Kitabı oku: «Leiblichkeit und Personalität», sayfa 2
Hermann Schmitz
Zum Gedenken an Anna Blume
Anna Blumes Dissertation wurde 2003 unter dem Titel »Scham und Selbstbewusstsein. Zur Theorie konkreter Subjektivität bei Hermann Schmitz« als Buch veröffentlicht. Es handelt sich um eine Pionierarbeit, die erste monographische Auseinandersetzung mit meiner Theorie der Subjektivität. Wie die Verfasserin an dieses Thema, ja überhaupt an die Philosophie geriet, sagt sie in der Einleitung: Es war »die irritierende Frage, ob außer mir überhaupt noch ›Welt‹ ist, ja ob ich selbst mit Sicherheit sagen kann, ›ich bin‹? Dieser Frage folge ich vielleicht in dieser Arbeit etwas zu übermäßig, aber sie war und ist wohl überhaupt ein starker Motor, ein starkes Motiv gewesen in meiner Hinwendung zur Philosophie.« (S. 11) Wenn Philosophie, wie ich ihr Wesen oft bestimmt habe, Sichbesinnen des Menschen auf sein Sichfinden in seiner Umgebung auf Grund einer Beirrung dieses Sichfindens ist, war Anna Blumes Leben im Zeichen dieser Frage eine philosophische Erschütterung; sie bekennt in derselben Einleitung: »Mich hingegen berührt das Solipsismusproblem immer wieder mal heftig (ja, zuweilen erschüttert mich seine tödliche Anmutung).« Mit solcher Ergriffenheit in der Beirrung beschämt Anna Blume die meisten Philosophen, die sich seit Descartes mit mehr oder weniger naiver Begründung über ihr eigenes Sein und das der Umgebung beruhigen. Mit der Frage, woher wir die Kenntnis nehmen, dass es uns gibt, beschäftigt sich auch meine folgende Abhandlung, die ich dem Andenken an Anna Blume widme. Sie trägt den Titel »Die Labilität der Person« und endet mit dem Hinweis auf den »fundamentalen Zwiespalt in der Person. Diesem gewachsen kann die Stabilisierung nur sein mit der elastischen Beweglichkeit des Wellenreiters.« Beides hat Bezug zum Leben von Anna Blume. Für elastisches Wellenreiten war sie wohl zu spröde; Stabilität gewann ihr Kurs durch die leidenschaftliche Konsequenz ihres philosophischen Dranges. Mit dieser Entschiedenheit hat sie gelebt und ist sie gestorben. Dadurch ist ihr Schicksal exemplarisch für unser aller Schicksal: »Uns hebt die Welle, Verschlingt die Welle, Und wir versinken« (Goethe, »Grenzen der Menschheit«).
Phänomenologische Beiträge zur Erinnerung an Anna Blume
Hermann Schmitz
Die Labilität der Person
Die europäische Kultur des menschlichen Selbstverständnisses unter Führung der Philosophie steht ganz überwiegend im Zeichen des Kampfes gegen die Labilität der Person von einem Ausgangspunkt ausgeprägter Labilität her. Es handelt sich um das Menschenbild der Ilias. Der Ilias-Mensch steht ohne die Hausmacht einer Seele, einer abgeschlossenen privaten Innenwelt, im Konzert halbautonomer, teils treibender, teils hemmender Regungsherde, deren Beschaffenheit wir uns ungefähr am Gewissen, einem uns noch hemmenden halbautonomen Regungsherd, klar machen können; er ist dem Einbruch von Göttern und Affekten ungeschützt ausgesetzt: Ares taucht in Hektar ein wie Zorn in Achilleus.1 Ein großes Stück weiter auf dem Weg personaler Selbstermächtigung ist die Odyssee: Odysseus geht mit seinen Regungsherden um wie der Herr mit dem Hund, schilt seinen Bauch, der ihn zu essen zwingt, da er lieber ob der Trennung von der Heimat trauern möchte, und tritt den Göttern als kalkulablen Gegenspielern gegenüber; seine Selbstkontrolle erlaubt ihm, sich in der Vorstellung wie von außen zu sehen und daher seinen Gesichtsausdruck perfekt zu beherrschen. Im Zuge des Fortschreitens dieser Tendenz wird die Psyche, die bei Homer niemals Seele oder Regungsherd ist, im Lauf des 5. vorchristlichen Jahrhunderts zur abgeschlossenen, privaten Innenwelt. Bei Heraklit ist sie noch offen, denn er lehrt: »Grenzen der Seele wirst du niemals finden, wenn du auch jegliche Straße abschrittest.«2 Von Sophokles ist als Fragment aus den verlorenen Manteis der Vers überliefert: »das verschlossene Tor der Seele öffnen.«3 Zwischen Heraklit und Sophokles liegt die Wasserscheide zur seither dominanten Vergegenständlichungsweise der europäischen lntellektualkultur, zur Weltspaltung: Die empirisch zugängliche Welt wird zerlegt in je eine private seelische Innenwelt für jeden Bewussthaber, in die dessen gesamtes Erleben eingeschlossen ist, und eine zwischen allen Innenwelten verbleibende, bis auf wenige bequem identifizierbare, messbare und selektiv variierbare Merkmalsorten und deren hinzugedachte Träger abgeschliffene Außenwelt; der Abfall der Abschleifung wird absichtlich oder in verwandelter Gestalt, als vergessen unbemerkt, in den Seelen untergebracht. Der Mensch wird in Körper und Seele zerlegt; zwischen ihnen vergessen wird der spürbare Leib, der ohne Hilfe der fünf Wahrnehmungssinne mehr oder weniger aufdringliche Sitz alles affektiven Betroffenseins, auch durch Gefühle als ergreifende Atmosphären, und der Resonanz darauf sowie aller leiblichen Regungen wie Schreck, Angst, Schmerz, Hunger, Durst, Ekel, Wollust, Frische, Müdigkeit, wozu noch die spürbare Motorik und unumkehrbare leibliche Richtungen wie der Blick kommen. im Menschenbild der Weltspaltung gibt es keinen Platz für Kopf- oder Bauchschmerz, denn als Schmerz soll er seelisch sein, aber Kopf und Bauch sind Körperteile. So einfach lässt sich zeigen, dass der spürbare Leib schlicht vergessen worden ist.
Die zentrale Triebkraft der Weltspaltung, die als philosophisches System zuerst von Demokrit verarbeitet und von Platon fortgeführt und ausgebreitet worden ist, war der Bedarf nach Stabilisierung der labilen Person, der zur Selbstbemächtigung und Kontrolle der in der Ilias oft übermächtig durchbrechenden unwillkürlichen Regungen mit der Seele ein Haus aller Erlebnisse angewiesen wurde, in dem sie in der Rolle der Vernunft Herr sein konnte. Diesem Rezept dient mit raffinierter Perfektion die platonische Seelenteilungslehre, die die unwillkürlichen Regungen nach dem Prinzip »divide et impera« in zwei Herde aufspaltet: Die aggressiven Regungen werden von der Richtung nach außen in die Innenwelt umgelenkt, als Zorn und Scham über die eigene Sinnlichkeit, und so in den Dienst der Vernunft gestellt, dass diese sich die unwillkürlichen sinnlichen Regungen unterwerfen kann und diesen als einzige Tugend nur noch zubilligt, der Vernunft zu gehorchen. Die gesamte griechische Philosophie der Nachsokratiker von Platon an steht, mit Erweiterung der Perspektive nur im spätantiken Neuplatonismus, im Bann der Aufgabe, die Selbstbemächtigung der Person in der Rolle der Vernunft gegen die unwillkürlichen Regungen durchzusetzen. Dieses philosophische Gentleman-Ideal wird danach durch das Christentum verschärft und populär gemacht, indem das gesamte affektive Betroffensein mit allen unwillkürlichen Regungen ständiger Selbstkontrolle mit Orientierung an der Macht Gottes im Interesse eigenen transzendenten Glückes und der Vermeidung transzendenten Unglücks unterworfen wird, bis seit dem späten Mittelalter die Menschen die Macht, an die ihr affektives Betroffensein gebunden bleibt, in die eigenen Hände zu nehmen bereit sind und ab 1600 die Selbstbemächtigung als Leitmotiv ihres Selbstverhältnisses in die technische Weltbemächtigung übergeht. Dabei bleibt die Selbstbemächtigung zur Stabilisierung der Person gegen die unwillkürlichen Regungen eine dominante Parole der Philosophie etwa bei Spinoza, Kant, Fichte und Husserl; ich erinnere nur an Kants Vortrag »Von der Macht des Gemüts des Menschen über seine krankhaften Gefühle durch den bloßen festen Vorsatz Meister zu werden« mit Beleg durch seine Bewältigung der von ihm seiner »flachen und engen Brust« zur Last gelegten Hypochondrie.4
Die ontologische Grundlage dieser Stabilisierung ist die Weltspaltung durch Aussonderung privater lnnenwelten, die meist »Seele« und in anderen Sprachen entsprechend, bei manchen Philosophen aber auch z. B. »Bewusstsein« heißen. Die Achillesferse dieser Vorstellung ist die Schwierigkeit, den Bewussthaber, um dessen Seele es sich handeln soll, zu ihr in Beziehung zu setzen. Das Problem entfiele, wenn er einfach in die Seelenzustände, wie Hume, Mach und der frühe Husserl wollten, aufgelöst werden könnte, aber das ist nur so lange plausibel, wie man nicht ernstlich betroffen ist; wer z. B. brennt oder von brennender Scham befallen ist, wird schon merken, dass er selber leidet und nicht bloß ein Vorrat von Perzeptionen, Empfindungen oder Akten einige Modifikationen durchmacht. Sonst war es üblich, das Subjekt in der Seele anzusiedeln oder mit ihr zu identifizieren; beides kommt, auch in unstimmiger Verquickung, schon bei Platon vor.5 Der spätere Husserl glaubte an ein reines Ich, das reines Ich und nichts weiter, aber ein besonderes für jeden Bewusstseinsstrom sei und als freies Wesen in intentionalen Akten lebe.6 Ähnliche Vorstellungen finden sich bei Kant7 und Scheler.8 Sie kommen alle zu spät. Sie muten dem Bewussthaber zu, etwas mit sich selbst zu identifizieren. Dabei soll es sich um eine objektive Tatsache handeln, dass er z. B. dieser Mensch, diese Seele, dieses reine Ich ist. Objektive Tatsachen sind solche, die jeder aussagen kann, sofern er genug weiß und gut genug sprechen kann. Niemand kann aber durch eine Identifizierung im Bereich der objektiven Tatsachen auf den Gedanken kommen, dass er irgendetwas ist, denn keine objektive Tatsache enthält für irgendeinen Bewussthaber einen Grund für die Annahme, dass er dieses oder jenes Wesen oder Individuum ist. In meinem Fall führen solche Identifizierungen z. B. von einem entpflichteten alten Professor durch beliebig viele Zwischenstufen zu einem vor mehr als 80 Jahren geborenen Knaben, ferner zu einem Mann, einem Europäer, einem Deutschen, einem Träger des Namens »Hermann Schmitz« usw., aber daraus geht nie hervor, dass ich dieser Hermann Schmitz bin. Für diese Identifizierung fehlt das Relat, wenn ich es nicht zur Selbstzuschreibung, etwas für mich zu halten, mitbringe, indem ich mich durch ein Michbewussthaben vor jeder Identifizierung kenne. Diesem jeder Identifizierung vorgängigen Sichbewussthaben als Voraussetzung der Selbstzuschreibung hätten die Philosophen nachgehen sollen, statt von der Seele aus Angebote für die Selbstzuschreibung dessen zu machen, der die Seele hat.
Ein identifizierungsfreies Sichbewussthaben ist leicht zu finden in Gestalt des affektiven Betroffenseins. Affektiv ist ein Betroffensein, das einem nahe geht wie z. B. der Schmerz. Um zu spüren, dass ich leide, brauche ich nicht einen Gequälten zu finden und den für mich zu halten, sondern ich merke es sofort, ohne Identifizierung in über- und untererregten Zuständen wie panischer Angst, Ekstase oder Versunkenheit in Schwermut spürt man sich sogar sehr intensiv, ist aber nicht in der Lage, etwas mit sich zu identifizieren. Solches identifizierungsfreies Sichbewussthaben ist dadurch möglich, dass die Tatsachen des affektiven Betroffenseins subjektive Tatsachen sind, die in ihrer bloßen Tatsächlichkeit, nicht erst in ihrem Inhalt, gleichsam den Stempel des Betroffenen tragen, mit der Folge, dass höchstens er sie aussagen kann. Wenn mir etwas nahe geht, können andere höchstens über Hermann Schmitz sagen, dass das ihm nahe geht, aber das reicht nicht zu meinem echten affektiven Betroffensein, wenn nicht hinzukommt, dass ich der Hermann Schmitz bin, dem das nahe geht, und das kann kein Anderer sagen, wenn er auch noch so viel weiß und noch so gut sprechen kann, denn er ist nicht ich. Ohne diese Nuance der Subjektivität für mich, die höchstens ich sagen kann, ist das Nahegehen nur ein Schatten ohne Gewicht. Dabei sind beide Tatsachen, die für mich subjektive und die durch Abfall der Subjektivität neutralisierte objektive, im Inhalt völlig gleich, denn ich bin ja Hermann Schmitz; ihr Unterschied besteht nur in der Tatsächlichkeit, die in der objektiven Tatsache gleichsam zu blass ist, um dem affektiven Betroffensein gewachsen zu sein.
Das wirkliche Vorkommen des Sichbewussthabens ohne Identifizierung ist also erwiesen, dessen Möglichkeit aber noch nicht eingesehen. Um eine für mich subjektive Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, muss ich mich als den finden, für den sie subjektiv ist, und zwar identifizierungsfrei, weil sonst ein Zirkel und unendlicher Regress entstünde, im ständigen Bemühen, dem Relat der Identifizierung aufzuprägen, dass es sich um mich handelt. Wie ist es aber ohne Identifizierung möglich, das einzusehen, dass in meinem affektiven Betroffensein gerade ich der bin, für den die Tatsache subjektiv ist? Dies gelingt durch den plötzlichen Einbruch des Neuen, der Dauer zerreißt, Gegenwart exponiert und die zerrissene Dauer ins Nichtmehrsein verabschiedet. Dann fallen in extremer Beengung das absolute Hier der Enge, das absolute Jetzt des Plötzlichen, das Sein oder die Wirklichkeit in der Wucht des Geschehens, die absolute Identität, dieses selbst und verschieden von der abgeschiedenen Dauer zu sein, und die Subjektivität, selbst betroffen und in Anspruch genommen zu werden, zur primitiven Gegenwart zusammen, etwa im heftigen Schreck. Was aber noch fehlt, ist die relative Identität von etwas mit etwas und damit die Möglichkeit der Identifizierung, denn relative Identität besteht darin, dass etwas als Fall einer Gattung – sinnvoller Weise einer anderen Gattung – ist, z. B. als Professor zugleich Mensch, als Vater zugleich Sohn; Gattungen und Subsumtionen stehen in der primitiven Gegenwart aber nicht zur Verfügung. Stattdessen genügt zum Sichfinden im plötzlichen Betroffensein der Zusammenfall von absoluter Identität und Subjektivität, von diesem – hier – jetzt und ich; das absolut Identische der primitiven Gegenwart zeigt sich unmittelbar, ohne Identifizierung, als Ich, und diese elementare Kenntnis seiner selbst geht bei noch so verkehrten Selbstzuschreibungen nie mehr verloren. Wenn ich wahnsinnig würde, wenn ich mich in wahnhafter Selbstverkennung statt für Hermann Schmitz z. B. für Napoleon hielte, wäre das Referens der Selbstzuschreibung zwar verkehrt, aber vom Relat wüsste ich immer noch richtig, dass ich es bin.
Die primitive Gegenwart ist ein seltener, vielleicht nie ganz rein erreichter Ausnahmezustand, aber sie wird als Aussicht vorgehalten durch die Engungskomponente des vitalen Antriebs, in dem Engung und Weitung gegenläufig verschränkt sind. Wenn die Engung aushakt, wie im heftigen Schreck, ist der Antrieb erstarrt und gelähmt; wenn die Weitung ausläuft, wie beim Dösen, beim Einschlafen und nach der Ejakulation, ist er erschlafft; er besteht also in der Verschränkung beider Impulse. Je schärfer die Engung wird, desto näher kommt der vitale Antrieb der primitiven Gegenwart; er präsentiert diese aber auch noch in der Erleichterung, wenn Weitung aus ihm freigesetzt wird, als die Enge, von der man loskommt. Der vitale Antrieb ist gleichsam die Achse der von mir studierten leiblichen Dynamik und übergreift die Einheit eines Leibes, indem er diesen mit anderen Leibern und sogar – vermittelt durch leibnahe Brückenqualitäten – mit leiblosen Gegenständen zusammenschließt; ich bezeichne diese leibliche Kommunikation als Einleibung, die sich als antagonistische z. B. am Gefesseltsein durch einen Eindruck, am Blickwechsel, am geschickten Ausweichen bei gefährlichen oder harmlosen Begegnungen zeigt sowie als solidarische Einleibung an massenhaftem Aufruhr, stürmischem Mut und panischer Flucht, gemeinsamem Singen, am Effekt rhythmischen Rufens, Klatschens und Trommelns. Dass der vitale Antrieb primitive Gegenwart vorgibt, ist Bedingung für das Vorkommen von Identität und Verschiedenheit. Diese sind dem Weltgeschehen ja nicht von vornherein aufgeprägt, denn in gleitender Dauer des Dahinwährens, wie sie im Dösen und in gedankenloser Routine erfahren wird, geht alles verschwommen ineinander über, ohne dass etwas es selbst wird. Das Gleiten muss durch einen Einschnitt unterbrochen und stillgestellt werden, damit sich etwas als dieses aus dem Kontinuum von Dauer und Weite heraushebt, und dazu bedarf es der Exponierung von Gegenwart im plötzlichen Einbruch des Neuen.
Der Weg zur Aufdeckung des Bewussthabers führt also in den spürbaren Leib hinein. Nicht in der Seele oder an deren Rand, wie die klassischen Philosophen wollen, ist der Gesuchte zu finden, denn das ergibt nur Vorschläge zur Selbstzuschreibung, aber deren Möglichkeit beruht auf einer ursprünglicheren, jeder Identifizierung vorausgehenden Kenntnis seiner selbst, und die ist auf die leibliche Dynamik angewiesen, auf die primitive Gegenwart und den vitalen Antrieb. Der spürbare Leib ist aber im Menschenbild der Weltspaltung nur durch eine Fehlanzeige vertreten, vergessen zwischen Seele und Körper. Die klassische Philosophie war eifrig bemüht, die Quelle der Identität und Subjektivität möglichst weit von den unwillkürlichen Regungen abzurücken und ihr ein freischwebendes tätiges Prinzip als Sitz zu geben, so etwa Kant die von ihm erdachte transzendentale Apperzeption, das »stehende und bleibende lch«9, das als Subjekt uns nur als reine Spontaneität bekannt sei. Dieser Versuch einer gleichsam frei schwebenden Stabilisierung des Subjekts führt in die falsche Richtung; nicht in reiner Tätigkeit, sondern im leiblich engenden Erleiden von Exposition und Abgerissenheit ereignet sich der Ursprung der Möglichkeit, selbst und ich zu sein.
Die Person geht aber weit über diesen Ursprung hinaus. Eine Person ist für mich ein Bewussthaber mit Fähigkeit zur Selbstzuschreibung. Diese besteht darin, etwas für sich selbst zu halten, genauer gesagt: sich als Fall von Gattungen oder Bestimmungen zu verstehen, z. B. als Mensch, Vater, Sonderling, Ausländer usw. Gattung oder Bestimmung im hier gemeinten Sinn ist alles, was mindestens einen Fall hat; was ein Fall ist, habe ich anderswo definiert.10 Wenn, wie gewöhnlich, mehrere Gattungen zur Verfügung stehen, lässt sich die absolute Identität zur relativen ergänzen: A ist mit B identisch, wenn dieselbe Sache sowohl ein Fall der Gattung a als auch ein Fall einer von a verschiedenen Gattung b ist. Die Selbstzuschreibung gestattet dem Bewussthaber, sich zu vergleichen, sich einzuordnen, sich einen Platz in seiner Umgebung zu suchen, Verantwortung zu übernehmen usw. Das sind so bezeichnende Merkmale dessen, was man von einer Person zu verlangen pflegt, dass ich meine Definition im Hinblick auf sie für gerechtfertigt halte.
Zur Person gehört demgemäß, was über die Selbstzuschreibung gesagt wurde, jedenfalls das affektive Betroffensein, die primitive Gegenwart und der vitale Antrieb. Was gehört zu ihr darüber hinaus? Um sich etwas zuzuschreiben, muss die Person sich als einzelne verstehen, also nicht so, wie sie sich nach Abstreifen der Einzelheit in Ekstase, panischer Angst, Versunkenheit oder gedankenloser Routine befindet. Einzeln ist, was eine Anzahl um 1 vermehrt. Logisch gleichwertig ist die Definition: Einzeln ist, was Element einer endlichen Menge ist. Anzahlen sind Eigenschaften (genauer: Eignungen11) von Mengen. Mengen sind Umfänge von Gattungen. Einzeln kann daher nur sein, was Fall einer Gattung ist. Außerdem gehört dazu die absolute Identität, dass es selbst (etwas) ist. Einzelheit ist die Zusammenfassung absoluter Identität mit Fallsein. Der präpersonale Bewussthaber, z. B. in den eben genannten entrückten Zuständen oder etwa als Tier oder Säugling, ist schon absolut identisch, wie seine Fähigkeit zur Kooperation mit bestimmter Rolle in antagonistischer Einleibung erweist, aber noch nicht einzeln. Zur Einzelheit erhebt er sich als Person in der Selbstzuschreibung als Fall von Gattungen. Erst die Person ist ein nicht nur identisches, sondern auch einzelnes Subjekt.
Zur Einheit oder numerischen Einzelheit bedarf es also der Gattungen, wovon etwas ein Fall sein kann. Diese sind nicht in einem platonischen Ideenhimmel aufgehängt, sondern stammen letztlich aus dem Leben aus primitiver Gegenwart, das Tiere, Säuglinge und erwachsene Personen bei allen unwillkürlich routinierten Verrichtungen, zu denen auch das Schöpfen aus der Sprache bei flüssigem Sprechen gehört, mit gleitender Dauer, primitiver Gegenwart, leiblicher Dynamik und leiblicher Kommunikation führen. Dieses Leben ist durch absolute Identität und Verschiedenheit, ein Erbe der primitiven Gegenwart, vor Verwechslungen und Sichvergreifen geschützt, z. B. bei allen flüssigen Körperbewegungen, die die Beteiligten für sich und mit verteilten Rollen in verbündeter oder feindlicher Kooperation ausführen, z. B. beim Kauen, Gehen, Sprechen, Tanzen, Greifen, Zuschlagen, Ausweichen. Es ist ein Leben in Situationen mit binnendiffuser Bedeutsamkeit, die aus Bedeutungen besteht, die Sachverhalte, Programme oder Probleme sind. Diesem Leben fehlt noch die Einzelheit. Keine der Bedeutungen wird einzeln im Leben aus primitiver Gegenwart. Der redende Umgang mit Situationen besteht beim Leben aus primitiver Gegenwart in einem ganzheitlichen, nicht explizierenden Ansprechen der binnendiffusen Bedeutsamkeit, das diese mit Rufen und Schreien heraufbeschwört, modifiziert und quittiert, z. B. durch Alarm-, Lock- und Klagerufe. Tiere und Säuglinge sprechen so. Sie verständigen sich durch Ansprechen gemeinsamer Situationen, auch ohne Zuwendung zum Partner. Der entscheidende Schritt, der darüber hinaus zur Personwerdung und zur Welt als dem Rahmen möglicher Vereinzelung in den fünf aus den Momenten der primitiven Gegenwart entfalteten Dimensionen führt, ist die Geburt der Einzelheit durch die explikative Rede des Menschen. Sie setzt bei der binnendiffusen Bedeutsamkeit von Situationen an und entbindet daraus einzelne Bedeutungen, insbesondere Sachverhalte, die meist mit Programmen oder Problemen gefüllt sind. Unter solchen Sachverhalten befinden sich die Gattungen12 und die Sachverhalte des Fallseins von Gattungen, wodurch es möglich wird, beliebige absolut identische Sachen zu vereinzeln. Einzelne Bedeutungen lassen sich nur durch explikative Rede feststellen und festhalten, denn man kann nicht auf sie zeigen; sie sind aber nötig für die Einzelheit irgendwelcher Sachen, auch wenn man auf diese zeigen kann. Das bloß absolut identische ist an die Einbettung in Situationen gebunden, seien diese nun aktuelle Situationen, die sich von Augenblick zu Augenblick verändern können, oder zuständliche, an denen sich sinnvoll erst nach längeren Fristen prüfen lässt, ob und wie sie sich verändert haben. Das Einzelne kann als Fall von Gattungen (namentlich mehrerer, unter denen etwas in verschiedener Weise genommen werden kann) aus den Situationen, in denen es zunächst begegnet, herausgezogen und beliebig neu kombiniert werden. Dadurch werden Analyse und Planung möglich, wodurch es dem Menschen gelingt, Situationen in den Griff zu nehmen und zu überholen. Dadurch wird er den Tieren überlegen.
Die Vereinzelung ist eine fundamentale Voraussetzung der Personwerdung, aber nicht die einzige. Die Neutralisierung muss hinzukommen. Im Leben aus primitiver Gegenwart sind alle in den Situationen gebundenen Bedeutungen subjektiv für jemand. Ich verstehe die Subjektivität und Objektivität von Sachverhalten, Programmen und Problemen entsprechend zu der schon erklärten derjenigen Sachverhalte, die Tatsachen sind.13 Durch absichtliche Abschälung oder unabsichtlichen Abfall solcher Subjektivität werden aus für jemand subjektiven Bedeutungen objektive, die jeder sagen kann, sofern er genug weiß und gut genug sprechen kann. So ist z. B. der Schlachtplan für die Offiziere vor der Schlacht ein subjektives Programm, ein Wunsch, und bei kritischem Stand der Schlacht ein subjektives Problem, eine Sorge; für den nüchtern registrierenden Historiker bleiben nur ein objektives Programm, ein objektives Problem übrig. Ohne solche Neutralisierung gibt es von der Selbstzuschreibung nur Kümmerformen. Ich denke besonders an schwere Träume, in denen die Person in Angst und Aporie aufgeht. Dann ist sie zwar noch fähig zur Vereinzelung und Selbstzuschreibung, aber der Situation im Traum restlos ausgeliefert und ohne die Überlegenheit, die den spezifischen Gewinn der Vereinzelung ausmacht. Umsichtige Selbstzuschreibung ist nur mit Neutralisierung (Entsubjektivierung) von Bedeutungen möglich. Mit ihr beginnt das Erwachsen, d. h. die Personwerdung des Kindes, typischerweise um das letzte Viertel des ersten Lebensjahres. Vereinzelung und Neutralisierung greifen ineinander, wie ich mehrfach am Beispiel der Enttäuschung gezeigt habe. Mit der Neutralisierung wird die Fremdheit entdeckt. Eine Sache wird jemand fremd, wenn der (tatsächliche oder untatsächliche) Sachverhalt, dass sie existiert, für ihn neutral (d. h. objektiv) wird.14 Mit der Entdeckung des Fremden gewinnt die beginnende Person die Chance, um die nicht entfremdeten, für sie subjektiv gebliebenen Situationen und Bedeutungen herum eine Sphäre des Eigenen auszubilden, die vom Fremden abgesetzt ist. Ich habe sie als persönliche Situation und persönliche Eigenwelt eingehend charakterisiert.15 Die Neutralisierung von Bedeutungen für die Person mit Abhebung des ihr Eigenen vom ihr Fremden ist personale Emanzipation. Die personale Emanzipation bildet Stufen oder Niveaus aus. Ein Niveau ist höher als ein anderes, wenn es mehr und entschiedener Bedeutungen neutralisiert und Sachen verfremdet, mit dem Ergebnis, dass sich das Eigene deutlicher abhebt. Eine Person kann auf verschiedenen Niveaus zugleich stehen.
Durch ihre personale Emanzipation nimmt die Person Abstand vom Leben aus primitiver Gegenwart. Andererseits bedarf sie des Eintauchens in dieses Leben, weil die Möglichkeit der Selbstzuschreibung, nämlich die Bereitstellung eines Relats für diese aus der unmittelbaren Bekanntschaft mit sich vor jeder Identifizierung, in der dargelegten Weise vom leiblich-affektiven Betroffensein und der leiblichen Dynamik abhängt. Wenn die Person sich ganz und gar emanzipierte und entleiblichte, wäre sie gar nicht mehr da, weil sie die Fähigkeit zur Selbstzuschreibung verloren hätte, übrigens auch die Identität. Durch diese Ambivalenz von Abstandnahme und unentbehrlichem Rückgriff wird die Person zwiespältig und labil. Sie existiert gleichsam gespreizt oder im Spagat. Um bestehen zu können, bedarf sie zum Ausgleich der personalen Emanzipation der personalen Regression, die von der Sonderung des Eigenen und Fremden durch Resubjektivierung die Richtung auf das Leben aus primitiver Gegenwart einschlägt, in dem alle Bedeutungen subjektiv sind und nichts entfremdet ist. Es gibt Niveaus der personalen Regression so gut wie Niveaus der personalen Emanzipation, aber sie fallen mit diesen zusammen. Von einem höheren Niveau personaler Emanzipation aus ist jedes weniger hohe ein Niveau personaler Regression. Die Integration von personaler Emanzipation und personaler Regression ist prekär. Die Natur hat dem Menschen allerdings zwei gelungene Gestalten solcher Integration mitgegeben: Lachen und Weinen. Der Lacher lässt sich in personaler Regression von einem Niveau personaler Emanzipation fallen im Genuss der Zuversicht, unversehrt auf dieses Niveau zurückkehren zu können; daher vereinigt das Lachen Hinfälligkeit und (vorweg genommenen) Triumph über die Hinfälligkeit. Der Weiner kann sich vor der Bedrängnis auf seinem Niveau personaler Emanzipation nicht halten und lässt sich in personaler Regression auf primitive Gegenwart hinfallen, bis ihm sein vitaler Antrieb Gelegenheit gibt, aus der überwiegenden Engung, sich ausweinend, in Weite zu entkommen und dadurch Gelegenheit zum Aufbau eines neuen Niveaus personaler Emanzipation zu erhalten. Im Gegensatz zum Lachen führt das Weinen also nicht auf dasselbe Niveau personaler Emanzipation zurück. Deswegen bildet es, anders als das Lachen, die Lebensgeschichte fort.
Die Person kann sich nicht auf Lachen und Weinen allein verlassen, um personale Emanzipation und personale Regression zusammenzuführen. Sie bedarf einer beständigen Balance, um das Gegeneinanderstreben beider Tendenzen auszugleichen, und findet diese in der Fassung, die sie sich gibt. Fassung ist das, was man verliert, wenn man die Fassung verliert. In der Fassung bestimmt sich die Person durch spielerische Identifizierung als etwas, das eindeutiger ist, als sie wirklich ist. Spielerische Identifizierung besteht darin, etwas ohne Verwechslung und ohne Fiktion, stattdessen ohne Rücksicht auf Tatsächlichkeit, als etwas anderes zunehmen, z. B. das Bild als das Abgebildete (z. B. als ein Gesicht, eine Landschaft), den Schauspieler als die gespielte Figur (Faust oder Hamlet usw.), ein Symbol als das Symbolisierte (z. B. die Fahne als verkörperte Gemeinschaftsehre oder Nation), Menschen als ein Leitbild (wie Faust Helena in jedem Weibe sieht). Identität ist symmetrisch oder umkehrbar, so auch die fiktive Identität; die Identität spielerischer Identifizierung ist dagegen unecht, Identität nur in einer Richtung. Die Fassung eines Menschen ist zum Teil durch seine Berufs- oder Familienrolle bestimmt, zum größeren Teil aber durch das, was der Psychiater Jürg Zutt die »innere Haltung« nennt.16 Er schreibt: »Manche Haltungen, die aus bestimmten Wesenszügen hervorgehen, können fast dauernd die innere Haltung und damit das Handeln eines Menschen bestimmen, so Aufrichtigkeit, Stolz, Liebenswürdigkeit, Bedächtigkeit. Aus diesen Grundhaltungen entwickeln sich die Nuancen von Einzelhaltungen, wie z. B. Entgegenkommen, Begrüßen, Abweisen, Verabschieden.«17 Andere Beispiele sind z. B. Jovialität, sanfte Bestimmtheit, misstrauische Vorsicht oder die Grundhaltung des analen Charakters nach Freud mit den Merkmalen: ordentlich, sparsam, eigensinnig. Die Fassung kann aber auch je nach dem Lebensbezug wechseln, z. B. gegenüber dem Vorgesetzten anders sein als gegenüber den Untergebenen, im Amt anders als in der Familie. Sie kann sich auch den Umständen anpassen, etwa um eine Gegentendenz zu unterdrücken. Zutt gibt folgende Beispiele: Wer seinem Ärger nicht Luft machen will, lächelt maliziös, und wer sich zu einem schweren Gang aufmachen will, legt sich einen besonders entschlossenen Schritt zu. Die Fassung ist vielschichtig und wendig. An der Quelle spielt sie sich unwillkürlich ein, im auferlegten Auf und Ab von personaler Emanzipation und personaler Regression. Manchmal ist man überrascht, dass man gegen diesen Menschen oder in diesem Lebenskreis so sein, gerade diese Fassung annehmen muss. Über dem Unwillkürlichen kann es in der Fassung viel Aufgesetztes geben. Ihre Beweglichkeit kann gehandhabt werden. Seine Fassung in der Begegnung schwingen zu lassen, ohne sie zu verlieren, ist der sensibelste Fühler der Einleibung, die den Anderen am eigenen Leibe spüren lässt; denn die Fassung vermittelt ausgleichend zwischen der leiblichen Grundlage der Person und der personalen Emanzipation. Wer dagegen seine Fassung starr festhält, wird unempfänglich und sieht am Anderen vorbei.
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