Kitabı oku: «Migrationsland Schweiz», sayfa 4

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«ELECTORAL REBELLION»

Die heutige Welt ist aber nicht nur durch Migration gekennzeichnet. Es fliessen auch Informationen, Geld, Waren und Schadstoffe über nationalstaatliche Grenzen. Dies führt dazu, dass die Politik eines Staates massive Effekte auf andere Staaten ausübt. Für die Demokratie stellt sich darum die Frage, ob Menschen, die jenseits der Grenzen eines Nationalstaats leben, aber trotzdem massiv von der Politik dieses Landes betroffen sind, in diesem Staat mitbestimmen sollten. Beschliesst ein Staat beispielsweise, an der Atomenergie festzuhalten, während ein benachbartes Land auf alternative Energiequellen setzt, so sind die Bürgerinnen und Bürger im benachbarten Land weiterhin dem Risiko der atomaren Energieerzeugung ausgesetzt; sie haben aber keine Möglichkeit, über diese Politik mitzubestimmen. Insbesondere mächtige und einflussreiche Länder üben einen massiven Einfluss auf Nachbarländer und oftmals weit über diese hinaus aus. So die USA, die mit ihrem «War on Drugs» Mexiko und andere lateinamerikanische Länder destabilisiert, oder die EU, die mit ihren subventionierten Landwirtschaftsexporten vielen Bäuerinnen und Bauern in Afrika die Erwerbsgrundlage ruiniert. Zu den wirtschaftlich mächtigsten Ländern gehört auch die Schweiz, die es mit ihrem Bankgeheimnis und den tiefen Steuern für multinationale Konzerne vielen anderen Ländern der Welt verunmöglicht, einkommensstarke Personen und Unternehmen angemessen zu besteuern.

Auch Deutschland ist ein mächtiges Land, dessen Politik für viele Menschen jenseits der deutschen Grenzen erhebliche Bedeutung hat, wie sich unter anderem bei der Eurokrise zeigte. Die Aktion «Electoral Rebellion» wollte ein Zeichen dafür setzen, dass es angebracht wäre, Menschen ohne deutschen Pass an der Wahl des deutschen Parlaments teilnehmen zu lassen. Bei der Bundestagswahl 2013 konnten deshalb deutsche Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme an eine nicht-stimmberechtigte Person im In- oder Ausland «verschenken». Dazu meldeten sie sich auf der Facebook-Seite «Electoral Rebellion» mit einem Post, in dem sie erklärten, dass sie ihre Stimme verschenken wollten.5 Nicht-stimmberechtigte Menschen konnten dort ihre Stimme einlegen, indem sie den Schenkenden kontaktierten und ihm mitteilten, welche Partei oder welche Kandidaten in ihrem Namen am Wahltag gewählt werden sollten. Der Schenkende trug diesen Wunsch dann in seinen Wahlzettel ein. Bis zum Wahltag am 22. September 2013 verschenkten mehrere 100 Deutsche über «Electoral Rebellion» ihre Stimme. Im Wahljahr standen in der Medienberichterstattung und in öffentlichen Debatten die Eurokrise und im Speziellen der prekäre Zustand des griechischen Staatshaushalts im Fokus. Auch Spanien befand sich zu jener Zeit unter dem Europäischen Rettungsschirm und kämpfte sich gerade aus der Krise. Es war daher nicht überraschend, dass «Electoral Rebellion» gerade in den südeuropäischen Ländern auf grosses Interesse stiess. Tausende Menschen aus Spanien, Griechenland, Italien und weiteren Ländern weltweit suchten bei «Electoral Rebellion» einen «vote-buddie», der ihnen seine Stimme lieh, oder sie beteiligten sich an den Diskussionen auf der Plattform. Die Aktion löste ein enormes Interesse bei Print- und Online-Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen in Deutschland wie auch in Spanien aus.

Das Verschenken der Stimme bei «Electoral Rebellion» trägt einen stark symbolischen Charakter. Ziel der Aktion war es, dass Deutsche mit Nicht-Deutschen ins Gespräch kommen und sich über die unterschiedlichen Perspektiven und die eigene Betroffenheit über die deutsche Politik unterhalten. Darüber hinaus sollte ein Nachdenken über die Grenzen nationaler Demokratie angeregt werden. Luisa, eine 28-jährige Deutsche, war eine Teilnehmerin von «Electoral Rebellion», die ihre Stimme verschenkte. «Electoral Rebellion ist eine tolle Möglichkeit, gegen den Mangel an Demokratie in der globalen Politik zu protestieren. Ich liebe mein Wahlrecht – gerade deshalb will ich es jemandem schenken, der von der Macht der Bundesregierung genauso betroffen ist wie ich», sagte sie. Ihre Stimme bekam Joan Marc aus Spanien, 38 Jahre alt. Er begründete seine Teilnahme bei der Aktion so: «Ich finde es nicht richtig, dass die Leute, die über die Zukunft meines Landes mitbestimmen, sich vor uns nicht verantworten müssen. Denn wir müssen die Konsequenzen ihrer Entscheidungen tragen.»

Eine ähnliche Aktion hatte bereits 2010 in Grossbritannien stattgefunden. Im Rahmen der Kampagne «Give Your Vote» anlässlich der Parlamentswahlen verschenkten Tausende Briten ihre Stimme an Menschen in Afghanistan, Bangladesch und Ghana.6 Im Januar 2013 verschenkten Israelis bei der Parlamentswahl über «Real Democracy» ihre Stimmen an Palästinenserinnen und Palästinenser.7 Alle «Wahlrebellionen» wurden von politischen Aktivistinnen und Aktivisten des weltweiten Netzwerks Egality initiiert. Sie setzen sich für demokratische Strukturen auf globaler Ebene ein, indem sie durch Aktionen wie «Electoral Rebellion» politische Debatten anstossen.

«ELECTORAL REBELLION» IN DER SCHWEIZ

Die Aktivistinnen und Aktivisten von «Electoral Rebellion» wollen primär darauf hinweisen, dass nationale Politik heute internationale Effekte besitzt und die Beschränkung der demokratischen Mitbestimmung auf die Bürgerinnen und Bürger oder aber auch auf die Bewohnerinnen und Bewohner eines Landes darum nicht mehr zeitgemäss ist.

Die Aktion «Electoral Rebellion» könnte in Zukunft vermehrt darauf abzielen, Emigrantinnen und Emigranten zum «verschenken» ihrer Stimme zu bewegen. Denn so schwer sich die meisten Demokratien bei der Inklusion von Immigrierenden in ihr Stimmvolk tun, so leicht fällt es ihnen offensichtlich bei den Emigrierten. Viele Länder erlauben ihren Ausgewanderten, die Staatsangehörigkeit ihres Herkunftslands zu behalten. Manchmal geht dies so weit, dass auch die Kinder und Enkel der Ausgewanderten noch die Staatsbürgerschaft des Herkunftslands besitzen. Darüber hinaus erlauben die meisten Länder ihren Auslandsbürgern, sich bei Abstimmungen und Wahlen im Herkunftsland zu beteiligen. In der nahen Zukunft könnte sich die Beteiligung der Auslandsbürger deutlich erhöhen, wenn die elektronische Stimmabgabe flächendeckend eingeführt werden sollte.

Aus der Perspektive der normativen Demokratietheorie ist das Stimmrecht für Menschen, die nicht oder nicht mehr dem Rechtssystem eines Landes unterworfen sind, sehr umstritten. Wir zeigen in unserer eigenen Forschung am Politikwissenschaftlichen Seminar an der Universität Luzern, dass Auslandsbürgerinnen und -bürger – genauso wie Doppelbürgerinnen und -bürger – für die Demokratie in einer grenzüberschreitend verflochtenen Welt durchaus einen wichtigen Beitrag liefern, weil sie die Perspektive der «externen Anderen» in die nationale Willens- und Politikformulierung einbringen.8 Für jeden normativen Demokratietheoretiker ist aber klar, dass die Inklusion von Migrantinnen und Migranten eine wichtigere Anforderung an die heutige Demokratie ist als die Inklusion der emigrierten Bürgerinnen und Bürger. Durch das Verschenken ihrer Stimme könnten demokratiebewusste Migranten daher dazu beitragen, dass auch wirklich diejenigen, die mitstimmen sollten, auch mitstimmen können.

Zwei der drei Autoren dieses Beitrags haben dies bereits umgesetzt: Der in der Schweiz lebende Deutsche hat sein Stimmrecht in Deutschland einer in Berlin lebenden Ausländerin geschenkt, und ihr so ermöglicht, das Ergebnis der Bundestagswahl im Jahr 2013 mitzubestimmen; die in Deutschland lebende Schweizerin gestattete es dem in der Schweiz lebenden Deutschen, seine Meinung bei drei Sachabstimmungen in Stimmen zu verwandeln. Nachahmende sind sehr erwünscht! Damit es aber nicht beim individuellen Stimmentransfer bleibt, sind insbesondere Organisatoren für eine «Electoral Rebellion» in der Schweiz gesucht.

Joachim Blatter ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Luzern. Er lehrt und forscht zum Wandel von Regierungs- und Demokratieformen. Clemens Hauser ist Sozialarbeiter, seit 20 Jahren in der Beratung und Begleitung von Migranten tätig und Vorsitzender der Migrantenselbstorganisation Freiburger Wahlkreis 100 % e. V. Sonja Wyrsch studierte Internationale Beziehungen an der Universität Genf und arbeitet zurzeit als Projektkoordinatorin für entwicklungspolitische Bildung in Berlin.

VORSCHLAG 3


Loyalität erhöhen durch doppelte Staatsbürgerschaft
ANDREA SCHLENKER

«Doppelbürger unter Generalverdacht»1 – dieser Vorwurf hat eine gewisse Tradition. Seit der Etablierung moderner Nationalstaaten wurden Menschen mit zwei Pässen mit Argwohn beäugt, da das Recht, Bürger oder Bürgerin eines Landes zu sein, lange Zeit exklusiv gedacht wurde. So versuchten internationale Normen und nationale Gesetzgebungen bis Mitte des 20. Jahrhunderts, doppelte Staatsbürgerschaft zu verhindern. In den letzten 20 Jahren hat sich dies stark geändert. Heute wird das Recht auf zwei oder mehr Pässe weltweit in immer mehr Ländern akzeptiert oder zumindest toleriert.2 In einigen Ländern, wie zum Beispiel Deutschland, bleibt dieses Recht jedoch sehr umstritten. Die Schweiz gehört hier für einmal nicht zu den Nachzüglern, denn sie akzeptiert doppelte Staatsbürgerschaft bereits seit 1992. Heute besitzen über 10 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer und gut 73 Prozent aller Auslandschweizerinnen und -schweizer einen zweiten Pass. Allerdings wird dieses Recht auch in der Schweiz immer wieder in Frage gestellt. Bereits 2004 lancierte die SVP eine – letztlich erfolglose – Motion zur Abschaffung der Doppelbürgerschaft.3 Und erst jüngst forderten SVP-Politiker durch Vorstösse auf nationaler und kantonaler Ebene die Aufhebung des Rechts, gleichzeitig stimmberechtigter Bürger verschiedener Staaten zu sein.4

In der Debatte um Doppelbürgerschaft wird von deren Gegnern immer wieder argumentiert, man könne nicht zwei Staaten gegenüber loyal sein; doppelte Staatsbürgerschaft unterminiere die Integration, den nationalen Zusammenhalt und die Demokratie.5 Die Befürworter hingegen betonen, dass die Akzeptanz doppelter Staatsbürgerschaft ein Willkommenszeichen gegenüber Zuwanderern sei, indem ihre Bindungen an das Herkunftsland anerkannt würden; sie erhöhe die Einbürgerungswilligkeit und befördere dadurch die politische Integration im Aufenthaltsland.6 Befürchtungen wie auch Hoffnungen, die mit doppelter Staatsbürgerschaft verbunden sind, beruhen häufig auf Spekulationen.

Wie aber sieht es mit der empirischen Evidenz aus? Sind Doppelbürger tatsächlich weniger loyal gegenüber der Schweiz, identifizieren sie sich weniger mit ihr und beteiligen sie sich weniger politisch? Und wie sieht es mit dem transnationalen oder gar kosmopolitischen Engagement von Doppelbürgern aus? Aktuelle Studien, die auf Umfragedaten unter Schweizer Doppelbürgerinnen und -bürgern im In- und Ausland beruhen, liefern dazu aufschlussreiche Hinweise. Sie legen nahe, dass doppelte oder mehrfache Staatsbürgerschaft die politische Loyalität gegenüber diesen Staaten nicht schwächt. Im Gegenteil: Gerade auch aus einer transnationalen Perspektive bringt sie ein Mehr an Loyalität.

EXKLUSIVE UND INKLUSIVE ZUGÄNGE ZUM STAATSBÜRGERSCHAFTSKONZEPT

In der Debatte um doppelte Staatsbürgerschaft stehen häufig die Auswirkungen auf die politische und soziopsychologische Integration von Eingewanderten in ihr Aufenthaltsland im Mittelpunkt. Weniger prominent diskutiert, letztlich aber ebenso relevant sind die Konsequenzen für die Bindung an das Herkunftsland und das dortige Engagement. Wie man die Auswirkungen eines zweiten Passes auf Integration und Demokratie im Herkunfts- und im Aufenthaltsland bewertet, hängt eng mit der eigenen Vorstellung von nationaler Identität, Loyalität und Zugehörigkeit zusammen. Werden diese Konzepte singulär und exklusiv gedacht, geht man von einem Trade-off aus: Mehrfachzugehörigkeiten führen aus dieser Perspektive zwangsläufig zu weniger Identifikation und Beteiligung im Aufenthaltsland oder zu einer entsprechend reduzierten Bindung an das Herkunftsland. Doppelte Staatsbürgerschaft ist aus dieser Sicht eine Form von Bigamie, die durch die vorhandene «Exit-Option» Patriotismus untergräbt. Auch rationalistische und weniger identitätsbezogene Argumente bauen darauf auf, dass sich Individuen aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen nur in einem Land sinnvoll politisch beteiligen könnten; Mitglieder mehrerer politischer Gemeinschaften konzentrierten ihre Anstrengungen in der Regel auf ein Land und könnten ihrer Verantwortung zwei Ländern gegenüber nicht gerecht werden.7 Doppelte Staatsbürgerschaft verringert aus dieser Sicht die politische Identität und das Engagement, da Aufmerksamkeit, Motivation und Loyalität auf zwei Länder aufgeteilt werden müssten. Diese Perspektive kann als traditionell bezeichnet werden, da sie – ganz im Sinne des Nationalstaatenkonzepts – exklusive Zugehörigkeit und daher eine Loslösung vom Herkunftsland und vollständige Assimilation im Aufenthaltsland erwartet.8

Die Befürworter doppelter Staatsbürgerschaft argumentieren anders. Sie gehen davon aus, dass viele Menschen heute multiple soziale Identitäten haben und sich transnational engagieren und binden können. Mehrfachzugehörigkeiten müssten deshalb keine negativen Auswirkungen haben – im Gegenteil: Wird die Vergangenheit der Eingewanderten anerkannt, die Bindung an ihr Herkunftsland akzeptiert, so sei dies ein wichtiges Willkommenszeichen des Aufenthaltslands und ein Akt der Anerkennung, was wiederum Zugehörigkeitsgefühle und politisches Engagement fördere.9 Die Möglichkeit, in mehreren Ländern vollwertiges Mitglied zu sein, erhöhe das Selbstwertgefühl Migrierender und damit das Interesse und die Bindung an das Aufenthaltsland, ohne dass ihr Engagement im Heimatland reduziert würde.10 Aus dieser transnationalen Perspektive hat doppelte Staatsbürgerschaft keinen negativen Einfluss auf die politische Integration, weder im Aufenthaltsnoch im Herkunftsland. Sie steigert vielmehr Identifikation und Partizipation in beiden Ländern.11

Eine dritte Perspektive nimmt das Potenzial doppelter Staatsbürgerschaft und mögliche Konsequenzen für die Demokratie jenseits nationaler Grenzen in den Blick. Der multiple Status von Personen mit Mehrfachzugehörigkeiten relativiere die Bedeutung nationaler Grenzen und könne daher Grundlage für komplementäre, kosmopolitische Orientierungen sein. Tourismus und global verbreitete Medien ermöglichen den Kontakt mit unterschiedlichsten sozialen, kulturellen und politischen Akteuren, doch bei Migrierenden, die freiwillig oder unfreiwillig ihren Lebensmittelpunkt in ein anderes Land verlegen, ist dieser Kontakt viel intensiver. Potenziell führen ihre transnationalen sozialen Kontakte und Netzwerke daher auch zu mehr kosmopolitischen Einstellungen und Identitäten. Das müssen sie aber nicht in jedem Fall: Zwei Pässe sind häufig auch schlicht eine praktische Sache, und deren Besitz muss nicht zwangsläufig mit tieferen Zugehörigkeitsgefühlen verbunden sein. Ob Doppelbürger eine kosmopolitische Avantgarde darstellen, ist daher letztlich eine offene Frage.

EMPIRISCHE EVIDENZ

Durch Studien belegt ist hingegen, dass die Akzeptanz doppelter Staatsbürgerschaft im Aufenthaltsland mit tieferen Hürden für eine Einbürgerung einhergeht und dadurch zu höheren Einbürgerungsraten führt.12 Erst jüngst konnte eine Studie für die Schweiz auch nachweisen, dass Einbürgerung die politische Integration von Eingewanderten positiv beeinflusst.13 Zwei weitere Studien untersuchten, ob doppelte oder mehrfache Staatsbürgerschaft zu weniger Integration im Aufenthaltsland führt.14 Grundlage waren Daten zweier Online-Umfragen, die 2013 und 2015 im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Forschungsprojekts durchgeführt wurden.

In der ersten Umfrage wurden Daten zur politischen Identität und zum Engagement unter Doppelbürgern sowie unter Kontrollgruppen in der Schweiz erhoben. Die zweite Umfrage ergänzte diese Daten, indem Auslandschweizer mit und ohne zweiten Pass in acht Ländern weltweit befragt wurden. Während Identifikation anhand von kognitiven Selbstbeschreibungen, emotionalen Zugehörigkeitsgefühlen sowie Solidaritätsäusserungen gemessen wurde, galten als Kriterien für den Grad an politischer Beteiligung Bekundungen politischen Interesses und Wissens, Wahlbeteiligung sowie nichtelektorale Formen politischer Beteiligung. Diese Indikatoren können auch als Formen von Loyalität interpretiert werden, denn Loyalität ist einerseits eine affektive Bindung15 und andererseits eine Haltung, die gegenüber einer Sache verpflichtet.16 Die Umfrage in der Schweiz wurde unter 1764 eingebürgerten und autochthonen Schweizerinnen und Schweizern mit und ohne zweiten Pass sowie unter Ausländerinnen und Ausländern aus Deutschland, Frankreich, Italien und dem Kosovo mit dauerhaftem Aufenthalt in der Schweiz durchgeführt.

Das Ergebnis der Studie: Doppelbürger unterscheiden sich im Ausmass ihrer Loyalität gegenüber der Schweiz nicht von Schweizern mit nur einem Pass.17 Es gibt keinen signifikanten Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen von Bürgerinnen und Bürgern, weder im Ausmass der Identifikation noch im Ausmass der politischen Beteiligung.18 Ansässige Ausländerinnen und Ausländer beteiligen sich hingegen deutlich weniger an Schweizer Politik. Direkt gefragt, in wessen Interesse sie sich politisch beteiligen, antworteten Doppelbürger sogar signifikant häufiger als Einfachbürger, Schweizer Interessen zu berücksichtigen. Das Einwanderungsland Schweiz scheint durch die Akzeptanz doppelter Staatsbürgerschaft somit eher zu gewinnen als zu verlieren, nicht zuletzt, weil sie die ansonsten schon mit grossen Hürden verbundene Einbürgerung erleichtert.

Wie sieht es bei Doppelbürgerinnen und Doppelbürgern im Ausland aus? Findet sich hier jene oft unbegründet vermutete Illoyalität gegenüber der Schweiz? Die Ergebnisse der Umfrage unter Auslandschweizern liefern wiederum keinen Beleg für die traditionelle Perspektive. Aufschlussreich ist ein Vergleich von 2559 befragten Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern mit und ohne zweiten Pass in den vier für Schweizer Auswanderer beliebtesten Zielländern Deutschland, Frankreich, Italien und den USA.19 Die Untersuchung ergab, dass jene Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, die nebst dem Schweizer auch den Pass ihres Aufenthaltslands haben, sich etwas weniger mit der Schweiz identifizieren. Hierbei scheint jedoch weniger der formale Status relevant zu sein als vielmehr die Bereitschaft, sich mit einem Land überhaupt zu identifizieren. Denn interessanterweise identifizieren sich jene Doppelbürger, die sich ihrem Aufenthaltsland zugehörig fühlen, wiederum auch mehr mit der Schweiz als jene, die dies nicht tun. Dasselbe gilt für die politische Beteiligung in der Schweiz. Engagieren sich Auslandschweizer in ihrem Aufenthaltsland, so werden sie als Schweizer Bürger nicht weniger loyal, da sich gerade jene Auslandschweizer in ihrem Heimatland einbringen, die sich zugehörig fühlen und informiert sind, unabhängig davon, ob sie Doppelbürger sind.

Identifikation mit und politische Beteiligung im Aufenthaltsland scheinen also positiv mit äquivalenten Gefühlen und Aktivitäten im Herkunftsland verbunden. Ein zweiter Pass und Loyalität zum Heimatland gehen Hand in Hand, Loyalität gegenüber dem Aufenthaltsland einerseits und dem Heimatland andererseits ebenfalls. Entscheidender als der formale Status scheint für eine Demokratie daher die Frage zu sein, ob sich Doppelbürgerinnen und Doppelbürger generell zugehörig fühlen, ob sie sich für Politik interessieren und sich aktiv einbringen. Ist dies der Fall, tun sie es in der Regel sowohl in ihrem Aufenthalts- als auch in ihrem Herkunftsland. Die Studie bestätigt also eher die transnationale Perspektive als die traditionelle, die von einer Abnahme politischer Identität und Beteiligung bei Doppelbürgerschaft ausgeht.

Und wie steht es um die Förderung kosmopolitischer Einstellungen und Identitäten durch doppelte Staatsbürgerschaft? Die Umfrageergebnisse der Studie in der Schweiz mit Blick auf kosmopolitische Einstellungen wie Akzeptanz kultureller Diversität, Einwanderung und transnationale Rechte, Identifikation und Solidarität mit Europa oder als Weltbürger sowie globale Formen politischer Partizipation zeigen, dass Doppelbürgerinnen und Doppelbürger sowie Ausländerinnen und Ausländer eher kosmopolitische Einstellungen aufweisen als Schweizerinnen und Schweizer mit nur einem Pass. Im Hinblick auf universale Identitäten und Solidarität unterscheiden sich Doppelbürgerinnen und Doppelbürger nicht signifikant von Einfachbürgern, doch beteiligen sich jene mit zwei Pässen signifikant mehr an globaler Politik als Einfachbürger. Doppelbürger scheinen also nicht in jeder Hinsicht eine kosmopolitische Avantgarde zu sein. Als bisweilen vermehrt global aktive Bürger tragen sie jedoch durchaus zu kosmopolitischer Bürgerschaft bei.

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