Kitabı oku: «Schwarz wird großgeschrieben», sayfa 4
DIE ANTWORT VERWEIGERN ODER DAS VERWEIGERN VERWEIGERN?
Ich finde es cool, wenn Schwarze Kids sich im Angesicht rassistischer Herkunftsfragen als deutsch bezeichnen. Aber es ist auch kein Scheitern, sich nicht so zu verorten, das macht weder dich noch mich weniger radikal. Es geht mir eher darum: In welcher Situation ist es wichtiger, dem Gegenüber etwas beizubringen, und wann ist es wichtiger, ganz unabhängig davon du zu sein? Manchmal antworte ich »deutsch«, manchmal »deutsch-dominikanisch«, dann »afrodeutsch«, »Schwarze Deutsche«, und wenn ich einfach bei mir bin: »Schwarze deutsche Karibianer*in mit Doppelpass und ostfriesischer Zieh-Oma, und du, was ist deine Geschichte?«
Im Jahr des Umzugs schrieb ich Quasi, mein erster vorsichtiger Schritt heraus aus dem afrodeutschen Einheitsbrei hinein in das Bestreben, nicht weiter vereinheitlicht zu werden. In Quasi spreche ich über Afrodominikaner*innen, über Haiti, über eine koloniale Trennlinie, die so viele Schwarze Leben kostete.15
Ich verstehe, dass es für gebürtige deutsche Schwarze Menschen anstrengend ist, ständig mit Migration oder gar Flucht assoziiert zu werden. Doch es ist anstrengender, Migration tatsächlich zu erleben, warum sollten wir migrierten Schwarzen, die die Komplexität von Identität in sich erleben und tragen, es gemütlicher machen für jene? Warum haben wir Angst davor, unser Schwarzsein nicht als einheitlich, sondern unterschiedlich zu verstehen? Der Bruder, der sich an meinem Schwarzsein, das für Migration, latinidad, ja, eine niedrigere Klasse stand, störte und davon bedroht fühlte, verlangte von mir, zu schweigen, eine einheitliche Masse mit ihm und all den anderen zu bilden. Doch erfüllen wir damit genau das, was der Kolonialismus wollte: verschiedenste Menschen anhand des Konstrukts Race zu Einem zu machen.
Unterschiedlichkeit im Schwarzsein zu zeigen bedeutet die koloniale Lüge zu entlarven. Unterschiedlichkeiten zu verschweigen hat zur Folge, dass ausschließlich diejenigen innerhalb der Bewegung die Machtpositionen besetzen, die die leichter verdauliche Schwarze deutsche Vision verkörpern.
WIE ES IST, 500 JAHRE SCHMERZ ZU VERKÖRPERN
Es geht mir nicht um leere Repräsentation, ich will, dass wir aufhören, nur in Vereinheitlichung Stärke zu finden, und diese koloniale Kontinuität durchbrechen, übereinander lernen. Lernen, den kolonialen Schmerz wahrzunehmen, dessen Konsequenz afrolateinamerikanisches, afroindigenes Leben ist. Ich verstehe, warum mein Schwarzsein in Zweifel gezogen wird, warum meine Sprache negiert und der Name der Indigenen Vorfahren, der Taíno, verschwiegen wird.
Denn in meinem Gesicht liest du 500 Jahre koloniale Entwicklung, von den ersten Schiffen, dem Mord an Anakaona, über die Versklavung Schwarzer Menschen, den Genozid an den Taínos. Was du dir durch dein Ignorieren des Schmerzes ersparst, sind die Jahrhunderte des Kampfes zwischen Schwarzen Menschen in meiner Heimat, die gnadenlose Ausbeutung und Einflussnahme der USA und Europas bis in die Gegenwart hinein. Doch du verpasst auch so einiges: Resilienz, einen unerschütterlichen Willen zu leben, Musik, Tanz und, ganz unparteiisch, die besten Küchen der Welt. Du übernimmst den Blick des Westens, betrachtest diese Länder entweder als bedauernswert oder exotisiertes Paradies.
Hör nicht bei Schwarzer deutscher und US-Geschichte auf, sondern nimm die widerständigen Geschwister in anderen Ländern wahr, um von ihren Kämpfen zu lernen, dich zu vernetzen, zu verstehen. Es ist essenziell für Schwarze Befreiungskämpfe.
Wir können lernen, wenn wir Vereinheitlichung nicht mehr als heiligen Gral forcieren. Ich glaube fest daran: Schwarze Freiheitsbewegungen, afroindigene Bewegungen und andere rassifizierte Bewegungen stehen an einem Wendepunkt. »Unapologetic«16 nannte es die queere Schwarze Freiheitskämpferin Charlene Carruthers. Ich möchte mich unapologetic als latinx negrx verorten, Fragen beantworten, wenn mir danach ist, und sonst nicht. Von meiner Herkunft erzählen, ohne dadurch den Vorwurf erdulden zu müssen, das afrodeutsche Ziel, endlich als deutsch anerkannt zu werden, zu gefährden. Doch was kann uns dann verbinden, um gemeinsam zu kämpfen?
MEINE LÖSUNG LIEGT IN LA FACULTAD
Gloria Anzaldúa nannte das verbindende Gefühl Unheil zu erahnen, la facultad, ein Gespür, das jene entwickeln, die unterdrückt werden. Unterschiedlich, je nachdem, ob es um Race, Klasse, Sexualität oder Geschlecht geht. Aber in der Konsequenz dasselbe Gefühl, die Vorahnung, das Erahnen, das Sehen des Schmerzes der anderen, die diesen Sinn teilen. Eine hypersensible Wahrnehmung der Umgebung, aber auch ein Wahrnehmen jener, die dies auch spüren.17 Unsere Migrationsbiografien sind unterschiedlich, unsere Identitäten vielschichtig, unser Umgang miteinander trotz allem verzweifelt nachsichtig. Diese Nachsicht, dieses Raumgeben – ich glaube, es liegt daran, dass wir unsere facultad würdigen.
Mein zweites Schwarzsein ist spezifischer, afrokaribianisch mit Migrations-erfahrungsdoppelpass-Geschichte. Migrant*in aus einem Land, das Haiti unterdrückt. Privilegiert disprivilegiert, es ist alles nicht so einfach. Doch am Ende des Tages werde ich in der deutschen Arztpraxis durch dieselben rassistischen Mechanismen wie die Schwester vom anderen Ende der Welt unterdrückt. Das widerspricht sich, doch ist es nicht unsere Schwarze deutsche Verpflichtung diesen Widerspruch zu kaschieren?
Mein zweites Schwarzsein verlangt von mir meine eigenen Privilegien zu sehen, light skinned, deutscher Pass, dominikanisch statt haitianisch, ergo dem globalen Norden lieber. Es verlangt von mir, Fragen zu stellen, zuzuhören, wahrzunehmen, wie different Schwarzsein global ist. Ich will, dass wir als Community nicht nur grenzenlos, sondern vor allem unverschämter zu uns und unserer Vielstimmigkeit stehen.
SHAHEEN WACKER
WER ZÄHLT HIER EIGENTLICH?
ANTI-SCHWARZER RASSISMUS IN DEUTSCHLAND
Im Jahr 1999 erstickte Aamir Ageeb in Frankfurt am Main aufgrund einer brutalen Fixierung durch Beamte des Bundesgrenzschutzes. Er sollte abgeschoben werden. Aamir war 30 Jahre alt. 2001 wurde N’deye Mareame Sarr in Aschaffenburg von einem Polizisten erschossen, als sie ihren Sohn abholen wollte. Ihr weißer Ex-Mann hatte die Polizei gerufen, um sie aus seiner Wohnung werfen zu lassen. N’deye Mareame war 26 Jahre alt. Im selben Jahr starb Michael Paul Nwabuisi im Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf, nachdem ihm auf Anweisung der Polizei unter Zwang ein Brechmittel verabreicht worden war. Er war 19 Jahre alt. Am 27. Dezember 2004 fiel Laya-Alama Condé ins Koma. Er starb elf Tage nachdem ihm auf dem Polizeirevier Bremen-Vahr über einen Zeitraum von einer Stunde und 26 Minuten Brechmittel und Wasser eingeflößt worden waren. Laya-Alama war 35 Jahre alt. In derselben Nacht verbrannte Oury Jalloh in einer Zelle des Polizeireviers Dessau. Vor seinem Tod war Oury schwer misshandelt worden. Ihm wurden unter anderem Schädeldach, Nasenbein, Nasenscheidewand und eine Rippe gebrochen. Er war 36 Jahre alt. 2006 wurde Dominique Koumadio vor einem Kiosk in Dortmund von der Polizei erschossen. Nach Angaben der verantwortlichen Beamten war die Situation beim Eintreffen des Streifenwagens nicht bedrohlich. Dominique starb an einem direkten Schuss ins Herz. Er war 23 Jahre alt. 2011 wurde Christy Schwundeck in einem Jobcenter in Frankfurt am Main von einer Polizistin erschossen. Sie hatte sich geweigert, das Büro eines Sachbearbeiters ohne den ihr zustehenden Lebensmittelgutschein zu verlassen. Christy war 39 Jahre alt. 2016 starb Yaya Jabbi in einer Zelle im Jugendgefängnis Hahnöfersand in Hamburg. Er wurde erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Freund*innen und Angehörige schließen Selbstmord aus. Yaya war 21 Jahre alt und gläubiger Moslem. 2019 starb Rooble Muse Warsame in Polizeigewahrsam in Schweinfurt. Er soll sich an einem abgetrennten Streifen einer reißfesten Wolldecke erhängt haben, die in 1,50 Meter Höhe befestigt worden war. Rooble war 22 Jahre alt und 1,78 Meter groß.
Jeder Name ein Leben. Jedes Leben ausgelöscht in den Händen der exekutiven Staatsgewalt, der deutschen Polizei. Einer Institution, der laut Grundgesetz das Gewaltmonopol in diesem Land zusteht und deren Beamt*innen nicht nur dazu berechtigt sind »unmittelbaren Zwang« gegen Menschen anzuwenden, die sich ihnen widersetzen – sondern nicht selten auch ungestraft physische Gewalt gegen Menschen ausüben, die ihnen schutzlos ausgeliefert werden. Warum?
In Deutschland erhalten vorrangig Menschen Schutz, die Eigentum besitzen, die deutsche Staatsbürgerschaft haben und weiß sind. In allen institutionellen Strukturen werden Menschen unter diesen Voraussetzungen privilegiert. Dahinter verbirgt sich eine soziale Rangordnung, die seit der Kolonialzeit durch kapitalistische, nationalistische und rassistische Argumente gerechtfertigt und kontinuierlich reproduziert wird. Demnach sind Weißsein und Deutschsein Argumente, die die selbstverständliche Existenz von weißen Menschen in Deutschland begründen sowie ein vorrangiges Anrecht auf Kapital – also auf ökonomische, materielle, kulturelle, intellektuelle und soziale Ressourcen. Damit primär weiße Deutsche »deutsches Blut« vererben konnten, wurden damals wie heute alle anderen gewaltsam aus dem sogenannten »deutschen Volk« ausgeschlossen. Das bis heute geltende deutsche Staatsbürgerschaftsrecht folgt dem Abstammungs-Prinzip des »ius sanguinis«, dem »Recht des Blutes«. Immer noch grenzt deutscher Rassismus Menschen von gesellschaftlicher Teilhabe aus, die nicht deutscher Abstammung sind, obwohl sie hier geboren und/oder aufgewachsen sind. Wer trotzdem in die deutsche Gesellschaft integriert wird und wer nicht, das entscheidet die soziale und kulturelle Leistungs- und Anpassungsfähigkeit der Ausgegrenzten.
Auch dehumanisierende Praktiken der Polizei und die überproportionale Gewaltanwendung gegen Schwarze Menschen sind eine kolonialrassistische Kontinuität, die auf rassentheoretischen Grundlagen fußt. Dabei wird Schutz oder Selbstschutz zum Konstrukt und Argument der Gewaltanwendung. Es ist also im wahrsten Sinne des Wortes ein Totschlagargument, zu beschwören, sich selbst oder die Gemeinschaft der weißen Deutschen vor der »Gefahr« schützen zu müssen, die angeblich von Schwarzen Menschen ausgeht. Schwarze Menschen, die kein Kapital oder Eigentum besitzen, stellen dabei eine besondere Gefahr für die gesellschaftliche Rangordnung dar. Denn unser Streben nach Teilhabe und gleichberechtigtem Zugang zu Ressourcen gefährdet die Privilegien der weißen deutschen Gemeinschaft. International dient dieses Argument dazu, den Schutz der Europäischen Außengrenzen vor Flüchtenden zu rechtfertigen – national, um uns die Ordnungshüter*innen auf den Hals zu hetzen. Zu behaupten von Schwarzen Menschen gehe eine Gefahr aus, entschuldigt jegliche Form von Gewaltanwendung gegen uns. Selbst wenn diese unseren Tod zur Folge hat. Erst recht, wenn wir Widerstand leisten. Auf individueller Ebene ermöglicht diese Täter*innen-Opfer-Umkehr es außerdem den Täter*innen, ihre persönlichen Dominanz- und Gewaltfantasien auszuleben, ihren Frust an den Opfern auszulassen oder auch einfach die nötige Hilfeleistung zu unterlassen, ohne deswegen auf kollektiver Ebene mit Konsequenzen rechnen zu müssen.
Aamir Ageeb, N’deye Mareame Sarr, Michael Paul Nwabuisi, Laya-Alama Condé, Oury Jalloh, Dominique Koumadio, Christy Schwundeck, Yaya Jabbi und Rooble Muse Warsame sind die bekanntesten Schwarzen Opfer von rassistisch konnotierter und (vermutlich) auch rassistisch motivierter Polizeigewalt in Deutschland. Trotzdem kennen die wenigsten Menschen hier ihre Namen, wissen, wie sie ausgesprochen werden oder haben von den Umständen gehört, unter denen sie zu Tode gekommen sind.
In Deutschland erregt es normalerweise nicht viel Aufmerksamkeit, wenn das Leben eines Schwarzen Menschen gewaltvoll endet. Über die oben genannten Fälle gab es lange Zeit keine mediale Berichterstattung. Der öffentliche Druck, den es gebraucht hätte, um die Staatsanwaltschaften dazu anzuhalten weitere Ermittlungen einzuleiten, blieb aus. Zu Gerichtsprozessen, die Aufklärung schaffen und die Zusammenhänge zwischen einer traditionell rassistischen Gesellschaft und dem Tod eines Schwarzen Menschen aufzeigen könnten, kam es nur selten. Anti-Schwarzer Rassismus wurde darin nicht thematisiert. Es besteht allgemein kein öffentliches Interesse an den Leben oder der Würde der Menschen, um die es dabei geht. Anders als in den USA, wo rassistische Polizeigewalt nicht selten mit Protesten und Riots der lokalen Communities beantwortet wird, und wo sich nicht erst seit Beginn der Black-Lives-Matter-Bewegung Schwarze Menschen und People of Color gemeinschaftlich organisieren, um ihre Rechte als Bürger*innen der Vereinigten Staaten einzufordern.
Nur wenige von uns sind auf die Straßen gegangen, nachdem Aamir Ageeb aus dem Sudan, N’deye Mareame Sarr aus Senegal, Michael Paul Nwabuisi aus Nigeria, Laya-Alama Condé aus Sierra Leone, Oury Jalloh aus Sierra Leone, Christy Schwundeck aus Nigeria, Dominique Koumadio aus Kongo, Yaya Jabbi aus Gambia oder Rooble Muse Warsame aus Somalia starben. Auch an den Protesten, die aktivistische Initiativen jährlich im Gedenken an diese Menschen organisieren, hält sich die Beteiligung durchweg in Grenzen.
Ganz anders im Sommer 2020. Nachdem der Schwarze US-Amerikaner George Floyd in den USA aufgrund einer brutalen Fixierung durch einen Polizeibeamten ums Leben kam, schlossen sich in mehr als 19 deutschen Städten Tausende Menschen den Black-Lives-Matter-Protesten an, um gegen Rassismus und Polizeigewalt auf die Straße zu gehen. In den sozialen Netzwerken hatte sich weltweit ein Video verbreitet, das alle, die es sahen, zu Augenzeug*innen der Tat werden ließ, und als Aktivist*innen im Juni 2020 auch in Deutschland zur »Silent Demo« im Gedenken an George Floyd aufriefen, war die Resonanz unübertroffen: 14.000 Demonstrierende in Hamburg, 15.000 in Berlin, knapp 25.000 in München, um nur einige Beispiele zu nennen. Vor allem weiße Menschen waren jetzt buchstäblich ganz vorne mit dabei. So viele, dass die Anzahl der Teilnehmenden in vielen Städten die erlaubte Obergrenze durchbrach, die wegen der Coronavirus-Pandemie von den Behörden festgelegt worden war. Deutsche Medien griffen den Fall auf und der Gesundheitsminister twitterte: »Der Kampf gegen Rassismus braucht unser gemeinsames Engagement. Jeden Tag. Doch dicht gedrängte Menschenmengen mitten in der Pandemie besorgen mich.«18 Für die Demonstrierenden war die Besorgnis, sich während der Pandemie auf einer Massendemonstration mit dem bisher kaum erforschten SARS-CoV-2-Virus zu infizieren, offenbar kein Hindernis.
Ich fragte mich damals, was diese Menschen wohl all die Jahre zuvor davon abgehalten hatte, sich öffentlich zu positionieren? Wo waren all die Solidaritätsbekundungen, als es darum ging, Gerechtigkeit für die in Deutschland Ermordeten und ein Ende rassistischer Staatsgewalt in Deutschland zu fordern? Was war diesmal anders?
Öffentliche Veranstaltungen, Konzerte und Festivals waren aufgrund der Ansteckungsgefahr durch das SARS-CoV-2-Virus abgesagt worden. Freizeiteinrichtungen waren geschlossen, schulische und berufliche Beschäftigungen soweit möglich in die eigenen vier Wände verlegt. Die Proteste waren also auch ein willkommener Anlass für alle, die sich nicht unbedingt mit Nazis und Querdenkern bei einer Demo sehen lassen wollten, um trotzdem mal wieder unter Menschen zu gehen. Für die Mehrheit der weißen Deutschen mochten diese Gründe zutreffend gewesen sein. Aber das erklärte nicht, was insbesondere Schwarze Menschen, die zuvor wenig bis gar nicht politisch aktiv gewesen waren, dazu bewegte, sich jetzt öffentlich zu positionieren.
Ich möchte nicht behaupten, dass aufgrund fehlender Alternativen nicht auch Schwarze Menschen und People of Color ein erhöhtes Maß Aufmerksamkeit übrig hatten, als das Video viral ging, das den Mord an George Floyd dokumentiert. Ich bin mir sogar sicher, dass dieses Video und die rohe Gewalt, die es veranschaulicht, ein ausschlaggebender Faktor für die Politisierung vieler junger Schwarzer Menschen war, die 2020 zum ersten Mal ihren Frust und ihre Trauer auf die Straße trugen. Aber ich glaube nicht, dass wir Videos brauchen, die uns vor Augen führen, wie wir leiden und sterben, um uns selbst wahrzunehmen und etwas dagegen tun zu wollen. Ich glaube, dass der Mord an George Floyd in den USA und die damit verbundene Aufmerksamkeit im weißen Mainstream uns in Deutschland eine mediale Projektionsfläche bot, die uns bisher verwehrt worden war.
So wie die Erfahrungen Schwarzer Menschen in den USA der afrikanischen Diaspora weltweit eine Projektionsfläche bieten, finden auch wir uns darin wieder. Unser gemeinsamer Nenner ist ein rassistisches, von weißer Vorherrschaft dominiertes Gesellschaftssystem. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass zwischen deutschem Rassismus und Rassismus in den USA Unterschiede existieren, die unsere Lebensrealitäten erheblich voneinander unterscheiden. Die Black American Experience ist zwar eine kollektive, aber einzigartige Erfahrung, die nicht mit dem Rassismus gleichgesetzt werden kann, den Schwarze Menschen in Deutschland oder anderen Teilen der Welt erfahren.
Deutscher Rassismus tötet und vergisst, tötet und vergisst, tötet und vergisst. Bevor er physisch tötet, tötet er sozial. Und das Vergessen ist dafür unerlässlich. Die Gemeinschaft der weißen Deutschen hat die Existenz von Schwarzen Menschen in der Geschichte und Gegenwart dieser Nation schlichtweg vergessen. Nachdem deutscher Kolonialismus, Völkerschauen, Zwangssterilisationen, Ausbürgerungen und Deportationen vergessen wurden, wurde auch die militärische Kapitulation 1945 vergessen. »Tag der Befreiung« heißt das jetzt. Wenig später geriet die »Re-Education«, die Bildungsarbeit der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg, ins Vergessen. Genauso wie die afrikanischen Vertragsarbeiter*innen und Elitestudent*innen der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und deren Kinder – oder die sogenannten »Brown Babys«, »Besatzungskinder« in West-Deutschland. Seitdem ist Rassismus in Deutschland Geschichte. Allerdings nicht weiße Geschichte. Denn die Weißen haben vergessen, woher sie kommen, darum fragen sie gelegentlich, woher wir kommen.
Ich glaube, wenn wir da, wo wir uns befinden, wirklich gesehen werden möchten, müssen wir uns auf unsere eigenen Lebensrealitäten an diesem Ort hier konzentrieren, statt woanders hinzuzeigen, in der Hoffnung, dass deutscher Rassismus sich in dieser Projektion wiedererkennt. Selbst wenn und gerade weil Rassismus in den USA für die Gemeinschaft der weißen Deutschen so viel sichtbarer zu sein scheint. Die Ausprägungen von Rassismus sind weltweit vielfältig und tatsächlich wird das auch nicht selten gegen uns verwendet, indem deutscher Rassismus die Gewalt, die er anwendet, mit der Gewalt gegen Schwarze Menschen in anderen Teilen der Welt vergleicht. Demnach ist deutscher Rassismus weniger gewaltvoll und daher auch weniger rassistisch, solange zum Beispiel Rassismus in den USA mehr Menschen das Leben kostet. Mittels derartiger Argumente werden erhebliche Faktoren ausgeblendet, die die individuellen Lebensrealitäten Schwarzer Menschen in Deutschland bestimmen. Außerdem wird dadurch ein Szenario kreiert, in dem wir uns immer im Vergleich mit den Erfahrungen Schwarzer Menschen in den USA positionieren müssen und genau das lässt sich auch seit 2020 in der sogenannten »Rassismus-Debatte« beobachten.
Lenken wir unsere Konzentration also darauf, wie diese Debatte geführt wird, welche Akteur*innen daran beteiligt sind, welche Argumente darin verhandelt werden, wer die Schwarzen Opfer rassistischer Gewalt in Deutschland und im Ausland sind und wie selbstverständlich all ihre Identitäten auf ein und dasselbe heruntergebrochen werden: George Floyd war ein Schwarzer US-Amerikaner oder »Afroamerikaner«, wie ihn die deutschen Medien auch bezeichnen, also ein US-amerikanischer Staatsbürger, der durch die exekutive Staatsgewalt seines eigenen Landes ermordet wurde. Das gilt für die meisten Schwarzen Opfer von rassistischer Polizeigewalt in den USA, ganz im Gegensatz zu den meisten Schwarzen Opfern (vermutlich) rassistisch motivierter Polizeigewalt in Deutschland. Aamir Ageeb aus dem Sudan, N’deye Mareame Sarr aus Senegal, Michael Paul Nwabuisi aus Nigeria, Laya-Alama Condé aus Sierra Leone, Oury Jalloh aus Sierra Leone, Dominique Koumadio aus Kongo, Yaya Jabbi aus Gambia oder Rooble Muse Warsame aus Somalia waren keine Afrodeutschen oder Schwarzen Deutschen, sondern Afrikaner*innen und die meisten von ihnen waren Geflüchtete. Ob illegalisiert, ohne einen geregelten Aufenthaltsstatus, geduldet oder eingebürgert spielt dabei zunächst keine Rolle, denn wir wissen alle, dass ein deutscher Pass oder ein unbefristeter Aufenthaltsstatus allein nicht ausschlaggebend dafür sind, wie Schwarze Menschen in Deutschland wahrgenommen werden. Christy Schwundeck hatte die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie musste zehn Jahre vor George Floyd sterben. Wäre ich als afrodeutsche, light skinned, weiblich gelesene Person mit deutschem Geburtsnamen und akzentfreiem Deutsch in ihrer Situation gewesen, hätte der Sachbearbeiter mich genauso behandelt? Hätte überhaupt irgendjemand die Polizei gerufen? Hätte die Polizistin abgedrückt?
Wir sind nicht alle gleich, weil wir alle Schwarz sind. Manche von uns werden schon allein aufgrund unserer Erscheinung als mehr oder weniger Schwarz und damit auch mehr oder weniger gefährlich eingestuft. Wie hell oder dunkel ist meine Haut? Wie sehr ähneln meine Gesichtszüge und meine Haarstruktur der europäischen Norm? Welchem Geschlecht werde ich zugeordnet? Ist diese Zuordnung eindeutig oder nicht? Auf welchen sozialen Status lässt meine Kleidung und gegebenenfalls auch meine berufliche Qualifikation schließen? Gibt es sichtbare Hinweise auf meine Religionszugehörigkeit? In welchen Räumen bewege ich mich? Bin ich vereinzelt und isoliert oder mit anderen Schwarzen Menschen zusammen? Wie werden diese Anderen bewertet?
Deutscher Rassismus legt außerdem großen Wert auf Kultur und Sprache. Wobei »Kultur« auch oft synonym für »Rasse« steht, aber eben nicht nur. Unsere soziale und kulturelle Leistungsfähigkeit wird zunächst daran gemessen, ob wir akzentfrei Deutsch sprechen, die Codes der deutschen Sprache kennen und anwenden können und falls nicht, auf welches Herkunftsland unser Akzent schließen lässt. Schnittmengen aus alldem bestimmen unsere Positionen in der Rangordnung und somit auch unsere Rassismuserfahrungen innerhalb der deutschen Gesellschaft. Es besteht ein erheblicher Unterschied darin, wie Schwarze Deutsche, Schwarze US-Amerikaner*innen und Afrikaner*innen, die als solche erkennbar sind, in Deutschland gesehen und behandelt werden. Dabei spielt auch die zugeschriebene Kultur eine erhebliche Rolle. Schwarze US-amerikanische Kultur wird in Deutschland in Verbindung mit dem Fortschritt und dem Reichtum der Vereinigten Staaten gedacht. Sie ist als selbstverständlicher Teil der US-amerikanischen Popkultur längst von der deutschen Kultur assimiliert worden. Ganz im Gegensatz zu dem, was deutscher Rassismus als »afrikanisch« identifiziert und automatisch mit der wirtschaftlichen Rückständigkeit und Armut der sogenannten Entwicklungsländer von sich abgrenzt. Während Schwarze US-amerikanische Kultur, in Form von Musik, Mode und Sprache, im deutschen Mainstream als erstrebenswert gilt, wird afrikanische Kultur ignoriert, abgewertet oder exotisiert. Die gesellschaftliche Rangordnung entspricht der globalen Rangordnung. In dieser steht die sogenannte Erste Welt weit über der Dritten, die USA über Afrika, Schwarze US-Amerikaner*innen über Afrikaner*innen.
Ideologisch geladene Hollywood-Produktionen wie Der Prinz aus Zamunda oder die Comic-Verfilmung von Black Panther tun ihr Übriges, indem sie fiktive afrikanische Königsfamilien stellvertretend für alle Afrikaner*innen entweder ins Lächerliche ziehen oder in eine neoliberale Fortschrittsromantik einbetten, die den Kapitalismus der Industrienationen als einzig wahren Weg zur Befreiung präsentiert.
Die Darstellungen Schwarzer Geschichten aus US-amerikanischer Perspektive, in Filmen und Serien mit deutscher Synchronisation haben dabei erheblichen Einfluss auf unser Selbstbild und die Art, wie wir als Schwarze Menschen in einer von Weißen dominierten Gesellschaft denken, handeln und wahrgenommen werden. Weiße Deutsche haben mehr Empathie mit Schwarzen US-Amerikaner*innen als mit Afrikaner*innen. Schwarze US-Amerikaner*innen sind die coolen Schwarzen, die Sänger*innen, die Rapper*innen, die Schauspieler*innen, die Entertainer*innen, die Sportler*innen, mit denen uns weiße Deutsche gerne vergleichen, wenn sie uns ein Kompliment machen wollen. »Ey! Du siehst aus wie …«
Obwohl die größten Schwarzen Communities in Deutschland afrikanische Communities sind, wird Schwarzsein im deutschen Mainstream vorwiegend durch Schwarze US-amerikanische Kultur repräsentiert. Für Deutschland ist diese Kultur in erster Linie ein Produkt. Sie dient dem weißen Mainstream zur Unterhaltung, mehr nicht. Deswegen kann sie auch völlig losgelöst von Schwarzen Menschen, unseren Kämpfen oder unserer Lebensrealität vermarktet werden, wie es zum Beispiel bei Hip Hop der Fall ist. Ein Schwarzes deutsches Publikum wird dabei gar nicht erst mitgedacht.
Trotzdem ist Schwarze US-amerikanische Kultur für uns alltäglich und allgegenwärtig. Nicht zuletzt durch personalisierte Inhalte, die uns in den sozialen Medien zugespielt werden. Eine Generation, die sich mehr und mehr im Internet informiert und politisiert, kann dieser Dominanz nicht entkommen, solange alternative Repräsentationen im Mainstream fehlen. Schwarze Wissensproduktion, Literatur und Diskurse, die auf dem Kontinent, in der europäischen und weltweiten Diaspora oder in anderen Teilen der Amerikas entstehen, erreichen uns kaum oder nur über den Umweg, meist gefiltert durch die US-amerikanische Linse. Diskurse aus den USA hingegen werden nicht selten ungefiltert per copy-paste auf den deutschen Kontext übertragen, obwohl oder gerade weil Daten und Studien über Schwarze Lebensrealitäten in Deutschland nicht entsprechend existieren. Es entsteht ein Teufelskreis aus Konsum und Reproduktion. Letztendlich bedeutet das, dass wir mehr über Schwarze Menschen in den USA wissen, als über uns selbst und dass wir durch die überwiegende Repräsentation Schwarzer Menschen in den Medien durch Schwarze US-Amerikaner*innen ein Bild von Schwarzsein haben, das an einen historischen und gesellschaftlichen Kontext geknüpft ist, in dem wir nicht selbst leben.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum nur wenige von uns auf die Straßen gingen, nachdem Amir Ageeb aus dem Sudan, N’deye Mareame Sarr aus Senegal, Michael Paul Nwabuisi aus Nigeria, Laya-Alama Condé aus Sierra Leone, Oury Jalloh aus Sierra Leone, Christy Schwundeck aus Nigeria, Dominique Koumadio aus Kongo, Yaya Jabbi aus Gambia oder Rooble Muse Warsame aus Somalia starben. Oder warum Schwarze Leben in Deutschland besonders dann zählen, wenn es um Schwarze Leben in den USA geht.
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