Kitabı oku: «Postdramatisches Theater als transkulturelles Theater», sayfa 3

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3. Überschreitung des Theaters

Transkulturalität als Perspektive ermöglicht und erfordert, Theater quer zur Fixierung von Identitäten und Gewissheiten zu denken, und Theater nicht nur als künstlerische Praxis zu verstehen, sondern in seinen Wechselwirkungen mit kulturellen, politischen und ökonomischen Kontexten.1 Theater birgt daher immer schon die Möglichkeit zu seiner eigenen Überschreitung, im Auszug aus etablierten Räumen und Institutionen ebenso wie mit der Überwindung konventioneller Auffassungen von Schauspiel als Abbild von Wirklichkeit und Ausdruck kultureller Identität. Überschreitung wäre hier auch in Annäherung an die von Michel Foucault in Anschluss an Georges Bataille formulierte Erfahrung einer existenziellen Infragestellung des Subjekts zu verstehen, das mit den Grenzen seines Seins (im Rausch, in der Sexualität, in der Religion, im Wahnsinn etc.) spielt anstatt sie bloß überwinden zu wollen. Diese Art von Überschreitung „durchbricht eine Linie […], die sich hinter ihr sogleich wieder in einer Welle verschließt, die kaum eine Erinnerung zulässt und dann von neuem zurückweicht bis an den Horizont des Unüberschreitbaren“2. Zumindest da, wo sich postdramatisches Theater der Performance und dem Happening nähert, arbeitet es – als ein Theater der Überschreitung – mit einer ähnlichen Dynamik der radikalen Verausgabung. Der Impuls zur Überschreitung betrifft dann aber nicht nur das Drama, sondern strukturell auch das damit verknüpfte Menschenbild und schließlich Kultur insgesamt, sofern diese noch im Sinne von Identität, Nationalität, stabiler Zugehörigkeit aufgefasst wird. Gleichzeitig werden auch die Räume und Erscheinungsweisen des Publikums in Frage gestellt, einer quantitativen und qualitativen Entgrenzung ausgesetzt. Dieser Prozess kann schließlich das Theater selber erfassen, in seiner Grundbedeutung als Schauplatz ebenso wie in dem davon abgeleiteten Bezug auf szenische und performative Praktiken aller Art. Überschreitung des Theaters hieße dabei sowohl die Überwindung von Sparten, Gattungen und Disziplinen, deren Entwicklung ohnehin nur von ihrer andauernden Wechselwirkung her zu begreifen ist, wie auch die Entgrenzung des Schauplatzes, der weit über die konventionellen Bühnengebäude hinaus als Situation zwischen Agierenden und Zuschauenden überall entstehen kann.

Nicht von ungefähr war die Idee des Nationaltheaters, eng verbunden mit der Idee einer nationalen Literatur und Kultur, bei ihrer allmählichen Realisierung im „langen“ 19. Jahrhundert auch geprägt durch die zunehmende Abgrenzung theatraler und szenischer Praktiken von der sie umgebenden gesellschaftlichen Realität. Die Errungenschaften des illusionär abgeschlossenen, als Guckkasten perfektionierten Kunstraumes wirken bis heute nach im Dispositiv des dramatischen und zugleich auf die baulich fixierte Trennung vom Publikum angewiesenen Theaters. Daher können umgekehrt die Überschreitung dieses immer noch dominanten Theatertyps und der Auszug aus oder genauer: die Rückkehr in öffentliche Räume zugleich eine Erweiterung des gesellschaftlichen und kulturellen Horizonts von Theater bewirken. Die damit absehbare erneute Erweiterung des Spektrums theatraler Praktiken geht jedenfalls über die Ablösung vom Drama hinaus. Transkulturelles Theater wäre mithin der weitere Begriff, dessen elementares Kriterium einer Begegnung von Agierenden und Zuschauenden nicht länger determiniert ist von den spezifischen, kulturell geprägten Institutionen der Sprache, der Literatur und insgesamt einer jeweiligen Ästhetik und Didaktik. All diese Faktoren können inzwischen auch innerhalb der um Öffnung bemühten Theaterinstitutionen auf neue Weise in den Blick genommen und selbst zum Thema und Material theatraler Prozesse werden, nicht zuletzt das Verhältnis von Kunst und Alltag. So lassen sich theatrale Praktiken in anthropologischer Perspektive verstehen als eine Kommunikation von Menschen untereinander ebenso wie mit verschiedenen nichtmenschlichen Wesen, die nicht nur adressiert werden sondern zugleich selbst agieren können (insbesondere Göttinnen und Götter, Tiere, Puppen, Maschinen, Avatare und künstliche Intelligenzen), zugleich aber als eine unablässige Konfrontation mit Erfahrungen von Fremdheit. Anstatt bloß, wie noch im Europa des 19. Jahrhunderts, zur Begründung national-kultureller Identität zu dienen, ermöglichen solche Praktiken eine transkulturelle Überschreitung, die in der gegenwärtigen Weltlage auch weitaus notwendiger erscheint als der Rückzug auf ein vermeintlich „Eigenes“.

Beispiele dafür, wie die Überschreitung des konventionellen Bühnengebäudes zugleich einhergehen kann mit der Erweiterung des Theaters auf Horizonte anderer Kulturen im Kontext globalisierter Ökonomien, Kriege und Migrationsströme, bieten wiederum Arbeiten von Rimini Protokoll, vor allem Call Cutta, Cargo Sofia oder auch Situation Rooms. In der Produktion Remote X, die 2013 als Remote Berlin anfing und weltweit in über 30 Städten neu erarbeitet wurde, folgen ca. 50 Teilnehmende einer synthetischen Stimme, die ihnen die urbane Umgebung wie auch ihr eigenes Verhalten fremd erscheinen lässt. Dabei findet die Bewegung stets in der Gruppe statt, die sich gelegentlich aufteilt und von der Stimme öfters als eine „Herde“ oder „Horde“ adressiert wird. Wie in früheren Audiowalks bleibt es den Teilnehmenden weitgehend überlassen, ob sie die angesagten, „ferngesteuerten“ Bewegungen ausführen oder nur den anderen dabei zusehen. Das Spiel mit der Möglichkeit, den Spielort zu verlassen oder zu verlagern, erweist sich in der aktuellen Theater-, Performance- und Tanzpraxis aber nicht etwa als ein endgültiger Abschied von der Institution und den Gebäuden des konventionellen Theaters, eher als deren Erweiterung. Oft sind es kooperative Projekte, die den Ort des Theaters in der Stadt neu zu bestimmen suchen und dabei zugleich theatrale Aktionen im urbanen Raum ermöglichen.3 Dies führt inzwischen gerade für die Frage nach dem Öffentlichen als einer gemeinsamen Sphäre zunehmend auf Erfahrungen von Fremdheit, auf die Begegnung einander unbekannter Individuen, Gruppen und Kulturen.

Der Umstand, dass gegenwärtig der Status des Menschen und die ethischen Werte der modernen westlichen Welt durch Vertreibung und Flucht im rechtlichen Ausnahmezustand hinfällig erscheinen, bringt zahlreiche Theaterschaffende aber auch wieder dazu, auf die Anfänge der westlichen Theaterkultur zurückzugehen und das in vieler Hinsicht prä-dramatische Modell der griechischen Tragödie aufzugreifen. Deutlich wird das am Beispiel von Aischylos’ Hiketiden, einem Stück, das in den letzten Jahren oft eine Überschreitung theatraler Konventionen provoziert hat, bis hin zur Öffnung des Theaters (als Haus und als Praxis) zum Asyl und zu der Frage nach dem unmöglichen Ort des Theaters in der heutigen Gesellschaft. Dafür ist Aischylos’ Stück hochbedeutend, da hier der Fall der 50 schutzflehenden Frauen aus Ägypten bereits als politischer Prozess dargestellt wird. Der König Pelasgos kann den Fall nicht allein entscheiden, sondern muss zunächst die Volksversammlung um Rat fragen und abstimmen lassen. Tatsächlich ist der Text der Schutzflehenden sogar eine der frühesten erhaltenen Quellen für ein derartiges demokratisches Verfahren in der Griechischen Kultur. Die Angelegenheit ist von elementarer Bedeutung für alle, geht jeden Bürger etwas an. Um ihrem Gesuch ein größeres Gewicht zu geben, erinnern die Schutzflehenden den König Pelasgos daran, dass er von Zeus selbst bestraft werden könnte, wenn er ihnen kein Bleiberecht gewährt. Später vergleicht der König sich selbst und das Volk von Argos mit einem Schiff in Not und droht denjenigen welche die Schutzflehenden nicht beschützen damit, dass sie selber verbannt und in Flüchtlinge verwandelt würden.

Die theatrale Umkehrung von Flüchtlingen und Aufnehmenden ist bis heute ein wirksames Mittel, um die Ängste von Gesellschaften zu überwinden, die mit Geflüchteten konfrontiert sind. So gab es einige neuere Produktionen dieses Stückes, welche die Schwierigkeiten und Paradoxien der aktuellen Asylpolitik zum Ausdruck zu bringen versuchten, z.B. Enrico Lübbes Inszenierung des Textes Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek am Schauspiel Leipzig (2015). Jelinek schrieb ihren Text bekanntlich mit Bezug auf den realen Konflikt von Flüchtlingen, die 2013 in Wien ein Kirchenasyl erreichen wollten und schließlich von der Polizei deportiert wurden. So thematisiert sie die Macht bürokratischer Verfahren, die einzelne Asylsuchende auf ihre körperliche, aller individuellen Rechte entkleidete Existenz reduzieren, wie es bereits von Giorgio Agamben in Homo Sacer analysiert wurde.4 Assoziationen mit diesem Kontext waren auch in Lübbes Produktion präsent, welche die Aktualität der Texte von Aischylos und Jelinek gerade in ihrer Verknüpfung verdeutlichte. Die räumliche Situation bestimmte ein verrosteter Schiffsrumpf. Der Chor der Schutzflehenden verwandelte sich in eine Gruppe von Jelinek-Doubles, dann in eine Masse von Flüchtlingen und schließlich in eine Gruppe von Feriengästen als Hotdogs, die auf ihren Liegestühlen in der Sonne gegrillt werden und sich über die – angeblich von Flüchtlingen verursachte – Umweltverschmutzung an den Stränden beschweren. Wie Jelineks Text spielte auch die Aufführung mit dem Kontrast zwischen pathetischen Bildern von Leiden und Angst und andererseits einem Zynismus der Banalitäten und stumpfen Vorurteile.

Einen anderen Ansatz verfolgte Sebastian Nübling, ebenfalls im Herbst 2015, am Berliner Gorki Theater, und wiederum von Aischylos und Jelinek ausgehend. Darüber hinaus verwendete er aber Ausschnitte der Asyldebatte in deutschen Parlamenten sowie persönliche Erinnerungen der Geflüchteten, die bereits Teil des Gorki-Ensembles geworden waren. Die Stühle wurden entfernt und das Publikum war auf einer Tribüne platziert, während das Parkett des Theaters als Versammlungsraum benutzt wurde. Im weitgehenden Verzicht auf festgelegte Rollen, wenn auch durch körperliche Handlungen auf das Stück Bezug nehmend, engagierten sich die Spielenden vor allem in politischen Reden und einer Art Re-enactment der abstrakten Debatte über die neuen Gesetze zu Einwanderung und Asyl. Die Aufführung endete mit einer Versammlung des Publikums um die neuen Mitglieder des Ensembles, die somit Gespräche über ihre persönliche Erfahrung von Flucht und Migration aktiv gestalten konnten, anstatt bloß von anderen repräsentiert zu werden. Auf diese Problematik verwies schon der Titel der Produktion: In Unserem Namen.

Gegenwärtig gibt es aber auch eine Tendenz, Theatergebäude und -institutionen demonstrativ in Asyle zu verwandeln, die für alle offen sein sollen, die eine Bleibe suchen, und als Treffpunkt dienen können für diejenigen, die ihnen helfen wollen. An vielen Bühnen im deutschsprachigen Raum gibt es solche Projekte, die zum Teil den konventionellen Gebrauch der Theaterhäuser weitgehend verändern. Diese Entwicklung erscheint einerseits als notwendiger und häufig auch produktiver Impuls zur Öffnung eines mitunter starren Apparates der Repräsentation auf Prozesse des gesellschaftlichen und kulturellen Wandels. Andererseits bleibt Theater immer noch einer der seltenen Orte, an denen Experimente nicht zwingend Gewinn bringen müssen. So können sie auch der ansonsten vorherrschenden bürokratischen Verwaltung und ökonomischen Verwertung von Geflüchteten und ihrer prekären Situation entgegensetzen. Wie sich auch an diesen Beispielen zeigt, ermöglicht und erfordert Theater gegenwärtig Praktiken des Inszenierens und Agierens, welche die üblichen Trennungen zwischen „eigen“ und „fremd“ überschreiten. Diese Praktiken eröffnen transkulturelle Perspektiven, mit denen die in vieler Hinsicht problematischen Formen heutiger Migrationspolitik kritisch reflektiert werden können. Die für das Zusammenleben in gegenwärtigen und zukünftigen Gesellschaften elementare Frage, wie die mit dem Insistieren auf kultureller Identität immer wieder einhergehenden Tendenzen der Exklusion zu überwinden wären, ist sicherlich Grund genug, auch das Theater als Institution neu zu denken, Überschreitung selbst als eine theatrale Praxis zu begreifen, auszuprobieren und durchzuspielen.

Was ist das transkulturelle Theater?

Günther Heeg (Universität Leipzig)

Das transkulturelle Theater,1 von dem hier die Rede ist, ist im Werden.2 Es lässt sich nahezu weltweit finden in den Arbeiten des Gegenwartstheaters, aber auch frühere Theaterformen offenbaren das Werden des transkulturellen Theaters einem neuen wissenschaftlichen Blick. Gleichwohl oder gerade deshalb lässt sich dieses Theater nicht als eine besondere Sparte des Theaters verorten. Das unterscheidet den hier vorgestellten Ansatz von dem des interkulturellen Theaters. Gegen eine Objektivierung dieses Theaters spricht vor allem, dass es das Resultat wissenschaftlichen Nachdenkens ist über das, was gegenwärtig im Theater und in der Welt geschieht. Das transkulturelle Theater ist eine Idee im Sinne von Gilles Deleuze. Nicht überzeitlich festgezurrt am platonischen Ideenhimmel, sondern hervorgebracht durch raumzeitliche Dynamiken, in Bewegung zwischen Virtualität und Aktualität, im Werden. In der Idee des transkulturellen Theaters verbinden sich Theater-Erfahrung und theoretische Reflexion. Erst in der Engführung beider, der erfahrungsgesättigten Konstruktion3 des transkulturellen Theaters, zeigt sich sein Werden als ein Öffnen der Gegenwart auf Zukunft hin.

Mein Beitrag geht drei wesentlichen Elementen nach, die in der Idee des transkulturellen Theaters in Konstellation treten: Es ist die Dringlichkeit eines „Theaters unter Fremden“, die Notwendigkeit eines „Theaters der Wiederholung“ und die Bewegungskraft eines „Theaters der Geste“. Auf Ausführungen zu diesen drei Bestimmungen des transkulturellen Theaters folgt die Beschreibung einer Aufführung, die zum Erfahrungsraum des transkulturellen Theaters gehört.

1. Ein Theater der Fremden

Ein Theater der Fremden ist an der Zeit. Das braucht man in diesen Tagen in Deutschland und in Europa nicht eigens begründen. Wir erleben derzeit ein Ausmaß an Fremdenangst und Fremdenhass, das in unserer modernen, aufgeklärten Gesellschaft eigentlich für überwunden gehalten wurde. Sie entstehen aus den Folgen der Globalisierung, die Städte und Länder, Regionen und Kontinente zusammenrücken lässt, ohne dass die Welt besser würde. Im Gegenteil: Die Entgrenzung von Räumen, die ungleichen ökonomischen Entwicklungen und die Vermischung von Kulturen lösen traditionelle Bindungen auf, stellen gewohnte kulturelle Normen und Verhaltensweisen in Frage und machen die Instabilität der sozialen Lage zum prekären Dauerzustand. Das macht Angst. Die Angst führt zu neuen Politiken der Abschottung und Ausgrenzung und zu fundamentalistischen Bewegungen weltweit. Bürger_inneninitiativen gegen Flüchtlinge, die Asyl suchen, und Vereinigungen gegen die angeblich drohende Gefahr anderer Religionen und Kulturen offenbaren eine wiedergekehrte Angst vor dem Fremden, die oft in offenen Hass umschlägt. Sie muten anachronistisch an in einer Zeit, die so sehr von der internationalen Verflechtung und universellen Angleichung von Arbeits- und Lebenswelten bestimmt ist, und sind doch exakt deren Resultat. Fremdenangst und Fremdenhass und die trotzige Anstrengung, die vermeintlich eigene Kultur rein zu bewahren, sind kein Rückfall in archaische Zeiten, sondern das Produkt einer halbierten, einseitigen Weltwerdung. Global geworden ist die Welt nämlich nur auf den anarchischen Feldern der Ökonomie, der Finanzen und der digitalen Kommunikation. Vernachlässigt ist dagegen die Suche nach transkulturellen Möglichkeiten und Formen des Zusammenlebens. Es fehlt an der Konzeption und Praxis einer Konvivenz mit dem Fremden.

In dieser Situation ist das Theater gefordert. Denn Theater ist seit jeher ein entscheidendes Instrument und Medium der Selbstverständigung darüber, wie wir in Zukunft leben, wie wir überleben wollen. Nur: Wie soll ein Theater der Fremden aussehen? Welche Gestalt soll es annehmen? Ist es ein politisches Theater, das für die Fremden Partei ergreift? Wer aber sind die? Soll es in der Nachfolge eines Theaters, das sich als moralische Anstalt versteht, den Aufstand aller Anständigen gegen die moralisch verwerflichen Pegidademonstrant_in­nen propagieren? Wohl kaum, denn diese Versuche würden allesamt nur den Fundamentalismus kopieren und die Schwarz-Weiß-Zeichnung der Wirklichkeit wiederholen. Sie würden ihrerseits die anderen, diesmal die Anhänger_in­nen und Demonstrant_in­nen der extremen Rechten, ausgrenzen. Das Fremde bliebe so erneut außen vor.

Die weit verbreitete Vorstellung einer_s Fremden, die_er oder das von außerhalb aus der Ferne in unsere gewohnte kulturelle Umgebung tritt, ist dem Konzept des Interkulturalismus entsprungen. Die interkulturalistische Weltsicht geht von gegeneinander abgeschlossenen und unterscheidbaren Kulturen aus. Die Kultur der Fremden und die (vermeintlich) eigene Kultur, so die Behauptung, sind verschiedene und getrennte Welten. Geraten sie miteinander in Kontakt, z.B. im Fall von Flucht und Migration, gilt es, um Verständnis zu werben für die fremde Kultur, damit es nicht zu dem von Huntington herbeigeschriebenen „clash of civilizations“1 kommt. Eine wichtige Theaterarbeit aus der jüngsten Vergangenheit, die im Horizont des Interkulturalismus stand, ist die Produktion Morgenland von der Bürgerbühne Dresden.2 Morgenland will Vorurteile bekämpfen, die Angst vor dem Fremden nehmen und den Abendländer_in­nen die Kultur des Morgenlands nahebringen. Und bestätigt und verfestigt doch, trotz bester Absichten, die Vorstellung von in sich abgeschlossenen Kulturen und die klare Trennung des kulturell Eigenen und des Fremden. Das ist ein essentialistischer Ansatz, der weder der empirischen Erscheinung gegenwärtiger noch vergangener kultureller Lebenswelten entspricht. Kulturelle Lebenswelten in Zeiten der Globalisierung sind Hybride. Der Versuch, sogenannte Leitkulturen zu (re-)etablieren, ist zum Scheitern verurteilt. Letzterer ist darauf aus, das 18. Jahrhundert-Modell der Nationalkulturen unter veränderten Umständen wieder zu beleben, ein gespenstisches Unterfangen. Denn von Beginn an waren diese Nationalkulturen Konstrukte, die einer Realität divergierender Kräfte unterschiedlicher politischer, sozialer, religiöser Bewegungen und ethnischer Gruppierungen mehr schlecht als recht Einhalt gebieten sollten. Durchweg durchzieht kulturelle Heterogenität die Konstrukte der Nationalkulturen und ihrer Nachfolger. Die Anstrengung, die Vielfalt kultureller Lebenswelten erneut dem Diktat einer Kultur zu unterwerfen, heißt ein Phantasma zur Richtschnur kulturellen Handelns zu machen.

Hält man an den Vorstellungen des Interkulturalismus fest, hat das politische Folgen. Mit dem Konzept des Interkulturalismus verknüpft sind die Verortung des Fremden, das Konzept der Integration und die Zuschreibung kultureller Identität. Das sind allesamt Ansätze, die die Vorherrschaft der (vermeintlich) eigenen Kultur gegenüber anderen zementieren. Fremd ist dem zufolge alles, was von außen kommt, innerhalb des Eigenen gibt es nichts Fremdes. Mit dieser Exterritorialisierung des Fremden landet man unweigerlich bei seiner Exotisierung. Die Klippen, die es dabei in der Theaterarbeit zu umschiffen gilt, werden sichtbar etwa in dramaturgischen Überlegungen, den Woyzeck mit einem zwergenwüchsigen Syrer zu besetzen – ist er nicht ein Symbol für Elend schlechthin? – oder wie in der Romeo und Julia-Produktion der Bürgerbühne Dresden die Montagues und Capulets strikt nach Einheimischen und Fremden von außerhalb aufzuteilen3. In beiden Fällen bleibt das Fremde außen vor, wird aber als exotischer Reiz von der phantasmatischen Leitkultur gerne konsumiert. Generell lässt sich sagen: Je mehr sich die Theaterarbeit auf die Repräsentation einer Gruppe – der Geflüchteten, der Migrant_innen, der Postmigrant_in­nen fokussiert – umso größer ist die Gefahr der Exotisierung dieser Gruppe. Je stärker sie mit Dramaturgien der Entgegensetzung arbeitet, umso mehr wächst die Gefahr, dass das Fremde bzw. die Fremden in die Zwangsjacke kultureller Identität gesteckt werden.

Auch die Konzepte von kultureller Identität und Integration sind dem interkulturalistischen Weltbild entsprungen. Die Vorstellung kultureller Identität ist obsolet in Zeiten kultureller Hybridisierung. Hält man (verzweifelt) daran fest, z.B. mit einem Merkzettel (Leitkultur) all dessen, was angeblich deutsch ist, betreibt man, absichtlich oder unabsichtlich, das Geschäft der Fundamentalist_innen. Die Zuschreibung kultureller Identität bindet Menschen fest an einzelne kulturelle Normen und Praktiken, seien sie real oder imaginär. Von hier aus lässt sich ihre Exklusion betreiben, wie es im euphemistisch genannten „Ethnopluralismus“ der extremen Rechten geschieht. Selbst die gutgemeinte Idee der Integration erweist sich im Horizont des Interkulturalismus als Einbahnstraße: Integrieren müssen sich demzufolge nur die, die von außen kommen. Sie sollen sich in die kulturelle Lebenswelt einfügen, in die sie eintreten. Wenn das Wahlprogramm der AfD für die Bundestagswahl 2017 das Wort „Integration“ durch „Anpassung“ ersetzt, bringt es unfreiwillig die Einseitigkeit in der gängigen Vorstellung von Integration zum Ausdruck. In der Migrationsgesellschaft, die wir sind, wäre die Forderung, sich zu integrieren – will man an dem Begriff festhalten – die Aufgabe aller, die hier leben, in gleichem Maße.

Das transkulturelle Theater ist ein entscheidendes Medium der Hinwendung zum Fremden. Als „Schauplatz des Fremden4 hat Bernhard Waldenfels das Theater bezeichnet und die Fremdheit des Theaters gleich bei seinen westlichen Anfängen im Theater der antiken Tragödie beginnen lassen. Für die Moderne hat Brecht, der „Einstein der neuen dramatischen Form“5, nicht von ungefähr die Erfahrung des Fremden als eine Hauptaufgabe von Theater benannt. Brechts oft nur verkürzt wahrgenommenes Konzept der Verfremdung versteht Fremdheitserfahrung als ein Fremdwerden der Erfahrung selbst. „[V]on sich selber entfernen“6 und sich fremd werden sollen sich nach Brecht die Zuschauer_in­nen ebenso wie die Akteur_innen: „[Der Artist betrachtet] sich selbst und seine Darbietungen mit Fremdheit […]“7. Theater, folgen wir Waldenfels und Brecht, ist sich selbst fremd, es ist prinzipiell „außer sich“.8 Das macht es zu einem bevorzugten Ort der Verständigung unter Fremden und Medium transkultureller Kommunikation.

Ein transkulturelles Theater geht nicht von abgeschlossenen, distinkten Kulturen aus, die es miteinander in Kontakt zu bringen sucht, sondern setzt an der Fremdheitserfahrung im Inneren der vermeintlich eigenen, der sogenannten Nationalkultur an. Denn Nationalkulturen sind allesamt Phantasmen, Wunsch- und Trugbilder der Reinheit, des Eigenen und des Wesenhaften. In der Realität aber nie rein, sondern durchsetzt vom Unreinen, andern Völkern und Ethnien, Sitten und Gebräuchen, kulturellen Einflüssen, Transformationen usf. Durchsetzt also von Fremdkörpern, die ausgeschlossen werden müssen, weil sich erst im Ausschluss des Fremden das Phantasma einer eigenen Kultur gründen lässt. Eben um das Durchsetzte aber geht es im Theater des Fremden. Das hindurchgehende Fremde im vermeintlich Eigenen der Kultur, dieses Trans, das das sicher geglaubte Eigene durchquert und öffnet, ist der Beweggrund des transkulturellen Theaters.

Das transkulturelle Theater sucht also das Fremde nicht in weiten Fernen, sondern zuallererst innerhalb des vermeintlich Eigenen und Nahen, das es in ein unvertrautes Licht rückt. Erst wenn die Grenze zwischen dem Eigenen und dem Fremden in Frage gestellt ist und das Eigene selbst fremd geworden ist, wird ein freier Umgang mit Fremdheit, der eigenen wie der des Anderen, möglich. Dieser Umgang zielt auf einen „versöhnten Zustand“, den Adorno, in Anlehnung an Eichendorffs gleichnamiges Gedicht, als „schöne Fremde“ bezeichnet hat. Er „annektierte nicht mit philosophischem Imperialismus das Fremde, sondern hätte sein Glück daran, dass es in der gewährten Nähe das Ferne und Verschiedene bleibt, jenseits des Heterogenen wie des Eigenen.“9 Als Raum eines Fernen und Verschiedenen, so nah es auch sein mag, begreift Adorno den versöhnten Zustand zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Es ist der Erfahrungsraum des transkulturellen Theaters, ein Zwischenraum, ein Transitraum zwischen Eigenem und Fremdem.

Weil aber dieser Transitraum ein Erfahrungsraum ist, lässt sich das Fremde nicht repräsentieren, so dass man mit dem Finger darauf deuten kann. Fremd sind nicht die Flüchtlinge, die Migrant_in­nen und Postmigrant_innen. Werden sie als die Fremden angesehen, werden sie zu Exot_in­nen gemacht. Wo auch immer das Theater sich auf die Suche nach dem Fremden macht, entscheidend ist, dass es das Fremde nicht exotisiert. Dass es sich nicht anmaßt, stellvertretend für die anderen zu sprechen und nicht zurückfällt in Dramaturgien der Entgegensetzung, die das obsolete Freund-Feind-Schema politischen Handelns wiederkehren lässt, auch nicht im Kampf für die vermeintlich gute Sache. Das Fremde ist kein Gegenstand, der_ie Fremde kein Subjekt. Das Fremde ist eine Erfahrung, die uns widerfährt. Sie verfremdet unsere Wahrnehmung des Fremden dahingehend, dass uns die eigene Wahrnehmung fremd wird. Fremdheitserfahrung ist die Erfahrung einer Fremdheit im Eigenen. Theater kann, Theater soll diese Erfahrung ermöglichen. Erst von dieser Erfahrung aus wird transkulturelle Kommunikation möglich. Ein Theater der Fremde und der Fremden ist deshalb nicht allein von und für die Fremden von außerhalb, sondern für die Fremden, die wir sind. Es ist ein Theater unter Fremden.

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ISBN:
9783823301592
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