Kitabı oku: «Nachhaltig leben lernen»

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NACHHALTIG LEBEN LERNEN

Melanie Erlinger (Hg.)

Internationale Pädagogische Werktagung Salzburg

Tagungsband der 69. Tagung 2021

Katholisches Bildungswerk Salzburg

F.W.-Raiffeisenstraße 2, 5061 Elsbethen, Österreich

www.bildungskirche.at

Mit freundlicher Unterstützung der Universität Salzburg

und der Caritas Österreich.

Anmerkung

Die in diesem Band gesammelten Texte spiegeln die Gedanken und Auffassungen der Autorinnen und Autoren wider.

Für die Korrektheit der Zitationen zeichnen allein diese verantwortlich.

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie: Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2022 Verlag Anton Pustet

5020 Salzburg, Bergstraße 12

Sämtliche Rechte vorbehalten.

Umschlagbild: © rangizzz 2022,

mit Genehmigung von shutterstock.com

Grafik, Satz und Produktion: Tanja Kühnel

Lektorat: Anja Zachhuber

Auch als Buch

ISBN 978-3-7025-1041-1

eISBN: 978-3-7025-80940

www.pustet.at

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Melanie Erlinger

Verstehen und aktiv werden – was uns der vergangene Sommer über den Klimawandel sagen will

Andreas Jäger

Gemeinsam Zukunft gestalten – Bildung für nachhaltige Entwicklung im Kindergarten ermöglichen

Barbara Benoist-Kosler

Nachhaltigkeit als Konflikt

Lothar Böhnisch

Von den Mühen und dem Glück des Verzichts – Suffizienz als Schlüssel zur Nachhaltigkeit

Michael Rosenberger

Weniger ist mehr?! Wie lässt sich ein nachhaltiger Lebensstil konkret gestalten?

Podiumsdiskussion

Verabschiedung

Anton A. Bucher

Autorinnen und Autoren

Herausgeberin

Wir dürfen JETZT unseren Beitrag leisten, um eine lebenswerte Zukunft zu schaffen für weitere Generationen – für die Kinder, die wir begleiten.

Im Kindergartensprengel Mühlbach (Südtirol) gibt es seit 2018 den pädagogischen Schwerpunkt „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ (in Hinblick auf die soziale, kulturelle, ökologische und ökonomische Dimension).

Bei der 69. Internationalen Pädagogischen Werktagung wurden die Erfahrungen in Form eines Posterwalks im Foyer der Großen Universitätsaula präsentiert. Das Zitat stammt von Ulrike Pircher, sie ist geschäftsführende Direktorin des Kindergartensprengels Mühlbach in Südtirol.

Melanie Erlinger
Vorwort

Die globale Erwärmung schreitet voran: Der europäische Sommer 2021 war der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen des europäischen Klimawandeldienstes Copernicus im Jahr 1979 (Copernicus Climate Change Service 2021). Der Klimawandel ist von uns Menschen gemacht und kann nur durch einen nachhaltigen und ökologischen Lebensstil gestoppt werden. Die Internationale Pädagogische Werktagung befasst sich aus interdisziplinärer Sicht mit diesem brennenden Problem und geht der zentralen Frage nach: Was kann in Pädagogik und Bildung getan werden, um Nachhaltigkeit konkret umzusetzen?

Der Meteorologe Andreas JÄGER stellt fest, dass der Klimawandel weiter voranschreitet, wenn nicht unverzüglich ein Umstieg von der fossilen Kohle- und Ölwirtschaft auf eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft gelingt. Mit aktuellen Beispielen und interessanten historischen Vergleichen aus der Klimageschichte regt sein Beitrag zum Nachdenken und Handeln an.

Wie solch eine Entwicklung hin zu einer naturverträglichen und verantwortungsbewussten Gesellschaft konkret in der Praxis von elementaren Bildungseinrichtungen gestaltet werden kann, zeigt die Bildungs- und Sozialwissenschafterin Barbara BENOIST-KOSLER eindrucksvoll am Beispiel „Bildung für nachhaltige Entwicklung im Kindergarten“ auf. Anhand von ausgewählten SDGs (Sustainable Development Goals = nachhaltige Entwicklungsziele) aus der Agenda 2030 wird nachhaltige Entwicklung als gemeinsamer Such-, Lern- und Gestaltungsprozess vorgestellt.

Lothar BÖHNISCH, Experte für Sozialpädagogik und Sozialisation der Lebensalter, bestimmt Nachhaltigkeit dialektisch im Spannungsfeld zwischen ökonomischer, konsumtiver Externalisierung und der Sorge um Mensch und Natur (Care). Darüber hinaus zeigt er auf, welchen Beitrag sozialpädagogische Arbeitsfelder zur Nachhaltigkeitsbildung leisten können.

Aus moraltheologischer Sicht schildert der Theologe und Umweltsprecher Michael ROSENBERGER, wie mit Ansätzen der klassischen Tugendethik mehr Genügsamkeit als Schlüssel zu einem zufriedeneren Leben und einer besseren Welt erreicht werden kann. Es wird auch aufgezeigt, welche ökonomischen Stützen benötigt werden, um die Menschen für einen bescheideneren Lebensstil langfristig zu motivieren.

Um die interessanten Wortmeldungen, die während der PODIUMSDISKUSSION „Weniger ist mehr?! – Wie lässt sich ein nachhaltiger Lebensstil konkret gestalten?“ in der Universitätsaula gefallen sind, zu bewahren, wurde diese Diskussion von der Herausgeberin transkribiert. Herausgekommen ist dabei eine spannende Nachlese mit vielen wichtigen Denkanstößen und Inputs sowohl von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung als auch von den Expertinnen und Experten am Podium.

Den Abschlussvortrag hielt in diesem Jahr der ehemalige Prior des Europaklosters Gut Aich, Pater Johannes PAUSCH. Der Pädagoge und Psychotherapeut erläuterte, welche theoretischen und praktischen Ansätze Spiritualität und Ökologie für den Alltag bieten, vor allem, wenn diese mit viel Engagement und Kreativität vermittelt werden. Dieser Vortrag ist in diesem Tagungsband nicht verschriftlicht, sondern nur als Vortragsmitschnitt beim Veranstalter erhältlich.

Der Präsident der Internationalen Pädagogischen Werktagung und Religionspädagoge Anton A. BUCHER beschloss die Tagung mit einem fulminanten Resümee und einer vielversprechenden Vorschau auf die Jubiläumsveranstaltung im Jahr 2022.

Der vorliegende Dokumentationsband zur 69. Internationalen Pädagogischen Werktagung soll Pädagoginnen und Pädagogen sowie alle Interessierten ermutigen und als Motivationsschub dienen, sich mit diesem globalen Wandlungsprozess Stück für Stück und mit Freude auseinanderzusetzen, um gemeinsam etwas zu bewegen und zu gestalten. So wie es Papst Franziskus in „Laudato si’“ formuliert: „Wir brauchen eine neue universale Solidarität. […] Alle können wir als Werkzeuge Gottes an der Bewahrung der Schöpfung mitarbeiten, ein jeder von seiner Kultur, seiner Erfahrung, seinen Initiativen und seinen Fähigkeiten aus“ (LS 14, S. 16). In diesem Sinne, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre.

Literatur

Copernicus Climate Change Service, C3S (Stand 07.09.2021): Warmest summer for Europe by small margin; August globally joint third warmest on record. Online: https://climate.copernicus.eu/copernicus-warmest-summer-europe-small-margin-august-globally-joint-third-warmest-record [18.10.2021]

Franziskus, Enzyklika Laudato si’ über die Sorge für das gemeinsame Haus (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 202, hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz), Bonn 2015. Online: http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2015/VAS_202.pdf [18.10.2021]

Andreas Jäger
Verstehen und aktiv werden – was uns der vergangene Sommer über den Klimawandel sagen will
Zusammenfassung

Die verheerenden Naturkatastrophen im diesjährigen Sommer sind alarmierende Weckrufe des laufenden globalen Klimawandels. Um ihn abzubremsen, sind die kommenden zwanzig bis dreißig Jahre entscheidend. Wir müssen jetzt handeln: Unser fossiler linearer Lebensstil gehört auf einen nachhaltigen – im Kreislauf arbeitenden – umgestellt. Das ist möglich.

1.Einleitung

Der vergangene Sommer 2021 hat uns wachgerüttelt. Die scheinbar unzusammenhängende Abfolge von Naturkatastrophen begann am 24. Juni: Im tschechischen Mähren an der Grenze zu Niederösterreich zerstörte ein verheerender F4-Tornado fünf Dörfer bis auf die Grundmauern. Fast gleichzeitig gab es eine nie dagewesene Gluthitze in Kanada mit anschließenden Feuersbrünsten, die wiederum wurden gefolgt von schwersten Überschwemmungen in Deutschland mit Toten und Schäden in Milliardenhöhe. Aber auch in Österreich kam es zu Überschwemmungen, Murenabgängen und schwersten Hagelgewittern. Zeitgleich wüteten weiter im Osten und Süden großflächige Waldbrände in Russland, der Türkei und in Griechenland. Katastrophen, die man im Einzelnen jeden Sommer erleben kann, die aber in Summe eindeutig das Muster des Klimawandels tragen – der immer mehr zur Klimakrise wird. In den Alpen sind wir diesen Sommer relativ glimpflich davongekommen – das Blatt kann sich aber schon das nächste Mal wenden. Dazu später mehr. Jetzt beschäftigen wir uns zuerst mit der Frage: Was war so außergewöhnlich an diesem Sommer und was hat das mit dem Klimawandel zu tun?

2.Kein Sommer wie damals

Das ist zugegebenermaßen sehr subjektiv und jede beziehungsweise jeder sieht es anders, aber angenommen, man könnte einen Nagel in die Temperaturkurve schlagen und die Klimaerwärmung auf dem heutigen Niveau fixieren, würde das vermutlich vielen gefallen. Unsere Sommer sind spürbar und messbar wärmer geworden, seit Rudi Carrell in den 1970er-Jahren „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“ lamentierte. Hier lohnt es sich, einen Blick auf den aufwendig homogenisierten Datenschatz der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) auf der Hohen Warte in Wien (Grafik 1) zu werfen, der bis ins 18. Jahrhundert in Mozarts Zeit zurückreicht:

Grafik 1: Sommerstatistik in Österreich seit Mozart, dem Beginn der instrumentellen Messungen. Zu sehen sind die überdurchschnittlich warmen (hellgrau) und kalten (dunkelgrau) Sommer im Vergleich zur Klimareferenzperiode 1961–1990, basierend auf dem ZAMG-Datensatz HISTALP Tiefland. Schwarz eingezeichnet ist die geglättete Trendlinie. Quelle: ZAMG

Auch im 18. und 19. Jahrhundert – noch während der Kleinen Eiszeit – gab es vereinzelte Sommer, die mit einem heutigen „modernen“ Sommer mithalten können. Aber sie waren die Ausnahme von der Regel. Die Schwankungen von Sommer zu Sommer waren damals sehr groß und in Grafik 1 überwiegen die dunkelgrauen Balken – das sind die kalten Sommer, die die negativen Abweichungen von der Klimareferenzperiode 1961–1990 anzeigen. Die Mehrheit der damaligen Sommer würden wir heute als viel zu kalt empfinden. Nicht zu reden vom „Jahr ohne Sommer 1816“, als es verbreitet zu Missernten kam und im darauffolgenden Winter die Menschen auch in Österreich verhungerten (Pfister 1999, S. 154). Das ist gut 200 Jahre her und es war die letzte große Hungersnot im Alpenraum. Die Ursache war eine Serie von schweren Vulkanausbrüchen in Asien. Das Fass zum Überlaufen brachte dann 1815 die besonders heftige Explosion des Vulkans Tambora auf Indonesien. Im darauffolgenden Sommer 1816 brachen die Ernten ein – nicht nur in Europa, sondern auch in Nordamerika. Schreiten wir nun über die dunkelgrauen und hellgrauen Balken weiter ins 20. Jahrhundert. Da sehen wir bis in die frühen 80er-Jahre relativ geringe Schwankungen um den Mittelwert, dunkelgraue und hellgraue Balken wechseln sich ab. Und dann, seit 1985, eine durchgehende Wand aus hellgrauen Balken: Seit 36 Jahren gibt es nur noch Sommer – wohlgemerkt rein auf die Temperatur bezogen, nicht auf den Regen –, die weit über dem Mittelwert des 20. Jahrhunderts liegen. Mit anderen Worten – wer heute 35 Jahre alt ist, weiß nicht, wie kalt ein Sommer noch im 20. Jahrhundert sein konnte. Für die Umwelt hat das Folgen: Die Seen und Flüsse werden immer wärmer und die Zusammensetzung der darin lebenden Tiere und Pflanzen ändert sich. Eine Studie der ZAMG für zwölf Seen in Österreich (vgl. ZAMG 2018) zeigte, dass die Wassertemperaturen seit 1880 bis zu 2 Grad Celsius gestiegen sind, am stärksten seit den 1980er-Jahren im Frühling und im Sommer. Wer also gerne Sonne und warme Badeseen hat, ist heute sicher besser bedient als noch vor 40 Jahren oder gar im 19. Jahrhundert. In den Städten kann man dagegen die Erwärmung seit den 80er-Jahren nicht nur positiv sehen, da ist die Hitze schon heute manchen zu viel.

Grafik 2: Markante Hitzewellen wurden in Deutschland, der Schweiz und Österreich seit den 1990er-Jahren deutlich häufiger: Auswertung von Hitzewellen mit einer Serie von mindestens 14 Tagen, an denen der Durchschnitt der täglichen Höchsttemperatur mindestens 30 Grad Celsius beträgt. Quelle: DWD

3.Die Hitze der Stadt

Als Rainhard Fendrich 1982 „die Hitze der Stadt ist im Sommer brutal“ in seinem damaligen Sommerhit „Oben ohne“ sang, nahm er die markante Zunahme der Hitzewellen in den Großstädten (Grafik 2) in den folgenden Jahrzehnten vorweg.

Die abgebildete Auswertung des Deutschen Wetterdienstes (DWD, Grafik 2) zeigt es unmissverständlich: Hitzewellen sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz in den letzten Jahrzehnten häufiger und länger geworden. Hitzewellen lassen sich unterschiedlich definieren. Eine Möglichkeit, um sehr extreme und lange Hitzewellen zu analysieren, ist folgende Definition: eine Serie von mindestens 14 Tagen, an denen der Durchschnitt der täglichen Höchsttemperatur mindestens 30 Grad Celsius beträgt. Nach dieser Definition waren markante, lange Hitzewellen in Deutschland, der Schweiz und Österreich vor dem Jahr 1990 relativ selten. In den letzten Jahren – speziell seit der Jahrtausendwende – wurden sie immer häufiger und kommen in vielen großen Städten mittlerweile ungefähr alle zwei bis vier Jahre vor, zum Beispiel in Wien, Klagenfurt, Innsbruck, Genf, Lugano, Basel, München und Frankfurt/Main. Selbst das relativ weit im Norden liegende Berlin erlebte seit der Jahrtausendwende bereits die vierte dieser markanten Hitzewellen.

Aus klimatischer Sicht ist das eine rasante Entwicklung. Aus menschlicher Sicht ist die Erwärmung so schleichend, dass wir sie fast nicht bemerken und uns daran gewöhnt haben. Vor allem der jüngsten Generation kommt daher ein Sommer wie 2021 kühl vor, dabei gehört er zu den zehn wärmsten Sommern der über 250-jährigen Messgeschichte. Warme Sommer mit Hitzewellen sind das „neue Normal“ geworden – wenn es dabeibliebe, könnten wir damit leben. Die laufende Erwärmung ist allerdings nur der Anfang, aber das ist eine andere Geschichte. Spannend ist, wie dieser Sommer 2021 beinahe zum Synonym für den laufenden Klimawandel geworden ist. Angefangen hat es mit dem Tornado in Tschechien.

4.Wenn Busse fliegen

Peitschende Orkanwinde mit über 300 Kilometern pro Stunde, abhebende Dachstühle, durch die Luft geschleuderte Autos und Busse und am Ende fünf dem Erdboden gleichgemachte Dörfer mit 6 Toten und über 200 Verletzten – einen derart zerstörerischen Tornado wie in Tschechien an der Grenze zum niederösterreichischen Waldviertel vergangenen Juni gab es das letzte Mal in unseren Breiten vor über 100 Jahren in Wiener Neustadt mitten im Ersten Weltkrieg: 1916 fegte ein F4-Tornado über den Norden von Wiener Neustadt und zog eine Schneise der Verwüstung von gut 20 Kilometern Länge. Dabei zerstörte er unter anderem eine Lokomotivfabrik und soll dabei tonnenschwere Lokomotiven versetzt haben. 34 Tote und 328 Verletzte waren am Ende zu beklagen. Damals ein absolut singuläres Ereignis, das seinesgleichen in Österreich suchte. Die im Volksmund früher als „Windhosen“ bezeichneten Aufwindschläuche von „Superzellen“ (das sind große rotierende Gewitterzellen) sind für Europa durchaus nichts Neues. Speziell über Wasserflächen kommen sie Jahr für Jahr vor. Allerdings sind das normalerweise sehr viel kleinere und harmlosere Ausführungen von Tornados. Orkanschläuche der Stärke F4 waren in Mitteleuropa immer die absolute Ausnahme und entsprechend selten. Und genau deswegen macht der Tornado in Tschechien, an der Grenze zu Niederösterreich, stutzig. Eine der wesentlichen Zutaten für einen Tornado ist warme, feuchte Luft. Die Energie, die bei der Kondensation des Wasserdampfes zu Wolken und Regen frei wird, ist der Treibstoff der Gewitterzelle. Je wärmer die Luft, umso mehr Feuchtigkeit kann sie aufnehmen. Und je mehr Feuchtigkeit die Luft trägt, desto mehr zerstörerische Energie kann frei werden. In der berühmten Tornado Alley des Mittleren Westens der USA sind die Bedingungen für schwere F4-Tornados jedes Jahr gegeben. Wenn feuchtschwüle Luft aus dem Golf von Mexiko auf kalte Luft aus dem Norden trifft, ist die Mischung explosiv. Mit circa 100 Tornadototen ist dort Jahr für Jahr zu rechnen. Kommt das in Zukunft bei uns auch öfter vor? Weil die Luft mit dem Klimawandel wärmer ist und mehr Wasserdampf aufnehmen kann? Keine Sorge: Einem „effektiven“ Aufeinandertreffen von feuchter und kalter Luft stehen bei uns in Mitteleuropa – im Gegensatz zu den freien Ebenen der Great Plains – die Alpen im Weg. So schlimm wie in Kansas oder Oklahoma wird es nicht werden, aber die Luft ist mit dem Klimawandel auch bei uns energiegeladener. Damit muss es nicht immer gleich ein Tornado wie in Tschechien sein, aber die Gewitter werden heftiger ausfallen – so viel steht fest. Der Tornado in Tschechien war aber nicht das Bedenklichste des vergangenen Sommers: Die auf der Nordhalbkugel wie störrische Esel stehenden Hoch- und Tiefdruckgebiete waren es, die die Klimatologinnen und Klimatologen ganz besonders an den Klimawandel erinnerten.

5.Wenn Hochs und Tiefs störrisch wie Esel sind

Normalerweise wechseln sich in unseren Breiten Hoch- und Tiefdruckgebiete ab. Wie an einer unsichtbaren Schnur werden sie über unsere Köpfe gezogen. Auf ein paar Tage mit Sonnenschein folgen ein paar Tage mit Regen. Sonne über Wochen, Regen über Wochen, das war immer die Ausnahme. Mit dem Klimawandel werden derart stabile Wetterlagen häufiger. Durch die Klimaerwärmung werden Hoch- und Tiefdruckgebiete größer, unförmiger und vor allem träger. Im schlimmsten Fall – und das ist heuer passiert – kommen sie zum Stillstand und werden ortsfest. Dadurch war es am Atlantik in Nordspanien den ganzen Sommer feucht und kühl und die Temperaturen kamen nicht über 20 Grad Celsius hinaus. Auch in Österreich war der Sommer durchwachsen und vor allem im Osten Österreichs schwül und ein schweres Gewitter jagte das andere. Weiter im Osten und Südosten, in Süditalien, Griechenland und der Türkei war es ungewöhnlich trocken und schwere Waldbrände wüteten. Sogar die hitzegewohnten Wälder und Olivenhaine bei Athen und Antalya gingen in Flammen auf. Das Tief im Westen und das Hoch im Osten waren über Wochen festgefahren. Genau wie es in der Siebenschläfer-Regel heißt: „Das Wetter wie am Siebenschläfer-Tag (27. Juni) sieben Wochen bleiben mag!“ Also alles schon gehabt und insofern eh normal?

Eben nicht. Wenn ich kurz ausholen darf: Die Siebenschläfer-Regel – also die Fortsetzung der Witterung um den 27. Juni über den ganzen Sommer – ist Jahrhunderte alt. Sie hat statistisch ausgewertet eine Trefferquote von über 60 %. Und sie ist ein sehr gutes Indiz dafür, in welchem Zustand sich die Atmosphäre befindet. Konkret: Ist es um den Siebenschläfer-Tag eher bewölkt und kühl, dann bleibt der Sommer durchwachsen. In „meteorologischen Sprech“ übersetzt: Ein Tief hat sich über unseren Köpfen festgefahren. Ist es um den 27. Juni heiß, dann bleibt der Sommer sonnig und warm – es hat sich ein Hoch festgefahren. Ist die Witterung um den Siebenschläfer-Tag mal so oder so, dann bleiben die folgenden Wochen ebenso wechselhaft. Ein Hoch und Tief nach dem anderen zieht durch. Warm und trocken, kühl und feucht wechseln sich ab.

Interessanterweise scheint die Siebenschläfer-Regel im Klimawandel nicht an Bedeutung zu verlieren. Im Gegenteil, die alte Bauernregel gewinnt an Schärfe. Es zeigt sich, dass die Klimaerwärmung sowohl sonniges Wetter als auch regnerisches Wetter schnell in eine Naturkatastrophe drehen kann. Vier Wochen Sonnenschein bei Temperaturen unter 25 Grad Celsius wie in den 1990ern ist für die Landwirtschaft gut zu verkraften und für Bergsportlerinnen und Bergsportler ideales Wanderwetter. Bei vier Wochen über 30 Grad Celsius wie zum Beispiel 2003, 2015, 2017, 2018 und 2019 beginnt für die Landwirtschaft in den Niederungen ein Überlebenskampf. Die Trockenheit kann sich schnell in eine schwere Dürre wandeln. Das passiert aus zwei Gründen: Luft mit 35 Grad Celsius kann und will viel mehr Feuchtigkeit aufnehmen als Luft mit 25 Grad Celsius. Dazu kommt, dass mit dem Klimawandel die Vegetationsphase im Frühjahr eher einsetzt und die Pflanzen bis in den Herbst mehr Wasser benötigen. Wenn dann im Frühjahr das Wasser schon knapp ist, wird jede Hitzewelle im Sommer zur Nagelprobe. So kann, was in den 1990er-Jahren noch eine Trockenheit war, in den 2020er-Jahren zu einer Dürre mit schwersten Schäden werden. Erschwerend kommt in Zukunft noch dazu, dass die Schneefallgrenze weiter ansteigen wird. Dadurch sammelt sich weniger Schnee, der im Sommer schmelzen kann. Seit jeher ist in trockenen Sommern das Schmelzwasser der Alpen im Rhein, der Donau oder dem Po unabdingbar für die Landwirtschaft. Mit dem Klimawandel drohen die Alpen ihre Funktion als „Wasserturm“ Mittel- und Südosteuropas zu verlieren.

Beim Wandern, Klettern und Bergsteigen im Gebirge mag es kühler und angenehmer sein und uns die Klimaerwärmung nicht so viel ausmachen. In den Bergen entwickelt der Klimawandel aber eine andere bedrohliche Seite: Warme Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen und das bedeutet mehr „Treibstoff“ für schwere Gewitter. Es ist einfach mehr Energie da, um „Superzellen“ mit Tornados aufzubauen. Zum Glück sind beim Bergsteigen in den Alpen derartige Tornados auch in Zukunft nicht zu erwarten. Dennoch gilt: In den Alpen haben schwere Gewitter mit Blitz, Hagel, Sturmböen und schweren Wolkenbrüchen in den vergangenen 40 Jahren deutlich zugenommen. Mehr denn je ist in den Bergen der kontrollierende Blick zum Himmel Pflicht. Wenn die Wolken aufquellen und sich Wolkentürme aufbauen, heißt es, weg vom Berggrat, raus aus der Wand. Blitze schlagen meist an exponierten Stellen ein. In eine Mulde gekauert und alles Metallische wie Stöcke und Pickel weit von sich abgelegt, ist man am sichersten.

Keinen Deut besser läuft die nasse Variante des Sommers, wenn Regenwetter nach der Siebenschläfer-Regel „sieben Wochen bleiben mag“. Wir erinnern uns an das Alpenhochwasser 2005: In der Oststeiermark kam es in nur in einer Regennacht zu 780 Hangrutschungen auf 60 km2. In der Schweiz mussten nach der Regenkatastrophe im August die Versicherungen 2,5 Milliarden Euro berappen, die größte Summe, die je in der Schweiz für ein Einzelereignis ausgezahlt werden musste. Eine Unzahl von Murenabgängen verwüstete ganze Talschaften. Der Klimawandel legt hier noch ein paar Schaufeln nach.

Dabei lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Eine Analyse historischer Pegelstände zeigt, dass wir uns in Europa seit den 1990er-Jahren in einer anhaltenden Hochwasserphase befinden. Von insgesamt sechs derartigen Phasen in den vergangenen 500 Jahren ist die aktuelle Hochwasserphase immerhin die zweitstärkste. Häufiger und extremer waren Hochwässer nur im Zeitraum von 1750 bis 1800, zu Zeiten der Französischen Revolution. Vermutlich kein Zufall. Durch eine ungewöhnlich nasskalte Witterung fielen die Ernten schlecht aus und es kam zu Hungersnöten, was wiederum zu Hungerrevolten führte. Aber der Unterschied zur aktuellen Hochwasserphase liegt in der Temperatur: In den fünf historischen Hochwasserphasen war die Witterung durchwegs kühler als normal. Wir würden das damalige Wetter heute als nasskalt bezeichnen. In der aktuellen Hochwasserphase ist das anders: Durch den Treibhauseffekt ist es wärmer als früher, also eher feuchtwarm – aktuell sind es 1,5 Grad Celsius mehr als noch im 19. Jahrhundert. Physikalisch gesehen, steckt wieder die simple Tatsache dahinter, dass warme Luft mehr Wasserdampf aufnehmen und sie damit mehr Regen tragen kann. Für die Alpen entscheidend sind ihre spezielle Lage und die gebogene Form des Gebirges. Regen wird entweder vom Atlantik oder vom Mittelmeer an die Alpen geführt und gestaut. Für die Alpensüdseite sind hier vor allem Tiefdruckgebiete über Italien entscheidend, die ihre Regenmengen im Mittelmeer aufnehmen und vom Piemont bis – im Extremfall – ins Salzkammergut entladen können. Dass die Entwicklung solcher Regentiefs über Italien oft von den Alpen selbst angefacht wird, ist eines der Wetterwunder dieses bemerkenswerten Gebirgsstocks. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern.

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