Kitabı oku: «Religiöse Erwachsenenbildung», sayfa 2
2.3 Forderung nach akademischer Reflexion
Genau auf der Reflexionsebene aber klaffen zurzeit Lücken. Im Unterschied zu andern Handlungsfeldern der Kirche gibt es für die religiöse Erwachsenenbildung nur wenige aktuelle theoretische Konzepte, welche die gegenwärtige Praxis analytisch durchdringen und handlungsorientierende Leitlinien formulieren.21 Zwar |21| wird rundum betont, wie wichtig religionspädagogische Forschung im Bereich der Erwachsenenbildung wäre. So schreibt beispielsweise Friedrich Schweitzer in seinem 2006 publizierten Lehrbuch zur Religionspädagogik: «Die Vernachlässigung von (religiöser) Bildung im Erwachsenenalter ist zu überwinden zugunsten einer systematischen Wahrnehmung dieses Bereichs als eines genuinen Bestandteils von Religionspädagogik und kirchlicher Bildungsarbeit. Deshalb muss die herkömmliche religionspädagogische Perspektive, die sich auf Kinder und Jugendliche beschränkt, […] ausgeweitet werden».22 Schweitzer selber beschränkt sich dann allerdings auf eher knappe Ausführungen. Ein Defizit ist sowohl im Bereich grundlagentheoretischer Forschung, also Forschung historischer und bildungstheoretischer Natur, als auch im Bereich der anwendungsorientierten Forschung, z. B. erwachsenenpädagogischer Lehr-Lernforschung auszumachen.
3. Best practice
Analysen vom schlafenden Riesen (vgl. 1.) und Behandlungsmöglichkeiten, wie sein Schlaf zu kurieren sei (vgl. 2.), werden nun für einen Moment zugunsten eines anderen Blickwinkels nicht weiterverfolgt. In der Zeit einer gewissen Verunsicherung, wohin religiöse Erwachsenenbildung steuern soll, und in der die grossen Antworten fehlen, scheint mir in einem 3. Teil ein Perspektivenwechsel verheissungsvoll: Es lohnt sich, den Blick, der bisher die grossen Entwürfe zu erfassen versuchte, zu schärfen für das, was gelingt: für innovative Einzelbeispiele der Praxis, die sich als zukunftsweisend herausstellen könnten. Sowohl die reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn23 als auch die Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung24 haben auf ihren Homepages diesen Weg gewählt. Sie stellen Projekte vor, die gelungen sind und Beispielcharakter haben. Zwei von ihnen werden hier in aller Kürze vorgestellt.
1) In der «Nacht der Religionen», aufgeführt bei der «Ideenbörse» der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, öffnen Berner Weltreligionsgemeinschaften – Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen, Muslime, Juden, Hindus usw. – ihre Türen und laden ein, «hinein zu schnuppern und sich selber ein Bild zu machen, sich selber einen Eindruck zu verschaffen, Fragen zu stellen und ins Gespräch zu kommen».25 In der Nacht der Begegnung, die übrigens in Anlehnung an die «Museumsnacht» konzipiert wurde, sollen Differenzen nicht |22| übermalt, aber Möglichkeiten geschaffen werden, sich gegenseitig respektvoll wahrzunehmen und miteinander zu diskutieren.
Interreligiöse Verständigung gehört zu den epochalen Herausforderungen der Gegenwart. Die Berner «Nacht der Religionen» leistet dazu einen wesentlichen Beitrag und erreicht es, durch die attraktive Anlage, die konkrete Erlebnisse und Erfahrungen ermöglicht – dies war die Forderung von Eva Baumann-Neuhaus (vgl. 2.2) –, Milieus und Altersgruppen anzusprechen, die sonst in erwachsenenbildnerischen Angeboten untervertreten sind.
2) «Pilgern im Pott», aufgeführt auf der Homepage der Deutschen Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung, ist Pilgern inmitten des Ruhrgebietes, urbanes Pilgern also. Neben Wald und Wiese ist der Weg auch gezeichnet durch Industriehallen am Wegrand, durch Gleisanlagen, Kläranlagen usw. Es wird dazu eingeladen, inmitten des Lebensraums heutiger Menschen wandernd den Blick für Spuren Gottes zu schärfen. Offene evangelische Kirchen werden zu «Pilgerkirchen». Auf einer attraktiv gestalteten Website finden sich geistliche Impulse, die gleichsam eine mystagogische Funktion übernehmen:26 Den Auftakt der aufgeführten geistlichen Impulse machen Übungen, die auch für Menschen nachvollziehbar sind, die mit dem christlichen Narrativ nicht oder nicht mehr vertraut sind. Je weiter man den spirituellen Impulsen folgt, desto mehr führen sie in den Bereich des Geheimnisses des christlichen Glaubens hinein. So laden die Wegleitungen ein, christliche Traditionsstücke probezutragen: Einen Bibelvers mit auf die Wanderung zu nehmen, am Schluss einen Segen zu sprechen und dafür «die alten kirchlichen Worte zu verwenden». Auf diskrete Weise wird mit den Pilgerveranstaltungen das Angebot gemacht, eine «Maske des Glaubens» (Fulbert Steffensky)27 auszuprobieren. Zuerst einmal auf Zeit können Menschen der Gegenwart erkunden, wie es ist, wenn man sich dem Geheimnis des Glaubens anvertraut und sich darin bewegt.
3.1 Betroffen und beteiligt
Sowohl in der «Nacht der Religionen» als auch beim «Pilgern im Pott» werden Menschen als Betroffene und Beteiligte angesprochen: In den Erfahrungsfeldern interreligiöser bzw. spiritueller Begegnung werden Lernprozesse initiiert, in denen die Teilnehmenden als Betroffene zu Beteiligten werden, indem sie sich mit sich selbst im Blick auf den Fremden bzw. im Blick auf die Transzendenz auseinandersetzen.
Die beiden Beispiele stehen exemplarisch für gegenwärtige Bildungsangebote, welche die Erfahrungsdimension besonders gewichten und dem «Kurssturz der |23| klassischen Wissensvermittlung»28 insofern Rechnung tragen, als klassische Katechese vermehrt zugunsten einer Bildung weicht, die bei der persönlichen Erfahrung und Entfaltung ansetzt. Wer die aktuelle Angebotspalette kirchlicher Bildungshäuser und Anbieter überblickt, stellt denn auch fest, dass zunehmend Themen individueller religiöser Selbstauslegung (bisweilen in Auseinandersetzung mit anderen religiösen Traditionen) und biografischer Selbststeuerung im Vordergrund stehen. Judith Könemann, die nach den Chancen kirchlicher Erwachsenenbildung fragt, ist überzeugt, dass die Kirchen ihren Bildungsauftrag gegenwärtig dann gelingend wahrnehmen können, wenn sie auf subjekt- und biografieorientierte Konzepte setzen:
«Angesichts der […] Herausforderungen moderner Lebensführung – mit all den darin liegenden Möglichkeiten und Chancen, aber auch Bedrohungen und Gefahren des Scheiterns – scheint eine Orientierung am Subjekt und dessen Biographie als Grundlage kirchlicher Erwachsenenbildung unabdingbar zu sein, denn die Auseinandersetzung mit und die Reflexion über die eigene Person stellen wichtige Elemente für die Gestaltung und (Weiter-)Entwicklung personaler Identität im Kontext gesamtgesellschaftlicher Bedingungen dar.»29
Selbstvergewisserung, -entwicklung und -verortung erweisen sich auf dem Hintergrund der pluralismusbedingt geforderten Entscheidungskompetenzen des Einzelnen und der eigenverantworteten Sinngenerierung30 als zentrale Zieldimensionen religiöser Bildung. Könemann betont allerdings, dass diese Aspekte nicht als subjektiv verengt beurteilt werden dürfen, sondern «eine fundamentale Basis für verantwortliches gesellschaftliches Leben» bieten.31 Sie schärft damit den Blick dafür, dass die Inszenierungen von Erfahrungsräumen und von Plattformen für die Selbstthematisierung nicht unbedacht dem «Wellnessverdacht» ausgeliefert werden dürfen. Auch wenn zurzeit viele erwachsenenbildnerische Angebote mit subjekt- und biografieorientierten Konzepten arbeiten, erfolgt die Behauptung, dass heutige Erwachsenenbildung im Unterschied zu denen in Zeiten mit primär innovativen Thinktanks im Rahmen von diskursiven Bildungsveranstaltungen ihr kritisches und gesellschaftsgestaltendes Potenzial eingebüsst habe, vorschnell. In Anbetracht der eingangs beschriebenen Verknappung von zeitlichen Ressourcen und der damit einhergehenden Verzweckung von Bildung scheint der Trend, auch «Entspannungsangebote», bei denen nichts geleistet werden muss, in die Angebotspalette |24| religiöser Erwachsenenbildung aufzunehmen, durchaus berechtigt. Erst solche Freiräume ermöglichen Menschen in herausfordernden Lebenssituationen – zu denken ist beispielsweise an Frauen der sogenannen Sandwichgeneration32 – sich selbst und damit ihre Verortung im gesellschaftlichen Kontext zu reflektieren.
3.2. … und befreit zum Leben
Die Neuorientierung, die sich in den letzten Jahren in der religiösen Erwachsenenbildung vollzogen hat, kommt in folgenden zusammenfassenden Sätzen von Könemann nochmals prägnant zum Ausdruck:
«Nicht der zu verkündigende Glauben steht im Vordergrund, für den und in dem das Individuum gebildet werden soll, also nicht das Konzept einer Erwachsenenbildung als Verkündigung steht im Vordergrund, sondern das Individuum mit seiner Suche nach und Gestaltung von Identität sowie den Fragen seiner Lebensführung. Die materialen Gehalte christlicher Religion und christlichen Glaubens erhalten in dieser modernen Form biographischer Aneignung von Religion ihren Raum, indem sie zum einen ein Angebot zur Auseinandersetzung und Orientierung darstellen […] und indem sie zum anderen ein Korrektiv zur individuellen Sichtweise und dem daraus folgenden Handeln darstellen, das zur Veränderung ermutigt.»33
So richtungsweisend und zentral mir – mit Könemann – die Orientierung erwachsenenbildnerischer Praxis an subjekt- und biografieorientierten Konzepten scheint, drängt sich hier dennoch ein kritischer Nachsatz auf. Wenn der Fokus in emanzipatorischer Absicht so stark auf der individuellen Gestaltung von Identität liegt, dann muss gefragt werden, ob damit nicht Bildungsziele gesetzt werden, die auch überfordern können und das Individuum in Stress versetzen. Allgemeiner formuliert: Ist die zugesprochene Möglichkeit, «Identität» selbst «gestalten» zu dürfen, im Grunde wirklich eine befreiende Aussicht? Kann man «Identität» denn überhaupt |25| selbst «gestalten»? Ist sich das Subjekt letztlich so etwas wie «zugänglich», sodass es sich selbst auslegen, verorten und umgestalten kann?
In Auseinandersetzung mit diesen Fragen hat der US-amerikanische Praktologe Tom Beaudoin einen Aufsatz mit dem selbstredenden Titel «I was imprisoned by subjectivity and you visited me» publiziert.34 Darin diskutiert er postmoderne Subjektivitätstheorien, im Besonderen diejenige von Michel Foucault, und kommt dabei auf einen Text von Dietrich Bonhoeffer zu sprechen, auf das Gedicht aus der Haft «Wer bin ich?»35
«Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle gelassen und heiter und fest … Wer bin ich? sie sagen mir oft … Wer bin ich? Sie sagen mir auch … Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiss? Bin ich heute dieser und morgen ein anderer?»36
Beaudoin spricht von einer «Apophatik des Selbst»: Permanent distanziert sich der Schreiber von der Wahrheit über das eigene Selbst. Verborgen, nicht zugänglich ist sie ihm; wechselnd, vorläufig präsentiert sie sich, fragmentarisch und abhängig von dem, was andere dem eigenen Selbst zuschreiben.37
Wenn in unreflektierter Weiterentwicklung von Könemanns (äusserst wichtigem!) Ansatz leichthin von gelingender Identitätskonstruktion und damit verbunden von religiöser Selbstauslegung geredet wird, so gilt es kritisch anzumerken, dass die Vorstellung eines sich selbst «zugänglichen Subjekts» längst obsolet geworden ist. Jede geradlinige Rede von «Identität» hält postmoderner Wirklichkeitsdeutung letztlich nicht stand. Der Münchner Sozialpsychologe Heiner Keupp beispielsweise hat auf die brüchigen, vorläufigen Strukturen von «Identität» hingewiesen.38 Er vergleicht sie mit einem «crazy quilt», einem Flickenteppich, in dem Formen und Farben wild und nach kaum nachvollziehbaren Mustern angeordnet werden.
Im Zug postmoderner Subjektivitätskritik hat sich auch Tom Beaudoin – um auf ihn zurückzukommen – von einem starken Subjektbegriff verabschiedet. Gleichzeitig empfängt er den Besuch: «You visited me», schreibt er im Titel. Mit «The center of our own lives is outside ourselves», konkretisiert er, Bonhoeffer |26| zitierend.39 Leben spielt sich auf einem Grund ab, den wir nicht selber schaffen müssen, der uns zugesagt ist.40 Diese radikale Zusage ist die letzte Wahrheit über menschliches Leben und menschliche Identität. Darum ist es auch nicht die reflexive Selbstthematisierung unserer selbst, sondern – in christlicher Perspektive – «die Konfrontation mit Gottes Selbsterschliessung in Christus», die uns erschliesst, wer wir sind.41 Dieser Spitzensatz des Dogmatikers Dalferth hat für praktisch-theologisches Nachdenken unmittelbare Relevanz. Denn nochmals muss grundlegend gefragt werden: Sollen für die reflexive Selbstthematisierung überhaupt Erzähl-, Diskussions- und Austauchgefässe geschaffen werden, wie dies gegenwärtige erwachsenenbildnerische Bildungsangebote tun, wenn die letzte Wahrheit über den Menschen in Christus verborgen liegt?
Beaudoin spricht sich für ein Ja aus und greift dabei auf eine Denkfigur aus Bonhoeffers «Ethik» zurück, wenn er sagt: Im Vorletzten hat die reflexive Selbstthematisierung ihren Platz, ihre Berechtigung und ihre Aufgabe.42 Fragmentarisch, vorläufig wird jede Selbstauslegung sein. Geschieht sie im Licht des Glaubens, dann lebt sie aber von der Wahrheit im Letzten, vom Rechtfertigungsgeschehen in Christus. Dieses anzueignen ist die verheissungsvolle Aufgabe religiöser Selbstauslegung im Vorletzten. Reformationstheologisch zugespitzt steht erwachsenenbildnerische Praxis, die mit subjekt- und biografieorientierten Konzepten arbeitet, im Dienst der Freiheit. Sie hütet sich davor, überhöhte Identitätsideale zu setzen und schöpft – ohne als reines «Verkündigungsinstrument» Menschen bloss zu bevormunden – aus der Freiheit des Evangeliums
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Sprachschule für die Freiheit, Option für die Armen oder perspektivenverschränkende Bildung?
Zugänge zu ausgewählten Theoriemodellen der Evangelischen Erwachsenenbildung
Jürgen Wolff
1. Vorbemerkungen
Die religiöse Erwachsenenbildung befindet sich im Umbruch. So lautet die Prämisse für die Tagung und dieser entsprechen auch die Wahrnehmungen aus der Bildungspraxis. Traditionelle Bildungshäuser werden aufgegeben, Planstellen werden gestrichen, staatliche und kirchliche Finanzmittel werden reduziert. Diese Veränderungsprozesse in der religiösen Erwachsenenbildung korrespondieren mit grundlegenden gesamtgesellschaftlichen Transformationsmustern, die mit den Begriffen Globalisierung, Beschleunigung, Privatisierung und Individualisierung von Weltanschauungen nur angedeutet werden können. Denn (religiöse) Erwachsenenbildung ist eine Signatur ihrer Zeit. Sie darf nicht nur individualistisch verstanden werden als organisiertes und strukturiertes Lernen von Individuen, sondern zugleich auch als Lernprozess von Erwachsenen, die in einen historischen und gesellschaftlichen Kontext eingebunden sind. Nach diesem Verständnis ist Erwachsenenbildung «sowohl Bildungsgeschehen als auch Bestandteil unseres Bildungssystems und damit Ausdruck eines gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses.»43 Sie ist eingebunden in eine konkrete kultur- und sozialgeschichtliche Situation und Konstellation, der sie Rechnung tragen muss. Diese gesamtgesellschaftlichen Veränderungen wiederum wirken zurück auf die Erwachsenenbildungslandschaft.
Die religiöse Erwachsenenbildung muss sich in einer pluralen, sich permanent verändernden Gesellschaft neu definieren und dabei ihr spezifisches Profil zwischen der Vermittlung der christlich-jüdischen Tradition, den religiös-spirituellen Bedürfnissen Sinn suchender Individualisten und den gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen finden. Welche Erkenntnisse aus der Theoriediskussion können Inspiration sein auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen religiösen Erwachsenenbildung? In einem Rückgriff auf drei exemplarische Theoriemodelle der religiösen Erwachsenenbildung soll ein theoriegeschichtlicher Zugang zu dieser Fragestellung unternommen werden, um anschliessend Perspektiven und |28| Herausforderungen für unsere Fragestellung und für die gegenwärtige Bildungspraxis zu skizzieren.
2. Annäherungen
Noch immer ist die wissenschaftliche Begleitung und Reflexion der Praxis der religiösen Erwachsenenbildung defizitär. So stellte Martina Blasberg-Kuhnke bereits im Jahr 1995 fast schon resigniert die Frage: «Wie ist das verhängnisvolle Theorie-Praxis-Problem der Erwachsenenbildung zu überwinden, das wissenschaftliche Theoretiker der Erwachsenenbildung und ihre Veranstalter aneinander vorbeiarbeiten lässt, mit der Konsequenz einer weithin theoriearmen Praxis und zahlreicher folgenloser Theorieentwürfe?»44 Leider fühlt sich – nach wie vor – keine wissenschaftliche Disziplin letztlich für dieses Handlungsfeld zuständig, weder die Praktische Theologie noch die profane Erwachsenenbildung/Weiterbildung, am ehesten noch die Religionspädagogik, die die Evangelische Erwachsenenbildung allerdings zumeist lediglich als Teilbereich der (in einem weiten Sinne verstandenen) Gemeindepädagogik thematisiert. Mit dem skizzierten Theoriedefizit korrespondiert eine defizitäre Forschungslage. Manche Dissertationen sind zweifellos kluge Werke, die inspirieren, in denen aber die konkrete Bildungspraxis nur schwache Spuren hinterlässt. Mit Rudolf Englert soll daher idealtypisch unterschieden werden zwischen:
1 Funktionärstheorien, die vorwiegend der Legitimation der eigenen Praxis dienen und häufig die Erwartungen von Zuschussgebern im Blick haben
2 Qualifikationstheorien, die vor allem als wissenschaftlicher Qualifikationsnachweis ihres Verfassers/ihrer Verfasserin dienen mit keinem oder wenig Bezug zur Praxis
3 Überschalltheorien, d. h. grossflächig angelegte, z. T. sehr innovative Theoriemodelle ohne Bezüge zu den Spezifika des erwachsenenbildnerischen Alltagshandelns.
4 Praxistheorien, bei denen es primär um die Aufklärung gegenwärtiger oder geschichtlicher Praxis geht mit der Intention, Orientierungsperspektiven für die zukünftige Praxis generieren zu können.45
Die Forderung nach Theoriemodellen, die ihren Ausgangspunkt bei der konkreten Erwachsenenbildungspraxis haben, ist nicht akademische Rhetorik, denn sowohl Grundlagenforschung als auch empirische Bildungsforschung sind notwendig, um die gesellschaftlichen und kirchenpolitischen Potenziale der religiösen |29| Erwachsenenbildung zu erkennen, zu reflektieren und zu strukturieren. Noch immer fristet religiöse Erwachsenenbildung im kirchenpolitischen Spektrum ein Schattendasein und zählt zu den verzichtbaren adiaphora. Religiöse Erwachsenenbildung darf nicht eindimensional reduziert werden auf Evangelische Akademien. Es gibt auch den Alltag, die Arbeit in Institutionen mit einer regionalen Bedeutung: Heimvolkshochschulen, städtische Bildungszentren, dekanatliche Bildungswerke, Familienbildungsstätten. Dabei sind auch die spezifischen institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen der jeweiligen Institution, die Bildungshandeln ermöglichen, erschweren oder auch verhindern können, zu berücksichtigen. Exemplarisch seien folgende Problemfelder gegenwärtiger Bildungspraxis genannt: Geänderte Förderrichtlinien als Folge kirchlicher und staatlicher Sparmassnahmen führen zur Notwendigkeit, zunehmend Drittmittel (Projektmittel, Gelder von Stiftungen, Sponsoring) generieren zu müssen. Inhaltliche Entscheidungen werden aufgrund dessen durch extern definierte Kriterien für eine Förderung determiniert. Qualitätsmanagementsysteme werden als Voraussetzung für eine finanzielle Förderung fast flächendeckend eingeführt, ohne jede bildungstheoretische oder theologische Begründung und ohne qualifizierte empirische Überprüfung, ob der Anspruch einer Qualitätssteigerung auch tatsächlich erfüllt wird.
3. Theoriemodelle
Im Folgenden werden drei ausgewählte Theoriemodelle vorgestellt, die einen Zugang zur Theoriediskussion eröffnen sollen. Alle drei Modelle sind nicht neu, doch sie stehen exemplarisch für Theoriebeiträge, die – aus meiner Sicht – für einen Dialog mit der Praxis inspirierend sein können. Deshalb sollen die Modelle zunächst kurz charakterisiert werden; anschliessend wird eine Perspektive für die aktuelle Bildungspraxis formuliert.