Kitabı oku: «Philosophien der Praxis», sayfa 9
4.3. Tätige Selbstständigkeit: Die Öffentlichkeit des Handelns
Der Bereich der menschlichen Tätigkeit mag auf Gewohnheiten aufruhen; er geht aber nicht im Gewohnten auf. Deshalb wird die Unmittelbarkeit des Vollzugs für die Praxisphilosophie genau dann problematisch, wenn man das Handeln in den Blick nimmt: Tätigsein, in dem das Verhältnis von Tun und Norm nicht bloß gefühlt wird. Man nimmt sich vor, zu φ-en; man weiß, wie man φ-t (man kennt die fragliche Handlungsform, den Handlungsbegriff) – und dann macht man sich daran, die fragliche Handlung auszuführen. Diese (selbst schon einigermaßen technische) Beschreibung bleibt dem subjektphilosophischen Modell treu – demjenigen Modell, dem beim Versuch, den Vollzug ins Zentrum zu stellen, der grammatische Fokus unbemerkt auf das handelnde Subjekt wanderte. Hegel begegnet dieser grammatischen Tendenz in einer dichten Passage der Phänomenologie des Geistes, die von der Unmittelbarkeit geistiger Vollzüge handelt.
Was also ist ein wirklicher Vollzug? Er ist, erstens, Vollzug von etwas, ein φ-en – etwas, das unter einen resultativen Handlungsbegriff fällt. Hegel nennt das „die Tat“: „Die Tat ist ein Einfach-Bestimmtes, Allgemeines, in einer Abstraktion zu Befassendes; sie ist Mord, Diebstahl oder Wohltat, tapfere Tat usf., und es kann von ihr gesagt werden, was sie ist.“ Als Tat ist er, zweitens, jemandes Vollzug; und im ersten, unbefangenen Schritt ist dieses Subjekt nichts als das Subjekt dieser |62|bestimmten Tat: Die Tat „ist dies [– ein φ-en, ein µ-en,– …], und der individuelle Mensch ist, was sie ist; in der Einfachheit dieses Seins ist er für andere seiendes, allgemeines Wesen“. Er ist, z.B., ein φ-ender, und geht im Vollzug in seinem Tätigsein auf: „nur die Tat [ist, für den Moment,] als sein echtes Sein zu behaupten, – nicht […], was er zu seinen Taten meint, oder was man meinte, daß er tun nur könnte. Ebenso indem andererseits sein Werk und seine innere Möglichkeit, Fähigkeit oder Absicht, entgegengesetzt werden, ist jenes allein für seine wahre Wirklichkeit anzusehen, wenn auch er selbst sich darüber täuscht und, aus seiner Handlung in sich gekehrt, in diesem Innern ein Anderes zu sein meint als in der Tat“ (Hegel 1807, 243). Wenn man praxisphilosophisch auf die wirklichen Vollzüge unserer Angelegenheiten schaut, sagt Hegel, dann darf man auch nur auf diese wirklichen Vollzüge schauen und muss der Versuchung widerstehen, den Vollzug des φ-ens unwillkürlich schon als das Werk seines Subjekts, und das heißt von dessen Absichten, Fähigkeiten, Eigenschaften her zu denken.
Aber was bleibt dann noch von der subjektiven Erfahrung des Vollzugs? „Betrachten wir […] den Inhalt dieser Erfahrung in seiner Vollständigkeit, so ist er das verschwindende Werk; […] das Verschwinden ist selbst wirklich und an das Werk geknüpft und verschwindet selbst mit diesem“. Das Vollziehen besteht so lange, wie man wirklich φ-t. Mit dem Getanhaben verschwindet das „Werk“, und übrig bleibt nur die gleichsam verklingende Erinnerung, „das Verschwinden“ (Hegel 1807, 302). – Man hat das häufig so gedeutet, als wolle Hegel sagen, das Tun sei irgendwie nur in dem vorhanden und greifbar, was es hervorbringt und was von ihm sozusagen übrigbleibt (ein „Produktions“- oder „Entäußerungs“-Modell, das irgend plausibel ohnehin nur bei ganz handfestem, dinglichem Herstellen wäre). Das Gegenteil ist richtig: Das „Werk“, vorgestellt als das dingliche Produkt des Handelns, verspricht vielleicht, der Beweis für das Getan-Haben zu sein; das Handeln aber terminiert im Werk. Man sieht, buchstäblich, den Dingen ihr Gemachtwordensein nicht an; sie sind in ihrer Bestimmtheit von diesem Handeln logisch unabhängig. Das „wahre Werk ist nur jene Einheit des Tuns und des Seins, des Wollens und Vollbringens“ (Hegel 1807, 302f.): der wirkliche Vollzug. Hier entdeckt Hegel die bereits bekannte perspektivische Spannung wieder: Der wirkliche Vollzug ist, dass eine Tat getan wird – dass einerseits ein Individuum subjektiv etwas will und tut; und dass andererseits objektiv etwas getan wird. Beide Perspektiven hängen zusammen, müssen aber nicht zusammenfallen. Subjektiv ist das „reine Tun […] wesentlich Tun dieses Individuums“; objektiv ist „dieses Tun […] ebenso wesentlich eine Wirklichkeit oder eine Sache. Umgekehrt ist die Wirklichkeit wesentlich nur als sein [konkretes] Tun sowie als Tun überhaupt“, als exemplarischer Handlungsbegriff. Die Idee gelingenden Handelns ist dann nichts anderes als die situative Koinzidenz dieser beiden Perspektiven: Dass das Individuum das will, was es tut, und dass das getan wird, was es tun will. Dem Handelnden ist es „um eine Sache zu tun und um die Sache als die seinige“: Wer handelt, will z.B. φ-en; und indem er φ-t, manifestiert er die allgemeine Form praktischer Wirklichkeit: dass es uns im Wollen und Handeln um Etwas geht, um „die Sache |63|überhaupt oder die an und für sich bleibende Wirklichkeit“– letztlich um die Praxis im Allgemeinen (Hegel 1807, 307). Wie aber weiß man, wenn man handelt, was es ist, das man tut? Wenn die Idee gelingenden Handelns im situativen Zusammenfallen der subjektiven und der objektiven, der inneren und der externen Perspektive besteht – wie kann man, jenseits dieser formellen Einsicht, wissen, ob dieses oder jenes konkrete Tun gut gelungen war?
Im Handeln treten das subjektive Wollen und Tun und die objektive, wie von außen schauende normative Beurteilung dieses Tuns auseinander. Anders als im unmittelbaren gewohnheitsmäßigen Tun bleibt es für uns im Handeln immer fraglich, ob das, was wir zu tun meinen, auch das ist, was objektiv getan wird. Man könnte an dieser Stelle auf den Konventionalismus einer Theorie der Praktiken zurückfallen und sagen: Die Entscheidung darüber, was objektiv getan wird, obliegt in der Tat nicht dem Handelnden, sondern den Anderen; das wird irgendwie „sozial ausgemacht“. – Hegel zeigt in einer besonders unterhaltsamen Passage, dass diese Ansicht in der Komödie einer fortgesetzten allseitigen Enttäuschung kollabiert. Denn die Anderen, die zu einem individuellen Handeln die „objektive Perspektive“ beisteuern sollen, unterstellen, dass es dem Handelnden um eine solche objektive Einschätzung geht, dass er „ein Interesse an der Sache als solcher und für den Zweck [hat], daß die Sache an sich ausgeführt sei, gleichgültig, ob von der ersten Individualität oder von ihnen“. Aber sie irren: Denn dem Handelnden geht es natürlich nicht einfach um irgendein abstraktes φ-en, sondern um sein φ-en: „es ist sein Tun und Treiben, was [ihn] bei der Sache interessiert“. Der Irrtum ist zudem zweischneidig: „in der Tat war [das] Herbeieilen [der Anderen], um zu helfen, selbst nichts anderes, als daß sie ihr Tun, nicht die Sache selbst, sehen und zeigen wollten; d.h. sie wollten die anderen auf eben die Weise betrügen, als sie sich betrogen worden zu sein beschweren“. Sie dachten vielleicht, dass sie eine „objektive“, von jeder Subjektivität unabhängige Perspektive beisteuern – was sie tatsächlich beisteuern können, ist nur eine andere, exemplarische subjektive Perspektive auf das, was getan wurde.
Diese Komödie der allseitigen Enttäuschung zeigt den Irrtum der konstitutionstheoretischen Auffassung, dass das Zusammenstimmen der beiden Perspektiven auf das wirkliche Tun etwas sei, das die Beteiligten irgendwie öffentlich gemeinsam und absichtlich herzustellen hätten. Die Öffentlichkeit steckt aber bereits in der Vorstellung des individuellen Wollens: Dem handelnden Individuum ist „nicht um die Sache als diese seine einzelne zu tun, sondern um sie als Sache, als Allgemeines, das für alle ist“. Dass „alle“ Anderen sich „für betrogen halten“ dürfen, weil ihre Perspektive stets nur als eine weitere subjektive, nie als eine objektive Perspektive akzeptiert werden kann, ändert nichts daran, dass die Form des Handelns auf solche Allgemeinheit ausgerichtet ist. Die „Verwirklichung ist […] eine Ausstellung des Seinigen in das allgemeine Element, wodurch es zur Sache aller wird und werden soll“ (Hegel 1807, 308f.). Ein gutes Handeln wäre genau insofern wirklich, als es in gleicher Weise die Sache aller ist: „ein Wesen, dessen Sein das Tun des einzelnen Individuums und aller Individuen, und dessen |64|Tun unmittelbar für andere oder eine Sache ist und nur Sache ist als Tun Aller und Jeder; das Wesen, welches das Wesen aller Wesen, das geistige Wesen ist“ (Hegel 1807, 310). Das ist keine Übereinstimmung, die Individuen sich sinnvoll herzustellen vornehmen könnten – denn es ist klar, dass bloß faktische Zustimmung auch beliebig vieler Individuen ein Handeln nicht gut macht, so wie bloß faktische Zustimmung auch beliebig vieler Anderer mein µ-en nicht zu einem φ-en macht. Es zeigt aber, wie man die normative Gutheit geistigen Tätigseins, die in der Gewohnheit unmittelbar (aber damit eben auch un-gewußt) gegeben war, und die im Handeln formal (und damit notwendigerweise prekär) ist, als wirklich begreifen kann: Nicht, indem man einen bestimmten Inhalt des Wollens als etwas erweist, das vernünftigerweise alle wollen sollten, sondern indem man den Vollzug des Handelns als je schon über-individuell versteht. So wird ein Verständnis des Vollzugs möglich, in dem das handelnde Individuum sich unmittelbar als vereinzeltes Exemplar einer Allgemeinheit weiß, als ein soziales Ensemble, oder als „das Subjekt, worin die Individualität [das handelnde Individuum] ebenso als sie selbst oder als diese wie als alle Individuen ist, und das Allgemeine, das nur als dies Tun Aller und Jeder ein Sein ist, eine Wirklichkeit darin, daß dieses Bewußtsein sie als seine einzelne Wirklichkeit und als Wirklichkeit Aller weiß“ (Hegel 1807, 310f.). Die Wirklichkeit des Vollzugs manifestiert sich darin, dass eine Handelnde sich als So-Handelnde weiß. Sie weiß sich aber als Handelnde notwendig in der Spannung zwischen ihrer und der Perspektive der Anderen auf ihr Tun; sich als Subjekt seines Handelns denken heißt dann, sich im Verhältnis zu diesen Anderen denken.
4.4. Anerkanntsein: Die soziale Form des praktischen Selbstbezugs
Dass der Selbstbezug den Bezug auf Andere immer schon beinhaltet, ist vielleicht der wirkmächtigste, jedenfalls populärste Gedanke der hegelschen Praxisphilosophie: „Das Selbstbewußtsein ist an und für sich, indem und dadurch, daß es für ein Anderes an und für sich ist; d.h. es ist nur als ein Anerkanntes“ (Hegel 1807, 145).
Im direkten Anschluss an diese Formulierungen hat sich eine kaum noch überschaubare Diskussion zur „Anerkennungstheorie“ entwickelt.
Diese Anerkennungstheorie versteht das hegelsche Projekt typischerweise im Sinn der konstitutionstheoretischen Lesart. Sie will die Frage, wie man im Vollzug seines Handelns praktisch um sich weiß, durch eine Erzählung beantworten, wie Selbstbewusstein zustandekommt (vgl. als exemplarische Initialbeiträge der Debatte Siep 1979 und Honneth 1992). Die Leiterzählung der Anerkennungstheorie fragt, wie es Subjekten gelingt, sich selbst als Subjekt aufzufassen, wenn sich die übersteigerte Selbstauffassung als unbedingt freies, allein auf monologische Selbstverwirklichung zurückgehendes Subjekt allemal daran breche, dass eine solche Haltung nie zu einem befriedigenden, abschließenden Selbstverständnis komme. Dazu bedürfte es eines objektiven Urteils, und das bedeute: des Urteils eines anderen Subjekts. Die Notwendigkeit einer solchen externen Perspektive erzwinge so, dass Subjekte ihre Selbstauffassung auf andere Subjekte hin relativieren, und so ihre Abhängigkeit von anderen Subjekten akzeptieren. Der |65|anerkennungstheoretische Antwortvorschlag ist also, dass Subjekte sich gleichsam im Spiegel anderer Subjekte selbst begegnen und erkennen. Diese Bezogenheit auf andere ist sowohl eine faktische Bedingung menschlicher Subjektivität (man wird Subjekt durch Erziehung und Bildung, man bedarf des psychischen und emotionalen Rückhalts); sie ist aber auch eine logische Bedingung (man begreift die eigene Autonomie falsch, wenn man sich nicht als Anderer für Andere begreift, als Subjekt unter Subjekten). Werden diese Bedingungen nicht erfüllt, kommt es zu schmerzhaften, manchmal zerstörerischen pathologischen Effekten. Umgekehrt ist die Erfüllung der Anerkennungsbedingungen – stufenweise aufsteigend: in intersubjektiven Nahbeziehungen („Liebe“), in interpersonalen Sozialbeziehungen, schließlich im bürgerlichen Recht – die Voraussetzung dafür, dass sich durch allgemeine und allseitige Anerkennung ein „allgemeines moralisches Bewußtsein“ realisiert (s. Siep 2000, 214). Diese „spezifische Moral menschlicher Intersubjektivität“ resultiert nach der anerkennungstheoretischen Erzählung aus einem „wechselseitigen Reaktionsverhalten“: „Ego und Alter ego reagieren zeitgleich aufeinander, indem sie jeweils ihre egozentrischen Bedürfnisse einschränken, wodurch sie ihre weiteren Handlungen vom Verhalten ihres Gegenübers abhängig machen“ (Honneth 2010, 31).
Diese anerkennungstheoretische Erzählung entfaltet eine Variante des subjektphilosophischen Modells: Sie geht von der Vorstellung eines selbstgenügsamen Subjekts aus, bemerkt, dass diese Vorstellung der vorgängigen Anerkennung durch „Andere“ bedarf, und verallgemeinert dies zur Bedingung wechselseitiger Anerkennung. Man wird, gleich, für wie nützlich oder plausibel man diese Erzählung beurteilen mag, sagen müssen, dass sie die praxisphilosophische Ausgangslage zumindest verzerrt. Sie nimmt Hegels Entdeckung der notwendigen Perspektiven auf das eigene Tun (als subjektives „Tun“ und als objektive „Tat“) auf und empfiehlt, dass man ihre Spannung in einen perennierenden Prozess der „Anerkennung“ übersetzen möge. Gelingendes Selbstbewusstsein, verspricht diese Erzählung, ist das Ergebnis eines solchen Prozesses. Das kann praxisphilosophisch aber nicht stimmen – denn würde „Selbstbewusstsein“ in dieser Weise zustandekommen können, dann läge die „Doppelsinnigkeit des Unterschiedenen“ (dass der eigene Vollzug wesentlich in zwei Perspektiven auftaucht) nicht „in dem Wesen des Selbstbewußtseins, unendlich oder unmittelbar das Gegenteil der Bestimmtheit, in der es gesetzt ist, zu sein“. Käme „Selbstbewusstsein“ durch den „Prozess der Anerkennung“ zustande, dann wäre dieser Perspektivenkonflikt nicht sein Wesen; die perspektivische Spannung wäre nur ein zu überwindendes Hindernis. Die Praxisphilosophie dagegen hebt gerade mit der Entdeckung dieser Spannung im Vollzug unserer geistigen Tätigkeiten an: „Die Auseinanderlegung des Begriffs dieser geistigen Einheit in ihrer Verdopplung stellt uns die Bewegung des Anerkennens dar“ (Hegel 1807, 145f.). Die Erzählung von der „Bewegung des Anerkennens“, sagt Hegel, ist nicht das dargestellte Ergebnis einer „Auseinanderlegung des Begriffs“, sondern die „Auseinanderlegung des Begriffs“ wird als „Bewegung des Anerkennens“ dargestellt. Man muss eine methodische Geschichte erzählen, um zu sehen, wo das traditionelle Bild praktischen Selbtwissens einseitig ist.
Die Geschichte setzt bei der im letzten Abschnitt zurückgelassenen Idee an, man wisse um den eigenen (subjektiven) Vollzug als (objektive) „Tat“, indem man ihn wie aus den Augen einer Anderen betrachtet. Das kann man, weil man ja |66|schon weiß, wie das Tun Anderer einem selbst als Tat erscheint. Die „Bewegung des Selbstbewußtseins“ wird dabei im ersten Schritt nur „als das Tun des Einen“ erzählt. „[A]ber dieses Tun des Einen hat selbst die gedoppelte Bedeutung, ebensowohl sein Tun als das Tun des Anderen zu sein“. Das eigene Tun ist demnach seiner Form nach das Tun aller, weil mein φ-en die allgemeine und öffentliche Form des φ-ens exemplifiziert. Das aber heißt: Im Vollzug meines φ-ens manifestiere ich nicht einfach ein abstraktes, unpersönliches „Schema“; ich tue nicht, was „auch ein Anderer tun könnte“. Indem ich φ-e, vollziehe ich, indem ich um mein φ-en weiß, unmittelbar das Tun des Anderen. Ich verstehe mich dann nämlich unmittelbar aus zwei Perspektiven zugleich: der „teilnehmenden“ und der „beobachtenden“; und kommt praktisch nichts dazwischen, dann bleibt mir diese Spannung so unmittelbar wie im Handeln aus Gewohnheit. Das praktische Selbstwissen hat, begrifflich, die Form eines Verhältnisses zwischen Subjekten: Das ist der – mit den unvermeidlichen Mitteln des subjektphilosophischen Sprachspiels nur schwer formulierbare, und daher eigentlich nur als Prozess erzähl- oder darstellbare – Clou des praxisphilosophischen Nachdenkens über „Subjektivität“. Im wirklichen Vollzug geistiger Tätigkeit manifestiert sich „der Geist“ daher nicht (nur) als eine allgemeine Form; er manifestiert sich als das selbstbewusste Verhältnis von Individuen zueinander. „Die Bewegung ist also schlechthin die gedoppelte beider Selbstbewußtsein [sic!]. […] Das Tun ist also nicht nur insofern doppelsinnig, als es ein Tun ebensowohl gegen sich als gegen das Andere, sondern auch insofern, als es ungetrennt ebensowohl das Tun des Einen als des Anderen ist“ (Hegel 1807, 146f.). Man begreift Selbstbewusstsein – die Art und Weise, wie wir um unser geistiges Tun wissen – nicht, wenn man es sich nur als ein monologisches „Denken“ vorstellt; deshalb muss man es sich als „in die Extreme zersetzt“ vorstellen, als das Verhältnis zwischen „mir“ und „Dir“, in dem beide (bloß darstellungstechnisch erzwungenen) Pole jeweils „dem Anderen die Mitte [sind], durch welche jede[r] sich mit sich selbst vermittelt“. Selbstbewusstsein muss man als ein Verhältnis erzählen: als die Spannung zwischen Perspektiven, die sich „als gegenseitig sich anerkennend […] anerkennen“ (Hegel 1807, 147).
Praktisches Selbstwissen ist sozial: man weiß sich in einer Spannung von Blickwinkeln als tätig; man denkt sich unmittelbar auch aus der Perspektive des Anderen, und also denkt man den Anderen mit, wenn man sich denkt. Das ist die formale Charakterisierung gelingenden Selbstwissens. (Nicht alle wirklichen Selbstverhältnisse gelingen; ihr Mißlingen wird als Unglück aber erst im Licht der Vorstellung des gelingenden, unmittelbaren, unproblematischen Zusammenfallens sichtbar, die wir aus unseren Gewohnheiten kennen.) – Dass „Selbstbewusstsein“ in einer perspektivischen Spannung wirklich ist und in der situativen Koinzidenz dieser Perspektiven gelingt, zeigt sich vielleicht am Deutlichsten dort, wo diese Spannung tatsächlich auf verschiedene Akteure verteilt ist. Deshalb beendet Hegel die Erzählung von der „Bewegung der Anerkennung“ nicht mit der formellen Feststellung, man müsse sich Selbstbewusstsein als „sozial“ vorstellen. Die Geschichte endet mit einem Konflikt der internen und der externen |67|Perspektive und seiner praktischen Auflösung, der ihr unmittelbares Zusammenfallen anschaulich macht. Dabei entsteht der Konflikt, den Hegel inszeniert, nicht einfach deshalb, weil sich zwei Beschreibungsperspektiven eines Handelns gegenüberstehen, sondern weil es in diesem Gegenüberstehen um die Beurteilung eines Anspruchs geht, den einer gegenüber einem anderen hat – und zwar, weil dessen φ-en dem Gegenüber ein Leid oder einen Schaden zufügt. Es geht nicht um die – verwandte, aber harmlosere – Frage nach der Identität der ausgeführten Tat (ich meine, ge-φ-t zu haben, muss mich aber fragen (lassen), ob ich nicht eher ge-µ-t habe). Es geht auch nicht um eine Situation, in der noch offen ist, ob einer dem Anderen ein Leid zugefügt hat, und also die Bewertung der Tat strittig wäre (ich etwa mein φ-en für „gut“ halte, der Andere aber widerspricht); in solchen Fällen ist klar, worum gestritten wird, und auch, wie man den Konflikt ggf. unter Heranziehung eines Dritten in der Sphäre des Rechts regulieren kann (vgl. etwa Zabel 2011; Stekeler-Weithofer 2014b). Hegel inszeniert stattdessen den Fall, in dem mein Tun einem Anderen ein Leid zufügt und ich darüber Reue empfinde und um Verzeihung bitte. Der Andere macht mich hier zu Recht für sein Leid verantwortlich; ich stimme ihm in der Beurteilung der Tat als schlecht zu – und trotzdem ist es für mich wichtig, mich von der Tat distanzieren zu dürfen. Ich möchte sagen dürfen, dass auch mir das Leiden des Anderen nur zugestoßen ist, und dass deshalb die „externe“, objektive Beschreibung, aus der mein Tun ein Dem-Anderen-Leid-Zufügen war, eine zwar richtige, aber nicht das Wesentliche treffende Beschreibung dessen sei, was ich getan habe. In einer solchen Lage bedarf ich nicht (wie im Handeln) der Perspektive des Anderen, um „objektiv“ wissen zu können, was ich tue – ich möchte diese objektive Perspektive umgekehrt relativiert wissen und wünsche mir, dass der Andere mir verzeiht. Verzeihen ist seitens der Verletzten „Verzichtleistung auf sich, auf sein unwirkliches Wesen“: denn die Verletzte ist wesentlich die durch das Tun des Täters Verletzte, und ihr Verzeihen lässt dieses „Wesen“ unwirklich werden, nicht mehr das Tun und Sein bestimmen. Im Verzeihen lässt sie den „Unterschied des bestimmten Gedankens [an die Tat] und [ihr] fürsichseiendes bestimmendes Urteil fahren“, ignoriert also den objektiven Konflikt in der Beurteilung der Tat – so, wie der Täter „das fürsichseiende Bestimmen der Handlung“ fahrenlässt, und nicht mehr darauf beharrt, dass das Leid der Verletzten seinem Tun eigentlich äußerlich sei. Um Verzeihung bitten und Verzeihen sind ein gutes Beispiel für die Struktur des Anerkennens, für die Spannung polarer Perspektiven auf einen geistigen Vollzug als Tat, die im geteilten Zusammenfallen dieser Perspektiven verschwindet, ohne dass diese „Versöhnung“ aus einer dieser Perspektiven logisch folgen würde oder von nur einem der Beteiligten allein bewerkstelligt werden könnte. „Das Wort der Versöhnung“, der Vollzug des versöhnlichen Miteinandersprechens, „ist der daseiende Geist, der das reine Wissen seiner selbst als allgemeinen Wesens in seinem Gegenteile“, nämlich einer konkreten, wirklichen Situation (Hegel 1807, 492), und das „versöhnende Ja, worin beide Ich von ihrem entgegengesetzten Dasein“ – ihrem Konflikt – „ablassen, ist das Dasein des zur Zweiheit ausgedehnten Ichs“. Dieses „zur Zweiheit |68|ausgedehnte Ich“ ist die endlich entwickelte, exemplarisch begriffene Form von geistig tätigem Selbstbezug überhaupt. Im Verzeihen exemplifiziert sich eine praktische Situation, in der die subjektive Perspektive, die komplementäre Perspektive der Anderen, und die unpersönliche Perspektive objektiver normativer Ansprüche zusammenstimmen und in der erlebbar wird, wie mein Tun, die von Dir erfahrene Tat und die unpersönliche Perspektive eines an objektiv vorgestellten Normen des Guten orientierten Urteilens wirklich zusammenstimmen, ohne dass dabei eine der Perspektiven durch die anderen überstimmt oder unterdrückt würde. Nicht alle Situationen, in denen einer dem Anderen verzeiht, exemplifizieren dieses Zusammenstimmen, und im Einzelfall wird es schwer sein, das Vorliegen einer solchen Koinzidenz mit letzter Sicherheit festzustellen. Wenn eine Situation aber derart die Wirklichkeit des Anerkennens exemplifiziert, dann ist sie ein Bild des gelingenden vernünftigen Lebens, ein Bild glückender Praxis. Die Idee einer derart exemplifizierten Praxis nennt Hegel „Sittlichkeit“ – das Medium, in dem „Geist“ sich im Vollzug so manifestiert, dass er „der erscheinende Gott mitten unter ihnen [ist], die sich als das reine Wissen wissen“ (Hegel 1807, 494).