Kitabı oku: «Nationalsozialismus und Holocaust – Materialien, Zeitzeugen und Orte der Erinnerung in der schulischen Bildung», sayfa 5

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Fazit

Die Vermittlung von Nationalsozialismus und Holocaust steht gegenwärtig vor mehreren Herausforderungen. Der Schule kommt dabei als zentraler Sozialisationsinstanz besondere Bedeutung zu. Die von Lehrenden beschriebenen Schwierigkeiten, Wissen über Nationalsozialismus und Holocaust zu vermitteln, beruhen auf einem Zusammenspiel verschiedener Ursachen und Entwicklungen. Digitalität und Migration haben sich als charakteristische Aspekte des aktuellen pädagogischdidaktischen Diskurses herauskristallisiert. Die Dynamik der Entwicklungen in heterogenen und digitalisierten Klassenzimmern mündet in Fragestellungen, die die grundsätzlichen Fragen der Holocaust Education „Warum über den Holocaust unterrichten?“, „Was über den Holocaust unterrichten“ und „Wie über den Holocaust unterrichten?“ ergänzen: Wie geht es Schülerinnen und Schülern, die nicht den historischen und kulturellen Erfahrungshintergrund der Mehrheitsgesellschaft haben? Wie kann der Distanz und Abwehr, die Jugendliche den Inhalten (artikuliert oder unartikuliert) entgegenbringen, begegnet werden? Wie lassen sich die Geschichten von Überlebenden in den Unterricht integrieren, vor allem, wenn diese bald nicht mehr selbst an Schulen gehen? Und schließlich: Wie können digitale Bildungsangebote im Präsenz- und im Fernunterricht sinnvoll eingesetzt werden?

Bei der Beantwortung dieser Fragen unterstützt _erinnern.at_ seit mehr als 20 Jahren Lehrpersonen, bietet Fortbildungen und Seminare an und entwickelt mit nationalen und internationalen Projektpartnerinnen und Projektpartnern Unterrichtsmaterialien. Mehrere dieser Materialien wurden als best practise ausgezeichnet, Potential und Praxiseinsatz der Lehr- und Lernmittel werden u. a. in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern erprobt. Beteiligt war _erinnern.at_ auch an der Entwicklung der 2019 von der „International Holocaust Remembrance Alliance“ (IHRA) herausgegebenen „Empfehlungen für das Lehren und Lehren über den Holocaust“, auf die an dieser Stelle abschließend verwiesen werden soll. Die von Expertinnen und Experten aus 30 Mitgliedsstaaten erstellten Empfehlungen der IHRA unterstützen politische Entscheidungsträgerinnen und -träger sowie Lehrende bei folgenden Tätigkeiten:

„1. Fachwissen über den Holocaust zu fördern, für akkurates Wissen und Verständnis zu sorgen und Bewusstsein für die möglichen Auswirkungen von Antisemitismus zu schaffen; 2. ein motivierendes Unterrichtsklima beim Lernen über den Holocaust zu gestalten; 3. kritisches und reflektiertes Denken über den Holocaust zu fördern, einschließlich der Fähigkeit, Holocaustleugnung oder Verharmlosung entgegenzutreten; 4. zur Menschenrechtsbildung und zum Unterricht über Genozidprävention beizutragen.“12

Das Ziel, Lehrende und Lernende zu ermutigen und zu befähigen, durch den Holocaust aufgeworfene moralische, politische und soziale Fragen und deren heutige Relevanz zu reflektieren, verfolgt auch _erinnern.at_ seit nun zwei Jahrzehnten und bewegt sich weiterhin Schritt für Schritt darauf zu.

Literaturverzeichnis

Bernstein, Julia / Florian Diddens: Umgang mit Antisemitismus in der Schule, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 26–27(2020).

Bibermann, Irmgard: The International Research Project Shoah in daily school life. How do Pupils Use Videotaped Eyewitness Interviews with Survivors in a Tablet Application?, in: Dreier, Werner / Angelika Laumer / Moritz Wein (Hrsg.): Interactions. Explorations of Good Practice in Educational Work with Video Testimonies of Victims of National Socialism (= Education with Testimonies, Vol.4) (Berlin 2018) S. 154–167.

Brüning, Christina Isabel: Holocaust Education in der heterogenen Gesellschaft. Eine Studie zum Einsatz videographierter Zeugnisse von Überlebenden der nationalsozialistischen Genozide im Unterricht (Frankfurt/M. 2018).

Hartmann, Deborah / Tobias Ebbrecht-Hartmann: Der Opfer gedenken – über Täter/innen lernen. Die israelische Gedenkstätte Yad Vashem als Resonanzort, in: Radonic, Liljana / Heidemarie Uhl (Hrsg.): Das umkämpfte Museum. Zeitgeschichte ausstellen zwischen Dekonstruktion und Sinnstiftung (Bielefeld 2020) S. 129–146.

Kühner, Angela: NS-Erinnerung und Migrationsgesellschaft: Befürchtungen, Erfahrungen und Zuschreibungen, in: Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, Einsichten und Perspektiven. Themenheft 01 (2008) Holocaust Education, S. 52–65.

Messerschmidt, Astrid: Gegenwartsbeziehungen. Erinnerungsbildung auf der Suche nach zeitgemäßen Perspektiven, in: Fritz Bauer Institut (Hrsg.): Einsicht 04, Bulletin des Fritz Bauer Instituts (Frankfurt 2010) S. 16–21.

Messerschmidt, Astrid: Repräsentationsverhältnisse in der postnationalsozialistischen Gesellschaft, in: Broden, Anne / Paul Mecheril (Hrsg.): Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft (Düsseldorf 2007) S. 47–68.

Sabrow, Martin: Zeitgeschichte als Ich-Erzählung, in: Radonic, Liljana / Heidemarie Uhl (Hrsg.): Das umkämpfte Museum. Zeitgeschichte ausstellen zwischen Dekonstruktion und Sinnstiftung (Bielefeld 2020) S. 27–38.

Sternfeld, Nora: Errungene Erinnerungen. Gedenkstätten als Kontaktzonen, in: Allmeier, Daniela u. a. (Hrsg.): Erinnerungsorte in Bewegung. Zur Neugestaltung des Gedenkens an Orten nationalsozialistischer Verbrechen (Bielefeld 2016) S. 77–96.

Sternfeld, Nora: Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung. Transnationales Lernen über den Holocaust in der postnazistischen Migrationsgesellschaft (Wien 2013).

Anmerkungen

1 „eva.stories“ basiert auf der Geschichte der 13-Jährigen Eva Heymann aus Ungarn, die im Jahr 1944 bis zu ihrer Ermordung in Auschwitz Tagebuch führte. Das kontrovers diskutierte Projekt stellt die Frage, was gewesen wäre, wenn ein Mädchen im Holocaust Instagram gehabt hätte, https://www.instagram.com/eva.stories/?hl=de (7.4.2021).

2 Weitere Infos und kostenlose Downloadmöglichkeit (Google PlayStore, Apple AppStore): https://www.erinnern.at/app-fliehen/ (7.4.2021).

3 2019 hat _erinnern.at_ fast 200 Schulbesuche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen vermittelt und durch ausgebildete Begleitpersonen unterstützt.

4 https://www.erinnern.at/zeitzeuginnen/lernen-mit-video-interviews/das-vermaechtnis/die-zeitzeuginnen (7.4.2021).

5 https://www.neue-heimat-israel.at/home (7.4.2021).

6 https://www.ueber-leben.at/home (7.4.2021).

7 https://www.weitererzaehlen.at/ (7.4.2021).

8 https://iwitness.usc.edu/SFI/ (7.4.2021).

9 https://sfi.usc.edu/dit (7.4.2021).

10 http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/lernmaterial-unterricht/antisemitismus (7.4.2021).

11 https://www.fluchtpunkte.net/ (7.4.2021); 2020 wurde das Lernmaterial „Fluchtpunkte“ als digitales Bildungsmedium mit hohem pädagogischem Wert mit der „Comenius-EduMedia-Medaille“ prämiert.

12 IHRA-Handbuch „Empfehlungen für das Lehren und Lernen über den Holocaust“ (2019). Download unter: https://www.erinnern.at/themen/e_bibliothek/artikel/empfehlungen-fuer-das-lehrenund-lernen-ueber-den-holocaust-ein-ihra-handbuch (7.4.2021).

Adelheid Schreilechner
Nationalsozialismus und Holocaust als persönliche und schulische Herausforderung. Erfahrungen von Lehrerinnen und Lehrern in Österreich und Israel

Seit dem Jahr 2000 ermöglicht _erinnern.at_ im Auftrag des Bildungsministeriums Gruppen von Lehrenden die Teilnahme an Weiterbildungsseminaren zu den Themen Holocaust und Holocaust Education in Israel. In den ersten Jahren fanden diese Seminare ausschließlich in der International School für Holocaust Education in der staatlichen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem statt. Auf der Suche nach ergänzenden Perspektiven wurde das Programm auf das Center for Humanistic Education (CHE) im Beit Lochamej haGeta’ot, dem Haus der Ghettokämpfer und des ältesten israelischen Holocaust-Museum, ausgedehnt. Lochamej haGeta’ot ist ein Kibbuz in Nordisrael und wurde 1949 von Überlebenden des Aufstands im Warschauer Ghetto gegründet. Das CHE gibt es seit 1995, und es verfolgt in der Beschäftigung mit dem Holocaust einen universalistischen Ansatz. Jüdische und arabische Lehrende arbeiten dort mit jüdischen, arabischen und drusischen israelischen Jugendlichen.

Im Laufe der Jahre wurden die zwei jährlich stattfindenden Seminare in Israel in Lehrgänge eingebettet. Einer davon findet an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich statt, der zweite an der Pädagogischen Hochschule Salzburg, jeweils in enger Kooperation mit _erinnern.at_. Die Durchführung im Rahmen von Hochschullehrgängen erhöht die Verbindlichkeit in der vor- und nachbereitenden inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Thematik, vor allem im Sinne des Transfers in die Schule. Darüber hinaus erhalten die Teilnehmerinnen und -nehmer ECTS-Punkte für diese hochwertige Weiterbildung, die sie sich in unterschiedlichen Aus- und Weiterbildungskontexten anrechnen lassen können.

Im Jahr 2007 nahm ich selbst als Lehrerin an einem „Israel-Seminar“ teil. Es war meine erste Reise in dieses Land und zugleich mein erster Kontakt mit _erinnern.at_. Ich war von der Seminarreise ungemein beeindruckt. Das Thema und auch _erinnern.at_ ließen mich nicht mehr los. Seit damals bin ich Teil des Netzwerkes – als Mitarbeiterin in verschiedenen Projekten und als Begleiterin der Seminargruppen nach Israel. Darüber hinaus leite ich den oben erwähnten Lehrgang „Holocaust. Erinnerungskultur. Geschichtsdidaktik“, der an der Pädagogischen Hochschule Salzburg durchgeführt wird und in dessen Rahmen die Seminarreise nach Israel stattfindet.

In meinem Beitrag werde ich ausgehend von meiner persönlichen Erfahrung die Frage nach der Bedeutung von Erinnerung und Gedenken stellen. Ich werde Herausforderungen und Widersprüche skizzieren, mit denen sich Lehrpersonen im Unterricht über Nationalsozialismus und Holocaust gegenwärtig konfrontiert sehen. Daraus leite ich pädagogisch-didaktische Fragen ab, mit denen Lehrerinnen und Lehrer in die Fort- und Weiterbildungen von _erinnern.at_ kommen und mit denen sie an den Seminarreisen nach Israel teilnehmen. Daran anschließend führe ich Erfahrungen und Eindrücke aus, die die Teilnehmenden an den Gedenkstätten und Seminarorten in Israel sammeln und komme zu einem abschließenden Resümee in Bezug auf die pädagogisch-didaktische Bedeutung von Unterricht über Nationalsozialismus und Holocaust.

Drei persönliche Szenen zu Beginn

Mitte November, unmittelbar vor dem November-Lockdown im Corona-Jahr 2020, gehe ich durch die Linzergasse in Salzburg. Es ist Nachmittag, ein wenig dämmrig wird es schon. Ich bin gedankenverloren, ist doch noch einiges zu erledigen, wer weiß, wie lange die Geschäfte noch offen haben. Mich irritiert diese Zeit, in der viele Menschen mit Mund-Nasen-Schutz, manche auch ohne, eiligen Schrittes unterwegs sind, geradeaus schauen, einander ausweichen. Plötzlich fällt mein Blick auf ein Grablicht, daneben liegen Blumen. Und erst auf den zweiten Blick der Stolperstein. Ach ja, Gedenken an das Novemberpogrom! Da sind also Menschen in dieser seltsamen Zeit durch die Gasse gegangen, mit Blumen und Kerzen, haben sich hinuntergebeugt zu einem Stolperstein nach dem anderen. Diese Erinnerung an Menschen, die in der Shoah verschleppt und ermordet wurden, berührt mich in dieser Zeit ganz besonders. Sie reißt mich heraus aus der bedrückenden Gegenwart und lenkt meine Gedanken in eine noch viel bedrückendere Vergangenheit. Und ich frage mich, was ist das nun, das mir so nahe geht? Dass es Menschen gibt, die sogar in diesen Zeiten auf die Ermordeten der Vergangenheit hinweisen wollen? Dass ich wieder einmal daran denke, wie viele Menschen im Holocaust ihres Lebens beraubt wurden? So viele nicht zu Ende gelebte Leben! Oder ist es diese verstörende Zeit, in der ich momentan lebe, in der sich so seltsame, beängstigende Phänomene verbreiten – antisemitische Verschwörungstheorien, demokratiegefährdende Gedankenwelten, Wissenschaftskritik auf niedrigstem Niveau, krude Vergleiche von sogenannten „Querdenkerinnen und Querdenkern“ mit der NS-Zeit. Dazu eine Wirtschaftskrise, die noch keiner abschätzen kann. Und der pandemische Druck, der Menschen in die Isolation, in den Rückzug und in die Vereinzelung zwingt. Es ist mein emotionales Fenster, das für die Erinnerung an die Opfer der NS-Zeit gerade besonders weit geöffnet ist.

Szenenwechsel. Juli 2016, ich sitze im Seminarraum in Yad Vashem. Noa Mkayton, Leiterin des European Departments, erzählt über Rachel Auerbach, die 1946 davon sprach, dass es nationale Pflicht der Juden sei, die Wahrheit zu kennen und dass es außerdem deren Aufgabe sei, die Wahrheit auch den Nicht-Juden zu vermitteln. Sie hatte gemeinsam mit dem jüdischen Historiker Emanuel Ringelblum im Warschauer Ghetto ein Geheimarchiv zu jüdischem Leben angelegt und konnte es für die Nachwelt erhalten. Dieser historische Auftrag, das Wissen über jüdisches Leben und über das, was in der NS-Zeit geschehen ist, zu überliefern, trifft mich. Gibt es diesen gesellschaftlichen Auftrag, wirklich zu wissen, was in der NS-Zeit passiert ist, hierzulande auch? Das würde ja auch zwingend bedeuten, dass schonungslos offenzulegen ist, wer was getan hat. Täterforschung wäre das. Wer wovon wissen musste. Wer wovon profitiert hat. Auch wenn spätestens durch die sogenannte Waldheim-Affäre „die seit 1945 mühsam aufgebaute Lebenslüge“ von der Opferthese Österreichs „zerbrach“, wie Embacher und Reiter 1998 schreiben (Embacher, 1998, S. 256), so sind in der Mehrheitsbevölkerung der „Opfermythos“ und auch die Leistungen der erfolgreichen Aufbaugeneration nach 1945 immer noch ungleich stärker präsent als das Bewusstsein darüber, dass wir die Nachkommen der Täterinnen und Täter sind und in einer Tätergesellschaft leben. So schreibt denn auch Margit Reiter in ihrem Buch „Die Generation danach. Der Nationalsozialismus im Familiengedächtnis“, dass das familiäre Tradierungsmuster der Opferschaft immer noch das am stärksten verbreitete sei (Reiter, 2006, S. 48).1 Es gibt einen breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens, dass man der Opfer gedenken muss, historisches Wissen aber wird vernachlässigt. Das zeigten nicht zuletzt die unrühmlichen Diskussionen um und die beschränkten Ressourcen im Haus der Geschichte oder auch die Vernachlässigung der Täterforschung.

Noch ein Szenenwechsel. Wieder Juli 2016, im Center for Humanistic Education (CHE) in Lochamej haGeta’ot. David, Israeli, Sohn jüdischer, aus Österreich vertriebener Eltern, und Channan, Palästinenserin mit israelischem Pass, erzählen ihre Geschichten. Beide arbeiten am CHE mit jungen Jüdinnen und Juden, israelischen Palästinenserinnen und Palästinensern sowie mit Drusinnen und Drusen. Sie sitzen kollegial und wertschätzend nebeneinander und erzählen nacheinander ihre unterschiedlichen Familienerinnerungen an den Kibbuz – für David ist es ein mühsam aufgebautes neues Zuhause der Eltern nach der Flucht vor dem Holocaust, der von der syrischen Armee im Unabhängigkeitskrieg zerstört und von den Kibbuzim erneut aufgebaut wurde, Channan verbindet den Kibbuz in ihrer Nachbarschaft mit gewaltsamer Aneignung von Grund und Boden, mit der Vertreibung von arabischer Bevölkerung aus dem Nachbardorf, mit dem Trauma der „Nakba“ („Katastrophe“). Diese Existenz zweier unterschiedlicher Narrative, die hier so augenscheinlich nebeneinander existieren und an diesem besonderen Ort gleichberechtigt erzählt werden, beeindruckt mich sehr. Ähnlich ergeht es mir zwei Tage später, als die Jugendlichen, die hier Seminarreihen besuchen, aus ihrem Leben erzählen und davon, dass sie an diesem geschützten Ort erstmals die jeweils andere Perspektive hörten und erzählten.

Warum beschreibe ich diese drei Episoden? Was haben sie miteinander zu tun? Eine Antwort werde ich am Ende dieses Beitrags versuchen. Schauen wir aber zuerst in die schulische Realität.

Herausforderungen in der Schule

Unterricht über Nationalsozialismus und Holocaust wird vielfach mit einem Gedenkstättenbesuch in Verbindung gebracht; dabei stehen die zentralen Verbrechensorte im Fokus. Sie sind die wichtigsten Erinnerungsorte an die NS-Zeit in der öffentlichen Wahrnehmung. In Österreich ist das vor allem die Gedenkstätte Mauthausen. Die meisten Lehrenden, die an den Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen von _erinnern.at_ teilnehmen, haben mit ihren Schülerinnen und Schülern bereits die Gedenkstätte besucht und nehmen dazu oft weite Anreisezeiten in Kauf, womit relativ hohe Fahrtkosten für die Jugendlichen verbunden sind. Die Motive für die Exkursion nach Mauthausen sind vielfältig: So wird das ehemalige Konzentrationslager als „authentischer Ort“ gesehen, als Tatort des Holocaust. Dementsprechend aufgeladen ist die Begegnung mit dem Ort für viele: Auf dem Appellplatz standen die Opfer, in den Baracken mussten sie auf engstem Raum zusammengepfercht schlafen, in der Kommandantur waltete die SS ihres Amtes und ging außerhalb der Lagermauern ihren Vergnügungen nach. Die Stiege führte zum Steinbruch hinunter, die Häftlinge wurden für den Arbeitseinsatz hinunter- und hinaufgetrieben, gedemütigt und gequält. Und dann der Blick in die Gaskammer und das Krematorium. Hier wurden Menschen vergast und verbrannt. So also muss es damals gewesen sein. Und doch ist heute nichts mehr so, wie es damals war.

Immer noch sagen viele Lehrkräfte, sie würden mit ihren Schülerinnen und Schülern in das „KZ“ fahren, manche reagieren irritiert auf den Hinweis, dass es kein KZ mehr ist, sondern längst eine Gedenkstätte. Und Jugendliche wundern sich oft, dass sie an Ort und Stelle nicht nachempfinden können, was die eingesperrten Menschen damals erlebt und erlitten haben, einige haben deswegen sogar ein schlechtes Gewissen – zumal, wenn das Wetter schön ist und die sanften Hügel des Mühlviertels sich im Licht der Jahreszeiten von ihrer besten Seite zeigen. Aus diesem Grund ziehen es manche Lehrpersonen vor, mit ihren Schulklassen in der kalten Jahreszeit nach Mauthausen zu fahren, damit die Schülerinnen und Schüler wenigstens die Kälte spüren, den eiskalten Wind, der ihnen in die Knochen fährt.

Dahinter liegt ein zentrales und ehrenwertes Anliegen vieler Lehrpersonen: Jüngere Generationen müssen aufgeklärt und daran erinnert werden, was hier passiert ist. Und dieses Erinnern muss an das Empfinden der verfolgten und vielfach vernichteten Menschen anknüpfen. Das Geschehene können wir nicht mehr rückgängig machen, aber über das Unrecht sprechen, es ins Bewusstsein der nächsten Generation(en) weitertragen, Empathie für die gequälten Menschen wecken, das können und müssen wir. Denn wenn es die Jungen nicht mehr erfahren, vergisst das ganze Land.

Bei manchen Jugendlichen kommt genau diese Lernerfahrung an. Sie reagieren sehr sensibel, rufen an diesem historischen Ort Bilder und individuelle Schicksale aus Filmen oder Büchern ab, die sie über den Holocaust gelesen oder gesehen haben und sind zutiefst berührt, in ihrer Emotion oftmals überfordert. Andere aber – und es werden immer mehr – können diese Verbindung nicht (mehr) herstellen. Zu weit weg ist die Geschichte von ihrem Leben, mittlerweile ist es bereits die vierte Generation, die im Unterricht diese Geschichte lernt. Darüber hinaus stammen viele Schülerinnen und Schüler aus Elternhäusern oder Ländern, die gar keinen Bezug zum Thema oder aber einen völlig anderen Blick auf den Zweiten Weltkrieg, auf den Nationalsozialismus sowie auf Jüdinnen und Juden haben. In den Familien der Jugendlichen in der Schule spielen oft andere Verfolgungsgeschichten eine Rolle – offen oder verdrängt. So schreibt Omar Khir Alanam, der als Geflüchteter nach Österreich kam:

„[…] das Geschichtsbild der Syrer ist ohnehin ein anderes, als man es sich hier vorstellen kann: Denn in den Schulbüchern, die Diktator Assad freigibt, wird behauptet, Hitler habe im Ersten Weltkrieg die Gräueltaten der Juden miterlebt und darum habe er sein Volk später vor ihnen schützen wollen. Dass er in Wahrheit sechs Millionen Juden grausam ermorden ließ, habe ich – ob Sie es glauben oder nicht – tatsächlich erst in Österreich erfahren.“ (Alanam, 2020, S. 10)

Viele Jugendliche fragen sich, warum sie Mitgefühl für Menschen empfinden sollen, die schon so lang tot sind, mittlerweile wären ohnehin schon fast alle auch eines natürlichen Todes gestorben. Sie können ja nicht mit allen Verfolgten und Ermordeten der Geschichte empathisch sein. Die Verfolgten, die Kriegsopfer, die Leidenden der Gegenwart empfinden sie als näher oder diejenigen aus ihrer Heimat oder der Heimatregion ihrer Eltern. Dazu Bernadette Edtmaier, die eine Studie zum Antisemitismus unter österreichischen Jugendlichen verfasst hat:

„Manche MuslimInnen, die aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert werden, solidarisieren oder identifizieren sich auf Basis ihrer gemeinsamen Religion mit der Seite der PalästinenserInnen, die als muslimische Opfer schlechthin gelten. ‚Die‘ Israelis auf der anderen Seite werden zum Feindbild. Um den Feind zu diskreditieren, wird die Situation der PalästinenserInnen immer wieder mit dem Holocaust verglichen und teilweise sogar gleichgesetzt.“ (Edtmaier, 2019, S. 159)

Bettina Alavi spricht von einer möglichen „Erinnerungskonkurrenz“, die Jugendliche mit Migrationshintergrund im Zusammenhang mit dem Unterricht über Nationalsozialismus und Holocaust erleben können. Warum beispielsweise nicht über die „Nakba“ sprechen, wenn über das Leiden der Juden so viel geredet wird? (Alavi, 2013, S. 80f.)

Lehrende, die mit ihren zunehmend heterogenen Schulklassen über Nationalsozialismus und Holocaust sprechen oder Gedenkstätten besuchen, befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen persönlicher Betroffenheit von der Thematik, ihrem pädagogischen Auftrag, den völlig unterschiedlichen Reaktionsmustern ihrer Schülerinnen und Schüler sowie der gesellschaftlichen Erwartung, die einem Gedenkstättenbesuch zugeschrieben wird. Wenn etwa Staatssekretärin Karoline Edtstadler sagt, sie habe

„[…] das Ziel ausgegeben, dass jeder Schüler einmal in seiner Schulzeit, aber auch alle Migranten und Asylwerber, die neu in Österreich sind, die KZGedenkstätte Mauthausen besuchen sollen. Das kann z. B. im Rahmen der Wertekurse erfolgen. Nur so kann eine Aufklärung über die schrecklichen Ereignisse erreicht werden“. (Kleine Zeitung, 2. Mai 2019)

Auf diese Weise schreibt sie dem Besuch der Gedenkstätte Mauthausen eine überbordende Bedeutung zu, steht die Forderung doch im Zusammenhang mit den Ergebnissen einer Studie,2 die weitgehendes Unwissen von Jugendlichen über Nationalsozialismus und Holocaust zutage förderte. Der Besuch der Gedenkstätte, so könnte man den Schluss ziehen, würde die Wissenslücken schließen. Wer „einmal in seiner Schulzeit“ oder im Rahmen des „Wertekurses für Asylwerberinnen und -werber sowie Migrantinnen und Migranten“ nach Mauthausen kommt, der oder die müsste also verstehen. Wie Schuppen würde es ihm oder ihr von den Augen fallen.

Lehrende aber wissen, dass dem nicht so ist. Die verbliebenen Baracken sind leergeräumt und renoviert, der Appellplatz ist asphaltiert, alles dort ist ruhig und friedlich. Ein Ort also, der nur etwas bedeutet, wenn man die Geschichte bereits kennt, wenn man weiß, wofür er steht. Und es stellt sich die Frage, ob die Bedeutung über die Emotion kommen soll. Ich frage mich darüber hinaus: Welche „Werte“ wollen wir als Tätergesellschaft an junge Migrantinnen und Migranten vermitteln, wenn wir sie in die Gedenkstätte Mauthausen bringen? Unsere? Indem wir ihnen dort vermitteln, was unsere Vorfahren getan haben? Dann müsste die Herangehensweise ja die sein, zu sagen: Schaut her, das haben unsere Vorfahren Jüdinnen und Juden, der Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenen aus anderen Ländern, politischen Gegnerinnen und Gegnern, Roma und Sinti, Homosexuellen und Menschen angetan, die als „asozial“ oder als „Verbrecherinnen und Verbrecher“ eingestuft wurden. Wir haben daraus gelernt und bitten euch, unsere Lektion gleich mitzulernen. Ob das von der Staatssekretärin so gemeint war?

Wenn Lehrpersonen an Erinnerungsorte gehen, tun sie das gleich wie alle anderen Besucherinnen und Besucher stets als Individuen mit ihrer eigenen Geschichte, Sozialisation, Vorerfahrung, Einstellung, oft auch mit ihrer Betroffenheit. Doch gleichzeitig stehen sie dort als Pädagoginnen und Pädagogen: Sie haben Lehrpläne im Kopf, Kompetenzen, die sie entwickeln sollen, sie haben eigene inhaltliche Anliegen und wissen auch um ihren gesellschaftlichen Auftrag. Sätze wie den vielfach zitierten „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.“, der vom Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer stammt, empfinden viele Lehrpersonen als Appell, und wenn sie den Jugendlichen im Klassenzimmer gegenüberstehen, auch als Überforderung – ebenso wie Adornos „allererste Forderung an Erziehung“ aus dem Jahr 1966, „dass Auschwitz nicht noch einmal sei“. (Adorno, 1970, S. 92) Die Unterrichtsrealität behindert oder erschwert dieses Anliegen in verschiedenster Weise. Melisa Erkurt, selbst als bosnisches Flüchtlingskind nach Österreich gekommen, reflektiert in ihrem Buch „Generation Haram“ über ihre Unterrichtserfahrungen:

„Jugendliche haben oft ziemlich steile Ansichten, die man als Erwachsene so gar nicht teilt. Argumente, für die man andere schnell einmal verurteilen würde – aber Schülerinnen und Schüler sollte man in einer Diskussion, vor allem als Pädagogin, nicht vor den Kopf stoßen. Selbst wenn sie Aussagen tätigen, die man zu hundert Prozent ablehnt und sogar als gefährlich einstufen könnte, wie zum Beispiel, dass der Islamische Staat gerecht ist, Nazis nur besorgte Bürger waren […]. Als Lehrperson darf man seinen Schülerinnen und Schülern die eigene Meinung nicht aufzwingen, aber man soll demokratie- und menschenfeindliche Thesen auf keinen Fall einfach stehen lassen. Man darf die Kinder und Jugendlichen aber auch nicht dafür verurteilen, sondern muss sich alles anhören und ruhige, nicht vorwurfsvolle Fragen stellen, bei deren Beantwortung der Schüler oder die Schülerin im besten Fall selbst bemerkt, dass das keinen Sinn ergibt, was er oder sie da sagt.“ (Erkurt, 2020, S. 152)

Erkurt, so meine ich, schreibt hier vielen Lehrenden aus der Seele, indem sie zentrale innere und äußere Konflikte auf den Punkt bringt: Viele Äußerungen von Jugendlichen lösen unweigerlich einen Abwehrreflex aus, weil sie äußerst problematische politische Positionen offenlegen, die man den jungen Menschen auf der Stelle austreiben möchte. Lehrpersonen reagieren häufig mit Argumenten, berufen sich auf Verbotsgesetz und Menschenrechte. Schülerinnen und Schüler ihrerseits reagieren, wenn sie sich trauen, provokant: Menschenrechte? Gesetze? Wer sagt, dass die alle für immer gelten müssen? Haben auch nur Menschen gemacht. Und überall gibt es andere Gesetze. Wegargumentieren geht also kaum. Verbieten kann man – wenn überhaupt – nur die Äußerung der Gedanken, aber nicht die Gedanken selbst. Erkurt geht in ihrer Beobachtung offenbar davon aus, dass Jugendliche derartige Äußerungen tätigen, ohne ideologisch gefestigt zu sein. Dass sie Sätze nachplaudern, die sie in verschiedenen Foren hören oder lesen, vielleicht provozieren wollen und dass man sie durch geschicktes Hinterfragen ihrer Positionen zum Nach- und letztlich Umdenken bringen kann. Damit hat sie wahrscheinlich in vielen Fällen recht. Und anknüpfend an die Schilderung aus Lochamej haGeta’ot wäre zu fragen: Magst du erzählen, woher du diese Gedanken hast? Wer erzählt dir das? Was möchtest du damit sagen? Worum geht es dir, wenn du solche Aussagen machst? Diese Art der Auseinandersetzung braucht Zeit, Lehrpersonen bewegen sich aber in einem Rahmen von getakteten Unterrichtsstunden und vielen Anforderungen, die das Unterrichtsgeschehen und die handelnden Personen vor sich hertreiben. Ein weiteres Problem, das viele Lehrpersonen beschreiben, ist die Gleichgültigkeit dem Thema gegenüber, eine Übersättigung, die viele Jugendliche artikulieren. In einem Interview von ZEIT ONLINE mit zwei deutschen Lehrern beschreiben diese eine „Holocaust-Müdigkeit“ ihrer Schülerinnen und Schüler: Der erste Lehrer sagt, „Aber den Holocaust und Nationalsozialismus wollen die Schüler im Unterricht nicht gerne behandeln.“ Und der zweite: „Stimmt. Wenn ich im Pädagogikunterricht sage, wir schauen uns jetzt die Erziehung im Nationalsozialismus an, dann heißt es: Schon wieder Holocaust? Das machen wir schon in Geschichte und in Deutsch. Zu den Schülern sage ich dann: Glaubt ihr denn, ihr wisst schon alles? Und dann stellt sich raus, dass sie noch sehr unsicher sind.“ Als der Journalist die beiden fragt, ob nur die Schüler unsicher seien, antwortet einer: „Nein, auch die Lehrer trauen sich oft nicht, offensiv mit dem Thema umzugehen. Sie haben Angst, dass sie auf bestimmte Argumentationsmuster nicht reagieren können.“ (Zeit ONLINE, 2018, 3/4) Über ähnliche Erfahrungen berichten auch österreichische Lehrerinnen und Lehrer in den Vorbereitungsseminaren für die Israelreisen. Jugendliche, die „nicht schon wieder“ über Antisemitismus, Holocaust, „die Juden“ reden wollen, verunsichern die Lehrpersonen in ihrem Unterricht über das Thema. Demgegenüber stehen Beobachtungen von Lehrenden und auch Studien, die belegen, dass Schülerinnen und Schüler durchaus interessiert am Zweiten Weltkrieg, am Nationalsozialismus und am Holocaust sind, wenn der Unterricht interessant für sie ist.3

Zusammenfassend lassen sich drei zentrale Herausforderungen beschreiben, mit denen viele Lehrerkräfte in die Fortbildungsveranstaltungen zu Nationalsozialismus und Holocaust kommen:

– Das Gefühl von Überforderung aus inhaltlichen Gründen, aber auch aufgrund des großen Verantwortungsgefühls für das Thema.

– Die Enttäuschung darüber, dass sie ihre Schülerinnen und Schüler mit ihrem Unterricht nicht erreichen können, dass diese dem Thema Nationalsozialismus und Holocaust generell, aber insbesondere auch den Gedenkstätten mit großer Distanz gegenüberstehen und sich kaum darauf einlassen, weil sie sich übersättigt fühlen, weil sie eine große zeitliche Distanz spüren oder weil sie die industrielle Vernichtung der Juden in Europa nicht als ihre Geschichte sehen.

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506 s. 28 illüstrasyon
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9783706561815
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