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Dogdancing

Dogdancing einmal anders: Wer tanzt mit wem?

Anke Höhl-Kayser

Begrüßungs-Cha-Cha-Cha

Stellen Sie sich vor: Sie gehen durch die Straßen einer Großstadt und sehen in einiger Entfernung eine Frau in mittleren Jahren, die einen weißschwarzen, langfelligen Hund an der Leine führt. Der Hund ist ein Landseer, nur unwesentlich kleiner als diese Frau, und mit Sicherheit etliche Kilogramm schwerer.

Sie kommen näher. Der Hund guckt wie ein Kuschelbär, der dringend mal gedrückt werden muss, seine Augen sind konzentriert auf Sie gerichtet, er beginnt schon elegant die Rute hin- und herzuschwingen, als Sie noch fünfzig Meter entfernt sind. Die Frau verkrampft daraufhin, sie fasst dem Hund ins Geschirr und macht noch ein paar Stolperschritte. Ihre Augen sind auch auf Sie gerichtet, mit leicht panischem Ausdruck.

Sie kommen noch näher. Der Hund macht einen eleganten Sprung, er steht nun vor seinem Frauchen. Die Leine ist straff gespannt. Die Frau steht auf den Hacken, leicht hintenüber gebeugt. Sie wirkt wild entschlossen. Der Hund auch.

Sie sind bei beiden angekommen. Die Frau ruft: „Nein!“ und zerrt an der Leine. Der Hund tänzelt elegant auf Sie zu, als ob es ein anderes Ende dieser Leine gar nicht gäbe, streckt Ihnen die Schnauze entgegen, wedelt ekstatisch. Zum Glück sind Sie ein Hundefreund oder eine Hundefreundin! Die Frau versucht zu verhindern, dass er Sie ansabbert, aber er tanzt um Sie herum, ohne seine Besitzerin und die Leine weiter zu beachten. Die Hundehalterin folgt dabei jedem seiner Schritte, seitwärts, seitwärts, seitwärts: ein unfreiwilliger Cha-Cha-Cha. Dogdancing, schießt es Ihnen durch den Kopf. Das ist doch diese Hundesportart, bei der der Hund mit Herrchen oder Frauchen zu Musik eine Choreografie vorführt. Aber das hier sieht nicht sehr synchron aus. Wer tanzt wohl mit wem? Der große weißschwarze Hund freut sich wahnsinnig, dass Sie ihn streicheln, und wickelt Sie in die Leine. Sein Hecheln klingt eindeutig: Tanz mit, den Cha-Cha-Cha. Die Frau hat inzwischen einen hochroten Kopf und Schweißperlen auf der Stirn, während sie mit in den Boden gestemmten Schuhsohlen versucht, den Hund zurückzuziehen. „Aber das macht doch gar nichts“, sagen Sie und entlocken ihr damit ein Lächeln.

Konnten Sie sich in diese Szene hineinversetzen? Schön! Dann kennen Sie jetzt Moritz, den Landseer. Er ist ein im wahrsten Sinne des Wortes hundsmiserabler Tänzer und trifft bei jedem Schritt die Zehen. Übrigens: Die Frau am Ende der Leine, die so aussieht, als hätte sie ihre Tanzstundenzeit lange hinter sich – die bin ich.

Tango Katastrophale

Moritz ist eine Naturgewalt. Oder eine Naturkatastrophe. Ein Jahr alt, 72 Kilogramm schwer, ein Meter Stockmaß. Weiß mit vielen schwarzen Flecken. Stellen Sie sich einfach eine Friesenkuh vor. Das kommt in etwa von der Größe her hin, und tanzen können Kühe auch nicht. Er hat eine charmante Art mit Menschen. Oder das, was er persönlich dafür hält. Und er ist ein uneingeschränkter Bewunderer weiblicher Schönheit.

Leider schätzen nicht alle Menschen seinen Tangotänzercharme. Die Joggerin zum Beispiel, der er im Vorbeigehen mit der langen rosa Zunge einmal zärtlich über die rechte Pobacke gefahren ist, schätzte ihn definitiv nicht.

Polonaise

Auch das Menuett ist ein Gruppentanz, aber es wird viel zu organisiert und ordentlich getanzt. Nein, Moritz mag lieber das, was nach allgemeinem Chaos aussieht: die Polonaise. Bei ihm sind das Tänzchen mit anderen Hundebesitzern und ihren Vierbeinern.

„Das ist ein aggressives Verhalten“, belehrte mich die Frau mit dem Jack-Russel-Terrier, als Moritz sich beim Anblick des Hundekumpels platt auf den Bauch legte, um danach schlagartig wie ein Harlekin aus der Box hochzuspringen. Ich weiß nicht genau, wer nun wirklich aggressiv war, denn der auf diese Weise erschreckte Jack-Russel-Terrier hing Sekunden später knurrend in Moritz’ rechtem Ohr. Moritz schaute etwas verwundert. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. An dem Harlekin-aus-der-Box-Verhalten arbeite ich noch. Ich möchte ja nicht, dass irgendwann mal ein Chihuahua mit Herzversagen am Wegesrand liegen bleibt.

Andere Besitzer kleiner Hunde gehen die Sache offensiv an: „Meine mag keine großen Hunde, sie schnappt“, rief mir der nette Herr schon von Weitem zu. Er blieb mit seiner Rehpinscherhündin mittig auf dem Weg stehen. „Gehen Sie doch bitte einfach an uns vorbei.“ Aha, einfach dran vorbei. Versuchen Sie mal, einen Landseer zur Seite zu schieben. Sie können alternativ auch versuchen, Berge zu versetzen. Auf meine Frage, warum ich denn mit meinem Schwertransport an seinem Kleinwagen (um ein Beispiel aus der Automobilwelt zu bemühen) vorbeimanövrieren müsse, antwortete er mir: „Wenn sie nicht will, geht sie halt nicht weiter.“

Treppen-Zitter-Jitterbug

Wie spielt ein Landseer? Indem er Hindernisse aus dem Weg räumt. Nicht Rudolf Nurejews Schweben, nein, Panzerkreuzer Potemkin, unterwegs im heimischen Wohnzimmer. Das bedeutet: Stühle fallen um, wenn sie im Weg stehen, ebenso wie Menschen. Und weil Menschen beim Umfallen viel lustigere Geräusche als Stühle machen, hat Moritz einen Lieblingstanz entwickelt: den Treppen-Zitter-Jitterbug. Der Tanz hat zwei Varianten. Die erste ist die harmlose Leinenvariante: Anlauf nehmen, Leine straff spannen, die letzten sechs Treppenstufen springen und das Wunder der Schwerkraft bestaunen. Die zweite Tanzvariante hat es in sich, sie ist die mit dem lateinamerikanischen Körperkontakt. Dazu umfasst Moritz mit der linken Pfote das Bein des auf der Treppe stehenden Opfers (im Notfall darf es auch die Oma sein) und zieht, während er mit dem Kopf in die Kniekehle drückt. Im Paartanz gäbe die Eleganz dieser Figur mit Sicherheit eine Zehn. Wenn der Partner es denn schaffen sollte, dabei stehen zu bleiben.

Sabber-Charleston

Einer der schnellsten Gesellschaftstänze ist der Charleston. Und Moritz hat ihn perfektioniert: immer dann, sobald Süßigkeiten ins Spiel kommen. Salami lässt ihn kalt. Aber wenn jemand eine Tafel Schokolade aufreißt, dann fängt er an zu zittern und zu zucken. Der Kopf ruckt auf und ab (es könnte ja was runterfallen, dann muss die Schnauze immer in der passenden Höhe sein), die Pfoten tanzen, mal rechts, mal links. Die Rute wedelt voller Vorfreude. Die Sabberfäden um sein Maul werden immer länger.

Die größte Versuchung ist Sahne aus der Sprühflasche. Wenn das typische Sprühgeräusch ertönt, sabbert er so, dass man damit die Sahelzone bewässern könnte. Und wenn ein Familienmitglied dann einen Löffel aus dem Schrank holt und etwas Sahne darauf spritzt, gerät er völlig aus dem Häuschen und tanzt seinen ganz persönlichen Sahne-Charleston: Er macht Sitz, er gibt Pfote, er macht Platz und schleckert währenddessen hektisch mit der Zunge, damit ihm nur ja von dieser Köstlichkeit nicht das kleinste Häppchen verloren geht.

Solo für Frauchen

Nicht alle Tänze mache ich mit Moritz gemeinsam. Ich habe auch meine Solo-Einlagen. Wenn ich mit ihm spazieren gehe, wenn wir mit ihm Freunde besuchen oder Gäste haben, verfalle ich sehr schnell in den verbalen Moritz-Walzer. Immer im Dreivierteltakt! Achten Sie auf den Refrain.

„Er hat dir bei der Begrüßung das gute Kaffeeservice vom Tisch gewedelt, obwohl du alles schon in die Mitte gestellt hast? – Tut mir leid.“

„Er hat den Grill umgeworfen und alle Würstchen einmal angeleckt? – Tut mir leid.“

„Er hat in eurem Gartenteich gebadet, nun sind Wasser und alle Fische draußen und nur der Hund ist noch drin? – Tut mir leid.“

„Er steht auf Ihrem kleinen Hund? – Das tut mir wirklich sehr, sehr leid, würden Sie mir nur rasch sagen, mit welcher Pfote?“


Abschlussball

Irgendwie hat mich Moritz schon intensiv auf seinen Rhythmus eingestimmt. Ich mag Leute, die ihn mögen. Es gibt wirklich nette Menschen, solche mit Hunden (auch mit kleinen Hunden) und solche ohne Hunde, die vor Freude juchzen, wenn sie seiner ansichtig werden und uns mit den Worten begrüßen: „Was für ein wunderbarer Bär! Darf ich den mal streicheln?“

Und der schönste Satz, den mir jemand im Hinblick auf Moritz sagen kann, ist folgender, geäußert mit fröhlichem Gesicht während des Begrüßungs-Cha-Chas – und damit sind wir wieder am Anfang! Sie erinnern sich: dieser Satz, als Sie Moritz und mir begegnet sind und Sie sagten: „Aber das macht doch gar nichts!“

Dann brauche ich keinen Moritz-Walzer mehr, keinen Samba und keinen Cha-Cha-Cha. Dann lasse ich die Leine locker, Sie dürfen ihn ausgiebig streicheln, er freut sich über Sie, Sie freuen sich über ihn, und ich freue mich von Herzen, einen so freundlichen großen Hund zu haben. Und achten Sie mal drauf, wenn wir dann weitergehen, Moritz und ich: Die nächsten Schritte sind ganz und gar im Takt. Fast wie beim richtigen Dogdancing.

Erkenntnix

Die kleine Wolke – oder der Fluch der Schönheit

Erika Schrenk

Das Dorf, in dem sich diese kleine Geschichte zutrug, liegt im Südosten von Mallorca. Zu unwichtig und unbedeutend, um touristische Ambitionen zu wecken. Die kleine Bar am Hafen ist das Wohnzimmer der alten Männer. Dort sitzen sie oft stundenlang vor der längst leer getrunkenen Tasse eines Cortados oder den letzten Tropfen ihres Tio Pepe schlürfend. Ihre alten Geschichten kennen sie schon auswendig und viel Neues kommt nicht dazu. Sie sind wie ein Haufen abgetragener Kleider, nicht mehr repräsentativ genug, um getragen, zu werden, aber doch zu gut, um sie wegzuwerfen.

Früher, als sie noch nicht so klapprig waren, fuhren sie mit ihren kleinen Llauts hinaus, warfen ihre Netze aus und kamen oft genug mit ansehnlichem Fang zurück. Heute sind sie Auslaufmodelle und vertreiben sich in der Bar ihre Zeit, wiewohl sie eigentlich von ihr vertrieben werden. Da ist der alte Pep, der Toni mit den noch immer pechschwarzen Haaren und dem Gesicht einer verschrumpelten Zitrone und Francesco mit der wie angewachsenen Baskenmütze.

Philipe, ein kompakter vierschrötiger Kerl, hatte einen kleinen Hund, ohne den er nirgendwo anzutreffen war. Mit viel Fantasie konnte man annehmen, dass seine Abstammung auf einen Pudel zurückzuführen war. Das Fell hatte die Struktur eines stark benutzten Flickenteppichs und wies interessante Farbtupfer auf, die es wohl beim Streichen der Boote abbekommen hatte. Ungeniert dessen durfte der Hund immer auf Philipes Schoß sitzen und beobachtete ungemein interessiert alle Vorgänge in der illustren Runde.

Die Tage tropften dahin, eintönig und einförmig, wie der Wasserhahn drinnen in der Bar. Aber einmal, da war alles anders. Sie saßen wie immer beisammen und schauten hinaus aufs Meer. Das Gespräch holperte träge dahin, als Philipe herbeischlurfte, mit hängenden Schulter, ein Gezeichneter. Ein kleiner weißer Flederwisch umtänzelte ihn. Philipe würdigte diesen keines Blickes. Was war Schreckliches geschehen? Wo war die kleine Pulga? Woher kam dieser neue Hund? Philipe stieß den Sessel mit dem Fuß beiseite und ließ sich krachend hineinfallen. Alle Blicke waren auf sein rotes, schweißnasses Gesicht gerichtet. Er wusste nicht, wohin er schauen sollte.

Inzwischen hatte sich der grobschlächtige Hund des Barbesitzers mit seinen zu kurz geratenen Beinen interessiert der Szene genähert. Fasziniert, aber mit bewundernder Zurückhaltung und verdrängtem Verlangen pirschte sich der schwarze Pock wie ein alter Professor, der eine seiner hübschen Kommilitoninnen betrachtet, an dieses unvergleichlich grazile Wesen heran und schnupperte vorsichtig, hinten und vorne, das atemberaubende Parfum. Sein dicker Schwanz pendelte erst zaghaft hin und her, dann immer schneller, bis er zuletzt wie ein rasender Trommelschlegel herumwirbelte. Sein Körper spannte sich, er drückte seine Brust heraus und fühlte sich in diesem Augenblick unwiderstehlich. Hätte er statt der krummen Beine zwei Hände zur Verfügung gehabt, er hätte sich genüsslich den angegrauten Schnauz gestrichen. Dabei gab er japsende Laute von sich und sprang herum wie eine alte Kuh. Tja, er verstand eben was von Weibern! Er war seit jeher ein glühender Verehrer von Pulga, stand nicht auf der Leitung und reagierte.

Das weiße Hündchen versuchte unterdessen vergeblich, auf Philipes Schoß Platz zu nehmen. Dieser wusste das Bestreben mit weit gespreizten Beinen erfolgreich zu verhindern und blickte mit verbittertem Gesicht in die Runde. Er begegnete verwunderten und fragenden Blicken. Beschämt und zornig spuckte er auf den Boden und bellte buchstäblich die Worte heraus: „Mi hija“, meine Tochter, „ha provocado este escandalo“, sie hat diesen Skandal verursacht! Das Prusten, Krächzen und Gurgeln der belustigten Kumpane war kaum zu überbieten. Dies war ja kein Hund, dies war ein kleines, lächerlich aufgeputztes Geschöpf und hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem Hund des alten Fischers. Zu beiden Seiten ihres kahl geschorenen Schnäuzchens wies Pulga nun ein flaumiges Haarbällchen auf, das ihr ein äußerst affektiertes Aussehen gab. Der Körper war bis hinunter zu den spitzen kleinen Pfoten mit aufgeplustertem Gewölle bedeckt. Das Lächerlichste aber war das dünne kahle Schwänzchen, dessen Ende einer neckischen Puderquaste glich. Das Gewieher und Gelächter der Männer lockte den Kellner Pons aus seinem Gehäuse, und weil er von der Tragödie keine Ahnung hatte, versuchte er sofort, den neuen Hund zu verscheuchen. Streuner gab es ja genug, und wie der aussah, gehörte er sicher keinem Einheimischen, das war eher das Anhängsel eines Touristen.

Für Philipe war das Maß nun voll. Er verschmähte den in Aussicht gestellten Herbas, der als Trost für sein maßloses Missgeschick spendiert wurde, und stapfte müde davon. Ein alter Mann, dem man schlimm mitgespielt hatte, umtanzt von einem flauschigen Hündchen, das um einen Blick und um ein Wort seines geliebten Herrn bettelte. Eine kleine Wolke, der der Himmel abhanden gekommen war.

Fundhund

Naxia

Petra Wilfert

Ein lautes Poltern an der Tür. Es ist ungefähr zwei Uhr nachts und das Paar in Zimmer acht erwartet keinen Besuch. Die Warnung der Reiseleitung noch im Ohr, Türen und Fenster gut verschlossen zu halten, auch wenn dieses für die Nachbarinsel galt, ergehen die beiden sich in Vermutungen: Was war das? Ein Landstreicher, die Engländer von nebenan? Vielleicht hat Nancy Bob ausgesperrt und der nächtigt jetzt auf dem Treppenabsatz zwischen den Zimmern? Wer immer da draußen ist: Er spricht nicht, und so vergehen zwei Stunden, während der Wind, der hier Meltemi heißt, ums Haus bläst und das Paar zurück in einen unruhigen Schlaf findet.

Im Morgengrauen schließlich – denn bei Licht sieht schon alles anders aus – fassen sich beide ein Herz und öffnen die Tür. Auf der Schwelle finden sie weder ihren Zimmernachbarn Bob noch einen Landstreicher, sondern einen Hund. Er wedelt verhalten mit dem Schwanz und bittet mit den Augen um Einlass. Der wird ihm gewährt, denn vor Hunden hat das Paar – nennen wir es Elke und Klaus – keine Angst, wenn auch genauso wenig Ahnung von ihnen. Dass dieser Hund nicht alleine ist, offenbart sich ihnen trotzdem schnell, denn er geht herum, kratzt sich, legt sich hin, kratzt sich wieder, schnüffelt in den Ecken, kratzt sich, lässt sich nieder und kratzt sich erneut. Aha, Flöhe, denken sich Elke und Klaus, und weiter nichts dabei.

Aber was ist das? Der Hund verliert wässrig-blutige Tropfen. Ist er etwa verletzt? Nein, das ist er nicht, und ein Er erst recht nicht. Eine Hündin steht vor ihnen, und offenbar eine in einem hormonellen Ausnahmezustand. Wahrscheinlich hat sie nachts nicht nur vor dem garstigen Wind, sondern auch vor ein paar aufdringlichen Artgenossen Schutz gesucht. Da schämt sich das Paar natürlich, dass es seine Tür nicht früher geöffnet hat, und beeilt sich, mit etwas Essbarem Wiedergutmachung zu leisten. Leider findet sich nur ein wenig trockenes Brot, aber die Hündin freut sich trotzdem. So verbringen die drei einige Stunden, bis die Wirtin mit dem Frühstück kommt. Sie hat zum Glück nichts einzuwenden gegen den zusätzlichen Gast.

Irgendwann steht die Hündin an der Tür. Dass die Menschen sie ihrer Wege gehen lassen, ist selbstverständlich, schließlich ist sie ihr eigener Herr. Aber schon bald sehen sie sich wieder. Als Elke und Klaus sich in den Mietwagen setzen, um einen Ausflug zu machen, hüpft die Hündin wie selbstverständlich hinein und nachdem die Aufforderung auszusteigen nicht fruchtet – wie auch, schließlich ist sie eine Griechin, die glaubhaft vorgeben kann, deutsche Vokabeln nicht zu beherrschen –, begleitet sie die beiden auf ihrer Exkursion.

Der Ausflug führt sie in eine Bucht, die auf drei Seiten von Felsen und auf einer Seite vom Meer umschlossen ist. Sie ist nur durch Klettern oder Schwimmen erreichbar. Elke und Klaus entscheiden sich für Letzteres. Das behagt der Hündin gar nicht, trotzdem lässt sie sich nicht davon abhalten, den Menschen zu folgen. Aber sie sucht sich ihren eigenen Weg über die Steilwand hinunter. Wasserscheu ist sie, aber dafür schwindelfrei, das wissen Elke und Klaus nun über sie. Schwindelfrei, freundlich, beharrlich, mutig und ganz nebenbei eine echte Schönheit auf hohen Beinen, mit dreifarbigem Fell und großen, klugen, braunen Augen. Dem trockenen Brot folgt am Strand ein Glas Frankfurter Würstchen, extra für die neue Begleiterin gekauft. Die drei sitzen im Schatten und dösen, behalten einander aber stets im Auge, und als der Badeausflug vorbei ist, treten alle zusammen den Rückweg an, der Hund ohne Leine und ohne Kenntnis der deutschen Sprache, aber das gewährte Obdach, das Brot und die Würstchen haben wohl schon so etwas wie ein Band geknüpft.

Nur gegen die Flöhe müsste man etwas tun, beraten sich die Hundefreunde, denn das Tier plagt sich ganz fürchterlich, und etwas Futter wäre auch gut, schließlich kann man einen Hund nicht nur mit Frankfurtern ernähren. Also fahren Elke und Klaus mitsamt der Hündin Richtung Stadt. Der Laden für Tierbedarfsartikel ist geschlossen, doch ein auf der Insel ansässiger Berliner kommt zufällig vorbei und weist ihnen den Weg zum Tierarzt. Damit stellt er eine der Weichen, die manche Leute Zufall nennen und andere Schicksal.

Der Tierarzt untersucht die Hündin gründlich. Den Flöhen wird der Garaus gemacht, den wahrscheinlich vorhandenen Würmern ebenso, die Hündin wird geimpft und gechippt. Und da der Veterinär gleichzeitig Besitzer des Zooladens ist, können Elke und Klaus nun doch noch groß einkaufen. Dass die Hündin aber tatsächlich mit nach Deutschland reisen würde, ist den beiden in diesem Moment keineswegs klar. Der Mietvertrag, der keine Hundehaltung zulässt, die Arbeit – alles spricht dagegen. Und überhaupt: Darf man einen Hund, der seine Freiheit gewohnt ist, einfach so aus seinem gewohnten Umfeld herausreißen und in eine völlig andere Welt verfrachten? Aber wie dem auch sei! Am Ende ist die Streunerin jedenfalls Besitzerin eines Napfes, eines Halsbandes und wegen des Autoverkehrs in der Stadt auch einer Leine. Sie hat ausreichend Verpflegung bekommen, einen Pass und infolge dessen auch einen Namen: Naxia, nach der Insel, von der sie stammt. So hat sie der Tierarzt getauft, was nicht besonders originell ist, Elke und Klaus aber gut in den Ohren klingt.

In der Stadt kommen die beiden Urlauber auf die Idee, sich das Castro anzusehen. Man stelle sich eine griechische Altstadt um die Mittagszeit vor: malerisch auf einem Hügel gelegen, mit verwinkelten Gassen, verbunden durch Treppchen und enge Stiegen, weiß getünchte Mauern, auf denen Katzen flanieren, still und verlassen. In dieser Altstadt bummeln Elke und Klaus nun mit einer läufigen Hündin. Es dauert keine fünf Minuten, bis ein grau-weiß-wuscheliges Fellknäuel, gerade mal halb so hoch wie Naxia, die Verfolgung aufnimmt. Des verheißungsvollen Geruchs wegen hat er sein schattiges Plätzchen am Eingang eines Restaurants an der Promenade verlassen. Und es bleibt nicht bei dem einen Verehrer. Bald hat er Konkurrenz in Gestalt eines ebenso kleinen, wuscheligen Artgenossen. So laufen Mensch und Hund auf und ab durch die engen, weiß getünchten Gassen. Haben sie den einen Vierbeiner gerade abgehängt, kommt unter Garantie ein anderer um die Ecke gehetzt. Am Ende sitzen zwei Menschen und drei Hunde total erschöpft auf einer Treppe; es ist einfach zu heiß für so viel Anstrengung.

Am kommenden Tag steht bei Elke und Klaus eine Fototour auf dem Plan. Dabei dürfen sie die Hündin nicht mitnehmen. Sie fürchten, ihre neue Freundin nach dem Ausflug nicht wieder anzutreffen; allerdings ist sie bis jetzt jedes Mal zu ihnen zurückgekommen, also wagen die beiden es, alleine loszugehen. Leider kommt diesmal alles anders: Bei der Rückkehr ist die Hündin verschwunden. Von einer anderen Urlauberin erfahren Elke und Klaus, dass sie die Hündin gesehen habe. Sie sei sehr wohl zum Hotel zurückgekehrt. Als sie ihre neuen Freunde jedoch nicht vorgefunden habe, sei sie ihr zum Strand gefolgt. Als die Frau in einen Bus gestiegen sei, habe sich die Hündin einem Jogger angeschlossen. Ab da verliert sich ihre Spur.

Elke und Klaus suchen nach Naxia, obwohl es aussichtslos zu sein scheint. Sie könnte ja überall sein: hinter jeder Düne, jeder Hecke, jedem Mäuerchen, kilometerweit weg. Oder auch längst bei anderen Leuten. Selbst wenn die beiden nicht suchen, sind sie mit ihren Gedanken oft bei der Streunerin. Im Internet finden sie bestätigt, dass Hunde hier nicht viel gelten, was sie ja bereits mit eigenen Augen beobachten konnten. Und sie haben ihr auch noch das Halsband angelegt, was hatten sie sich dabei bloß gedacht! Jetzt würde jeder annehmen, die Hündin gehöre jemandem, und würden sie deshalb möglicherweise nicht füttern! Ohne Halsband hätte sie vielleicht jemand mit nach Hause genommen und ihr ein Heim gegeben, was Elke und Klaus sich nicht zugetraut hatten. Aber so besteht diese Chance wohl kaum. Was alles passieren kann, wenn man gute Absichten hat!

Zwei Tage vor unserer geplanten Abreise – mittlerweile ist es wohl an der Zeit, uns zu erkennen zu geben – hatten mein Mann Wolfgang und ich unsere Suche aufgeteilt; er fuhr die Straße entlang, während ich am Meer durch den Sand stapfte. Wir hatten einen Tipp bekommen, uns dort nach der Hündin umzuschauen. Am Strand von Agia Anna herrschte buntes Treiben. Aus dem Augenwinkel erspähte ich plötzlich – fast war ich schon vorbei – etwas Schwarzes zwischen zwei Liegestühlen. Es brauchte nicht das rote Halsband, um sie zu erkennen, unsere Naxia! Ganz matt war sie, hatte offenbar lange nicht getrunken. Die Touristen duldeten sie in einer Kuhle im Sand unter sich, waren aber nicht auf die Idee gekommen, ihr Wasser anzubieten. Erst nachdem sie ausgiebig getrunken hatte, leckte sie unsere Hände und es kam Leben in sie. Jetzt gab es kein Zurück mehr, wir mussten sie mitnehmen! Notfalls würden wir umziehen und überhaupt unser ganzes Leben umkrempeln.


Naxia veränderte in der Tat unser Leben komplett. Wir brachten nämlich nicht nur sie mit, sondern mit ihr auch sieben Welpen, die gut zwei Monate später bei uns zur Welt kamen. Aber das ist eine andere Geschichte. Naxia lebt seit nunmehr neun Jahren bei uns, zusammen mit ihrem Sohn Loukas, den wir von allen Welpen am meisten ins Herz geschlossen hatten. Wir haben sie nicht fragen können, ob sie ihr sonniges Heimatland verlassen und mit uns ins kühle Deutschland kommen wollte. Aber ich glaube, alles in allem ist sie ganz zufrieden mit ihrem Schicksal und auch wir haben unsere Entscheidung nicht ein einziges Mal bereut.

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