Kitabı oku: «Unter Schweizer Schutz», sayfa 4
Mitte November wurde allen Inhabern von Briefen befohlen, in die «geschützten Häuser» in und um die Pozsonyi-Strasse umzusiedeln. Der Befehl war nicht gerade willkommen, da die grosse List mit unseren Schutzbriefen nun aufzufliegen drohte. Das Chaos war unbeschreiblich, denn die Zahl der Personen, die tatsächlich im Besitz der Dokumente waren, war viel grösser als die Zahl der offiziell ausgestellten Briefe. Bevor die Menschen anfingen, in die geschützten Häuser umzuziehen, wurden wir Zeugen einiger herzzerreissender Szenen. Dieses neue Problem führte zu einem weiteren Ansturm auf unser Konsulatsgebäude [das Glashaus], das mit über 2000 Menschen bereits aus allen Nähten platzte. Wir brauchten dringend ein weiteres Gebäude. So zogen mehrere Angestellte in die Wekerle-Sándor-Gasse 17. Wir kämpften natürlich und forderten, dass auch einige unserer eigenen Jugendlichen umsiedeln konnten. Die Beamten nahmen ihre Familien mit, und so lebten im neuen Büro bald etwa 120 Menschen. Während in der Vadász-Gasse weiterhin die «Baumfäller und Wasserschöpfer» ihrer Arbeit nachgingen, setzte sich die «diplomatische» Tätigkeit am neuen Standort fort, insbesondere die Verbindung zu den Behörden und die Erstellung von Listen.
Wir richteten in der Wekerle-Sándor-Gasse auch ein Vorratslager ein. Von hier aus wurden anschliessend die geschützten Häuser mit Lebensmitteln versorgt. Die Existenz des Vorratslagers war für uns auch ein Vorwand, noch ein paar Leute mehr im Gebäude unterzubringen. Das war dringend notwendig, da die Situation in der Vadász-Gasse zusehends gefährlicher wurde, denn es beschlossen immer mehr unserer Freunde, ins Glashaus zu ziehen. Eine gewisse Müdigkeit hatte zweifellos auch dazu beigetragen, die Menschen waren erschöpft vom ständigen Versteckspiel. Jetzt, da sie die Möglichkeit hatten, sich an einem extraterritorialen Ort zu verstecken, entschieden sich viele von ihnen für das Glashaus, was den einfacheren Weg bedeutete. Wir waren von dieser Lösung nicht übermässig begeistert und haben sie unseren Freunden nicht immer empfohlen. Zwar hatte sich die Vadász-Gasse bisher bewährt, aber es gab viele Zweifel, ob das Gebäude bis zum Ende durchhalten würde. Es war den Pfeilkreuzlern ein Stachel im Fleisch. Sie wussten sehr wohl, dass die Vadász-Gasse nichts anderes als ein riesiger Bunker war. Trotzdem hatte es grosse Vorteile, unsere Leute in der Vadász-Gasse zu konzentrieren. Zum ersten Mal seit Monaten waren alle unsere Freunde zusammen und konnten ihre Probleme frei diskutieren. Wir nutzten unsere Situation, indem wir, so gut es ging, eine Haschomer Hazair-Gemeinschaft gründeten. Wir führten Seminare, Diskussionen und sogar Unterhaltungsabende durch.
Am 24. Dezember 1944 verschärfte sich die Belagerung um Budapest. Wir spürten eine gewisse Erleichterung; mit diesem Tag war die Gefahr der Deportation gebannt. Wir mussten zwar mit weiteren Ausschreitungen rechnen, schlimmer noch als zuvor, aber die grösste Angst war immer die Gefahr der Deportation gewesen. Mitten in der Stadt – vor den Augen der Zivilbevölkerung – wagten die Faschisten keine gross angelegten Morde. So waren wir uns auch der Gefahren im Zusammenhang mit der Zerstörung des Ghettos nicht bewusst.46
Eines Tages [am 31. Dezember 1944] tauchte ein aufgeregter Polizist in der Wekerle-Sándor-Gasse auf und erzählte uns, eine bewaffnete Pfeilkreuzlertruppe habe das Konsulat in der Vadász-Gasse umzingelt. Mehrere Granaten wurden in das Gebäude geworfen und die Bewohner auf die Strasse getrieben. Wir hielten alle für eine Sekunde den Atem an; da war er, der Moment, den wir alle befürchtet hatten. Aber innerhalb einer Minute hatten wir zum Hörer gegriffen und alle zuständigen Behörden über den Vorfall informiert: das Auswärtige Amt, die Polizei, das Militärhauptquartier der Hauptstadt und alle möglichen Stellen. Glücklicherweise waren diese Interventionen erfolgreich, und fast augenblicklich trafen Polizei und städtische Beamte in der Vadász-Gasse ein. Bis heute weiss ich nicht mit Sicherheit, wem wir es zu verdanken haben, dass die Massendeportation von etwa 1500 Menschen, die bereits die Strasse füllten, verhindert wurde, aber eines war in diesem Moment sicher: Die grosse List des Konsulats hat wunderbar funktioniert. Die Behörden respektierten den exterritorialen Status des Gebäudes, und unser Volk war gerettet. Die Vadász-Gasse hatte einen grossen Sieg zu verzeichnen – und fünf Tote.
Richard Friedl emigrierte 1947 mit seiner Frau Katalin (1921–2003) und seinem kleinen Sohn Alfred ins damalige Palästina. Sie liessen sich im Kibbuz Ha’ogen nieder, wo viele der Haschomer Hazair-Mitglieder aus Ungarn und der Tschechoslowakei lebten. 1951 wurde ihr zweiter Sohn, Alex, geboren. Richard Friedl, der seinen Namen in Rafael Benshalom änderte – und aus Katalin wurde Tamar und aus Alfred Dany – , arbeitete in der Folge für das israelische Aussenministerium als erster Konsul in der Tschechoslowakei und später als erster Botschafter in Mali, Kambodscha und Rumänien.
Rafi und Tamar haben acht Enkel- und zehn Urenkelkinder.
Ausschnitte aus Rafi Benshalom (Richard Friedl): We Struggled For Life, Jerusalem 2001. Richard Friedl hatte seine Erinnerungen kurz nach der Befreiung aufgeschrieben. Sie wurden erstmals 1977 in hebräischer Sprache im Buch «םייחה ןעמל ונקבאנ» (Tel Aviv 1977) veröffentlicht. Rafi Benshaloms Sohn Dany Benshalom gewährte uns ergänzend zum ursprünglichen Zeugenbericht für die vorliegende Publikation weitere Einsichten.
Aus dem Englischen von Lis Künzli
Paul Fabry

Paul Fabry, New Orleans, Louisiana, USA 2012
New Orleans, Louisiana, USA
Geboren als Pál András Fabry am 19. Juni 1919 in Budapest, gestorben am 8. August 2018 in New Orleans.
«Carl Lutz stach heraus wie ein Denkmal – er war ein Beispiel dafür, was möglich ist»
Leutnant Pál András Fabry führte eine kleine Widerstandsgruppe junger (zum Teil jüdischer) Männer, die als uniformierte Wachen mit falschen Dokumenten das Glashaus in Budapest schützten. Er wechselte Rang und Namen, nannte sich «Hauptmann Gombos» und kämpfte als solcher bis zur Befreiung von Budapest im Januar 1945 in der Widerstandsbewegung gegen die Gestapo und die ungarischen Faschisten.
Der militärische Widerstand
Ich bin in einer Familie von Grundbesitzern und Offizieren der österreichisch-ungarischen Armee aufgewachsen. Mein Vater, Dr. András Fabry, war General und Richter, der oft nach Italien und in die Schweiz reiste. Er sprach zu Hause drei Sprachen: Deutsch, Französisch und Italienisch. Meine Mutter, Ilona Gombos, hatte in Deutschland Kunst studiert; sie waltete über unsere zentraleuropäische Lebensweise im Herzen von Budapest. Ich war ein Einzelkind und wurde in ein katholisches Internat geschickt, in dem französische Priester mir die moralischen und ethischen Werte des neunzehnten Jahrhunderts vermittelten. Mit diesen Werten im zwanzigsten Jahrhundert zu leben, war nicht einfach. Um zu überleben, musste ich später eine modernere Weltsicht entwickeln.
Ich selbst war Lutheraner, da die Familie meiner Mutter sich stark für diese Kirchenbewegung engagierte, wir hatten sogar einen lutherischen Bischof in der Familie. Ich wurde protestantisch erzogen und in eine katholische Schule gesteckt, in der es viele jüdische Kinder gab. Ich glaube, das hat mein Verständnis für andere Religionen, andere Weltanschauungen geschärft. Es hat mich offener gemacht – nicht zu einem engstirnigen Kind mit einer einzigen, monopolistischen religiösen Prägung. Ich war immer ein frei denkender, frei handelnder Mensch, tolerant gegenüber Herkunft und Glaubensvorstellungen anderer.
Ich war als Reserveoffizier und Kriegskorrespondent der ungarischen Armee in Russland, der Ukraine, Polen und am Don. Als mir bewusst wurde, dass der Krieg in einem Desaster enden würde – als schrecklicher Zusammenbruch der gesamten Zivilisation, in der ich gross geworden war –, kehrte ich nach Budapest zurück und wartete, dass ich einberufen würde. Dies geschah im März 1944, als Deutschland einmarschierte. In diesem historischen Augenblick spürte ich, dass es keine andere Wahl gab, als zu desertieren und in den Widerstand abzutauchen. Selbst die Familie des Reichsverwesers und einige der besten Generäle schlossen sich dem Widerstand an. Es war keine offiziell organisierte, eindeutige Bewegung wie in Frankreich; es war kein aktiver Widerstand wie in Polen. So weit kam es nie – fragen Sie mich nicht warum –, es ist zu komplex, aber es kam nicht dazu. Die Untergrundbewegung konnte still und geräuschlos agieren, mit falschen Dokumenten. An der Seite von vertrauenswürdigen Freunden konnten wir sichere Verstecke finden, um Verfolgte unterzubringen, ohne geschnappt zu werden.
Den Führern der ungarischen Armee und der pronazistischen ungarischen Regierung war nach der deutschen Besetzung im März 1944 nicht zu trauen. Damals haben sich alle, die an eine Zukunft ohne Deutschland glaubten, dem Untergrund angeschlossen oder sind weggegangen. Ich musste mir einen anderen Personalausweis, eine andere Uniform und für jeden Anlass die richtigen Dokumente besorgen. Wir mussten improvisieren, aber wir waren vorbereitet. Innerhalb von zwei Monaten hatten wir sämtliche Dokumente zusammen. Unsere Freunde stahlen Originaldokumente, um sie zu kopieren. Wir hatten auch eine Druckerei. Zum Glück kannte ich von früher einige Drucker, die in einem der grossen Budapester Verlagshäuser, dem Athenaeum, arbeiteten. Sie verfügten über moderne Druckeinrichtungen, in denen die von Lutz ausgestellten Papiere vervielfältigt werden konnten. Die Drucker waren alle gewerkschaftlich organisiert, sozialistisch oder kommunistisch orientiert, und sie kannten mich. Sie waren es, die uns geholfen haben. Auch Mitglieder der zionistischen Jugendbewegung stiessen zu uns. David Gur schickte uns – sehr clever – zwei wunderschöne Frauen, um Kopien der falschen Dokumente zu bekommen. Ich konnte nicht widerstehen.
Im Oktober 1944 übernahm ein ungebildeter Schurke, Ferenc Szálasi, über Nacht mit einer Bande von Pfeilkreuzlern die Macht. Sie waren die allerschlimmsten Faschisten. Da war selbst die Gestapo noch gnädiger, die logischer vorging als diese Truppen, die Szálasi mit den Pfeilkreuzlern aufbaute. Ihr Ziel war es, jeden noch verbliebenen Rest jüdischen Lebens auszulöschen. Das war der Moment, da es mit Ungarn als einer Nation, die ein Gewissen hatte, als einer Nation, die Gesetze und eine Geschichte hatte, vorbei war. Die Pfeilkreuzler übernahmen die Macht mit Hilfe von Gendarmerie-Militäreinheiten und den verbliebenen Militäreinheiten, die noch unter dem Kommando der Szálasi-Regierung standen. Ab dem 15. Oktober bestand das Leben in Ungarn einzig aus dem Terror der Pfeilkreuzler. Es war das Ende dieser Nation mit einer solch schönen Geschichte und einer solch freiheitlichen Gesinnung. Budapest war so lange Zeit einer der klassisch schönen Orte gewesen. Jetzt brach alles zusammen.
«Hauptmann Gombos»
Es war im Grunde ein grosses Glück für die ganze Bewegung, dass Lutz nur wenig bekannt war. Ich stand nicht in direktem Kontakt mit ihm, weil ich nur der Verbindungsmann zwischen seinen Leuten und dem militärischen Widerstand war, wo man mich als «Hauptmann Gombos» kannte. Ich stand in Verbindung mit Miklós Krausz, dem Vertreter der Jewish Agency, einem Freund von Carl Lutz. Miklós Krausz kannte mich, weil ich der zionistischen Jugendbewegung mit der Druckerei und anderem geholfen hatte. Ich arbeitete auch mit zwei oder drei jungen Diplomaten zusammen. Krausz wusste, dass wir fingierte Militäreinheiten hatten, dass wir für manche Menschen oder Plätze Wachen stellten, so wie für einige von Wallenbergs Schutzhäusern. Er fragte: «Können Sie ein Kommando an die Vadász-Gasse 29 schicken, damit die Räuber und Terroristen der Pfeilkreuzler dort nicht das Essen stehlen?»
Ich nahm den Namen meiner Mutter an und änderte auch meinen Rang. Ich war nur Leutnant und ernannte mich selbst zum Hauptmann. Ich hatte eine Uniform mit gefälschten Orden und gefälschte Papiere. So konnte ich überleben und anderen helfen. An Uniformen für unser Kommando zu kommen, war einfach; es lagen überall Leichen auf der Strasse. Die Papiere waren schwieriger zu beschaffen und wichtiger; sie mussten zur Person passen. Wir dachten uns Dokumente aus, die so unwirklich und so falsch waren, dass niemand es überhaupt für möglich hielt, damit durchzukommen. Wir waren eine nichtexistierende militärische Einheit, mit falschen Nummern, wunderschönen Stempeln, gedruckten Dokumenten des militärischen Oberkommandos, die bestätigten, dass unsere Einheit zur Bewachung eines Hauses da war. Wir hatten die Verantwortung. Wir gaben vor, wir seien dort, um die Juden an der Flucht aus ihrem «Gefängnis» zu hindern. Wir sorgten dafür, dass die Vadász-Gasse wie ein Gefängnis wirkte, in dem wir Juden gefangen hielten. Wir gaben vor, wir seien aus einem einzigen Grund dort – um sicherzustellen, dass die Juden in Auschwitz enden würden, dass sie ihrem Schicksal nicht entkämen. Wenn wir einem Pfeilkreuzler unsere Papiere zeigten, sagte er: «Das ist ein höherer Befehl, sie werden diese Leute in die Donau schmeissen oder nach Auschwitz schicken. Das erledigen die, das ist nicht unsere Arbeit.»
Es war äusserst wichtig, unsere Einheit sorgfältig zusammenzustellen. Ich hatte zum Beispiel einen Fahrer, der Jude war, und der fragte mich dreissig Jahre später: «Warum hast du eigentlich gerade mich aus dem Arbeitslager geholt?» Ich sagte: «Weil du nicht jüdisch ausgesehen hast.» Man konnte keine Leute in Uniformen stecken, die jüdisch aussahen und sie zur Rettung anderer Juden schicken, die Einheit wäre aufgeflogen. Das ganze Widerstandssystem wäre zusammengebrochen. Das traf auch auf die Schutzhäuser von Carl Lutz zu. Einige der Wächter waren Juden, aber man musste aufpassen, dass ihre Identität nicht aufgedeckt wurde. Die Wächter vor dem Glashaus bestanden meist aus geflüchteten Offizieren, ein paar jungen Männern und mehreren jüdischen Jugendlichen aus Arbeitslagern, alle in falschen Uniformen. Wir stahlen die Lebensmittel von den Deutschen, die Uniformen von der ungarischen Armee, und die Dokumente wurden in der Athenaeum-Druckerei angefertigt. Das System war hervorragend aufgebaut.
Die zionistische Jugendbewegung half Hunderten von Menschen, sich in der Stadt zu bewegen, von einem Schutzhaus zu einem anderen zu gelangen. Wie viele Menschen in jener schrecklichen Zeit in die Rettung der Juden involviert waren, lässt sich nicht sagen. Auch nicht, wie viele Menschen das faschistische Regime unterstützten, wie viele in der Pfeilkreuzlerpartei waren. Auch kann das Volk nicht verurteilt werden. Wer half, wer war ein Held, wer war keiner? Einige aber stachen heraus.
Carl Lutz stach heraus wie ein Denkmal, denn er war nicht nur ein Mensch mit grossem Gewissen und grossen Fähigkeiten, er war auch ein Schweizer Patriot, der beweisen wollte, dass die Schweiz für Freiheit stand, für Meinungs- und Religionsfreiheit, dass es ihrer freiheitlichen Gesinnung entsprach, Menschen zu helfen. Er war ein Beispiel dafür, was möglich ist. Aber jene, die ihm halfen, wussten auch, dass einer allein keinen einzigen Menschen retten konnte. Es gab keinen einzigen geretteten Juden, ohne dass nicht Dutzende andere daran beteiligt waren. Da war derjenige, der ihn ins Haus hereinliess, derjenige, der ihn zum Taxi brachte, derjenige, der ihm ein bisschen Kleingeld oder etwas zu essen gab, derjenige, der mit gefälschten Bescheinigungen von einem Ort zum andern rannte, derjenige, der den Telefonanruf machte, um ihm zu sagen, er soll fliehen. Es war eine Kette von Ereignissen, und eine einzige Sekunde konnte von Bedeutung sein. Wo konnte in dieser Sekunde jemand helfen? War jemand da, der einem zu Hilfe kam? War jemand da, der einem dieses Papier gab? Niemand konnte allein tausende Verfolgte retten. Und das trifft auch für Lutz zu. Lutz war ein Held, aber er brauchte Hunderte andere, die ihm halfen.
«Operation Glashaus»
Es gab zum Beispiel Leute vom Auswärtigen Amt, die Lutz besser kannten als ich. Sie waren meine Freunde. Ein ganz wunderbarer Mann, Zoltán Keresztes, arbeitete eng mit Lutz zusammen. Er war der Verbindungsmann zwischen unserer Gruppe und Raoul Wallenberg. Wir brachten Papiere zur zionistischen Jugendbewegung, damit sie sie in ihren Druckanlagen reproduzieren konnten. Dann gingen sie zurück zu Arthur Weiss oder Miklós Krausz, einem der wichtigsten Männer im Büro von Carl Lutz. Weiss und Krausz entschieden, wie die Papiere verteilt werden sollten. Irgendwann wurden sie wie eine Gratiszeitung verteilt. Es gab so viele gedruckte Dokumente, dass man nicht mehr zählen konnte, wie viele ausgegeben wurden, wie viele benutzt wurden oder wie viele Menschen keine bekommen hatten.
Wir waren etwa zwanzig Mann in unserer Einheit. Und es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Einmal waren wir fünfzehn. Ein anderes Mal fünfundzwanzig. Mein Cousin, Dezsö Molnar, hatte den Rang eines Leutnants und trug eine ungarische Armeeuniform, er war der Kommandant der Einheit. Grösstenteils bestand die Einheit aus Leuten, die aus den verschiedenen Arbeitslagern geflohen waren, inzwischen mit falschen Uniformen, falschen Papieren und möglicherweise falschem Namen ausgestattet.
Ich betrat das Glashaus nur, um nachzusehen, ob das Essen ordnungsgemäss eingetroffen war. Ich hatte einen Fahrer, Zoltán Illy, der mit seiner Einheit einzig damit beschäftigt war, die deutschen Züge auszurauben, die Käse für die Armee lieferten. An Käse hat es also nicht gefehlt. Aber Armeekäse war schreckliches Zeug. Ein bisschen wie Zahnpasta. Jedenfalls lieferten wir dieses Zeug waggonweise, denn im Glashaus gab es nur sehr wenig zu essen. An guten Tagen hatten wir auch Gemüse und Obst, was eben gerade von den Bauern zu bekommen war. Es war schwierig, zu überleben, denn es gab dort 2000 Leute; zu einem bestimmten Zeitpunkt, sagen einige, befanden sich sogar bis zu 3000 Menschen im Glashaus. Ich glaube es nicht, aber möglich wäre es. Ich meine, es sah dort aus wie in einem heutigen Flüchtlingslager. Die Leute kamen und gingen zu Hunderten, um Dokumente zu bekommen. Hatten sie das Dokument, machten sie sich rasch davon, um irgendwo jemand anderen zu retten.
Die Leute im Glashaus wussten nicht, dass wir eine falsche Militäreinheit waren. Nur Arthur Weiss, Carl Lutz und das Erez-Israel-Büro wussten Bescheid. Auch Krausz wusste, dass wir eine Widerstandsgruppe waren; er wusste, dass wir nicht zur Pfeilkreuzler-Armee gehörten. Aber die Menschen drinnen, die kamen und gingen, wussten nicht, auf welcher Seite wir standen. Sie hatten keine Ahnung, aber das war Teil des Plans. Erstens hatten die Pfeilkreuzler überall Spione, ich bin mir ziemlich sicher, dass sie auch im Glashaus welche hatten. Woher konnten sie zum Beispiel wissen, dass Weiss dort war? Woher konnten sie wissen, wann sie kommen sollten, um zu plündern? Sie wussten, was vor sich ging und wo die Schutzhäuser waren. Und zu unserer Sicherheit und zur Sicherheit der ganzen Organisation – des ganzen Widerstandsnetzes – war es sehr wichtig, dass wir anonym blieben. Wir mussten die Leute im Glashaus im Glauben lassen, unsere Truppe sei da, um sie gefangen zu halten.
Niemand verstand, wie wir mit dieser List drei oder vier Monate lang durchhalten konnten. Und die Nazis griffen auch tatsächlich an, sie kamen. Ich erinnere mich an den 4. Dezember; um die zwanzig, dreissig Pfeilkreuzler rückten mit Maschinengewehren an. Sie töteten zwei der Wächter. Später, ich glaube, es war an Silvester, holten sie Arthur Weiss zu einer Untersuchung. Sie behaupteten, seine Papiere überprüfen zu müssen. Wir hatten Angst, sie könnten entdecken, dass unser Kommando eine Fälschung war, dass die Leute im Glashaus Geld hatten, dass dort Wertsachen versteckt waren. So schickte ich einen meiner Männer mit Weiss zum Verhör. Weiss verschwand. Es war eine Offenbarung für mich: Da war eine Person, der ich zu helfen versuchte, und ich habe es nicht geschafft, und wahrscheinlich hatte ich die falsche Entscheidung getroffen. Aber hätte ich Arthur Weiss nicht gehen lassen, hätten wir hundert Pfeilkreuzler dort gehabt, die der ganzen Sache ein Ende gesetzt hätten.
Wir waren nicht stark genug, um einem Angriff der Gendarmen und Pfeilkreuzlern mit ihren Waffen und Tanks standzuhalten. Arthur Weiss war das Opferlamm. Unser Blendwerk hat überlebt.