Kitabı oku: «VISIONEN & WIRKLICHKEIT», sayfa 3
Bernd Schuh: Interview mit Rainer Eisfeld
Transkript von Aysche Wesche
Die Aufnahme des Interviews beginnt ohne Einleitung gleich mit Ausführungen von Rainer Eisfeld.
Die persönliche Beziehung ist eigentlich während meiner Schulzeit entstanden, 1955. Damals war ich gerade vierzehn und es ist der Science Fiction Club Deutschland ins Leben gerufen worden. Ich bin damals in Bonn aufs Gymnasium gegangen und ich hab zu denen gehört beispielsweise – um einen Bezug anzuschneiden, der dann später eine berufliche Bedeutung gewonnen hat – ich hab zu denen gehört, die in Wernher von Braun und den Peenemünder Raketenkonstrukteuren eher Lichtgestalten gesehen haben. Wernher von Braun war ja damals gerade populär, wie Sie sich vielleicht erinnern, als der Kolumbus des Alls. So hat ihn der Spiegel jedenfalls apostrophiert. Nicht nur der Spiegel. Dieses, ja, sehr undistanzierte Verhältnis hat ja dann später eine ganz andere Wendung genommen, als ich in das Kuratorium der KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora berufen worden bin und darauf gestoßen bin, dass bei der Serienproduktion der sogenannten Vergeltungswaffe V2 KZ-Häftlinge nicht nur eingesetzt wurden, sondern auch geschunden und zu Tausenden, zu Zehntausenden umgekommen sind. Und dass die Peenemünder Konstrukteure, auch Wernher von Braun, persönlich eine erhebliche Mitverantwortung dabei tragen, dass sie also nicht nur passive Nutznießer gewesen sind. Das sind so ganz merkwürdige Bogen, die sich dann ergeben. Ursprünglich sicherlich wie bei vielen Jugendlichen meiner Generation. Der Schritt von Billy Jenkins, wenn Sie so wollen, zu utopischen Romanen als angemessen für eine neue Zeit gewissermaßen. Damals schrieb Robert Jungk ja seinen sprichwörtlich gewordenen Bericht »Die Zukunft hat schon begonnen«, ich denke, das ist eine Art von Gefühl, das damals sehr viele gehabt haben. Daraus entstand dann ein zeitweiliger Enthusiasmus für Science-Fiction, der dann später durch die Umstände des Studiums und am Anfang des Berufs natürlich erst einmal sehr zurückgegangen ist, aber später dann wieder und jetzt durchaus bis in die Gegenwart eine Rolle gespielt hat. Weil man als Sozialwissenschaftler, wenn man so die Antennen ausfährt in Richtung der zeitgenössischen Trivialliteratur, feststellt, dass Science-Fiction im erheblichen Maße Politik und Gesellschaftsbilder transportiert.
Da kommen wir gleich drauf. Bleiben wir noch mal in dieser Jugendzeit. Was haben Sie denn da gerne gelesen?
Damals ist ja in der Bundesrepublik der Schritt vom klassischen Zukunftsroman à la Hans Dominik beispielsweise vollzogen worden zu dem, was heutzutage jeder Mann und jede Frau Science-Fiction nennt. Mit der amerikanischen Bezeichnung. Das heißt, die traditionellen Grenzen des deutschen Zukunftsromans sind damals überwunden worden. Plötzlich verlagerte sich die Raumfahrt hinaus aus dem Sonnensystem, selbst hinein in andere Milchstraßen. Die Begegnung mit außerirdischen Lebensformen spielte eine große Rolle, aber natürlich auch, dies war ja die Zeit des Kalten Krieges in den USA, des McCarthyismus, auch durchaus die Auseinandersetzung mit den Gefahren eines atomaren Untergangs der Erde, eines Kernwaffenkriegs, letztlich eines Dritten Weltkriegs. Das war ein Thema, an das ich mich noch sehr gut in vielfältigen Ausprägungen erinnere. Andererseits die Angst vor Invasion und Unterwanderung der USA. Der böse Feind erschien ja dann häufig in leicht durchschaubarer Kostümierung als außerirdischer Invasor. Schließlich aber auch die Furcht davor, denken Sie an Senator McCarthy, dass in den Vereinigten Staaten selbst, in den USA selbst, im Westen selbst die Freiheit zu Tode geschützt werden könnte. Also ein totalitäres System sich entwickeln könnte. Das alles waren Themen, die in dieser amerikanischen Ausprägung der Science-Fiction in den Fünfzigerjahren eine erhebliche Rolle gespielt haben. Und die einen schon faszinieren konnten.
Das haben Sie jetzt alles schon durch die Brille des Sozialwissenschaftlers im Nachhinein analysiert, welche gesellschaftlichen Motive dahinter standen. Haben Sie das damals auch schon so verstanden?
Zum Teil glaube ich schon, der Science Fiction Club Deutschland hatte so eine Art hektografierte Mitgliederzeitschrift, an der ich damals mitgearbeitet hab. Ich hab die sogenannte Wissenschaftliche Redaktion betreut. Und ich hab beispielsweise damals, daran erinnere ich mich noch sehr gut, Artikel geschrieben – sicherlich etwas naiv durch die Brille des Vierzehn-, Fünfzehn-, Sechzehnjährigen – über die Debatte im Deutschen Bundestag, über die atomare Bewaffnung der Bundeswehr, die ja damals eine Rolle spielte als mögliches Projekt der Regierung, oder über Zensurbestrebungen in den USA, wenn es darum ging, kritische Stimmen gegenüber der atomaren Hochrüstung, dem Rüstungswettlauf im Grunde, zum Schweigen zu bringen. Das ist mir damals schon präsent gewesen. Und nicht nur mir, wie ich aus vielen Gesprächen weiß. Wenn man politisch oder überhaupt an den Zeitumständen in irgendeiner Weise interessiert war, dann war ja Science-Fiction nicht unbedingt ein Vehikel, um dem zu entfliehen in irgendwelche beliebigen Fantasien. Sondern, schon damals und dazu gehörte ja eigentlich nicht sehr viel, relativ deutlich zu erkennen, dass Science-Fiction eine von vielen Möglichkeiten war, sich mit zeitgenössischen Zuständen auseinanderzusetzen. Im Grunde wurden da Ängste und Hoffnungen, Wünsche und Befürchtungen projiziert auf eine Zukunftsfolie. Und um das zu bemerken, musste man eigentlich nicht erst auf einer Professur für Politikwissenschaft lehren.
Vielleicht könnte man sogar die These wagen, die Science-Fiction hat Sie mit in diese Richtung der Sozialwissenschaft und Politikwissenschaft getrieben.
Das glaube ich nicht, nein. Da haben sicherlich andere Motive eine Rolle gespielt. Aber es gibt natürlich in erster Linie Naturwissenschaftler, vielleicht nicht sehr viele, aber doch einige zumindest, die später berichtet haben, dass sie in dieser Weise beeinflusst wurden. Carl Sagan etwa, der kürzlich verstorbene amerikanische Weltraumwissenschaftler ist ein Beispiel dafür. Der nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass Science-Fiction bei der Entwicklung seines Interesses für die Fragen, die ihn dann später beruflich beschäftigt haben, eine Rolle gespielt hat. Und auch das ging ja durchaus in verschiedene Richtungen. Sagan ist einer der Wissenschaftler gewesen, einer der Naturwissenschaftler, die vor einem nuklearen Winter gewarnt haben. Also vor den Staubmassen der Verdunklung der Erdatmosphäre, die bei einem nuklearen Schlagabtausch ausgelöst werden können, mit tief greifenden Folgen für die Flora und Fauna der Erde. Angeregt worden dazu ist er durch seine Erforschung der Staubstürme auf dem Mars. Er hat ja im Zusammenhang mit den Viking-Pioneer-Voyager-Projekten, der Erforschung also des Mars und der äußeren Planeten durch unbemannte Sonden, eine große Rolle gespielt. Und von ihm stammt übrigens der geistreichste Scherz über die Marskanäle, der je gemacht worden ist. Carl Sagan hat bei Gelegenheit mal gesagt: »Natürlich sprechen die Marskanäle für Intelligenz, fragt sich nur an welchem Ende des Teleskops.«
Sehr gut! Können Sie sich noch an ein oder zwei Titel erinnern, die Sie damals besonders toll fanden?
Das fällt rückblickend jetzt, glaube ich, wirklich schwer.
Ich dachte, Sie hätten vielleicht ja so ein Einstiegsbuch gehabt.
Ein Titel, der mir sicherlich einfällt, weil er zumindest als Filmlegende eine große Rolle gespielt hat, ich hab den Film dann erst sehr viel später gesehen, ist Frau im Mond. Der Roman von Thea von Harbou, der Frau Fritz Langs. Der ja dann als Vorlage gedient hat für den Fritz-Lang-Film. Den hab ich schon damals gelesen, und wie der Zufall es will, habe ich ihn sehr viel später, zu dem Zeitpunkt, als ich schon über Wernher von Braun und die Peenemünder Konstrukteure gearbeitet habe, neu herausgegeben als Taschenbuch mit einem kritischen Kommentar. Weil an dem Roman und an vielen Veröffentlichungen der Jahre damals sehr deutlich wird, dass auch hier politische und gesellschaftliche Ideen eine große Rolle gespielt haben. Die Vorstellung, dass ein deutsches Raumschiff dazu beitragen könnte, nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg Deutschland, der Weimarer Republik, wieder zu Weltgeltung zu verhelfen. Sie wissen, dass bis weit in die politische Mitte, sogar bis in die politische Linke hinein die Reparation, die Reduzierung der deutschen Streitkräfte auf ein Hunderttausend-Mann-Heer, die Gebietsabtretung als nationale Demütigung empfunden worden sind. Und wenn man sich das Umfeld des Romans Frau im Mond ansieht, dann stößt man auf eine These, die sehr viel später im Kalten Krieg wieder an Bedeutung gewonnen hat. Der Journalist Otto Willi Gail hat damals in einem Buch über die technische Erreichbarkeit des Mondes geschrieben, dass diejenige Nation, die ihre Fahne als erste im Weltraum aufpflanzt, dazu berufen sei, einen Führungsanspruch anzumelden. Und wenn Sie sich die Umstände der tatsächlichen Mondlandung dann vergegenwärtigen, den Wettlauf zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten, die Proklamierung John Kennedys als Präsident, dass hier die Vereinigten Staaten die Führung übernehmen müssten, dann ist das eine geradezu prophetische Äußerung gewesen. Bloß etwa fünfunddreißig bis vierzig Jahre vor ihrer Realisierbarkeit.
Gibt es was Vergleichbares heute? Ein Ziel im Weltraum mit gesellschaftlicher, politischer Bedeutung?
Ein Ziel im Weltraum vielleicht nicht. Aber die Genforschung, die ja auch die Science-Fiction tief greifend beeinflusst hat, als Utopie wie als Warnung. Einige der bekannteren jüngeren deutschen Science-Fiction-Romane von Wolfgang Jeschke beispielsweise, Midas [Anm.: Midas oder die Auferstehung des Fleisches] und andere sind ja als Warnung vor den Konsequenzen einer entfesselten Genforschung zu verstehen. Bei Midas beispielsweise geht's darum, dass multinationale Unternehmen die Herstellung von Kopien führender Wissenschaftler als gewinnbringendes Geschäft entdecken. Die sie dann meistbietend an Länder verscherbeln, die an der Entwicklung biologischer, chemischer oder atomarer Kampfmittel interessiert sind. Das ist ja nun weiß Gott ein Thema. Sie brauchen ja bloß im Augenblick sich die Tagespolitik anzusehen, dass das eine erhebliche Relevanz hat. Ich denke, hier hat sich manches auch in der zeitgenössischen Science-Fiction verlagert von der physikalischen Revolution zur biologischen Revolution. Und da ist dann allerdings in aller Regel der Unterton sehr viel kritischer als bei der Science-Fiction, die sich noch mit Raumfahrt befasst hat. Ich denke auch deswegen, weil inzwischen klar geworden ist, dass der technologisch begründete Optimismus früherer Jahrzehnte – dass also im Einklang mit der sprunghaften Entwicklung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse es uns gelingen könnte, auch die gesellschaftliche, die politische Entwicklung ähnlich zu steuern – dass dieser Optimismus verflogen ist mit den tiefen Krisen, die liberale Demokratien immer wieder erlebt haben.
Hat die technische Entwicklung – oder haben die Technik, die Techniker oder die Politiker, die die Technik fördern wollten – auch direkt auf die Science-Fiction eingewirkt? Ich hab an verschiedenen Stellen gefunden, dass es da solche Versuche gibt. Zum Beispiel versucht die ESA [Anm.: die Europäische Weltraumorganisation] eine Science-Fiction Bibliothek auszuwerten, um neue, innovative Ideen für die zukünftige Raumfahrt zu gewinnen. Arthur C. Clarke, schon ein bisschen länger her –
Ja, aber das ist ja sicherlich keine Auftrags-Science-Fiction gewesen. Arthur C. Clarke ist eigentlich ein gutes Beispiel für die Art von hoffnungsvollen Visionen, die ich eben angesprochen habe. In einem der allerfrühesten Romane von Arthur C. Clarke findet sich die Vorstellung, und zwar jetzt ganz wortwörtlich so ausgedrückt, dass mit dem Flug zum Mond eine Renaissance auf Erden anbrechen könnte, mit der – und wie gesagt, das ist jetzt ein wörtliches Zitat – mit der es der Menschheit gelingen könnte, die Schatten von Hiroshima und Bergen-Belsen zu überwinden. Und ich finde es sehr typisch, dass diese beiden Begriffe in einem Namen genannt werden. Bergen-Belsen ist vielleicht vielen Ihrer Hörerinnen und Hörer nicht so bekannt, aber es ist das Konzentrationslager gewesen, das von englischen Truppen befreit worden ist und über dessen unmenschliche Zustände deshalb sehr viel früher Fotos an die westliche Öffentlichkeit gelangt sind, 1945, als von Ausschwitz oder Treblinka oder Sobibor, den eigentlichen Vernichtungslagern im Osten, die ja von der Roten Armee, von der Sowjetunion befreit worden sind. Das heißt, Bergen-Belsen war ein Synonym, ähnlich wie Hiroshima, für die destruktivsten Triebe, die freigesetzt werden konnten. Und die Hoffnung, eben durch technologischen Fortschritt auch eine geistige, ethische, moralische Aufwärtsbewegung sogar einzusetzen, die war bei einer Anzahl von Science-Fiction-Autoren, für die Arthur C. Clarke sicherlich steht, außerordentlich ausgeprägt. Und sie haben bis heute ähnliche Fantasien im Zusammenhang mit dem sogenannten Terraforming des Mars, wie ein inzwischen sogar von Ingenieuren akzeptierter Begriff lautet. Das heißt also die Vorstellung, dass es dort gelingen könnte, durch ein generationenlanges Projekt der Umwandlung der Atmosphäre und der Oberflächenverhältnisse tatsächlich eine Art zweiter Erde zu schaffen. Und es gibt eine Marsgesellschaft mit deutschem Ableger, ins Leben gerufen von einem früheren NASA-, also Weltraumbehördenmitglied, namens Robert Zubrin. Und diese Marsgesellschaft verficht die These, dass die westliche Demokratie, damit sie funktionsfähig, damit sie innovativ und erneuerungsfähig bleibt, schon immer der Expansion bedurft habe. Die Menschheit müsse also expandieren, sie müsse nicht etwa lernen, sich einzurichten, in verantwortungsvollen Zusammenleben auf engem Raum, sondern im Gegenteil, da drohe sie zu erstarren, zu bürokratisieren. Sie müsse sich zu neuen Welten hin ausdehnen. Das ist eine Neuauflage der Fantasien, die die Science-Fiction schon immer beflügelt haben. Und denen man nur mit äußerster Skepsis gegenüberstehen kann.
Kann man da die Henne-Ei-Frage beantworten? War da erst die Science-Fiction-Idee des Terraforming oder waren die Wissenschaftler zuerst da?
Das ist tatsächlich ein Beispiel. Der Begriff ist tatsächlich in den Vierzigerjahren in der amerikanischen Science-Fiction geprägt worden und hat dann in der Tat wohl langsam eine Karriere in wissenschaftliche Kreise hinein vollzogen. Das ist so ein Beispiel dafür, sicherlich. Aber ich meine, es gibt ja viele Beispiele für ähnliche Zusammenhänge. Denken Sie daran, in den 1890er-Jahren hat Percival Lowell, ein amerikanischer Astronom, der eine Sternwarte in Arizona erbaut hat, die Idee populär gemacht, die sogenannten Marskanäle, an deren Existenz man ja damals glaubte, seien ein Zeichen dafür, dass es einer weltweiten Zivilisation auf dem Mars gelungen sei, mit den Problemen einer absterbenden, einer dürren, trocknenden Welt fertig zu werden. Dadurch, dass durch ein planetenweites Unternehmen jedes Frühjahr von den abschmelzenden Polenkappen her Wasser durch ein Bewässerungssystem in die Wüstengebiete des Mars gelenkt würde. Und das hat nun zu ganz unterschiedlichen Resonanzen in der beginnenden Science-Fiction-Literatur geführt.
Denken Sie an den Roman von Kurt Laßwitz Auf zwei Planeten. Laßwitz war durch die Kantsche Moralphilosophie geprägt, das heißt, er war der Überzeugung, mit dieser Art von Mars könne man den imperialistischen Großmächten, auch dem Deutschen Reich seinerzeit, einen Spiegel vorhalten. 1897 war ja das Jahr, in dem Auf zwei Planeten entstand. Er schildert also eine überlegene Zivilisation, die die Erde zunächst besetzt, dann aber lernen muss, dass auch unsere Welt ein Recht hat auf – um mit Kant zu sprechen – Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit. Und das Ende, symbolisiert durch zwei Hände, die sich auf dem Umschlag gegenseitig ergreifen, ist dann eine Art Koexistenz zwischen einer demokratisierten Erde und einem demokratischen Mars.
Zur gleichen Zeit wendet H. G. Wells, George Wells, bekanntlich dieselbe Idee ganz anders an. Am Anfang seines Romans Krieg der Welten verweist er auf die Ausrottung der Ureinwohner Tasmanians durch die Weißen und fragt sich, warum soll uns das nicht genauso gehen? Warum sollen jene Marsgeschöpfe, die auf Lowells dürrer, aussterbender Welt leben, warum sollen die nicht neuen Lebensraum auf der wasserreichen Erde suchen und erbarmungslos mit uns verfahren? So erbarmungslos, wie der expandierende Imperialismus damals in den Kolonialgebieten zum Teil verfahren ist. Also auf diese Weise hat es sicherlich immer wieder Wechselwirkungen gegeben. Zwischen Wissenschaft und Science-Fiction, zwischen den politischen, den gesellschaftlichen Verhältnissen einer Zeit, einer bestimmten Periode und Science-Fiction.
Wenn Sie sich die nächste Phase dann ansehen, wenn wir einen Augenblick noch beim Mars bleiben, in den Zwanzigerjahren im Anschluss an die sozialistische Oktoberrevolution. Bevor sie zum Stalinismus und zum Terrorismus entartete, hat Alexei Tolstoi, ein sowjetischer Autor, einen Roman geschrieben, der dann übrigens auch mit großem Erfolg verfilmt worden ist. Aelita, über die Klassenkämpfe auf dem Mars, die zur richtigen Entfaltung nur der Ankunft eines sowjetischen Revolutionärs bedurften. Also wieder ein Beispiel, denke ich, was ich vorhin als Projektion von Hoffnungen und Wünschen, manchmal auch von Befürchtungen bezeichnet habe.
Wieder ein Jahrzehnt später war es ein englischer Philosoph C. S. Lewis, der den Mars als Folie für katholische Moralvorstellungen benutzt hat. Für eine fantasierte Zivilisation dort, die nach solchen Prämissen, nach solchen Geboten aufgebaut war. Dazu eignen sich Science-Fiction-Romane natürlich ganz vorzüglich. Sowohl um der Skepsis über gegenwärtige Trends Ausdruck zu geben, als auch den Ängsten, die man im Zusammenhang damit hegt.
Das Grundprinzip ist einfach, dass man die gesellschaftlichen Entwicklungen, die man befürchtet oder die man gerne haben möchte, verlegen kann an einen anderen Ort. Und da bietet sich unter anderem der Mars an.
Ja, wobei … der Mars bot sich zu dieser Zeit an, ja. Als Ende der Vierziger-, Anfang der Fünfzigerjahre die Entwicklung der Wasserstoffbombe in den Bereich der realen Möglichkeiten rückte. Als Präsident Truman den Auftrag dazu erteilte, diese Möglichkeiten weiter zu verfolgen, schien ja vielen – nicht nur Wissenschaftlern, auch Zeitgenossen wie uns selbst – die Möglichkeit der nuklearen Katastrophe ein ganzes Stück näher gerückt. Sie wissen sicherlich, dass es damals – es gibt sie noch heute – eine Zeitschrift gab: Bulletin of the Atomic Scientists. Das Verbindungsorgan der Kernphysiker. Und auf der Titelseite war eine Uhr abgebildet, ist sie bis heute, deren Zeiger jeweils mehr oder minder nah an Mitternacht, an zwölf Uhr, heranrückten, um auf diese Weise zu symbolisieren, was befürchtet wurde.
Und typischerweise spielten zum damaligen Zeitpunkt Romane eine große Rolle, etwa von Ray Bradbury, der ja auch international erhebliche Anerkennung gewonnen hat, aber auch von anderen, in denen Welten wie der Mars als eine Zufluchtsstätte, als eine Möglichkeit eines Neubeginns zurechtfantasiert wurden. Die Pioniere, die mit atombetriebenen Raketen auf den Mars gelangt sind, erleben dann, dass hinter ihnen die Erde im Atomfeuer versinkt. Aber ihre Kinder, die schon auf dem Mars geboren sind, blicken in die Marskanäle, die es auch da wieder gibt, die auch wieder auftauchen, und stellen fest, als sie ihr Spiegelbild sehen: Wir sind die Marsianer.
Es ist eigentlich ein sehr einfacher Mechanismus, der immer wieder eine Rolle spielt. Aber er lässt eben doch sehr viel Spielraum für die häufig außerordentlich detaillierte und kenntnisreiche Entwicklung von Szenarien, die sich mit der Mainstreamliteratur nicht so ohne Weiteres vereinbaren lassen. Daneben gibt es, auch das wissen wir ja alle, die Art von Science-Fiction, die leider bis heute dominiert, die sich offenbar das Universum, das Sonnensystem als eine Art abgewandelten Wilden Westen vorstellt. Die amerikanische Vorstellung von der Frontier, das ist ja keine feste Grenze im europäischen Sinne, sondern das ist eine bewegliche Siedlungsgrenze, die immer weiter vorrückt. Also die Verhältnisse an dieser Frontier, der Aufeinanderprall, der Zusammenprall von »Zivilisation« und »Wildheit«, der wird in den Weltraum transportiert und die Folge ist natürlich, dass man gar keine neuen Einstellungen und Verhaltensweisen lernen muss. Man kann immer weiter so fortfahren. Diese Art der Science-Fiction ist geradezu ein Beispiel für Lernverweigerung. Man braucht keine neuen verantwortungsvollen Einstellungen und Umgangsformen zu entwickeln. Sondern wieder wie im seinerzeit unbesiedelten amerikanischen Westen. Wieder scheint sich ein Bereich von unglaublicher Weite, von unglaublicher Freiheit zu eröffnen, der eine Wiederauflage des vorgestellten alten Pioniergeistes mit allen Begleiterscheinungen eröffnet, einschließlich des Transports jener Schusswaffenkultur, die in der Entwicklung der USA eine so große Rolle gespielt hat. Und dann haben Sie, wie man das mal ironisch genannt hat, Weltraumopern statt Pferdeopern. Die »Space Opera«.
Welche wichtigen gesellschaftlichen Probleme würden Sie denn heute lokalisieren als Triebfeder der Behandlung in Science-Fiction-Literatur?
Ganz sicherlich Ökologie und Genforschung. Das ist ganz eindeutig. Die Umweltzerstörung, die ihrerseits natürlich wieder Fantasien freisetzt, der Erde zu entfliehen. Einer der erfolgreichsten Science-Fiction-Romane der letzten Zeit ist eine Mars-Trilogie von Kim Stanley Robinson gewesen, ein amerikanischer Autor, deren Bände typischerweise Roter Mars, Grüner Mars, Blauer Mars heißen. Das heißt also wieder die Vorstellung, den Mars über Generationen in eine neue Erde zu transformieren. Aber natürlich auch, das, was hier auf der Erde ungezielt, planlos geschehen ist, die Beeinflussung unserer Umwelt, unserer Lebensumstände, dort gezielt vorzunehmen. Was, denke ich, auch durchaus ethische und moralische Fragen aufwirft. Nicht nur kann man das, im technologischen Sinne, sondern auch soll man das? Darf man das? Eine fremde Welt in dieser Weise verändern? Wieder also ein deutlicher Fluchtpunkt vor den Verhältnissen der Erde. Andererseits Warnrufe natürlich vor der ökologischen Katastrophe, vor der fortschreitenden Vernichtung unserer eigenen Ressourcen. Sie erinnern sich vielleicht an den Film »Soylent Green«, der ein New York darstellt, in dem die Überlebensbedingungen geradezu unerträglich geworden sind. Und in dem die ins Riesenhafte angewachsene Bevölkerung überhaupt nur noch ernährt werden kann, wie sich letzten Endes herausstellt, indem Menschenfleisch zu Nahrungsmitteln verarbeitet wird. Ohne natürlich, dass das an die Öffentlichkeit dringen soll. Also …
Hört sich nach John Brunner an.
Nein, der Autor ist, glaube ich, Harry Harrison, der die Vorlage geschrieben hat. Aber Sie haben vollkommen recht, John Brunners Stand on Zanzibar ist eine solcher ökologischen Utopien, die das Zusammenschrumpfen unserer natürlichen Lebensgrundlagen behandelt. Das sind Beispiele natürlich, die für sehr viele andere stehen. Auf der anderen Seite, ich habe vorhin schon darauf angespielt, eben die Genforschung. Das Bewusstsein, dass wir tatsächlich zum Guten wie zum Bösen vor einer biologischen Umwälzung – Stichwort Cloning – stehen, deren Folgen sich letzten Endes wohl noch nicht abschätzen lassen. Deren reale Folgen meine ich jetzt. Aber deren Möglichkeiten doch schon sehr deutlich vor Augen stehen. Und in utopischer, also in optimistischer, wie in dystopischer, also in der Form der Beschwörung der möglicherweise katastrophalen Konsequenzen, hat die Science-Fiction genauso wie im Falle der Ökologie sich dieses Themas angenommen.
Das scheint mir aber auch ein Thema zu sein, das sich dazu eignet, das originäre Feld der Science-Fiction zu verlassen und in diesem Grenzbereich, ich sag mal der ernsten Literatur der Science-Fiction, zu operieren.
Ja, aber Ihre Fragestellung. Was Sie jetzt formuliert haben, legt ja eigentlich schon nahe, diese Unterscheidung zwischen Science-Fiction und ernster Literatur, das sei keine Science-Fiction. Oder Science-Fiction sei keine ernst zu nehmende Literatur. Dem möchte ich dann doch deutlich widersprechen. Denn sowohl an amerikanischen wie an deutschen Universitäten, das ist natürlich nur ein Indiz, das ich jetzt nicht überbetonen will. Aber trotzdem, es wächst das Bewusstsein dafür, dass eine Literatur, die in so hohen Auflagen erscheint, es lohnt, dass man sich mit ihr auseinandersetzt. Und dass da in der Tat, verdeckt oder offen, Gesellschaftsbilder, Politikbilder, ökologische Bilder, Bilder von den Möglichkeiten und Grenzen von Technik entwickelt werden, die sich auf sehr viele Leserinnen und Leser ganz unterschiedlichen Alters, ganz unterschiedlicher Berufe auswirken. Wir haben schon kurz das Problem angesprochen. Es gibt in der Literatur einen Bereich der Science-Fiction, den man identifiziert mit bunten Heftchen. À la Perry Rhodan, mit der Vorstellung, dass mit der Strahlenpistole die Probleme »gelöst« werden, die sich mit dem Sechsschüssigen noch nie haben lösen lassen und auch jetzt nicht zu lösen sind. Natürlich gibt es diese Ausprägung. Aber je länger man über das Gebiet redet, desto mehr stößt man, denke ich, darauf, dass sogenannte ernsthafte Literatur in der Form der Science-Fiction, denken Sie an Carl Amery in Deutschland als eines von vielen Beispielen, dass sogenannte ernsthafte Themen gerade auch in das Gewand der Science-Fiction gekleidet werden. Und meine Rückfrage wäre, warum sollte nicht, auch wenn das im Feuilleton der Tageszeitungen noch nicht immer angekommen ist, warum sollte Science-Fiction mit den Möglichkeiten, die sich ihr bieten, nicht als ernsthafte Literaturform verstanden werden? Unter der Voraussetzung, dass sich begabte Autorinnen und Autoren finden, die ihre Fähigkeiten in diesen Bereich investieren. Ursula Le Guin, eine der führenden amerikanischen Science-Fiction-Autorinnen, hat am Anfang ihre Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg in die Form der Science-Fiction gekleidet. Und sie hat inzwischen von der Frage der Frauenemanzipation über Probleme der Umweltzerstörung im Grunde eine breite Palette zeitgenössischer Fragestellungen, die uns auf den Nägeln brennen, in die Parabel, in das Gleichnis, um es so zu nennen, der Science-Fiction gekleidet. Und das ist eigentlich der Punkt, der in unserem Gespräch immer wieder deutlich geworden ist, ein großer Teil der Science-Fiction, die uns interessiert, sind Parabeln. Sind natürlich auch, wie man das genannt hat, Extrapolationen, also Weiterentwicklungen von Konsequenzen, die sich jetzt schon abzeichnen. Nach dem Motto was könnte geschehen, wenn, was wäre, wenn man eine bestimmte Entwicklung im physikalischen, im technischen, im biologischen Bereich konsequent zu Ende denkt. Aber natürlich auch Parabeln, Gleichnisse für Konflikte, Inhumanitäten, zerstörerische Wirkung zeitgenössischer Politik und Technik, die uns heute schon beschäftigen.
Also die Le-Guin-Romane sind, glaube ich, ein gutes Beispiel dafür, wie auch dieses von mir eben transportierte bildungsbürgerliche Vorurteil zustande kommt. Dass es da sozusagen zwei literarische Bereiche gibt. Ich habe die auch alle im Schrank stehen, ich glaub, die sind bei Heyne erschienen in der Taschenbuchausgabe. Aber es sind alle diese bunten Cover, schon äußerlich kenntlich als sogenannte Science-Fiction-Literatur. Da gibt es die Ecke, die Schmuddelecke in der Bücherei. Da stehen die Science-Fiction-Romane, wenn sie überhaupt da stehen. Die Verlage haben so diese Sparte und da kommen dann eben auch so sehr ernst zu nehmende und gute Romane rein, weil sie eben nicht anders unterzubringen sind.
Ja, aber nehmen Sie den Suhrkamp Verlag in Deutschland, als ein außerordentlich verdienstvolles Beispiel dafür, Romane etwa von Stanislaw Lem, aber auch von amerikanischen Autoren wie Alfred Bester etwa zu veröffentlichen, die nun genau die Art von Themen behandeln, über die wir die ganze Zeit sprechen. Also ich denke, der Suhrkamp Verlag ist ein Beispiel dafür, aber der Heyne Verlag und andere natürlich auch, dass die strikte Trennung zwischen sogenannter hoher Literatur und Trivialliteratur eben doch durchbrochen wird mit der Zeit. Auch in Verlagen selber. Und interessanterweise die Aufmachung der Science-Fiction, die im Suhrkamp Verlag erscheint, entspricht ja durchaus nicht dem Bild von den natürlich auch anzutreffenden bunten, etwas marktschreierisch aufgemachten Titelbildern. Hier bemüht man sich auch schon im Aussehen um die Seriosität, die der Inhalt eigentlich beanspruchen kann.
»Die Bunten« wollen aber auch ein ganz bestimmtes Lesepublikum ansprechen, habe ich mir vom Bastei-Lübbe-Verlag sagen lassen. Diese Zielgruppe ist so zwischen vierzehn und fünfundzwanzig, ganz klar.
Ich denke, das ist ein Dilemma der Science-Fiction, wie sie sich vor allem in den Vereinigten Staaten entwickelt hat und wie sie dann nach Europa wieder herübergekommen ist, wenn wir nochmal über die Ursprünge sprechen. Nehmen Sie die beiden Romane, über die wir kurz geredet haben, von Kurt Laßwitz und von Herbert George Wells, »Auf zwei Planeten« und »Der Krieg der Welten«. Das waren selbstverständlich Bücher, die gebunden erschienen sind und die von einem bildungsbürgerlichen Publikum gelesen worden sind damals. Und über die man gesprochen hat. Hier hat das sicherlich mit der Tatsache zu tun, dass Science-Fiction sehr lange gewissermaßen ein verbanntes Dasein geführt hat, in der Form bunter Zeitschriften, bunter Heftchen. In den Vereinigten Staaten gelten sie ja als Pulps, also auf billigem Papier gedruckt, Wegwerfware im Grunde. Die man liest und, wie Sie so plastisch gesagt haben, dann in die Schmuddelecke befördert. Das ist sicherlich eine Belastung, ein Erbe, mit dem Science-Fiction noch sehr lange zu tun haben wird. Und das im Grunde immer wieder erst erklärt werden muss, wenn man dafür werben möchte, dass diese Art von Literatur ernst genommen wird. Bei vielen anderen Genres muss man das gar nicht erst tun. Bei Science-Fiction, darauf stoßen wir jetzt, glaube ich, gerade in unserer Unterhaltung, muss man erst einmal mit Bezug auf Themen und auf Fragestellungen langwierig erklären, warum sie es verdient, dass man sich überhaupt mit ihr auseinandersetzt.
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