Kitabı oku: «Inspiration Schweiz», sayfa 2

Yazı tipi:

Drei Entdeckungen im
Wunderjahr 1905


Albert Einstein

In der Kantonsschule Aarau lernte er die Eigenverant­wortung. An der eth Zürich studierte er Physik. Im Patentamt in Bern reifte die Relativitätstheorie heran.

Es war ein in der Fachwelt unbekannter Wissenschaftler, der innerhalb weniger Monate das Weltbild der Physik aus den Angeln hob. Dabei gehörte der damals 26-jährige Familienvater nicht etwa einer renommierten Universität an, sondern arbeitete Vollzeit als technischer Experte III. Klasse am Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum in Bern. Gleich drei bedeutende Arbeiten legte der junge, aus Ulm stammende Physiker Albert Einstein in diesem «Wunderjahr» 1905 vor.

Vieles deutet darauf hin, dass Einstein in der Schweiz Rahmenbedingungen vorfand, die seiner kreativen Schaffenskraft förderlich waren. Schon in der Schulzeit habe Einstein die Schweiz lieben gelernt, sagt der Einstein-Experte Tilman Sauer von der Universität Mainz. Nachdem die ­Familie von Deutschland nach Italien gezogen war, blieb Einstein zunächst in München, wo er das Luitpold-Gymnasium besuchte. Doch bald schon schmiss er die Schule hin, ging vorübergehend nach Italien und kam über Zürich nach Aarau. Im Oktober 1895 trat Einstein dort in die Kantonsschule ein.

Es begann eine gute Zeit. Wie er in seinen Memoiren festhielt, hat diese Schule «durch ihren liberalen Geist und durch den schlichten Ernst der auf keinerlei äusserlichen Autorität sich stützenden Lehrer einen unvergesslichen Eindruck in mir hinterlassen.» Die Erziehung zur Selbstverantwortlichkeit empfand er dem Drill, den er von Deutschland her kannte, als weit überlegen.

Während seiner Aargauer Schulzeit wohnte Einstein in der Pension Rössligut der Familie Winteler. Bald redete er das Ehepaar mit «Papa» und «Mama» an. Und er verguckte sich in eine der Töchter. «Ein wichtiger Grund für das Wohlbefinden des Maturanden Einstein war zweifellos seine Liebe zu Marie Winteler», schreibt Biograf Alexis Schwarzenbach. Bei der Matura brillierte Einstein in den naturwissenschaftlichen Fächern. In Algebra und Geometrie erreichte er eine glatte 6, in Physik eine 5–6. Nun konnte Einstein wie gewünscht am Zürcher Polytechnikum, heute eth Zürich, Physik studieren. Dort lernte er mit der Studienkollegin Mileva Mari seine spätere Frau kennen.

Nach dem Studium folgte eine schwierige Phase. Einstein konnte partout keine Assistenzstelle ergattern. Er musste sich vorübergehend als Privatlehrer durchschlagen. Erst gut zwei Jahre später, im Juni 1902, entspannte sich die Situation dank der Anstellung am Patentamt in Bern. Die Arbeit gefiel ihm gut. Und mit Michele Besso kam bald ein Freund ans Patentamt, mit dem er sich über seine physikalischen Ideen austauschen konnte. Im Rückblick sagte er über Besso: «Einen besseren Resonanzboden hätte ich in ganz Europa nicht finden können.»

Nach einem gewöhnlichen Arbeitstag war Einstein geistig noch frisch genug für die Wissenschaft und für das Vergnügen. Im «Wunderjahr» schrieb er an seinen Freund Conrad Habicht: «Bedenken Sie, dass es im Tag neben den acht Stunden Arbeit noch acht Stunden Allotria und noch einen Sonntag gibt.»

Am 18. März 1905 ging bei der Fachzeitschrift «Annalen der Physik» in Berlin eine von Einstein selbst als «sehr revolutionär» angepriesene Arbeit ein. Darin postuliert er, Licht sei nicht nur wie bisher angenommen eine Welle, sondern bestehe zugleich aus sogenannten Lichtquanten (Photonen). Damit legte Einstein eine wichtige Grundlage für die Theorie der Quantenmechanik.

Die zweite bedeutende Studie erreichte die «Annalen der Physik» am 11. Mai. Darin erklärte Einstein den willkür­lichen Zickzackkurs von kleinen Staubteilchen in Gasen und Flüssigkeiten mit Stössen, die Flüssigkeits- oder Gasmoleküle aufgrund ihrer Wärmebewegung auf die Staubteilchen ausüben. Damit wurde Einstein zu einem Mitbegründer der statistischen Mechanik.

Rund sieben Wochen später schickte er die nächste Ar­beit an die «Annalen der Physik». Sie trägt den unscheinba­ren Titel «Zur Elektrodynamik bewegter Körper» und enthält das, was heute als Spezielle Relativitätstheorie bekannt ist. Mit ihr widersprach Einstein der Existenz eines das ganze Weltall durchdringenden Äthers, revolutionierte die Vorstellung von Raum und Zeit und postulierte die Lichtgeschwindigkeit als absolute Geschwindigkeitsgrenze.

Quasi nebenbei reichte Einstein im Juli 1905 an der Universität Zürich seine Dissertation ein. Sie thematisiert einen Beleg für die Existenz von Atomen. Kurz darauf lieferte er in einer Art Fussnote zur Speziellen Relativitätstheorie auch noch die bekannte Gleichung E=mc2 ab. Sie beschreibt, welch enorme Energie in der Materie steckt – eine Erkenntnis, die später mit der Explosion der Atombombe äusserst plastisch wurde.

Nach einer Zwischenstation in Prag folgte Einstein im Sommer 1912 einem Ruf an die eth Zürich. «Nun kann ich bald wieder meine Bude in Zürich aufschlagen, zu meiner grossen Freude», schrieb er noch aus Prag an Carl Schröter, den Präsidenten der Naturforschenden Gesellschaft Zürich. Und: «Seit ich hier bin, weiss ich die einfachen und gesunden Gewohnheiten und Sitten der Schweizer erst recht zu schätzen.»

Als Professor an der eth Zürich entwickelte Einstein spätestens im Frühjahr 1913 die Grundlagen für die Allgemeine Relativitätstheorie (art), einer Theorie der Gravitation, welche die herkömmliche Vorstellung von Raum und Zeit noch gründlicher revidierte. Die dabei benötigte mathematische Unterstützung fand er beim einstigen Studienfreund Marcel Grossmann, mittlerweile Professor für Mathematik an der eth Zürich: «Grossmann, du musst mir helfen, sonst werd’ ich verrückt.»

Und Grossmann half. Er wies Einstein auf die geeig­neten mathematischen Techniken hin, mit denen er seine Ideen von Raum, Zeit und Materie in Formeln giessen konnte. Abschliessen konnte Einstein die art aufgrund einiger Irrwege allerdings erst 1915 nach seinem Ruf an die Preussische Akademie der Wissenschaften in Berlin. Die art gilt als eine der grössten Meisterleistungen der Wissenschaftsgeschichte. Spätestens nach deren Bestätigung durch den britischen Astrophysiker Sir Arthur Eddington im November 1919 war der namenlose Patentbeamte zu einem der renommiertesten Physiker der Welt geworden – einem Popstar der Wissenschaft.

Joachim Laukenmann

Was sind schon verschneite Alpengipfel gegen einen ­Venushügel?


Giacomo Casanova

Ein Gockel auf Reisen oder Wie die Schweizerinnen dem Frauenhelden Giacomo Casanova das Leben schwer machten.

«Casanova in der Schweiz» klingt wie der Titel einer komischen Oper – und ist ja auch eine: 1943 wurde Paul Burkhards Werk in Zürich uraufgeführt. Tatsächlich hat der grosse Verführer die kleine, sittenstrenge Schweiz mehrfach mit seinen erotischen Abenteuern beehrt, im Sommer 1760 sogar fünf Monate lang.

Casanova scheint mit seinen schneidigen Attacken, frivolen Ratschlägen und wohl auch mit seiner Pornosammlung – als Mann von Welt führte er stets «gewisse Miniaturbilder» bei sich – selbst bei ehrbaren Eidgenossen auf lebhaftes Interesse gestossen zu sein; ihre Frauen und Töchter lagen ihm ohnehin zu Füssen.

In Baden macht man für den Gigolo eine Ausnahme vom Sonntagstanzverbot. In Bern trinken die wackeren Ratsherren den Gast, der eher Limonade und Schokolade bevorzugt, fröhlich unter den Tisch. Selbst Albrecht von Haller, der Naturforscher, dessen «mannhafter sittlicher Ernst» Casanova beeindruckt, empfängt den Freigeist freundlich. In Solothurn beteiligen sich Ärzte, Honoratioren und französische Gesandte begeistert an seinem generalstabsmässig geplanten Versuch zur Erstürmung der Festung Mada­me von Roll.

Selbst wenn man dem Prahlhans nicht alles glauben darf (der Solothurnaufenthalt ist unter Historikern umstritten): Die Leporello-Liste seiner Schweizer Eroberungen ist lang. In Genf will Casanova beim Bunga-Bunga-Souper mit dem Syndikus drei Damen auf einen Streich beglückt haben. In der Käsekammer vernaschte er dann noch eine fromme Helene und ihre Nichte, die «hübsche Theologin», die mit aparten Gottesbeweisen und ihrem üppigen Busen brilliert. In Bern geht er einer dreizehnjährigen Lolita an die Wäsche und philosophiert über die Vorzüge der Verschleierung: Wäre es nicht natürlicher, vorteilhafter und «besonders vernünftiger», wenn die Frauen statt ihres Körpers ihre Gesichter verhüllten?

Casanovas grösster Schweizer Coup ist die Schauspielerin Dubois, die man ihm als «Haushälterin» quasi ins Nest legte. Das «Geschöpfchen» inspiriert Casanova zu ernstlichen Herzenswallungen und einem Heiratsantrag. Weniger Erfolg hat er bei Ludovica von Roll. Schon in Zürich versucht er sich, als Kellner und Stiefelknecht verkleidet, den schönen Waden der «Amazonin» zu nähern. In Solothurn geht er dann zum Angriff über, aber der misslingt: Morgens muss Casanova zu seiner Scham feststellen, dass er sich im Dunkeln zwei Stunden lang auf einer hinkenden Witwe, die ihn schon lange verfolgte, abgearbeitet hat.

Welch «ungeheuerlicher Missgriff meiner Sinne»: Mit einem «Scheusal» Liebe machen und sich dabei auch noch glücklich schätzen! Madame ist erbost, dass man sie mit einer mageren, übel riechenden Hexe verwechselt hat. Zwar kann er sich mit einer elegant eingefädelten Intrige für die Schmach rächen, aber die Schweizerinnen machen es dem grössten Liebhaber aller Zeiten wirklich nicht leicht. In London wird er 1763 in einem 18-jährigen Luder aus Bern seine Meisterin finden; Andrew Miller hat die vielleicht schmerzlichste Niederlage Casanovas in seinem Roman «Eine kleine Geschichte, die von der Liebe handelt» verewigt.

Dennoch, 1760 zeigt sich Casanova noch in Hochform. Die Schweiz im Unterrock: «Gott, welche Reize!» Mit 35 Jahren stand er in der Blüte seiner Manneskraft, und auch wenn Murten oder Solothurn nicht gerade Paris oder London sind, so bieten sie doch eine brauchbare Bühne für ­Casanovas Liebhabertheater – und Stoff genug für seine umfangreichen Memoiren. Hatte er nicht dem Fürstabt von Einsiedeln die Komödie des reuigen Sünders so überzeugend vorgespielt, dass ganz Zürich nur noch von der «neuen Ehrbarkeit» des Wüstlings sprach? Hatte er nicht in Genf Voltaire im Rededuell über Gott, den Aberglauben und Ariost an den Rand einer Niederlage gebracht? Und selbst wenn es nicht ganz so war: Gut erfunden und gut erzählt ist es schon, wie da zwei eitle Gockel lauernd umeinander herumstreichen. Für die landschaftlichen Reize der Schweiz hatte der Chevalier de Seignalt weder Augen noch Zeit. Was sind schon verschneite Alpengipfel gegen Venushügel?

1769, bei seinem letzten Besuch in der Schweiz, findet Madame von Roll ihren alten Verehrer gealtert. Casanova kann nicht widersprechen. In Lugano, von wo aus er mit einer dreibändigen Apologie der venezianischen Republik seine Rückkehr in die geliebte Heimatstadt erzwingen will, bricht er sich beim Sturz vom Pferd beinahe den Hals. Der grosse Casanova ist nur noch ein müder, heimwehkranker Schatten seiner selbst. 1798 stirbt er, einsam und vergessen, im Schloss von Dux.

Martin Halter

«Ich halte die zwei Monate für meine
glücklichste Zeit»


Jean-Jacques ­Rousseau

Nur wenige Wochen verbrachte Jean-Jacques Rousseau auf der ­St. ­Petersinsel im Bielersee. In seinen «Träumereien eines einsamen Spaziergängers» wird sie zum Paradies.

«Mein Herz kann sich nicht halb geben», gesteht Jean-Jac­ques Rousseau im zwölften Buch seiner «Confessions» (Bekenntnisse). Immer war der Denker Feuer und Flamme, ob in Liebe oder Hass. Preisgesang und Pamphlet reihten sich nahtlos, und manchmal galten sie dem gleichen Gegenstand, etwa der Vaterstadt Genf, die bald beispielhafte Republik, bald Heimat finsterster Laster war. Nie aber hat Rousseau seine Meinung über die St. Petersinsel im Bielersee geändert, auf der er am 12. September 1765 Zuflucht fand – für sechs Wochen.

«Die kleine Insel, auf der ich mich befinde, schien mir passend für meinen Rückzug», schrieb er zwei Wochen nach der Ankunft, «sie ist sehr angenehm; man findet hier weder Kirchenleute noch von diesen aufgehetzte Gauner». Zwar klagte der 53-jährige über Krankheiten, das Alter, und manchmal störte ihn die Betriebsamkeit der Ernte. Aber die Abende seien ruhig, berichtet er Briefpartnern, und auf den einsamen Winter freue er sich schon jetzt. Rousseau richtete sich insgeheim darauf ein, auf der Insel den Lebensabend zu verbringen, wie er bei seiner Ausweisung dem Berner Magistraten und Schlossherrn Emmanuel von Graffenried gestand.

Im Rückblick wuchs die Begeisterung noch. 1777, zwölf Jahre nach dem Verlassen der Petersinsel, erinnerte sich der Flüchtling in seinem letzten Werk noch einmal an sie. Die Cinquième Promenade, der fünfte Spaziergang, in den «Rêveries d’un promeneur solitaire» (Träumereien eines ein­samen Spaziergängers) ist einer von Rousseaus schönsten Texten. Die Nöte sind nicht vergessen, aber weggerückt. Was in der Erinnerung zählt, ist die neue Erfahrung, die der Verfolgte in seinem Inselexil machte: «Ich halte diese zwei Monate für meine glücklichste Zeit.»

Rousseau, der umstrittenste Philosoph der Aufklärung, spaltete seine Zeit. Seine Anhänger und vor allem Anhängerinnen verehrten ihn wie einen Popstar, bedrängten ihn mit Briefen und Besuchen, noch auf der Petersinsel, die damals nur per Schiff erreichbar war. Zahlreicher noch waren die Feinde. Konkurrenten wie Voltaire gehörten dazu, vor allem aber Obrigkeiten aller Art. In Paris hatte man 1762 von Staats wegen Rousseaus Erziehungsroman «Emile» verbrannt, der – drei Jahrzehnte vor der Französischen Revolution – «ein Jahrhundert der Revolutionen» ankündigte und Zweifel am allein selig machenden Christentum vorbrachte. Genf folgte dem Pariser Beispiel und erliess ebenfalls einen Haftbefehl gegen den Autor. Zuflucht fand dieser im Neuenburgischen, das damals unter der Herrschaft des aufgeklärten Preussenkönigs Friedrich des Grossen stand.

Doch die erhoffte Ruhe hatte Rousseau auch im kleinen Môtiers im Val de Travers nicht. Voltaire verbreitete in einem anonymen Pamphlet, dass Rousseau seine fünf Kinder ins Findelhaus gegeben hatte, und der Pfarrer von Môtiers hetzte von der Kanzel gegen den Ungläubigen. Schon äusserlich war Rousseau ein Fremder: Er trug nur noch, was er sein «habit arménien» nannte, einen langen, kaftanähnlichen Rock, dazu eine Pelzmütze, wie er es bei einem Schneider aus Armenien gesehen hatte.

Die Dörfler rüsteten zur Hatz auf den unheimlichen Kauz. Als eines Nachts Steine gegen seine Wohnung flogen, fühlte sich Rousseau des Lebens nicht mehr sicher. Selbst die ausdrückliche Protektion des preussischen Königs konnte ihn offenbar nicht schützen, und die von der Polizei einvernommenen Zeugen wussten von nichts oder gaben zu verstehen, Thérèse Levasseur, Rousseaus Lebensgefährtin und Mutter seiner Kinder, die er als seine Haushälterin ausgab, habe die Steine wohl selbst geworfen.

Am Tag nach der «Steinigung», wie Rousseau den nächtlichen Angriff nannte, verliess er Môtiers. Die St. Petersinsel, auf der es ein einziges Haus gab, ein ehemaliges Kloster, schien das ideale Exil zu sein – hätte sie nicht den gnädigen Herren von Bern gehört, die Rousseaus Schriften ebenfalls verboten und den Autor zur Persona non grata erklärt hatten. Rousseau wusste es, hoffte aber auf stillschweigende Duldung.

Trotz ständig drohender Ausweisung war es Rousse­aus «glücklichste Zeit». Sicher prägt Selbststilisierung den Rückblick des «Fünften Spaziergangs». Abgeschieden von der Aussenwelt, in bewusstem Verzicht auf Arbeit, auf Bücher und Schreibzeug, will der Asylant einzig seinen neuen Leidenschaften, der Botanik und den Träumereien, gelebt haben. Die Briefe zeigen, dass er nicht ganz so radikal war; selbst die Zeitung liess sich Rousseau übers Wasser bringen. Und durch eine Bodenklappe, die heute noch im Rousseauzimmer auf der Insel zu sehen ist, soll er sich vor Besuchern gerettet haben.

Aber die «Rêveries» wollen nicht als Dokument, sondern als literarischer Text gelesen werden. Rousseau schildert sich als Traumwandler einer neuen Art, als ein Träumer mit gesteigert wachem Bewusstsein, der nichts weiter tut als Pflanzen sammeln oder auf der kleinen Nachbarinsel Hasen aussetzen, im Übrigen aber die Unschuld des Farniente geniesst: «Solange dieser Zustand dauert, sind wir uns selbst genug, wie Gott.»

Allerdings, die Gesellschaft, wie sie ist, macht die «süssen Ekstasen» des Wachträumens nicht erstrebenswert. «Vita activa», ein rastloses, auf Erwerb gerichtetes Leben, ist angesagt. Nur «ein Unglücklicher, der aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen ist», einer wie Rousseau also, mag in diesen Träumereien eine Entschädigung für entgangene Freuden finden.

Der Preis ist hoch. Das Exil muss zum Paradies (v)erklärt werden. «Die Verfolgung scheint einem geheimen Wunsch Rousseaus zu entsprechen. Sie enthebt ihn des Handelns und seiner Folgen», schreibt Jean Starobinski in seinem Rousseaubuch. So erbittet der Flüchtling folgerichtig von den Berner Herren lebenslängliche Einschliessung. «Ich wag­te den Wunsch auszusprechen und vorzuschlagen», be­richtet er in den «Confessions», «dass man mich eher zu ständiger Gefangenschaft verurteilen möge, als mich ständig auf der Erde herumirren zu lassen». Der Wunsch wurde abgelehnt, die Berner haben Rousseau am 25. Oktober 1765 vertrieben. Die St. Petersinsel aber blieb sein Traumge­fängnis.

Peter Müller

Vetternwirtschaft in der Stadt, Monotonie im Gebirge


Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Von 1793 bis 1796 arbeitete der künftige Philosoph Hegel ­als ­Hauslehrer in Bern. Er stiess sich an den politischen Verhältnissen. Nicht mal die Natur bot Trost.

Als Hegel 1831 in Berlin unerwartet starb, galt er als der grösste Philosoph seiner Zeit; sein Begräbnis wurde zum Defilee angesehener Persönlichkeiten und trauernder Studenten. Berlin war aber nur die letzte Station einer alles andere als geradlinigen Reise, deren frühere Etappen Heidelberg, Nürnberg, Bamberg, Jena, Frankfurt waren – und die ihren mühevollen Anfang in der Schweiz nahm.

Im Oktober 1793 trat der 23-jährige Hegel seine Stelle als «Hofmeister» im Hause des Berner Patriziers Carl Friedrich von Steiger an, für ein monatliches Salär von 25 Louis d’or. Das Studium der Philosophie und der Theologie hatte er kurz zuvor in Tübingen abgeschlossen, wo er sich mit Schelling und Hölderlin angefreundet hatte. Er genoss ei­nen Ruf als guter Gesellschafter, und das nicht nur beim intellektuellen Gespräch, sondern auch beim Kartenspiel und beim Wein; gegenüber den Mädchen soll er «küsselustig» gewesen sein. Mit den Türen von Steigers Haus, einem prächtigen Gebäude an der Berner Junkerngasse 51, öffnete sich ihm nun eine unbekannte – und in vielerlei Hinsichten auch unvermutete – Welt.

Hegels Hauptaufgabe bei der Familie von Steiger war das Unterrichten der beiden Kinder, des sechsjährigen Friedrich Rudolf und der achtjährigen Maria Catharina. Ihnen musste er die Grundbegriffe der französischen Literatur, Geschichte, Geografie, Arithmetik und Musik beibringen. Diese pädagogische Arbeit dürften aber eine Enttäuschung gewesen sein; in einem Brief an Hölderlin vom November 1796 schreibt Hegel, dass es zwar gewöhnlich gelinge, die Köpfe der Zöglinge «mit Worten und Begriffen zu füllen»; «aber auf das Wesentlichere der Charakterbildung wird ein Hofmeister nur wenig Einfluss haben können, wenn der Geist der Eltern nicht mit seinen Bemühungen harmoniert».

Hegel scheint in seiner Umgebung schlecht integriert gewesen zu sein. Zwar liessen ihm seine Pflichten als Hofmeister genug Zeit fürs Studium und das Schreiben (in ­diesen Jahren entstanden seine ersten Schriften, darunter ein «Leben Jesu» und die Abhandlung «Die Positivität der christlichen Religion»).

Dennoch beklagte er sich in seiner Korrespondenz immer wieder über seine «Entfernung von mancherlei Büchern» und «von den Schauplätzen literarischer Tätigkeit». Er fühlte sich im Bern fehl am Platz, abgeschnitten vom lebendigen Strom jenes intellektuellen Lebens, an dem seine Freunde zu Hause teilhaben konnten und von dem sie ihm in ihren Briefen auch enthusiastisch berichteten.

Das Gefühl der Isolation dürfte von Hegels aufgeklärtem Blick auf die Berner innenpolitischen Zustände erst recht verstärkt worden sein. Diese verurteilte er in einem Brief an Schelling scharf: «Alle 10 Jahre wird der conseil sou­verain um die etwa 90 in dieser Zeit abgehenden Mitglieder ergänzt. Wie menschlich es dabei zugeht, wie alle Intrigen an Fürstenhöfen durch Vettern und Basen nichts sind gegen die Kombinationen, die hier gemacht werden, kann ich Dir nicht beschreiben. Der Vater ernennt seinen Sohn oder den Tochtermann, der das grösste Heiratsgut zubringt, und so fort.» Es waren erdrückende Zustände für den jungen Hegel, der an die Ideale der Französischen Revolution glaubte – und sich nach dem Brauch der Zeit als «Ihr gehorsamster Diener» an seinen Hausherrn wenden musste.

Im Sommer 1796 unternahm Hegel zusammen mit drei sächsischen Hofmeistern eine Reise durch die Berner Alpen. Landschaftliche Beschreibung und Introspektion mischen sich in seinem Reisetagebuch. So notierte er an einer bemerkenswerten Stelle, dass «weder das Auge noch die Einbildungskraft … auf diesen formlosen Massen irgend einen Punct» finde, «auf dem jenes mit Wohlgefallen ruhen oder wo diese Beschäftigung oder ein Spiel finden könnte.» Nur der «Mineralog», den er hier als Musterbeispiel des fantasielosen Menschen zitiert, könne diese Gebirge interessant finden. Der reflexive Geist dagegen werde zur Melancholie getrieben von der traurigen Monotonie: «Der Anblick dieser ewig toten Massen», so fasste Hegel seine Eindrücke ­zusammen, «gab mir nichts als die einförmige und in die Länge langweilige Vorstellung: Es ist so.»

War es die innere Wahrnehmung, die hier den bewussten Weltbezug prägte? Jedenfalls meinten seine Freunde aus der Tübinger Zeit, Spuren einer beunruhigenden psychischen Verwandlung bemerkt zu haben. Jeder versuchte auf seine Weise, Hegels Lebensfreude zu wecken: «Du scheinst», so schrieb Schelling, «gegenwärtig in einem Zustand der Unentschlossenheit und sogar Niedergeschlagen­heit zu sein, der Deiner ganz unwürdig ist. Pfui! ein Mann von Deinen Kräften.» Viel sanftmütiger ging Hölderlin mit Hegel um: «Ich sehe, dass Deine Lage Dich ein wenig um den wohlbekannten immerheiteren Sinn gebracht hat. Siehe nun zu! Du wirst bis nächsten Frühling wieder der Alte sein.»

Was Hölderlin so optimistisch stimmte, war die Tat­sache, dass er den Freund aus seinem Schweizer «Exil» ­be­freien konnte. Dank seiner Vermittlung hatte Hegel nämlich eine neue Position als Hofmeister in Frankfurt bekommen. Im Dezember 1796 verliess Hegel die Schweiz und verbrachte die Feiertage bei seiner Familie in Stuttgart. Eine Notiz seiner Schwester Christiane lässt keine Zweifel dar­über offen, dass die Rückkehr in die Heimat notwendig war: «Herbst 1793 Schweiz, über 3 Jahre; kam in sich gekehrt zurück, nur im traulichen Zirkel fidel. Anfang 1797 nach Frankfurt.»

Nur ein Jahr später erschien Hegels erste Veröffentlichung, eine kommentierte Übersetzung von Jacques Carts Schrift «Vertrauliche Briefe über das vormalige staatsrechtliche Verhältnis des Waadtlandes zur Stadt Bern», anonym und versehen mit dem unfreundlichen Untertitel «Eine völlige Aufdeckung der ehemaligen Oligarchie des Standes Bern».

Hegels Kommentare machen deutlich, wie sehr er die schweizerischen Zustände verurteilte. Und die bitteren Erinnerungen wirkten weiter in Hegels politischem Denken: Noch in seiner letzten Publikation, der Abhandlung «Über die englische Reformbill», nennt er Bern neben Venedig und Genua als negatives Beispiel für rein aristokratische Regierungen, die ihre Sicherheit «in dem Versenken des von ihnen beherrschten Volkes in gemeine Sinnlichkeit und in der Sittenverderbnis derselben finden».

Pierfrancesco Basile

₺757,30

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
313 s. 72 illüstrasyon
ISBN:
9783038550884
Editör:
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi: