Kitabı oku: «Geschichten, die das Landesmuseum schrieb», sayfa 2
Alte Schachtel
«Alte Schachtel!», ruft mit lauter, aber glasklarer Stimme der Knabe, der seiner Mutter entwischt ist und jetzt ganz aufgeregt zu ihr zurückeilt. Eine grauhaarige, sorgfältig ondulierte Dame versucht, mit dem Bengel Schritt zu halten, kommt jedoch ausser Atem. Die Mutter fängt den Knaben in ihren Armen auf. Schutz suchend schmiegt er sich an sie.
Jetzt erreicht auch die Dame die Mutter, baut sich drohend vor ihr auf, und schon erfüllt ihre Stimme pikiert den Museumsraum, sodass sich zahllose Besucher umdrehen, um zu sehen, was sich dort abspielt.
«Unverschämt ist das, mich als alte Schachtel zu schmähen! Ein Rotzjunge ist das! Und ich bin doch erst vierundachtzig!» Die Mutter weicht bei der Entladung zurück. Besonders beim Wort «Rotz», denn da versprüht die Aufgebrachte Speichel durch die Zähne, als sei sie ein wütendes, sich verteidigendes Lama.
«Er hat es bestimmt nicht böse gemeint», erwidert die Mutter, die Arme noch immer schützend um ihren Sohn gelegt.
«Ein anständiges Kind ist er. Ich erziehe ihn gut, verbiete ihm Schimpfworte …, weiss nicht, was für ein Teufelchen in ihn gefahren ist. Darf ich mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen?»
«Das genügt nicht», bemerkt die alte Frau weiterhin zischelnd. «Ich will die Strafe sehen. Zumindest eins hinter die Ohren hat der Bengel verdient, oder ziehen Sie ihm die Ohren lang!»
Der Knabe beginnt zu weinen und versteckt sein Gesicht an der Mutter Schulter.
«Los, wird’s bald!», beharrt die Frau auf ihrem Standpunkt, während das «sch» ihrem Adressaten erneut Speichelstreifen entgegenschleudert. «Die Erziehungsmethoden werden immer lascher. Strenger sollten die Sitten wieder sein. Man sieht ja, wohin die Milde führt: Drogen, Diebstahl, Überfälle auf Wehrlose wie mich – Schimpfworte, die uns gestandenen Bürgern an den Kopf geworfen werden …»
Da befreit sich der Junge mit einem Sprung aus der Umarmung seiner Mutter, zieht an ihrer Hand und bemerkt mit seiner hellen Glockenstimme:
«Komm mit, ich zeige dir die alte Schachtel!»
Wütend entfährt es der alten Dame: «Sehen Sie, sogar die Beleidigung wiederholen! Unverschämtheit sondergleichen! Werde mich gleich bei der Museumsleitung beschweren gehen!»
Inzwischen hat der Bub die Mama zu einem Schaukasten gezogen, in dem ein zusammengeschrumpfter brauner Gegenstand neben Pfeilspitzen liegt. Die Beschriftung lautet: «Alte Schachtel. Fundort auf einem Gletscher in der Nähe der Lenk 4500–1600 Jahre v. Chr. Geburt …»
also schachteln mag ich nicht im geringsten. ob alt oder jung, schachtel bleibt schachtel.

Unspunnen
«Wo ist der Stein? Hab so viel davon vernommen! Kann ich ihn anfassen? Werfen? Bin stark!»
Das Muskelpaket, das vor mir steht und mich durch seine Statur beeindruckt – ich bin eine Aufsicht hier im Schweizerischen Landesmuseum und drehe aufmerksamen Auges meine Runden – macht mir Angst. Ich möchte mich nicht mit dem athletischen Burschen anlegen, doch wie soll ich, ohne seine Wut zu entfachen, ihm mitteilen, dass sich kein Unspunnenstein in unserem Museum befindet, obwohl hier sein richtiger Platz wäre? Ja, dieser über achtzig Kilogramm schwere Stein, der vom Rekordhalter am Unspunnenfest fast fünf Meter weit gestossen wurde, hat sich trotz seines Gewichts verflüchtigt.
1805 wurde das erste Unspunnenfest bei Interlaken nahe der Burgruine gleichen Namens erstmals durchgeführt und dann alle vier Jahre. Höhepunkt dieses Älpler- und Sennenfestes war das Werfen dieses so schweren Brockens. So viel ist mir bekannt.
«Los, los, sagen Sie mir, wo ich den Stein finden kann! Selbst wenn er hier nicht zu werfen ist. Ich will ihn nur begutachten. Und obwohl nicht aus der Gegend, am nächsten Fest über fünf Meter stossen!»
Das traue ich dem Kerl durchaus zu. Selten habe ich so viel wohltrainierte Muskeln an einem Menschen erblickt. Jetzt lässt er sie gar spielen, spannt seinen Bizeps an, und ich greife beinahe unbewusst an mein Alarmgerät, um Hilfe durch meine Kollegen zu mobilisieren. Wie nur soll ich ihm klar machen, dass ich ihn nicht zu seinem Wunschziel führen kann! Tausend Lösungen scannen in Überschallgeschwindigkeit von links nach rechts mein Gehirn. Doch kein Gedanke befriedigt mich. Also heisst es: auf Zeit spielen, ablenken, Geschichten erzählen! Darauf wurde ich schliesslich für die Führungen, die ich so gerne leite, trainiert.
Und so beginne ich, in der Hoffnung, das Muskelpaket abzulenken und abzuregen, mit meinen Ausführungen: «Wissen Sie, Wurfwettbewerbe waren in der Schweiz seit alters her sehr beliebt. Zwar hat Wilhelm Tell mit einer Armbrust den Apfel von seines Sohnes Kopf geschossen, doch eine Strategie der freiheitsliebenden Urschweizer, wenn sie von fremden Truppen angegriffen wurden, bestand darin, Felsbrocken von den Berghängen auf die Feinde im Tal zu befördern. Um für den Ernstfall gewappnet zu sein, so stelle ich es mir zumindest vor, gab es bestimmt, obwohl nirgends verbrieft, Wettkämpfe im Steinstossen. Logisch, oder nicht?»
Mein Gegenüber nickt leicht, mir seine Nackenmuskeln zeigend, die mich nicht nur beeindrucken, sondern mir eisige Angst die Wirbelsäule hinuntersenden. Also weiter erzählen und ihm die Wahrheit nahebringen:
«Diese Tradition hält sich bis heute. Immer noch auf der Wiese bei Interlaken. Die Geister der Ritter von der Burg Unspunnen müssen ihre wahre Freude daran haben. Doch ein Wermutstropfen, nein, eine ganze Flasche Wermut, zehntausend Tropfen oder mehr fielen in diese Spiele. Der Unspunnenstein wurde im Zuge der beispielhaften demokratischen Loslösung des Kantons Jura vom Kanton Bern im Jahre 2004 entwendet und blieb seither verschollen. So kann ich niemanden, auch Sie nicht, zu diesem einmaligen Relikt der Schweizergeschichte führen, so gerne ich dies auch täte, denn dieser Stein gehört zu uns ins Landesmuseum.
Wir würden ihn hegen und pflegen nach bestem Wissen und Gewissen. Ihn unseren Besuchern zeigen, nicht zuletzt als Zeuge einer einmaligen gewaltlosen Trennung zweier eidgenössischen Gebiete, die jetzt, trotz gelegentlich noch auftretender Spannungen, vertrauensvoll und im demokratischen Sinn unseres Landes zusammenarbeiten.»
Schweisstropfen haben sich auf meiner Stirn gebildet.
Gespannt und immer noch auf Schlimmes gefasst beobachte ich die Reaktion meines Redeschwalls auf den Fragesteller.
Doch sein Gesicht entspannt sich, die Muskeln werden merklich weicher. Seine knappe Antwort:
Burg Unspunnen.
«Nun denn, ich werde auf die Suche gehen und bringe den Unspunnenstein dorthin, wo er hingehört.»
Darauf kehrt er auf den Absätzen um.
Seitdem warte ich, ohne meinen Vorgesetzten von dieser Begegnung berichtet zu haben, auf den Muskelmann und male mir aus, wie er den Stein, ihn in nur einer Hand tragend, unserer Institution überbringt.
Entschuldigen Sie, aber träumen darf man wohl auf seinen Runden, seinen Wunschgedanken nachhängen. Und Träume sind nicht immer Schäume …
Aus dem «Nordbadischen Rasenkraftsport- und Tauziehverband»:
Steinstossen hat sich in der Schweiz seit dem 14. Jahrhundert ohne nennenswerte Veränderungen erhalten. Ein besonders berühmter Steinstoßwettkampf ist das sogenannte Unspunnen-Steinstossen der Älpler im Berner Oberland.
«Dabei wird ein 167-pfündiger, eiförmiger Granitstein aus dem Stand gestossen, nachdem der Athlet ihn ohne fremde Hilfe auf seine Schultern gehoben hat. Dieser Granitstein ist ein heiliger Stein und wird das ganze Jahr in einer Kapelle aufbewahrt. Nur zu diesem speziellen Anlass wird der Unspunnen-Stein aus der Kapelle genommen.» Früher kam dem Steinstossen auch im Schweizer Heer eine besondere Bedeutung zu. Jeder, der die besonderen Bedingungen, u. a. Steinstossen, bei der Musterung für das «Regiment gemeiner loblicher eydtgenossenschaften» erfüllte, erhielt mehrere Gulden jährlich zu seinem Sold. Diese Verordnung stammt aus dem 16. Jahrhundert.
Aus Wikipedia:
Auf der Unspunnenmatte fand 1805 ein Alphirtenfest statt.
Es wurde ein Stein mit einem Gewicht von 184 Pfund gestossen; dieser Stein ist heute nicht mehr auffindbar.
1808 wurde ein zweites Unspunnenfest veranstaltet und es wurde ein neuer Stein mit 167 Pfund gestossen. Er wurde danach anscheinend von einer Familie aufbewahrt und weitervererbt. Am 18. April 1905 übergab Adolf Pfahrer aus Interlaken den Stein dem Turnverein Interlaken. Es handelte sich um den Stein von 1808.
Ein Burgherr wird erstmals im Jahre 1232 erwähnt: Burkhard von Unspunnen. Im 13. Jahrhundert gelangte die Burg an die Herren von Wädenswil, gemäss Überlieferung aufgrund der Beteiligung Burkhards am Aufstand des Oberländischen Adels gegen Herzog Berchtold von Zähringen. 1306 Verpfändung an die Habsburger, danach diverse Handänderungen des Pfandes. 1332 erfolglose Belagerung durch die Talleute vom Haslital; 1334 Einnahme durch die Stadt Bern. Danach verschiedene Besitzer bis zum erneuten Übergang an Bern, das die Anlage 1398 an die Herren von Scharnachtal veräusserte, die um 1425 die Burg in Stand stellten. Die bis 1533 bewohnte Burg zerfiel im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts.
… und da ganz gross!

Zuckerschlecken?
Historikerin zu sein ist nicht immer Zuckerschlecken. Obwohl mich so mancher Kommilitone, der wie ich seine Doktorarbeit schreibt, um mein Thema beneidet in der Annahme, über historische Tatsachen zu fachsimpeln, sei Kindergartenarbeit. Dies muss ich vehement bestreiten.
Geschichte, das habe ich bereits im ersten Semester gelernt, wird immer wieder neu geschrieben, den Herrschenden oder dem Zeitgeist angepasst. Und genau dieses Thema fasziniert mich ebenso wie meinen Doktorvater, eine Koryphäe in Schweizer Geschichte der Neuzeit. Meine Studie beschäftigt sich mit der Frage, ob Bundespräsidenten, also Mitglieder unserer Landesregierung, glücklich waren beziehungsweise sind und ob es im Laufe der Zeit auch Magistraten gab, die das Amt ins Unglück stürzte. Nun, man kann sich kaum vorstellen, wie schwierig dieses Thema ist. Denn Glück wird laut herausposaunt, Unglück hingegen möglichst verborgen.
So bin ich denn – wo könnte ich sonst fündig werden? – ins Landesmuseum gepilgert, um den heutigen Tag mit diesem einzigen Thema zu verbringen und in den Akten nach Antworten auf meine Fragen zu forschen. Was sich nicht so einfach gestaltet, denn, meiner Generation mag das fremd erscheinen, aber Suchmaschinen gab es früher keine.
Ebenso wenig wie Datenbanken mit Milliarden von Informationen. Fündig wurde man mit viel Glück in Mikrofichen, Urkunden und Dokumenten. Jede Information, die man erhielt, war so von Schweiss durchtränkt.
Auch heute ist ein heisser Tag. Die Hitze der letzten Wochen hat sich ins Museumsgebäude verkrochen. Jedenfalls fällt mir das Arbeiten nicht leicht. Bereits nach einer Stunde gebeugt über den alten Folianten übermannt mich (weshalb kann dieser Ausdruck nicht geschlechtsneutral sein? Das stört mich als Studentin, leben wir doch nicht mehr in vergangenen Zeiten) der Durst. Also begebe ich mich ins Café im Eingangsbereich und belege mithilfe meiner Aktenmappe ein Tischchen. Als ich mit meinem doppelten Espresso zurückkehre, sitzt zu meinem Unmut – und das gebe ich mit einem betont verächtlichen Augenaufschlag auch bekannt – ein in die Jahre gekommener, ziemlich beleibter Herr auf dem leeren Platz gegenüber meiner Mappe. Hat er mich verfolgt? Was will der Greis von mir? Ich lege meine ganze Ablehnung in meinen Blick, doch der Mann löffelt ungestört schmatzend in einer Fischsuppe und hat dabei nicht einmal seinen lichten billigen Strohhut abgenommen. Wie kann man nur so etwas, denke ich, schon morgens um zehn verzehren!

Bundespräsident Fridolin Anderwert.
Geräuschvoll rücke ich meinen Stuhl zurecht und setze mich, doch der Unsympath sieht gar nicht auf. Also keine Verfolgung meines Aussehens wegen. Ich bin erleichtert, doch auch irgendwie enttäuscht. Dann schüttle ich über mich selbst den Kopf: dem gefallen, dass ich nicht lache! Ich nippe angewidert an meinem Espresso. Er löffelt. Uh, dieser Geruch! Und das zum Morgenkaffee! Ich werde den Tisch wechseln müssen.
Also packe ich die auf dem Tisch liegenden Blätter zusammen, den Beginn meiner Recherchier-Arbeit mit dem fettgedruckten Titel: Sind Bundespräsidenten glücklich? – und bleibe nachdenklich sitzen.
Ja, sind sie es wohl? Bei der Feier nach ihrem Wahlsieg mit Sicherheit. Doch danach? Wer kann schon in Magistraten hineinblicken? Diese Fragen beschäftigen mich nun seit Monaten.
Die Fischsuppe ist inzwischen verschlungen, der Fischgeruch hängt noch in der Luft. Der Mann steht auf und lüftet, als würde er mich jetzt erst bemerken, den Hut in meine Richtung. Wie ein Fisch, der nach Luft schnappt, öffnet er seinen runden Mund mit den wulstigen Lippen:
«Ich sehe, dass Sie nach dem Glück von Bundespräsidenten forschen. Suchen Sie doch einfach in Wikipedia nach ‹Bundespräsident Anderwert›. Er ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt, dass Bundespräsidenten über ihren Karrieregipfel hinaus glücklich sind.»
Dann dreht er sich, ohne erneut zu grüssen, um und verschwindet in Richtung Ausgang.
Ich öffne meinen Laptop, tippe «Anderwert» ein und werde in Wikipedia fündig:
«Am 7. Dezember 1880 wurde Anderwert zum Bundespräsidenten für das Jahr 1881 gewählt. Unmittelbar darauf entbrannte in der Presse eine gehässige Kampagne gegen ihn. Diese hatte vor allem die Essgewohnheiten des stark übergewichtigen Junggesellen im Visier, doch es wurden auch Gerüchte verbreitet, er sei regelmässiger Gast von Bordellen. Gezeichnet von physischer Erschöpfung und schweren Depressionen, nahm sich Anderwert am Weihnachtstag 1880 auf der Kleinen Schanze mit einem Pistolenschuss das Leben. Der einzige veröffentlichte Satz seines Abschiedsbriefes lautete: ‹Sie wollen ein Opfer, sie sollen es haben.›»
der arme kerl, der hat nicht einmal sieben leben –

Auf der Treppe
Ja, die Geschichten zu finden, die das Landesmuseum schrieb, sie bei den Museumsstücken hinter den Gegenständen aufzuklauben, wo sie sich verstecken, ist keine einfache, jedoch eine äusserst spannende Aufgabe. Ungezählte Stunden Museumswanderungen, kilometerweite Fusswege, und dennoch stosse ich immer wieder auf hervorragende Anekdoten und Beziehungsgeschichten, ganz besonders dann, wenn mich manchmal ein Augenblick entführt und Emotionen in mir auslöst. So hoffe ich auch heute, an einem gewöhnlichen Donnerstag, fündig zu werden, wandere durch die Räume, geniesse die Stimmung in den Sälen, der ein Hauch von Feierlichkeit innewohnt, und lege dabei meine Augennetze aus. Je öfter ich in die Vitrinen mit ihrer Darstellung vergangener Zeiten blicke, entdecke ich Neues, mit dem ich nicht rechnete.
Auch heute bewahrheitet es sich: Das Wesentliche bleibt dem ersten Blick meist verborgen. So schreite ich die majestätische Treppe des Landesmuseums zu den oberen Ausstellungsräumen empor. Da ich es besonders schätze, meine Streifzüge auf der Jagd nach Aussergewöhnlichem morgens, gleich nach der Öffnung des Museums zu unternehmen, sind erst wenige Besucherinnen und Besucher unterwegs. So geniesse ich die Ruhe, die mir erlaubt, mich ungestört auf die Exponate einzulassen, als ich hinter mir hastige Schritte vernehme. Ein Museumsmitarbeiter, der seinen Arbeitsplatz mit Verspätung aufsucht? Ein Besucher, der das Wiedersehen mit seinem Lieblingsausstellungsstück nicht erwarten kann? Nun, denke ich, der soll mich ruhig überholen, meine Jahrringe verhindern einen Treppenspurt.
Gemach, gemach, sage ich zu mir, bist nicht in einem Wettrennen, das du früher locker gewonnen hättest.
Ja, früher. Da war alles anders. Wenn ich nur an das erste Mobiltelefon denke: ein Riesenkoffer! Ausschliesslich der privilegierten Managergilde vorbehalten. Und diejenigen, die kein solches Prestigeobjekt besassen, weil die Firmen es nicht für notwendig hielten, montierten auf dem Autodach zur Steigerung ihres Ansehens eine gleichartige Antenne. Also sind Fake News keine Erfindung der heutigen Zeit, wirft mir mein innerer Schalk den Gedanken zu, der mich zum Schmunzeln bringt.
Die Schritte hinter mir sind inzwischen geräuschvoller. Hastiger. Irgendwie kommen sie mir bekannt vor. Jetzt werde ich überholt … Der Mann trägt, das sehe ich im Augenwinkel, eine gelbe Hose, dazu ein dunkles T-Shirt. Das ist wirklich mehr als seltsam, kann ich es als überseltsam bezeichnen? Er ist gleich angezogen wie ich. Dabei bin ich kein Trendsetter oder Influencer. Weshalb bloss hat der Kerl die gleichen Kleidungsstücke an wie ich?
Da, er dreht sich um, versperrt mir den Weg und sieht mir in die Augen. Nein! Gleiche Glatze, gleicher Bartschnitt und die rote Brille wie ich stolz auf dem Haupt. Er öffnet den Mund und beschuldigt mich mit sonorer Stimme – die kenne ich doch auch –, ihn nachzuahmen.
Wie soll ich mich nur verteidigen? Er ist der Nachahmer, nicht ich! Ich wende hilfesuchend den Blick ab.
Halluzination? Im Treppenhaus erblicke ich den grossen Kalender: 06.09.2153.
He, da stimmt was nicht! Ungläubig schaue ich mein Gegenüber an. Das lacht. Ich lache mit. Ein Spiegel? Ein Spiegelbild? Seine Worte, meine Stimme, die nun wie Sprechblasen aus seinem Mund erklingen:
«Auch durch den durch die Kuratoren für die Sonderausstellung ‹Neue Technologien› installierten Klonbogen marschiert? Ha, jetzt sind wir zu zweit! So finden wir rascher unsere Themen für die Geschichten, die das Landesmuseum schrieb!»
es lebe die zu-kunft! sie ist zu, selbst den katzen beim gegen-wart verschlossen.

Bestie
«Wo find ich hier im Museum d’Bestie?», nuschelt die punkige junge Frau mit dem schwarzen Kurzhaarschnitt.
Blacker als black, geht es mir durch den Kopf. Als ich dann noch ihre gepiercten Lippen und den goldenen Ring in der Nase sehe, mache ich mir daraus endgültig meinen Reim.
Kein Wunder, denke ich, dass sie die Bestie sucht. Ein Wunschtraum vermutlich, den sie sich erfüllen will. Endlich eine echte Bestie zu Gesicht zu bekommen, nicht nur diejenigen, in deren Nähe sie sich meiner Ansicht nach häufig bewegen muss. Auch das Nuscheln passt dazu. So unklar zu sprechen, steht bestimmt mit mehr als einem Zungenpiercing in Zusammenhang. Anders kann ich es mir nicht erklären.
«Zur Bestie soll ich Sie führen?», antworte ich, wobei ich wie die Fragestellerin zu nuscheln versuche.
In der Schulung wurde uns ja eingetrichtert, uns dem Publikum anzupassen. Aber Piercings, nein danke! Dann lieber Nuscheln. Das kann ich unmittelbar nach dem Gespräch wieder einstellen.
Die junge Frau schaut mich verständnislos an und wiederholt entsetzlich nuschelnd:
«Bestie», und hängt ein beinahe unverständliches «Please» an.
Oh je, jetzt versucht sie sich auch noch in Englisch. Aber so undeutlich, kaum zu verstehen. Muss noch unter dem Einfluss des gestern besuchten Heavy-Metal-Konzerts stehen, denke ich, die sind ja alle anglophil in ihren Songs.
Ups, jetzt beginne ich selbst mit englischen Wörtern zu prahlen, obwohl ich die Sprache kaum verstehe, geschweige denn spreche. Immer wenn ich mit Englisch sprechenden Besuchern zu tun habe, muss ich Hilfe von Kolleginnen und Kollegen anfordern.
Aber die von der Besucherin gesuchte Bestie wird auch in deutscher Sprache erläutert. Kann ich also vorführen. Im Multirama, bei dem die Besucher tief in die Geschichte unserer Vorfahren eintauchen können. Knöpfe drücken können, um deren Leben plastisch zu erfahren. Mit einer galanten Handbewegung bitte ich die Besucherin, mir zu folgen.
Ich führe sie in den Raum und deute auf den Knopf, der eine Bestie zum Leben erweckt. Nein, nicht eine Bestie! Ein ganzes Rudel Wölfe, die unsere Ahnen sehr gefürchtet haben.
Insbesondere ihr Heulen im Winter, wenn die Tiere ausgehungert waren und die primitiven Siedlungen angriffen.
Damit hoffe ich, meine Pflicht erfüllt zu haben.
Doch die junge Schwarzhaarige, die einen Patschuliduft im Schlepptau führt, den ich beim Durchschreiten von Türen – ich lasse ihr, alte Schule, den Vortritt – einatmen muss, scheint unzufrieden und beginnt erneut zu nuscheln: «Is that your best in this museum?»
Oh, da bin ich reingefallen. Ich schüttle heftig den Kopf und bringe die Dame, die mir nun sympathischer erscheint, zu den Ikonen des Museums, den mittelalterlichen Schätzen im Untergeschoss bei den Sammlungen. Zu den Tapisserien, den Kirchenkunstschätzen, den Schmuckstücken, den einmaligen Holzskulpturen und den Globen, alles Kronzeugen unserer eidgenössischen Kultur.
bei unsereinem gibt es keine sprachprobleme, wir miauen alle in miau.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.