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Musiker sein
Wie sieht der Alltag von Schweizer Popmusikern aus? Brandy Butler, Fabian Chiquet und Jimi Jules im Gespräch mit Dominik Landwehr und Philipp Schnyder von Wartensee.
Brandy Butler (*1979): Amerikanerin, die seit dreizehn Jahren in der Schweiz lebt. Musikerin, Sängerin, Schauspielerin. Verfolgt eigene Projekte unter ihrem eigenen Namen: Brandy Butler and the Brokenhearted, Chambersoul, Dee Dee Day Club, Brandy Butler and the Fonxionaires. Arbeitet auch mit Kindern (Muki-Musik).
Fabian Chiquet (*1985): Hat 2006 zusammen Elia Rediger die Band The bianca Story gegründet und diverse Alben produziert, u.a. auch im Kunstbereich. Produziert auch Musik für Theater. Sein Soloprojekt The Wedding Party Massacre war 2016 auch am m4music zu sehen.
Jimi Jules (*1987): Macht elektronische Musik seit acht Jahren. Zuvor eher Rock, aber auch Klassik und Jazz. Schwerpunkt liegt heute auf der Produktion von Musik für Dritte.
Wenn wir uns die Kurzbeschreibung Eurer musikalischen Tätigkeit ansehen, dann fällt uns eines auf: Vielfalt, jeder hat mehr als ein Standbein. Stimmt das? Und welches war Euer erfolgreichstes Projekt der letzten Jahre?
Jimi Jules: Jeder von uns hat Projekte, mit denen er Geld verdient, und andere, die er vielleicht eher als Hobby betreibt.
Brandy Butler: Ich bin selber sehr kreativ und habe extrem viele Ideen. Ich habe ein grosses Netzwerk und finde es auch sehr wichtig, in der Gemeinschaft verankert zu sein.
Jimi: Ich habe vor zwei Jahren den Song «Pushing On» produziert, der überall ausser in der Schweiz vorne in den Charts war: in England, Belgien, USA. Ich hatte gar nicht geplant, den Song rauszubringen. Zuerst war er in den Undergroundplattformen ganz vorn, also da, wo DJs ihre Musik holen.
Hast Du hier auch Geld verdient? Wenn ja, wie viel?
Jimi: Ja, da habe ich Geld verdient und konnte sogar die Schulden aus meinem Studium zurückbezahlen. Wie viel? Das sag ich nicht. Aber mit einem Song, der in England in den Top Ten ist, verdient man schon Geld. Ich konnte auch Filmlizenzen verkaufen, das war sehr toll.
Man hört oft, mit Popmusik könne man kein Geld mehr verdienen. Du hast offenbar den Traum jedes Popmusikers realisieren können …
Fabian Chiquet: Die Träume der Popmusiker sind sehr unterschiedlich, und da geht es auch nicht immer um Geld. Mein Traum ist es, alle Künste miteinander zu verbinden. Musik ist für mich immer Teil eines Gesamtkunstwerkes. Deshalb unterscheide ich auch nicht zwischen verschiedenen Bereichen. Beides ist wichtig: Musik und die Kunst der Inszenierung, und mit beidem ist es möglich, Geld zu verdienen: Mit The bianca Story habe ich auch viele Songs geschrieben, die im Radio gespielt wurden – der wohl erfolgreichste war übrigens der Remix eines deutschen DJs, der dann auch im Fernsehen benutzt wurde. Wir haben aber auch Geld verdient mit Auftragsmusik für Theaterproduktionen, wo es finanziell dank besserer Subventionen ganz anders aussieht.
Brandy: Für mich ist Erfolg etwas, was mich berührt hat. Ich habe für grosse Künstler im Background singen können und habe mich sehr über ihren Erfolg gefreut. Für mich ist zum Beispiel mein Kinderprojekt sehr wichtig und auch meine stabilste Einkommensquelle. Das ist sehr bereichernd für mich. Es ist für mich sehr wichtig, mit Menschen zusammen zu sein und die Liebe zur Musik weitergeben zu können.
Von den Erfolgen der Vergangenheit zu den Herausforderungen der Gegenwart: Was ist für Euch im Moment die grösste Herausforderung?
Jimi: Ich mache alle paar Monate EPs. Mitte Juni kommt eine Auskoppelung aus meinem Album. Im August mein Projekt mit Kalabrese. Im September das Album und danach eine Tour … das braucht Nerven und Energie auch am Wochenende und in der Nacht. Das Reisen ist sehr anstrengend. Als DJ ist man oft zwanzig Stunden unterwegs, um dann zwei Stunden Musik zu machen. Das Geld kriegt man für die Reise, und der Rest ist Spass.
Fabian: Ich produziere im Moment vor allem im Studio und komponiere neue Werke. Das braucht zwar viele Nerven, dafür kann man sehr unabhängig entscheiden, wann man arbeiten will.
Brandy: Ich arbeite im Moment an einem Soloalbum und war gerade mit Eurovision als Backgroundsängerin unterwegs. Dann habe ich eine Tournee mit Erika Stucky gemacht. Ich mache etwas weniger für andere und bin zum ersten Mal im Sommer nicht unterwegs. Ich habe ein Projekt mit dem Pianisten Bojan Z aus Paris, das fast fertig ist, und bin mit Duck Duck Grey aus Genf am Arbeiten, das gibt das erste Popprojekt. Ich habe auch ein neues feministisches Musikprojekt am Start.
Wie ist bei Euch das Verhältnis zwischen administrativer und kreativer Arbeit?
Brandy: Früher habe ich alles allein gemacht. Ich habe aber gemerkt, dass ich gar nicht überall gleich gut bin. Deshalb arbeite ich nun mit einem Produzenten, einem Booker.
Jimi: Bei uns machen sehr wenige das Booking selber. Wir müssen mit Agenturen arbeiten. Auch habe ich einen persönlichen Manager, der mir hilft, die Zeit einzuteilen.
Fabian: Unterschiedlich, aber das Kreative überwiegt. Es ist immer alles eine Frage des Fokus. Es ist schwierig, mit den vielen Wünschen und Träumen umzugehen. Man muss sich entscheiden und dann etwas durchziehen, sonst verzettelt man sich. Es ist oft besser, weniger zu machen und das dafür richtig gut. Qualität braucht Zeit.
Ihr habt eine grosse Freiheit. Gibts manchmal auch Momente, in denen ihr lieber einen geregelten Job hättet?
Fabian: Ja, die gibt es. Grundsätzlich würde ich meinen Job aber als ziemlich geregelt bezeichnen, es ist ja meine Entscheidung, wie ich ihn ausfüllen möchte. Was ich mir eher wünschen würde, wäre besser abschalten zu können. Das ginge vielleicht einfacher in einem Job, wo man nicht so existenziell vom Erfolg seiner Projekte abhängig ist.
Jimi: Ich habe auch eine Familie. Früher war ich Tag und Nacht unterwegs. Heute ist das nicht mehr so. Seitdem ich ein Kind habe, mache ich oft am Vormittag die anspruchsvollen Sachen und nicht mehr in der Nacht.
Brandy: Ich hab in den USA als Primarlehrerin gearbeitet und fand das extrem anstrengend. Ich geniesse mein Leben heute, es ist viel einfacher. Ich habe ein Kind, aber arbeite nicht nach einem fixen Plan.
Den Popmusikern haftet ja das Klischee vom wilden Leben an. Davon ist bei Euch nichts mehr zu spüren.
Brandy: Wir leben in einer anderen Zeit. Die Leute gehen nicht mehr so gerne aus. Man macht vieles zuhause, schaut Netflix … Die Szene ist viel ruhiger geworden. Früher ist man mit allen seinen Freunden zum Konzert gegangen, heute ist das nicht mehr so.
Jimi: Die Popwelt ist anständiger geworden. Das Business ist wichtiger. Früher hat niemand die elektronische Clubmusik ernst genommen. Heute ist alles viel sauberer geworden. Alles ist geordnet. Es gibt keine Möglichkeit mehr, irgendwie in ein Konzert reinzuschleichen. Ich war als Kind oft mit der Mutter in der Berner Reithalle. Es gab überall Türen, wo man hineinkommen konnte. Am Gurtenfestival hab ich nie Eintritt bezahlt. Heute geht das nicht mehr. Es ist alles geordnet, und man darf nicht einmal mehr Getränke selber zum Festival mitnehmen.
Fabian: Mich interessiert das Klischee von Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll viel weniger als das Finden eines Gemeinschaftsgefühls. Man findet das heute eher in den Nischen, und die sind zum Teil gross. Ich denke zum Beispiel an die Black-Metal-Szene. In diesen Nischen und Szenen gibt es sehr wohl noch ein Gemeinschaftsgefühl wie in der Hippiezeit. Ich war letztes Wochenende auf einer Party, die via SMS organisiert wurde – und da waren am Schluss tausend Leute und haben um ein paar Lautsprecher herum herumgetanzt.
Von der Szene nun zur Musik: Was hat sich beim Musikmachen in den letzten zehn Jahren geändert?
Fabian: Früher war es wichtig, dass man nahe beieinander gewohnt hat. Heute kann man viel mehr am Computer machen, und es spielt nicht mehr so eine Rolle, wo man lebt. Man entwickelt die ersten Ideen zuhause am Computer, tauscht sich international aus und trifft sich zu einem viel späteren Zeitpunkt.
Das gilt ja nicht nur für das Songwriting, es gilt auch für die Produktion und die Distribution: Heute passiert alles am Computer. Der einzelne hat jetzt plötzlich wahnsinnig viele Möglichkeiten.
Jimi: Dank des Computers hat man die Möglichkeit, alles total anders zu machen. Dafür entwickelt man nicht mehr so viel zusammen.
Brandy: Ich bin schon fast dreissig Jahre als Musikerin unterwegs. Mir scheint, die Qualität ist heute viel besser als noch vor zwanzig oder dreissig Jahren. Ein Song muss von Anfang an gut sein. Und du musst als Künstler nicht nur gute Musik machen, du musst auch ein guter Entertainer sein, ein gute Lightshow haben. Für mich kommt das Menschliche heute fast etwas zu kurz.
Jimi: Du kannst heute alles sofort hören. Aber am Schluss zählt immer noch die Qualität der Musik. Das hat sich nicht geändert. Es braucht auch heute eine Message.
Musikmachen in der Schweiz: Wie ist das für Euch? Und was sind Vorteile und Nachteile?
Brandy: Hier ist es im Gegensatz zu den USA viel einfacher, Unterstützung für ein Projekt zu erhalten. Ich habe für mein neuestes Projekt zum Beispiel Geld vom Popkredit der Stadt Zürich und auch vom Kanton Zürich erhalten, auch vom Migros-Kulturprozent und von der Ernst Göhner Stiftung. Aber es fehlt etwas an Kampfgeist. In London oder in den USA gibts viel mehr Konkurrenz, und du musst für dein Projekt kämpfen.
Jimi: In der Schweiz ist die Ausbildung am besten, es gibt viele Möglichkeiten, zu spielen. Aber es fehlt die Begeisterung beim Publikum. Die Leute sind verwöhnt und haben alles. Der Schritt ins Ausland ist deshalb einfacher. Den Kampfgeist brauchst du schon in der Schweiz.
Fabian: Für mich ist die Mentalität in der Schweiz nicht grundsätzlich anders als anderswo. Ich halte dieses Nationalitätendenken für sehr langweilig. Ich finde, wir sind hier extrem privilegiert in Sachen Ausbildung und Unterstützung. In England zum Beispiel gibts viel weniger Förderung, und oft ist diese dann mit sehr strengen Auflagen verbunden. In der Schweiz sind die Förderer grosszügig. Deshalb wird hier viel qualitativ hochstehende Kunst und Musik produziert.
Wie sieht es mit der Exportförderung aus? Wird hier genug unternommen?
Fabian: Wir sind mit The bianca Story sehr früh ins Ausland gegangen und haben auch von der Exportförderung profitiert. Das ist extrem wichtig. Es braucht aber nicht nur Unterstützung für die Musiker, es braucht auch vernetzte Leute und tragfähige Strukturen. Dazu gehören auch Labels und Booker. Auch sie müssen sich besser vernetzen, denn hier gibt es fast die grösseren Defizite. Aber momentan tut sich viel.
Brandy: Ich war zwei Wochen für den Eurovision Song Contest als Backgroundsängerin unterwegs. Mir ist aufgefallen, wie man die Schweiz im Ausland wahrnimmt. Hier gibts schon Defizite, und vielerorts wird die Schweiz immer noch mit Schweden verwechselt. Die Szene ist in den letzten Jahren sehr gewachsen, und es gibt viele Musiker, die grosses Potenzial haben. Wir müssen ins Ausland gehen und haben auch etwas zu bieten. Es braucht deshalb Netzwerke und Plattformen.
Jimi: Es gibt auch Schweizer Musiker, die kennt man nur im Ausland und bei uns nicht, gerade in der Technoszene: Ripperton, Deetron, Luciano, Mirco, Andrea, Adriatique … Das sind Top Shots der elektronischen Szene, aber in der Schweiz kennt sie kein Mensch. Mir ist das mit meinem Song «Pushing On» so gegangen: Im Radio fand man, er ist zu sehr Underground. Britische Radiosender haben ihn in der Tagesrotation gespielt … Es bräuchte etwas mehr Selbstbewusstsein in der Schweiz …
Die Popmusik ist eine Männerwelt. Laut Suisa sind fünfzehn Prozent der Komponisten aus der Schweiz Frauen.
Brandy: Ich will eine musikalische Frauen-Community aufbauen. Mich stört es, dass ständig über meinen Körper und meine Hautfarbe geredet wird und nicht über die Musik. Wenn ich das aber sage, dann werde ich kritisiert. Auch der Jazz ist übrigens total männerdominiert, gerade in den USA, wo ich die Jazzschule gemacht habe. Ich will dafür kämpfen, dass das anders wird. Es gibt nicht genug Frauen in der Szene, und es braucht Ideen, wie man das ändern kann. Und es braucht auch Action!
Jimi: Ich glaube, kurzfristig ist das sehr schwierig zu ändern. Aber die Generation der Jungen heute, die tickt schon ganz anders.
Viele Veranstalter klagen, dass die Gagen in den letzten Jahren gestiegen sind. Gilt das auch für Eure Gagen?
Jimi: Meine Gage ist mit dem Erfolg gestiegen. Ich habe den Eindruck, dass die grossen mehr verdienen und die kleinen weniger. Viele müssen auch gratis spielen. Es ist alles viel professioneller geworden. Die Clubs und die Veranstalter haben Auflagen, und das macht die Konzerte teurer.
Fabian: Meine Gagen sind auch gestiegen. Ich bin allerdings kein Veranstalter und kann deshalb nicht sagen, ob sich dies überproportional zum Bekanntheitsgrad verhält.
Brandy: In den USA gabs keine festen Gagen, wir waren einfach an den Ticketeinnahmen beteiligt. Das Modell kommt immer mehr auch in die Schweiz. Der Veranstalter sagt: Wir sind ein Venue, du musst aber deine Fans bringen. Es gibt immer weniger Clubs mit Stammpublikum. Vor zehn Jahren habe ich pro Konzert zweihundert bis dreihundert Franken verdient. Heute genau gleich viel. Das ist sehr wenig, und davon zu leben ist schwierig. Acht bis zehn Gigs pro Monat machen zweitausend Franken pro Monat, das reicht kaum. Früher war es auch klar, ich musste jede Anfrage annehmen.
Habt Ihr eine Pensionskasse?
Brandy: Ich habe eine Pensionskasse.
Jimi: Ich zahle das Minimum. Für mich ist es wichtig, viele Songs zu machen, das ist auch eine Altersvorsorge.
Fabian: Ja. Wenn man ein Kind hat, macht man sich da mehr Gedanken.
Welche Wünsche an die Kulturförderung habt ihr?
Jimi: Ich wünsche mir mehr Musik in der Öffentlichkeit, mehr Musik und Leben in der Strasse und weniger Einschränkungen und Verbote durch die städtischen Behörden.
Fabian: Ich sehe das auch so. Ich wünsche mir aber auch mehr Frauenförderung – nicht nur in der Musik selber, auch im Hintergrund bei den Labels und Bookers. Es braucht hier unbedingt Ideen, um diesen beschämenden Prozentsatz von Frauen in der Musikindustrie zu ändern.
Brandy: Mir ist Musik im Alltag wichtig. In der Kultur der amerikanischen Schwarzen gab es früher Musik für jede Zeit. Ich finde Musikförderung an den Schulen sehr wichtig. Die Musik gehört zum Leben.
Hallo Leidenschaft!
Vor noch gar nicht so langer Zeit hatte das Radio das Zeug, den Musikliebhaber vor das Gerät zu fesseln. Heute ist Radio nur wenig mehr als Begleitmedium. Radiopersönlichkeiten verschwinden, schon heute werden die Programme von Computern gemacht. Hat das Medium Radio so überhaupt noch eine Zukunft?
Von Ane Hebeisen
Einst hatte der Chronist das Vergnügen, den Fredy aus Pieterlen kennenzulernen. Er hatte sich in den frühen Achtzigerjahren einen Namen gemacht, indem er praktisch jede Plattenverlosung der Musiksendung «Sounds!», die bis 1983 noch auf DRS 2 ausgestrahlt wurde, für sich entschied. Er war stets ein bisschen schneller als die Restschweiz, weil er ein Telefon mit Tasten und keins mit Wählscheibe besass. Und das Erstaunliche: Der Fredy aus Pieterlen ist noch heute in der Lage, aus dem Stegreif Ansagen des damaligen Moderators François Mürner – mitsamt den entsprechenden Jingles – zu rezitieren. Und er ist beileibe nicht der Einzige mit dieser merkwürdigen Fähigkeit.
Es gibt kaum einen Musikschaffenden, der in den Neunziger- oder in den Nullerjahren relevante Beiträge zur Schweizer Musik beisteuerte und nicht im Besitz von Kassetten war, auf denen sich Mitschnitte diverser «Sounds!»-Sendungen finden. Pro Sendung – sie dauerte 45 Minuten – hat man im Minimum einen Song entdeckt, für den sich der «Record»-Knopf zu drücken lohnte. Und weil sie so kurzweilig war, nahm man die Abmoderation gleich noch mit auf. Es soll Leute geben, die diese Kassettensammlung bis heute aufbewahrt haben. Sowohl hier wie in der Vorgängersendung «Musik aus London» wurden Einblicke in eine Musikwelt geboten, die nicht i das damals noch recht übersichtliche Schema von U- und E-Musik oder in die Radio-Beromünster-Welt passen wollten. Da gab es Punk zu entdecken, Vorboten der Neuen Deutschen Welle, Postpunk, erste elektronische Essays, und neben der neuesten Musik gab es Information, Inbrunst und ein bisschen Irrsinn.
«Ach, lieber Chronist», werden die Menschen der Neuzeit nun stirnrunzelnd einwenden. «Es ist ja schön, dass Sie solch nette Erinnerungen an das Medium Radio haben, doch im Hier und Heute ist nicht nur das Format der Kompaktkassette ziemlich aus der Mode gekommen, man verfügt auch schon seit einiger Zeit über etwas benutzerfreundlichere Informationsmöglichkeiten, als pünktlich um 18.05 Uhr mit einem Aufnahmegerät vor dem Radioempfänger zu sitzen. Ausserdem können die Radios von heute nichts dafür, dass die Welt nun schon seit längerer Zeit keine aufregende Jugendkultur mehr hervorgebracht hat.» Und die Menschen der Neuzeit haben natürlich recht. Die Gefahr ist beträchtlich, bei der Analyse des Mediums Radio in eine ungute Nostalgieschmacht zu verfallen. Und dennoch insistiere ich: Wer käme heute auf die Idee, einen Wortbeitrag von Mario Torriani auf einen wie auch immer gearteten Speicherträger zu bannen und diesen mitsamt dem nachfolgend gespielten Song für die Ewigkeit aufzubewahren?
Doch werden wir sachlich. Natürlich klang das DRS-Radioprogramm vor 35 Jahren keineswegs besser als heute. Natürlich werden auch die Pionierjahre des 1983 gegründeten «Störsenders» DRS 3 heute ein bisschen verklärt – vor allem wenn man sie mit dem vergleicht, was die welschen Kollegen von Couleur 3 zeitgleich unter subversivem Radiomachen begriffen. Und Tatsache ist, dass die Sendung «Sounds!» glücklicherweise ja immer noch existiert, notabene mit dem gleichen Musikredaktor (Urs Musfeld) wie damals.
Dennoch stellt sich die Frage, warum das heute meist als flüchtig wahrgenommene Medium Radio vor noch gar nicht so langer Zeit das Zeug hatte, den Musikliebhaber vor dem Empfangsgerät zu fesseln, auch wenn es nur für 45 Minuten war. Vermutlich hat es mit Leidenschaft und mit Persönlichkeiten zu tun. Beides ist – selbstredend nicht bloss in der Schweizer Radiolandschaft – vom Aussterben bedroht. Während des Verfassens dieser Zeilen hat der WDR gerade beschlossen, seinen wunderbaren Spartensender Funkhaus Europa so zusammenzusparen, dass jene Sendegefässe, die noch von musikalischen Meinungsmachern gestaltet worden sind, einem computergenerierten Musikprogramm weichen müssen. Eine Entwicklung, die bei SRF schon längst abgeschlossen ist. Die Moderatoren moderieren eine Musikauswahl an, mit der sie kaum etwas am Hut haben. Und der Computer spuckt aus, was man dem gemeinen Radiohörer glaubt, zumuten zu können: Das ist im Wesentlichen Hitparadenpop, ehemaliger Hitparadenpop und Pop, der gerne in die Hitparade kommen würde. Doch war Radio nicht immer dann am intensivsten, wenn die Menschen dahinter spürbar waren, Menschen, die sich mit aller Leidenschaft in die Materie vertieften und ihre Hörer damit anzustecken trachteten? War Radio nicht dann am denkwürdigsten, wenn Radiopersönlichkeiten den Rahmen des Gängigen etwas weiter steckten?
Diese Meinung teilt zumindest der ach so kostbare Sender BBC Radio 6 Music. Hier werden die Sendungen von Moderatoren und DJs gestaltet, die in ihren musikalischen Nischen ein vertieftes Wissen aufweisen. So hat hier beispielswiese der Sohn der Radiolegende John Peel eine eigene Sendung, in der er sein weites Klanguniversum vorstellen darf. Auch in der Schweiz gibt es noch solche Sendungen. «Radio Paradiso» des Radiojournalisten Yann Zitouni auf La Première zum Beispiel. Oder Jean-Marc Bählers «Republik Kalakuta» auf Couleur 3.
Vor einiger Zeit war der Chronist zu Besuch bei SRF 3. Der Musikverantwortliche erklärte ihm anhand des Programm-Computers das musikalische Konzept des Senders, an dem sich bis heute offenbar nichts geändert hat. Als Erstes räumte er mit einem Mythos auf: Die Moderatoren hätten nicht die Möglichkeit, selber Titel ins Programm zu streuen, wohl aber Lieder, die der Computer vorschlägt, zu tauschen. Und er veranschaulichte das anhand eines Beispiels. Anstatt Sina zu spielen, schlug der Computer als Alternative amerikanischen College-Rock von Good Charlotte oder einen Popschlager von U2 vor. Ausserdem sei der Computer dergestalt programmiert worden, dass nicht mehr als drei Songs mit Frauenstimme aufeinanderfolgen. Und – quasi der Leitgedanke der Musikauswahl – dass auf einen eher unbekannten oder neuen Song ein sogenannter Gold-Titel folgt, also einer, von dem man ausgeht, dass er dem Hörer geläufig ist.
Das klingt dann am Schluss tatsächlich nach Radio, nicht aber nach leidenschaftlichem Radio. Spricht man mit den Verantwortlichen über SRF 3, fällt einem ein sonderbar vorauseilender Gehorsam auf. So reichen zum Beispiel die musikalischen Präferenzen der verschiedenen Musikredaktoren von den Young Gods über Björk bis hin zu dEUS oder Mark Lanegan. Künstler, die im Tagesprogramm des Senders allesamt nicht stattfinden. Die Musik des Senders fusst also nicht auf dem eigenen musikalischen Ermessen der Spezialisten, sondern man mutmasst sich einen allgemeinen Hörergeschmack zusammen. Es gibt viel selbst auferlegte Vorsicht und selbst erfundene Sachzwänge. Von den 25- bis 44-Jährigen soll niemand brüskiert werden, und wenn doch, dann allerhöchstens für die Dauer eines einzelnen Stückes.
Wenn über die Radiolandschaft der Deutschschweiz diskutiert wird, dann fällt schnell der Begriff «Kulturauftrag». Niemand weiss so genau, was er bedeutet. Doch er geht einher mit der Frage, ob es nicht die Aufgabe eines staatlichen Senders sein müsste, der Schweiz darzutun, dass es irgendwo da draussen Spannenderes gibt als die Gala-Afrikanerin Angélique Kidjo, dass es tiefschürfendere Balladen gibt als jene von Ed Sheeran, dass es prickelndere Tanznummern gibt als jene von Pitbull. Und dann werden in den Diskussionen meist diverseste Vorstellungen präsentiert, wie so ein Staatssender zu klingen hätte, der sich dem Anspruch genügen kann, kulturell wertvoll zu sein, der die Möglichkeit und die Mittel hätte, Popmusik in ihrer ganzen Vielfalt und Verästelung abzubilden.
Dass diese Vorstellungen selbst unter dem SRF-Dach ganz unterschiedlich sind, lässt sich jeden Tag im Direktvergleich zwischen den Programmen von Couleur 3 und SRF 3, aber auch von La Premiere und SRF 1 nachhören. Sagen wir es so: In der Westschweiz scheint man der Überzeugung zu sein, dem Publikum etwas mehr zumuten zu können als in der Deutschschweiz. Ein Beweis für diese These lieferte eine lustige Diskussionsrunde an der Schweizer Musikmesse m4music im Jahr 2006. Das Thema des Panels war, wie man es als Schweizer Band ins Schweizer Radio schaffen könnte. Die damalige DRS-3-Musikverantwortliche wurde aufgefordert zu erklären, wie ein Lied beschaffen sein muss, das in ihrem Radio gespielt werden kann: «Der Song sollte einen schönen Refrain haben, das mögen die Leute, das wissen wir. Er sollte auch möglichst sauber gespielt sein, und er darf keine Löcher im Ablauf oder allzu lange Soli haben.» Als sich die Blicke auf den ebenfalls in der Runde sitzenden Couleur-3-Musikchef richteten, lächelte dieser verlegen und meinte, dass die Ballung all dieser Attribute ein Grund dafür wäre, dass ein Song auf Couleur 3 eher nicht gespielt würde. Die anwesenden Musiker waren merklich erleichtert.
Generell kann gesagt werden, dass es – überall auf der Welt – keine besonders gute Idee ist, sich als Musikproduzent den Geschmack des gemeinen Radio-Musikredaktors als Blaupause des eigenen Schaffens zugrunde zu legen. Und dennoch tut das natürlich so mancher Produzent irgendwie doch. Er wird beispielsweise darauf verzichten, ein dreiminütiges Saxofonsolo in seinen potenziellen Sommerhit einzuplanen, selbst wenn er dies die hübscheste Idee fände, die ihm in seinem Produzentendasein je in den Sinn gekommen ist. Die latente Hoffnung, doch irgendwo auf dieser Welt im Radio gespielt zu werden, lässt einen gewisse Radioregeln einhalten. Es ist also nicht von der Hand zu weisen, dass ein Staatssender das musikalische Schaffen dieses Staates in wesentlicher Weise beeinflusst. So ist es vermutlich auch kein Zufall, dass im Umfeld von Couleur 3 ein eklektisches Festival wie das Paléo in Nyon gedeihen konnte. Und es ist anzunehmen, dass die Radios nicht ganz unschuldig daran sind, dass gewisse Deutschschweizer Open Airs heute klingen wie das Tagesprogramm von Radio Energy.
Dass die Radios für die Schweizer Popmusik noch immer eine wichtige Rolle spielen, ist offensichtlich. Auch das hat in den jungen «Sounds!»-Jahren seinen Anfang genommen. Die Redaktion um François Mürner hat Bands ins Radiostudio geladen, um sogenannte Cassingles (Kassetten-Singles) aufzunehmen, die dann in der Sendung «dünn und durchsichtig» gespielt wurden, wie er das nannte. Yello, Young Gods oder Stephan Eicher waren als erstes bei Mürner zu hören (obwohl er Letzterem in einem Interview noch vorwarf, ziemlich schäbiges Französisch zu singen).
Der Verantwortung, das heimische Schaffen zu ehren, sind sich die Programmverantwortlichen im ganzen Land offensichtlich bis heute bewusst. Ja, sie scheinen die Einschätzung des englischen Radiomannes John Peel zu teilen, der einst verkündet hat: «In der Schweiz, da passiert viel Gutes!» Er hat das freilich in einer Zeit verkündet, in der die Helden des Landes nicht Stress oder Bastian Baker hiessen, sondern Kleenex oder Yello. Aber egal. Zunächst haben die Sender SRF 3, Virus, Couleur3, Rete3 und Radio Rumantsch die Musikplattform Mx3 aufgeschaltet, auf welche Schweizer Musiker ihre Tonkunst laden können und aus welcher die Musikredaktoren sich dann auch tatsächlich bedienen. Ein beispielloses Projekt.
In der Charta der Schweizer Musik verpflichten sich die Sender einen gewissen Prozentsatz hiesiger Musik zu spielen, er liegt bei SRF 3 und Couleur3 etwa bei zwanzig Prozent. Das ist nicht ganz so beispiellos, Frankreich kennt eine Quote von vierzig Prozent, davon muss die Hälfte aus Newcomern bestehen. In Schweden liegt die Quote ebenfalls bei vierzig Prozent, allerdings ist sie freiwillig. «Eine Quote macht die heimische Musik nicht besser», maulen nun die Kulturpessimisten. Das ist wohl wahr, doch sie schärft den Fokus auf das heimische Schaffen. Und das leistet ausser den hiesigen Staatssendern garantiert niemand sonst. Als neueste Errungenschaft spielt die Sendung «Punkt CH» auf SRF 3 täglich von 19 bis 20 Uhr Schweizer Musik. Das ist ein schöner Zug. Das bisherige Programm der Sendung hat helvetischen Mainstreampop geboten, der sich stellenweise tatsächlich vom restlichen Tagesprogramm angenehm abzuheben vermochte. Dass diese Sendung das Medium in ein neues Zeitalter rettet, ist natürlich nicht anzunehmen.
Wenn sich das Radio in Zeiten von Streamings und Playlists nicht gänzlich überflüssig machen will, dann muss es in dieser unübersichtlich gewordenen Musikwelt Orientierung bieten, neue Welten öffnen, Horizonte erweitern. Wenn es das wiederkäut, was schon jeder Hörer kennt, dann ist seine Zukunft tatsächlich infrage gestellt. Das würde nicht nur der Fredy aus Pieterlen bedauern.
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