Kitabı oku: «Jahrbuch der Baumpflege 2016», sayfa 10

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Der Eichenprozessionsspinner – Situation in Bayern und praxisnahe Forschung im Waldschutz

The oak processionary moth – the situation in Bavaria and scientific approach in forest protection

von Bernhard Loock und Gabriela Lobinger

Zusammenfassung

Der Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea processionea L.) tritt in Bayern durch ein ständig wachsendes Befallsgebiet und Massenvermehrungen im Offenland und in Eichenwäldern in Erscheinung. Aufwändige und kostenintensive Bekämpfungsmaßnahmen werden immer häufiger erforderlich. Die Schadwirkung des Insektes beruht nicht nur auf dem Blattfraß an der Eiche, sondern vor allem auch auf der gesundheitsschädlichen Wirkung der giftigen Brennhaare der Raupe, was besonders im öffentlichen Grün zu großen Problemen führt. Es besteht erheblicher Forschungsbedarf, um die Kenntnisse über die Steuerfaktoren der Dichteentwicklung und Verbreitung zu erweitern. Es müssen praxisfähige und zuverlässige Verfahren entwickelt werden, um eine großflächige Überwachung und Schadensprognose für diese Art zu ermöglichen und damit angesichts zunehmender Restriktionen im Pflanzenschutz Gegenmaßnahmen frühzeitig und situationsgerecht planen zu können.

Summary

The infestation area of the Oak Processionary Moth (Thaumetopoea processionea L.) in Bavaria is permanently expanding, with both single oak trees in open landscapes and oak forests being affected. Population sizes and local mass propagations are increasing, necessitating costintensive control measures. Repercussions include both damages to oak forests and adverse effects on human health with special problems in urban areas. There is an extensive need for increased understanding of the biotic and abiotic factors which control spread and abundance. Developing practicable and dependable procedures for monitoring and prognosis is of utmost importance in order to be able to plan management measures at the earliest possible point in time. This is of growing importance due to increasing restrictions in plant protection.

1 Einleitung

Der Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea processionea L.) ist eine Schmetterlingsart, die an Eichenarten als Wirtsbaumart gebunden ist (CARTER & HARGREAVES 1987). Dabei bevorzugt er als Insekt des Offenlandes einzelstehende Bäume, Feldgehölze und besonnte Waldränder. Namensgebend sind die großen Raupenansammlungen, die sich in Prozessionen an den Eichen fortbewegen. Während der Häutung und zur Verpuppung fertigen sie Gespinstnester, die mehrere tausend Individuen enthalten können.

Das Verbreitungsgebiet des Eichenprozessionsspinners erstreckt sich von England über West-Mitteleuropa bis nach Spanien und in die Balkanstaaten. Aus den letzten 50 Jahren liegen Berichte über ausgedehnte Massenvermehrungen dieser Schmetterlingsart vor (SCHWENKE 1978; BOGENSCHÜTZ et al. 1988). In Deutschland sind nahezu alle Bundesländer in unterschiedlich starkem Maße betroffen (Abbildung 1). Dabei vergrößern sich die Verbreitungsareale des Eichenprozessionsspinners und die Populationsdichten steigen allgemein an (GROENEN & MEURISSE 2011). Durch das Panel of Plant Health erfolgte im Jahr 2009 eine Risikoeinschätzung bezüglich Schadwirkung, Einschleppungs- und Verbreitungsgefahr des Eichenprozessionsspinners sowie eine Evaluierung der Management-Möglichkeiten für Gesamt-Europa durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA (EFSA 2009). Die Schadwirkung des Eichenprozessionsspinners beruht dabei nicht nur auf dem Blattfraß der Raupen an der Eiche. Durch die giftigen Brennhaare der älteren Larvenstadien kann es bei Kontakt mit Raupen oder den Gespinstnestern zu erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigungen bei Mensch und Tier kommen. Die beträchtliche Ausweitung des Befallsgebietes und die Fähigkeit des Insekts zum Aufbau von Massenvermehrungen machen die Entwicklung zuverlässiger Überwachungsmethoden und umweltschonender aber wirkungsvoller Bekämpfungsstrategien erforderlich.


Abbildung 1: Verbreitung des Eichenprozessionsspinners in Deutschland (JKI, Stand April 2013)

2 Biologie und Entwicklung des Eichenprozessionsspinners

Der Eichenprozessionsspinner gehört zur Familie der Zahnspinner (Notodontidae) und bildet mit weiteren Prozessionsspinnerarten die Unterfamilie Thaumetopoeinae. Der weibliche Falter legt seine Eigelege mit durchschnittlich 150 Eiern in Form länglicher Platten an den ein- bis zweijährigen Zweigen in der Oberkrone der Eiche ab. Die Eier werden von einer bräunlichen Kittmasse bedeckt (Abbildung 2a). Die Überwinterung erfolgt als bereits fertig entwickelte Larve im Ei, wobei die Eilarven auch Temperaturen bis –28 °C unbeschadet überstehen können (MEURISSE et al. 2012). Mitte April schlüpfen die nur 2 – 3 mm großen, rötlich-braunen Eilarven und bilden sogleich die arttypischen Prozessionen. Ab der ersten Häutung bleiben die Raupen hellgrau mit dunkler Rückenlinie und langer, heller Behaarung. Die Raupen treten stets in größeren Kolonien auf. Tagsüber verharren die Jungraupen an Sammelplätzen (Abbildung 2b). Die Nahrungsaufnahme findet vorwiegend abends und nachts statt; in dieser Zeit wandern die Raupen im Kronenraum ihrer Fraßbäume.

Mit Erreichen des dritten Larvenstadiums, etwa Ende Mai, bilden sie die nur 0,1 mm langen Brennhaare (Setae) mit Widerhaken aus, die den Giftstoff Thaumetopoein enthalten. Die Anzahl der Brennhaare steigt mit jeder weiteren Häutung. Die Raupen bilden dann große Prozessionen, die zur Ruhe und Häutung in Gespinstnestern vorwiegend im Stammbereich und an stärkeren Kronenästen zu finden sind (Abbildung 2c, d). Nachts wandern die Raupen zum Fraß in die Eichenkronen. Solche Raupenansammlungen können mehrere tausend Individuen enthalten.

Die Verpuppung findet ab Mitte Juni in festen ockerfarbenen Kokons statt, die zusammen mit Häutungsresten und Raupenkot fest versponnen werden (Abbildung 2e). Etwa Mitte Juli schlüpfen die Falter aus den Gespinsten. Sie haben eine Flügelspannweite von 25 bis 36 mm, sind kompakt gebaut, graubraun gefärbt mit dunkleren Querbinden auf den Vorderflügeln (Abbildung 2 f). Die Schwärmzeit der nachtaktiven Falter erstreckt sich bis Ende August/​Anfang September. An der Eiche bleibt das leere Gespinstnest mit den Häutungsresten und Brennhaaren teils über mehrere Jahre haften (Abbildung 2 g)(LWF 2013; SCHWENKE 1978). Die toxische Wirkung der Brennhaare kann dabei über zehn Jahre erhalten bleiben.


Abbildung 2: Entwicklungsstadien des Eichenprozessionsspinners: a) Eigelege, b) Jungraupen, c) Prozession von Altraupen, d) Häutungsnest, e) Verpuppungsnest, f) frisch geschlüpfte Falter am Gespinstnest, g) leeres Restgespinst

3 Befallssituation in Bayern

3.1 Aktueller Verbreitungsnachweis

Das Vorkommen des Eichenprozessionsspinners in Nordbayern wurde bereits Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieben (HAUPT 1854). Ab 1970 verlagerten sich die Befallsgebiete vom Offenland und besonnten Waldrändern auch in lichte Eichenbestände. Zwischen 2006 und 2009 kam es zu ausgedehnten Massenvermehrungen in Unter- und Mittelfranken, Teilen Oberfrankens und Schwabens. Ab 2003 wurden Verbreitungsgebiet und Befallsintensität des Eichenprozessionsspinners jährlich dokumentiert. Hierzu wurden die Bereiche mit deutlichem Fraß, Raupenkolonien und Besatz mit Gespinstnestern erfasst. In Gebieten, die keinen erkennbaren Befall aufwiesen, erfolgte der Nachweis der Art mit Hilfe von Insektenfallen, die mit dem artspezifischen Sexuallockstoff beködert und im Kronenraum von Eichen installiert waren. Die Karten in Abbildung 3 stellen die Verbreitungssituation des Eichenprozessionsspinners in Bayern im Jahr 2003 und den aktuellen Stand des Befalls- bzw. Verbreitungsnachweises 2015 auf Basis der Verwaltungsgrenzen der Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten dar.

Für den beobachteten Zeitraum fällt eine starke Ausbreitung der durch Besatz mit Gespinstnestern gekennzeichneten Befallsgebiete in südlicher und östlicher Richtung auf. Bezieht man den Nachweis mittels Pheromonfallen ein, so kommt der Eichenprozessionsspinner fast in ganz Bayern vor. Zu den wenigen Bereichen, für die noch kein Nachweis erbracht werden konnte, gehören die von Fichte dominierten höheren Lagen des Oberpfälzer Waldes, des Bayerischen Waldes, des Fichtelgebirges, des südbayerischen Alpenraumes und des Allgäus. Erstaunlicherweise konnten trotz dreijähriger Kontrolle von Pheromonfallen noch keine Falter des Eichenprozessionsspinners im Bereich des Bodensees gefangen werden, obwohl dort die klimatischen Bedingungen für den Schmetterling sehr günstig sind. Dagegen zeigte im nordwestlichen Randbereich des Verbreitungsgebietes die bisher geltende Höhengrenze von 500 m ü. NN erstmals im Jahr 2015 keine Gültigkeit mehr. Im Spessart wurden 2015 in einer Höhenlage von knapp 600 m auf dem Breitsol Falter des Eichenprozessionsspinners in Pheromonfallen gefangen.


Abbildung 3: Befallsgebiet und Verbreitungsnachweis des Eichenprozessionspinners, Ausgangslage 2003 und Situation 2015, regionale klimatische Prägung in Bayern

Stellt man dem bislang bekannten Verbreitungs- und Befallsgebiet die regionale klimatische Prägung Bayerns gegenüber, so zeigt sich, dass das Kerngebiet des Befalls zwar in den warm-trockenen Regionen liegt, der als wärmeliebende Art bekannte Eichenprozessionsspinner aber eine hohe Toleranzspanne hinsichtlich der Temperaturbedingungen aufweist, die über einen Durchschnitt der Jahrestemperaturen von 6,6 °C bis 10,3 °C reicht.

3.2 Dichteentwicklung und Befallssituation

Die Massenvermehrung zwischen 2006 und 2009 dehnte sich über ganz Mittel- und Unterfranken sowie Teile Oberfrankens und Nordschwabens aus. Betroffen waren Eichen im Offenland ebenso wie größere Waldkomplexe. Das Zentrum der Kalamität lag auf der Fränkischen Platte, wo starker Fraß bis hin zu Kahlfraß auch in großen, geschlossenen Waldgebieten auftrat. Es wurden Besatzdichten von durchschnittlich mehr als zehn Gespinstnestern pro Baum registriert, wobei die Nester häufig eine Länge von mehr als einem Meter aufwiesen (Abbildung 4).

Hier wurde an den Befallsschwerpunkten der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln erforderlich. Auch im Offenland und im urbanen Grün wurden Maßnahmen gegen den Eichenprozessionsspinner mit der Zielsetzung der Gesundheitsfürsorge durchgeführt.

Ab dem Jahr 2010 entwickelte sich die Populationsdichte sehr unterschiedlich. Im Wald gingen die Besatzdichten bis zum Jahr 2013 sehr stark zurück. Es wurden nur noch vereinzelte, meist nur faustgroße Gespinstnester gefunden. Ein Nachweis von Eigelegen im Rahmen der jährlichen Schädlingsprognosen war nicht mehr möglich. Bekämpfungsmaßnahmen gegen den Eichenprozessionsspinner waren im Wald nicht mehr erforderlich. Pflanzenschutzmitteleinsätze erfolgten jedoch noch in den Jahren 2010 und 2011 gegen Schwammspinner und die Eichenwicklerfraßgesellschaft.


Abbildung 4: Besatzdichte mit Gespinstnestern und Größe der Raupenansammlungen 2008 im Michelheidewald (Unterfranken, Raum Wiesentheid)

Die Dichten des Eichenprozessionsspinners im öffentlichen Grün gingen zwar ebenfalls zurück, hielten sich jedoch auf einem chronisch erhöhten Niveau. Die Gebiete mit deutlichem Besatz weiteten sich kontinuierlich nach Süden und Osten aus. Entlang der Autobahn, an Parkplätzen, Straßenalleen und in Parkanlagen wurden in allen Jahren bis 2015 arbeits- und kostenaufwändige Bekämpfungsmaßnahmen notwendig. Ebenso kam es im Bereich von Erholungsgebieten und öffentlichen Plätzen sowie im Siedlungsbereich zu teils starkem Befall der Eichen. Im Wald ist seit 2014 im Bereich der Massenvermehrungsgebiete 2006 bis 2009 erneut eine deutliche Dichteerhöhung des Eichenprozessionsspinners mit erkennbaren Fraßschäden und Zunahme der Gespinstnesterzahl und -größe zu verzeichnen.

3.3 Einflussfaktoren auf die Dichteentwicklung

Der Rückgang der Populationsdichten ab 2010 ist nicht allein auf die Wirkung der vorwiegend kleinräumigen Bekämpfungsmaßnahmen zurückzuführen. Auch in nicht behandelten Waldgebieten waren die Besatzdichten rückläufig.

Starkniederschläge und niedrige Temperaturen während der Entwicklungszeit der Raupen und der Flugzeit der Falter in den Jahren 2010 und 2011 führten zu hohen Mortalitäten sowie einer deutlich verringerten Eiablage. Im Jahr 2011 war ein Einbruch der Populationen auf Latenzniveau festzustellen. Nach Raupenschlupf Mitte April waren die Tage zwar warm mit Temperaturen von meist über 20 °C. Nachts dagegen blieben die Werte deutlich unter 8 °C, dem Limit für Fraßaktivität der Raupen. Die Junglarven verbrauchten tagsüber Stoffwechselenergie, nahmen jedoch auch nach Beginn des Laubausbruchs in der letzten Aprilwoche aufgrund der kühlen Nachttemperaturen keine Nahrung auf, sondern verblieben über Wochen auf dem Gelege (Abbildung 5). Anfang Mai wurde dann in vielen Bereichen des Befallsgebietes das frische Eichenlaub durch Spätfrost vernichtet. Durch diese Einwirkungen kam es zu hohen Mortalitätsraten bei den Junglarven.


Abbildung 5: Temperaturbedingungen nach der Schlupfzeit der Eichenprozessionsspinnerraupen 2011

Auch die natürlichen Gegenspieler konnten aufgrund der hohen Beute- bzw. Wirtsdichte in der Zeit der Massenvermehrung ihre Populationsdichte deutlich steigern. Räuberische Käferarten wie der Kleine und der Große Puppenräuber (Calosoma inquisitor und C. sycophanta) traten mit hohen Populationsdichten in Erscheinung (KOCH & MÜLLER-KROEHLING 2010). Adulte Käfer und Larven wurden in großer Zahl an und in den Gespinstnestern vorgefunden. Auf dem Höhepunkt einer Insektenmassenvermehrung allerdings haben räuberische Antagonisten meist keinen messbaren Einfluss auf die Dichteentwicklung ihrer Beutetiere mehr.

Neben Pathogenen wie Polyedervirosen haben Parasitoide das Potenzial, den Zusammenbruch von Massenvermehrungen zu bewirken. Dies geschieht jedoch mit zeitlicher Verzögerung, da das Vermehrungspotenzial dieser Arten geringer ist als das ihrer Wirte. Bei den forstlichen Großschädlingen tritt der Effekt zu spät ein, um massive Bestandsschäden zu vermeiden. Die Wirkung der Antagonisten ist zudem an ein Ökosystem gebunden, das die für Überleben und Vermehrung der Parasitoiden erforderlichen Strukturen aufweist.

Im Verlauf der Eichenprozessionsspinner-Massenvermehrung war an den Eigelegen keine nennenswerte Parasitierung feststellbar, jedoch war ab 2008 ein deutlicher Anstieg der Raupenparasitierung durch Schlupfwespen und besonders durch die auf den Eichenprozessionsspinner spezialisierte Tachinidenart Phorocera grandis (TSCHORSNIG 1993) zu verzeichnen. An den Raupenkolonien konnten die Tachinen in großer Anzahl beobachtet werden – zum Teil war ein wesentlicher Teil der Raupen einer Kolonie mit Tachineneiern belegt (Abbildung 6). Diese Parasitierung hat sicher einen Beitrag zum Zusammenbruch der Massenvermehrung geleistet.


Abbildung 6: Raupenfliegen der Art Phorocera grandis und mit vier Tachineneiern belegte Eichenprozessionsspinnerraupe

4 Schadwirkungen durch den Eichenprozessionsspinner

4.1 Schäden durch Raupenfraß an der Eiche

Eine Bestandsgefährdung aufgrund eines Kahlfraßes durch den Eichenprozessionsspinner wird immer noch widersprüchlich diskutiert. Seit Beginn der Massenvermehrung wurde in Bayern die Entwicklung der Eichenvitalität in den betroffenen Wäldern in Abhängigkeit von den abiotischen und biotischen Rahmenbedingungen untersucht. In 16 Eichenbeständen in verschiedenen Regionen des Gradationsgebietes wurden bis 2015 durchgehend Witterungsbedingungen, die Zusammensetzung der Eichenfraßgesellschaft, Populationsdichten und auftretende Fraßschäden sowie Sekundärschäden detailliert aufgenommen. Die Folgewirkungen von Fraßereignissen wie Mortalität von Eichen, Sekundärbefall durch Eichenprachtkäfer oder Hallimasch wurden im Zusammenhang mit der Ausgangsvitalität, Waldstruktur und abiotischen Bedingungen ausgewertet. Es zeigte sich, dass einmaliger Kahlfraß durch den Eichenprozessionsspinner allein keine nachhaltigen Auswirkungen auf die Eiche hat. Bei mehrjährigem Kahlfraß in Folge hingegen kommt es in den betroffenen Beständen zum Absterben von Einzelbäumen und einer erhöhten Disposition gegenüber Sekundärschädlingen wie dem Eichenprachtkäfer (LOBINGER 2012).

Ein wesentlicher Faktor bei der Beurteilung der Schadwirkung des Eichenprozessionsspinners ist, dass in Eichenwäldern häufig nicht nur eine Insektenart in Massenvermehrung auftritt. Ein kombinierter starker Fraß verschiedener Vertreter der Eichenfraßgesellschaft führt aufgrund der unterschiedlichen Fraßzeit und -dauer der Arten dazu, dass die Eiche bereits ab Aufbruch der Knospen bis Ende Juni keine Assimilationsmasse besitzt und einen großen Teil der vorhandenen Reservestoffe für wiederholte Bildung von Ersatztrieben aufwendet. Kommt es zusätzlich witterungsbedingt zu starkem Befall der Regenerationstriebe durch pathogene Blattpilze wie den Eichenmehltau, so bleibt die Eiche über die gesamte Vegetationsperiode ohne assimilationsfähiges Laub. Als Folge wird eine unzureichende Frühholzschicht angelegt, Feinwurzelmasse stirbt ab und der Baum ist im Folgejahr in seiner Versorgung mit Wasser und Nährstoffen massiv beeinträchtigt. Diese Situation hat hohe Absterberaten und Folgeschäden durch Sekundärbefall bis zur Auflösung ganzer Waldbestände zur Folge (u. a. LOBINGER 1999). Bei einer solchen Konstellation sind Bekämpfungsmaßnahmen zur Erhaltung der Bestände unbedingt erforderlich.

4.2 Gesundheitsbeeinträchtigung durch die giftigen Brennhaare

Die Brennhaare des Eichenprozessionsspinners sind nur 0,1 mm lang, mit Widerhaken besetzt und enthalten das Toxin Thaumetopoein. Sie verursachen eine mechanische Reizung der Haut und Schleimhäute und können eine allergische Reaktion auf den Giftstoff hervorrufen (MARONNA et al. 2008; MAIER 2013). Nach Hautkontakt bilden sich juckende Hautausschläge, bei Einatmung der Härchen können Halsschmerzen und Hustenreiz auftreten. In seltenen Fällen entzündet sich die Augenbindehaut. Diese Reaktionen verstärken sich bei wiederholter Exposition.

Quelle der Gefährdung sind nicht nur die Raupen selbst, sondern auch deren Häutungs- und Verpuppungsnester, die sich am Stamm und an Grobästen im Kronenbereich befinden. Eine Kontamination besteht auch am Boden, an der Bodenvegetation und im Unterholz sowie bei starkem Befall und trockener, windiger Witterung auch in der Luft. Dabei gibt es bislang zur Verbreitung der Brennhaare durch Windströmungen über weitere Strecken keine belastbaren Daten. Modellierungen für vergleichbare Partikelgrößen (z. B. FENK et al. 2007) liefern Anhaltspunkte. Eigene Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Windverfrachtung der Brennhaare ab 20 m außerhalb des befallenen Bestandes kaum noch nachweisbar ist.

4.3 Auswirkungen auf die Nutzung befallener Flächen

In Wäldern mit Eichenanteil ist bei starkem Besatz eine Bewirtschaftung, also Durchforstung, Holzernte oder Pflanzung oft nicht mehr möglich. Gefahr besteht auch bei der Aufarbeitung von Brennholz und bei der Brennholzwerbung. Darüber hinaus sind wichtige Funktionen des Waldes für Bildung, Freizeit und Erholung z. B. in Form von Waldkindergärten, Walderlebniszentren, Waldlehrpfaden, Wander- und Radwegen bei Befall mit Eichenprozessionsspinner erheblich beeinträchtigt oder nicht mehr nutzbar.

Im Offenland und im öffentlichen Grün haben sich seit der Massenvermehrung die Populationsdichten des Eichenprozessionsspinners durchgehend auf chronisch hohem Niveau gehalten. Die Eichen stehen dort einzeln oder in kleinen Gruppen und bieten daher mehr Wärme und Sonneneinstrahlung. Zusätzlich wirken Lichtquellen wie Straßenbeleuchtung attraktiv auf den nachtaktiven Falter.

In vielen Bereichen Mittel- und Unterfrankens, Teilen Oberfrankens, Schwabens und in Niederbayern im Raum Deggendorf ist die gefahrlose Nutzung von Park- und Rastanlagen an Autobahnen und Bundesstraßen ohne Bekämpfungsmaßnahmen oft nicht mehr gegeben. Auch Freizeitanlagen, Liegewiesen an Badeseen, Festplätze, öffentliche Anlagen, Spielplätze sowie Pausenhöfe in Schulen und Kindergärten ebenso wie private Hausgärten sind betroffen.

5 Überwachung, Schadensprognose und Gegenmaßnahmen

5.1 Allgemeines

Laut Aussage des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) ist die Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners aus Sicht des Pflanzenschutzes und auch des Gesundheitsschutzes notwendig. Die Zuständigkeit für Überwachung und Bekämpfung liegt dabei jeweils beim Eigentümer bzw. Besitzer der Fläche.

Im Wald ist der Waldeigentümer verantwortlich und hat eine Meldepflicht sowie Mitwirkungspflicht bei erforderlichen Bekämpfungsmaßnahmen im Zusammenwirken mit den Ämtern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ziel der Maßnahme ist der Pflanzenschutz und die Sicherung der Waldfunktionen – es kommen also Pflanzenschutzmittel zum Einsatz, die vorwiegend mittels Hubschrauber ausgebracht werden. Vorbereitung und Durchführung der Bekämpfungsaktionen werden durch die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft durch die jährliche Schadensprognose, Beratung, Planung und Mitarbeit vor Ort unterstützt.

Im öffentlichen Grün liegt die Zuständigkeit bei den Behörden der inneren Verwaltung, im privaten Grün beim Grundstückseigner bzw. -nutzer. Hier leitet sich die Notwendigkeit einer Bekämpfung von der zu erwartenden Gesundheitsgefährdung ab. Von großer Bedeutung ist eine umfassende Information der betroffenen Waldbesitzer, Grundstückseigner und der Öffentlichkeit über die aktuelle Situation und ggf. erforderliche Maßnahmen.

5.2 Überwachung und Prognose

Bei Planung von Gegenmaßnahmen gilt immer, dass zuvor eine fundierte Prognose der zu erwartenden Fraßschäden bzw. Gesundheitsgefährdung erstellt werden muss.

Für den Waldschutz ist bei der Schadensprognose ein entscheidender Faktor, ob bereits eine Vitalitätsminderung der Eiche durch vorangegangene Fraßereignisse vorliegt und ob eine weitere starke Fraßbelastung zur Gefährdung des Waldbestandes führt. Bei kombinierter Massenvermehrung von Eichenprozessionsspinner und weiteren Arten der Eichenfraßgesellschaft wie Eichenwickler, Frostspanner oder Schwammspinner mit der Prognose eines Kahlfraßes ist zum Erhalt der Bestände eine Bekämpfungsmaßnahme zwingend erforderlich. Für die verschiedenen Arten der Fraßgesellschaft wurden bewährte Schwellenwerte für zu erwartenden Kahlfraß erarbeitet (kritische Dichten), die hier situationsbezogen zur Anwendung kommen. Die Besatzdichten der beteiligten Arten werden durch ein aufwändiges, mehrstufiges Prognoseverfahren ermittelt. Die Prognose des Eichenprozessionsspinners allerdings ist methodisch aufwändig, schwierig und mit Unsicherheiten behaftet. Zudem sind die erforderlichen Untersuchungen teils auch mit einer Gesundheitsbelastung durch Kontakt mit Brennhaaren verbunden.


Abbildung 7: Fraßspuren einer Jungraupenkolonie des Eichenprozessionsspinners und Gespinstnester im Kronenraum

Im Gesundheitsschutz stellt sich das Problem, dass bislang keine objektiven Maßstäbe für eine gesundheitliche Belastung vorliegen. Es ist zu klären, wer eine Gesundheitsgefährdung auf der Basis welcher Schwellenwerte feststellt und ab welcher Populationsdichte des Eichenprozessionsspinners gegebenenfalls ein Anspruch auf eine Bekämpfungsmaßnahme besteht.

Der Einsatz von Insektiziden darf nicht als prophylaktische Maßnahme, also ohne fachgerechte Prognose bestandsbedrohender Fraßschäden (Pflanzenschutz) oder einer konkret zu erwartenden Gesundheitsgefährdung (Biozidmaßnahme) erfolgen.

Für den Eichenprozessionsspinner stehen derzeit die nachstehend kurz beschriebenen Verfahren der Dichteermittlung zur Verfügung:

 Feststellung von Raupenkolonien und Aufnahme aktueller Fraßschäden

Jungraupen und deren Fraß sind selbst bei Kontrolle mittels Fernglas selten zu erkennen, da die Gruppen noch sehr klein sind (Raupen aus einem Gelege) und nur geringe Fraßspuren auftreten (Abbildung 7a). Die Methode eignet sich also nicht, Bekämpfungsmaßnahmen noch vor Ausbildung der Setae ab dem dritten Larvenstadium durchzuführen. Diese Art der Prognose ist daher nur für eine geplante mechanische Entfernung der Verpuppungsnester zur Abschöpfung der Population zielführend.

Im Wald erhält man dadurch Informationen zur Populationsentwicklung und kann die Gebiete zur Beprobung für weitergehende Prognosemaßnahmen eingrenzen. Hierbei ergibt sich allerdings häufig die Problematik, zuverlässig diesjährige Verpuppungsnester von älteren Gespinsten zu unterscheiden. Auch kann der Übersehfehler sehr hoch sein, da die Gespinstnester häufig auch im gesamten Kronenraum angelegt werden (Abbildung 7b).

 Feststellung der Eigelegedichte

Die Analyse von Zweigproben zur Aufnahme der Eiablage eignet sich nur zum Nachweis sehr hoher Populationsdichten mit zu erwartendem starkem Fraß, dient also vorwiegend dem Pflanzenschutz. Besatzdichten, die bereits zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung führen können, bleiben weit unter der Nachweisgrenze. Für dieses Verfahren werden in den Wintermonaten von repräsentativen Eichen Zweigproben aus der Oberkrone entnommen. Im Forst geschieht dies vornehmlich im Rahmen der Winterfällungen. Pro Probebaum werden je zehn Zweige à 1 m Länge auf Besatz mit Eigelegen untersucht. Die Gelege werden bis März gekühlt aufbewahrt und dann bei Zimmertemperatur im Labor der Raupenschlupf und die Vitalität der Raupen kontrolliert.

Die kritische Zahl für starken Lichtfraß bis Kahlfraß der Eiche liegt bei einem Gelege pro zehn Probezweige. Gleichzeitig werden anhand dieser Zweigproben für die betroffenen Eichenbestände auch die Besatzdichten mit Eichenwickler und Frostspanner aufgenommen, da sie erheblichen Einfluss auf die Beurteilung einer Bekämpfungsnotwendigkeit haben. Für die Vorbereitung einer erforderlichen Gegenmassnahme verbleibt dann nur noch ein Zeitfenster von etwa vier Wochen.

5.3 Bekämpfungsmaßnahmen gegen Eichenprozessionsspinner

5.3.1 Passive und mechanische Maßnahmen

Mit der Zielsetzung der Gesundheitsvorsorge im Bereich des öffentlichen Grüns kommen vorwiegend kleinräumig wirksame Gegenmaßnahmen zur Anwendung. Bei isolierteren Befallsorten können Warnhinweise und Absperrungen sowie eine Information der Anwohner und Nutzer ausreichen. Die Fällung von Einzelbäumen an problematischen Standorten ist bei erheblicher Belastung manchmal nicht vermeidbar. Hier muss zuvor abgeklärt werden, ob eine Baumschutzverordnung oder spezifische Naturschutzbelange bestehen.

Häufig kommt als Hygienemaßnahme die mechanische Bekämpfung durch Absaugen der Gespinstnester zum Einsatz. Diese Arbeiten werden von spezialisierten Unternehmern angeboten, teilweise verfügen Gemeinden selbst über geeignete Geräte. Dabei geht man meist gegen Kolonien von Altraupen, große Häutungsnester der Altraupen bzw. die Verpuppungsnester vor. Neben den oft hohen Kosten ist ein Nachteil der Methode, dass dann die giftigen Brennhaare bereits gebildet und in der Umwelt verteilt sind. Zudem lassen sich so nicht alle vorhandenen Nester auffinden und erreichen, sodass eine Teilpopulation als Reservoir für Neubefall im kommenden Jahr verbleibt. Besonders die sehr lose versponnenen Häutungsnester können oft nur teilweise entfernt werden.

Wichtig ist, dass die Entfernung der Gespinstnester zeitnah nach der Verpuppung erfolgt – also spätestens Anfang Juli. Sind die Falter ausgeschwärmt, legen sie Eier ab und die Maßnahme greift nicht mehr, um die Population abzuschöpfen, sondern hilft lediglich dabei, die Belastung durch Restgespinste zu verringern.

Eine Entfernung der Gespinste durch Abschlagen, Abspritzen oder Abflammen darf auf keinen Fall erfolgen, da hierdurch die Reste der Gespinstnester über weite Bereiche verteilt werden und auch die durchführenden Personen massiv gefährdet sind.

Allgemein ist bei kleinräumigen Bekämpfungsmaßnahmen keine nachhaltige Wirkung zu erwarten. Die Falter sind sehr mobil und legen, wie Fangversuche mit Lichtfallen und Lockstoffen gezeigt haben, Flugstrecken über mehrere Kilometer zurück. Durch verbleibende Restpopulationen und Zuflug von Faltern sind die gesäuberten Eichen oft im Folgejahr wieder befallen.

5.3.2 Einsatz von Insektiziden

Einzige Möglichkeit, den Blattfraß der Raupen sowie die Entwicklung der giftigen Brennhaare zu verhindern, ist eine Bekämpfung möglichst junger Raupenstadien durch Einsatz von Insektiziden. Solche Maßnahmen werden je nach Betroffenheit und Kenntnisstand über die zur Anwendung kommenden Mittel in der Öffentlichkeit und Presse unterschiedlich kommentiert. Beim Insektizideinsatz muss eine strenge Unterscheidung zwischen der Zielsetzung des Pflanzenschutzes und des Gesundheitsschutzes getroffen werden, die sich auf die Zuständigkeiten der Genehmigungsbehörden, die Wahl der Präparate, das Ausbringungsverfahren und die Anwendungsbestimmungen bezieht.

Im Forst kommen zum Schutz der Bestände und zur Sicherung der Waldfunktionen Pflanzenschutzmittel zum Einsatz, die per Hubschrauber ausgebracht werden (LOBINGER & SKATULLA 2006). Die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln aus der Luft ist grundsätzlich verboten und bedarf einer Sondergenehmigung durch den zuständigen Pflanzenschutzdienst des Landes. Für die Zulassung der Präparate gelten die Bestimmungen des Pflanzenschutzgesetzes (§ 18, Abs. 2 PflSchG). Zum Schutz der Gesundheit vor allem im Bereich des öffentlichen Grüns werden Biozidprodukte angewendet, deren Zulassung nach Chemikaliengesetz (§ 3 b, Abs. 1 ChemG) erfolgt. Allgemein gelten strenge Anwendungsauflagen und Bestimmungen zur Minimierung von Risiken für Mensch und Umwelt.

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
887 s. 362 illüstrasyon
ISBN:
9783878152514
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