Kitabı oku: «Was bleibt von kommunikativer Nähe und Distanz?», sayfa 3

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Ein Aspekt, der in der Rezeption des Kombinationsmodells für Diskussionen gesorgt hat, ist die Frage nach der Verortung der Standardvarietät (cf. Krefeld 2011; Dufter 2018, 67–69). Für Coseriu, wie auch für Koch und Oesterreicher, stellt bekanntlich die Existenz einer Standardvarietät die Voraussetzung dafür dar, dass ein einzelsprachliches Diasystem sich überhaupt konstituiert. Nur mit Bezug auf eine Standardsprache (eine ‘historische Einzelsprache’) kann also von einem ‘Diasystem’, einer ‘Architektur’ oder einem ‘Varietätenraum’ die Rede sein (cf. zuletzt Fesenmeier 2020, 612–614). Aus dieser Bedingung – die die Pertinenz der im Kombinationsmodell verdichteten Annahmen gewiss auf eine überschaubare Gruppe von Kultursprachen reduziert (Dufter 2018, 68)11 – ist klar herauszulesen, dass Koch und Oesterreicher die Standardnorm als exemplarische, institutionalisierte Distanzvarietät begreifen, nämlich als das Resultat eines historischen Prozesses, in dem sich innerhalb einer Sprachgemeinschaft eine überregionale Referenznorm herausgebildet hat, die für die Kommunikation in distanzsprachlichen Diskursdomänen maßgeblich ist. Aus diesem Grund verorten die Autoren die „präskriptive Norm“ dezidiert „im rechten Bereich“ ihres Kombinationsmodells (Koch/Oesterreicher 2011, 19). Zwar mag man unter dem Begriff der Standardsprache in anderer Perspektivierung auch nicht (oder nur schwach) räumlich markierte Formen der gesprochenen Sprache verstehen, die in der Folge umfassender Alphabetisierung die traditionell in der Mündlichkeit gebrauchten primären Dialekte verdrängt haben (cf. Krefeld 2011, 104; DEL REY QUESADA i.d.B.). Dieser weitere Begriff des Standards, den etwa Termini wie „gesprochenes Standarddeutsch“ reflektieren (cf. Schneider 2011), entspricht aber nicht der von Koch und Oesterreicher gemeinten „präskriptive[n] Norm“: Für sie umfasst die Standardvarietät per Definition all jene Varianten einer historischen Einzelsprache, die in Situationen der kommunikativen Distanz verwendet werden können, die also – von der Konzeption her – schriftsprachlich sind (kanonische Syntax usw.) und die – von ihrer diasystematischen Markierung her – als hochsprachlich einzuordnen sind (zu einem anderen Vorschlag cf. DEL REY QUESADA i.d.B.). In Alltagssituationen mündlich realisierte Standardsprache (z.B. „gesprochenes Standarddeutsch“) mag so gesehen zwar diasystematisch (und vor allem diatopisch) ‘unmarkiert’ sein; gleichwohl wird sie von ihrer Konzeption her kaum dem Prototypen des elaborierten Distanzsprechens gerecht werden, solange es sich eben um gesprochene Sprache handelt, die ‘online’ produziert wird (cf. Auer 2000; Schneider 2011) und durch entsprechende Versprachlichungsstrategien charakterisiert ist (dem Idealtyp des Distanzsprechens kann im phonischen Medium für Koch und Oesterreicher lediglich ein mündlich vorgetragener, aber schriftlich konzipierter Text entsprechen – es sei denn, jemand wäre tatsächlich in der Lage, sich aus dem Stegreif mündlich ‘wie gedruckt’ zu äußern). Ein derartiger, dem historischen Prozess der Herausbildung einer exemplarischen Distanzvarietät Rechnung tragender Standardbegriff schließt im Übrigen keineswegs aus, dass die präskriptive Norm auch diasystematisch neutrale Elemente umfasst, die im alltäglichen, mündlichen Sprachgebrauch genauso gut vorkommen können wie in der Schriftlichkeit (cf. Oesterreicher/Koch 2016, 43s.). Allein schon im Bereich des Lexikons erscheint dies völlig evident, und auch auf anderen sprachlichen Strukturebenen dürfte es zahlreiche Merkmale geben, die in einer Einzelsprache generelle Gültigkeit besitzen und die deshalb weder in der Nähe- noch in der Distanzkommunikation in irgendeiner Weise auffällig erscheinen (cf. Schneider 2011, 172).12

Es ist also der historische Prozess der Standardisierung – der Festlegung auf eine gesellschaftlich anerkannte, exemplarische Schriftnorm –, durch den sich der im Kombinationsmodell dargestellte Varietätenraum einer Einzelsprache wie des Deutschen, Französischen oder Englischen konstituiert (cf. Oesterreicher/Koch 2016, 44s.). Die entscheidende Rolle, die dem Standardisierungsprozess bei der Festlegung varietätenlinguistischer Indizierungen zukommt, illustriert im vorliegenden Band Ann-Marie MOSER (i.d.B) am Beispiel der doppelten Negation im Deutschen. Es handelt sich dabei um eine morpho-syntaktische Variante, die auf primärdialektaler Ebene nicht nur flächendeckend belegt ist, sondern sogar weitestgehend generalisiert erscheint. Aus der sich herausbildenden Distanzvarietät ist die doppelte Negation aber bereits früh – noch vor der expliziten Kodifizierung der neuhochdeutschen Schriftnorm im 18. und 19. Jahrhundert – verdrängt worden, möglicherweise unter dem Einfluss der lateinischen Grammatik. Bei der einfachen Negation scheint es sich somit in der Geschichte des Deutschen um eine ursprünglich rein schriftsprachliche, prestigebesetzte Variante zu handeln, die heute freilich als Folge der Reorganisation des Nähebereichs auch in der nicht-primärdialektalen Mündlichkeit (z.B. im „gesprochenen Standarddeutsch“ oder in den Regiolekten) als Normalform gilt, wohingegen die doppelte Negation in der Gegenwartssprache diatopisch (oder sekundär diastratisch) markiert ist, also der Dimension 4 (oder 3) im Kombinationsmodell zuzuordnen wäre.

Wir können hier nicht im Detail die komplexe Diskussion nachzeichnen, die insbesondere die von Koch und Oesterreicher vollzogene Aufspaltung der Nähe/Distanz-Dimension in eine universelle (1a) und eine einzelsprachliche Ebene (1b) der konzeptionellen Variation nach sich gezogen hat. Die Notwendigkeit dieses Schritts ergibt sich für die Autoren aus der Beobachtung, dass es, zumindest in bestimmten Sprachen, historisch-kontingente Merkmale gebe, deren Ausprägung sich nach den für die konzeptionelle Variation maßgeblichen Kommunikationsbedingungen der Nähe bzw. Distanz richte, die aber lediglich in einer bestimmten Sprachgemeinschaft, aufgrund von historisch-sozietärer Traditionsbildung, zur Verfügung stehen und nicht übereinzelsprachlich vorkommen (also anders als etwa Anakoluthe, Dislokationen, Zögerungsphänomene oder Diskursmarker, die als universelle Nähe/Distanz-Merkmale auf der Ebene 1a verortet sind). Es handle sich mithin um einzelsprachspezifische Merkmale der kommunikativen Nähe und Distanz, deren Variation die synchrone Konsequenz des historischen Prozesses der Indizierung bestimmter Formen als standardsprachlich ist; in der (standardfernen) Nähesprache haben sich dagegen komplementäre Varianten etabliert bzw. erhalten. Besonders reich fällt das Inventar solcher Merkmale in einem tendenziell diglossisch angelegten Varietätenraum wie dem des Französischen aus: Aufgrund eines rigorosen Standardisierungsprozesses, der die (Schrift-)Norm des 17. Jahrhunderts vor allem in der Morphosyntax bis heute weitgehend bewahrt hat, liegt hier eine Reihe von binären Variablen vor, deren Realisierung nach Koch und Oesterreicher von der Nähe- bzw. Distanzsprachlichkeit (vom Formalitätsgrad) einer Äußerung abhängt (cf. etwa die schon angesprochene Realisierung vs. Absenz von ne bei der Negation, die Verfügbarkeit vs. Nicht-Verfügbarkeit des passé simple, verschiedene Fragesatztypen, morphologische Varianten wie ça vs. cela, on vs. nous als klitisches Pronomen der 1. Person Plural usw.; cf. im Einzelnen Koch/Oesterreicher 2011, 164–182). Aus der historischen Kontingenz solcher Merkmale folgt für die Autoren, dass die entsprechende Varietätendimension (1b in Abbildung 2) nicht in jeder Sprache ausgelastet sein muss. So fällt der Befund etwa für das Spanische, das sich durch eine vergleichsweise liberale, für nähesprachliche Innovationen offene (also laufend re-standardisierte) Norm auszeichnet, sehr viel magerer aus als für die vergleichsweise konservativen Schriftstandards des Französischen oder Italienischen (cf. Koch/Oesterreicher 2011, 235 und 264–267).

Kontrovers wurde mit Bezug auf diesen Vorschlag vor allem die Frage diskutiert, ob nicht die konzeptionelle Variation (mindestens auf der einzelsprachlichen Ebene 1b) eine redundante Doppelung (mindestens von Teilen) desjenigen Phänomenbereichs darstellt, der bei Coseriu unter die Diaphasik fällt (cf. etwa Albrecht 1986/1990; Kiesler 1995; Dufter/Stark 2003). Vor dem Hintergrund der oben angesprochenen theoriegeschichtlichen Erwägungen erscheint ja die Vermutung nicht abwegig, dass das, was Coseriu (1969) strukturalistisch konzeptualisiert hat als einzelsprachliches Subsystem von Varianten, die für die Sprecher konventionell mit einer bestimmten Registermarkierung verbunden sind (etwa im Französischen: vulgaire, populaire, familier, courant, soutenu), in einer anderen Sichtweise dem entspricht, was Koch und Oesterreicher „kommunikativ-funktional“ an Situations- oder Sprachhandlungstypen im konzeptionellen Kontinuum rückbinden (cf. Selig 2011, 118s.). In beiden Perspektivierungen scheint jedenfalls die Situationsangemessenheit der zur Auswahl stehenden Varianten das entscheidende Realisierungskriterium zu sein.13

Für Koch und Oesterreicher besteht gleichwohl ein prinzipieller Unterschied zwischen einzelsprachlicher Nähe/Distanz-Variation und einzelsprachlicher Diaphasik (die die Autoren, anders als Coseriu, im Wesentlichen auf den lexikalischen Bereich beschränken; cf. Selig 2011, 119). Mit der konzeptionellen Variation geht für die Autoren nämlich, obschon sie einzelsprachlich-kontingente Phänomene umfasst, keine ‘diasystematische Markierung’ einher (cf. DEL REY QUESADA i.d.B.): In Situationen der kommunikativen Nähe sei es also schlicht normal und funktional angemessen, ja sogar alternativlos, sich nähesprachlicher Varianten wie fr. ça, pas, on, passé composé14 usw. zu bedienen; distanzsprachliche Varianten wie fr. cela, ne … pas, nous oder das passé simple seien dagegen im Nähediskurs per Definition ausgeschlossen (es sei denn, eine Distanzvariante wird eingesetzt, um damit einen entsprechenden kommunikativen Effekt zu erzielen, der dann aber eben auch distanzsprachlich und in dieser Funktion seinerseits alternativlos ist). Im Bereich der Diaphasik hätten die Sprecher dagegen grundsätzlich die Wahl zwischen verschiedenen (lexikalischen) Bezeichnungsvarianten, „die mit bestimmten Bewertungen in Sprechsituationen korrespondieren“ (Koch/Oesterreicher 2011, 15).

In dieser Logik wäre in einer (phonisch oder graphisch realisierten) Äußerung wie dt. Ich hab deine Nachricht bekommen von der Kombination einer nähesprachlichen (im Distanzdiskurs inadäquaten) Variante hab und einer diaphasisch neutralen Variante bekommen (als Alternative zu stilistisch niedrig markiertem gekriegt oder stilistisch hoch markiertem erhalten) auszugehen. Koch und Oesterreicher argumentieren in diesem Zusammenhang, dass die konkrete Markierungszuweisung im Bereich der Diaphasik erst durch das konzeptionelle Profil einer Äußerung festgelegt sei: Denn in einer konzeptionell mündlichen Äußerung des Typs Ich hab deine Nachricht _______ erschiene die diaphasische Variante erhalten stilistisch überzogen; in einer konzeptionell schriftlichen Äußerung – mit nicht-apokopierter Form des Auxiliars – wäre das Wort dagegen angemessen oder zumindest weniger hoch markiert (Ich habe deine Nachricht erhalten). Worum es den Autoren hier geht, ist also die oben zitierte Annahme, dass konzeptionelle Varianten nicht mit wertenden Registermarkierungen verbunden sind (hab ist demnach im Nähediskurs völlig normal und alternativlos, für habe gilt dies analog im Distanzdiskurs). Diaphasische Varianten seien dagegen grundsätzlich – wenn auch in Abhängigkeit vom Nähe/Distanzprofil des Kontexts (cf. Koch 1999, 156s.) – mit einer diasystematischen Markierung versehen, der ja traditionell auch die Lexikographie Rechnung trägt (cf. etwa auch substantivische Bezeichnungsvarianten wie Personenkraftfahrzeug – Wagen – Auto – Karre).

Man mag diese Unterscheidungen für allzu konstruiert und anwendungsfern halten, zumal sie es nur auf Umwegen erlauben, offenkundige ‘konzeptionell-diaphasische’ Kontextsolidaritäten zu erklären, deren idiomatische Relevanz wohl jeder kompetente Sprecher intuitiv bestätigen würde: So wirken die Kombinationen hab gekriegt und habe erhalten zweifellos natürlicher und akzeptabler als die umgekehrten Verbindungen hab erhalten bzw. habe gekriegt. Koch und Oesterreicher führen dennoch eine Reihe von Argumenten an, mit denen sie ihre Unterscheidung und Hierarchisierung von einzelsprachlicher Nähe/Distanz-Variation und Diaphasik theoretisch abstützen. Ja die Beobachtung, dass in Distanzkontexten (habe) diaphasisch höher markierte Formen (erhalten) angemessener erscheinen als diaphasisch niedrig markierte (gekriegt), dient den Autoren sogar als Kernargument für die Annahme, dass sich die diasystematischen Markierungsverteilungen, und damit die gesamte einzelsprachliche Architektur, in letzter Instanz funktional an den Parametern der Nähe/Distanz-Dimension ausrichteten und dass mithin die konzeptionelle Ebene als „Endpunkt der Varietätenkette“ anzunehmen sei (Koch/Oesterreicher 2011, 17; cf. zu dieser Argumentation auch Koch 1999, 156–160). Koch und Oesterreicher erkennen aber auch die weitgehende Komplementarität von diaphasischen Registerskalen im Lexikon und tendenziell dual angelegten Nähe/Distanz-Unterscheidungen im grammatischen Bereich, und sie räumen überdies ein, dass es „in der Praxis“ keineswegs „immer leicht [ist], konkrete Einzelphänomene mit absoluter Sicherheit entweder der Diaphasik oder der Nähe-Distanz-Variation zuzuweisen“ (Koch 1999, 159).

Nach all diesen Ausführungen kann kein Zweifel daran bestehen, dass es sich bei der von Koch und Oesterreicher vorgeschlagenen vierdimensionalen Modellierung um einen systemorientierten Ansatz handelt (Berruto 2017; Gadet 2018, 54), dessen Ziel es ist, die Prinzipien sprachlicher Variation auf einem hohen Abstraktionsniveau zu erfassen und eine theoretisch fundierte begriffliche Ordnung für die Beschreibung der variationellen Vielgestaltigkeit des Sprechens und der Sprachen anzubieten. Dass ein Modell, das einen derart umfassenden Erklärungsansatz verfolgt, sich grundsätzlich als attraktiv für die verschiedensten Rezeptions- und Anwendungsperspektiven erweist, ist naheliegend und wird durch die Rezeptionsgeschichte in eindrucksvoller Weise bestätigt. Es kann aber auch nicht verwundern, dass es im Zuge der Aneignung des Modells durch unterschiedliche Schulen und Subdisziplinen zu divergierenden Auslegungen, zu epistemisch-methodologischen Verwerfungen und zu – berechtigter wie unberechtigter – Kritik gekommen ist. Zwar liegt auf der Hand, dass die Beschreibungsadäquatheit einer varietätenlinguistischen Theorie empirisch nachgewiesen werden muss, und so ist es auch prinzipiell zu begrüßen, wenn unterschiedliche Forschungstraditionen ihre methodische Expertise in die Diskussion einbringen. Wir meinen aber, dass – bei aller Kritik, die im Detail geübt werden kann und soll – grundsätzlich anzuerkennen ist, dass Kochs und Oesterreichers Modellierung auf einer soliden sprachtheoretischen Basis aufruht, deren varietätenlinguistische Relevanz sie mit überzeugenden Argumenten darlegt (Oesterreicher 1988) und die sie konsequent zu Ende denkt. Wie wir gezeigt haben, erweisen sich viele der in der Rezeptionsgeschichte anhand von Einzelbefunden vorgebrachten Einwände als ungerechtfertigt, weil die Kritik verkennt, dass das Nähe/Distanz-Modell keine selbsterklärende methodische Anleitung zur variationellen Analyse von Einzeldiskursen ist und sein will. Das Ziel des Modells besteht vielmehr darin, einen sprachtheoretisch fundierten, universell-anthropologischen Erklärungshorizont für die sich im Diskurs in unendlicher Variabilität manifestierende „Nicht-Einförmigkeit“ der menschlichen Sprechtätigkeit und deren außersprachliche Voraussetzungen zu formulieren. Wie dieses begriffliche Gerüst auf die Untersuchung von Korpusdaten konkret angewendet werden kann, lassen die Autoren offen. Aus entsprechenden Stellungnahmen (cf. etwa die oben zitierten Passagen) ist aber herauszulesen, dass Koch und Oesterreicher hier wohl keine ausgeklügelte (und schon gar keine automatisierte) Untersuchungsmethodik im Sinn hatten. Sie überließen es vielmehr dem hermeneutischen Gespür der Forschenden – man möchte sagen: dem gesunden philologischen Menschenverstand –, die Pragmatik variationeller Befunde im Diskurs zu begreifen und diese mithilfe der durch ihre Theorie an die Hand gegebenen begrifflichen Systematik linguistisch sinnvoll einzuordnen.

Der wiederholt geäußerte Vorwurf, das Modell von Koch und Oesterreicher sei eine reduktionistische Setzung, die einer empirisch basierten Methodik der objektiven Beschreibung sprachlicher Variation nicht standhalte oder nachgerade im Wege stehe (cf. Dufter/Stark 2003; Dufter 2018), scheint uns bei genauerer Betrachtung nicht haltbar zu sein – zumal Koch und Oesterreicher zu diesem Vorwurf selbst Stellung nahmen und ihn mit schlüssigen Argumenten entkräftet haben. Dass empirische Forschung notwendig ist, um die im Nähe/Distanz-Modell verdichtete variationstheoretische Axiomatik zu fundieren, zu präzisieren und, wo dies nötig erscheint, auch zu hinterfragen, versteht sich wie gesagt von selbst. Allerdings sollte man die Autoren dabei beim Wort nehmen und das Modell und die ihm zugrundeliegenden Basiskonzepte (wie etwa den Begriff des Standards) nicht stillschweigend nach Maßgabe eigener Interessen uminterpretieren. Aufgrund seines anspruchsvollen theoretischen Fundaments und seiner methodologischen Offenheit scheint uns das Nähe/Distanz-Modell jedenfalls eher dazu anzuregen, die sprachliche Variation in unterschiedlichen historischen Kontexten auf empirischer Basis zu untersuchen, als dass es derartige Bemühungen blockieren oder gar verhindern würde. Dies bestätigt nicht zuletzt die Mehrheit der in diesem Band versammelten Beiträge, und zwar unabhängig davon, ob sie eher theoretisch (DÜRSCHEID, CALARESU/PALERMO, RAIBLE, SELIG/SCHMIDT-RIESE) oder empirisch ausgerichtet sind (MOSER, BÜLOW/STEPHAN, HESSELBACH). Im Übrigen erweist sich die Theorie der kommunikativen Nähe und Distanz aufgrund ihres universellen Anspruchs und ihrer methodischen Flexibilität gerade in Bezug auf sprachhistorische Fragestellungen, die ja empirisch immer nur approximativ, auf bisweilen stark reduzierter Datengrundlage bearbeitet werden können, als überaus hilfreiches und erklärungsmächtiges Instrumentarium.

Auch scheint uns die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung des Nähe/Distanz-Modells weniger in den auf das einzelsprachliche Diasystem bezogenen Überlegungen zu bestehen, die sich ja im Wesentlichen auf bereits von Coseriu vorgeschlagene Konzeptualisierungen stützen und die in der Tat bisweilen den Eindruck einer allzu ‘geometrisch’ inspirierten Konstruktion vermitteln (cf. Dufter 2018, 64 und 67). Ungleich wichtiger, ja in seinem Entstehungskontext geradezu revolutionär, erscheint aber doch das, was man als das Nähe/Distanz-Modell im engeren Sinn bezeichnen möchte, also die im 1985er-Aufsatz dargelegte, durch Oesterreicher (1988) erweiterte Theorie der konzeptionellen Variation zwischen den Polen von kommunikativer Nähe und Distanz. Was in der Labov’schen Tradition als zunächst für sich stehendes Inventar von Kontextfaktoren daherkommt, die denn auch methodisch mehr oder weniger unvermittelt mit den sprachlichen Daten relationiert werden können, leiten Koch und Oesterreicher aus einem universellen, anthropologisch fundierten Variationsbegriff ab. Für sie geht es letztlich darum, das Gesamtphänomen der Variation sprachtheoretisch zu erklären. Deshalb sah Wulf Oesterreicher die Gefahr des „Erkenntnisverzicht[s]“ (s.o.), wenn die varietätenlinguistische Arbeit sich in der mehr oder weniger konstatierenden Beschreibung sprachlicher Daten und deren außersprachlicher Begleitumstände erschöpft, dabei aber die hinter der Variation stehenden historischen Regeln und universellen Prinzipien außer Acht lässt. Koch und Oesterreicher verfolgten hingegen das Ziel, das im Diskurs wirksame Zusammenspiel von Kommunikationsbedingungen und Versprachlichungsstrategien im Lichte eines übergeordneten, universellen Sprachbegriffs zu reflektieren und die historisch ausdifferenzierten Regeln der einzelsprachlichen Variation in den theoretischen Horizont einer allgemeinen, anthropologisch fundierten Kultursemiotik einzuordnen (cf. dazu auch Oesterreicher 2009).

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