Kitabı oku: «Kommunikationsdynamiken zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit», sayfa 5
Sind die Begriffe von Nähe und Distanz also insgesamt erhellend oder verschalten sie miteinander, was nicht zusammengehört? Bezogen auf die prozessualen Aspekte der Kommunikation, der in der geteilten Situation und der über den Abgrund zwischen zwei Situationen, erscheinen Nähe und Distanz zunächst in gewissem Sinn deskriptiv. Hier sind sie nicht von vornherein Metaphern. Soziale Nähe ist an prozessuale Nähe in keiner Form gebunden, wenn sie uns in prozessualer Nähe auch nicht überraschen kann. Soziale Nähe ist bereits Metapher. Mit der Entfernung aus prozessualer Nähe ist aber in jedem Fall eine soziale Entfernung verbunden insofern, als die Gewissheit der raum-zeitlichen Koinzidenz der Körper entfällt. Diese Entfernung gilt es womöglich zu kompensieren, je nach Interesse, aber dafür bleiben dann vor allem die Mittel der Sprache, also der Kognition. In prozessualer Nähe ist soziale Distanz natürlich auch herstellbar, auch soziale Distanz gehört zu unseren möglichen Zielen. Soziale Distanz herzustellen bedeutet gerade, die raum-zeitliche Koinzidenz der Körper zu limitieren, und das gelingt am besten durch die Kontrolle körperlicher Manifestationen, durch Sprache, durch Kognition. Unter der Bedingung sozialer Fremdheit tendieren wir also dazu, die geteilte Situation mental bereits zu verlassen. Wir setzen auf Kognition – wir sprechen, als wären wir nicht da. Wie oben ausgeführt, kann kognitive Distanz zur gegebenen Situation ferner auch unser eigentliches Ziel sein. Wir befassen uns gerade nicht mit der Fliege über unserem Bildschirm, sondern mit der Relativitäts- oder mit jeder anderen Theorie, wir suchen soziale Distanz und formulieren für ein generalized other. Distanz ist hier selbstverständlich Metapher, aber unsere Entfernung vom konkreten Gegenüber und aus der Situation, in der wir uns befinden, korrelieren. Körper und Blick und Stimme sind jetzt abgeschaltet. Auch diese Zusammenhänge, die zwischen sozialer Fremdheit und kognitiver Distanz zu den Gegenständen sollen hier nur angedeutet sein. Nähe und Distanz sind mehr als eine Metapher. Sie beschreiben in re korrelierte Dimensionen der Kommunikation.
Literatur
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Sprachpuristische Bestrebungen der Frühen Neuzeit im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Sarah Dessì Schmid
1 Einleitung
Von der Wissenschaft über das kulturkritische Feuilleton bis zur Populärkultur begleitet das Misstrauen gegen fremde – heute insbesondere gegen englische – Ausdrücke unseren Alltag. Das Streben nach einer ‚reinen‘ – klaren, perfekten, eleganten und prestigeträchtigen – Sprache sowie der Argwohn gegen eine vermeintlich drohende ‚Invasion‘ fremder Wörter in die ‚eigene‘ Sprache stellen ein höchst aktuelles Thema dar, das allerdings einer langen Tradition folgt.1 Vielleicht ist gerade die ablehnende Haltung gegen fremdsprachliche Ausdrücke der erfolgreichste, der plakativste Aspekt des Purismus; mit Sicherheit ist sie allerdings nur einer der vielen und komplexen Aspekte, die mit – mehr oder weniger intensiv und offensiv betriebener – puristischer Spracharbeit in Verbindung gebracht werden können.
Nach einer kurzen Rekonstruktion einiger früher Momente des europäischen Sprachpurismus werde ich in meinem Beitrag das Hauptaugenmerk auf die Rolle der puristischen Sprachkultur und Sprachpolitik im Selektions- und Ausbauprozess der Norm der Volkssprachen Italiens und Frankreichs richten und diese – unter besonderer Berücksichtigung medio-konzeptioneller Aspekte – einer vergleichenden Analyse unterziehen. Dabei werde ich darstellen, wie sich in der frühneuzeitlichen Debatte um die ‚Reinheit der Sprache‘ Normierungsbestrebungen, ästhetische Fragestellungen der literarischen Produktion und soziale Praxis miteinander in großräumigen soziokulturellen Prozessen verflechten und wechselseitig bedingen.2 Ins Zentrum dieser Überlegungen werde ich die Historizität der Texte (siehe u.a. Frank 1994; Selig/Frank/Hartmann 1993; Koch 1987; Koch/Oesterreicher 1990; Oesterreicher/Selig 2014) und der gesellschaftlichen und kulturellen Phänomene stellen.
2 Der Purismusbegriff in der frühen europäischen Sprach- und Kulturgeschichte
Die Bedeutung des Purismus für die europäische Sprach- und Kulturgeschichte kann kaum überschätzt werden und stellt – in verschiedenen historischen Phasen unterschiedlich stark, aber im Grunde bis heute – eine ideologische Konstante der europäischen Kultur dar (siehe Dessì Schmid/Hafner 2014; siehe Dessì Schmid 2017). Zunächst möchte ich den Blick auf einige wenige frühe Momentaufnahmen seiner Entwicklung richten.1
Das ästhetische Ideal der ‚Reinheit der Sprache‘ (puritas linguae) findet seinen Ursprung bereits in der antiken Rhetorik innerhalb der Stilistik (der elocutio) und gelangt dann als zentraler Bereich einer rhetorischen Ästhetik und Poetik (der Lehre der virtutes elocutionis) über das Mittelalter bis in die Neuzeit, erfährt dort aber – durch seine Rückkopplung mit den frühneuzeitlichen Normierungsbestrebungen der Volkssprachen und ihrer Literaturen – eine radikale Transformation.
Dieses Ideal geht zunächst von der Normierung des Lateinischen in den Debatten um den Ciceronianismus aus, einige zentrale Argumentationslinien dieser Debatte werden aber bald auf die Volkssprachen übertragen (man denke hier an Toffanins (1940) erfolgreiche Formel des umanesimo volgare) – zuerst auf das Italienische, sehr bald danach auf das Französische. Wenn wir davon ausgehen, dass Normierung und Normalisierung (siehe Haugen 1983) Prozesse sind, welche zwei unterschiedliche Entwicklungsbereiche betreffen (die Gesellschaft, die Sprecher einerseits und die Sprache selbst andererseits), können wir sagen, dass die Selektion der Basis der Norm und ihre Extension (die zwei Phasen der Normierung) die Sprecher betreffende Fragen sind – Sprechergemeinschaften wählen entweder bewusst (qualitativ) oder unbewusst (‚natürlich‘) das Normmodell aus und verwenden dieses in immer mehr Kontexten. Hingegen sind die erste Fixierung der Basis der Norm, ihre Kodifizierung durch Grammatiken und Wörterbücher ebenso wie ihre Elaboration (die zwei Phasen der Normalisierung) Fragen, die die Sprache als System betreffen – wobei mit ‚Elaboration‘ die weiteren Perfektionierungen der Norm gemeint sind, die durch neu übernommene Funktionen und durch ihr wachsendes Prestige erforderlich werden, etwa durch Regeln und Verfahren, die mit dem Gebrauch in verschiedenen Diskurstraditionen verbunden sind.2
Programmatisch spiegelt sich diese nach ‚Reinheit‘ strebende Haltung in der Forderung nach einem präskriptiven Ideal von Sprache auf verschiedenen Ebenen wider, aus der in verschiedenen Epochen unterschiedliche Praktiken der ‚Sprachreinigung‘ abgeleitet werden. Gemein ist all diesen Praktiken das Ziel der Reinigung der eigenen Sprache von fremden Elementen. Mit ‚eigen‘ und ‚fremd‘ ist allerdings Unterschiedliches, auch Widersprüchliches gemeint und wird – unter dem Banner der Reinheit der Sprache – vertreten oder bekämpft. Wenn ‚rein‘ ordentlich und perfekt, somit nicht vergänglich und nicht verderblich bedeutet, wenn ‚rein‘ mit ästhetisch vollkommen, klar glänzend und zierlich, mit natürlich und wahr, aber auch mit alt, würdig und authentisch assoziiert wird, so ist Purist, wer gegen Neologismen und jede niedrig markierte diastratische Sprachvarietät ins Feld zieht, aber auch wer sich Archaismen, Dialektismen oder im Allgemeinen Regionalismen widersetzt – wenn sich zu Letzterem auch illustre und extrem erfolgreiche Ausnahmen zeigen, denkt man an das radikal archaisierende Modell des Fiorentino trecentesco (siehe Dessì Schmid 2017).
Die Forschung hat sich wiederholt um eine Abgrenzung puristischer gegenüber klassizistischen oder (was zum Beispiel für Deutschland besonders wichtig ist) allgemein sprachpatriotischen Programmatiken bemüht. Allerdings hat sie – und das ist erstaunlich – die Vielfalt der Ausprägungen des europäischen Purismus äußerst selten betont. Zu einem tieferen Verständnis historischer, sprachlicher und kultureller Realitäten kann allerdings nur eine differenzierte Betrachtung führen, die sich von keiner „invertierten Teleologie“ (Oesterreicher 2007: 16) irreführen lässt. Notwendig ist also eine Betrachtung, welche die – wie Wulf Oesterreicher sie nennt – ‚Erbsünde‘ der traditionellen Sprachgeschichtsschreibung nicht begeht und sich also davor hütet, einzelne Entwicklungen nur aus der Perspektive der letztlich erfolgreichen zu betrachten, isoliert und aus ihren Kontexten gerissen, eine Betrachtung also, die weder die Pluralität der Nebenpfade der Sprachgeschichte vernachlässigt, noch nur an wohlbekannten Orten sucht. Es ist daher wesentlich, den Purismus – besonders in seiner Ausprägung in der Frühen Neuzeit – als offenes Neben- und Gegeneinander einer Vielfalt von Purismen zu beschreiben, die sich in einem Spannungsfeld von disziplinären Spezialdiskursen – der Grammatik, Rhetorik, Poetik – und gesellschaftlichen Praktiken und Perspektiven entfaltet.3
‚Reinheit der Sprache‘ konkretisiert sich nämlich in der Frühen Neuzeit in einer Fülle sozialer Praktiken, erreicht eine Vielzahl historischer Akteure und wird zum Schlüsselbegriff europäischer Spracharbeit und Sprachpolitik – eben das war zuvor mit „radikaler Transformation“ des ästhetischen Ideals der ‚Reinheit der Sprache‘ gemeint. Denn aus der Forderung nach ‚reiner Sprache‘ werden – in dem und durch den dafür zentralen Prozess der Normierung der europäischen Volkssprachen und ihrer Literaturen – Praktiken der ‚Sprachreinigung‘ abgeleitet, die institutionell (z.B. durch Höfe, Verwaltung, Schulen und ganz besonders durch Sprachakademien) umgesetzt werden. Der Purismus erlebt eine Ausweitung seiner Funktions- und Wirkungsbereiche, dringt in alle Bereiche des Sozialen ein und wird zum kulturellen Diskurs, der seine Dringlichkeit aus theologischen, philosophischen, soziologischen und politischen Impulsen bezieht. So erweist es sich einerseits als ein ziemlich kompliziertes Unterfangen, die Spuren des Purismus zu verfolgen, aber gerade diese Suche erlaubt es andererseits auch, die inter- bzw. transkulturelle Dimension der europäischen Sprachenfrage in ihren ideen-, literatur- und sozialgeschichtlichen Bedingungen in einer genuin geisteswissenschaftlichen Perspektive nachzuvollziehen.
3 Puristische Sprachkultur und Sprachpolitik im Italien und Frankreich der Frühen Neuzeit
Will man eine Geschichte des europäischen frühneuzeitlichen Purismus schreiben, so fängt die Suche beim Text an. Natürlich existiert „der Text im Singular nur in einer abstrahierend-theoretischen Perspektive“, während die historische Praxis hingegen „davon bestimmt [ist], dass sich Texte in einer Vielfalt von inhaltsbezogenen, kontextbezogenen, zweckbezogenen, institutionsbezogenen Normen bewegen und sich deshalb in einer Vielzahl von unterschiedlich stark normierten Diskurstraditionen ordnen lassen“ (Oesterreicher/Selig 2014: 15).
Und in der Tat lassen sich ästhetische und politische Implikationen und Potenziale puristischer Argumentation in einem weiten Spektrum an Texten und Textsorten wiederfinden: Literarische Texte und Poetiken integrieren immer wieder sprachpuristische Reflexionen oder bauen geradezu auf diesen auf; umgekehrt greifen Fachtexte – Grammatiken, Wörterbücher und Sprachtraktate, aber auch Statuten, Gesetzestexte, Schulbücher oder Lobreden – ästhetische Fragen auf, kodifizieren Normen und Modelle und beziehen diese handlungsleitend auf Felder sozialer Praxis. So finden wir Strategien der Durchsetzung einer ‚reinen Sprache‘ in Zeremoniell und höfischer Kommunikation, gelehrtem bzw. akademischem Diskurs, in Dichtung und Kanzleisprache und anderem.
In Texten wie beispielsweise Bembos Prose della volgar lingua, Castigliones Cortigiano oder Machiavellis Discorso o dialogo intorno alla nostra lingua sind die sprachliche, die linguistische und poetologische oder literarische Ebene sehr eng miteinander verknüpft. Die jeweiligen Ansätze werden in Form eines Dialogs vorgetragen, und es wird dabei eingehend die Bedeutung ästhetischer Qualitäten (eleganza, sprezzatura) für literarische und soziale Kommunikation und Interaktion reflektiert. Ideale der Sprache, die ihrerseits häufig auf Idealen der Dichtung beruhen (man denke nur an den Petrarkismus im Fall Bembos), werden so zu Idealen der Interaktion, zu sozialen Normen, die wiederum die Auswahl bestimmter literarischer Formen und Traditionen unterstützen.
Derartige Texte können daher als erste Zeugnisse der Emergenz eines genuinen ‚(sprach)puristischen‘ Diskurses in der Frühen Neuzeit betrachtet werden: Denn hier wird ein neuer Zusammenhang zwischen lexikalischen und grammatikalischen sowie ideologischen und gesellschaftlichen Normvorstellungen hergestellt – nicht zuletzt durch die literarisch-dialogische Form, den performativen Charakter und die Situierung am Hof – und von dieser sozialen Praxis und Situierung her werden ästhetische Grundanliegen (re-)formuliert. Auch stellen diese Werke – die z.B. im Fall der Prose Sprachtraktat und Grammatik in einem sind – insofern ungewöhnliche Orte der ästhetischen Reflexion dar, als sie keine prototypisch poetischen oder poetologischen Texte sind. Sie erlauben es somit nicht zuletzt, Fragen der Migration sprachpuristischer Argumentationsfiguren zwischen literarischen Texten und Fachtexten nachzugehen.
Und natürlich sind diese Texte wesentliche Orte der Questione della lingua, der gelehrten Diskussion um die Auswahl einer gemeinsamen sprachlichen Norm aus der Vielfalt der volgari, die im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Italien zur Verfügung standen (siehe u.v.a. Marazzini 1994, 2000, Serianni/Trifone 1993/94 und Vitale 1978). Dabei geht es den italienischen Humanisten um eine konzeptionell und medial klar definierte Sprache: Sie suchen nach einer – reinen, prestigeträchtigen – überregionalen Sprache für die Literatur, genauer gesagt für die Domäne der konzeptionellen Schriftlichkeit, der kommunikativen Distanz (siehe Koch 1988 und Koch/Oesterreicher 2011). Die verschiedenen zur Diskussion stehenden Optionen sind, wie wir wissen, diastratisch alle ähnlich markiert, unterscheiden sich jedoch auf der diatopischen und auf der diamesischen Ebene, d.h. der Konzeption für den mündlichen oder schriftlichen Gebrauch. Eine wichtige Option stellt die von Castiglione vertretene, diatopisch schwach markierte und eklektische Varietät der lingua cortigiana dar, welche nah am mündlichen Gebrauch des Hofes sein sollte – eine Option, die in Frankreich erfolgreich sein sollte, wo der eine Hof, anders als im politisch und kulturell plurizentrischen Italien, eine wesentliche Rolle in sprachlichen Fragen spielt. Eine weitere Option orientiert sich hingegen (diatopisch stark markiert) an der Schriftlichkeit der Corone, der großen florentinischen Autoren des 14. Jahrhunderts. Bembo schlägt ein sprachlich archaisches Normmodell vor, das auf dem für ihn zentralen Prinzip der imitatio basiert, was zugleich eine Strategie zur Selbstdarstellung und zur Gewinnung von Anerkennung darstellt (siehe Kablitz 1999: 137). Es ist aber auch ein relativ genau kodifiziertes Modell, das sich für eine einfache und rasche Reproduktion und Multiplikation anbietet, eben weil es in angesehenen älteren Texten fixiert ist und daher keinem weiteren historischen Wandel unterliegt (siehe Dessì Schmid 2017). Dies kommt wiederum den Interessen des venezianischen Verlegers und Freundes Bembos, Aldo Manuzio, sehr entgegen – gerade in einem Italien, in dem das Buch immer mehr zum virtuellen Ort der Kultur wird und somit seinerseits zur Einschränkung der kulturellen Rolle der Höfe beiträgt (siehe Mehltretter 2009; Trifone 1993: 427).
Auf politischer Ebene lässt sich parallel dazu im kleinstaatlichen Italien ein Verfall des Modells des Hofes beobachten, das in anderen europäischen Ländern zur gleichen Zeit floriert. So wird in vielfacher Hinsicht deutlich, warum dem eklektischen, mündlichen, schwierig festzuhaltenden höfischen Modell Castigliones, das auch einen Einblick in andere Normierungsfelder der frühneuzeitlichen Kultur gibt, in Italien weniger Erfolg beschieden ist und warum Bembo das literarisch angesehene schriftliche Modell der Corone wählt: Er erkennt die kulturelle Reichweite der florentinischen Literatur und fordert ihre Erhebung zur Sprache der italienischen Literatur, zur italienischen Sprache tout court – zu einer Sprache, die geeignet ist, in das kulturell maßgebende Europa Modelle des Klassizismus und der Renaissance einzubringen (siehe Dessì Schmid 2017). Es stellt sich allerdings die Frage, ob ein auf dem Prinzip der imitatio basierendes, sprachlich archaisches Normmodell schon deshalb ‚puristisch‘ ist. Bedeutet ,normieren‘ – d.h. eine Sprache klar, fest zu regeln – an sich schon ,puristisch‘ sein? Mit anderen Worten: Inwiefern können Bembos Prose als ein puristisches Werk angesehen werden?
Vielleicht hilft es, bei solchen Fragen das Werk Bembos aus zwei Perspektiven zu betrachten: einerseits aus derjenigen des ästhetischen, literarischen Grundanliegens seines Strebens nach einer reinen Sprache („la fiorentina lingua più regolata […], più vaga, più pura“, Bembo 1955 [1525]: 32); andererseits aus der Perspektive der institutionellen Anwendung, in der Nachfolge Bembos, des in seinen Schriften enthaltenen Normierungsmodells und deren Konsequenzen für die literarische Sprache und Praxis.
In den programmatischen Schriften und der lexikographischen Praxis Lionardo Salviatis als eines der wichtigsten Mitglieder der Accademia della Crusca sowie in den institutionellen Praktiken der Akademie wird die Transformation des Normmodells Bembos und der damit verbundenen Auffassung der Sprachreinheit evident: Die Accademia della Crusca macht sich in ihrer Kodifizierungsarbeit zwar dessen Thesen zu eigen, geht allerdings insbesondere mit dem Werk Salviatis weit darüber hinaus: Sie generalisiert das qualitative, auf imitatio auctorum basierende Selektionsprinzip des Normmodells Bembos in einer Weise, dass dieses de facto außer Kraft gesetzt wird – und damit wird der Mythos des Trecento als goldenes Zeitalter geschaffen. Es ist daher nicht abwegig zu behaupten, dass mit Salviatis metonymischer Verschiebung des imitatio-Prinzips von den Corone auf das Trecento insgesamt auch eine radikale Transformation, eine Umsemantisierung des Prinzips der Sprachreinheit stattfindet, die gleichsam als Geburtsurkunde des Purismus aufgefasst werden kann: Jedes sprachliche Beispiel dieser Epoche wird – unabhängig von seiner ästhetischen Qualität und dem Ansehen seines Autors – als ‚rein‘ erklärt.
Im folgenden Beispiel aus dem Vorwort des Vocabolario degli Accademici della Crusca wird diese radikale Ausprägung des Sprachpurismus sichtbar:
Nel compilar il presente Vocabolario […] abbiamo stimato necessario di ricorrere all’autorità di quelli scrittori, che vissero, quando questo idioma principalmente fiorì, che fu […] dall’anno del Signore 1300 al 1400 poco più, o poco meno: perché […] gli scrittori […] dal 1400 avanti, corroppero non piccola parte della purità del favellare di quel buon secolo.
(Vocabolario degli Accademici della Crusca, 1612, A’ lettori, 6)
Alle Wörter aller florentinischen Autoren des 14. Jahrhunderts – also nicht nur die Petrarcas und Boccaccios – werden konsequent in das Wörterbuch aufgenommen; alle anderen – also nicht nur Fremdwörter, sondern alle nicht altflorentinischen Wörter – werden aufs Strengste ausgeschlossen. Sie seien keine ‚reine Sprache‘, da spätere Autoren einen nicht geringen Teil der Reinheit der Sprache dieses hervorragenden Jahrhunderts verdorben hätten. Im Zitat wird aber auch die dynamische Wechselwirkung zwischen ästhetisch-literarischer, sozio-kultureller und politischer Sphäre sichtbar: Denn die formalen Qualitäten, die sich aus dem sprachlichen Reinheitsgebot ergeben (z.B. Klarheit, Natürlichkeit, Zierlichkeit, Eleganz der Sprache), sowie die Strategien der Autorisierung sind hier nicht zu trennen von der präskriptiven, sprachreinigenden Funktion und der sprachpragmatischen Dimension des Wörterbuchs.
Die Prosa und die Dichtung, die ‚ganze‘ Literatur des 14. Jahrhunderts, bilden somit aus ästhetisch-literarischer Perspektive die Grundlage des sprachlichen Reinheitsideals. Dieses konkretisiert sich praktisch in den sprachnormierenden Akten der Accademia – etwa in einem Wörterbuch, das die programmatischen Sprachideale in konkrete Sprachpraxis implementiert. Denn hinter solchen Akten erkennt man die soziale Logik der gebildeten Gesellschaft und, mit ihr, der politischen Macht: Das Wörterbuch ist nicht zufällig Concino Concini gewidmet, dem toskanischen Adligen und wichtigsten Berater Maria de’ Medicis am französischen Hof (was schon auf dieser Ebene die enge Verbindung zwischen Italien und Frankreich zeigt). Auch in der Folge zeigt die erfolgreiche Implementierung des Sprachreinheitsideals der Crusca wiederum eine dynamische Wechselwirkung zwischen diesen Polen: Autoren späterer Epochen werden sich in der künstlerischen Gestaltung ihrer Werke an der ‚reinen Sprache‘ orientieren, die auf die Praxis der Gelehrten und der Accademici zurückgeht.
Nicht zuletzt kann man auch in dieser kurzen Darstellung die historische Kraft und Reichweite eines Textes wie des Vocabolario beobachten: In einem Wörterbuch wird ein neuer Zusammenhang zwischen grammatikalischen und lexikalischen, ideologischen und gesellschaftlichen Normvorstellungen hergestellt. Ein Wörterbuch beeinflusst letztendlich – obwohl man darin zunächst kaum die Behandlung genuin ästhetischer Fragestellungen vermuten würde – das Sprachhandeln zahlreicher Akteure in ihrem literarischen Schaffen und wirkt tief in die Alltagswelt hinein.
Gerade aus dieser Verabsolutierung und Ideologisierung von Bembos Modell entsteht in Italien durch das lexikographische Werk der Accademia della Crusca ein Sprachpurismus, der Maßstäbe auf europäischer Ebene setzt: Dieser wird ein Exportprodukt, das in Frankreich wie auch in Deutschland auf fruchtbaren Boden fällt – wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise.1
Die Normierungsbestrebungen setzen von Anfang an in Frankreich einen anderen medialen Schwerpunkt als in Italien: Gewählt werden soll eine Sprache, die in allen Domänen der kommunikativen Distanz, auch der Literatur, effizient ist, jedoch nah am – auch hier reinen, prestigeträchtigen – mündlichen Gebrauch des Hofes sein sollte. Denn Frankreich schwankt zwischen der Anerkennung der kulturellen Hochleistungen Italiens in Kunst, Architektur und höfischem Leben im Allgemeinen einerseits und Schwierigkeiten mit der Akzeptanz der – politischen und sprachlichen – Italianisierung des französischen Hofes andererseits (Dessì Schmid/Hafner 2016). Eine ähnliche Situation kann wiederholt im Laufe der Geschichte der zwei Länder beobachtet werden, man denke nur an die Debatte um den génie de la langue.2
Hierin könnte einer der Gründe liegen, weshalb die französische Sprachenfrage – und dabei insbesondere der Purismus – am Pariser Hof von Anfang an radikalere und stärker von politischen Motiven geleitete Züge annimmt als in Italien und nicht zuletzt sehr stark an andere Normierungsfelder der frühneuzeitlichen Kultur gebunden zu sein scheint: Durch die von Richelieu initiierte, stark politisch gesteuerte Académie française, die die Reinigung der Sprache vom mauvais usage als ihre primäre Aufgabe versteht, werden die Normierung und die Normalisierung des Französischen sowie dessen sukzessive Verbreitung in Europa zu staatlichen (höfischen) Zielen erklärt (siehe Dessì Schmid/Hafner 2016). Die Académie übernimmt die strenge puristische Auffassung der Accademici cruscanti, betont jedoch gegenüber dem Prinzip der imitatio auctorum, wie es Bembo und die Crusca voraussetzen, das des bon usage, des „Maistre des langues, celuy qu’il faut suivre pour bien parler, et pour bien escrire“ (Vaugelas 2009 [1647]: 67). So kristallisieren sich die Züge der französischen Sprachpolitik gerade bei Vaugelas’ Normvorschlag heraus, wie er diesen in seinen Remarques formuliert: Gemeint ist diejenige Varietät, die im 17. Jahrhundert hochgradig prestigeträchtig und als unverzichtbarer Aspekt des gesellschaftlichen guten Benehmens (bienséance) angesehen wird. Es bleibt allerdings noch offen und nicht einfach zu klären, ob jener bon usage tatsächlich dem mündlichen Gebrauch entspricht, oder ob er stärker als bislang angenommen von literarischen Formen und Traditionen bestimmt ist, „conformément à la façon d’escrire de la plus saine partie des Autheurs du temps“ (Vaugelas 2009 [1647]: 68).3 Sich mit der Implementierung und Elaboration der ausgewählten und kodifizierten Varietät in der ‚Französischen Sprachenfrage‘ aus dieser Perspektive näher zu beschäftigen und dabei insbesondere die Anwendung in den literarischen Produktionen sowie daraus resultierende ästhetische Folgen in den Blick zu nehmen, scheint besonders interessant zu sein. Bekanntlich sind die Autoren des 17. Jahrhunderts – unter vielen anderen etwa Corneille, Racine, Colletet – in ihrem literarischen Schaffen stark von Vaugelas’ Normierungsmodell beeinflusst worden. Vieles ist darüber im Allgemeinen bereits gesagt worden (siehe Ayres-Bennet 1987; Blochwitz 1968; allgemein Chaurand 1999; Rey/Siouffi/Duval 2007), doch nur wenige Arbeiten haben sich mit einer systematischen Verifizierung dieses Einflusses auf sprachlicher wie auf ästhetischer Ebene beschäftigt, d.h. mit der Frage, ob alle oder nur einige und welche der Remarques angewandt wurden (siehe dazu Braun 1933 und Aulich 2017). Dem nachzugehen bleibt ein Desideratum.
Jenseits dieser eher medialen Frage können Texte wie Du Bellays Deffence et Illustration de la Langue Francoyse, Malherbes Commentaire sur Desportes und Vaugelas’ Remarques sur la langue françoise als erste Zeugnisse eines innereuropäischen Transfers des ‚(sprach)puristischen‘ Diskurses in der Frühen Neuzeit angesehen werden. Sie stellen zum einen die ideale Grundlage für eine vergleichende Untersuchung verschiedener Autoren und Positionen in der lebendigen (puristischen) Sprachdiskussion am Pariser Hof dar, zum anderen erlauben sie neben den expliziteren sprachlichen und literarischen Zielen auch diejenigen zu betrachten, welche auf die sozialen Praktiken abzielen und implizitere Funktionen von Sprachreinigung betreffen.