Kitabı oku: «Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen», sayfa 12

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Zusammenfassung

Kindheit hat sich sicherlich verändert: So, wie wir selbst aufgewachsen sind, wachsen die heutigen Kinder und Jugendlichen nicht auf, anders eben. Die Bedingungen haben sich geändert, Überforderung macht sich bei allen Beteiligten breit. Die Eltern haben wenig Zeit, die Aufrechterhaltung der Alltagsroutine ist sehr aufwendig, berufliche Flexibilität ist gefordert. Dies geht häufig auf Kosten von Zeit, Beziehungszeit mit den Kindern und den Partnern. Die LehrerInnen wollen auch nicht für alles herhalten, der Erwartungsdruck ist enorm, sie sollen die Kinder erziehen, die sich gar nicht erziehen lassen, sich eher entziehen. Hinzu kommen noch außerordentliche Stressfaktoren für das Kind, wenn ein Elternteil psychisch krank ist oder trinkt, wie im Beispiel von Anatol ausgeführt. Wenn die Stressfaktoren beim Kind oder im Umweltfeld noch stärker werden, etwa wenn Kindeswohlgefährdung vorliegt, dann haben Jugendämter alle Hände voll zu tun, die kinderpsychiatrischen Abteilungen und die kinder- und jugendpsychotherapeutischen Wohngemeinschaften nehmen ihre Arbeit auf. Auch zu uns KinderpsychotherapeutInnen kommen dann die Telefonanrufe, wir sollen nun Antwort geben auf schier unlösbare Problemkonstellationen. Es können aber immer nur vorläufige Antworten sein und unrealistische Aufträge nehmen wir lieber erst gar nicht an. Wir müssen uns bescheiden lernen, dürfen uns nicht für alles zuständig erklären und glauben, wir müssen Eltern, Lehrern und Sozialarbeitern immer sagen, was zu tun ist. Aus gestalttherapeutischer Sicht gehen wir davon aus, dass Menschen mit uns in Beziehung treten und wir auf dem Hintergrund unserer Ausbildung, Erfahrung und unseres eigenen Ringens als Menschen hilfreich sein wollen. Wir haben keine Rezepte, aber wir sind gemeinsam auf dem Weg mit den uns anvertrauten Kindern, Jugendlichen und deren Angehörigen. Wir versuchen dabei, verlässliche Bündnispartner zu sein und kontinuierliche Beziehungserfahrungen anzubieten. Uns geht es um Authentizität, um Unmittelbarkeit und wir stellen uns in unserer ehrlichen Begrenztheit zur Verfügung. Kinder und Jugendliche spüren dies sofort, wenn sie es nicht spüren, bleiben sie weg. Wir sind nicht aktionistisch um der Aktion willen, es geht uns um spielerisch geprägte Begegnung. Wir versuchen, Tempo herauszunehmen und Leistungsdruck, bei den Kindern, ihren Angehörigen und auch bei uns selbst. Es geht uns um ganzheitliche Erfahrungen, um das Einbeziehen unseres Körpers, den wir nicht funktionalisieren, sondern mit dem wir Zwiesprache halten. Wir nutzen unsere Sinne, die uns unterstützen und uns lebendigen Austausch mit der Umwelt erst ermöglichen. Wir wollen stützend wirken, gerade so viel Unterstützung wie nötig geben, damit Selbstbestimmung und Selbstverantwortlichkeit bei Kindern, Jugendlichen und ihrer Umgebung aktiviert wird. Dies sind einige wesentliche Haltungen, wie wir sie in der Gestalttherapie mit Kindern einnehmen, diese Haltungen wirken heilsam, führen zu bemerkenswerten psychotherapeutischen Erfolgen.

Am wichtigsten ist die Authentizität, die Echtheit im Sinne eines Bestrebens, das zu tun, was wir sagen und das zu sagen, was wir tun. Gestalttherapie mit Kindern erfordert umfassende Selbstreflexion über Handlungsschritte und persönliche Motivationen. Gestalttherapie lebt von persönlicher Haltung und Glaubwürdigkeit, das Ringen um diese Haltung hört nie auf.

Marc McConville, Ph.D.
Lewins Feldtheorie, adoleszente Entwicklung und Psychotherapie

»Diese Bezogenheit an der Grenze, dieses Kontaktsystem ist es, dessen Entwicklung wir nachzeichnen wollen«

(Gordon Wheeler, 1990)

Einleitung

In der praktischen klinischen Arbeit mit Jugendlichen haben wir es in den meisten Fällen, zumindest am Anfang, weniger mit einem individuellen Klienten als vielmehr mit einer Situation zu tun: besorgte Erwachsene, angespannte Beziehungen und eine Geschichte, die in einer nicht erfüllten und nicht erfüllenden Zukunft zu enden droht. Und an irgendeiner Stelle dieses Dramas begegnen wir dem Adoleszenten, dem Kind, das nicht mehr ganz Kind ist, aber auch noch nicht die für ein tragfähiges eigenes Leben nötige Selbststruktur oder Richtung besitzt.

So war es bei der depressiven Nora, die sich selbst verletzte und von ihrer Schulsozialarbeiterin an mich überwiesen wurde. Sie benutzte bei ihrem Anruf eben diese Worte: »Wir haben hier eine Situation«, sagte sie, »und wir würden Sie gerne einbeziehen.« Eine Situation war es tatsächlich, ein Drama aus dem wirklichen Leben. Die Protagonisten waren erschreckte Klassenkameraden, »unkooperative« Eltern, frustrierte und alarmierte Lehrer und natürlich Nora selbst, das intelligente, attraktive Mädchen, das leider zu dem Schluss gekommen war, Heranwachsen sei unmöglich und das Leben ein Fluch.

Todd dagegen, ebenfalls sechzehn, hatte (offensichtlich) einen anderen Schluss gezogen – er neigte zu der Auffassung: »Das Leben ist ein Fest und Erwachsenwerden kein Thema.« Wie Nora lernte ich auch Todd als Teil einer umfassenderen Situation oder, in der Sprache der Gestalttheorie, eines Feldes kennen, zu dem Jugendbehörden, gleichaltrige Taugenichtse und immer noch kriegführende geschiedene Eltern gehörten.

Bei Todd und Nora und im Grunde bei den meisten Jugendlichen, die in die Therapie überwiesen werden, stellt sich die Frage, wo, bei wem und auf welche Weise man sich in die Situation einklinken sollte – die Frage, die die Schnittstelle von klinischer Praxis und Entwicklungs- wie therapeutischer Theorie definiert.

Auf Nora und Todd komme ich im Folgenden noch zurück, aber zunächst geht es um die entscheidende Frage: Wie kann der Therapeut die möglichen Interventionen beurteilen und zusammenfassen? Soll er allein mit dem oder der Jugendlichen arbeiten? Mutter oder Vater oder beide dazu holen? Und was ist mit dem weiteren Feld, also den Erwachsenen und Gleichaltrigen außerhalb der Familie, die im Drama des Jugendlichen mittlerweile auch eine Rolle spielen? Und sollen wir – unabhängig von den Personen, die wir in die Therapie einbeziehen oder auch nicht – die subjektiven Phänomene Erfahrung und Bedeutungsfindung ansprechen oder durch die Intervention die Umwelt beeinflussen, um ein spezifisches Verhalten zu fördern oder zu verringern? Dahinter steht die nächste Frage: Wie sollen wir diese Entscheidungen treff en? Welchen Kriterien und welchem Modell folgt unser Verständnis der adoleszenten Entwicklung und der klinischen Probleme, die den Jugendlichen in unsere Praxis geführt haben?

Diese Liste von Fragen ist auch eine Reflexion über den Charakter der Entwicklung in der Adoleszenz. Eine Entwicklung, die zum großen Teil durch interpersonale Beziehungen vermittelt wird, ist doch das Selbst immanenter Teil eines größeren sozialen Feldes. Im Jugendalter, wenn sich dieses Selbst entwickelt, beginnen die Teenager spontan damit, die »inneren« und »äußeren« Erfahrungs- und Verhaltenswelten zu trennen, bis sie manchmal wie fast parallele Universen ohne jede Schnittmenge wirken. Das heißt für Therapeuten, die mit Jugendlichen arbeiten, dass sie mit ihren Klienten einmal als Einzelpersonen interagieren müssen, auf intimster Ebene der Subjektivität, dann wieder von dieser Ebene völlig ausgeschlossen sind und mit ihren Interventionen nur noch die soziale Umgebung beeinflussen und gestalten können, in der sich die Klienten verhalten und ihre subjektive Erfahrung Gestalt annimmt.

Entsprechend hat sich auch die klinische Theorie und Praxis entwickelt. Manche Ansätze achten fast ausschließlich auf die Nuancen der privaten, subjektiven Erfahrung der Jugendlichen. Dazu zählen die Psychoanalyse nach Block (1979), Kaupers Analyse nach Jung (1990), Wexlers Kognitive Verhaltenstherapie (1991) oder Oldfields therapeutische Fantasiereisen (»Mythic Journey Therapy«). Andere, zum Beispiel Glassers Realitätstherapie (1965), die familientherapeutischen Ansätze von Minuchin (1974) und die meisten verhaltenstherapeutischen Methoden, beschäftigen sich im Grunde gar nicht mit der Subjektivität und konzentrieren sich auf die Umgebung, um das Verhalten zu beeinflussen. Beide Seiten marginalisieren die Ich-Erfahrungen der Jugendlichen, betrachten sie als Epiphänomene und nutzen deutende oder manipulierende Interventionen, die Voraussetzungen für authentische Begegnung und Dialog meist vermissen lassen.

Psychotherapeuten, die mit Adoleszenten arbeiten, sind in einer wenig beneidenswerten Position. Folgen sie streng dem vorgegebenen Rahmen eines spezifischen Ansatzes, etwa der orthodoxen Psychoanalyse oder der Familientherapie, dann beschränken sie sich auf eine Kartographie, die nur einen Teil des gesamten Feldes erfasst und entsprechend nur bei bestimmten Fall-»Typen« effektiv ist. Eklektische Therapeuten dagegen wechseln die Modelle je nach dem klinischen Profil, mit dem sie es zu tun haben, geleitet von ihrer Intuition, die ihnen sagt, an welcher Stelle im Gesamtfeld die Aktion ist und was die Entwicklung effektiv fördern kann. In einem Fall braucht es die Beratung der Eltern, im anderen eine Familientherapie und im dritten die Einzelarbeit mit dem Jugendlichen.

Anders ausgedrückt: Eff ektive Therapeuten erarbeiten anscheinend ihr eigenes, intuitives Feldmodell adoleszenter Entwicklung und Intervention und passen sich den Unzulänglichkeiten der vorhandenen theoretischen Modelle kreativ an. Für mich bietet die Theorie der Gestalttherapie die nötige theoretische Grundlage für die Entwicklung eines so umfassenden wie praktischen Modells adoleszenter Entwicklung und Intervention – eines Modells, mit dessen Hilfe wir Jugendliche mit all ihrer inneren und äußeren Komplexität verstehen und in allen Bereichen und auf allen Ebenen des Feldes intervenieren können.

Feld und Entwicklung

Folgt man Patricia Miller (1989), dann unterscheiden sich Entwicklungstheorien wesentlich nach ihrer impliziten Antwort auf die Frage nach dem, was sich entwickelt. Ihrer Meinung nach gibt es in jeder Entwicklungstheorie Annahmen über den jeweils richtigen Analysebereich. Für die Gestalttherapie, wie Perls, Hefferline und Goodman sie in ihrem klassischen Text (1951, 2006/2007) entwickelt haben, ist der einzig angemessene Bereich psychologischer Untersuchung das dynamische, interaktive Feld von Organismus und Umwelt, denn sie sehen den Ausgangspunkt jeder Art psychologischer Untersuchung in der Interaktion zwischen Organismus und Umwelt. Für sie ist jede menschliche Funktion eine Interaktion im Organismus/Umwelt-Feld, soziokulturell, seelisch und physisch. Unabhängig von der jeweiligen Theorie über Impulse, Triebe usw. beziehen wir uns immer auf ein solch interagierendes Feld (1951, S. 228). :

Traditionelle Entwicklungsansätze, auch in neuer Formulierung, übersehen meist die zentrale Einsicht der Feldtheorie, dass jedes Phänomen Bestandteil eines Feldes ist. Folgt man den Entwicklungspsychologinnen Cathy Dent-Read und Patricia Zukow-Goldring (1997), dann »sehen die maßgeblichen Theorien die Ursachen der während der Entwicklung beobachteten Veränderungen in Form, Funktion und Komplexität im allgemeinen entweder im Kind selbst, in der Umwelt oder in einer Kombination von beidem«. Diese Art des dualistischen Denkens, so die Autorinnen, bricht angesichts neuerer Forschungen und Theorien – sogar aus Gebieten wie der Zellbiologie – zusammen. In einem Tonfall, der an Perls, Hefferline und Goodman erinnert, kommen Dent-Read und Zukow-Goldring zu dem Schluss, dass »Organismen und ihre Umgebung nicht miteinander ›interagieren‹ oder sich wechselseitig verursachen. … Vielmehr bilden Organismen und Umwelt ein reziprokes Ganzes, in dem sie jeweils eine komplementäre Rolle spielen. Organismen handeln und passen sich an, Umwelten unterstützen und umgeben« (1997 S. 7).

Ein Feldansatz zur Entwicklung impliziert, dass praktische psychologische Konstrukte wie »Selbst«, »System« und »Persönlichkeit«, ja selbst Entwicklungskonstrukte wie »Adoleszenz« in Feldbegriff en definiert werden müssen: Sie integrieren das übergreifende Erfahrungsfeld und strukturieren die Kontaktgrenzen des Kindes und seiner Umwelt. Symptome, Persönlichkeitsmerkmale und sogar die Adoleszenz an sich, die im traditionellen Verständnis Phänomene des abgeschotteten – als isoliert betrachteten – Selbst sind, müssen als kreative Anpassung an die Bedingungen des Feldes verstanden werden.

Die Bedeutung der Sprachentwicklung bei einem 18 Monate alten Kind zum Beispiel – oder besser: ihre Bedeutung für die Entwicklung – wird von den Grundstrukturen und Umweltbedingungen des übergreifenden Feldes mitbestimmt, in dem sich das Kind befindet. Wert und Nutzen der Sprache in einer bestimmten Eltern-Kind-Dyade, die Rolle der Sprache in einer bestimmten Familie, einer spezifischen sozioökonomisch definierten Subkultur und zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Familiengeschichte sind integral reziprok zu den entstehenden kindlichen Informationsverarbeitungsstrategien. Wie dieses Potenzial aufgenommen wird, kann durchaus bestimmend für seine Bedeutung in der allgemeinen Entwicklung des Kindes sein und darüber entscheiden, ob dieses oder ein anderes entstehendes Set von Phänomenen eine »Stufe« in der Entwicklung des Individuums definiert.

Kurt Lewins Entwicklungstheorie

Zwanzig Jahre vor der Veröffentlichung von »Gestalttherapie« reagierte Kurt Lewin auf die dominanten Entwicklungstheorien seiner Zeit – die Psychoanalyse und den amerikanischen Behaviorismus – mit seiner Feldtheorie adoleszenter Entwicklung und adoleszenten Verhaltens (Lewin 1997). Im Gegensatz zu anderen Ansätzen, die Entwicklung tendenziell nach ihrer biologischen, psychologischen oder sozialen Kausalität klassifizierten, integrierte Lewin diese Dimensionen. Die meisten Theorien menschlicher Entwicklung betonen tendenziell einen Funktionsbereich, etwa intellektuelle Operationen (Piaget 1950), psychosexuelle Reife (Freud 1962), soziales Lernen (Bandura 1977) oder kognitive Informationsverarbeitung (Siegler 1986). Anders ausgedrückt: die meisten Theorien beschränken sich auf ein Teilgebiet und reduzieren damit tendenziell die Entwicklung der Gesamtheit auf die Entwicklung einer Teilfunktion.

Für Lewin waren die biologischen, psychologischen und sozialen Dimensionen Bestandteile eines integrierten Feldes, das er als Lebensraum bezeichnete, und er betrachtete dieses Feld als angemessenen Gegenstand der Entwicklungstheorie und -forschung. Der Lebensraum repräsentiert die Kartographie des phänomenologischen Feldes der menschlichen Entwicklung. Ernest Hilgard (1948) beschreibt ihn als den Raum, in dem er psychisch lebe, der in vieler Hinsicht mit der Welt um ihn korrespondiere, aber irgendwie auch in ihm existiere.

Das Konzept des Lebensraums bietet also ein Modell, das die dualistische Trennung von Innen und Außen unterläuft und unsere Aufmerksamkeit auf den Grund der Erfahrung und des Verhaltens lenkt, aus dem das »Innere« und das »Äußere« entsteht. Es umfasst genetische und physiologische Tatsachen genauso wie den familiären, sozialen, kulturellen, politischen und geographischen Kontext der Entwicklung, aber auch Erfahrungsbereiche wie Denken, Bedürfnisse, Fantasie, Gefühl und Persönlichkeitsstruktur.

In Lewins Verständnis besitzt das Feld oder der Lebensraum räumliche und zeitliche Kontinuität. »Man denkt beim Feldansatz an Leben, Bewegung, Wandel, energetische Wechselwirkung in der Zeit. Die Kräfte im Feld sind eine Ganzheit und entwickeln sich über die Zeit hinaus.« (Yontef 1999, 156; Hervorhebung M.M.). Anders ausgedrückt: Weil das psychologische Feld dynamisch ist und sich entwickelt, ist der feldtheoretische Ansatz zum menschlichen Verhalten per definitionem ein implizites Entwicklungsmodell. Das System Kind-Umwelt befindet sich in einem Zustand temporaler dynamischer Spannung, einer Spannung der Bewegung oder des Werdens. Der Forscher oder Therapeut ist im Grunde mit einer Entfaltung (oder deren Störung) konfrontiert, die das Feld des Kindes und seiner Umgebung magnetisiert und in eine bestimmte Entwicklungsrichtung lenkt.

Lewin, der den psychologischen Lebensraum als angemessenen Bereich der Analyse etablierte, entwickelte anschließend drei wesentliche Parameter:

1. Die Erweiterung des Lebensraums;

2. die wachsende Differenzierung des Lebensraums und

3. die Veränderung in der Strukturierung des Lebensraums.

Im Folgenden beschäftige ich mich näher mit diesen drei Parametern, wobei ihr Beitrag zur Erhellung der Phänomene der Adoleszenz im Vordergrund steht.

Erweiterung des Lebensraums

Für Lewin erweiterte sich die psychische Welt, die das Verhalten des Kindes beeinflusst, mit dem Alter, und sie tut das, wie ich hinzufügen möchte, auf unterschiedliche Weise. Erstens erweitern sich Umfang und Reichweite des Lebensraums in der Entwicklung generell. In der mit der Zeit entstehenden psychischen Gegenwart erweitert sich der »Raum freier Bewegung« – der räumliche und psychische Bereich, der dem Kind zugänglich ist. Dieser Trend spiegelt die Ausbildung neuer Fähigkeiten und neuen Potenzials beim sich entwickelnden Menschen einschließlich der damit verbundenen Mischung aus Unterstützung und Verboten seitens der Umwelt. Einer meiner Klienten, 15 Jahre alt, fuhr von Zeit zu Zeit ohne das Wissen oder die Erlaubnis seiner Eltern mit dem Zug ins Stadtzentrum von Cleveland, kaufte sich dort eine Schachtel Zigaretten und lief rauchend durch die Straßen oder setzte sich mit einem Buch, meistens von William Burroughs oder Friedrich Nietzsche, in eine der Ladenstraßen. Mit diesem Ritual, mit dem er sich dem Wissen und der Zustimmung der Eltern entzog, erweiterte er die einengenden Grenzen seines gewohnten Lebensraums auf räumlicher, verhaltensmäßiger, intellektueller und Beziehungsebene und erkundete gleichzeitig einen neuen »inneren« Raum, indem er »jemand wurde, der so etwas tut«. Anders ausgedrückt, unterläuft die entwicklungsbedingte Veränderung das Kind-Umwelt-System und erfordert eine neue Umwelt (hier die Innenstadt, wo sich niemand darum kümmert, ob ein Fünfzehnjähriger Zigaretten kauft, und es gleichgültig akzeptiert wird, dass und wie er durch die Straßen läuft) genauso wie das Erwachen neuer Interessen und Impulse beim Jugendlichen selbst.

Lewin weist darauf hin, dass diese Erweiterung des Lebensraums für den Jugendlichen keineswegs linear und geordnet verläuft. Zum einen eröff nen sich zwar Bereiche (zum Beispiel das Autofahren), aber andere schließen sich (z.B. die Möglichkeit, sich zu einem Erwachsenen zu flüchten, wenn man von jemandem schikaniert wird). Zudem sind die Öffnungen des Lebensraums im günstigsten Fall ungewohnt und nicht genau festgelegt, oft aber auch mehrdeutig: gleichzeitig erlaubt und verboten. So erwarten viele Erwachsene zum Beispiel, dass Jugendliche Tabak und Alkohol ausprobieren, und verstärken deshalb ihre Ermahnungen und Verbote.

Für Lewin lassen sich viele Merkmale, die traditionell dem Jugendlichen als isoliertem Selbst (und in den meisten Theorien »inneren« Ursachen wie Hormonwechsel oder archaischen Überich-Funktionen) zugeschrieben werden, besser als Ausdruck eines aus dem Gleichgewicht geratenen Feldes verstehen. So wird zum Beispiel das als »sexuelle Impulsivität« bezeichnete Phänomen ebenso sehr von einem sozialen Feld konstruiert, das ein ausgesprochen ängstliches und ambivalentes Verhältnis zur Sexualität im Jugendalter hat und dem Adoleszenten entsprechend wenig kohärente Unterstützung und Struktur bietet, wie von den Hormonschüben der Jugendlichen selbst.

Die zweite von Lewin zitierte Erweiterung des Lebensraums ist eine zeitliche, da die »Dimension der psychischen Zeit« zunehmend entferntere Repräsentationen von Vergangenheit und Zukunft umfasst. Dieser Aspekt der Entwicklung ist nirgends dramatischer als in der Adoleszenz, wenn das Feld der Erfahrung sich zwischen den allzu vertrauten Mitteln und Wegen der Kindheit und den erschreckenden Erwartungen und Möglichkeiten eines Erwachsenen aufspaltet. Für den Jugendlichen scheint sich die Zeit zu öff nen, nicht nur als kognitives Konstrukt, sondern als existenzielle Realität, als Kraftfeld, das ihn abwechselnd in entgegengesetzte Richtungen zieht. Das ist besonders auffallend gegen Ende der Schulzeit oder um den 18. Geburtstag. Die Zukunft, die im jüngeren Jugendalter relativ unwirklich ist, strukturiert die Realität der älteren Jugendlichen spürbar. Die Stadtspaziergänge meines Klienten zum Beispiel verloren nach dessen 17. Geburtstag zunehmend ihren Reiz. Die träumerische Trance wurde mehr und mehr von störenden Beobachtungen und Gedanken unterbrochen, und er fragte sich immer öft er, was die Leute in den geschäftigen Straßen eigentlich taten und wie er selbst es wohl in dieser Welt schaff en würde.

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