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Literatur

ANTONIC, THOMAS; DANIELCZYK, JULIA (Hg.) (2011): Denken Sie! Interdisziplinäre Studien zum Werk von Joe Berger. Klagenfurt: Ritter.

BARTHEL, WOLFGANG (1984): Literaturausstellungen im Visier. Zu den ständigen Ausstellungen im Reuter-Literaturmuseum Stavenhagen, in der Reuter-Gedenkstätte Neubrandenburg und zur Herder-Ausstellung im Kirms-Krackow-Haus. In: Neue Museumskunde, H 27, S. 170–179.

BARTHEL, WOLFGANG (1989): Literaturmuseum und literarische Kommunikation. In: Neue Museumskunde 32, H. 1, S. 11.

BERGER, JOE (2009): Hirnhäusl. Prosatexte aus dem Nachlass und verstreut Publiziertes. Hg. u. komm. von Thomas Antonic und Julia Danielczyk. Klagenfurt: Ritter.

BRANDTNER, ANDREAS (2004): Literatur betrachten, Bilder entziffern, Musik lesen. Fotos, Texte und Musik von Liesl Ujvary ausstellen. In: Brandtner, Andreas (Hg.): weiche welten. liesl ujvary. Wien: Wiener Stadt- und Landesbibliothek, S. 6–12.

BULGAKOW, MICHAIL (2001): Der Meister und Margarita. Berlin: Jugend und Volk.

DANIELCZYK, JULIA (2008): Editionsunternehmungen oder hilfswissenschaftliche Institutionen? Ein Beitrag zur Erforschung der Geschichte der österreichischen Literaturarchive 1878–1918. In: IASL 33, H. 2, S. 102–144.

FETZ, BERNHARD; SCHWEIGER, HANNES (2010): Zur Ausstellung. In: Fetz Bernhard, Schweiger Hannes (Hg.): Die Ernst Jandl Show. Wien: Residenz und Wien Museum.

GFREREIS, HEIKE (2007): Nichts als schmutzige Finger. Soll man Literatur ausstellen? In: Deixis. Vom Denken mit dem Zeigefinger, S. 81–88.

HANAK-LETTNER, WERNER (2011): Die Ausstellung als Drama. Wie das Museum aus dem Theater entstand. Bielefeld: Transcript.

HÜGEL, HANS-OTTO (1991): Die Literaturausstellung zwischen Zimelienschau und didaktischer Dokumentation: Problemaufriß – Literaturbericht. In: Ebeling, Susanne; Hügel, Hans-Otto; Lubnow, Ralf (Hg.): Literarische Ausstellungen von 1949 bis 1985. Bundesrepublik Deutschland, Deutsche Demokratische Republik, Diskussion, Dokumentation, Bibliographie. München u.a.: K. G. Saur. (= Literatur und Archiv, Bd. 5), S. 7–39.

KUNZE, MAX (1989): Literaturausstellungen im internationalen Vergleich. In: Lüttge, Dieter (Hg.): Kunst – Praxis – Wissenschaft. Bezugspunkte kulturpädagogischer Arbeit. Tagungsbericht und Arbeitsmaterialien. Hildesheim, Zürich, New York: Olms, S. 223–229.

KUTZENBERGER, STEFAN (2012): Kapitel 4, Zeile 13. Literatur ausstellen. Darf man das? Ein Projekt von Student_Innen der Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien. Wien: Aumayer.

LANGE-GREVE, SUSANNE (1995): Die kulturelle Bedeutung von Literaturausstellungen. Konzepte, Analysen und Wirkungen literaturmusealer Präsentation. Hildesheim: Olms-Weidmann.

Literatur ausstellen (2011). Unterlagen zur gleichnamigen Tagung. Interdisziplinäre und intermediale Aspekte von Literaturvermittlung, 1.9.2011–3.9.2011, Universität Göttingen.

NAUMANN, ULRICH (1994): Bibliotheksbau und -einrichtung. Kompendium zum Planungs- und Bauprozess. Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut.

NOLTENIUS, RAINER: Archivalien in Literaturarchiven. In: Busch, Angelika; Burmeister, Hans-Peter (Hg.): Literaturarchive und Literaturmuseen der Zukunft. Bestandsaufnahme und Perspektiven. Rehburg-Loccum: Loccumer Protokolle, S. 82–96.

POLL, ROSWITHA (1994): Bibliotheksbauten in der Praxis. Erfahrungen und Bewertungen. Wiesbaden: Harrassowitz.

REUST, RUDOLF HANS (2000): Ausstellungen vermitteln – Zur medialen Struktur des Museums. In: Meier, Thomas Dominik; Reust, Hans Rudolf: Medium Museum. Bern/Stuttgart/Wien: Paul Haupt, S. 59–69.

SCHMITZ-EMANS, MONIKA (2008): Im Reich der Königin Loana. Einführende Bemerkungen zum Stichwort »Visual Culture«. In: Visual Culture, Heidelberg, S. 9–29.

TELESKO, WERNER (2006): Geschichtsraum Österreich. Die Habsburger und ihre Geschichte in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts. Wien/Köln/Weimar: Böhlau.

WEIGEL, HARALD (1989): Nur was du nie gesehn wird ewig dauern. Carl Lachmann und die Entstehung der wissenschaftlichen Edition. Freiburg im Breisgau: Rombach.

WISSKIRCHEN, HANS (1999): Das Literaturmuseum – mehr als ein Ort für tote Dichter. In: Busch, Angelika; Burmeister, Hans-Peter (Hg.): Literaturarchive und Literaturmuseen der Zukunft. Bestandsaufnahme und Perspektiven. Rehburg-Loccum: Loccumer Protokolle, S. 97–110.

WITTKAU, ANNETTE (1992): Historismus. Zur Geschichte des Begriffs und des Problems. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Daniela Strigl
Der Kritiker: Gatekeeper, Platzanweiser, Zirkulationsagent, Raumpfleger oder Verkehrspolizist?
Über die Literatur als herrschaftsfreie Zone
Prolog

»Frau Cäsarine Denker befand sich in gemischter Stimmung. Sie hatte eben zwei Rezensionen über ihren letzten Roman gelesen.

In der ersten verwahrte sich der Kritiker gegen die Zumutung, ein Beschützer ›weiblicher Federn‹ zu sein. Wenn aber auch noch keine Frau in der Literatur etwas Hervorragendes geleistet habe, die Denker bilde jene Ausnahme, die zur Bestätigung der Regel durchaus notwendig erschiene. Ihr Buch sei, abgesehen von der ergötzlich naiven Rolle, die der Zufall darin spiele und von mehreren Unmöglichkeiten, beinahe so gut, wie wenn ein Mann es geschrieben hätte. Übrigens rügte der Beurteiler die Wahl des heiklen Stoffes und den Mangel an Ernst und Fleiß, der sich in der ziemlich saloppen Ausführung des an Erfindung beinahe zu reichen Romanes unangenehm fühlbar mache.

In der Einleitung zur zweiten Rezension wurde ungefähr derselbe Gedankengang verfolgt, wie in der Einleitung zur ersten. Sodann begründete ihr Verfasser seine Anteilnahme an dem ›Denkerschen Buche‹ durch den netten Stil, der es auszeichnete. Die Erfindungsgabe der Frauen ist bekanntlich keine Potenz, mit der man zu rechnen braucht, doch besitzen sie fast durchwegs Talent zu minutiösem Fleiße, und hat sich dasselbe von alters her in der Anfertigung von feinen Stickereien, Klöppeleien usw. bekundet. Das jüngste ›Denkersche Buch‹ sei eine solche recht sauber ausgeführte weibliche Handarbeit, und verdiene wohl der in ihr herrschenden sittlichen Strenge wegen, der ›höheren Tochter‹ zur Ferienlektüre empfohlen zu werden.

Cäsarine las diese Rezensionen zum zweiten Male mit gleicher Frische der Empfindung wie das erste Mal durch.

Ich könnte mich kränken, dachte sie, wenn ich aus dem Urteile zweier Kenner nur den Tadel, und mich freuen, wenn ich nur das Lob heraussuchte. Kränkung oder Freude, ich habe die Wahl.« (Ebner-Eschenbach 1920, S. 306f.)

Dieses hintersinnige Stück Prosa stammt aus der Erzählung Die Visite, diese wiederum aus dem Jahr 1901 und von Marie von Ebner-Eschenbach. Wir sehen, dass der Ruf der Literaturkritik schon vor gut 100 Jahren nicht der beste war: Die Herren sprechen über dasselbe Buch und kommen in einzelnen Punkten zu einander diametral widersprechenden Urteilen, was aber nicht ausschließt, dass sie im Tenor herablassend patriarchalen Wohlwollens übereinstimmen. Die Frau, die hier scheinbar sittsam referiert, durchschaut sie freilich völlig. Mitnichten hält sie die Kunstrichter für »zwei Kenner«. Die Ironie erweist sich als Waffe des Opfers gegen den Kritiker. Die Autorin macht ihm die Herrschaft über die Literatur oder jedenfalls ihre Bewertung streitig. Ebner-Eschenbach glaubt an ihren Sieg über die zitierten Tröpfe, sonst hätte sie ihr Alter Ego, das als Provokation der männlichen Leserschaft »Denker« heißt, nicht auch noch mit dem Vornamen Cäsarine bedacht.

1. Die Kritik in der Dauerkrise

Man ist versucht zu sagen: Krise war immer schon. Aktuell rührt sie nach übereinstimmender Ansicht daher, dass die schöne Literatur in der Welt des Neoliberalismus »aus einem über zweihundert Jahre lang zentralen in einen marginalen Geltungsbereich der Kultur« gerückt und damit zusehends zu einer privaten Angelegenheit geworden sei (Mecklenburg 2000, S. 533). Es gebe zwar im Angebot der Medien- und Eventkultur mehr Literatur und Kunst denn je, die herkömmlichen Wertsysteme, in die sie bis heute integriert seien, hätten jedoch an Geltung und Verbindlichkeit eingebüßt. Dies ist sozusagen das kulturelle Terrain, auf dem die Kritik gedeiht, vielmehr: nicht gedeiht. Der konkrete Befund lautet so oder so ähnlich:

Die Industrialisierung der Literatur ist wie die aller Künste nahezu vollkommen – Außenseiter haben es sehr, sehr schwer. Was die deutsche Buchkritik anlangt, so ist sie auf einem Tiefstand angelangt, der kaum noch unterboten werden kann. Das Lobgehudel, das sich über die meisten der angekündigten Bücher ergeußt, hat denn auch zur Folge gehabt, daß die Buchkritik kaum noch irgend eine Wirkung hervorruft: das Publikum liest diese dürftig verhüllten Waschzettel überhaupt nicht mehr, und wenn es sie liest, so orientiert es sich nicht an ihnen. (Tucholsky 1985, S. 313)

Diese pessimistische Einschätzung des Status quo lieferte Kurt Tucholsky im Jahr 1931. Die Haltbarkeit der Kritikpunkte legt eine gewisse Relativierung der aktuellen Klagen nahe. Lassen wir also das Konzert der Unkenrufe einmal vor dieser historischen Kulisse auf uns wirken: 1962 sagt Walter Höllerer: »Die literarische Kritik in Deutschland befindet sich zur Zeit trotz großer Anstrengungen und einiger guter Einzelergebnisse in einer Sackgasse« (zit. in Neuhaus 2004, S. 30). 1975 kündet Bodo Rollka Vom Elend der Literaturkritik – der Untertitel seiner Studie lautet Buchwerbung und Buchbesprechungen in der »Welt am Sonntag« (es geht um die Verflechtung von Anzeigenverwaltung und Redaktion) (zit. in Neuhaus 2004, S. 20). 1985 bemängelt Ulrich Greiner, langjähriger Feuilletonchef der Zeit, »die totale Beliebigkeit heutiger Literaturkritik« (ebd., S. 23). Der Kritiker Martin Lüdke konstatiert im Jahr 2000: »Der Ruf der Literaturkritik ist miserabel« (ebd., S. 77). Und zwar weil der Unterhaltungswert ständig noch gesteigert und die »Komplexität der Probleme« oft »bis zur Sinnlosigkeit verkürzt« werde (ebd., S. 79).

Kurzum, um den Falter-Kritiker und Träger des Österreichischen Staatspreises für Literaturkritik 2011, Klaus Nüchtern, zu zitieren: Die Lage der Literaturkritik heute ist »stabil apokalyptisch« (Nüchtern 2007). Vergleicht man die Situation der Kritik mit jener im angelsächsischen Raum, in dem Literaturkritik bei Weitem nicht den Platz hat, der ihr im deutschsprachigen eingeräumt wird, so gerät man in Versuchung, die Krise der Kritik für eine kritische Strategie zu halten, aus der der Kritiker der Kritik den Distinktionsgewinn eigener Überlegenheit bezieht.

Dazu kommt die zunehmend geringere Wirksamkeit des kritischen Diskurses, die auf den Spuren Tucholskys etwa auch Thomas Steinfeld, Feuilletonleiter der Süddeutschen Zeitung, beklagt: »Wir schreiben Kritiken über Bücher, die die Leute nicht lesen« (zit. in Neuhaus 2004, S. 77). Wenn sie überhaupt, möchte man ergänzen, die Kritiken lesen. Heute gilt als allgemein bekannt, dass auch sehr gute, prominent platzierte Besprechungen in den großen deutschen und Schweizer Feuilletons (wie FAZ, Die Zeit, Die Welt, NZZ) eine nur bescheidene Auswirkung auf den Verkaufserfolg der Bücher haben. Hier gibt es Zahlen aus dem Jahr 1988, und es besteht kein Grund anzunehmen, dass sie für die Sache der Literatur heute günstiger aussehen. Im Gegenteil, im Zuge der wirtschaftlichen Zeitungskrise der letzten Jahre wurden Literaturseiten gestrichen. Außerdem ist der professionellen, der gedruckten Literaturkritik durch das Rezensionswesen im Internet eine Art egalitäre Schmutzkonkurrenz erwachsen.

Der Kulturteil einer überregionalen Tageszeitung macht ca. acht bis zehn Prozent des Blattes aus, davon besetzt wiederum zehn Prozent die Literatur. In der Rangordnung bei den Leserinnen und Lesern liegt das Feuilleton an zehnter und vorletzter Stelle (danach kommt nur noch der Fortsetzungsroman). 18 Prozent des Publikums lesen den Kulturteil regelmäßig, 25 Prozent nie (vgl. Neuhaus 2004, S. 132). Eine Empfehlung in der Zeitschrift Brigitte bringt da schon wesentlich mehr, unschlagbar effizient sind Tipps im Fernsehen, man denke an das einstige Literarische Quartett oder Elke Heidenreichs Sendung Lesen!.

Genau diese Nähe zur Buch-Vermarktung ist für Sigrid Löffler das Hauptproblem des aktuellen Rezensionswesens:

Statt als Markt-Korrektiv zu wirken und Bücher zu propagieren, die keine Massenbasis haben, helfen sie [die Kritiker] das gnadenlose Mainstreaming des Buchhandels noch zu verstärken, indem sie vorzugsweise Bücher rezensieren, die ohnehin mit allen Mitteln auf den Markt gepusht werden. Ihre Kritiken stehen in einem servilen Verhältnis zu den Verlagen – je größer und mächtiger das Verlagskonglomerat, […] desto serviler die Rezensionspolitik der Medien. (zit. in Neuhaus 2004, S. 79)

Die Krise der Kritik (wenn es sie denn gibt) ist sicher auch eine Krise ihrer Glaubwürdigkeit. Kurt Tucholsky hat von »dürftig verhüllten Waschzetteln« gesprochen und von »Lobesversicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit« (Tucholsky 1985, S. 315). Auch dieses Phänomen lässt sich im gegenwärtigen Literaturbetrieb beobachten, ja, heute macht man sich die Mühe der Verhüllung vielfach gar nicht mehr. Die Buchbesprechung ist vor allem – aber nicht nur – in den Hochglanzmagazinen vom Buchtipp verdrängt worden, der naturgemäß kein Für und Wider erörtert, sondern eine Kaufempfehlung darstellt. Enthält der Tipp charakterisierende Elemente, so sind diese dem Klappentext entnommen oder klingen so, als wären sie es. Warum sollte das Publikum den Lesetipp nicht als Werbeeinschaltung, also als Kaufappell ohne ernsthaften Wahrheitsanspruch, auffassen, sondern als Empfehlung aus Überzeugung, als kompetenten Ratschlag, dem zu trauen ist? Der Vertrauensgrundsatz im Literaturverkehr funktioniert wohl nach wie vor in einem Wechselspiel aus Tipp und herkömmlicher Rezension. Nur dort, wo auch Raum für die ausführliche Auseinandersetzung ist, kann der Kritiker1 überhaupt jene Kompetenz gewinnen, die ihn quasi zum Kurzurteil berechtigt.

Sigrid Löffler hat in diesem Zusammenhang von einem »fortgesetzten Eiertanz« gesprochen: »Die Buchindustrie möchte, daß der Kritiker für sie Reklame macht, aber als P.R.-Agent ist der Kritiker für sie wertlos« (Löffler 1999, S. 37).2

2. Das role model des Kritikers 2012

Es liegt auf der Hand: Die Krise der Kritik ist naturgemäß eine Krise der Kritikerinnen und Kritiker. Man kann sich fragen, wie sie ihre Rolle heute definieren, wie diese von außen wahrgenommen wird und ob sie sich in den letzten Jahrzehnten substantiell verändert hat.

Die Kategorisierung von Kritikern hat Tradition, es ist ein Geschäft, das naturgemäß wiederum von Kritikern betrieben wird, die, wenn sie schon beim Unterscheiden sind, gleich die eigene Zunft unter die Lupe nehmen. 1960 hat Walter Höllerer fünf Kritikertypen ausgemacht – darunter den »Schade, daß-Typ«, den »Darüberhinaus-Typ« und den »Wie-wir-gezeigt-haben-Typ« (Miller/Stolz 2002, S. 7ff.). 1996 unterscheidet Jörg Lau den »entflammten Novizen« und den »satten Libertin«, den »Ex-Kumpel« und den »enttäuschten Liebhaber«, den »Detektiv«, den »Anwalt« und den »Systematiker« (zit. in Schuh 2000, S. 45f.). Franz Schuh hat vermutet, dass die Häme, mit der Kritiker über ihre Kollegen zu urteilen pflegen, eine Spezialität des deutschen Sprachraums sei. Allerdings war auch T.S. Eliot, selbst Dichter und Kritiker, in seinem Vortrag To Critisize the Critic, in dem er sarkastisch vier Arten von Rezensenten beschrieb, in dieser Hinsicht nicht zimperlich (ebd.).

Jörg Laus Liste der Kritiker-Typen verdanke sich, so Schuh, dem Umstand, dass Kritiker gezwungen seien, sich zu stilisieren (man könnte freilich auch überlegen, ob es nicht auf der anderen Seite einen Zwang zum Klassifizieren gibt). In ihrer Nutzlosigkeit würden die Kritiker Posen einnehmen, die ihre Intimität mit der Literatur vorführen sollen: »Der sich in seiner Pose selbstbespiegelnde Kritiker will als jemand angesehen werden, dem das Publikum, das Buch, der Autor schon sehr am Herzen liegen, weshalb es auch mehr als recht ist, dass der Kritiker selber ›vorkommt‹« (Schuh 2000, S. 47).

Die folgende Typologie versucht wesentliche Erscheinungsformen zeitgenössischen literaturkritischen Selbstverständnisses zu erfassen; teils greift sie dabei bereits eingeführte Begriffsprägungen auf, teils bringt sie neue ins Spiel.

2.1. Der Gatekeeper

Wie ist es möglich, dass die Kritik, wie Michael Klein meint, trotz der beschriebenen Bedeutungserosion noch immer oder gar immer mehr Macht hat? (vgl. Klein 2005, S. 19). Das liegt wohl an der nach wie vor wirksamen Funktion des Kritikers als »Gatekeeper«: auch im besten Fall kommen nur drei Prozent des saisonalen Angebots in den Rezensionsteil. Der Begriff »Gatekeeper« stammt aus der Kommunikationsforschung und wurde von Bodo Rollka in die Theorie der Literaturkritik eingeführt (Vgl. Neuhaus 2004, S. 20) – »Türhüter« ist erstens nicht englisch und würde wohl zu sehr an Kafka erinnern. Das Bild ist aber ein altes: »Kritiker – wie Lakaien vor der Saaltüre bei einem Hofball, sie können schlechtgekleidete und unberechtigte Leute abweisen und gute einlassen, aber sie selbst, die Türsteher, dürfen nicht hinein.« Das sagte Heinrich Heine (zit. in Schuh 2000, S. 35).

Karl Kraus zum Beispiel war ein solcher Türsteher, der sein Amt mit solcher Verve versah, dass er sich gewissermaßen in den Saal komplimentiert hat. Vor allem für Debütanten war sein Urteil in der Fackel tatsächlich so etwas wie die Eintrittskarte in die Welt der Literatur – oder eben der Platzverweis. Ein solcher Alleinherrscheranspruch wird heute nicht mehr vertreten, aber es ist zu bezweifeln, ob die Grenzen heute durchlässiger sind, ob die Aufnahme in den Club heute einfacher vonstatten geht, trotz Internet.

2.2. Der Platzanweiser

Ist der Autor, die Autorin einmal drinnen, gilt es, ihm oder ihr einen Platz zuzuweisen.

Für Sigrid Löffler ist der Kritiker ein »selbsternannter und selbstlegitimierter Klassifizierungsexperte« (Löffler 1999, S. 29), andererseits beklagt sie, dass dessen Autorität schwinde, was ja eigentlich angesichts einer fehlenden objektiven Legitimierung nur recht und billig wäre (vgl. Löffler 2007).

Es »gibt in Wien eine Illustrierte, die die Lösung des Kritikerproblems gefunden hat«, verkündet Franz Schuh. »Man schreibt den Namen eines Menschen, der in der Öffentlichkeit gelten will, hin und macht daneben Zeichen. Will man loben, einen Pfeil nach oben, will man tadeln, einen Pfeil nach unten.« (Schuh 2000, S. 50) Schuh hat Recht, wenn er dieses die Urteile »gut« und »schlecht« persiflierende Verfahren der Zeitschrift NEWS in gewisser Weise angemessen findet: Nur auf den Namen kommt es ja heute an, das Bewertungssystem verleiht einer subjektiven Einschätzung gleichsam objektive Gültigkeit. Es gibt hier einen weiteren Aspekt des Zynischen: Die Pfeilkennzeichnung entspricht ja jener der Bestsellerlisten, die ebenfalls eine zeitgemäße Form des literarischen Product Placements darstellen und bekanntermaßen manipulativen Eingriffen ausgesetzt sind: Wenn so viele ein Buch haben wollen, muss man ihnen suggerieren, es sei eines, um das, salopp gesagt, bereits ein rechtes Griss herrscht. Innerhalb der Liste werden Auf- und Absteiger im Ranking, das unbewusst als qualitative Hierarchie gelesen wird, gekennzeichnet. Überträgt man diese Prozedur auf die erwähnte symbolische Kürzestkritik, so gibt man damit offen zu, dass das Kriterium der Kritik, also das Unterscheidungsmerkmal, in Wahrheit nicht Leistung, sondern Geltung ist. Der Kritiker selbst erspart sich mit der Spontan- und Kurzkritik jene Krise, in die ihn eine ernsthafte Konfrontation mit dem Kunstwerk, so es sich um eines handelt, bringen könnte. Die Illustrierte bietet sich dem Kulturtreibenden mit der Erwähnung als Partner an, als »Werbeagentur« und »Prestigemakler« (Schuh 2000, S. 51).

Das Auf und Ab der Pfeile entspricht überdies sinnfällig dem bald gereckten, bald gesenkten Daumen des römischen Imperators, der über Gedeih und Verderb der Gladiatoren entscheidet. Hier sieht man den Größenwahn des Kritikers abgebildet, der im Circus Maximus des Literaturbetriebs von allen kritischen Kategorien nur noch »oben« und »unten« zur Ausübung seines Hand-Werks benötigt und mit dieser Pose camouflieren muss, dass seine wahre Rolle im Spektakel wohl doch eher auf die des Platzanweisers reduziert ist. Dem Publikum bleibt das Gefühl, erfahren zu haben, wo es langgeht, und die süße Befriedigung, dass die Positionen des Ruhms fluktuieren, dass auch wirklich berühmte Leute nicht vor dem Absturz gefeit sind.

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