Kitabı oku: «Lockdown, Homeschooling und Social Distancing – der Zweitspracherwerb unter akut veränderten Bedingungen der COVID-19-Pandemie», sayfa 26
3 Digitales Lernen in Berufsbezogenen Deutschkursen
Distanzlernen, E-Learning, digitales Lernen, online Lernen etc. werden – im Gegensatz zu anderen Bildungsbereichen – erst seit März 2020 im Arbeitsfeld Berufsbezogener DaZ-Unterricht thematisiert. Die bis dahin ausschließlich in Präsenz mit rund 20 Teilnehmenden durchgeführten Kurse wurden zunächst ausgesetzt und dann in digitaler Form ohne ausreichende Vorbereitung sowie Schulung von Lehrkräften fortgesetzt. Im Folgenden soll es nun darum gehen, wie der pandemiebedingten digitalen Wende in Berufsbezogenen DaZ-Kursen nach Maßgabe der dafür zur Verfügung stehenden Fachliteratur begegnet werden soll. Dafür werden didaktische Prinzipien und Qualitätskriterien für den digitalen Berufsbezogenen DaZ-Unterricht1 dargestellt und mit der Auffassung von Sprachaneignung als sozialer Praxis in Beziehung gesetzt.
Für den Berufsbezogenen DaZ-Unterricht wurden vor zehn Jahren Qualitätskriterien formuliert (vgl. Beckmann-Schulz/Kleiner 2011), die in einem Qualitätsrahmen für Integriertes Fach- und Sprachlernen (vgl. Laxczkowiak/Scheerer-Papp 2018) fortgeschrieben wurden. Diese werden auch für das Lernen mit digitalen Medien im Berufsbezogenen Deutsch herangezogen (vgl. Ransberger 2019) und bestehen aus drei Teilen:
1 Qualitätskriterien für den berufsbezogenen Deutschunterricht (Handlungsorientierung, Bedarfsorientierung, Teilnehmendenorientierung),
2 didaktisch-methodische Prinzipien des Unterrichtens mit digitalen Medien (Handlungsorientierung, Interaktionsorientierung, interkulturelle Orientierung, Lerneraktivierung und Lernerautonomie),
3 Kriterien für die Nutzung eines Tools (Anpassungsfähigkeit, Förderung der Reflexionsfähigkeit, Ermöglichen von Kooperation, Ermöglichen von Authentizität und Bedienerfreundlichkeit).
Dass die Qualitätskriterien mit den drei didaktischen Prinzipien zu kurz greifen, wurde für Präsenzkurse insbesondere hinsichtlich der Handlungs- und Teilnehmendenorientierung bereits diskutiert (vgl. Daase 2021b), was in diesem Sinne für digitale Kursumsetzungen gleichermaßen gilt. Dass die Ausrichtung der Kurse über Handlungsorientierung hinausgehen muss, ist im vorherigen Kapitel ebenfalls deutlich geworden.
Die didaktisch-methodischen Prinzipien, die den Qualitätsrahmen zum Einsatz von digitalen Medien bilden, übernimmt Ransberger (2019) in unveränderter, lediglich gekürzter Form von Brash und Pfeil (2017), die didaktische Prinzipien für den Deutsch als Fremdsprache (DaF)-Unterricht mit digitalen Medien festlegen. Diese Prinzipien wiederum werden in Auswahl dem analogen DaF-Unterricht entnommen (vgl. z.B. Funk 2010; Funk et al. 2014: 17–22). Der Transfer vom Analogen ins Digitale wird allerdings auch dort nicht ausreichend berücksichtigt. Grundlegend gilt, dass in einschlägiger Literatur in der Fremd- und Zweitsprachendidaktik des Deutschen das digitale Lernen als – um in der Wortwahl digitaler Anwendungen zu bleiben – Add-on zum analog stattfindenden Sprachkurs betrachtet wird (vgl. Brash/Pfeil 2017; Meister/Shalaby 2014; Rösler/Würffel 2014; Strasser 2014). Eine Ausnahme bildet Ransberger (2019), die konkrete Unterrichtsvorschläge für ausschließlich digitale Kursdurchführung für Berufsbezogenes Deutsch vorstellt, sich jedoch an den didaktisch-methodischen Prinzipien eines als Add-on verstandenen digitalen Unterrichts orientiert. Damit wird zum einen die unzureichende Beachtung des Grundverständnisses von Sprache und Sprachaneignung als sozialer Praxis (vgl. Daase 2021a, 2021c) fortgeschrieben, zum andern führt der Transfer der unveränderten Prinzipien aus dem Analogen ins Digitale zu möglichen Widersprüchen in den Unterrichtsvorschlägen. Dies soll nun anhand einer Kurzvorstellung der Prinzipien veranschaulicht werden.
Wie im vorherigen Kapitel bereits hervorgehoben, gilt Handlungsorientierung als eines der drei grundlegenden Prinzipien des Berufsbezogenen Deutschunterrichts (vgl. Beckmann-Schulz/Kleiner 2011). Auch in dessen digitaler Umsetzung werden die Lernenden als sozial und kommunikativ Handelnde gesehen (vgl. Brash/Pfeil 2017: 46), was das Verständnis von Sprache als Handlungsmittel voraussetzt sowie die Möglichkeit eröffnet, diese Handlung in sozialer Praxis anwenden zu können. Im Kontext der Berufsbezogenen DaZ-Kurse bedeutet das, dass der Unterricht arbeitsweltnahe Situationen sprachlich vermitteln soll und die Aufgaben so gestaltet werden sollen, dass sie sich an realen berufssprachlichen Anforderungen orientieren (vgl. Ransberger 2019: 8). Somit werden „mit Intentionen verknüpfte Aktivität[en]“ (Hirschauer 2004: 73) in den Blick genommen, also nur ein Ausschnitt von Praktiken, und diese in erster Linie sprachlich verstanden. Die Materialität und Körperlichkeit wird damit ebenso außen vorgelassen wie die Inszenierung implizierter Wissensformen. Handlungsorientierter Berufsbezogener DaZ-Unterricht – sowohl im Präsenzunterricht als auch in digitalen Formaten – kann lediglich das knowing that vermitteln, auf denen sprachliche Handlungen basieren, ermöglicht aber keine Einsozialisierung in das knowing how.
Im digitalen Unterricht ergibt sich eine weitere Herausforderung: Es stellt sich die Frage, ob die jeweils fokussierten Berufsbereiche, Arbeitsplätze oder spezifischen beruflichen Tätigkeiten in digitaler Form funktionieren können und welche nicht. Die Arbeitswelt hat sich mit dem Beginn der Pandemie in fast allen Berufsbereichen verändert. Vor allem (aber nicht ausschließlich) im Bildungsbereich fand und findet nicht zuletzt durch die veränderte Materialität mit der Verlagerung in den digitalen Raum eine Transformation der Praktiken statt. In anderen Bereichen (z.B. Pflege, Betreuung im Elementarbereich) kann zwar sicher auch eine Veränderung von Praktiken konstatiert werden, diese finden aber nach wie vor ausschließlich analog statt, so dass ihre (sprachliche) Vorbereitung in digitalen Formaten eine besondere Herausforderung für einen realitätsnahen Unterricht darstellt.
Generell ist zu sagen, dass eine digitale Umsetzung der Handlungsorientierung für die Vorbereitung auf Arbeitstätigkeiten in Präsenz nur in Grenzen umsetzbar ist. Letztlich ist dies aber ein weiterer Aspekt der Erkenntnis, dass ein Verständnis von Sprache als sozialer Praxis der aktuellen Kursorganisation widerspricht und dort nicht realisierbar ist: „Berufssprachliches Lernen fern vom Arbeitsplatz in dafür vorgesehenen Kursen und damit isoliert von den beruflichen Praktiken“ (Daase 2021a: 122) kann – auch im Präsenzunterricht – lediglich eine sprachliche Annäherung darstellen, durch den fehlenden Zugang zu den Praktiken können diese nicht angeeignet werden. Aus diesem Grund stellt z.B. der Unterrichtsvorschlag von Ransberger (2019: 14–21) zum Verbandswechsel aus dem Pflegebereich nur eine Annäherung an Handlungsorientierung dar. Für diese konkrete sprachliche Handlung ist jedoch die Körperlichkeit und Leiblichkeit für den Sprachaneignungsprozess notwendig, sodass der Unterrichtsvorschlag für den digitalen Raum eine sehr realitätsferne und wenig authentische sprachliche Annäherung an eine berufliche Handlung darstellt. Dies gilt für viele weitere Berufsbereiche bzw. Berufstätigkeiten, auf die in den Berufssprachkursen vorbereitet wird.
Für jegliches sprachliche Handeln ist der sozio-historische und soziokulturelle Kontext konstitutiv. Fachliche und kommunikative Handlungen am Arbeitsplatz sind arbeits- und betriebskulturell zu verstehen (vgl. Ransberger 2019: 10). Für die digitale Kursumsetzung gilt diesbezüglich das bereits zur Handlungsorientierung Dargelegte: Wenn im jeweiligen realen beruflichen Bereich Praktiken herrschen, die digital mehr oder weniger realisierbar sind bzw. eigenständige digitale Praktiken darstellen, kann auch die digitale Umsetzung des berufsbezogenen Deutschkurses diesem Prinzip zumindest tendenziell gerecht werden. Digitale Kursformate könnten im Vergleich zu analogen sogar profitieren, wenn in dem jeweiligen Beruf oder für den einzelnen beruflichen Tätigkeitsbereich z.B. Teamgespräche nun aufgrund der Pandemie auch in der beruflichen Praxis digital erfolgen. Letztendlich gilt aber auch hier, dass man in eine Betriebskultur nur einsozialisiert werden kann, wenn der Zugang zu dieser über die Teilhabe an den Praktiken vorhanden ist.
Ein weiteres didaktisches Prinzip im digitalen DaF-/DaZ-Unterricht ist laut Ransberger (2019) und Brash/Pfeil (2017) die Lernendenaktivierung, die direkt mit der Handlungsorientierung verbunden ist (vgl. Ransberger 2019: 10). Lernendenaktivierung zielt darauf ab, dass die Lernenden sich mit dem Lerngegenstand aktiv auseinandersetzen und dadurch effektiver lernen.2 Eine zentrale Rolle spielt bei diesem Prinzip auch die Reflexion der eigenen Lernprozesse (vgl. Brash/Pfeil 2017: 38). Es handelt sich ebenso wie bei der Interaktionsorientierung (s.u.) um ein Prinzip aus dem analogen Unterricht. Zentral ist hier die Frage nach dem Lerngegenstand, mit dem sich die Lernenden aktiv auseinandersetzen sollen. Im digitalen DaZ-Unterricht kann die Medien- und digitale Kompetenz bei einigen Lernenden schnell zum alleinigen Lerngegenstand werden. Brash und Pfeil (2017: 40) benennen dieses Problem nur implizit und schlagen zwei mögliche Lösungswege vor: den Ansatz use to learn statt learn to use oder den Ansatz Bring Your Own Device. Beide mögen im Blended-Learning-Format gut funktionieren, da die Lehrkraft und die Lernenden zumindest teilweise physisch im Unterricht anwesend sind. Sie kommunizieren über weitere Kanäle als nur verbal oder paraverbal, können auf ihre Körperlichkeit und weitere Artefakte zurückgreifen. Sie gestalten gemeinsam ein Raumklima, das alle Beteiligten durch ihre physische Anwesenheit wahrnehmen. Dies ist in einem ausschließlich digital organisierten DaZ-Unterricht, wie er aktuell in Pandemie-Zeiten durchgeführt werden muss, nicht möglich. Wenn die Sprachhandlungskompetenz noch nicht ausreichend vorhanden ist und die Kommunikation zwischen Lehrkraft und Lernenden auf Kamera und Mikrofon reduziert wird (oft auch nur eins davon, wie uns Lehrende in diesen Kursen berichteten), werden sowohl die Medien- als auch die digitalen Kompetenzen zum einzigen Lerngegenstand, der sprachlich sehr eingeschränkt (bis gar nicht) zu begleiten ist. Damit wäre zwar Lerneraktivierung als Prinzip vorhanden – die Lernenden setzen sich mit dem Lerngegenstand aktiv auseinander –, jedoch ist der Lerngegenstand ein anderer als in den Konzeptionen für (Berufsbezogene) DaZ-Kurse vorgesehen. Medien- und digitale Kompetenz stellen also eine entscheidende Voraussetzung dar, um an solchen Kursen teilnehmen zu können, die weiterhin dem Ausbau der berufssprachlichen Handlungskompetenz dienen sollen.
Ein sehr gutes Beispiel für das dargestellte Problem ist bei Ransberger (2019: 18f.) zu finden: In ihrem Unterrichtsvorschlag aus dem Pflegebereich soll die Unterrichtssequenz mit der Aktivität des Wortschatzsammelns begonnen werden – ein klassisches Beispiel aus dem Präsenzunterricht. In der digitalen Umsetzung schlägt Ransberger vor, dies mit dem Tool LearningApps und der Funktion Pinnwand durchzuführen. Damit kann – solange eine ausreichende Medien- und digitale Kompetenz aller Lernenden vorhanden ist – das Prinzip der Lernendenaktivierung umgesetzt werden, der Lerngegenstand ist in diesem Fall der (Fach-)Wortschatz zum in dieser Unterrichtseinheit behandelten Thema. Sollte die für diese Aktivität notwendige Medien- oder digitale Kompetenz der Lernenden nicht vorhanden sein (und dies von der Lehrkraft ggf. nicht erkannt oder nicht beachtet werden), wird diese im digitalen Kurs zum Lerngegenstand, mit dem sich die Lernenden aktiv auseinandersetzen sollen.
Unter Interaktionsorientierung wird verstanden, dass die Lernenden durch die Aufgabenstellung dazu angeregt werden, miteinander zu kooperieren, etwas auszuhandeln und zu erklären, andere zu verstehen und sich selbst verständlich zu machen. Zentral für dieses Prinzip ist der Prozess der Ko-Konstruktion: Durch den Austausch der Interaktionsbeteiligten, die das eigene Wissen untereinander aus- und verhandeln, werden neue Bedeutungen ko-konstruiert (vgl. Brash/Pfeil 2017: 30f.; Ransberger 2019: 10). In den Unterrichtsvorschlägen (vgl. Brash/Pfeil 2017; Hirsch 2020; Ransberger 2019) wird jedoch Interaktion mit Kooperation und Kollaboration gleichgesetzt bzw. das Verständnis von Kooperation und Kollaboration, welches digitalen Anwendungen zugrunde liegt, unterscheidet sich von jenem in der Zweitsprachendidaktik, insbesondere im Scaffolding (s.u.). Man könnte demnach entnehmen, dass Interaktion im Unterricht durch die Verwendung eines kollaborativen Tools gedeckt ist, da es Kooperation unter den Lernenden ermöglicht. Dabei muss nicht nur, aber vor allem im digitalen Raum die Aufgabenstellung oder eine Abfolge von Aufgaben im Sinne eines Szenarios sicherstellen, dass die Lernenden miteinander in einen dialogischen Austausch treten, der sich aus differenten Wissensbeständen oder Rollen ergibt – es ergeben sich also mindestens dieselben Anforderungen an die Gestaltung effektiver Gruppenarbeit wie generell im Unterricht (vgl. Littleton/Mercer 2013; Sato/Ballinger 2016). Ein kollaboratives Tool im digitalen Unterricht stellt lediglich eine Möglichkeit für Interaktion dar, es sichert jedoch nicht selbstredend die Ko-Konstruktion von Wissen. Diese muss vor allem durch eine gut durchdachte Aufgabenformulierung gewährleistet, also nicht nur ermöglicht, sondern von den Lernenden gefordert werden.
Die verwendeten Begriffe Interaktion, kooperieren und kollaboratives Tool (vgl. Ransberger 2019, 23–27; 31–35) sind somit irreführend. Damit werden gemeinhin drei unterschiedliche Kommunikationsstränge im Fremd- oder Zweitsprachenunterricht gekennzeichnet (vgl. Oxford 1997) bzw. sie sind im Sinne von Scaffolding (vgl. Hammond/Gibbons 2005; Salmon 2016) hierarchisch zu verstehen. Nach Oxford (1997: 444) zeichnet sich kooperatives Lernen durch einen hohen Grad der Aufgabenstrukturierung aus und ist „much more then just small-group work“. Im Zentrum des kooperativen Lernens steht die gesamte Lerner*innengruppe und nicht nur der*die individuelle Lernende, wie es der Fall beim kollaborativen Lernen ist (vgl. Oxford 1997: 445–448). Kollaboratives Lernen ist im Vergleich zum kooperativen Lernen theoretisch und epistemologisch fundierter und bietet einen hohen Grad an Flexibilität für die Aufgabenstellung (Oxford 1997: 449). So wie im Scaffolding (vgl. Hammond/Gibbons 2005) soll dadurch Lernen in der Zone of Proximal Development3 (vgl. Vygotsky 1978) stattfinden (vgl. Oxford 1997: 448). Letztendlich gilt, was als Voraussetzung guter – im Sinne von effektiver – Gruppenarbeit gilt: es muss reasoning sichtbar werden (vgl. Littleton/Mercer 2013). Um dem Interaktionsprinzip auch im digitalen DaZ-Unterricht gerecht zu werden, müssen kollaborative Tools entsprechend dem kooperativen Lernen eingesetzt werden, damit Interaktion und Kollaboration auch im Sinne von Peer-Scaffolding bzw. Collaborative Dialogue (vgl. Swain 2000) umgesetzt werden können und die falsche Gleichung im Sinne von „Interaktion im digitalen FSU = Einsatz von kollaborativen Tools“ vermieden wird.
Das Prinzip der Lernendenautonomie gehört auch außerhalb des digitalen Lernens zu einem höchst umstrittenen und sehr divers ausgelegten Begriff und Prinzip der Fremd- und Zweitsprachendidaktik (vgl. Schmenk 2010). Die Lernendenautonomie wird oft als allgemeines Erziehungsziel im Unterricht verstanden (vgl. Feld-Knapp 2010: 21), in dem Sinne, dass Lernende ihre Lernziele und -prozesse eigenverantwortlich bestimmen (vgl. Schmenk 2010: 12). Die mehr oder weniger körperliche Isoliertheit im ausschließlich digitalen Lernen führt dazu, dass diese situative und technizistische Assoziation dieses Prinzips oft mit digitalem Lernen verbunden wird (vgl. Schmenk 2010: 13f.). Als didaktisches Prinzip im digitalen DaF/DaZ-Unterricht wird von Brash und Pfeil (vgl. 2017: 61) insbesondere die Bedeutung der Reflexion eigener Lernprozesse, ‑voraussetzungen und -ressourcen hervorgehoben. Zu diskutieren wäre, warum der Begriff für einen Reflexionsprozess verwendet wird und ob dieses Prinzip nicht passender als Reflexionsförderung (eins der didaktischen Prinzipien von Funk 2010: 943) zu bezeichnen wäre.
Die dritte Dimension der Qualitätskriterien bezieht sich auf die Nutzung der digitalen Tools. Anpassungsfähigkeit, Förderung der Reflexionsfähigkeit und Bedienerfreundlichkeit zielen auf das Prinzip der Lernenden- und Bedürfnisorientierung sowie der Lerneraktivierung. Das Prinzip des Ermöglichens von Kooperation stößt aus unserer Sicht auf das bei der Interaktionsorientierung diskutierte Problem, bzw. vertieft noch die kritisierte Vereinfachung dieses Prinzips in der Unterrichtsumsetzung. Hinsichtlich des Ermöglichens von Authentizität kommt die Kritik der Handlungsorientierung und Interkulturalität erneut zur Geltung.
Bislang nicht ausreichend diskutiert wurde die Verzahnung der einzelnen Prinzipien: Wenn ein Unterrichtsvorschlag oder eine Unterrichtssituation einem der Prinzipien nicht gerecht werden kann, beeinträchtig dies zwangsläufig auch die Umsetzung der anderen Prinzipien.
Im Folgenden werden nun die dargelegten Grundlagen und Erkenntnisse aufeinander bezogen bzw. weitergedacht und die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen eines digitalen Unterrichts Deutsch für den Beruf anhand ausgewählter Beispiele diskutiert.
4 Deutsch für den Beruf in/aus der Distanz? – Möglichkeiten und Grenzen aus praxistheoretischer Sicht
Die große Herausforderung des aktuellen Distanzlernen im digitalen Raum ist sicher die Reduktion der Körperlichkeit bzw. die Veränderung der Materialität, was wiederum – da „sich Praktiken an den Körpern vollziehen“ (Bedorf 2015: 130, Herv. i. Orig.) – eine Transformation der Praktiken nach sich zieht. Dies lässt sich nicht nur grundsätzlich für alle Aneignungsprozesse konstatieren, sondern ist aktuell für unsere gesamte Lebensgestaltung deutlich erlebbar. Zwar ermöglichen vielfältige technische und digitale Anwendungen eine Kommunikation von Menschen über Räume hinweg, sobald aber mehr als zwei Leute an der digitalen Kommunikation im Videochat beteiligt sind, wird bereits deutlich, dass der für die mündliche Kommunikation so wichtige Augenkontakt nicht mehr gegeben ist. Zwar erlaubt es die Technik aus unserer subjektiven Sicht, unserem Gegenüber in die Augen zu schauen, für eine gelingende Kommunikation fehlt aber das bilaterale körperliche Erleben, die körperliche Resonanz. Unsere Gesprächspartner*innen können also nicht körperlich erleben, ob wir gerade sie oder jemand anderen anschauen und somit ansprechen. Dieses körperliche Erleben muss in Zeiten distanter digitaler Kommunikation symbolisch manifestiert werden („Ich schaue jetzt mal xy an.“), was die meisten von uns sicher erst lernen mussten. Hier haben also Irritationen stattgefunden, die zu einer Veränderung, einer Transformation der Praktik geführt haben.
Wie im vorherigen Kapitel bereits angedeutet, muss stark zwischen Berufsbereichen unterschieden werden. So lassen sich Praktiken wie die Wundversorgung oder die Kinder für die Draußenzeit fertigmachen nur schwer im digitalen Raum behandeln, zumal gerade letztere je nach expliziten und impliziten Wissensorientierungen in den einzelnen Kitas sehr unterschiedlich verstanden und umgesetzt wird. Die Vorbereitung und Moderation einer (digitalen) Sitzung im Management oder der Fallbericht in der Medizin sind dagegen sehr viel besser behandelbar. Dennoch gilt, dass die Szenariendidaktik bei aller o.g. Einschränkung das Mittel der Wahl bleibt. Durch die eigene Erstellung eines entsprechenden Szenarios durch die Lernenden kann zudem herausgearbeitet werden, welche Schritte und Handlungen der jeweiligen Praktik unterstellt sind. Zudem kann zur Veranschaulichung eine Anreicherung durch Videos erfolgen, deren Einsatz sich im digitalen Unterricht oft einfacher gestaltet als in der analogen Form, wenn man die technische Ausstattung mancher Unterrichtsräume bedenkt.
Zu den Vorteilen des Distanzlernens gehört die Möglichkeit, Kurse unabhängig von den Wohnorten der Teilnehmenden und vielmehr nach ihren beruflichen Erfahrungen und Zielen, aber auch nach ihren deutschsprachlichen Kompetenzen zusammenzusetzen. Je nach zeitlicher Durchführung und der Nutzung sowohl synchroner als auch asynchroner Durchführungsmodalitäten besteht zudem die Möglichkeit, dass die Kurse nicht nur von arbeitslosen Menschen besucht werden können, sondern dass Lernangebote stärker mit einer bereits bestehenden Arbeitstätigkeit verbunden werden können. Damit kann der Arbeitsplatz als Lernort genutzt und einbezogen werden, was wiederum dem Konzept des Lernens als sozialer Praxis bzw. dem situated learning im Sinne einer legitimate peripheral participation entspricht, sofern der Arbeitsplatz bzw. Vorgesetzte und Kolleg*innen entsprechend mit einbezogen werden und die legitimate peripheral participation ermöglichen und unterstützen. Gäste aus der beruflichen Praxis für einen Besuch im Kurs zu gewinnen, erweist sich in der digitalen Umsetzung als einfacher, da für diese mit weniger Aufwand umzusetzen. So kann z.B. das Szenario Bewerbung durch ein reales oder simulierendes Gespräch mit einer Personalleiterin an Authentizität gewinnen oder gar den Zugang zur entsprechenden Praktik bedeuten, was in analogen Kursen nicht möglich ist.
In Gesprächen mit Lehrenden und Lernenden zu ihren Erfahrungen wird zudem hervorgehoben, dass der sprachlichen Heterogenität der Lernenden besser begegnet werden kann, da der asynchrone Kursteil insbesondere für Differenzierung verwendet werden kann und die Lernenden selbst entscheiden können, wie oft sie sich z.B. ein Video einer Situation am Arbeitsplatz ansehen möchten.
Die grundlegende Herausforderung und Gefahr digitalen DaZ-Unterrichts im Allgemeinen und berufsbezogenem im Besonderen liegt jedoch darin, die Isolierung von den Praktiken noch zu verstärken. Dies stellt insbesondere für neu zugewanderte Personen ein Problem dar, deren außerunterrichtlichen Möglichkeiten des Zugangs zu deutschsprachlichem Input, der Verwendung der Zielsprache und eben zu Praktiken durch die soziale Distanz deutlich eingeschränkt waren. Brisant ist dies zudem dadurch, dass Neuzugewanderte unter dem Druck stehen, sich in kurzer Zeit Deutschkenntnisse auf vorab definierten Niveaus anzueignen.
Es muss darauf geachtet werden, dass sich viele Anwendungen zum Üben berufssprachlicher Handlungen eignen, nicht aber zum Einsozialisieren in Praktiken. Bei der grundlegenden Problematik, die sich aus der zurzeit geltenden Kursorganisation des BAMF ergibt, gilt dies allerdings auch für den Präsenzunterricht. Die für dieses Format erstellte Szenariomethode sollte demnach auch im digitalen Unterricht in den synchronen Kurszeiten umfänglich Einsatz finden – auch wenn damit nicht allen Praktiken in analogen Kontexten begegnet werden kann. Die Lernzeit könnte durch die gezielte Nutzung digitaler Medien erhöht werden (vgl. Brasch/Pfeil 2017: 23) – dies steht allerdings im Widerspruch zu der digitalen Lernrealität, in der viel synchrone und asynchrone (Lern-)zeit mit organisatorischen Kursaspekten, technischen Schwierigkeiten oder dem Aneignen digitaler Kompetenz oder der Anwendung neuer Tools verwendet wird. Zudem gilt in den Berufssprachkursen nur synchroner Unterricht als (finanzierte) Kurszeit, wodurch diese Vorteile des digitalen Lernens nicht genutzt werden können.
Hier ergibt sich aber auch ein wichtiger Aspekt für die Rückkehr in den Präsenzunterricht. Dieser könnte mehr als zuvor für Szenarien und Exkursionen sowie deren Vorbereitung verwendet werden. Online zur Verfügung stehende oder in Moodle o.ä. bereitgestellte Videos und digitale Recherchen könnten dies sinnvoll ergänzen. Übungszeit für sprachliche Grundlagen könnte stärker in die individuelle Arbeitszeit ausgegliedert und durch die Lehrenden tutoriert werden. Dies müsste aber in Kurskonzepten entsprechend finanziert werden, was eine generelle Überarbeitung der bisherigen Gestaltung der Kurse bedeutet, aber ein großer Gewinn wäre.