Kitabı oku: «Leopardis Bilder», sayfa 5

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3 Bilder beobachten – fragmentarische Einbildungskraft

Spento il diurno raggio in occidente ist das letzte der drei Fragmente und zeitlich das erste, insofern es auf Appressamento della morte basiert, das insgesamt 878 Verse umfasst, eingeteilt in fünf canti in terzine incatenate, also in dem Metrum, das die Divina Commedia verwendet. Dante stellt eine wichtige Quelle für Leopardis Konzeption einer erhabenen Sprache dar, die sich vor allem durch eine latinisierende, altertümliche Wortwahl auszeichnet.1 Leopardi nennt sie ein ardire bzw. ein ardito – in Übersetzung des lateinischen Adjektivs audax – als eine kühne Sprachverwendung. Ein Beispiel unter vielen für Leopardis erhabene Sprache, die er mit Schönheit gleichsetzt und ausgehend von Horaz mit «stili energici e rapidi» (1886, Zib. 2049) und mit einer «costruzione […], irragionevole» (1494, Zib. 61). Darunter versteht er «[m]etafore coraggiose, epiteti singolari e presi da lungi, inversioni» (1886, Zib. 2051), wie z.B. «la taciturna via» (v. 19), da das Adjektiv normalerweise Personen zugesprochen wird,2 oder «E il duro vento col petto rompea» (v. 58), da es sich hier – wie er ebenfalls zu Horaz ausführt – um «un’idea chiara, ma espressa vagamente» handle, denn «chi chiama duro il vento perché difficilmente si rompe la sua piena quando se gli va incontro» (1494, Zib. 61). Die ‹rapidità dello stile›, die Calvino in seinen Lezioni americane hervorhebt,3 bewirke sprachliche Vagheit und erwecke semantische Unendlichkeit. Leopardis erhabenen Bildern entspricht die Idee einer erhabenen Sprache.4

Das Gedicht lässt sich grob in drei Abschnitte einteilen: Die ersten 18 Verse sprechen das Thema an: Es handelt sich um ein romantisches Stelldichein. Die nächsten 47 Verse, Verse 19-66, beschreiben die erhabene Entwicklung des Gewitters. Die letzten 10 Verse, Verse 67-76, stellen einen Orpheus-Eurydike-Augenblick der Versteinerung dar. Diese erste Dichtung, die nicht mehr zu den Jugendgedichten zählt, wird überarbeitet und fragmentiert, denn Spento il diurno raggio in occidente stellt die verkürzte Fassung des ersten von fünf Gesängen von 1816 dar. Leopardis frammento erfüllt damit Friedrich Schlegels frühromantische Definition moderner Kunstwerke:

Viele Werke der Alten sind Fragmente geworden. Viele Werke der Neuern sind es gleich bei der Entstehung […].5

Wir haben es hier aus zwei Gründen mit einer fragmentierten Einbildungskraft zu tun: Einerseits ersetzt Leopardi im Fragment das lyrische Dichter-Ich, das seinen stile roco6 verhandelt, durch eine «donna», ein lyrisches Sie bzw. Du – «ella», «colei» (v. 4, 30) –, das auffallend passiv bleibt. Andererseits wird dieses lyrische Ich nicht benannt, kommentiert nur einmal explizit das Geschehen und ist ansonsten abwesend:

Sola tenea la taciturna via

la donna, e il vento che gli odori spande,

molle passar sul volto si sentia.

Se lieta fosse, è van che tu dimande:

piacer prendea di quella vista, e il bene

che il cor le prometteva era più grande.

Come fuggiste, o belle ore serene!

Dilettevol quaggiù null’altro dura,

nè si ferma giammai, se non la spene. (vv. 19-27)7

Die abwesende Innerlichkeit der «donna» entspricht dem impliziten Status eines lyrischen Ichs, das Leopardis spätere Dichtung ansonsten prägt. Dieser mimetische Unterschied inszeniert damit gleichsam, mit einem Ausdruck aus den ersten 100 Seiten des Zibaldone, die gegen Di Breme und die Romantik gerichtet sind, «[l]a natura, purissima, tal qual’è, tal quale la vedevano gli antichi» (1471, Zib. 15). Die donna verkörpert sinnbildlich das Antike und Unbewusste, wodurch für uns ein Bild der ‹nackten Natur› entsteht8, und nur für das implizite lyrische Ich bzw. für den Leser besteht ein lustvoller ‹Schiffbruch mit Zuschauer›.9 Wir haben es also mit einer Vorstufe späterer Dichtung zu tun, indem auch das überarbeitete frammento nicht die Reflexivität nachfolgender Gedichte erreicht. Intratextuell ist der Mangel an ausgearbeiteten Poetologemen offensichtlich, die für Leopardi typisch sind: Der Mond, «la rugiadosa luna» (v. 18) – das Adjektiv ist von Vergil entlehnt –, wird als poetisches Bild nicht entwickelt, aber man liest seine poetische Abwesenheit vor dem Hintergrund etwa von Alla Luna oder La sera del dì di festa.10 Ebenso erinnert etwa «cantando al vento» (v. 10) an den theophanen Wind in L’infinito. Ex negativo wird aber reflektiert und bestimmt, worin das Defizitäre liegt.11 Die Anordnung von Spento il diurno raggio in occidente als letztes der frammenti geht mit diesem Umstand um und komplementiert die Struktur der Beobachtung damit so, dass sie sich der Bildlogik der Erinnerung annähert (cf. Abschnitt 1). Damit wird fraglich, ob die Frammenti lediglich «un’appendice ai Canti» sind, die besser mit La ginestra abschlössen.12

Das Gedicht konzentriert sich auf zwei Elemente: (i) Die Verse 1-27 stellen eine idyllische Nacht dar und beobachten eine anonyme «donna» (v. 20), die zu einer «amorosa meta» (v. 4) bzw. einem «dilettoso loco» (v. 39) geht. Nach einem romantischen Sonnenuntergang wird zunächst das setting dargestellt. «Spento il diurno raggio in occidente» (v. 1) leitet eine Lichtverschließung bzw. eine Augenverdunklung ein. In späteren Gedichten wird die Blick- und Weltverdunklung meist weniger ausführlich geschildert, so heißt es etwa in Il tramonto della luna lakonisch «e si scolora il mondo» (198, v. 12). Mit anderen Gedichten teilt das frammento ein nicht-idyllisches Sprechen bzw. ein Jenseits der Idylle.13 Das Mädchen ist nur gerichtet auf das liebliche Ziel, und das beobachtete Gewitter beginnt jenseits dieses locus amoenus: «là del dilettoso loco» (v. 39). Eine Stille – «queto», «queta» (v. 2) –, erinnert an den Beginn von La sera del dì di festa14. Das Ziel des Rendez-vous15 – «volta all’amorosa meta» (v. 4) – scheint eine dantische Lebensentscheidung16 einzuführen, aber nicht in einem Wald, sondern in einer Heidelandschaft: «ad una landa» (v. 5). Diese Öffnung steht damit intertextuell bereits in einer Schließung des Horizonts17, die sich verspätet einstellt im «bosco» (v. 38). Ein implizites18 lyrisches Ich beobachtet ein lyrisches Du, die donna, und das Gewitter. (ii) Die Verse 28-76 stellen das Sich-Entfalten des Gewitters dar, das den tragischen Tod der donna herbeiführt. In Vers 34 findet sich die bemerkenswerte Formulierung: «Spiegarsi ella il vedea per ogni canto». Das «Spiegarsi» nimmt die barocke, leibnizsche Metapher der Falte19 bzw. des Sich-Entfaltens auf, «per ogni canto», also an jedem Ort oder in jedem Gedicht, nimmt die Ambivalenz von Raum und Dichtung auf, mit der bereits das vorherige 38. frammento schließt:

S’apre il ciel, cade il soffio, in ogni canto

posan l’erbe e le frondi, e m’abbarbaglia

le luci il crudo Sol pregne di pianto. (212, vv. 13-15)

Io qui vagando al limitare intorno endet im Zeichen einer entpoetisierten Gegenwart des lyrischen Sprechens, in der es «schlecht um transzendente Bezüge»20 steht, in einem abschließenden Augenblick, wo Himmelöffnung und Licht nicht Epiphanie, sondern überall und je ein Ende der Inspiration verheißen.21 Die Inspirationslosigkeit findet sich ebenfalls im 39. Fragment als Motiv: Proleptisch ist von Beginn an klar, dass die Natur nicht (zu uns) sprechen wird, denn pars pro toto für die Landschaft – als Bild für den Versuch zu dichten – nimmt der frühe Vers «I ramuscelli ivan cantando al vento» (v. 10; M.H.) die späteren Verse vorweg «Veniva il poco lume ognor più fioco; | E intanto al bosco si destava il vento» (v. 37sq.). Versteht man Vers 34 als eine emblematische und metapoetische mise en abyme, ergibt sich eine Logik, die sich überall, in jedem Winkel, auch in jedem der canti, entfaltet. Der letzte gedankliche Abschnitt der Versteinerung (vv. 67-76) beginnt mit einem «lampo» (v. 67) und schließt damit einen Bogen zurück zur Vorlage, die mit «Era morta la lampa» (291, v. 1) beginnt, wobei das Thema des appressamento, des Herannahens, nicht nur in der Anzahl auf 76 Verse reduziert wird, sondern auch – wörtlich – kondensiert wird auf ein «all’appressar del nembo» (v. 48); kein Herannahen des Todes, sondern des Gewitters. Damit sind eine erste Verbildlichung und Bildlichkeit des Langgedichts hintergangen. Diese Änderung hat Folgen fürs Ganze und für die Bedeutung des Endes des Gedichts:

Beide Teile haben jeweils eine Art Epitaph. In den Versen 22-27 bricht das ansonsten implizite und abwesende lyrische Ich aus seiner Beobachterrolle aus und verbindet die beiden Teile mit einer philosophischen Perspektive. Die letzten vier Verse verändern nochmals den Satzrhythmus innerhalb des adversativen «Ma» (v. 70) und führen eine fatale quiete dopo la tempesta ein.

E si rivolse indietro. E in quel momento

si spense il lampo, e tornò buio l’etra,

ed acchetossi il tuono, e stette il vento.

Taceva il tutto; ed ella era di pietra. (vv. 73-76)

Wind und Sturm sind ein rekurrentes Denkbild in Leopardis Dichtung. Es lässt sich zwischen einem harmonisch-theophanen und einem bedrohlich-katastrophalen Wind- bzw. Sturm-Bild unterscheiden. Das frammento fällt insofern aus dieser Dichotomie heraus, als der Übergang von einem sanften, idyllischen Hauch zum stürmischen Wind sich vollzieht.22 Das frammento wird zusammengehalten von einem eingeklammerten lyrischen Ich, das Flauberts Erzähler-Ideal zu erfüllen scheint; «[d’être] comme Dieu dans l’univers, présent partout et visible nulle part»23. In dem angesprochenen Einschub zwischen Idylle und Sturm (vv. 22-27) findet sich eine in Leopardis Lyrik einmalige Leseransprache «Se lieta fosse, è van che tu dimande» (v. 22, M.H.), die man auch als einen versteckten Ausruf der donna verstehen kann, als eine unmarkierte psychologische Interpretation oder Projektion – analog zum style indirect libre – des lyrischen Ichs, der ihr auch ein naives Glücksversprechen des Herzens unterstellt (v. 23sq.) und die Flüchtigkeit der Eindrücke zur Existenzmetapher philosophisch radikalisiert (vv. 25-27). Die ersten Verse, die dann den Sturm einleiten, nehmen eine gegenüber dem Appressamento entscheidende doppelte semantische Verschiebung vor, die mit der zuvor zitierten Verschiebung in La sera del dì di festa in den Versen 28 und 46 vergleichbar ist.

e la dolcezza in cor farsi paura (292, v. 33, M.H.) ~ e il piacere in colei farsi paura. (v. 30, M.H.)

Nicht mehr «la dolcezza», sondern «il piacere» wird zur Angst. Mit dieser Änderung wird die Kürzung des ersten Gesangs verständlich, denn «dolcezza» verweist im Appressamento noch auf die Traumvision, die auf Vers 82 und auf die Versteinerung folgt (292, v. 95).24

Lust und Unlust wechseln einander ab, ihre Heiterkeit – «lieta» (v. 22) über den ersten Ausblick – «vista» (v. 23), den die einleitenden Verse 1-18 darstellen, wechselt sich synästhetisch ab mit einem Primat des Hörens – etwa «udir», «suon» (v. 47sq.), «tuon» (v. 53, 61), «suon» (v. 66) –, der den Wechsel von Steigen und Fallen – «sorgea», «salir» (v. 32, 35) des Gewitters gleichsam spiegelt, ohne aber eine typische doppia vista, die auf das Unsichtbare sinnlich ausgreift, erreichen zu können, so dass das Gedicht mit einer negativen «vista» (v. 70) endet. Die Natur determiniert25 gleichsam den psychischen Übergang «in colei» (v. 30) von diletto (v. 26) und «piacere» zur «paura» (v. 30). Der Spiegelcharakter findet sich auch auf der lexikalischen Ebene, insbesondere durch die auffallenden Wiederholungen – etwa: «luna» (v. 18, 33), «bosco» (v. 38sq.), «piacer(e)» (v. 23, 30), «momento» (v. 40, 73), «lampo», «lampi» (v. 50, 67, 74), «pioggia» (v. 47, 63) –, die im Dienste zweier Funktionen stehen: Einerseits wird additive Totalität bzw. mathematische Erhabenheit dargestellt, was durch die fünffache Verwendung von «ogn(i)» (v. 7, 34, 40, 42, 64) unterstrichen wird. Andererseits wird der prozessuale Charakter betont und verkettet, der früh mit «e tutte ad una ad una» (v. 14) angesprochen wird.

Das Schritt-Verlangsamen und Herz-Schwinden – «fermò l’andare», «il cor venne meno» (v. 72) – nimmt den Tod vorweg, erinnert im Zurückdrehen (v. 73) und in den Folgen an Orpheus und Eurydike. An einen Intertext26 erinnert Leopardi im Zibaldone:

Quell’usignuolo di cui dice Virgilio nell’episodio d’Orfeo, che accovacciato su d’un ramo, va piangendo tutta notte i suoi figli rapiti, e colla miserabile sua canzone, esprime un dolor profondo, continuo, ed acerbissimo […]. (2552, Zib. 281; M.H.)27

Ein poetologischer Unterschied in diesem «lamento» (v. 12), den die Natur – und nicht ein lyrisches Ich oder Du – singt, liegt darin, dass im frammento nicht der Gesang bzw. die canzone «miserabile» ist, sondern die donna selbst («la misera» [v. 52]). Das Leid als Bildspender der Dichtung ist noch nicht in eine explizit reflektierte Struktur eingebettet. Leopardis Bildlogik ist hier noch substantiell, noch nicht funktionell. Das Bild des Gewitters ist Wirklichkeit, noch nicht als Bild wirklichkeitsbildend. Dem entspricht, dass Spento il diurno raggio in occidente zeitlich das erste und in der Anordnung das letzte Gedicht ist, das die teoria del piacere thematisiert:

Nella carriera poetica il mio spirito ha percorso lo stesso stadio che lo spirito umano in generale. […] La mutazione totale in me, e il passaggio dallo stato antico al moderno, seguì si può dire dentro un anno, cioè nel 1819. […]. Allora l’immaginazione in me fu sommamente infiacchita […]. (1517, Zib. 143sq.)

Diese «mutazione totale in me» wird retrospektiv 1820 als «passaggio dallo stato antico al moderno» inszeniert28 und zugleich zurückgebunden an jene fragmentarische Einbildungskraft, die aus dem Appressamento ein Fragment macht:

E s’io mi metteva a far versi, le immagini mi venivano a sommo stento, anzi la fantasia era quasi disseccata (anche astraendo dalla poesia, cioè nella contemplazione delle belle scene naturali ec. come ora ch’io ci resto duro come una pietra); bensì quei versi traboccavano di sentimento […]. Così si può ben dire che in rigor di termini, poeti non erano se non gli antichi, e non sono ora se non i fanciulli o giovanetti, e i moderni che hanno questo nome, non sono altro che filosofi. (1517, Zib. 143sq.; M.H.)

Wenn Naturszenen den modernen, philosophischen Dichter versteinern, lässt sich analog der Appressamento mit dem Io antico und der Frammento mit dem Io moderno gleichsetzen. Die Fragmentierung der ‹antiken› Einbildungskraft findet nicht nur durch Kürzung der Vorlage statt, sondern auch strukturell, indem eine donna die Rolle des Io antico einnimmt. Erst ihr Tod legitimiert sie als abschließendes Bild der teoria del piacere. Denn die Begierde nach Bildern des Unendlichen ist koextensionsal mit der Dauer der Existenz:

Questo desiderio e questa tendenza non ha limiti, perch’è ingenita o congenita coll’esistenza, e perciò non può aver fine in questo o quel piacere che non può essere infinito, ma solamente termina colla vita.29

Das entspricht strukturell der transzendentalen Erinnerung, die entreferentialisierte Bilder als uneigentlichen Ursprung hat. Innerhalb der Sammlung der Canti ist der Appressamento unverfügbar und entspricht damit der nicht erinnerbaren immagine fanciullesca (cf. Abschnitt 1), die nur fingiert werden kann. Dieses io mi fingo (cf. Abschnitt 2) erfüllt sich auf implizite Weise dennoch auch hier, indem der Kommentar-Einschub der Verse 22-27 die angelegte Beobachtungsperspektive bricht. Zugleich kommt der Beobachtung so eine doppelte Funktion zu, die die Makrostruktur spiegelt. Die donna steht für das Andere seiner selbst, da sie selbst nicht als Beobachtende ins lyrische Bild gerät. Zugleich ist sie als Nicht-Beobachtende paradoxerweise modern.30 Denn sie ermöglicht erst die Beobachtung aus der Perspektive eines Quasi-Io-antico, das die erhabene Natur als solche, d.h. natürlich31, wahrnimmt. Das moderne Ich kann das Gewitter nicht im antiken Modus wahrnehmen, aber die Fiktion eines ungebrochenen antiken Ichs ermöglicht die Illusion oder Vision einer solchen Naturerfahrung. Das ist mit einer doppelten Fragmentierung erkauft. Deshalb gilt für Leopardis Bildlichkeit: Bilder sind nicht Abbilder von etwas, sondern fragmentierte Bilder, die den Verlust der Abbildfunktion selbstreflexiv in ihre Bildlogik aufnehmen.

Das Fragment führt in den Versen 23, 24 und 30 lexikalisch die teoria del piacere ein, um so semantisch durch die Fragmentierung anzuzeigen, dass eine Bildlogik beobachtet wird, die sich dadurch auszeichnet, latent und retrospektiv zu sein. Diese Bezugsferne geht innerhalb von Leopardis Poetik einher mit einer Vagheit lyrischer Bilder, die vornehmlich auditiv evoziert werden. Entsprechend stellt der die Sinne überfordernde Lärm des Gewitters nicht mehr ein Sprachproblem dar, sondern ein Jenseits der Einbildungskraft:

e ’l rombar che la lingua dir non osa. (292, v. 72) ~ e il suon che immaginar l’alma non osa (v. 66)

Das Erhabene übersteigt nun die Sprache, da diese droht, unpoetisch zu werden, in dem Sinne, dass «parole» nicht mehr zur lyrischen Darstellung ausreichen.32 Der klassische Topos des Bildverbots im Erhabenen, das Kant eine «negative Darstellung»33 nennt, lässt sich auch eine negative Bildlichkeit nennen. Wenn die Seele bzw. «l’alma» nicht mehr poetische Bilder entwerfen kann – gleichsam kein ardire wagt («non osa») –, bricht die Sprache («la lingua dir») ab. Damit ist der Tod der donna auch ein Bild für das Scheitern der Sprache. Dieses Scheitern ist vorweggenommen im negativen Umschlag von piacere in paura (v. 30), in dieser «negative[n] Lust»34, die wiederkehrt im Scheitern der Einbildungskraft (cf. v. 66). Dieser «Bildverlust» ist ein «Weltverlust», insofern die Sprache nicht mehr welthaltig ist, da ihr Anschauung und Konstellationen abhandenkommen.35

Das Sich-Ängstigen – «paura» (v. 30), «spavento» (v. 42, 71) – des Herzens – «cor» (v. 24, 72), «alma» (v. 66) – tritt ein, anders als in L’infinito: «ove per poco | il cor non si spaura» (121, v. 7sq.). Entsprechend bedeckt am Ende der Entwicklung des Gewitters und des Gedichts die donna die Augen und wird – im etymologischen Sinne36 – mystisch:

Ella dal lampo affaticati e lassi

Coprendo gli occhi, e stretti i panni al seno,

Gia pur tra il nembo accelerando i passi. (vv. 67-69)

Dieser Blickverschluss – faustisch gesagt: diese Weltverdunklung37 – bedeutet ihren Tod; auch, da sie zu keiner doppia vista fähig ist. Die Entwicklung kulminiert in einem Augenblick – «momento» (v. 40, 73) – und einem «lampo» (v. 67, 74), der eine negative Epiphanie darstellt. Diese Bewegung, die mit einer Versteinerung abbricht, fragmentiert die Einbildungskraft des Io antico38: «[E]d ella era di pietra» (v. 76) führt eine Dauer39 des Bildes ein und beendet das Gewitterbild. Die zwei paradigmatischen Formen der Schock-Abwehr, die reflexive Distanz – wie in L’infinito –, die ein Sich-Ängstigen verhindert, und die Selbstbeobachtung – wie in La sera del dì di festa – sind im frammento nur angelegt. Der reflexive und funktionale Umgang mit Bildern ist noch defizitär. Deshalb könnte man das letzte eigenständige Gedicht der Canti verstehen als ein Appressamento della poesia.

In einem späten Zibaldone-Eintrag von 1828 formuliert Leopardi thesenartig eine poetologische Überlegung, die mit der Mimesis an einer «nuda natura» (1471, Zib. 16) im Widerspruch zu stehen scheint:

Il poeta non imita la natura: ben è vero che la natura parla dentro di lui e per la sua bocca. […] Così il poeta non è imitatore se non di se stesso. (2371, Zib. 4372sq.; M.H.)40

Spento il diurno raggio in occidente imitiert durch die Projektion auf die donna, die ohne Innerlichkeit ausgestattet ist, die Natur im Entfalten bzw. im «Spiegarsi» (v. 34). Das dominante Gewitter-Bild widerspricht scheinbar dem Zitat («non imita la natura»). Indem die donna einsteht für das Io antico, ist aber das implizite lyrische Ich doch ein «imitatore […] di se stesso». Dem negativ-dialektischen Bild der Lust, die zur Angst wird, entspricht das negative Bild der Versteinerung. Der Tod der donna als Phantom des eigenen Io antico wird damit medusaartig ins Bild gesetzt und erfährt zugleich eine dichterische Wiedergeburt. Vom Ende her gelesen bedeutet der erste Vers so gleichsam: Ex oriente lux!

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