wasserfläschchen, Laptop, verschiedenfarbigen Stiften, Ohrstöpseln und Kopfschmerztabletten.
Regelmäßig, wieder und wieder und wieder, kommen andere, nicht die Studenten, überhaupt keine Hochschulangehörigen.
Da gibt es manche, die betreten die eigentliche Bibliothek, die inneren Bereiche, gar nicht, das brauchen sie auch nicht. Einer zum Beispiel – ein Herr, der sommers wie winters einen graugelben Mantel trägt, der so aussieht, wie man sich einen Kamelhaarmantel vorstellt –, sucht täglich die Toilette im Untergeschoß zum Füßewaschen auf. Er scheint dabei von einer ganz eigenen, rätselhaften Heiterkeit erfüllt und läßt sich Zeit. Ein anderer picknickt gern an einem der Tische bei den Schließfächern. Käse, Schinken, Schnittbrot, Honig, Apfelsaft, einen violetten Joghurt in einem transparenten Gefäß, ja sogar ein Schüsselchen mit Salat holt er hervor und breitet alles umständlich auf dem Tisch aus. Doch so umständlich es wirkt: Daß er einen Fehler macht, ist ausgeschlossen! Denn er hat sich einen genauen Plan zurechtgelegt. – Auch einem Dichter kann man an diesem Ort, bei den Schließfächern, begegnen, einem alten Dichter mit zerzaustem Bart und bitteren Zügen, der auf einem Klemmbrett Verse notiert und gelegentlich zornig die lärmenden Gruppen von Studenten mustert, die sich hier gern zum Lernen verabreden.
Andere zieht es in die Lesesäle, etwa einen älteren Herrn, den man im Wortsinn einen Studienrat nennen könnte, insofern ihm auf Grund seiner unermüdlichen Studien – eigentlich – der Ehrentitel eines Rats zukäme. Täglich sitzt er da, eine beeindruckende Zahl von Büchern vor sich auf dem Tisch. Ob er in ihnen liest, ist allerdings nicht ganz sicher. Wenn man es recht bedenkt, hat man ihn eigentlich immer nur knapp über sie hinwegschauen sehen, mit dem entspannt-aufmerksamen Gesicht eines Lehrers, der eine Klassenarbeit schreiben läßt. Mag also sein, daß auch im üblichen Sinne „Studienrat“ eine passende Bezeichnung für ihn wäre. Doch läßt er manchmal alles Studienrätliche fallen, schnarcht laut, den Kopf auf den Büchern, und ist nicht zu wecken.
Tag um Tag im Lesesaal ist auch der Philosoph. Zur Vorbereitung des Arbeitstages geht er mehrmals zwischen Tisch und Regalen hin und her und bringt immer noch einmal zwei Arme voll Bücher. Indes deutet bei ihm alles darauf hin, daß er in den Büchern liest, ja sogar exzerpiert. Einst ist er eine klassische Mischung aus Student und Stadtstreicher gewesen, man sah ihn in Seminaren über Wittgenstein und Heidegger, dezent Grimassen schneidend, angetan mit einem durchgefetteten Wollpullover, der am Rücken bereits eine wachstuchartige Beschaffenheit zu haben schien. Dann, später, muß er sich irgendwie gefangen haben, er trägt nun saubere Kleider, einen weißen, gestutzten Bart und wirkt beinahe unauffälliger als der Studienrat – nur daß er noch immer diesen gehetzten Gang eines Menschen hat, der jederzeit und überall fürchtet, vertrieben zu werden.
Ach, das Bedürfnis, in der Eingangshalle auf einen dieser Tische, die es dort jetzt gibt, zu springen und zu schreien: „Ihr wißt nichts, überhaupt nichts! Früher …“ Denn hier, wo man später diesen Kiosk eingerichtet, Sitzbänke und Tische aufgestellt hat, stand früher ein Wald von metallenen Karteischränken, der Zettelkatalog. Ach, der Zettelkatalog mit seinen kleinen, ausfahrbaren Ablagen – ein leichter Druck mit den Fingerspitzen, und sie sprangen heraus, welch aparter Mechanismus! Und die Leihscheine … Kennt überhaupt noch jemand das Wort? Man brauchte Geduld, um sie auszufüllen; eine Postkarte schreibt man schneller. Und etwa so, wie ein Kind einen Brief an den Weihnachtsmann schickt, sandte man sie jenem mit der Büchersuche beauftragten Personenkreis im Innern der Bibliothek, dessen Existenz man voraussetzt, andererseits aber auch anzweifelt, da man ihn nie zu Gesicht bekommt – denn mit den Mitarbeitern der Ausleihe kann er ja kaum identisch sein.
Da stünde man also und schrie, und keiner würde einen beachten, geschweige denn verstehen. Nur vielleicht die Dame an der Ausleihe, die immer schon da war und immer dasein wird, bis zu dem Tag, an dem die Bibliothek endgültig schließt und gesprengt wird, und selbst dann wird sie noch dasein, die Tür hinter dem letzten Besucher ins Schloß drücken und mit in die Luft fliegen. Müßte sie es nicht verstehen? Würde sie, der eine in staatlichen Einrichtungen selten anzutreffende Milde eigen ist, begütigende Worte finden? Oder hat gerade sie das Alte längst vergessen? Gerade weil sie schon wieder eine endlose Reihe von Tagen Gelegenheit hatte, aus der immer gleichen Perspektive in die Eingangshalle hinauszuschauen, und sich ihr das Neue bereits eingeprägt hat wie etwas ewig Gültiges?
In den Lesesälen, wo der Studienrat und der Philosoph ihre Tage in Selbstvergessenheit zubringen, zeigen elektronische Tafeln Uhrzeit, Datum, Wochentag, sogar das Jahr, als wollten sie den Besucher daran gemahnen, daß es ein Leben, eine Wirklichkeit außerhalb der Bibliothek gibt und daß seines Bleibens hier nicht ist. Allerdings sind die Anzeigetafeln mittlerweile größtenteils defekt, halb ausgefallen oder halb mit braunem Papier überklebt, und so scheint es auch nur noch halb wahr zu sein, daß ihre verschwommenen grünen Ziffern und Buchstaben an eine andere, ferne Realität erinnern sollen, und nur mehr halb wahr, daß es dieses Leben dort draußen überhaupt gibt.
Doch Tagesgäste bleiben letztlich alle, da ist nichts zu machen. Die walzenförmigen kleinen Lautsprecher überall, auf den Bibliotheksnutzer gerichtet wie Kanonen, sind das sichtbarste und bedrohlichste Zeichen dafür. Denn am Ende eines jeden Tages senden sie eine Folge schrecklicher Pfeiftöne aus, und jeder weiß nun, was es geschlagen hat, einer verbalen Erklärung bedarf es nicht, allein diese spitzen Töne treiben die Stammgäste mit ihren Bücherbergen, Butterbroten, zerschlissenen Taschen und Kamelhaarmänteln hinaus, sanft unterstützt von Bibliotheksangestellten, die sich – in einer Haltung gefaßter Ungeduld – an zentralen Punkten der Bibliothek in Stellung bringen, wobei ihnen aber – ebensowenig wie den Lautsprechern – niemals auch nur ein einziges Wort entweicht. „Doch uns ist gegeben, / Auf keiner Stätte zu ruhn“, rezitiert einer Hölderlin, während er vom Strom der Hinausstürzenden fortgerissen, durch die Drehtür gewirbelt und auf die Straße geschleudert wird.
Kaisersack
oder:
Wo die Ungastlichkeit dieser
Stadt ihren Anfang nimmt
Von Volker Breidecker
Wenn Bahnhöfe das sind, was in vormodernen Zeiten Stadttore waren, so hat Frankfurt mit seinem Hauptbahnhof, dem ein Schicksal à la Stuttgart 21 zum Glück erspart geblieben ist, eins der europaweit schönsten Stadttore. Und wenn die Bahnhofsfassade nicht gerade wieder als Werbeträger verpachtet ist, sieht das hundertsechsundzwanzig Jahre alte Gebäude noch immer so aus, wie Max Beckmann im Jahr 1942 aus der Ferne des Exils diesen melancholischen Ort der Ankünfte und der Abreisen aus der Erinnerung gemalt hat. Nur diesseits des ausladenden Vorplatzes, nämlich dort, wo auf dem im Städel hängenden Bild eine schwarze Katze über einem Paradiesgärtlein thront, da ist im wörtlichen Sinne der heute gültigen Ortsbezeichnung bereits das Ende der Vorstellung eines gastfreundlichen Empfangs erreicht, den diese Stadt ihren Ankömmlingen und Besuchern bereiten würde. Schlimmer kann man einen öffentlichen Platz und den Raum eines auf ihn zulaufenden Boulevards – den einzigen, den Frankfurt besitzt – gar nicht abwerten, als ihn Kaisersack zu nennen. Und städtebaulich wird dieser Ort seit Jahren und Jahrzehnten so behandelt, als läge hier noch immer jenes einstige Galgenfeld, auf dem einzig sich auch ein Akt – wie Marcel Proust einmal schrieb – von solch „furchtbarer Feierlichkeit vollziehen kann wie eine Abreise mit der Eisenbahn oder eine Kreuzerhöhung“. Oder eine Ankunft in der Stadt Frankfurt am Main.
Diese weithin – manchmal auch in einem durchaus wohltuenden Sinne – unromantischste aller deutschen Städte bekommt zwar demnächst (neben einer neuerrichteten Disneyworld-Altstadt der Marke Rothenburg ob der Tauber) ihr Deutsches Romantikmuseum, doch wurde auf der nämlichen Magistratssitzung, die den Ausstieg der Stadt aus der Finanzierung des Museumsprojekts beschlossen hatte – von denselben Stadtvätern später bußfertig wieder zurückgenommen –, auch der vorgesehene Etat für den seit langem geplanten Umbau des Bahnhofsvorplatzes gestrichen und die Wiederherstellung eines menschenwürdigen Übergangs von und zur Magistrale der Kaiserstraße auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben. Damit hatte sich die Stadt auch aus der Affäre eines nicht endenden Streits zwischen ihr und der Deutschen Bahn darüber gezogen, wo das bahneigene Gebiet eigentlich endet und wo der städtische Grund beginnt. Frankfurts notorisch schlechter Ruf unter den rund 450.000 Reisenden, die tagaus, tagein am Hauptbahnhof ankommen oder abreisen, hat hier seinen manifesten Ausgangspunkt, und er wird auch so lange erhalten bleiben, wie den Besuchern die Botschaft vermittelt wird, daß für sie am Schnittpunkt von Bahnhof und Stadteingang keine einladenden Übergänge, sondern nur Untergänge vorhanden sind: Nach dem Willen der Stadtplaner sollen Fußgänger und Fußreisende gehorsam und brav in einer der Unterführungen verschwinden und sich in labyrinthischen unterirdischen Schächten in alle Richtungen verstreuen.
Für jene unverbesserlichen Rollkofferbenutzer und Flaneure der letzten Tage aber, die sich mit Le Corbusier weiterhin auf das „Königsrecht des Fußgängers“ berufen und die Stadt unter freiem Himmel betreten und begehen wollen, haben die Verkehrsplaner die Tortur und das lebensgefährliche Risiko ersonnen, zwischen Bahnhofsvorplatz und Kaisersack – nur Buenos Aires könnte da mithalten – insgesamt neun (alle neune!) allein dem motorisierten Verkehr vorbehaltene Fahrspuren überwinden zu müssen: sieben Fahrbahnen für Autos, Omnibusse und LKWs, die durch ihre sportlich geschwungenen Kurven zum Durchdrücken der Gaspedale und zum kräftigen Aufdrehen geradezu einladen, und zwei für die stählernen Trams, die hier nicht minder fehlplanerisch auf ihren Schienen rollen.
Keine zwei Meter breit ist der Mittelstreifen zwischen den beiden doppelspurigen Fahrbahnen aus Richtung Messe und Alleenring. Wer da mit oder ohne Rollkoffer, Fahrrad, Kinderwagen und/oder Schäferhund hängenbleibt, darf im dichten Gedränge vor ewig roten Ampeln so lange warten, bis er blau oder leichenblaß anläuft, bevor auch für ihn vorübergehend einmal „Grün“ angezeigt ist. Und weil es da ziemlich gefährlich ist, seine Füße allzuweit, allzu ungeduldig und allzu voreilig Richtung Fahrbahn zu bewegen, haben sich die weisen Frankfurter Verkehrsplaner, die auch privat am liebsten im SUV verkehren, ein ganz besonderes Geschenk für das gewöhnliche Fußvolk ausgedacht: die „XXL-Ampel“ mit einem vor antrainierten, proteintrunkenen Muskeln nur so strotzenden „Iron-Männeken“, das offenbar allein imstande sein soll, den im hiesigen Stadtraum drohenden Stahlbädern erfolgreich zu trotzen.
Öffentliche Plätze – das lehrt die Geschichte der europäischen Städte, und das lehren die Stadtsoziologen und Kulturanthropologen – sollten sich dadurch auszeichnen, daß sich auf ihnen Menschen ungehindert und gefahrlos sammeln und versammeln können. In diesem Sinne ist jeder Platz ein Möglichkeitsraum zur Einübung eines zivilen und zwanglosen sozialen Verhaltens von Fremden unter Fremden. Frankfurts Bahnhofsvorplatz und der von ihm durch die Willkür einer verfehlten Stadtplanung abgeschnittene Kaisersack sind in dieser Beziehung wahre Unmöglichkeitsräume. Und wollte man darüber nachsinnen, welcher Zusammenhang sich an dieser wichtigsten Drehscheibe der Stadt zwischen ihrer physischen Gestalt und den daselbst vorherrschenden sozialen Beziehungen manifestiere, man käme auf ziemlich trübe Gedanken. Und doch sehnte man sich weiter nach urbanen Stätten, die die durch die Gesetze der Gastfreundschaft gestiftete Einheit dessen einlösten, wofür im Französischen – der Sprache der „civilité“ schlechthin – ein einziges Wort steht, das „Gast“ und „Gastgeber“ zugleich bedeutet: „l’hôte“.
Warum also nicht im Frankfurter Viertel mit der höchsten Hotelbettenzahl und mit dem höchsten Migrantenanteil unter seinen Bewohnern, in einem Quartier, in dem mehr als vierzig verschiedene Nationalitäten vorwiegend friedlich nebeneinander leben, warum nicht just hier, in dem vielleicht einzig wirklich metropolitanen Viertel dieser Stadt, mit der Einlösung der Gesetze der Gastfreundschaft beginnen?
Grauer Grund
Von Stefan Geyer
„This is German architecture“, meinte der englischsprachige Besucher zu seinem Begleiter und wies mit einer ausladenden Bewegung des rechten Arms über das Gelände. Dann kreuzten sie den Platz zügigen Schrittes in Richtung Steinweg. Es gibt Frankfurter, die diesen Platz noch nie gekreuzt haben, weil sie seit Jahren die Innenstadt meiden und lieber in ihren Quartieren verweilen, im Gallus etwa oder in Ginnheim.
Man kann es verstehen. Menschen, die sich beispielsweise auf den sogenannten Roßmarkt verirren, werden sich unweigerlich fragen, was zum Teufel sie dort machen. Wer hier ist, will woanders hin. Der Roßmarkt ist kein Ort zum Verweilen. Allenfalls dient er ab und an als Aufmarschgelände für Fußballfans, Apfelweintrinker und Salafisten.
In den sechziger Jahren – damals fuhren über den Roßmarkt noch Straßenbahnen und Autos – ließen die Stadtoberen den Platz für Fußgänger untertunneln. Die Fußgängerunterführung fand freilich keine Akzeptanz und wurde irgendwann durch Vandalismus zerstört. In den neunziger Jahren zog die Disko U60311 in den ehemaligen Tunnel, die mittlerweile, nach einem Todesfall und Drogenrazzien und erheblichen Mietrückständen, wieder geschlossen ist. Nur der graffitibeschmierte Eingang am Rande des Roßmarkts erinnert noch an den einst berühmten Club. Er hat die Anmutung einer verranzten Pommesbude und bildet nun so etwas wie das Entree zum Roßmarkt, zu dieser riesigen anthrazitgrauen Fläche im Zentrum der Stadt.
Das leichte Gefälle des Geländes wird mittels einiger Stufen ausgeglichen, über die gelegentlich unaufmerksame Passanten stolpern, und dominiert wird die graue Ödnis vom Gutenberg-Denkmal in der Mitte. Kein Zweiglein, kein Strauch stellt diese Dominanz in Frage. Lediglich an der Ecke zur Kaiserstraße stehen verschämt drei Platanen – als hätte man vergessen, sie zu fällen. Was der gute Gutenberg allerdings auf dem Roßmarkt zu suchen hat, bleibt ein Rätsel, war der Platz doch, wie der Name schon sagt, ein Großhandelsplatz für Pferde.
Im 17. und 18. Jahrhundert diente er als Richtstätte. Hier wurde zum Beispiel am 28. Februar 1616 der antisemitische Aufrührer Vinzenz Fettmilch hingerichtet. Er hatte den sogenannten Fettmilch-Aufstand angezettelt, der zur Vertreibung der Frankfurter Juden und zur Plünderung der Judengasse führte. Das scheint die Planer dieser Innenstadtwüste inspiriert zu haben, denn der Ort verströmt in der Tat den Charme einer Hinrichtungsstätte. Ein Guillotinendenkmal oder ein Henkerbeil in Bronze würde sich gut machen. Alternativ hätte man mit Strohballen ein Geviert markieren und einen Ponyreitplatz für Kinder einrichten können. So würde wenigstens an den ursprünglichen Zweck des Ortes erinnert.
Nein, der Platz dient einzig als Transitraum, den man durcheilt, um zu den Luxusgeschäften in der Goethestraße zu gelangen, in die Freßgass’ oder zur „Flagshipstore“ genannten Kapselkaffeebude gegenüber dem Goetheplatz. Da werden Menschen hofiert, die locker um die achtzig Euro für ein Kilo Aluminiumkaffee ausgeben.
Das, was in Frankfurt gemeinhin als Roßmarkt bezeichnet wird, besteht genaugenommen aus drei Plätzen. Am Nordende des Areals schließt sich der Goetheplatz an. Und man staune und reibe sich die Augen, lungern da doch wahrlich ein paar mickrige Bäume herum.
In der Mitte des mit Steinquadern begrenzten Rechtecks thront die Dichterstatue, die seit Kriegsende und bis zur Fertigstellung dieses städtebaulichen Monstrums im Jahr 2008 die Taunusanlage zierte und dort über Junkies wachte. Dem Roßmarkt wendet Goethe den Rücken zu, er blickt nach Norden. Was er sieht, dürfte ihn allerdings kaum erfreuen. Die anschließende Steinwüste heißt: Rathenauplatz. Ein Denkmal hat man Walther Rathenau jedoch nicht spendiert, dafür ragt am – aus Goethes Sicht – rechten Rand eine etwa zehn Meter hohe, nächtens leuchtende Röhre schräg aus dem grauen Grund. Ein Lüftungsrohr? Kunst? Der Stinkefinger für den Dichter?
Eingefaßt wird auch dieser Teil des Platzes von hellgrauen Betonquadern, die wohl zum Verweilen einladen sollen. Natürlich verweilt hier nur, wer von einem Wadenkrampf gequält wird, einen Schuh binden muß oder seine prallen Tüten voller Billigklamotten, die er auf der Zeil zusammengerafft hat, vorzeigen möchte.
Während der Roßmarkt untertunnelt ist, wurde unter dem Goethe- und dem Rathenauplatz eine Tiefgarage verbuddelt. Auch am Eingang an der Ecke Goetheplatz/Roßmarkt hat Goethe als Dekor herzuhalten, in Schwarzweißgrau. Die schmale Schicht Erde über der Tiefgarage läßt selbstverständlich nicht zu, daß irgend etwas angepflanzt werden könnte, das Ähnlichkeit mit einem Baum hätte. Also hat man sich der Einfachheit halber für anthrazitfarbene Pflastersteine entschieden, die bei längerer Sonneneinstrahlung die Hitze äußerst effektiv speichern. Zwecks Erfrischung schießen einige dürre Fontänen aus dem Boden.
Karl Kraus schrieb mal: „Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst.“ Im Krausschen Sinne wäre es demnach konsequent gewesen, das gesamte Gelände gleich als Parkplatz zu nutzen. Die umliegenden Einzelhändler wären entzückt gewesen, und die Stadt hätte nicht so tun müssen, als wolle sie Stadtplanung für Menschen betreiben.
Wie heißt es bei Goethe? „Schönheit ist überall ein gar willkommener Gast.“ Genau. Und so fügt sich der Roßmarkt, die verschenkte Mitte der Stadt, nahtlos in eine endlose Reihe architektonischer Innenstadtgrausamkeiten ein – weshalb sich der gar beliebte Vergleich Frankfurts mit New York („Mainhattan“) abermals strengstens verbietet. In New York wäre dieser Platz grün.
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