Kitabı oku: «Lebendige Seelsorge 5/2016», sayfa 2

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Z.B. die Rede von Heil und Befreiung geht bei Jesus stets mit Heilungserfahrungen einher. Damit „bewahrheitet“ Jesus seine Rede von Gott. Seither sollte jegliche Rede von Gott eine solche „Bewahrheitung“ sein. Ein Einüben in die Praxis Jesu ist die Voraussetzung, auch von Gott sprechen zu können. Oder, anders gesagt: Nicht die Verkündigung ist die Voraussetzung für diakonisches Handeln, sondern Diakonie ist Kriterium für Verkündigung. „Jesus interpretiert mit seiner Botschaft im Grunde ‚nur‘, was er tut! Damit hat die diakonische Erfahrung zentralen Verkündigungscharakter, insofern sie stückhaft die Realerfahrung des gerade dadurch glaubwürdigen ganzen Reiches Gottes ermöglicht“ (Fuchs, 34).

Zwischen Leben und Glauben besteht ein untrennbarer Zusammenhang, der sich in der Verkündigung und in ihrer Sprache manifestiert. Das Gottsein Gottes kann nur über das Kriterium der Menschlichkeit erkannt werden. Der Zusammenhang der Botschaft legt sich gewissermaßen selbst aus, und Verkündigung ereignet sich damit als Diakonie. Glaubhaft ist die Rede von einem Gott, dem am Heil der Menschen gelegen ist, dann, wenn sie im Vollzug beglaubigt ist, andernfalls ist es eine irrelevante Zuschreibung und inhaltsleere Behauptung. In diesem Sinne ist Verkündigung konsequent von der Diakonie her zu verstehen. Denn mit der Diakonie sind die anderen im Spiel. Es braucht einen offenen, interessierten, wohlwollenden, solidarischen und keinesfalls besserwisserischen Blick auf die Welt und die Menschen, mit denen man zu tun hat.

Kirchliche Verkündigung als Glaubenskommunikation muss sowohl aus kommunikationstheoretischen wie auch aus theologischen Gründen die Menschen, mit denen man kommuniziert, ernsthaft wahrnehmen und ihnen zuhören. Ein Beispiel: Wer in der Firmkatechese auf Jugendliche trifft, sollte sich mit Jugendkultur und den Lebenswelten von Jugendlichen auseinandersetzen, und vielleicht gar selbst Snapchat oder Instagram auf dem Smartphone haben und damit umgehen können. Eine Antwort zu wissen noch bevor eine/-m die Frage gestellt wurde, sollte dabei ausgeschlossen sein. Die kirchliche Identität ist untrennbar mit den Erfahrungen der Menschen und ihren Lebensumständen verbunden. Sie haben eine echte theologische Dignität. Lehramtlicherseits ist dies im Übrigen in den ersten Abschnitten von Gaudium et spes festgehalten.

Verkündigung braucht eine Therapie der Sprache, allerdings in einem die Oberflächlichkeit durchbrechenden Sinn. Noch mehr geile Events mit noch mehr glitzernder Oberfläche in einer coolen Sprache, um endlich wieder einmal eine volle Kirche zu haben, gehen am Eigentlichen vorbei – sie beenden nicht die Entfremdung in der Verkündigung und sind latent institutionalistisch. Es braucht dringend eine Sprache, die die eigenen Diakoniezusammenhänge zu markieren imstande ist, und die glaubhaft und authentisch die drei Größen Leben-Glauben-Verkündigen ins Wort bringt. Erfahrungen – die eigenen wie die der anderen – sind als theologische Größe ernst zu nehmen, so kann Diakonie ausgedeutet und Relevanz nicht nur behauptet, sondern eingelöst werden.

Anders ausgedrückt: die christliche Magna Charta des Evangeliums von Gottes- und Menschenliebe muss durch das Leben hindurchgehen, um in der Verkündigung ihren Ausdruck zu finden. Die Grundhaltung und die Begegnung mit anderen Menschen (Diakonenweihe: „was du lebst“) ist bereits als Verkündigung zu begreifen, darin spiegelt sich das, was man glaubt. Paul VI. nennt es in Evangelii nuntiandi ein „Zeugnis ohne Worte“. Am griffigsten drückt das, worum es geht, Franz von Assisi aus: „Verkündet das Evangelium und, sollte es nötig sein, auch mit Worten!“ ■

LITERATUR

Apostolisches Schreiben „Evangelii nuntiandi“ über die Evangelisierung in der Welt von heute, hg. von der Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 2), Bonn 1975.

Apostolisches Schreiben „Evangelii gaudium“ über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute, hg. von der Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 194), Bonn 2013.

Flügge, Erik, Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt, München 2016.

Fuchs, Ottmar, Heilen und befreien. Der Dienst am Nächsten als Ernstfall von Kirche und Pastoral, Düsseldorf 1990.

Muss es immer kompliziert sein?

Die Replik von Erik Flügge auf Ute Leimgruber

Auf der inhaltlichen Ebene kann ich Frau Dr. Leimgruber gar nicht widersprechen. In meinen Augen hat sie Recht. Ich teile ihre Analysen und Argumente und frage mich dennoch: Warum ist ihr Text so kompliziert geschrieben?

Warum soll ich eine Replik schreiben, wenn wir uns doch einig sind? Das ist die Frage, mit der ich diesen Text beginne. Zur Sicherheit schlage ich das Wort „Replik“ bei Wikipedia nach. Dort steht: „Die Replik ist die Erwiderung des Klägers im Zivilprozess auf die Klageerwiderung des Beklagten.“ Blöd gelaufen, Frau Dr. Leimgruber hat mir im Kern gar nicht widersprochen. Welche Erwiderung sollte ich ihr entgegenstellen?

Wir sind uns einig in der Diagnose, dass „der Zusammenhang zwischen alltäglicher Gebrauchssprache und kirchlicher Verkündigungssprache gerissen ist“. Worin wir uns augenfällig nicht einig sind, dass es sich mit der Sprache wissenschaftlicher Theologie genauso verhält. Und an dieser Stelle wird wohl die eigentliche Unterschiedlichkeit zwischen Frau Dr. Leimgruber und mir sichtbar: Wir gehen anders mit Sprache um.

Wann immer ich einen Text schreibe, unternehme ich den Versuch, alles so einfach wie nur möglich zu formulieren. Das gelingt mir mal mehr und mal weniger gut. Aber es ist mein Anspruch. Wenn ich die Sätze lese „Das in kirchlichen Kontexten verwendete Vokabular ist oft nur noch für Menschen verständlich (und erträglich), die kirchlich sozialisiert und integriert sind. Für alle anderen wirkt es irgendwie anachronistisch, peinlich und oft sogar abstoßend“, dann denke ich: Warum so kompliziert? In meinem Buch hatte ich es so auf den Punkt gebracht: In der Kirche habe ich den Eindruck, als wandle ich ständig zwischen dem Vorlesungssaal von Habermas und der Kindertagesstätte Pusteblume hin und her. Gerade bin ich mal wieder in den Hörsaal geraten.

Während ich diesen Text schreibe, hat der Zug die Grenze zur Schweiz überschritten. Ich habe jetzt keinen Empfang mehr. Ich kann nicht mehr googeln. Was hieß nochmal ganz genau „anachronistisch“? Deshalb formuliere ich in dieser Erwiderung den gleichen Vorwurf ihrer Sprache gegenüber, den sie den Verkündigenden macht. Sie schreibt, die Worte „Agape“ und „Antlitz“ würde niemand mehr verstehen. Ich antworte ihr, dass „anachronistisch“, „Inkohärenz“, „institutionalistisch“ auch eine Form von „Wortdurchfall“ sind, wie Paul Zulehner ihn den Verkündigern vorwirft.

WARUM MACHE ICH DIESEN VORWURF?

Ich weiß, dass ich mir mit dieser Replik nicht nur Freunde mache. Natürlich klingt sie mal wieder arrogant. Aber ist es nicht die eigentliche Arroganz, einen Text so zu formulieren, dass er ohne Studium nicht verstanden werden kann? Haben wir denn ernsthaft eine Chance, diejenigen zu erreichen, die vor Ort in den Gemeinden sind, wenn wir es so kompliziert machen? Es gibt viele gute Theologen wie Arndt Bünker, dessen Kritik meines Buches gerade viele richtig gute Theologen feiern. Er kritisiert, dass mein Buch das Thema der Sprache zu unterkomplex verhandelt und stellt meinem Text eine sehr komplexe Analyse entgegen. Der Applaus an den Unis ist ihm gewiss. Nur, in den Kirchengemeinden liest das wieder keiner. Der Erfolg von „Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“ ist, dass man es lesen kann. Weil man das Buch auf Anhieb versteht, hat es so eine große Reichweite. Deswegen wird es nicht nur an Unis gelesen, sondern überall dort, wo verkündigt wird. Natürlich verharrt es dabei an der Oberfläche. Aber ich glaube, dass genau die Veränderung dieser Oberfläche einen tatsächlichen Beitrag dazu leisten kann, dass sich auch das große Ganze verändert.

Deshalb erlauben Sie, dass ich es jetzt auch einmal kompliziert mache: Systemtheoretisch betrachtet bedingt die Veränderung einer Systemvariablen alle abhängigen Systemvariablen mit. Da Sprache als Oberfläche ein aus dem System heraus bedingter Output ist, erfordert die Veränderung dieses Outputs auch eine vorgängige Veränderung der Systembedingungen. Damit ist die Symptombehandlung immer auch eine Systembehandlung. Weil ich es mir aber zur Aufgabe gemacht habe, das Komplizierte einfach auszudrücken, liefere ich die Übersetzung gleich mit: Wenn man beginnt darüber nachzudenken, wie die eigene Botschaft verständlich wird, stellt man schnell fest, wenn einem eine Aussage fehlt. Wofür stehe ich gerade eigentlich? Was will ich sagen? Wenn ich diese Antwort nicht finde, höre ich auf, an meiner Predigt zu feilen und fange an, nochmal in der Bibel nachzulesen. Wenn das da draußen in den Kirchengemeinden gerade passiert, dann habe ich alles geschafft, was ich erreichen wollte. ■

Die Trumpisierung der Verkündigung

Die Replik von Ute Leimgruber auf Erik Flügge

Erik Flügge ist hauptberuflich Berater und Kommunikationsfachmann. Als solcher gibt er in seinem Artikel den „Theologen“ [alle Zitate dem Artikel von Flügge entnommen] den Rat, „sich sprachlich zu entwissenschaftlichen“, d.h. die Kommunikation so zu gestalten, dass sie „auf einfacher Emotion statt komplexer Theoretisierung [basiert]“. Es ist pikant, dass ein Kommunikationsexperte die Expertise gibt, nicht auf der Basis theologischer Expertise zu arbeiten und sich stattdessen um die kommunikatorische Form („Oberfläche“) und um Gefühle zu kümmern. Es ist eine triviale Sache und führt in diesem Zusammenhang auch nicht weit genug, dass es einen Unterschied zwischen der Sprache der Verkündigung und der Sprache der wissenschaftlichen Theologie geben muss. Keineswegs trivial ist jedoch, was hinter der Forderung nach sprachlicher Entwissenschaftlichung steht: die Konzentration auf Oberfläche, Meinung und Emotion bei gleichzeitiger Denunzierung „all der differenzierten Wissenschaftlichkeit“.

Flügge beschreibt die Theologie als eine überkomplizierte Rede von Gott, die eher verschleiert als erklärt und damit sowohl der Verkündigung als auch der Gottesbeziehung im Weg steht. Wie sonst ist seine Bemerkung zu verstehen, dass „der ständige Wunsch von Theologen, man möge […] zeigen, […] dass alles viel differenzierter sei, […] die Achillesferse jeder kirchlichen Kommunikation [ist]: Man differenziert sich zu Tode“? Hier ist Widerspruch vonnöten. Theologie ist Rechenschaft des Glaubens vor der Vernunft. Dafür braucht es die intellektuelle Anstrengung. Selbstredend kann akademisches Vokabular verschleiern, und „Formelsätze und starke Verdichtung“ können die Verkündigungssprache unverständlich machen. Wo eine komplizierte Redeweise Verkündigungshandeln verdeckt und Verständigung verunmöglicht, muss dies entschieden kritisiert werden. Doch der Widerspruch zwischen der „hochtrabenden Theoretisierung Gottes“ und dem einfachen Sprechen „im Angesicht des Kreuzes“ kann nicht dadurch aufgelöst werden, dass das eine gegen das andere ausgetauscht wird. Es gibt an dieser Stelle kein Entweder-Oder. Es reicht nicht, schlicht zu glauben und dies in Form einer „starken Meinung“ und „einfachen Emotion“ zu äußern. Als professionelle/-r Theolog/-in braucht es die akademische Auseinandersetzung, um in der Verkündigung glaubwürdig reden zu können, und zwar in einer professionellen Funktion. Professionell kirchlich Tätige benötigen emotionale und sprachliche Kompetenzen ebenso wie spirituelle und fachliche. Andernfalls kommt es zu dem, was Flügge eigentlich vermeiden will: „Verblödung“.

Das Beispiel, das Flügge für gelungenes Verkündigungshandeln anführt, deckt die Problematik im Spannungsfeld zwischen Meinung und Theologie auf. Der Priester Franziskus v. Boeselager „[macht] im Theater die Augen zu, wenn die Schauspieler auf der Bühne nackt sind, damit der Teufel ihn nicht verführt.“ Flügge will zeigen, dass es v.a. darum geht, „zu emotionalisieren“; die Hauptsache ist für ihn, dass „ein Mensch durchschimmert und sichtbar wird“, egal, ob der auch „mal völlig absurde Dinge erzählt“. Allerdings funktioniert das nicht. Natürlich muss Franziskus v. Boeselager keine wissenschaftlich präzise dämonologische Abhandlung zum Besten geben. Doch dass Flügge „als Produzent begeistert“ ist, obwohl fachlich Unsinn gesprochen wird, ist alarmierend.

Es darf von einem Priester, der mit einem Universitätsstudium in der Tasche professionell für die Kirche arbeitet (und dafür nicht wenig verdient) erwartet werden, dass er sich – auf dem Stand der Wissenschaft – damit auseinandergesetzt hat, ob es tatsächlich der Teufel ist, der ihn da in Form nackter Menschen verführt. Es ist nicht egal, wenn es „vielleicht nicht immer korrekt“ zugeht. Es reicht nicht, dass einer als Typ „einfach“ oder „echt“ rüberkommt, ohne dass er das, was er sagt, vor der Vernunft zu rechtfertigen versucht hat. Auch nicht, wenn es dazu führt, dass „Menschen mal wieder in die Kirche gegangen sind“. Es kann nicht das Kriterium sein, dass die Zahlen der Besucher/-innen stimmen, egal, was eine/-r sagt. Das wäre eine rein institutionalistische Sicht der Dinge.

Flügge setzt mit der Abwertung theologischer Differenzierung zugunsten einer schicken Verpackung auf ein gefährliches Blatt. Denn er formuliert nicht die Grenze, ab der der Inhalt wirklich problematisch wird. Es braucht aber diese Grenze. Denn egal, wie attraktiv die Oberfläche ist: Darunter darf sich keine Häresie und kein Fundamentalismus verbergen. Deswegen muss inhaltlich differenziert werden. Bevor sich Theolog/-innen in der Sprechverkündigung allgemeinverständlich über den christlichen Glauben äußern, müssen sie sich auf den Prozess der Glaubensreflexion eingelassen haben – ein in intellektueller, spiritueller und persönlicher Hinsicht anstrengender Prozess.

Es ist kein professionelles Handeln, wenn jemand nur seine/ihre Frömmigkeit versprachlicht und dabei auf den Gefühlsknopf drückt. Die „Sicherung“ des Tuns von Verkündigungsprofis läuft weder über die persönliche Frömmigkeit noch über die Weihe oder das Amt. Es braucht den Weg über die vernunftgemäße Reflexion. Es braucht Differenzierung. Es geht darum, Inhalte theologisch fundiert zu verhandeln UND sie zu elementarisieren, didaktisch und methodisch sauber zu arbeiten UND persönlich authentisch zu sein. Man kann nicht das eine zugunsten des anderen preisgeben.

Erik Flügge betont, dass „in einer Zeit, in der Expertise immer weniger zählt“ für die Theologie „eine große Chance“ läge. Es sei besser, als „Freund“ anstatt „als Experte wahrgenommen“ zu werden. Doch dieser Hinweis auf das postfaktische Zeitalter rechtfertigt nicht die Behauptung, dass es in der Verkündigung keinen „universitär sattelfesten Theologen“ braucht. Es stimmt nicht, dass die Theologie einen „Glauben [verhandelt], der mehr den Charakter einer Meinung als den Charakter eines Faktums hat“, und ihr der postfaktische Trend deswegen „in die Hände spielen [müsste]“.

Ich finde, im Weißen Haus sollte eine Polit-Expertin arbeiten und nicht einer, der glaubt, er mache es besser, gerade weil er KEIN Experte ist. Auch in den Operationssälen der Krankenhäuser oder in den Gerichtssälen der Justiz möchte ich besser Expert/-innen ihres Fachs, die differenziert die Dinge angehen, anstatt Menschen, die hauptsächlich mit einer starken Meinung punkten. Das Gleiche gilt für die Theologie. Fachtheolog/-innen haben und brauchen wie andere spezialisierte Berufstätige auch ihre Expertise. In der Verkündigung ist eine bessere Sprache dringend nötig. Aber bitte nicht um den Preis der Trumpisierung. ■

Die Stimmen und der Essay

Oder warum Theologen Gisela von Wysocki lesen sollten

Der Titel klingt entlegen, und er ist es auch. Aus gutem Grund, der hier erläutert werden muss. Erfahrungen nicht nur des christlichen Glaubens müssen immer wieder erzählt werden, wenn ihre Überlieferung und Tradition glücken soll. Joachim Hake

Christlicherseits müssen diese Erfahrungen sich vor den Foren der Öffentlichkeit ausweisen getreu dem biblischen Gebot: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,15). Narrationen und Reflexionen, Erzählungen und Argumente werden dabei immer aufeinander bezogen und das enge Ineinander beider Stränge ist jedem bekannt, der schon einmal ein Hirtenwort gehört hat, eine Predigt oder eine theologische Vorlesung.

Der Essay ist vor diesem Hintergrund eine wenig geschätzte Textform, und es ist ein großer Verlust, dass Theologen dem Essay mit kühler Zurückhaltung und einer reservierten Skepsis begegnen, wenn nicht mit abfälligem Misstrauen: Der Essay ist ihnen angesichts des gewohnten Verhältnisses von Narration und Argument zu luftig, zu entlegen, zu subjektiv, zu verspielt, zu beliebig und zu experimentell – schlicht in theologischen Augen nicht wahrheitsfähig. Es wundert daher kaum, dass sich für den theologischen Essay recht wenig Vertreter finden lassen. Diese Geringschätzung des Essays als Textform aber ist ein Fehler.

Der Essay ist eine kostbare und weithin unterschätzte literarische Gattung, die auch für die Überlieferung und Tradition des christlichen Glaubens übersehene Chancen und Möglichkeiten bereithält: Seine im routinierten Staunen gegründete Subjektivität, sein ebenso ernster wie spielerischer Umgang mit den ihn umtreibenden Motiven, der nüchterne Wille zur Form und die Akzeptanz der Endlichkeit sowie die Sorgfalt und Skepsis im Umgang mit der Sprache machen den Essay zu einer eigensinnigen Form, von dessen Lektüre und Kunst des Schreibens ein tieferes Verständnis der Überlieferung christlicher Erfahrungen möglich ist (vgl. hierzu Hake/Salmann, 253).

Das Ineinander der Narrations- und Argumentationsstränge ist – um es metaphorisch und überpointiert zu sagen – in den Textformen von Verlautbarungen, Predigt und theologischem Aufsatz allzu oft durch Sprach- und Argumentationsgewohnheiten so verschlungen, verknotet und nicht selten verfilzt, dass der Aufmerksamkeit für die vielen Stimmen der Überlieferung der Atem genommen wird und jene Stimmen des Hintergrunds, an denen uns gelegen sein müsste, nicht mehr gehört werden. Der Essay schafft hier Freiheitsräume der Aufmerksamkeit, sei es, dass er mit souveräner Freiheit neue Sichtachsen in das Dickicht üblicher Deutungen einträgt oder eher behutsam im Lärm des Lebens überhörten Stimmen des Hintergrunds zur Wahrnehmung verhilft. Um für sich zu werben, kann der Essay nichts anderes anführen als sich selbst. Dieser trägt den Titel: Die Stimmen und der Essay. Oder warum Theologen Gisela von Wysocki lesen sollten.

Joachim Hake

geb. 1963, Studium der Kath. Theologie in Münster und Rom; von 1997–2006 verantwortlich für das Tagungsprogramm der Burg Rothenfels am Main; Hauptinteresse: Verhältnis von Christentum und Moderne, Kultur und Theologie sowie Kultur und Politik; seit 2007 Direktor der Katholischen Akademie in Berlin; 2014 Ernennung durch Papst Franziskus zum Consultor im Päpstlichen Rat für Kultur; mit Elmar Salmann Hg. von Spuren. Essays zu Kultur und Glaube, EOS-Verlag 2008ff (mittlerweile 10 Bände), mit Thomas Henke: Porträts.1.13 (www.portraets-1–13.de).

DIE ZEIT DES ANDEREN IST NICHT VORBEI

Essays lese ich gerne. Und ich lese sie regelmäßig und immer wieder. Zuletzt Walter Benjamin und Theodor W. Adorno, Byun-Chul Han und Peter Handke, Adam Zagajewski und die Essays und von essayistischer Aufmerksamkeit und Kunst durchwirkten Romane von Gisela von Wysocki. Essays sind nicht selten bewohnt von Stimmen der Vergangenheit, fremd und unheimlich kommen sie aus einer unbestimmten Ferne und schlagen den, der sie hört, in einen magischen Bann. Essays sind dann ein Gegenmittel gegen jene in Affirmation und Positivität abgeschlossene Welt, die Byun-Chul Han in seinen Essays zu beschreiben nicht müde wird: „Die Zeit, in der es den Anderen gab, ist vorbei. Der Andere als Geheimnis, der Andere als Verführung, der Andere als Eros, der Andere als Begehren, der Andere als Hölle, der Andere als Schmerz verschwindet. Die Negativität des Anderen weicht heute der Positivität des Gleichen“ (Han 2016a, 7).

Die schmalen Bücher von Byun-Chul Han werden zurzeit sehr viel gelesen. Ihr Stil ist klar und lakonisch, stets unerbittlich dekretierend in endlosen Reihungen von kurzen Indikativsätzen, die Urteilsschneisen in die Gegenwart schlagen und dabei klare Thesen formulieren, wie eben jene gerade zitierte: „Die Zeit, in der es den Anderen gab, ist vorbei.“ Essays als Versuche sehen anders aus, aber die Texte von Byun-Chul Han sind erkennbar Essays. Soweit fremde Stimmen in ihnen vernehmbar sind, werden sie wie kostbare Zitate und Funde in den Text eingefügt und dann nicht selten einem Richtspruch unterworfen. Die Zugangsbedingungen sind streng. Nur die alten und modernen Klassiker gemischt mit Prominenz werden hier zugelassen, z. B. Jean Baudrillard und Jenny Holzer, Kant und Nietzsche, Alain Ehrenberg und Karl-Heinz Bohrer usw. usf.

Ich lese die Essays von Byun-Chul Han mit Gewinn, aber ich begegne ihnen doch mit einer zunehmend distanzierten Skepsis: seine Zeitanalyse ist mir zu absolut, die Urteile sind mir zu endgültig und die herbeizitierten fremden Stimmen dienen vor allem der eigenen Stabilisierung und werden in seinen Texten nur in Haft genommen und ausgestellt. Das ist traurig, denn Byun-Chul Han weiß, was eine Stimme in ihrer unheimlichen Präsenz von aufdringlicher und nicht zu vermeidender Nähe ist, und er schreibt es auch: „Die Stimme kommt von anderswo, vom Draußen, vom Anderen. Die Stimmen, die man hört, entziehen sich jeder Verortung. […] Wie der Blick ist sie ein Medium, das gerade die Selbstpräsenz, die Selbsttransparenz untergräbt und ins Selbst das ganz Andere, das Unbekannte, das Unheimliche einschreibt“ (Han 2016a, 69).

Aber: in seinen Essays gerinnen die fremden Stimmen nur zum prominenten Ausstellungsstück und von den eigenen absoluten Sätzen umstellten und umzingelten Zitat. Nein, ich mag mir die Zeitanalyse von Byun-Chul Han nicht aneignen und glaube keineswegs, dass die Zeit des Anderen vorbei ist. So wenig vorbei wie die Zeit des Subjekts, der Geschichte der Menschen oder die Geschichte Gottes, und es ist die Lektüre von anderen Essays, z. B. jenen von Peter Handke (als Übung in essayistischer Aufmerksamkeit zur Unterscheidung von dekretierendem und gelassen-konzentrierendem Essay empfehle ich die gleichzeitige Lektüre von Han 2016b und Handke 1989), von Adam Zagajewski (meine Empfehlung hier: Zagajewski 2002. Dazu László F. Földényi (Földényi, 710): „Er schreibt mit leichter Hand, ja – um ein heute selten gebrauchtes Attribut zu verwenden – schön. Er ist ein Vollblutessayist, ein Erbe der Allergrößten unter ihnen: Seine Essays sind Versuche im ursprünglichen Sinn des Wortes.

Der Essay ist eine kostbare und weithin unterschätzte literarische Gattung

Und das bedeutet auch, dass die Themen, über die er schreibt, umgekehrt auch ihn versuchen. Er schreibt frei über sie, während sie wiederum seine Gedanken lenken.“) und eben den Essays und Romanen von Gisela von Wysocki, die mich in dieser Haltung bestärkt. Denn immer wieder sehe ich mich durch sie gestellt in eine Situation von oszillierender Nähe und Ferne, in der ich mich neu zurechtfinden muss und die mich nicht loslässt, weil ich meine Ohren spitzen muss für jene anderen Stimmen, die der Essay mit sich trägt, verborgene und vergessene, halblaute und rauschende, flüsternde und leise. Mir gefallen jene Essays, die auf diese Stimmen reagieren mit einer gelassenen Konzentration, die diesen Stimmen keine Gewalt antun und ihnen für eine kurze Lesestrecke Gastrecht gewähren. Oft nicht länger als für einige Stunden, aber das reicht und ist das rechte Zeitmaß jener Texte, die nicht mehr sein wollen als tastende Versuche. Hier kann man ihr verlegenes Flüstern hören, ihr scheues Wispern, das der Mensch nicht überhören sollte, um diese Stimmen nicht aufzugeben. Der auf diese Weise gelassene und konzentrierte Essay ist dann eine kostbare und weithin unterschätzte literarische Gattung, die für den Anderen und die Geschichte aller Dekadenzlust und alle Postphantasien widersteht und damit jener Welt, die in der Tat eine Katastrophe wäre: die Welt ohne den Anderen. Der Essay wird zum Ort, in dem die Stimmen gehütet und geborgen sind. Der Essay ist – wie bereits angedeutet – in einem routinierten Staunen gegründet, das Raum lässt für den Anderen und seine Geschichten, in denen auch immer die eigene Geschichte mitverhandelt wird.

DER ESSAY ALS ÜBUNGSRAUM FÜR DAS HÖREN VON STIMMEN

Im gelassen-konzentrierten Essay tritt für gewöhnlich irgendwann eine Stimme hervor, jene Stimme, die eine andere ist als die des Autors. Eine fremde Stimme und gelegentlich auch zwei oder drei und mehr. In den Stimmen kommen Nähe und Ferne unheimlich zusammen, und zu ihnen ein Verhältnis zu finden, ist eine Übung, zu der die Lektüre oder das Schreiben des Essays nicht wenig beiträgt. Der Essay wird zum Übungsraum, in dem die Stimmen auftreten und verschwinden, nach einem Weitersagen suchen, einem Aufrufen und einem Erinnern, das seiner Endlichkeit und Grenzen innewird. Die Stimmen des Essays sind lebendig, vielfältig, und wer sie zu hören versteht, kennt ihre magische Kraft, zu bannen und freizusetzen, ihr Spiel von Anwesenheit und Abwesenheit. Dort, wo die Stimmen des Essays erzählen, erzählen sie im Fragesinn („Erzähle im Fragesinn (Die Wiederholung)“, Handke 2000, 35), machen die Antwort des Textes durchsichtig hin auf eine bis dahin verborgene Frage und nehmen so dem Text das Zudringliche einer lastenden Antwort, die vergessen hat, was die gestellte Frage war.

Dem Bann der Stimmen begegnet der Essay wie bereits angedeutet in einer Haltung „routinierten Staunens“. Dieses Staunen widersteht dem Schrecken der Erkenntnis, weil es das Staunen liebt und ist aufmerksam für jene Erkenntnisse, die sich einstellen, wenn man die Freude am Staunen und die Angst vor dem Erschrecken nicht vorschnell flieht. Dem routinierten Staunen entspricht ein Lauschenkönnen, eine Übung genauen Hörens auf die Stimmen im Hintergrund eines Textes und aufjene, die schweigen und der Stille sich nicht entwinden können. Das Tönen der Stimmen fängt irgendwann an und hört irgendwann auf. Es ist, als ob man sich für einen Moment in ein Gespräch einschaltet, das in das Selbstgespräch des Autors übergeht und der Leser findet sich verstrickt, gebannt in dieses Ineinander der Stimmen. Der Leser wird zum Mitwisser, zum Komplizen und zum Zeugen, gebannt und in Acht gesetzt, irgendwie verhaftet und gleichzeitig entlassen.

SPUR UND AURA

Diese Essays sind selten einfachhin bloße Erschütterungstexte, die nur beben, und sie sind keine engagierte Literatur, die auf Kommando geschrieben wird. Ohne ihrem Gegenstand zu verfallen, von ihm erdrückt zu werden oder ihn zum falschen Programm zu erheben, hält sich der Essay in einer gewissen mittleren Distanz, in einer gelassenen Teilhabe an der Welt und ihren Rhythmen. Den Essay bestimmt eine intensive und doch gelassene Skepsis, was den Geschichten des Lebens das Spielfeld von Nähe und Ferne eröffnet. Damit lehrt der Essay, die Geheimnisse von Überlieferungen, von Traditionen, von Lebensgeschichten demütiger und besser zu verstehen, denn diese stellt er in die von Walter Benjamin aufgestellte Spannung von „Spur und Aura“: „Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ. Die Aura ist Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft“ (Benjamin 1998, 560).

Der Essay hält sich in einer gelassenen Teilhabe an der Welt und ihrer Rhytmen

Wer als Theologe heute etwas über diese Spannung von „Spur und Aura“ lernen möchte, ist gut beraten, in die Schule der Texte von Gisela von Wysocki zu gehen. Sehr selten ist das Glück, auf einen Roman zu treffen, der in den Aufmerksamkeitsrhythmen des Essays lebt und atmet, in sich die Gezeiten und Wellengänge von Bestürzung und Gelassenheit, von Verblüffung und Widerstand austrägt. Die Texte von Gisela von Wysocki haben diese Qualität. Angeregt von Theodor W. Adorno hat sie über Peter Altenberg promoviert und über ihn eine Doktorarbeit geschrieben, die selbst ein faszinierender Essay ist. Gisela von Wysocki ist wie Peter Altenberg – und hier zitiere ich sie aus ihrem Altenberg-Buch – vom „Detail besessen und auf den ‚kleinsten Übergang‘ eingeübt“ (Wysocki 1986, 128) – dazu spielerisch und leicht, streng, präzise und gestochen; was sie in ihren Texten zu beschreiben versteht sind eindrückliche Stationsbilder und Etappenminiaturen, die der Unendlichkeit der Welt, ihren entzogenen Phantasieräumen ebenso nachgehen wie den hier lauernden und wartenden freudigen und unheimlichen Verwandlungen. Diskrete Einübungen in die Faszinationen des Anderen allesamt.

Ihren Roman „Wir machen Musik“ (vgl. Wysocki 2010) habe ich im Mai 2012 gelesen, und ich erinnere mich gut an die Eindrücke der Lektüre. Metaphysische Erschütterungen ganz eigener Art, meist akustisch, irritierend genau beschrieben, in die eigene Geschichte abtauchend, geheimnisvoll, voller Wackelkontakte nicht nur zwischen Anschauung und Reflexion, sondern zwischen den Schichten eines Phänomens, dem ständigen Wechsel von Nähen und Ferne der Stimmen und Gesichter und irgendwie mit dem Versprechen verbunden, mehr über das zu erfahren, was religiöse Musikalität möglicherweise bedeuten könnte. Seine Komposition und seine Sätze erzeugen jene Magie, die gleichzeitig verstört und in Haft nimmt, darin den Leser freisetzt und an kleinsten Verwandlungen teilhaben lässt. „Im Austausch der Eindrücke und Meinungen treten blitzhaft Konturen hervor, öffnen sich Spalten, die Einblicke zulassen, ein tastendes Erspüren der Zusammenhänge und Ausstrahlungskräfte im Kern der Vorgänge: die, kaum überblickbar, danach verlangen, angeschaut und ausgesprochen zu werden“ (Wysocki 2010, 206).

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