Kitabı oku: «Polizei.Wissen», sayfa 2
Wie Prävention und Repression verschleifen
Von Sebastian Golla*
Es ist in der Kompetenzordnung des Grundgesetzes veranlagt, dass die Länder Regelungen über die Gefahrenabwehr treffen, während der Bund für den Bereich der Strafverfolgung zuständig ist. Aufgrund der unterschiedlichen Regelungen muss die Polizei, die in beiden Bereichen tätig wird, zwischen Prävention und Repression trennen. Die Sinnhaftigkeit dieser Trennung wird jedoch seit geraumer Zeit in Frage gestellt (so bereits Stümper, Kriminalistik 1975, 49 (53)). Oftmals ist eine saubere Unterscheidung nur theoretisch möglich. Prävention und Repression verschleifen.
Wahlmöglichkeit zwischen (Überwachungs-)Befugnissen
Besonders deutlich wird die Problematik, wenn die Polizei moderne Informationstechnologien einsetzt, z.B. bei heimlichen Überwachungsmaßnahmen (vgl. Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen, 2016, S. 344 ff.). Die Polizei hat bei solchen Maßnahmen faktisch oftmals die Wahl zwischen präventiven und repressiven Befugnissen, da sich zugleich der Verdacht bereits begangener Straftaten und die Gefahr weiterer Rechtsgutsverletzungen begründen lassen. So ließe sich etwa bei der Telekommunikationsüberwachung eines Drogenhändlers, der bereits Geschäfte abgewickelt hat, aber auch noch weitere plant sowohl mit einer repressiven als auch mit einer präventiven Zielrichtung begründen.
Die in diesem Fall gleichermaßen einschlägigen Ermittlungsbefugnisse nach Strafprozessordnung und Polizeigesetzen haben teilweise unterschiedliche Voraussetzungen. Tendenziell sind dabei Eingriffe im präventiven Bereich unter etwas niedrigeren Voraussetzungen möglich. Für repressive Maßnahmen sind im Umkehrschluss tendenziell stärkere Sicherungsvorkehrungen erforderlich. Zudem ist bei einem repressiven Tätigwerden die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ zu beachten. Im Gegensatz dazu handelt die Polizei bei präventiven Tätigkeiten auf Grundlage der Polizeigesetze eigenverantwortlich.
„Die Polizei hat oftmals die Wahl zwischen präventiven und repressiven Befugnissen, da sich zugleich der Verdacht bereits begangener Straftaten und die Gefahr weiterer Rechtsgutsverletzungen begründen lassen.“
Kein Vorrang von Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung
Dies bedeutet, dass die Polizei ein „Befugnisshopping“ betreiben und sich für eine Rechtsgrundlage ihrer Wahl entscheiden kann. Dem steht auch nicht ein etwaiger Vor-rang des Strafverfahrensrechts oder Gefahrenabwehrrechts entgegen. Diesem hat zuletzt der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs eine Absage erteilt (BGH NStZ 2017, 651 (654 Rn. 27)). In seiner Entscheidung zu legendierten Kontrollen sprach er sich im Zusammenhang mit der Durchsuchung eines Fahrzeugs nach Betäubungsmitteln als echter doppel-funktionaler Maßnahme für eine weitgehende Wahlmöglichkeit zwischen präventivem und repressivem Tätigwerden aus. Der 2. Strafsenat entschied, dass es „weder einen allgemeinen Vorrang der Strafprozessordnung gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht noch umgekehrt“ gebe. Auch bei Vorliegen eines Anfangsverdachts im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO sei „ein Rückgriff auf präventiv-polizeiliche Ermächtigungsgrundlagen rechtlich möglich.“
Die weitgehende Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Befugnissen birgt Missbrauchsmöglichkeiten und kann zu Wertungswidersprüchen bei der Ausübung der Befugnisse führen. Dies ist etwa der Fall, wenn gezielt Schutzmechanismen (wie z.B. Richtervorbehalte), die nur in einem Bereich existieren, bei bestimmten Ermittlungsmaßnahmen umgangen werden. Sie hat auch Konsequenzen für das Verhältnis der Polizei zur Staatsanwaltschaft. Indem sich die Polizei entscheidet, im Wesentlichen auf präventiver Grundlage vorzugehen, obwohl auch repressive Befugnisse eröffnet wären, kann sie sich der Weisung der Staatsanwaltschaft weitgehend entziehen (Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, 2015, S. 346 ff.).
Auf dem Weg zum einheitlichen Eingriffsrecht?
Faktisch weist die Wahlmöglichkeit in Richtung einer „Einheit der polizeilichen Aufgaben“ (vgl. Gusy, StV 1993, 269 (275)). Dies hat den Ruf nach einer Harmonisierung des präventiven und repressiven Bereiches insgesamt verstärkt (siehe dazu Bäcker, Stellungnahme zur Anhörung des 1. BT-Untersuchungsausschusses am 17.5.2018, S. 15). Das Grundgesetz ermöglicht es allerdings nicht, umfassende gemeinsame Regelungen für präventive und repressive polizeiliche Tätigkeiten zu treffen. Es bleiben Möglichkeiten zu einer Harmonisierung in einzelnen Sachbereichen oder Formen der „weichen“ Harmonisierung wie etwa durch eine Abstimmung der Regelungen der Strafprozessordnung mit einem Musterpolizeigesetz.
* Sebastian Golla ist Juniorprofessor für
Kriminologie, Strafrecht und Sicherheitsforschung im digitalen Zeitalter an der Ruhr-Universität Bochum.
Wenn die Polizei auf dem Stundenplan steht
Von Birgit Thinnes*
„Wo kein Gehweg ist, da geh ich links…“ In der Kindergartenzeit bringen Eltern oder andere Bezugspersonen die Kinder noch zur Einrichtung, andere gehen aber bereits ab der ersten Klasse allein zur Schule. Aus diesem Grund lernen die Kleinen im Kindergarten, wie man sich sicher im Straßenverkehr bewegt. Eine Polizistin oder ein Polizist vermittelt den Kindern zusammen mit den Erzieher*innen altersangepasst die Grundregeln des Straßenverkehrs. Dazu wird der Schulweg geübt, die Kinder trainieren, wie die Fahrbahn möglichst sicher überquert wird und warum es wichtig ist, sich im Auto anzuschnallen oder einen Fahrradhelm aufzusetzen. Kinder, die großes Glück haben, sehen das Präventionsprogramm von der Verkehrspuppenbühne, die Szenen werden ihnen noch lange in Erinnerung bleiben.
Und so ganz nebenbei lernen die Kinder die Menschen in Uniform kennen. Sie dürfen fragen, wozu man Handschellen benötigt und vielleicht sogar einmal in einem Streifenwagen Platz nehmen. Viele kennen die Notrufnummer 110 und wissen, dass man bei der Polizei anrufen darf, wenn man Hilfe braucht.
Häufig steht in der vierten Klasse die Fahrradausbildung auf dem Stundenplan. Die Verkehrssicherheitsberater*innen, die bei einer eigenständigen Dienststelle in der Direktion Verkehr einer Behörde angesiedelt sind, begleiten die Lehrer*innen bei praktischen Übungen der Klassen im Straßenverkehr. Am Ende durchlaufen die Viertklässler*innen eine theoretische und eine praktische Prüfung und erhalten dann bei erfolgreicher Teilnahme den Fahrradführerschein.
Ältere Schüler*innen der 10. und 11. Jahrgangsstufe sowie Berufsschüler*innen nehmen auch an dem Landesprojekt „Crash Kurs NRW“ teil. Die Polizei unterstützt die Schulen bei ihrer Verkehrssicherheitsarbeit, weil überhöhte Geschwindigkeit, das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes und der Konsum von Alkohol und Drogen häufig die Gründe sind, warum Menschen im Straßenverkehr schwer oder sogar tödlich verletzt werden. Insbesondere unter den jugendlichen und heranwachsenden Verkehrsteilnehmer*innen ist der Anteil der Verursacher dieser Unfälle besonders hoch. Während einer Bühnenveranstaltung berichten Polizist*innen, Feuerwehrleute, Rettungssanitäter*innen, Notfallseelsorger*innen, Angehörige oder Opfer von ihren Gefühlen und Eindrücken bei Unfällen, in die junge Menschen verwickelt waren. Begleitend dazu werden Bilder oder Videos von Unfallstellen gezeigt. Das Projekt wird im Unterricht vor- und nachbereitet.
„Die Polizei unterstützt die Schulen bei ihrer Verkehrssicherheitsarbeit, weil überhöhte Geschwindigkeit, das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes und der Konsum von Alkohol und Drogen häufig die Gründe sind, warum Menschen im Straßenverkehr schwer oder sogar tödlich verletzt werden.“
Neben der Verkehrsunfallprävention wird aber auch die Kriminalprävention durch §1 PolG NRW (Gefahrenabwehr) und die Polizeiliche Dienstvorschrift (PDV 100, Ziff. 2.1.1.1) erfasst. Hier heißt es:
„Prävention umfasst die Gesamtheit aller staatlichen und privaten Bemühungen, Programme und Maßnahmen, welche die Kriminalität und die Verkehrsunfälle als gesellschaftliche Phänomene oder individuelle Ereignisse verhüten, mindern oder in ihren Folgen geringhalten. Zu solchen negativen Folgen zählen physische, psychische und materielle Schäden sowie Kriminalitätsangst, insbesondere die Furcht, Opfer zu werden.“ In dem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Kriminalprävention ebenso wie die Verkehrsunfallprävention in Kindergärten und Schulen stattfinden kann. Wie immer geht Timo nach Schulschluss alleine nach Hause. Da spricht ihn ein fremder Autofahrer an. Er fragt, ob er ihm den Weg zur nächsten Eisdiele zeigen kann. Was soll Timo tun? Besorgte Eltern und Schulleitungen melden sich bei derartigen Vorfällen bei der Polizei und bitten um Schulbesuche.
Unter der Bezeichnung „Kriminalkommissariat Kriminalprävention/Opferschutz“ (KK KP/O) existiert in der Direktion Kriminalität eine Dienststelle, die sich ausschließlich der Kriminalprävention und dem Opferschutz widmet. Arbeitsgrundlage für die Kriminalprävention ist unter anderem der Erlass „Polizeiliche Kriminalprävention“, der überarbeitet wurde und im Jahr 2019 neu erschienen ist.
Vor einigen Jahren war es den Präventionsbeamt*innen noch möglich, anhand von Rollenspielen und kleinen Trainings Situationen aus dem Lebensalltag eines Grundschülers einzuüben und den Kindern dadurch mehr Handlungssicherheit zu verschaffen. In dem aktuellen Erlass sind die Standards polizeilicher Kriminalprävention enthalten und geben den Mitarbeiter*innen des KK KP/O eine Richtschnur für ihre Arbeit. In Kindergärten und Grundschulen beschränkt sich die polizeiliche Präventionsarbeit auf Vorträge und Fortbildungsveranstaltungen für Eltern und Fachkräfte, die dann die Präventionstipps an die Kinder weitergeben sollen. Nur in Ausnahmefällen „kann die Polizei Kinder auch unmittelbar informieren, wenn dies aus Gründen der Authentizität zielführend ist“ (Ministerium des Innern, Runderlass).
Kriminalprävention gehört dann in die Schule, wenn etwas verhindert werden soll, das ohne entsprechende Intervention wahrscheinlich eintreten würde und mit einem nicht unerheblichen Schaden verknüpft wäre (Ohder 2010: 17). Dem allgemeinen Strukturmodell folgend, lässt sich die Kriminalprävention in primäre (universelle), sekundäre (selektive) und tertiäre (indizierte) Prävention einteilen. Adressat*innen der primären Prävention sind alle Schüler*innen.
„Laut Erlass sollen Maßnahmen gegenüber Kindern und Jugendlichen in pädagogische Projekte der Schulen eingebettet sein, die über Risiken aufklären und Verhaltenstipps beinhalten, damit diese weder Opfer noch Täter von Straftaten werden.“
Primäre Präventionsmaßnahmen sollen abweichendes Verhalten im Vorfeld verhindern. Dazu zählt unter anderem die Befähigung von Jugendlichen Konflikte gewaltfrei auszutragen. Die meisten primärpräventiven Projekte sind allgemein gehalten, häufig werden sie in den Schulalltag eingebaut, beispielsweise die Erarbeitung von Klassenregeln und Einführung eines Klassenrates, Stärkung des Selbstvertrauens und Förderung des Kommunikationsverhaltens (Steffen 2014: 12).
Laut Erlass ist die Polizei für „die Verhinderung von Defiziten der Persönlichkeitsentwicklung durch Erziehung, Wertevermittlung und Bildung“ originär nicht zuständig. (Ministerium des Innern, Runderlass).
Die sekundäre Prävention richtet sich an ge-fährdete Kinder und Jugendliche, sowie an Schüler*innen, die sich geringfügig abweichend verhalten. Adressaten sind bei den meisten Projekten Schulklassen. Maßnahmen im Bereich der sekundären Prävention entstammen der Verhaltensprävention und stehen zwischen den Programmen der Kompetenzförderung und den Programmen der Rückfallvermeidung. Thematisch beschäftigen sie sich explizit mit Cybercrime, Gewalt, Kinder- und Jugenddelinquenz sowie dem Konsum illegaler Drogen. Der Hinweis auf entsprechende Beratungsstellen und die Erläuterung der Rechtsfolgen gehören ebenfalls in diesen Bereich (Steffen 2014: 13). Laut Erlass sollen Maßnahmen gegenüber Kindern und Jugendlichen in pädagogische Projekte der Schulen eingebettet sein, die über Risiken aufklären und Verhaltenstipps beinhalten, damit diese weder Opfer noch Täter*innen von Straftaten werden (Ministerium des Innern, Runderlass).
Adressat der tertiären Prävention ist schließlich der noch weiter eingeschränkte Personenkreis der bereits Täter*innen oder Opfer Gewordenen. Maßnahmen in diesem Bereich wollen die Rückfallwahrscheinlichkeit seitens der Täter*innen minimieren oder gänzlich ausschließen, zum Beispiel durch den Täter-Opfer-Ausgleich (Steffen 2014: 14). Sie finden vor ganzen Schulklassen keine Anwendung.
Im Bereich Schule ist das KK KP/O explizit für die Aufgabenfelder politisch motivierte Kriminalität, Cybercrime und Betäubungsmittelkriminalität zuständig. Andere Bereiche, wie zum Beispiel die Gewaltprävention kann auch von fachlich kompetenten Polizeibeamt*innen anderer Dienststellen übernommen werden. Die Polizist*innen bringen sich in die entsprechenden Unterrichtsreihen oder Projekttage mit ein, indem sie die polizeilichen Erkenntnisse an die Zielgruppe weitergeben (Ministerium des Innern, Runderlass).
Heute bedarf es keiner Überzeugungsarbeit für präventive Projekte an weiterführenden Schulen. Polizist*innen sind gern gesehene Gäste, sowohl Lehrer*innen als auch Schulsozialarbeiter*innen wissen, dass „vorbeugen besser ist als heilen“. Sie bauen auf das schulfremde Personal, weil Schüler*innen häufig „lehrertaub“ sind und es regelrecht überhören, wenn Lehrkräfte versuchen, den Schüler*innen bestimmte Verhaltensweisen mit Worten zu übermitteln. In der von Görgen et al. durchgeführten YouPrev Studie wird deutlich, dass Jugendliche der Polizei eine hohe Kompetenz in der Prävention zuschreiben. Nach Eltern und Freund*innen folgt die Polizei an dritter Stelle (Görgen et al. 2013: 24). Das positive Bild der Polizei in der Öffentlichkeit begründet sich in hohem Maße aus der Präventionsarbeit, die eng an den Ängsten und Bedürfnissen der Bürger orientiert ist (Mayer 2016: 46).
„Prävention baut auf der Annahme auf, zukünftige Gefährdungen erkennen zu können, es ist ein Handeln auf Verdacht. Je früher, desto besser.“
Was bedeutet es, wenn kriminalpräventive Inhalte auf dem Stundenplan stehen? Prävention baut auf der Annahme auf, zukünftige Gefährdungen erkennen zu können, es ist ein Handeln auf Verdacht. Je früher, des-to besser. Möglicherweise führt das zu einer Legitimation der Schule gegenüber den Eltern. „Es ist etwas zum Schutz der Kinder getan worden! Sogar durch die Polizei!“ Kriminalpräventive Projekte intervenieren und können auch stigmatisieren (Ohder, 2010: 17). Aus diesem Grund bedürfen sie einer Evaluation hinsichtlich Wirksamkeit und Folgen. Wenn jeder Besuch von Präventionsbeamt*innen mit dem Label „Kriminalprävention“ versehen wird, besteht die Gefahr, dass ganze Schulklassen als potentiell kriminell dargestellt werden. Es würde bedeuten, dass jeder Schüler, jede Schülerin potentielles Opfer oder potentiell gefährlich wäre. Darum sollten nur die Maßnahmen und Projekte die Bezeichnung „kriminalpräventiv“ tragen, bei denen durch empirische Forschungen belegt werden konnte, dass sie Devianz mindern (Steffen 2014: 5). Folglich dürften Maßnahmen der primären (univer-sellen) und sekundären (selektiven) Prävention, die ohne Zweifel notwendig und effektiv sind, nicht das Label „kriminalpräventiv“ tragen, sondern müssten als kompetenzfördernde Maßnahmen oder aufklärende Unterrichtseinheiten bezeichnet werden.
Literatur:
Görgen e.a. (2013): Jugendkriminalität und Jugendgewalt
Mayer (2016): Strategische Überlegungen zur Rolle der polizeilichen Kriminalprävention, In: Forum Kriminalprävention
Ministeriums des Innern (2019) Runderlass Polizeiliche Kriminalprävention
Ohder (2010): Ein Blick zurück nach vorn. In: Evaluation und Qualitätsentwicklung in der Gewalt- und Kriminalitätsprävention.
Steffen (2014): Kriminalprävention braucht Präventionspraxis.
Polizei im Kindergarten: https://polizei.nrw/artikel/polizei-im-kindergarten [07.01.2020]
Polizei in der Schule: https://polizei.nrw/artikel/polizei-in-der-schule [07.01.2020]
Polizei in der schulischen Verkehrsprävention: https://polizei.nrw/artikel/crash-kurs-nrw-realitaet-erfahren-echt-hart [07.01.2020]
* Birgt Thinnes M.A., ist Kriminalhauptkommissarin im Fachkommissariat Kriminalprävention und Opferschutz der Kreispolizeibehörde Minden-Lübbecke.
Das polizeiliche Gefahrenabwehrrecht in der Verkehrsunfallprävention
Von Peter Schlanstein*
An der Umsetzung der Vision Zero erfolgreich mitzuwirken, bedeuten eine große Herausforderung an alle Verantwortlichen und eine wichtige Aufgabe der Polizei. Rechtsgrundlagen für gefahrenabwehrende polizeiliche Maßnahmen ergeben sich regelmäßig aus den Polizeigesetzen der Länder. Beim Straßenverkehrsrecht, das vor allem die Sicherheit und Ordnung des Verkehrsregeln soll, handelt es sich indes um eine bundesrechtliche Angelegenheit, was die Anwendbarkeit des Polizeigesetzes nach Art. 31 GG für diesen Lebenssachverhalt grundsätzlich aus-schließt. Ist die Verkehrsunfallprävention dennoch eine gesetzliche Kernaufgabe der Polizei?
Recht des Straßenverkehrs in einer mobilen Gesellschaft
Es existiert kaum ein Rechtsbereich, der für alle Bürgerinnen und Bürger im täglichen Leben von annähernd so großer Bedeutung ist wie das Straßenverkehrsrecht, da niemand sich einer aktiven Teilnahme am Verkehrsgeschehen, sei es mit einem Kfz, Rad oder zu Fuß, für längere Zeit zu entziehen vermag. Wer ein Fahrzeug lenkt, verbringt mitunter viele Stunden am Tag im Straßenverkehr. Trotz aller in der Vergangenheit erzielten Verbesserungen der Verkehrssicherheit zählt die Teilnahme am Straßenverkehr heute noch immer zu den gefährlichsten täglichen Aktivitäten.
Deutschland ist eines der verkehrssichersten Länder der Welt. Doch dauerhaft über 3.000 Verkehrstote jährlich und rund 1.100 Verletzte täglich im Straßenverkehr Deutschlands sind Werte, mit denen sich niemand abfinden darf. So wächst die gesamtpolitische Aufgabe heran, Mobilitätsbedürfnisse zu befriedigen und zugleich aufgrund der aus Art. 2 Abs. 2 S.1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 S.2 GG, Art. 14 Abs. 1 S.1 GG herzuleitenden Pflicht des Staates zum Schutz der Verkehrsteilnehmenden die negativen Auswirkungen des Verkehrs auf ein möglichst niedriges Maß zu begrenzen.
„Dauerhaft über 3.000 Verkehrstote jährlich und rund 1.100 Verletzte täglich im Straßenverkehr Deutschlands sind Werte, mit denen sich niemand abfinden darf.“
Das Verkehrsrecht – als Spezialmaterie der Gefahrenabwehr – regelt die Teilnahme am Straßenverkehr durch Individualisierung der Verantwortlichkeit, indem die Verkehrsteilnehmenden zur Beachtung der spezifischen Normen verpflichtet werden und bei Verstößen die strafrechtlichen oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Sanktionen zu tragen sowie bei Verkehrsunfällen für den Schaden ggf. einzustehen haben.
Verkehrsrecht als besonderes Gefahrenabwehrrecht des Bundes
Was sind die Rechtsgrundlagen der polizeilichen Verkehrssicherheitsarbeit im Bereich des Straßenverkehrs, und wie korrespondieren sie mit den Regelungen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere aufgrund der polizeilichen Generalklausel?
Aufgabe des Straßenverkehrsrechts, das nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes unterfällt, ist es, die Teilnahme am Straßenverkehr, vor allem aber dessen Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Es dient als „sachlich begrenztes Ordnungsrecht” der Abwehr typischer Gefahren, die vom Straßenverkehr ausgehen und die dem Straßenverkehr von außen oder durch Verkehrsteilnehmende entstehen. Da der Bundesgesetzgeber u. a. durch § 6 StVG eine Ermächtigungsgrundlage für verschiedenste Rechtsverordnungen geschaffen und Regelungen erlassen hat, ist die Anwendung von ggf. abweichendem Landesrecht auf dem Gebiet des Straßenverkehrsrechts unzulässig. Das in straßenverkehrsrechtlichen Normen zum Ausdruck kommende spezielle Gefahrenabwehrrecht geht dem allgemeinen Gefahrenabwehrrecht der Polizeigesetze vor.
„Das Hauptanliegen der StVO ist, strenge Regeln für besonders unfallträchtige Fahrmanöver und Verkehrslagen zu formulieren und diese klar herauszustellen.“
Allerdings führen die Länder nach Art. 83 i.V.m. Art. 84 GG das Bundes(verkehrs)recht als eigene Angelegenheit aus; so auch z. B. die vom Bundesverkehrsministerium mit Zustimmung des Bundesrats erlassene Straßenverkehrsordnung. Gleichwohl ist gewährleistet, dass sämtliche auf den Straßenverkehr bezogenen Regeln im ganzen Bundesgebiet einheitlich gelten und verkehrsbehördliche Anordnungen nach den gleichen Grundsätzen erfolgen. Gleiches gilt für das Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht, das zum Verkehrsstrafrecht im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gehört und – ebenfalls im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung – bundesweit gleichen Regeln unterliegt.
Im Unterschied hierzu fällt die polizeiliche Gefahrenabwehr nach Art. 30, 70 GG in die Kompetenz der 16 Bundesländer, von denen jedes über seine eigene Polizei verfügt.
Verhaltensrecht der Straßenverkehrsordnung – StVO
Der Straßenverkehr weist hohe Anteile menschlichen Verhaltens und menschlicher Fehler auf, wird relativ häufig von außen gestört, z.B. durch Witterung oder Hindernisse auf der Fahrbahn, und findet bei sehr unterschiedlichen Bedingungen des Verkehrsablaufs statt. Die gesetzlichen Verhaltensvorgaben im Verkehr, also die Verkehrsregeln, denen die Verkehrsteilnehmenden unterworfen sind, dienen deshalb in ihrer Gesamtheit einerseits der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs und andererseits der Klärung der Verantwortlichkeit bei Unfällen.
Wie die Verkehrsteilnehmenden sich zu verhalten haben, kann ihnen der Verordnungsgeber gar nicht für jeden Einzelfall sagen, ohne das ein unübersichtliches Gestrüpp von Verkehrsregeln entstünde, was jede am Verkehr teilnehmende Person überfordern würde, denn das Geschehen auf den Straßen ist außerordentlich vielfältig. Das Hauptanliegen der StVO ist daher, strenge Regeln für besonders unfallträchtige Fahrmanöver und Verkehrslagen zu formulieren und diese klar herauszustellen. Wegen der dynamischen Entwicklung des Straßenverkehrs, der heute enormen Verkehrsdichte, unterschiedlich gefahrener Geschwindigkeiten und noch immer hoher Unfallgefahren ist das Verkehrsrecht sehr komplex und immer wieder Aktualisierungen unterworfen.
Regelgerecht – Fahren mit mehr Verantwortung
Viele der jährlich über 2,6 Millionen polizeilich registrierten Unfälle im Straßenverkehr mit fast 400.000 Verletzten könnten in Deutschland verhindert werden, wenn die Regeln besser beachtet würden. Denn mehr als 90 Prozent aller Unfälle mit Personenschaden gehen auf ein Fehlverhalten der am Straßenverkehr teilnehmenden Personen zurück. Der Straßenverkehr ist, was ihn von anderen Regelungsmaterien unterscheidet, sehr situationsabhängig. In Gefahrsituationen, in denen die Befolgung von Normen (lebens-)wichtig sein kann, bleibt den Verkehrsteilnehmenden oft wenig Zeit, über regelkonformes Verhalten nachzudenken und die Vorschriften im Geiste Revue passieren zu lassen. Der „Blick ins Gesetz“ verbietet sich gar, zumal das Augenmerk tunlichst auf das verkehrliche Geschehen gerichtet bleiben sollte.
Deshalb sind die grundsätzliche Kenntnis der relevanten Regeln wichtig – sowie das Wissen darüber, welche Verhaltensweisen unfallträchtig sind und wie potenziell gefährliche Situationen erfolgreich gemeistert werden können. Diese Kenntnisse müssen so tief im Bewusstsein verankert sein, dass sie es den Verkehrsteilnehmenden gestatten – notfalls im Bruchteil von Sekunden –, die richtige Entscheidung zu treffen. Dabei geht es nicht um Prinzipienreiterei und Selbstgerechtigkeit, vielmehr um Geistesgegenwart, Rücksichtnahme sowie moralische Bodenhaftung.
Polizeiliche Aufgaben im Straßenverkehr
Die Verkehrssicherheit ist eine Daueraufgabe ersten Ranges und von allen gesellschaftlichen Kräften gemeinsam zu tragen. Unzureichende Fortschritte in der Erhöhung der Sicherheit des Straßenverkehrs führten neben hohen sozialen auch zu volkswirtschaftlichen Kosten, die auf jährlich über 34 Milliarden Euro in Deutschland geschätzt werden. Nicht zu beziffern ist hingegen das menschliche Leid, das infolge schwerer Unfälle im Straßenverkehr entsteht. Wie können diese Unglücke wirksam vermieden werden?
Unfälle sind in der Regel keine schicksalhafte, unvermeidbare Nebenerscheinung des Straßenverkehrs, sondern in den meisten Fällen Folgen vermeidbaren menschlichen Fehlverhaltens. Zu den häufig ausschlaggebenden Verhaltensfehlern zählen neben Verkehrsverstößen wie überhöhter Geschwindigkeit, Fehler infolge Ablenkung (z. B. durch Smartphone) u.a. Trunkenheit im Verkehr oder Beeinflussung durch Drogen.
Kernaufgabe der polizeilichen Gefahrenabwehr (§ 1 Abs. 1 PolG NRW) ist es, durch Verkehrssicherheitsarbeit zur Reduzierung der Zahl der Verkehrsunfälle sowie zur Minderung der Folgen für Unfallopfer beizutragen. Polizeiliche Verkehrssicherheitsarbeit umfasst
„Die Kenntnisse relevanter Regeln müssen so tief im Bewusstsein verankert sein, dass sie es den Verkehrsteilnehmenden gestatten, die richtige Entscheidung zu treffen.“
• präventive, repressive und öffentlichkeitswirksame Maßnahmen, insbesondere zur Beeinflussung des Verhaltens von Verkehrsteilnehmenden,
• die Aufnahme von Verkehrsunfällen und die Mitwirkung an der Beseitigung von Unfallursachen sowie
• den Opferschutz und die Vermittlung von Opferhilfe nach Unfällen mit Getöteten oder Schwerstverletzten.
Eine Kombination dieser Handlungsbereiche lässt die größten Wirkungen erwarten. Bedeutsam für die Handlungs- und Rechtssicherheit in Ausbildung und Praxis der Polizei ist es, die unterschiedlichen, teils spezial-gesetzlichen Vorschriften in der Verkehrssicherheitsarbeit – in Abgrenzung zu den allgemeinen polizeirechtlichen Regelungen, besonders der Generalklausel – zu erkennen und sachgerecht anzuwenden. Dabei gehen spezialgesetzliche Regeln, Aufgabenzuweisungen bzw. Ermächtigungen stets den allgemeinen polizeirechtlichen Normen vor. Dies gilt daher für sämtliche bundesrechtliche Verkehrsvorschriften wie z. B. das Straßenverkehrsgesetz, die Straßenverkehrs-Ordnung, die Fahrerlaubnis-Verordnung, die Fahrzeug-Zulassungsverordnung, oder die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung.
So gelten besondere Zuständigkeiten und Regeln nach § 1 Abs. 4 PolG NRW i.V.m. § 163 Abs. 1 S. 1 StPO bzw. § 47 Abs. 1 OWiG.für die Verfolgung von (erkannten) Verkehrsverstößen. Bei Verkehrsunfällen spielt darüber hinaus die Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum der Beteiligten und anderer Verkehrsteilnehmenden eine wesentliche Rolle (§ 1 Abs. 1 und 2 PolG NRW).
„Kernaufgabe der polizeilichen Gefahrenabwehr ist es, durch Verkehrssicherheitsarbeit zur Reduzierung der Zahl der Verkehsunfälle sowie zur Milderung der Folgen für Unfallopfer beizutragen.“
Konzeptionen zur präventiven und repressiven Verkehrsunfallbekämpfung sollten insbesondere unter Berücksichtigung der örtlichen Verkehrssicherheitslage erarbeitet und umgesetzt werden. Ratsam erscheint überdies, von der Möglichkeit, Konzeptionen zur Verkehrssicherheitsarbeit auf Landesebene oder auch länderübergreifend auszutauschen, vermehrt Gebrauch zu machen, um bei übereinstimmender Problemlage wirksame und bewährte Methoden zeitnah anwenden zu können.
Schwerpunkt Prävention
Polizeiliche Verkehrsunfallprävention ist als Teil der Gefahrenabwehr (§ 1 Abs. 1 PolG NRW) neben der Verhütung bzw. Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie von Opferschutz integraler Bestandteil des polizeilichen Gesamtauftrags und damit polizeiliche Kernaufgabe. Die Polizei leistet durch zielgruppenorientierte Verkehrssicherheitsarbeit einen wichtigen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Verkehrsunfallprävention.
Maßnahmen der Polizei zur präventiven Vermeidung von Verkehrsunfällen erfolgen vorrangig durch
• Verkehrserziehung,
• Verkehrsaufklärung/-information und
• Öffentlichkeitsarbeit sowie
• Verkehrsunfallauswertung und Mitwirken bei der Verkehrsraumgestaltung.
Verkehrssicherheitsberatung (Verkehrsunfallprävention im engeren Sinne) ist eine ständige Aufgabe der Polizei und umfasst regelmäßig Handlugen als behördliche Realakte ohne Eingriffsqualität.
Nach dem Prinzip des lebenslangen Lernens gewährleistet die Polizei eine flächendeckende Betreuung für alle Altersgruppen insbesondere durch Verkehrssicherheitsberater. Eine Integration mit kriminalpräventiven Elementen ist anzustreben. Die Organisationsstruktur in der Verkehrssicherheitsberatung nimmt Rücksicht auf bestehende Verkehrssicherheitspartnerschaften mit anderen Trägern. Eine enge Vernetzung/Kooperation mit möglichst vielen gesellschaftlichen Trägern der Verkehrssicherheitsarbeit fördert die Entwicklung von Synergieeffekten und erhöht die Nachhaltigkeit verkehrsunfall-präventiver Maßnahmen.
In jüngster Vergangenheit haben sich haben sich als neuartiges Instrument insbesondere Gefährder/innen-Ansprachen gegenüber Personen, bei denen Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bestehen, als grundsätzlich geeignete Maßnahme erwiesen, gefahrengeneigtes Verhalten gegenüber Anderen und erheblich Verstöße im Straßenverkehr zu reduzieren. So finden u. a. verkehrsbezogene Gefährder/innen-Ansprachen ihre Rechtsgrundlage – mangels spezialgesetzlicher Regelung – bis heute in der polizeilichen Generalklausel.
* PHK Peter Schlanstein lehrt hauptamtlich
Verkehrsrecht und Verkehrslehre am Studienort Münster (Westf.) der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.